Die Abgabenordnung Gesamtdarstellung
Die Abgabenordnung (AO) wurde unter dem im BGBl 1976 I S. 613 verkündet und trat am in Kraft. Sie löste die Reichsabgabenordnung (RAO) ab. Bis Ende 2007 wurde die AO durch insgesamt 101 Gesetze geändert und ergänzt.
Die AO enthält neben allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungen auch zahlreiche materiell-rechtliche Regelungen, die für alle oder zumindest für mehrere Einzelsteuergesetze gelten. Verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Regelungen, die nur für eine Steuerart gelten, werden grds. nur im jeweiligen Einzelsteuergesetz getroffen. Die AO ist damit eine Art Mantel- oder Grundlagengesetz für das Besteuerungsverfahren.
Die AO ist in neun Teile gegliedert:
1. Teil:
Einleitende Vorschriften (§§ 1–32 AO)
2.
Teil: Steuerschuldrecht (§§ 33–77 AO)
3.
Teil: Allgemeine Verfahrenvorschriften (§§ 78–133
AO)
4. Teil: Durchführung der Besteuerung
(§§ 134–217 AO)
5. Teil: Erhebungsverfahren
(§§ 218–248 AO)
6. Teil: Vollstreckung
(§§ 249–346 AO)
7. Teil:
Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren
(§§ 347–368 AO)
8. Teil: Straf- und
Bußgeldvorschriften, Straf- und Bußgeldverfahren
(§§ 369–412 AO)
9. Teil:
Schlussvorschriften (§§ 413–415 AO)
Ergänzende Regelungen zur AO enthalten das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO), das EG-Amtshilfe-Gesetz (EGAHiG), das EG-Beitreibungsgesetz sowie die verschiedenen Rechtsverordnungen zur AO (erläutert jeweils im Zusammenhang mit der jeweiligen Regelung der AO bzw. der Verordnungsermächtigung).
Verfassungsrechtliche Grundlage der AO ist Art. 108 Abs. 5 GG. Das von den Bundesfinanzbehörden anzuwendende Verfahren wird danach durch Bundesgesetz geregelt. Das von den Landesfinanzbehörden und in den Fällen des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG von den Gemeinden (Gemeindeverbänden) anzuwendende Verfahren kann ebenfalls durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrats geregelt werden.
1. Teil: Einleitende Vorschriften
I. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Tz. 1 Anwendungsbereich der AO
Die AO gilt für alle Steuern, Steuererstattungen und Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Gemeinschaften geregelt sind, soweit diese Ansprüche durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO). Zum Steuerbegriff vgl. § 3 Abs. 1–3 AO.
Die AO gilt auch für andere bundesgesetzlich geregelte öffentlich-rechtliche Abgaben, Prämien und Zulagen, soweit dies gesetzlich angeordnet wird (vgl. z. B. § 5 Abs. 1 InvZulG 2005). Für Steuern, die der Landesgesetzgebung unterliegen, haben die Länder weitgehend eine entsprechende Anwendung der AO angeordnet; in diesem Fall sind die entsprechend angewandten Regelungen aber reines Landesrecht und können Bundesrecht nicht brechen.
Soweit Realsteuern (Grundsteuer und Gewerbesteuer) nach Landesrecht von Landesfinanzbehörden verwaltet werden, gilt die AO uneingeschränkt. Soweit die Verwaltung der Realsteuern den Gemeinden übertragen ist, gilt die AO nur teilweise (vgl. dazu im Einzelnen § 1 Abs. 2 AO).
Für steuerliche Nebenleistungen (vgl. § 3 Abs. 4 AO) gelten die Regelungen der AO grds. sinngemäß. Die Regelungen in §§ 155–217 AO gelten dabei allerdings nur, soweit dies jeweils ausdrücklich bestimmt ist (§ 1 Abs. 3 AO).
Die AO gilt darüber hinaus auch für andere Angelegenheiten, die zwar nicht unmittelbar der Besteuerung dienen, aber aufgrund der Verwaltungskompetenz für die in § 1 Abs. 1 AO genannten Ansprüche zum Aufgabenbereich der Bundes- oder Landesfinanzbehörden gehören (Nr. 4 AEAO zu § 1).
In § 1 Abs. 1 Satz 2 AO wurde ausdrücklich klargestellt, dass die Regelungen der AO durch Recht der Europäischen Gemeinschaften (insbes. EG- und EU-Verordnungen) verdrängt wird. Hierzu rechnet insbesondere der Zollkodex (Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodexes der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 S. 1, 1993 Nr. L 79 S. 84, 1996 Nr. L 97 S. 38, in der jeweils geltenden Fassung).
Tz. 2 Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen
Die deutsche Steuerordnung gilt auch für internationale (insbes. grenzüberschreitende) Sachverhalte. Da die Steuerordnungen anderer Staaten einen entsprechenden Geltungsanspruch haben, ergeben sich bei Sachverhalten mit Auslandsbezug regelmäßig Überschneidungen. Dies kann eine doppelte Besteuerung oder eine völlig ausbleibende Besteuerung zur Folge haben. Zur Lösung derartiger Probleme hat die Bundesrepublik mit vielen Staaten Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) und andere vergleichbare Vereinbarungen abgeschlossen.
Derartige Verträge mit anderen Staaten werden nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch sog. Zustimmungsgesetze in die deutsche Rechtsordnung transferiert. Zustimmungsgesetze können dabei auch zusätzliche steuerliche Bestimmungen enthalten. Da derartige Zustimmungsgesetze von Verfassungs wegen keinen Vorrang vor nationalen Steuergesetzen (einschließlich der AO) haben, bestimmt § 2 AO einen einfachgesetzlichen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor den nationalen Steuergesetzen.
Tz. 3 Steuern
§ 3 Abs. 1 AO enthält die Legaldefinition des Steuerbegriffs. Steuern sind danach Geldleistungen ohne unmittelbare Gegenleistung, die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen (Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften) zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Auf die Bezeichnung der Abgabe als „Steuer” kommt es dabei nicht an. Unerheblich ist auch, ob die Geldleistung einmalig oder fortlaufend erhoben wird.
Geldleistungen, denen eine konkrete Gegenleistung gegenüber steht, sind Gebühren oder Beiträge (sog. Vorzugslasten). In diesem Fall steht der Abgabe ein Aufwand für eine individuell zurechenbare Leistung gegenüber. Bei der Erhebung von Gebühren sind das Kostendeckungsprinzip und das Äquivalenzprinzip zu beachten. Dem Beitrag liegt ein staatlicher Aufwand zugrunde, der der beitragspflichtigen Personengruppe einen besonderen Vorteil bringt. Von Steuern zu unterscheiden sind auch Sonderabgaben. Während Steuern der Finanzierung von Gemeinlasten dienen, muss das Aufkommen aus Sonderabgaben dem Kreis der Abgabepflichtigen (gruppennützig) zugute kommen. Keine Sonderabgaben, aber auch keine Steuern sind Sozialversicherungsbeiträge, die Künstlersozialabgabe oder die Fehlbelegungsabgabe.
Keine konkrete Gegenleistung für gesetzlich auferlegte Geldleistungen sind die allgemeinen Leistungen des Staats. Auch eine mögliche Zweckbindung von Steuern stellt keine konkrete Gegenleistung dar. Die Steuerzahlung darf nicht wegen einer mit dem individuellen Gewissen nicht zu vereinbarenden Zweck verweigert werden; der Einzelne kann sich der Mitfinanzierung von Staatstätigkeiten, die er aus Gewissensgründen ablehnt, nicht entziehen und einen Anspruch auf gewissenskonforme Verwendung seiner Steuern geltend machen (vgl. , NJW 2003 S. 2600, m. w. N.).
Steuern müssen als Zwangsabgabe allen auferlegt werden, die den materiell-rechtlichen Tatbestand des jeweiligen Steuergesetzes erfüllen. Dabei muss der Steuergesetzgeber den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz beachten. Art. 3 GG gebietet nämlich eine Gleichmäßigkeit im Besteuerungserfolg (vgl. dazu im Einzelnen § 85 AO).
Die Erzielung von Einnahmen darf Nebenzweck der Besteuerung sein (§ 3 Abs. 1 zweiter Halbsatz AO). Daher können auch Abgaben mit Lenkungszweck Steuern im Sinne der AO sein. Das BVerfG hat wiederholt die Zulässigkeit wirtschaftslenkender Maßnahmen im Wege der Steuergesetzgebung betont (BVerfG, vgl. Beschluss v. - 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66). Steuern können auch der Förderung des Umweltschutzes dienen.
Der Begriff der Steuer setzt auch nicht die sofortige Ausgabe der erlangten Geldleistungen voraus. Geldleistungen, die in keiner Weise der Einnahmeerzielung dienen, sondern als Sühne-, Erziehungs-, Zwangs- oder Beugemittel erhoben werden, sind keine Steuern (beachte aber „steuerliche Nebenleistungen”).
Unter den Steuerbegriff der Art. 105ff. GG und des § 3 Abs. 1 AO fallen nur öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben, die dem Staat endgültig zufließen. Abgaben, deren Rückzahlung von vorneherein vorgesehen ist (Zwangsanleihen), sind keine Steuern (vgl. , 2 BvL 20/83, 2 BvR 363/83, 2 BvR 491/83, BStBl 1984 II S. 858)
Die verschiedenen Steuerarten werden unterschieden in:
Verkehrsteuern (z. B. Umsatzsteuer, Grunderwerbsteuer, Versicherungsteuer)
Verbrauchsteuern (z. B. Mineralölsteuer, Stromsteuer, Kaffeesteuer)
Besitzsteuern, diese wiederum untergliedert in Ertragsteuern (z. B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) und Substanzsteuern (z. B. Grundsteuer, Vermögensteuer)
Die Steuern fließen jeweils unterschiedlich dem Bund, den Ländern oder den Gemeinden zu (vgl. Steuerberechtigung nach Art. 106 GG). Daran orientiert sich grds. auch die Verwaltung der Steuern durch die Finanzbehörden des Bundes und der Länder sowie die Gemeinden/Gemeindeverbände:
Die Bundessteuern (z. B. Branntwein-, Kaffee-, Mineralöl- und Tabaksteuer) sowie die Zölle (Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, die der Europäischen Union zufließen) werden von den Hauptzollämtern als Bundesfinanzbehörden erhoben. Der Ertrag dieser Steuern steht ausschließlich dem Bund zu.
Die Gemeinschaftsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer) werden im Auftrag des Bundes von den Finanzämtern als Landesfinanzbehörden verwaltet. Sie fließen Bund und Ländern gemeinsam zu.
Die reinen Ländersteuern (z. B. Erbschaftsteuer, Grunderwerbsteuer) werden auch von den Ländern verwaltet.
Die Grundlagen für die Festsetzung der Realsteuern (Gewerbesteuer und Grundsteuer) werden durch die Finanzämter in Messbescheiden und ggf. in Zerlegungsbescheiden bestimmt, während grds. die hebeberechtigten Gemeinden oder Gemeindeverbände unter Anwendung des Hebesatzes die ihnen zufließende Steuer festsetzen und erheben (Ausnahme: Stadtstaaten).
Tz. 4 Steuererstattungen und Steuervergütungen
Steuern i. S. der AO sind auch Steuererstattungen und Steuervergütungen. Es handelt sich hierbei um umgekehrte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Steuern i. S. der AO sind auch zurückgeforderte Steuererstattungen oder Steuervergütungen. Eine Steuervergütung liegt z. B. vor, wenn sich bei der Umsatzsteuer ein Überschuss der abziehbaren Vorsteuer über die zu entrichtende Umsatzsteuer ergibt. Vgl. auch die Steuervergütung nach § 4a UStG.
Keine Steuervergütungen sind Prämien und Zulagen, die aus dem Steueraufkommen gezahlt werden (z. B. die Investitionszulage). Daher ordnet der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen grds. an, dass auf die jeweiligen Leistungen die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind.
Tz. 5 Steuerliche Nebenleistungen
§ 3 Abs. 4 AO enthält eine abschließende Aufzählung der steuerlichen Nebenleistungen:
Kosten für verbindliche Auskünfte (§ 89 Abs. 3–5 AO),
Verzögerungsgelder (§ 146 Abs. 2b AO),
Verspätungszuschläge (§ 152 AO),
Zuschläge gemäß § 162 Abs. 4 AO,
Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Zollbehörden (§ 178 AO),
Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Finanzbehörden (§ 178a AO),
Säumniszuschläge (§ 240 AO),
Zwangsgelder (§ 329 AO),
Zinsen i. S. des Zollkodexes.
Steuerliche Nebenleistungen sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO). Für sie gelten die Regelungen der AO nach § 1 Abs. 3 AO grds. sinngemäß. Die Regelungen in §§ 155–217 AO gelten dabei aber nur, soweit dies jeweils ausdrücklich bestimmt ist.
§ 3 Abs. 5 AO bestimmt, wem das Aufkommen der steuerlichen Nebenleistungen zusteht.
Tz. 6 Übersicht über das System der öffentlich-rechtlichen Abgaben
Tz. 7 Gesetz
Im Anwendungsbereich der AO ist Gesetz jede Rechtsnorm. Rechtsnorm ist jede rechtliche Sollensanforderung, die grds. an jeden gerichtet ist und aus Tatbestand und Rechtsfolge besteht. Rechtsnormen sind insbesondere Normen des Völkerrechts und der supranationalen Einrichtungen, die Vorschriften des GG, die formellen Gesetze (einschließlich der Steuergesetze), Rechtsverordnungen, autonome Satzungen sowie das Gewohnheitsrecht. Dabei gehen höherrangige Normen den Rechtsordnungen niedrigeren Ranges vor.
Gesetze im formellen Sinn sind die von den gesetzgebenden Körperschaften in den vom GG oder den Landesverfassungen vorgesehenen Verfahren erlassene Gesetze. Rechtsverordnungen werden nicht von den gesetzgebenden Körperschaften erlassen, sondern von der Exekutive. Dabei muss allerdings der Rahmen der vom Gesetzgeber der Exekutive eingeräumten Ermächtigung eingehalten werden.
Im Steuerrecht ist die unmittelbare Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben („venire contra factum proprium”) allgemein anerkannt (vgl. z. B. , BStBl 1995 II S. 764). Er bringt keine Steueransprüche und -schulden zum Entstehen (§ 38 AO) oder Erlöschen (§ 47 AO); er kann ein konkretes Steuerrechtsverhältnis lediglich modifizieren und verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Der Grundsatz von Treu und Glauben wirkt rechtsbegrenzend aber lediglich innerhalb eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses und erfordert deshalb Identität der Rechtssubjekte (vgl. , BStBl 1993 II S. 817). Er bindet daher nur den einzelnen Steuerpflichtigen und die jeweils zuständige Finanzbehörde (vgl. , BStBl 1994 II S. 561).
Keine Rechtsnorm i. S. von § 4 AO sind Richtlinien nach Art. 108 Abs. 7 GG (z. B. EStR) und andere Verwaltungsanweisungen sowie Verwaltungsakte (auch in Gestalt von Allgemeinverfügungen). Verwaltungsanweisungen sind Ausdruck der Rechtsmeinung der Verwaltung; sie hindern die Gerichte nicht, das Gesetz hiervon abweichend auszulegen und ihm auch eine für den Steuerpflichtigen ungünstigere Auslegung zu geben (vgl. , BStBl 1985 II S. 319).
Sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften stehen konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung (z. B. , BStBl 1999 II S. 653, m. w. N.). Für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung ist es Sache der obersten Finanzbehörden, auf der Grundlage von § 163 oder § 227 AO unbillige Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen zu vermeiden, die auch von den Steuergerichten grds. zu beachten sind (, BStBl 1984 II S. 751).
Bei der Auslegung von Steuergesetzen gelten die allgemeinen Auslegungsregeln und damit auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise, so wie sie ihren Niederschlag in der Rechtsprechung gefunden hat (vgl. , BStBl 1962 I S. 506). Für die Auslegung allgemeiner Verwaltungsanweisungen ist nicht maßgebend, wie das Gericht eine solche Anweisung verstünde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte und wie sie dementsprechend verfahren ist.
Tz. 8 Ermessen
Das Steuerrecht ist vom Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung geprägt. Folgerichtig ist die Festsetzung der Steuer nach Maßgabe der Gesetze eine gebundene Entscheidung. Nur in Ausnahmefällen hat der Gesetzgeber den Finanzbehörden einen Spielraum gegeben, unter einer Mehrzahl rechtlich zulässiger Entscheidungen auszuwählen. Das Ermessen der Finanzbehörden betrifft allein die Rechtsfolgenseite. Die Finanzbehörde kann also entscheiden, welche Rechtsfolge eintreten soll.
Davon zu unterscheiden ist die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie z. B. „Ordnungsmäßigkeit der Buchführung” oder „zwingendes öffentliches Interesse” umschreiben den gesetzgeberischen Willen in einer bewusst nicht konkret gefassten Form und sind daher der Auslegung fähig und bedürftig. Ist der unbestimmte Rechts- oder Gesetzesbegriff nicht mit einem Beurteilungsspielraum verbunden, ist auch nur eine Auslegung zutreffend.
§ 5 AO ist lediglich eine Rahmenvorschrift und begründet selbst einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, diese Vorschrift setzt vielmehr eine entsprechende Ermessensnorm (in der AO oder einem Einzelsteuergesetz) voraus.
Bei der Ermessensausübung sind zwei verschiedene Formen zu unterscheiden:
Die Behörde hat ein sog. Entschließungsermessen, wenn sie entscheiden kann, ob sie eine vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge eintreten lässt oder nicht.
Auswahlermessen liegt vor, wenn es in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist, welche der gesetzlich zulässigen Rechtsfolgen eintreten soll.
Soweit die Finanzbehörden durch den Gesetzgeber ermächtigt wurden, im Einzelfall nach Ermessen zu handeln, haben sie bei der Ausübung des Ermessens dem Zweck der Ermächtigung Rechnung zu tragen; sie müssen auch die Grenzen des Ermessens einhalten. Bei der Ausübung des Ermessens sind auch die Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der Erforderlichkeit, der Zumutbarkeit, der Billigkeit und von Treu und Glauben sowie das Willkürverbot und das Übermaßverbot zu beachten (Nr. 1 AEAO zu § 5).
Ermessensüberschreitung ist gegeben, wenn die Finanzbehörde nach Ermessen entschieden hat, ohne dazu vom Gesetzgeber ermächtigt worden zu sein, oder wenn die Finanzbehörde eine Rechtsfolge wählt, die außerhalb des Rahmens der gesetzlichen Ermächtigung liegt. Die Grenzen der Ermessensausübung ergeben zum einen aus der Ermächtigungsnorm selbst, darüber hinaus ggf. auch aus dem Sachzusammenhang, aus dem Sinn und Zweck der Ermächtigungsnorm oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen.
Ermessensunterschreitung ist gegeben, wenn die Finanzbehörde von der ihr gesetzlich zustehenden Befugnis zur Ermessensausübung keinen Gebrauch gemacht hat.
Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn von dem eingeräumten Ermessen ein fehlerhafter Gebrauch gemacht wird. Das ist der Fall, wenn die Verwaltungsbehörde zwar innerhalb des ihr vorgegebenen (äußeren) Rahmens bleibt, die Entscheidung aber den tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falls nicht gerecht wird oder die von der Verwaltungsbehörde angestellten Erwägungen die getroffene Entscheidung nicht rechtfertigen können.
Der Steuerpflichtige hat einen – nach Art.19 Abs.4 GG vor den Gerichten durchsetzbaren –Anspruch, dass die angegangene Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausübt (vgl. , BStBl 1982 II S. 583). Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass die Finanzbehörde ihre Entscheidung anhand des einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts trifft und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind (vgl. , BStBl 1985 II S. 489).
Ermessensfehlgebrauch liegt auch vor, wenn die Finanzbehörde einen Sachverhalt zwar zutreffend ermittelt hat, dieser sich aber nicht auf den für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bezieht. Für die gerichtliche Überprüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auch dann maßgebend, wenn der angefochtene Verwaltungsakt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist (vgl. , BStBl 1991 II S. 545).
Verwaltungsvorschriften, die die Ausübung des Ermessens regeln, sind für die Finanzbehörden bindend. Allgemeine Verwaltungsanweisungen eines Landes können allerdings keine Bindung des Ermessens der Verwaltung eines anderen Landes bewirken.
Ermessensentscheidungen sind grds. zu begründen. Wegen der Befugnis und Verpflichtung der Finanzgerichte zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die den Gerichten keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen (§ 102 Satz 1 FGO), muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung begründet werden (§ 121 Abs. 1 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen – die Abwägung des Für und Wider – aus der Entscheidung erkennbar sein (vgl. , BStBl 1988 II S. 170, m. w. N.). Allerdings kann unter den Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 AO auf eine Begründung verzichtet werden; vgl. auch Nr. 3 AEAO zu § 121.
Eine fehlende Begründung kann bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 2 AO). § 102 Satz 2 FGO gestattet es der Finanzbehörde allerdings nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Sie ist dagegen nicht befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (, BStBl 2004 II S. 579).
Die gerichtliche Prüfung von Ermessensentscheidungen ist darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO). Das Finanzgericht kann eine durch Gesetz der Finanzbehörde eingeräumte Ermessensentscheidung nur dann selbst treffen, wenn von den verschiedenen, theoretisch in Betracht kommenden Entscheidungen im konkreten Fall nur eine einzige Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf „Null”).
Tz. 9 Behörden und Finanzbehörden
§ 6 Abs. 1 AO definiert, welche Stellen Behörden i. S. der AO sind. Behörde ist danach jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (funktionaler Behördenbegriff). Behörden sind daher auch Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie beliehene Unternehmer (= private Stellen, denen durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes hoheitliche Befugnisse übertragen worden sind).
Durch die Legaldefinition des Behördenbegriffs sollen eventuelle Zweifel darüber beseitigt werden, welche Stellen der öffentlichen Verwaltung gegenüber den Finanzbehörden zur Erteilung von Auskünften (§ 93 AO), zur Vorlage von Urkunden (§ 97 AO) oder zur Leistung von Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) verpflichtet sind.
Der Begriff „Finanzbehörde” wird in § 6 Abs. 2 AO unter Bezug auf das Finanzverwaltungsgesetz (FVG) definiert. Soweit Gemeinden im Lohnsteuerverfahren tätig werden, sind sie nach § 39 Abs. 6 EStG ebenfalls (örtliche) Finanzbehörden. Sie sind insoweit verpflichtet, den Anweisungen des örtlich zuständigen Finanzamts nachzukommen. Das Finanzamt kann erforderlichenfalls Verwaltungsakte, für die eine Gemeinde sachlich zuständig ist, selbst erlassen.
Tz. 10 Übersicht über die Struktur der Finanzverwaltung
Tz. 11 Amtsträger
Die Legaldefinition des Begriffs des Amtsträgers in § 7 AO entspricht der Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB. Die Definition des Amtsträgers hat im Besteuerungsverfahren Bedeutung für das Steuergeheimnis (§ 30 AO), die Haftungsbeschränkung nach § 32 AO, die Ausschließung und Ablehnung von Personen in einem Verwaltungsverfahren (§§ 82 ff. AO), die Akteneinsicht im Zerlegungsverfahren (§ 187 AO) und die Selbstanzeige (§ 371 AO). Zur Strafbarkeit der Verletzung des Steuergeheimnisses durch Amtsträger vgl. § 355 StGB.
Amtsträger ist zunächst, wer nach deutschem Recht Beamter oder Richter ist (§ 7 Nr. 1 AO). Amtsträger ist aber auch, wer nach deutschem Recht in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht (§ 7 Nr. 2 AO); hierzu gehören u. a. Minister, parlamentarische Staatssekretäre und Notare. Art und Inhalt der ausgeübten Tätigkeit sind dabei in beiden Fällen unerheblich.
Amtsträger i. S. des § 7 Nr. 1 AO sind daher auch Beamte nach deutschem Recht, die außerhalb der Finanzverwaltung eingesetzt werden. Ausländische Amtsträger oder Beamte der Europäischen Kommission und Richter des EuGH sind dagegen keine Amtsträger i. S. des § 7 Nr. 1 AO. Keine Amtsträger i. S. § 7 Nr. 1 AO sind Abgeordnete und Soldaten.
Amtsträger ist nach § 7 Nr. 3 AO letztlich aber auch, wer nach deutschem Recht sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Das sind Aufgaben, bei deren Erledigung Angelegenheiten der Gemeinwesen und ihrer Mitglieder unmittelbar gebietend, verbietend, entscheidend oder sonst wie handelnd innerhalb der gesetzlichen Grenzen wahrgenommen werden. Unter § 7 Nr. 3 AO fallen insbesondere Verwaltungsangestellte (z. B. nicht verbeamtete Beschäftigte im Außenprüfungsdienst), soweit sie nicht lediglich als Hilfskräfte bei öffentlichen Aufgaben mitwirken (z. B. Registratur- und Schreibkräfte, Botendienste); vgl. Nr. 3 AEAO zu § 7.
Tz. 12 Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt
Die Begriffe des Wohnsitzes (§ 8 AO) bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9 AO) haben insbesondere Bedeutung für die persönliche Steuerpflicht natürlicher Personen (vgl. § 1 EStG, § 2 ErbStG) oder für familienbezogene Entlastungen (z. B. Realsplitting nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Manche zwischenstaatlichen Vereinbarungen enthalten aber Fiktionen, die den §§ 8, 9 AO vorgehen.
Der Begriff der Ansässigkeit i. S. der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist allein auf deren Anwendung (insbesondere hinsichtlich der Abkommensberechtigung und der Zuteilung der Besteuerungsrechte) beschränkt und hat keine Auswirkung auf die persönliche Steuerpflicht. Die deutsche unbeschränkte Steuerpflicht besteht daher auch dann, wenn der Steuerpflichtige je eine Wohnung bzw. einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und im Ausland hat und nach dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen im ausländischen Vertragsstaat ansässig ist.
a) Wohnsitz
Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Als Wohnung sind objektiv zum Wohnen geeignete Wohnräume anzusehen.
Der Steuerpflichtige muss tatsächlich über die Wohnung verfügen können und sie als Bleibe nicht nur vorübergehend benutzen (, BStBl 1968 II S. 439). Die Anforderungen an einen Wohnsitz sind erfüllt, wenn einem Steuerpflichtigen eine eigene, vollständig eingerichtete Wohnung zur jederzeitigen Nutzung zur Verfügung steht und von ihm auch tatsächlich genutzt wurde. In welchem zeitlichen Umfang der Steuerpflichtige die Wohnung im Kalenderjahr genutzt hat, ist unerheblich.
Die bloße Absicht, einen Wohnsitz zu begründen oder aufzugeben, bzw. die An- und Abmeldung bei der Meldebehörde entfalten allein keine unmittelbare steuerliche Wirkung (, BStBl 1970 II S. 153). Allerdings stimmen der bürgerlich-rechtliche, aufgrund einer Willenserklärung des Steuerpflichtigen von ihm selbst bestimmte Wohnsitz und der steuerlich maßgebende Wohnsitz regelmäßig überein.
Bei Ehegatten und sonstigen Familienangehörigen ist der Wohnsitz für jede Person gesondert zu prüfen. Ein Ehegatte, der nicht dauernd getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz grds. dort, wo seine Familie lebt (, BStBl 1985 II S. 331).
Ein Steuerpflichtiger kann mehrere Wohnsitze i. S. des § 8 AO haben, diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung können zur Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes führen. Ein inländischer Wohnsitz führt auch dann zur unbeschränkten Steuerpflicht, wenn er nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen darstellt ( NWB GAAAB-21049). Wird eine inländische Wohnung von ihrem Eigentümer immer wieder nicht nur geschäftlich oder besuchsweise, sondern „als eigene” genutzt, ist sie auch dann sein „Wohnsitz” i. S. des § 8 AO, wenn sich der Eigentümer zeitlich überwiegend im Ausland aufhält ( NWB DAAAC-54128).
Ein Wohnsitz im Inland besteht nicht mehr, wenn die (ggf. letzte) inländische Wohnung aufgegeben wird. Das ist z. B. der Fall bei Kündigung und Auflösung einer Mietwohnung, bei nicht nur kurzfristiger Vermietung der Wohnung im eigenen Haus bzw. der Eigentumswohnung.
b) Gewöhnlicher Aufenthalt
Auch wenn ein Steuerpflichtiger im Inland keinen Wohnsitz i. S. des § 8 AO mehr hat, kann er hier noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) haben und damit persönlich steuerpflichtig sein. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO).
Als gewöhnlicher Aufenthalt im Inland gilt nach § 9 Satz 2 AO stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Die gesetzliche Vermutung eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 9 Satz 2 AO gilt allerdings nicht, wenn der mehr als sechsmonatige Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert (§ 9 Satz 3 AO).
Bei Unterbrechungen der Anwesenheit kommt es darauf an, ob noch ein einheitlicher Aufenthalt oder mehrere getrennte Aufenthalte anzunehmen sind. Ein einheitlicher Aufenthalt ist gegeben, wenn der Aufenthalt fortgesetzt werden sollte und die Unterbrechung nur kurzfristig ist. Als kurzfristige Unterbrechung kommen in Betracht Familienheimfahrten, Jahresurlaub, längerer Heimaturlaub, Kur und Erholung, aber auch geschäftliche Reisen.
Der Tatbestand des gewöhnlichen Aufenthalts kann aber auch bei einem weniger als sechs Monate dauernden Aufenthalt verwirklicht werden, wenn Inlandsaufenthalte nacheinander folgen, die sachlich miteinander verbunden sind, und der Steuerpflichtige von vornherein beabsichtigt, nicht nur vorübergehend im Inland zu verweilen (vgl. , BStBl 1978 II S. 118).
Der gewöhnliche Aufenthalt kann – anders als Wohnsitze i. S. des § 8 AO – nicht gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Bei fortdauerndem Schwerpunktaufenthalt im Ausland begründen kurzfristige Aufenthalte im Inland, z. B. Geschäfts-, Dienstreisen, Schulungen, keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Umgekehrt führen kurzfristige Auslandsaufenthalte bei fortdauerndem Schwerpunktaufenthalt im Inland nicht zur Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (Nr. 3 AEAO zu § 9).
Der gewöhnliche Aufenthalt im Inland ist im Regelfall aufgegeben, wenn der Steuerpflichtige zusammenhängend mehr als sechs Monate im Ausland lebt. Keine Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland ist aber anzunehmen, wenn die Beziehungen zum Inland bestehen bleiben. Entscheidend ist dabei, ob der Steuerpflichtige den persönlichen und geschäftlichen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt hat und ob er seinen Willen, ins Inland zurückzukehren, endgültig aufgegeben hat (, BStBl 1962 III S. 429). Hält sich der Steuerpflichtige zusammenhängend länger als ein Jahr im Ausland auf, ist grds. eine Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland anzunehmen.
Tz. 13 Geschäftsleitung
Der in § 10 AO definierte Ort der Geschäftsleitung ist Anknüpfungspunkt u.a. für die Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) oder die Erbschafts- und Schenkungsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d und Nr. 2 ErbStG). Die Definition hat auch Bedeutung bei Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Finanzbehörden (vgl. §§ 18 ff. AO). Der Begriff „ansässig” i. S. von § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann dagegen nicht nach § 10 AO bestimmt werden. Der Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft kann, muss aber nicht mit deren Sitz übereinstimmen.
Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Dies ist der Ort, an dem der für die Geschäftsleitung maßgebliche Wille gebildet wird und die für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (vgl. , BStBl 1998 II S. 86, m. w. N.). Unter „geschäftlicher Oberleitung” ist die Geschäftsführung im engeren Sinne zu verstehen, d. h. die sog. laufende Geschäftsführung. Dazu gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb einer Kapitalgesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäfte”).
Eine Kapitalgesellschaft muss dabei am Ort der Geschäftsleitung nicht notwendigerweise eigene Büroräume unterhalten. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung einer Kapitalgesellschaft kann sich auch in der Wohnung ihres Geschäftsführers oder in Baucontainern befinden. Führt ein Unternehmer ganzjährig Bauarbeiten und Montagearbeiten im Ausland aus, hat er dennoch seine Geschäftsleitung im Inland, wenn er am inländischen Familienwohnsitz ein für seinen Betrieb genutztes Büro unterhält und an den Wochenenden regelmäßig dorthin zurückkehrt. Der Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft liegt im Inland, wenn diese im Ausland nicht wirtschaftlich tätig ist und dort auch über keine Geschäftsausstattung verfügt, sondern ihre Geschäfte lediglich über eine inländische Niederlassung abschließt und auch den wesentlichen Teil ihrer Umsätze dieser Niederlassung zuordnet.
Tz. 14 Sitz
Eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse hat ihren Sitz an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist (§ 11 AO). Der Ort des Sitzes einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ist Anknüpfungspunkt u. a. für die Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) oder die Erbschafts- und Schenkungsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d und Nr. 2 ErbStG).
Der Sitz einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ist steuerlich nur von Bedeutung, wenn sie keine Geschäftsleitung im Inland hat. Befinden sich der Ort der Geschäftsleitung und der Sitz an verschiedenen Orten im Inland, ist steuerlich nur der Ort der Geschäftsleitung maßgebend (vgl. z. B. § 20 Abs. 1 AO).
Tz. 15 Betriebstätte
Der in § 12 AO definierte Begriff der Betriebstätte hat u. a. Bedeutung für die räumliche Zuordnung von Einkünften und Vermögen, z. B. bei Bestimmung der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 EStG, § 2 Abs. 1 GewStG). Die Definition der Betriebstätte in § 12 AO ist darüber hinaus maßgeblich Anwendung der Regelungen in § 2a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 6b Abs. 4 Nr. 2 und 3, § 7g Abs. 2 Nr. 2, § 38 Abs. 1 Nr. 1 EStG; § 8 Nr. 7 Satz 3, § 28 Abs. 1, §§ 29, 30 GewStG; § 3a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 UStG; § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InvZulG 2007; § 18 Abs. 1 Nr. 2 und § 138 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AO.
§ 12 AO ist nicht anzuwenden, soweit andere Rechtsvorschriften (z. B. Doppelbesteuerungsabkommen, OECD-Musterabkommen, EStG) abweichende Regelungen zum Begriff „Betriebstätte” enthalten. § 41 Abs. 2 EStG enthält z. B. für das Lohnsteuerverfahren eine eigenständige Definition der Betriebsstätte. Bei Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. des § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG ist der Begriff der Betriebstätte abweichend von § 12 AO auszulegen. Unterhält ein inländisches Unternehmen eine Betriebstätte im Ausland oder ein ausländisches Unternehmen eine Betriebstätte im Inland, gehen Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen dem § 12 AO vor. In den Doppelbesteuerungsabkommen wird der Begriff der Betriebsstätte überwiegend nach Maßgabe des Art. 5 des Musterabkommens der OECD definiert. Dieser Betriebsstättenbegriff stimmt nicht mit dem des § 12 AO überein, sondern ist enger gefasst.
Betriebstätte ist nach § 12 Satz 1 AO jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Die Begriffsbestimmung gilt nicht für gewerbliche Tätigkeiten i. S. des § 15 EStG, sondern auch für die freiberufliche Tätigkeit und Steuerpflichtige mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft.
Eine Betriebsstätte setzt eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Geschäftseinrichtung ist jeder körperliche Gegenstand bzw. jede Zusammenfassung körperlicher Gegenstände, die geeignet ist, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein.
Eine „feste” Betriebsstätte liegt vor, wenn eine feste Verbindung zum Erdboden besteht bzw. die Geschäftseinrichtung oder Anlage sich für eine gewisse Dauer an einem bestimmten Ort befindet. Dabei kann sich die örtliche Fixierung aus mechanischer Verbindung mit der Erde oder aus bloßer Belegenheit an derselben Stelle ergeben. Zu den Betriebstätten zählen auch bewegliche Geschäftseinrichtungen mit vorübergehend festem Standort (z. B. fahrbare Verkaufsstätten mit wechselndem Standplatz auf Wochenmärkten oder Verkaufslokale von Saisonbetrieben). Ein Verkaufsstand, den ein Unternehmen nur einmal im Jahr vier Wochen lang auf einem Weihnachtsmarkt unterhält, begründet aber noch keine Betriebstätte (, BStBl 2004 II S. 396).
Für die Annahme einer Betriebsstätte ist nicht in jedem Fall der Einsatz von Personal (Unternehmer, Arbeitnehmer, fremdes weisungsabhängiges Personal, Subunternehmer) in oder an der Geschäftseinrichtung erforderlich, vielmehr reicht bei vollautomatisch arbeitenden Einrichtungen das Tätigwerden des Unternehmens mit der Geschäftseinrichtung aus. Daher kann auch der inländische Teil einer Pipeline, die von Steuerungseinrichtungen im Ausland aus bedient wird, Betriebsstätte sein (vgl. , BStBl 1997 II S. 12).
Rechtlich muss die Geschäftseinrichtung oder Anlage der nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht des Unternehmens unterliegen (vgl. , BStBl 1993 II S. 462).
§ 12 Satz 2 AO enthält eine beispielhafte Aufzählung von Betriebstätten (z. B. Stätte der Geschäftsleitung, Zweigniederlassungen und Geschäftsstellen, Fabrikations- oder Werkstätten, Warenlager oder Ein- oder Verkaufsstellen). Auch in den hier genannten Fällen müssen aber immer die Voraussetzungen des § 12 Satz 1 AO erfüllt sein.
Tz. 16 Ständiger Vertreter
Wie der Begriff der Betriebstätte (§ 12 AO) ist der Begriff des ständigen Vertreters bei der räumlichen Zuordnung von Einkünften und Vermögen verwandt. Zur Begründung der Gewerbesteuerpflicht reicht aber die Existenz eines ständigen Vertreters im Inland ohne inländische Betriebstätte nicht aus. Der ständige Vertreter hat auch Bedeutung für die beschränkte Steuerpflicht. Abweichende Regelungen in den Doppelbesteuerungsabkommen gehen dem § 13 AO vor.
Ständiger Vertreter ist nach § 13 Satz 1 AO eine (natürliche oder juristische) Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 Satz 2 AO enthält typische Beispiele für das Vorliegen eines ständigen Vertreters:
eine Person schließt für ein Unternehmen nachhaltig Verträge ab,
eine Person vermittelt für ein Unternehmen nachhaltig Aufträge oder holt Aufträge ein,
eine Person unterhält für ein Unternehmen nachhaltig einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und nimmt davon Auslieferungen vor.
Die Geschäftsbesorgung i. S. des § 13 AO setzt voraus, dass der selbständige oder angestellte Vertreter anstelle des fremden, von ihm vertretenen Unternehmens Handlungen vornimmt, die in dessen Betrieb fallen. Ein gesetzlicher Vertreter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft kann nicht ständiger Vertreter der vertretenen Gesellschaft sein, es sei denn, er betreibt außerdem ein Einzelunternehmen, in dessen Rahmen er die Geschäfte der vertretenen Gesellschaft besorgt. Unbeachtlich ist, ob der ständige Vertreter ausschließlich zum Nutzen des von ihm vertretenen Unternehmens handelt oder von der Geschäftsbesorgung auch einen eigenen Vorteil hat. Der Vertreter kann nach außen im eigenen oder in fremdem Namen auftreten.
Gegenstand der Geschäftsbesorgung ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen des vertretenen Unternehmens durch Vornahme von Handlungen, die in den Betrieb des vertretenen Unternehmens fallen; ausgenommen sind dabei bloße Hilfstätigkeiten. Weitere Voraussetzung für die Annahme eines ständigen Vertreters i. S. des § 13 AO ist, dass der Vertreter die Tätigkeit für das andere Unternehmen nachhaltig ausübt. Die Geschäftsbesorgung muss also von einer gewissen Dauer und Planmäßigkeit sein.
Tz. 17 Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb
Der Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs hat nicht nur Bedeutung für steuerbegünstigte Körperschaften (vgl. § 64 AO; § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG; § 3 Nr. 6 GewStG; § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG; § 18 Abs. 1 Nr. 19b und 20 ErbStG; § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 6 GrStG), sondern auch für Berufsverbände (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG), politische Parteien (§ 5 Abs. 1 Nr. 7 KStG), gemeinnützige Siedlungsunternehmen (§ 5 Abs. 1 Nr. 12 KStG; § 3 Nr. 17 GewStG), Vermögensverwaltungsgesellschaften (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 KStG; § 3 Nr. 10 GewStG) sowie juristische Personen des privaten Rechts und nichtrechtsfähige Vereine (§ 2 Abs. 3 GewStG). In diesen Fällen findet eine Besteuerung nur statt oder entfällt eine Steuerbefreiung, soweit ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt, der nicht Zweckbetrieb i. S. der §§ 65–68 AO oder nach § 64 Abs. 3 AO von der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer befreit ist.
Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO ist eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht.
Tätigkeit i. S. des § 14 AO ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das ursächlich für die Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils des Rechtsträgers ist. Dabei werden alle Tätigkeiten des Rechtsträgers einschließlich seiner gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter sowie seiner Arbeitnehmer berücksichtigt.
Die Tätigkeit muss selbständig ausgeübt werden. § 14 AO geht dabei nach h. A. von der sog. sachlichen Selbständigkeit aus. Selbständig i. S. des § 14 AO ist eine Tätigkeit danach, wenn sie nicht mit anderweitigen Betätigungen der Körperschaft dergestalt zusammenhängt, dass ihre Ausübung ohne die anderweitige Betätigung nicht möglich wäre (vgl. , BStBl 1998 II S. 175).
Die Tätigkeit muss nachhaltig ausgeübt werden. Eine Nachhaltigkeit liegt vor, wenn die Betätigung in Wiederholungsabsicht ausgeübt wird, d. h. wenn bei der Tätigkeit der allgemeine Wille besteht, gleichartige oder ähnliche Handlungen bei sich bietender Gelegenheit zu wiederholen. Wiederholte Tätigkeiten liegen auch vor, wenn der Grund zum Tätigwerden auf einem einmaligen Entschluss beruht, die Erledigung aber mehrere (Einzel-)Tätigkeiten erfordert (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 64 Abs. 1). Falls Wiederholungsabsicht vorliegt, stellt bereits die erste einzelne Handlung den Beginn einer nachhaltigen Tätigkeit dar.
Durch die Tätigkeit müssen Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden, die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgehen. Erforderlich ist dabei eine Kausalität zwischen der Betätigung und den erzielten Einnahmen oder anderen wirtschaftlichen Vorteilen. Einnahmen oder Vorteile, die auch ohne die selbständige nachhaltige Tätigkeit erzielt werden, bleiben bei Prüfung des § 14 AO unberücksichtigt (z. B. Mitgliedsbeiträge, Spenden oder echte Zuschüsse).
Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO liegt nicht vor, wenn die selbständige nachhaltige Tätigkeit nicht über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht. Vermögensverwaltung liegt nach § 14 Satz 3 AO regelmäßig vor, wenn Vermögen genutzt, z. B. Kapitalvermögen verzinslich angelegt oder unbewegliches Vermögen vermietet oder verpachtet wird. Diese beispielhafte Aufzählung ist aber nicht abschließend.
Gewinnerzielungsabsicht ist für die Annahme eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht erforderlich (§ 14 Satz 2 AO). Ebenso wenig erforderlich ist eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb können nicht nur gewerbliche Einkünfte, sondern auch Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt werden.
Tz. 18 Angehörige
Die Bedeutung des in § 15 AO definierten Begriffs „Angehöriger” liegt überwiegend im steuerlichen Verfahrensrecht (s. z. B. § 82 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 2, §§ 101, 103 AO; vgl. aber auch § 84 Abs. 2 FGO). Soweit die Einzelsteuergesetze den Begriff „Angehöriger” verwenden, ist ebenfalls der Angehörigenbegriff des § 15 AO maßgeblich. Soweit der Steuergesetzgeber einen ähnlichen, aber doch abweichenden Begriff verwendet, ist § 15 AO nicht anwendbar (vgl. z. B. § 12 Nr. 1 EStG: „Familienangehörige”; § 284 Abs. 2 Nr. 1 AO: „nahestehende Person”). § 15 AO ist auch nicht maßgeblich für die ertragsteuerliche Beurteilung von Verträgen unter nahen Angehörigen.
Für die Einordnung einer Person unter die Angehörigen i. S. des § 15 AO sind die familienrechtlichen Vorschriften des BGB maßgeblich. Die Aufzählung in § 15 AO ist abschließend. Angehörige i. S. des § 15 sind danach:
Verlobte, solange das wechselseitige Eheversprechen Bestand hat. Angehörige eines Verlobten sind dabei aber keine Angehörigen des anderen Verlobten;
Ehegatten, auch nach Beendigung der Ehe durch Scheidung, Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung. Lebenspartner i. S. des Lebenspartnerschaftsgesetzes sind zueinander keine Angehörigen i. S. des § 15 AO;
Verwandte gerader Linie (Personen, bei denen eine von der anderen unmittelbar oder mittelbar abstammt, z. B. Kinder, Eltern, Großeltern, auch nichteheliche Kinder). Stiefeltern und Stiefkinder sind zueinander keine Angehörigen;
Verschwägerte gerader Linie (z. B. Schwiegersohn/-tochter und Schwiegereltern), auch nach Beendigung der maßgeblichen Ehe;
Geschwister (Personen mit mindestens einem gemeinsamen Elternteil);
Kinder der Geschwister (Nichten und Neffen), aber nicht die Enkel, Urenkel usw. der Geschwister. Kinder der Geschwister sind zueinander keine Angehörigen;
Ehegatten der Geschwister und Geschwister der Ehegatten (Schwager oder Schwägerin), auch nach Beendigung der maßgebenden Ehe. Ehegatten mehrerer Geschwister sind zueinander keine Angehörige i. S. des § 15 AO;
Geschwister der Eltern (Onkel und Tanten), aber nicht die Kinder der Geschwister der Eltern;
Personen, die durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Eltern und Kind miteinander verbunden sind (Pflegeeltern und Pflegekinder). Angehörige i. S. des § 15 AO bleiben diese Personen auch dann, wenn die häusliche Gemeinschaft nicht mehr besteht, sofern die Personen weiterhin wie Eltern und Kind miteinander verbunden sind.
Nimmt ein Ehepaar ein Kind an oder nimmt ein Ehegatte ein Kind des anderen Ehegatten an (Adoption), erlangt das adoptierte Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten (§ 1754 Abs. 1 BGB). Das angenommene Kind begründet damit zu den anderen Kindern des/der Annehmenden ein Geschwisterverhältnis; es wird auch Angehöriger der Verwandten und Verschwägerten des/der Annehmenden in gerader Linie. Mit der Adoption erlöschen das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten (§ 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nimmt ein Ehegatte das Kind seines Ehegatten an, tritt das Erlöschen nur im Verhältnis zu dem anderen Elternteil und dessen Verwandten ein (§ 1755 Abs. 2 BGB). Dieses Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses ist aber für die steuerliche Stellung als Angehöriger irrelevant (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 AO).
II. Zuständigkeit der Finanzbehörden §§ 16–29 AO
Tz. 19 Zuständigkeit
Die Zuständigkeit, auch Kompetenz genannt, ist das Recht und die Pflicht einer bestimmten Behörde, genau umrissene Aufgaben wahrzunehmen. Die Vielzahl der Aufgaben, die durch die Finanzbehörden zu erledigen sind, ist wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Notwendigkeit einer effektiven Bewältigung der Gesamtaufgabe auf verschiedene Behörden verteilt. Das GG (Art. 108 Abs. 1 und 2 GG) unterteilt die Finanzverwaltung in Bundes- und Landesverwaltung (s. auch die Übersicht zu Tz. 10) und ordnet den jeweiligen Finanzbehörden bestimmte Aufgabenbereiche zu. Die Bundesfinanzbehörden (§ 1 FVG) verwalten die Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Die übrigen Steuern werden durch die Landesfinanzbehörden (§ 2 FVG) verwaltet.
Da nicht jede Finanzbehörde umfassende Verwaltungsaufgaben wahrnehmen kann, unterteilen die Zuständigkeitsvorschriften die Gesamtaufgabe insbesondere in Steuerarten und/oder einzelne Tätigkeitsbereiche im Rahmen der Verwaltung einer Steuer. Die AO unterscheidet zwischen der sachlichen Zuständigkeit (Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben, Tz. 20) und der örtlichen Zuständigkeit (Aufteilung zwischen mehreren sachlich zuständigen Finanzbehörden unter Anknüpfung an regionale Gesichtspunkte, Tz. 21 ff.). Durch die Kompetenzordnung werden in positiver Hinsicht Handlungsrechte und -pflichten der zuständigen Behörde und Handlungsverbote der unzuständigen Behörde begründet.
Zuständig i. S. des Gesetzes ist die Behörde, nicht ein bestimmtes Arbeitsgebiet oder ein bestimmter Beamter innerhalb der Finanzbehörde. Diese interne Zuständigkeit gehört weder zur sachlichen noch zur örtlichen Zuständigkeit. Sie bestimmt die für die Erledigung der zugewiesenen Aufgaben zuständigen Amtsträger innerhalb der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde. Innerhalb der Finanzämter wird die interne Zuständigkeit durch die Geschäftsordnung der Finanzämter (FAGO) und die Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens (GNOFÄ) geregelt.
Die §§ 16–29 AO regeln die Zuständigkeit der Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO) im Anwendungsbereichs der AO (§ 1 AO), d. h. bei der Verwaltung von Steuern einschließlich Steuervergütungen durch die Bundes- und Landesfinanzbehörden. Für Realsteuern, soweit ihre Verwaltung den Gemeinden übertragen worden ist, finden die Zuständigkeitsregelungen weder direkte noch gem. § 1Abs. 2 Nr. 1 AO entsprechende Anwendung.
Tz. 20 Sachliche Zuständigkeit
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Die sachliche Zuständigkeit betrifft den einer Behörde dem Gegenstand und der Art nach durch Gesetz zugewiesenen Aufgabenbereich (Aufgabenkreis). Eine Behörde muss und darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden (vgl. , BStBl 1989 II S. 3). § 16 AO verweist insoweit auf das FVG. Dort werden die sachlichen Zuständigkeiten innerhalb der Finanzverwaltung auf die obersten Behörden, Mittelbehörden und örtliche Behörden verteilt (vgl. § 6 AO). Aber auch die AO (z. B. § 208 Abs. 2 AO für die Steuer- und Zollfahndung, § 249 Abs.1 AO für die Vollstreckung, § 386 Abs. 1, § 387 für die Ermittlung bei Verdacht einer Steuerstraftat) sowie die Einzelsteuergesetze (z. B. § 5 InvZulG, § 11 EigZulG) enthalten Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit.
Unterarten der sachlichen Zuständigkeit sind die funktionelle und die verbandsmäßige Zuständigkeit. Die funktionelle Zuständigkeit bestimmt die Verteilung von Aufgaben desselben Aufgabenkreises innerhalb eines Behördenzweigs, insbesondere auf verschiedene Behördenebenen (z. B. Finanzamt oder Oberfinanzdirektion). Die verbandsmäßige Zuständigkeit betrifft die Zuständigkeit eines steuerberechtigten Verbands (insbesondere Länder und Gemeinden). Sie wird der Gebietskörperschaft beigelegt, in deren Gebiet sich die den Steuertatbestand verwirklichenden Lebensvorgänge zugetragen haben. Die Grundsätze der verbandsmäßigen Zuständigkeit greifen nach der Rechtsprechung des BFH nur bei gebietsgebundenen Steuern, für die der Ort der Tatbestandsverwirklichung wesentlich ist, wie z. B. Grundsteuer, Gewerbesteuer und örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern – nicht jedoch für die nicht gebietsbundene Einkommen-, Umsatz- oder Kraftfahrzeugsteuer – (vgl. , BStBl 1971 II S. 151; v. - VIII R 42/67, BStBl 1973 II S. 198, und v. - VII R 146/84, BStBl 1985 II S. 377, sowie Nr. 2 AEAO zu § 16).
b) Verletzung der sachlichen Zuständigkeit
Die Missachtung der Regelungen über die sachliche Zuständigkeit führt nicht stets zur Nichtigkeit der Verwaltungsakte. Nur Verwaltungsakte, die unter einem besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Verstoß gegen die Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit zustande gekommen sind, sind gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig und damit nach §124 Abs. 3 AO unwirksam. Man spricht von einer absoluten sachlichen Unzuständigkeit, wenn die Behörde in keinem denkbaren Fall entsprechende Regelungen hätte treffen dürfen (etwa bei Ressortverwechslung; z. B. Einwohnermeldeamt erlässt Steuerbescheid). In den übrigen Fällen ist eine relative sachliche Unzuständigkeit gegeben (z. B. Oberfinanzdirektion oder Landesfinanzministerium erlässt Steuerbescheid oder Einspruchsentscheidung). Diese Verwaltungsakte sind zwar fehlerhaft, aber wirksam. Ein solcher Verfahrensfehler kann nicht nach §126 AO geheilt werden. Auch eine Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 127 AO kommt nicht in Betracht (vgl. , BStBl 1986 II S. 880). Da § 127 AO ausdrücklich nur die örtliche Zuständigkeit erwähnt, ergibt sich durch Umkehrschluss, dass die Verletzung der sachlichen Zuständigkeit nicht unter diese Vorschrift fällt.
Der Betroffene kann die Unzuständigkeit mit dem Einspruch angreifen (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Nach Eintritt der Bestandskraft können Steuerbescheide und diesen gleichgestellte Bescheide, die von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurden, nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO geändert oder aufgehoben werden; sonstige begünstige Verwaltungsakte dürfen nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO zurückgenommen werden (vgl. Nr. 3 AEAO zu § 16). Zur Aufhebung bzw. Rücknahme eines unter Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit ergangenen Verwaltungsakts ist sowohl die Behörde, die diesen Verwaltungsakt erlassen hat, als auch die sachlich zuständige Behörde befugt.
Ein unter Verletzung der verbandsmäßigen Zuständigkeit zustande gekommener Verwaltungsakt, der gebietsgebundene Steuern betrifft, ist stets nichtig (z. B. ein von der Gemeinde A erlassener Grundsteuerbescheid für ein in der Gemeinde B belegenes Grundstück).
Ein Verstoß gegen die interne Zuständigkeit ist kein Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit und führt weder zur Nichtigkeit noch zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes.
Tz. 21 Örtliche Zuständigkeit
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Die örtliche Zuständigkeit regelt die Aufgabenverteilung mehrerer gleichgeordneter sachlich zuständiger Behörden unter regionalen Gesichtspunkten. Unter dem Zweckmäßigkeitsgesichtpunkt „Nähe des Finanzamts zum jeweiligen Steuersubjekt” knüpfen die Regelungen der §§ 18 ff. AO an verschiedene Merkmale an, wie z. B. Wohnsitz, Ort der Geschäftsleitung oder Lage eines Grundstücks. Voraussetzung für die örtliche Zuständigkeit ist die sachliche Zuständigkeit (§ 16 AO); nur die sachlich zuständige Behörde kann auch örtlich zuständig sein. Durch die räumliche Nähe von Steuerfall und Finanzbehörde soll eine möglichst sachnahe Entscheidung gewährleistet werden. Daneben kommt den Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Steuerberechtigung nach Art. 107 Abs. 1 GG zu. Danach steht das örtliche Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteile am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer den einzelnen Ländern zu. Auch die Zuständigkeit der Gerichte im finanzgerichtlichen Verfahren knüpft in einzelnen Fällen an die Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit an (§ 38 FGO).
Auf den ersten Blick scheint die Vorschrift nur Selbstverständliches zu regeln. „Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach den §§ 18–19 AO. Die Regelungen sind folglich nur subsidiär. Der Gesetzgeber hat die örtliche Zuständigkeit nur insoweit in der AO geregelt, als die Regelungen mehrere oder besonders wichtige Steuern betreffen (vgl. BT-Drucks. VI/1982 S. 106). Neben den Vorschriften im Dritten Abschnitt des Ersten Teils der AO bestehen Sonderregelungen z. B. für das steuerliche Straf- und Bußgeldverfahren in den §§ 388–391 AO (s. auch Nr. 1 AEAO zu § 17). Aber auch in den Einzelsteuergesetzen finden sich Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit (z. B. § 41a Abs. 1, § 42c Abs. 1 EStG für die Zuständigkeit im Lohnsteuer-Abzugsverfahren).
b) Anwendungsbereich
Die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit betreffen das gesamte Besteuerungsverfahren. Sie gelten auch für beschränkt Steuerpflichtige. Da sich in diesen Fällen bei der Anwendung der Vorschriften allerdings praktische Schwierigkeiten ergeben können, obliegt dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) gem. § 5 Abs. 1 Nr. 7 FVG die Bestimmung des örtlich zuständigen Finanzamtes in Zweifelsfällen und wenn sich mehrere Finanzämter für örtlich zuständig oder unzuständig halten (wegen Einzelheiten s. Tz. 33).
c) Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
Zeitpunkt für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der maßgeblichen Amtshandlung, z. B. bei Erlass eines Verwaltungsakts. Die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum oder bei Steuerentstehung sind hingegen nicht maßgebend (, BStBl 1988 II S. 230). Eine Ausnahme hiervon bilden z. B. die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO, für die Verhältnisse zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums entscheidend sind, und die Erbschaftsteuer, bei der an die Verhältnisse bei Entstehung der Steuer angeknüpft wird. Ändern sich die für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgebenden Umstände, tritt ein Wechsel der Zuständigkeit erst ein, wenn eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt (s. Erläuterungen zu § 26 AO).
d) Verletzung der örtlichen Zuständigkeit
Ein Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit führt nicht zur Nichtigkeit des erlassenen Verwaltungsakts, sondern (nur) zu dessen Rechtswidrigkeit (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 AO). Nach § 127 AO führt eine Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können, d. h. bei gesetzesgebundenen Entscheidungen. § 127 AO gilt grds. nicht für Ermessensentscheidungen, da nicht angenommen werden kann, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Eine von einem örtlich unzuständigen Finanzamt erlassene Prüfungsanordnung ist daher i. d. R. als rechtswidrig aufzuheben. § 127 AO gilt nach h. M. auch für Schätzungen, weil die Schätzung die Ermittlung des Sachverhalts betrifft und nicht die Ausübung von Ermessen darstellt. Fehlerhafte Verwaltungsakte können nach §§ 130, 172 ff. AO aufgehoben werden. Vgl. auch Tz. 147.
Tz. 22 Gesonderte Feststellungen
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit in den Fällen der gesonderten Feststellung nach § 180 AO, einschließlich der nach der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO ergehenden Feststellungen. Unter § 180 AO fallen auch die besonderen gesonderten Feststellungen nach § 179 Abs. 2 Satz 3 AO in den Fällen der mittelbaren Beteiligung (Unterbeteiligung), da die einzelnen Feststellungen Feststellungen i. S. des §180 AO sind. Wird von der gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 3 AO abgesehen (z. B. Fälle geringerer Bedeutung), verbleibt es bei der für die Einzelsteuern getroffenen Zuständigkeitsregelung. Für die zahlreichen in den Einzelsteuergesetzen geregelten Fälle der gesonderten Feststellung (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 179) findet die Vorschrift grds. keine Anwendung. Hier liegt die Zuständigkeit regelmäßig bei dem die jeweilige Steuer verwaltenden Finanzamt. Die Regelung des § 18 AO gilt für das gesamte Feststellungsverfahren, so auch für Außenprüfungen, die den Gegenstand der gesonderten Feststellung betreffen (vgl. , BStBl 1989 II S. 483).
Die Zuständigkeitsvorschriften des § 18 Abs. 1 Nr. 1–3 AO gelten für die Feststellung von Einheitswerten und die Feststellung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit bzw. freiberuflicher Tätigkeit. Bei den Einkünften gilt dies sowohl in Fällen der Beteiligung mehrerer Personen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO als auch in den Fällen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO, in denen der Betriebsort, der Ort der Geschäftsleitung bzw. der Tätigkeitigkeitsort und der Wohnsitz auseinanderfallen. Wegen der gesonderten Feststellung bei Zuständigkeit mehrerer Finanzämter in einer Gemeinde vgl. Nr. 3 AEAO zu § 19.
b) Lagefinanzamt
Das Lagefinanzamt ist zuständig für die Einheitsbewertung (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 AO) von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, (privaten) Grundstücken und Betriebsgrundstücken, sowie für die gesonderte und ggf. auch einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 AO). Die Feststellung des Einheitswerts von Mineralgewinnungsrechten erfolgte bis zum Feststellungszeitraum 1992; insofern kommt der Vorschrift heute keine praktische Bedeutung mehr zu.
Die Zuständigkeit richtet sich nach der Lage des jeweiligen Grundbesitzes, bei Erstreckung des Grundbesitzes auf die Bezirke mehrerer Finanzämter nach der Lage des wertvollsten Teils des Grundbesitzes. Zur Ermittlung des wertvollsten Teils ist auf die Einheitsbewertung abzustellen, d. h. der Teil ist am wertvollsten, auf den der größte Teil am Einheitswert entfällt.
c) Betriebsfinanzamt
Das Betriebsfinanzamt ist zuständig für die gesonderten Feststellungen im Zusammenhang mit gewerblichen Betrieben. Die Vorschrift erfasst insbesondere die gesonderte und ggf. auch einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO, einschließlich der Fälle der besonderen gesonderten Feststellung bei Unterbeteiligungen nach § 179 Abs. 2 Satz 3 AO, sowie die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO. Das Betriebsfinanzamt ist aber auch für die Feststellungen bei den sog. Labor- oder Maschinengemeinschaften nach § 180 Abs. 2 i. V. mit § 2 Abs. 1 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO zuständig. Dies gilt unabhängig von der Einkunftsart, da § 2 Abs. 1 Satz 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO die Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen zum gewerblichen Betrieb erklärt.
d) Tätigkeitsfinanzamt
Das sog. Berufs- oder Tätigkeitsfinanzamt ist allgemein für die gesonderten Feststellungen bei selbständiger Arbeit zuständig. Hierzu zählen die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO, die gesonderte Feststellung der freiberuflichen Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO als besondere Form der selbständigen Arbeit sowie die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens nach § 180 Abs. 1 Satz 1 AO.
Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Bezirk, von dem die Berufstätigkeit vorwiegend ausgeübt wird. Regelmäßig wird das Finanzamt zuständig sein, in dessen Bezirk sich die Praxis bzw. das Büro des selbständig Tätigen befindet. Ist das Tätigkeitsfinanzamt zugleich das Wohnsitzfinanzamt (s. Tz. 23), ist eine gesonderte Feststellung entbehrlich; hier gilt die allgemeine Zuständigkeitsregelung des § 19 AO.
Übt ein Steuerpflichtiger seine selbständige Tätigkeit in mehreren Gemeinden aus, ist für die dadurch erzielten Einkünfte nur eine gesonderte Feststellung durchzuführen. Die Regelung der Zuständigkeit danach, von welchem Finanzamtsbezirk aus die Berufstätigkeit „vorwiegend” ausgeübt wird, soll gewährleisten, dass das Finanzamt, in dessen Bezirk der Schwerpunkt der Berufstätigkeit liegt, eine umfassende Zuständigkeit für diese Tätigkeit im ganzen erhält. Die Begründung der Zuständigkeit nur eines Finanzamts verhindert, dass es zu nicht aufeinander abgestimmten und damit sich ggf. widersprechenden Teilfeststellungen kommt (vgl. noch zur alten Rechtslage , BStBl 1999 II S. 691).
e) Verwaltungsfinanzamt
Das sog. Verwaltungsfinanzamt ist zuständig für die gesonderten und einheitlichen Feststellungen bei Beteiligung mehrerer Personen (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO) an anderen Einkünften als den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit. Die Vorschrift erfasst die gesonderten und einheitlichen Feststellungen von Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) sowie sonstigen Einkünften (§ 22 EStG).
Zuständig ist in diesen Fällen das Finanzamt, von dessen Bezirk die Verwaltung der jeweiligen Einkünfte ausgeht, oder wenn kein inländischer Verwaltungsort feststellbar ist, das Finanzamt, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil des Vermögens befindet, aus dem die gemeinsamen Einkünfte fließen (z. B. bei mehreren Mietgrundstücken das mit dem höchsten Einheitswert). Aus Vereinfachungsgründen kann das Finanzamt bei der gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus nur einem Grundstück nach Nr. 4 AEAO zu § 18 davon ausgehen, dass die Verwaltung dieser Einkünfte von dem Ort ausgeht, in dem das Grundstück liegt, es sei denn, die Steuerpflichtigen legen etwas anderes dar.
§ 18 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO regelt eine entsprechende Zuständigkeit für die Durchführung von Feststellungen nach der V zu § 180 Abs. 2 AO (z. B. bei Bauherrengemeinschaften). Jedoch enthält die Verordnung selbständige Regelungen der örtlichen Zuständigkeit, die der Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 4 AO als Spezialregelungen vorgehen. So obliegt z. B. die örtliche Zuständigkeit für die Feststellungen der sog. Labor- oder Maschinengemeinschaften (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der V zu § 180 Abs. 2 AO) dem Betriebsfinanzamt (§ 2 Abs. 1 V zu § 180 Abs. 2 AO i. V. mit § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO).
Die Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO ist für Feststellungszeitpunkte ab infolge der Aufhebung der §§ 114–118 BewG gegenstandslos.
d) Auffangzuständigkeit
§ 18 Abs. 2 AO regelt die Fälle der gesonderten und einheitlichen Feststellung, für die sich eine örtliche Zuständigkeit nach § 18 Abs. 1 AO nicht bestimmen lässt. Zuständig ist jedes Finanzamt, das nach den §§ 19 bzw. 20 AO für einen der am Feststellungsgegenstand beteiligten Steuerpflichtigen örtlich zuständig ist. Infolgedessen wären regelmäßig mehrere Finanzämter für eine einheitlich zu treffende gesonderte Feststellung zuständig. Die hierdurch eintretende Zuständigkeit mehrerer Finanzämter wird durch § 25 AO grds. zugunsten des Finanzamts gelöst, das zuerst mit der Feststellung befasst war. Dies gilt nicht, wenn sich die zuständigen Finanzbehörden auf eine andere zuständige Finanzbehörde einigen oder wenn die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde bestimmt, dass eine andere örtlich zuständige Finanzbehörde zu entscheiden hat (s. im Einzelnen Tz. 30).
§ 18 Abs. 2 Satz 1 AO hat nach Nr. 6 AEAO zu § 18 insbesondere Bedeutung für die gesonderte Feststellung von ausländischen Einkünften, an denen mehrere im Inland steuerpflichtige Personen beteiligt sind, so z. B. bei ausländischen Abschreibungsgesellschaften, bei denen kein Anknüpfungsmerkmal nach § 18 Abs. 1 AO vorliegt. Zur örtlichen Zuständigkeit für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften ausländischer Personengesellschaften, an denen inländische Gesellschafter beteiligt sind vgl. BStBl 1989 - S 0120 I S. 470; geändert durch BStBl 2001 - S 0121 I S. 40.
Die Regelung des § 18 Abs. 2 Satz 2 AO hat lediglich klarstellende Wirkung, da die örtliche Zuständigkeit stets die sachliche Zuständigkeit voraussetzt.
Tz. 23 Steuern vom Einkommen und Vermögen natürlicher Personen
a) Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift
Die Vorschrift regelt – vorbehaltlich anderer Bestimmungen – die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen. Nach Wegfall der Vermögensteuer ab dem Veranlagungszeitraum 1997 hat die Regelung insoweit nur noch Bedeutung für vergangene Zeiträume. In Fällen, in denen die Festsetzung der Einkommensteuer von einer gesonderten Feststellung der Einkünfte oder die Festsetzung der Vermögensteuer von einer Einheitswertfeststellung abhängt, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit für diese Feststellungen nach § 18 AO. Für den Steuerabzug bei Bauleistungen nach § 48 EStG und die damit in Zusammenhang stehende Besteuerung ausländischer Bauunternehmer und Arbeitnehmer-Verleiher sowie ausländischer Arbeitnehmer, die von einem ausländischen Bauunternehmer beschäftigt werden, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 20a AO (im Einzelnen s. Tz. 25). Für die vom Arbeitgeber zu erfüllenden Pflichten im Zusammenhang mit der Lohnsteuer als besonderer Erhebungsform der Einkommensteuer gelten grds. die Sonderregelungen des EStG (§§ 39 ff. EStG).
b) Anknüpfung an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt
Für natürliche Personen, die ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, d. h. für unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 1 VStG, ist für die Besteuerung nach dem Einkommen und Vermögen das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Wohnsitz (§ 8 AO) oder hilfsweise der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) liegt (Wohnsitzfinanzamt). Das Wohnsitzfinanzamt ist nicht nur für die Veranlagungszeiträume zuständig, in denen der Steuerpflichtige im Bezirk dieses Finanzamts seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da jeweils auf den Zeitpunkt der Veranlagung und nicht auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum abzustellen ist, erstreckt sich die Zuständigkeit auch auf frühere Veranlagungszeiträume, in denen aufgrund eines früheren Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts ein anderes Finanzamt zuständig war. Das Wohnsitzfinanzamt ist auch für die Veranlagungszeiträume zuständig, in denen der Steuerpflichtige zuvor in einem anderen Bundesland wohnte (, BStBl 1971 S. 151).
Hat ein lediger Steuerpflichtiger im Inland mehrere Wohnsitze, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält. Dabei ist auf die körperliche Anwesenheit an den einzelnen Wohnsitzen im Inland abzustellen (, BStBl 1978 II S. 328). Eine Konkurrenzsituation hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit im Inland liegt hingegen nicht vor, wenn sich bei mehreren Wohnsitzen nur einer im Inland und der andere/die anderen im Ausland befinden. Bei der Versetzung vom Inland ins Ausland besteht eine widerlegbare Vermutung, dass der inländische Wohnsitz beibehalten worden ist, wenn der Steuerpflichtige eine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, dass sie jederzeit als Bleibe dienen kann (, BStBl 1996 II S. 2).
Ein Ehegatte hat seinen Wohnsitz regelmäßig dort, wo sich seine Familie befindet (vgl. , BStBl 1985 II S. 331, m. w. N.). Bei verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Steuerpflichtigen ist bei mehrfachem Wohnsitz im Inland das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich die Familienwohnung befindet. Familienwohnung ist eine Wohnung, die von der Familie zum Mittelpunkt ihrer persönlichen Lebensführung auserkoren ist. Bei der Bestimmung des Familienwohnsitzes ist auch der vorwiegende Aufenthalt der Kinder mit einzubeziehen (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 19). Die Familienwohnung bildet objektiv gesehen den Lebensmittelpunkt jedes einzelnen Familienmitglieds, auch wenn sich dieses dort nicht vorwiegend aufhält. Bei mehreren Familienwohnungen im Inland ist darauf abzustellen, wo sich die Familie vorwiegend aufhält. Wenn ein verheirateter Steuerpflichtiger die getrennte Veranlagung beantragt, ist für jeden Ehegatten das für ihn nach § 19 AO zuständige Finanzamt für die Durchführung der getrennten Veranlagung zuständig; bei inzwischen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten erstreckt sich somit die örtliche Zuständigkeit des Familien-Wohnsitzfinanzamtes sowohl auf die Zusammenveranlagung als auch auf die getrennte Veranlagung.
Auf den Familienwohnsitz ist hingegen nicht abzustellen in Fällen der Zusammenveranlagung inzwischen geschiedener oder dauernd getrennt lebender Ehegatten. Hier richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die Einkommensteuer nach dem Wohnsitz des jeweiligen Ehegatten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO). Trotz der Zusammenveranlagung bleibt jeder Ehegatte für sich „Steuerpflichtiger” nach § 19 AO. Wohnen die Ehegatten in den Bezirken verschiedener Finanzämter, liegt damit eine mehrfache örtliche Zuständigkeit nach § 25 AO vor. Zuständig ist danach das Finanzamt, das zuerst mit der Sache befasst war. Behält ein Ehegatte den früheren Wohnsitz bei oder zieht nur innerhalb des Bezirks des bisher zuständigen Finanzamts um, bleibt dieses bisherige als das zuerst mit der Sache befasste Finanzamt auch für den Erlass von Erst- und Änderungsbescheiden für die Zeiträume, in denen noch eine Zusammenveranlagung in Betracht kommt, zuständig. Hat jedoch ein Ehegatte im Veranlagungszeitraum keine oder nur geringe eigene Einkünfte erzielt, so dass künftig keine (Einzel-)Veranlagung mehr durchzuführen sein dürfte, oder ist der andere Ehegatte auch zur Umsatzsteuer, Gewerbesteuer usw. zu veranlagen, kann es sich anbieten, dass das Finanzamt des anderen Ehegatten die Zuständigkeit übernimmt. Eine Zustimmung der Steuerpflichtigen ist hierzu nicht erforderlich (§ 25 Satz 1 AO), weil es sich nicht um eine Zuständigkeitsvereinbarung i. S. des § 27 AO handelt (AEAO zu § 25 AO). Verlegen nach der Trennung bzw. Scheidung beide Ehegatten ihren Wohnsitz in andere Finanzamtsbezirke, ist für Veranlagungszeiträume vor dem Jahr der Trennung, soweit in den betreffenden Veranlagungszeiträumen die Voraussetzungen des § 26 EStG vorlagen und eine Zusammenveranlagung gewählt wurde bzw. wird, das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk der Ehegatte verzogen ist, bei dem das Schwergewicht der Besteuerungsgrundlagen (= Summe der Betriebseinnahmen/Einnahmen vor Abzug der Betriebsausgaben/Werbungskosten) liegt (vgl. ).
c) Anknüpfung an den Sitz der zahlenden öffentlichen Kasse
§ 19 Abs. 1 Satz 3 AO findet Anwendung für Auslandsbeschäftigte, die zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen, und deren zum Haushalt gehörenden Angehörigen. Örtlich zuständig ist jeweils das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die zahlende öffentliche Kasse befindet. Die Regelung erfasst die nach § 1 Abs. 2 EStG oder § 1 Abs. 2 VStG unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, ebenso wie die Personen, die auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG erfüllen, sowie die Fälle des § 1a Abs. 2 EStG.
d) Anknüpfung an Vermögensbelegenheit bzw. Ort der inländischen Tätigkeit
§ 19 Abs. 2 AO regelt die Fälle, für die sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 19 Abs. 1 AO bestimmen lässt. Bei natürlichen Personen ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, die auch nicht unter die Bestimmungen des § 19 Abs. 1 Satz 3 AO (Auslandsbedienstete) fallen, ist für die Besteuerung nach dem Einkommen und Vermögen grds. das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich ihr Inlandsvermögen bzw. bei Inlandsvermögen in mehreren Finanzamtsbezirken, der wertvollste Teil des Vermögens befindet. Diese Personen sind im Inland beschränkt einkommensteuer- und (bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1996) vermögensteuerpflichtig, soweit sie inländische Einkünfte i. S. von § 49 EStG beziehen bzw. Inlandsvermögen i. S. von § 121 BewG besitzen.
Wenn kein inländisches Vermögen vorliegt, richtet sich nach § 19 Abs. 2 Satz 2 die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung der inländischen Einkünfte danach, wo die inländische Tätigkeit vorwiegend ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist. Diese Regelung betrifft insbesondere Künstler und Berufssportler die im Inland auftreten, aber auch ausländische Lizenz- oder Urheberrechtsinhaber, die ihre Verwertungs- oder Nutzungsrechte im Inland vergeben.
e) Wohnsitzgemeinden mit mehreren Finanzämtern
aa) Zuständigkeit des Lage-, Betriebs- oder Tätigkeitsfinanzamt
Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit in Großstadtfällen. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AO ist das Lage-, Betriebs- oder Tätigkeitsfinanzamt auch für die persönlichen Steuern vom Einkommen und Vermögen zuständig, wenn ein Steuerpflichtiger in einer Gemeinde (Stadt) mit mehreren Finanzämtern im Bezirk eines anderen Finanzamts als dem Wohnsitzfinanzamt, einen land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb unterhält bzw. eine freiberufliche Tätigkeit ausübt. Die Regelung dient der Verfahrensvereinfachung. Durch die Verlagerung der Aufgaben des Wohnsitzfinanzamts auf das Lage-, Betriebs- oder Tätigkeitsfinanzamt wird eine gesonderte Feststellung der Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO entbehrlich.
Der Steuerpflichtige wohnt im Bezirk des Finanzamts Berlin Friedrichshain/Prenzlauer Berg. Er betreibt ein Architekturbüro im Bezirk des Finanzamts Berlin Mitte-Kreuzberg.
Nach § 19 Abs. 3 AO ist das Tätigkeitsfinanzamt Berlin Mitte-Kreuzberg auch für die Einkommensteuerveranlagung zuständig. Eine gesonderte Feststellung der Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit findet nicht statt.
Die Vorschrift ist allerdings nicht in jeder Hinsicht präzise gefasst. In Grenz- und Zweifelsfällen ist deshalb der Vereinfachungszweck der Vorschrift zu berücksichtigen (vgl. auch Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, Rz. 9 zu § 19, AO). Wenn der Steuerpflichtige innerhalb der Wohnsitzgemeinde, aber außerhalb des Bezirks seines Wohnsitzfinanzamts in den Bezirken mehrerer Finanzämter Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und/oder freiberuflicher Tätigkeit erzielt und daher nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AO mehrere Finanzämter für die Einkommensteuerveranlagung zuständig sind, bestimmt sich die Zuständigkeit nach § 25 AO. Regelmäßig ist damit das Finanzamt der ersten Befassung zuständig (vgl. im Einzelnen Tz. 30). Die übrigen Finanzämter haben gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vorzunehmen.
bb) Zuständigkeit bei Beteiligungseinkünften
Handelt es sich bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder freiberuflicher Tätigkeit um Einkünfte aus einer Beteiligung, geht die Zuständigkeit für die Einkommen- und Vermögensteuer nur dann auf das Lage-, Betriebs- oder Tätigkeitsfinanzamt über, wenn neben diesen keine weiteren Einkünfte aus den genannten Einkunftsarten existieren.
cc) Zuständigkeit bei Zusammenveranlagung
Nach § 19 Abs. 4 AO werden bei Anwendung des Abs. 3 der Vorschrift die Einkünfte der Steuerpflichtigen, die zusammen zu veranlagen sind oder zusammen veranlagt werden können (§ 26 EStG), so behandelt, als seien sie von einem Steuerpflichtigen bezogen worden. Dabei ist unerheblich, ob die Ehegatten die Zusammenveranlagung tatsächlich wählen. Durch die Vorschrift werden die ggf. mit einer wechselnden Ausübung des Veranlagungswahlrechts verbundenen Zuständigkeitswechsel vermieden.
dd) Verordnungsermächtigung
§ 19 Abs. 5 AO gestattet es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, durch Rechtsverordnung der Landesregierung zu bestimmen, dass als Wohnsitzgemeinde i. S. des § 19 Abs. 3 AO das Gebiet mehrerer Gemeinden gilt (z. B. in Ballungszentren).
ee) Zuständigkeit bei Auslandsrentnern
Durch § 19 Abs. 6 AO wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung die Zuständigkeit für beschränkt steuerpflichtige Personen bei einer Finanzbehörde zu zentralisieren, sofern diese Einkünfte i. S. von § 49 Abs. 1 Nr. 7 und 10 EStG beziehen, d. h. Leibrenten oder andere Leistungen, die von den gesetzlichen Rentenversicherungsträgern oder anderen inländischen Versorgungseinrichtungen geleistet werden, sowie Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen i. S. des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG, soweit sie auf im Inland steuerfrei gestellten Beiträgen oder Zuwendungen beruhen.
Da die Regelungen der AO über die örtliche Zuständigkeit keine sachgerechten Lösungen für die Fälle bieten, in denen im Ausland ansässige Rentner außer der Rente über keine weiteren beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte (und damit über keine Anknüpfungspunkte im Inland) verfügen, war die Schaffung dieser besonderen Zuständigkeitsregelung erforderlich. Die Vornahme der Veranlagung durch ein zentral zuständiges Finanzamt ist dabei auch in denjenigen Fällen sachgerecht, in denen ein nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt steuerpflichtiger Rentner aufgrund eines Antrags nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln ist (§ 19 Abs. 6 Satz 2 AO).
Durch die auf der Verordnungsermächtigung des § 19 Abs. 6 AO beruhende Einkommensteuer-Zuständigkeitsverordnung – EStZustV – liegt die örtliche Zuständigkeit zentral beim Finanzamt Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zentralzuständigkeit nach der EStZustV umfasst allerdings auch die Fälle, in denen ein Anknüpfungspunkt im Inland besteht (z. B. inländisches Vermietungsobjekt), d. h. die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit anhand der bestehenden Zuständigkeitsvorschriften auch bisher schon problemlos möglich war. Um hier die ggf. erforderliche Sachnähe zu gewährleisten und unnötige Zuständigkeitswechsel zu vermeiden, dürfte sich für die Praxis die Herbeiführung von Zuständigkeitsvereinbarungen nach § 27 AO anbieten.
Die Verordnung ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 und letztmals für den Veranlagungszeitraum 2013 anzuwenden.
Tz. 24 Steuern vom Einkommen und Vermögen der Körperschaften, Personenvereinigungen, Vermögensmassen
a) Inhalt der Vorschrift
Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit für Steuern vom Einkommen und Vermögen bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Dies betrifft alle nach § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt und nach § 2 KStG beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (bis 1996 auch § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG). Wobei die örtliche Zuständigkeit für unbeschränkt Steuerpflichtige in § 20 Abs. 1 und 2 AO und für beschränkt Steuerpflichtige in § 20 Abs. 3 und 4 AO geregelt wird.
Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich grds.
nach dem Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO),
hilfsweise nach dem Sitz (§ 11 AO),
hilfsweise nach der Lage des wertvollsten Teils des Vermögens,
und schließlich nach dem Ort, an dem die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist.
Die Regelung des § 20 AO orientiert sich damit wesentlich an den Anknüpfungspunkten des § 19 Abs. 1 und 2 AO.
b) Anknüpfung an die Geschäftsleitung
Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Die Geschäftsleitung einer GmbH befindet sich im Allgemeinen an dem Ort, wo sich das Büro ihres Geschäftsführers, notfalls dessen Wohnsitz befindet (, BStBl 1991 II S. 554).
Organgesellschaften haben grds. einen „eigenen” Ort ihrer Geschäftsleitung, der mit dem Ort der Geschäftsleitung des Organträgers zusammenfallen kann, aber nicht zusammenfallen muss (, BStBl 1995 II S. 175).
c) Anknüpfung an den Sitz
Fehlt es an einer Geschäftsleitung im Inland oder lässt sich der Ort der Geschäftsleitung nicht feststellen, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz des Steuerpflichtigen. Bei mehreren Hauptsitzen im Inland greift § 25 AO.
d) Anknüpfung an die Vermögensbelegenheit
Bei beschränkter Steuerpflicht, also bei Fehlen einer Geschäftsleitung oder eines Sitzes im Inland ist das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich das Vermögen des Steuerpflichtigen bzw. dessen wertvollster Teil im Inland befindet.
e) Anknüpfung an den Ort der inländischen Tätigkeit
Fehlt es auch an inländischem Vermögen, orientiert sich die örtliche Zuständigkeit am Ort der vorwiegenden Ausübung oder Verwertung der (inländischen) Tätigkeit des Steuerpflichtigen.
Tz. 25 Steuern vom Einkommen bei Bauleistungen
§ 20a AO normiert bundesweite Zentralzuständigkeiten bei
der Besteuerung ausländischer Bauunternehmer (vgl. § 48 Abs.1 Satz 3 EStG),
der Verwaltung der Lohnsteuer bei grenzüberschreitender Personalüberlassung im Baugewerbe und
der Besteuerung im Inland eingesetzter Arbeitnehmer, die bei einem ausländischen Bauunternehmen oder von einem ausländischen Verleihunternehmen beschäftigt sind.
Abweichend von §§ 19 und 20 AO erfolgt die Besteuerung durch das Finanzamt, das nach § 21 Abs. 1 AO für die Umsatzbesteuerung zuständig ist. Durch diesen Verweis ist insoweit eine einheitliche Zuständigkeit für die Ertrags- und Umsatzbesteuerung gegeben.
Für die Besteuerung der Arbeitnehmer wurde die Zuständigkeit durch Rechtsverordnung konzentriert. Die Arbeitnehmer-Zuständigkeitsverordnung-Bau (ArbZustBauV) verweist auf die Zuständigkeiten nach der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung (UStZustV), so dass auch für diese Fälle das Umsatzsteuerfinanzamt nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AO zuständig ist. Letztlich wird dadurch bewirkt, dass Bauunternehmen einer Nationalität und ihre Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, bundesweit zentral bei einem Finanzamt erfasst werden.
Die Zentralzuständigkeit dient der effektiven Abwicklung des Steuerabzugsverfahrens nach §§ 48 ff. EStG und der Vermeidung von Defiziten bei der Besteuerung ausländischer Unternehmen des Baugewerbes. Sie kommt bereits dann zur Anwendung, wenn nur ein ausländisches Anknüpfungsmerkmal (Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung) vorliegt. Damit wird vermieden, dass sich ein ausländisches Unternehmen durch Begründung auch nur eines beliebigen Anknüpfungsmerkmals im Inland der zentralen Zuständigkeit entziehen kann.
Für Fälle in denen eine Zentralzuständigkeit nicht angezeigt erscheint, z. B. wenn das Unternehmen nur gelegentlich Bauleistungen i. S. von § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG erbringt, ist gem. Nr. 2 AEAO zu § 20a zur Vermeidung eines erschwerten Verwaltungsvollzugs im Regelfall eine von der zentralen Zuständigkeit abweichende Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO mit dem ortsnahen Finanzamt herbeizuführen. Dies gilt auch, wenn eine zentrale Zuständigkeit weder für den Steuerpflichtigen noch für die Finanzbehörden zweckmäßig ist. Diese „unspezifische” Regelung soll dafür sorgen, dass die Finanzbehörden – nicht zuletzt im Interesse des Steuerpflichtigen – eine sachgerechte Lösung im Einzelfall anstreben.
Tz. 26 Umsatzsteuer
Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit für die Umsatzsteuer mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer. Für diese bestimmt sich die Zuständigkeit nach § 23 AO (s. Tz. 28).
a) Unternehmer ohne Auslandsbezug
Zuständig ist das Finanzamt, von des Bezirk aus der Unternehmer im Inland (nicht identisch mit dem umsatzsteuerrechtlichen Inlandsbegriff nach § 1 Abs. 2 UStG) sein Unternehmen ganz oder vorwiegend betreibt. Dies ist regelmäßig dort der Fall, wo der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit anbietet, wo er Aufträge entgegennimmt, ihre Ausführung vorbereitet und die Zahlungen geleistet werden. Hat ein Unternehmer mehrere Betriebe, ist das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Als Unternehmen ist umsatzsteuerrechtlich die gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG). Damit kommt zum Ausdruck, dass umsatzsteuerrechtlich mehrere Betriebe ein einheitliches Unternehmen des Unternehmers bilden und folglich ein Unternehmer nur ein Unternehmen haben kann (vgl. , BStBl 1971 II S. 518).
b) Unternehmen mit Auslandsbezug
Hat ein Unternehmer Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland, bestimmt sich die Zuständigkeit nach der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung (UStZustV). Dabei genügt bereits das Vorliegen nur eines der genannten ausländischen Anknüpfungspunkte, wie z. B. ein ausländischer Zweitwohnsitz oder der statutarische Sitz im Ausland („Limiteds”). In diesen Fällen ist die Zuständigkeit für die einzelnen Staaten bundesweit zentral bei einem Finanzamt angesiedelt. Dies gilt auch dann, wenn sich nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AO eine Zuständigkeit ergibt (vgl. AEAO zu § 21).
Die Zentralzuständigkeit nach § 21 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit der UStZustV ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen ein Unternehmen vom Ausland aus betrieben wird und der Unternehmer im Inland nicht einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtig ist. Sie ist aber auch zu beachten, wenn der Unternehmer im Inland auch zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer zu veranlagen ist (vgl AEAO zu § 21). Aufgrund der gesetzlichen Regelungen (§§ 20, 21 AO) kommt es hier regelmäßig zu einem Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für die Ertrags- und Umsatzbesteuerung (mit Ausnahme der Bauunternehmen, bei denen durch die Verweisung des § 20a AO auf § 21 Abs. 1 AO eine einheitliche Zuständigkeit gegeben ist).
Der Unternehmer betreibt in Cottbus (Ort der Geschäftsleitung) ein Unternehmen in der Rechtsform einer „Limited” (private company limited by shares).
Während sich die ertragsteuerliche Zuständigkeit nach dem Ort der Geschäftsleitung richtet und demnach beim Finanzamt Cottbus liegt, ist für die Umsatzbesteuerung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 1 Abs. 1 Nr. 7 UStZustV das Finanzamt Hannover-Nord zentral zuständig.
Insbesondere bei Unternehmen, die sich abgesehen vom formalen Anknüpfungspunkt im Ausland nicht von inländischen Unternehmen unterscheiden, erscheint die Notwendigkeit einer Zentralzuständigkeit nicht gegeben. Die Finanzverwaltung hat mit NWB VAAAC-18586 zu den Zentralzuständigkeiten nach §§ 20a und 21 AO und in diesem Zusammenhang insbesondere zur Herbeiführung von Zuständigkeitsvereinbarungen (§ 27 AO) Stellung genommen. Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland, die allein oder überwiegend im Inland unternehmerisch tätig werden und unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, werden als Beispiele angeführt, in denen ein Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeiten zu einem erschwerten Verwaltungsvollzug führen kann. In diesen Fällen ist regelmäßig eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO herbeizuführen, nach der das für die Ertragsbesteuerung zuständige ortsnahe Finanzamt auch für die Umsatzsteuer zuständig wird. Entsprechendes gilt bei Steuerpflichtigen, die ihr Unternehmen als Einzelunternehmer ausschließlich oder überwiegend im Inland betreiben und sowohl im Inland als auch im Ausland einen Wohnsitz haben (vgl. auch AEAO zu § 27). Zu weiteren Einzelheiten vgl. Kaluza/Baum, NWB F. 2 S. 9079.
c) Umsatzbesteuerung von Nichtunternehmern
§ 21 Abs. 2 AO regelt die örtliche Zuständigkeit für die Umsatzbesteuerung bei Nichtunternehmern. Natürliche Personen, Körperschaften und Vermögensmassen, die nicht Unternehmer i. S. von § 2 UStG sind, können in bestimmten Bereichen steuerbare und steuerpflichtige Umsätze bewirken oder zum Vorsteuerabzug berechtigt sein; z. B. können nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwerben, einen innergemeinschaftlichen Erwerb bewirken. Ferner wird ein Nichtunternehmer, der im Inland ein neues Fahrzeug liefert, das bei der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt, für diese Lieferung wie ein Unternehmer behandelt mit der Folge, dass ihm ein Vorsteuerabzug zusteht (§ 2a UStG). Anwendung findet die Regelung darüber hinaus in den Fällen des unberechtigtem gesonderten Umsatzsteuerausweises durch Nichtunternehmer (§ 14c Abs. 2 UStG). In diesen Fällen ist das für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständige Finanzamt (§§ 19, 20 AO) auch für die Umsatzsteuer zuständig.
Nach § 21 Abs. 2 zweiter Halbsatz AO ist bei Personenvereinigungen, für die eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO vorzunehmen ist, das nach § 18 AO zuständige Finanzamt auch für die Umsatzbesteuerung zuständig. Die Regelung gilt nur für Personengesellschaften/ -gemeinschaften, die nicht Unternehmer i. S. des § 2 UStG sind, aber dennoch Umsatzsteuer schulden oder eine Umsatzsteuer-Vergütung beanspruchen können.
§ 21 Abs. 2 zweiter Halbsatz AO gilt nicht für Gesamtobjekte – in diesen Fällen gilt allein § 2 Abs. 3 der V zu § 180 Abs. 2 AO. Ein Gesamtobjekt i. S. des § 180 Abs. 2 AO und der V zu § 180 Abs. 2 AO ist keine Personengesellschaft/ -gemeinschaft i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO, sondern eine zufällige „Verbindung” mehrerer Einzelpersonen, die zu einer bestimmten anderen Person gleichartige Rechtsbeziehungen unterhalten. Soweit eine Person, die an einem Gesamtobjekt beteiligt ist, auch insoweit unternehmerisch tätig wird, bestimmt sich die Zuständigkeit für die Umsatzsteuer dieser Person insgesamt nach § 21 Abs. 1 AO. Die Zuständigkeit für die gesonderte Feststellung der Vorsteuerbeträge aus der unternehmerischen „Beteiligung” an einem Gesamtobjekt (§ 180 Abs. 2 AO i. V. mit § 1 Abs. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO) richtet sich nicht nach § 21 Abs. 2 AO, sondern nach § 2 Abs. 3 der V zu § 180 Abs. 2 AO. Zuständig für die gesonderte Feststellung der Vorsteuerbeträge nach § 1 Abs. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO ist danach das Finanzamt, das für die Steuern vom Einkommen des Erklärungspflichtigen (das sind die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung genannten Personen, nicht die Personen, denen die Besteuerungsgrundlagen zuzurechnen sind) zuständig ist.
Tz. 27 Realsteuern
Die Vorschrift regelt die örtliche Zuständigkeit bei der Verwaltung der Grundsteuer und der Gewerbesteuer (Realsteuern nach § 3 Abs. 2 AO) soweit diese den Finanzämtern obliegt. Da die Festsetzung, Erhebung und Beitreibung dieser Steuern nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG zumeist den steuerberechtigten Gemeinden übertragen worden ist (eine Ausnahme bilden die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg), beschränken sich die Aufgaben der Finanzämter regelmäßig auf die Festsetzung, Zerlegung und Zuteilung von Steuermessbeträgen (§§ 184–190 AO).
Nach § 22 Abs. 1 AO ist für die Festsetzung und Zerlegung der Steuermessbeträge
bei der Grundsteuer das Lagefinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO) und
bei der Gewerbesteuer das Betriebsfinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO) zuständig. Die Zuständigkeit des Betriebsfinanzamtes erstreckt sich nach § 35b Abs. 2 Satz 1 GewStG auch auf die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes.
Eine Ausnahme gilt für ausländische Unternehmen, die Bauleistungen i. S. des § 48 EStG erbringen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 AO ist das zentrale Finanzamt zuständig, das gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit der UStZustV zuständig ist (vgl. Tz. 25).
§ 22 Abs. 2 Satz 1 AO bestimmt, dass, soweit die Festsetzung, Erhebung und Beitreibung der Realsteuern ausnahmsweise nicht nach Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG den Gemeinden übertragen ist, das Finanzamt örtlich zuständig ist, zu dessen Bezirk die hebeberechtigte Gemeinde gehört. Praktische Bedeutung hat die Vorschrift derzeit nur für Bremen, weil die anderen Stadtstaaten keine Gemeinden haben. Für Länder ohne Gemeinden (betrifft die Stadtstaaten Berlin und Hamburg) bestimmt sich die Zuständigkeit nach § 22 Abs. 3 AO. In diesen Fällen gilt § 22 Abs. 2 AO sinngemäß.
Tz. 28 Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern
§ 23 AO regelt die örtliche Zuständigkeit der Hauptzollämter für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern. Spezialgesetzliche Zuständigkeitsregelungen gehen den Bestimmungen des § 23 AO vor. In den Verbrauchsteuervorschriften finden sich zahlreiche Regelungen über die örtliche Zuständigkeit eines Hauptzollamts (z. B. § 4 Abs. 1 oder § 13 Abs. 1 MinöStV). Verbrauchsteuer i. S. der AO ist auch die Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 Abs. 1 UStG). Die Umsatzsteuer rechnet hingegen nicht zu den Verbrauchsteuern (vgl. , BStBl 1987 II S. 95).
Die Zuständigkeit richtet sich
nach dem Ort, an dem der Tatbestand verwirklicht wird (§ 23 Abs. 1 AO),
nach dem Ort, von dem aus das Unternehmen betrieben wird (§ 23 Abs. 2 AO) und
nach der Zuständigkeit für die Straftat oder Bußgeldsache (§ 23 Abs. 3 AO).
Die Regelungen schließen sich gegenseitig weder aus noch stehen sie in einem bestimmten Rangverhältnis zueinander, was dazu führen kann, dass § 23 AO zugleich die Zuständigkeit mehrerer Hauptzollämter begründet. In solchen Fällen ist nach § 25 AO grds. das Hauptzollamt zuständig, das zuerst mit der Sache befasst ist. Die Regelung des § 25 Satz 1 AO ermöglicht aber auch eine Einigung der zuständigen Finanzbehörden darüber, welche von ihnen die Besteuerung übernehmen soll.
Die Zuständigkeit nach § 23 Abs. 2 AO hat vorwiegend Bedeutung für die Durchführung von Außenprüfungen. Sie erfasst nur Steuerpflichtige, die ein Unternehmen betreiben. Da weder das Zoll- noch das Verbrauchsteuerrecht den Begriff des Unternehmens definiert, ist es sachgerecht, auf die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 UStG zurückzugreifen. Betrieben wird das Unternehmen regelmäßig am Sitz der Geschäftsleitung. Wird das Unternehmen von einem nicht zum Geltungsbereich der AO gehörenden Ort aus betrieben, ist nach der Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 2 AO das Hauptzollamt zuständig, in dessen Bezirk der Unternehmer seine Umsätze im Geltungsbereich der AO ganz oder vorwiegend bewirkt.
Die Vorschrift des § 23 Abs. 3 AO ermöglicht, dass das bei zentralisierter Straf- und Bußgeldsache befasste Hauptzollamt den einzelnen Fall zugleich auch in steuerlicher Hinsicht erledigen kann. Die Regelung setzt voraus, dass die Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern „im Zusammenhang” mit einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit geschuldet werden. Das ist nach allgemeiner Ansicht der Fall, wenn die Entstehung der Steuerschuld durch die Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ausgelöst worden ist.
Tz. 29 Ersatzzuständigkeit
§ 24 AO enthält eine subsidäre Regelung zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit eines Finanzamts für den Fall, dass sich diese nicht aus anderen Vorschriften ableiten lässt. In solchen Fällen ist die Finanzbehörde zuständig, in deren Bezirk objektiv ein Anlass für eine Amtshandlung besteht. § 24 AO ist eine Auffangvorschrift, mit deren Hilfe sich praktisch für jeden Fall eine örtliche Zuständigkeit bestimmen lässt. Von der Ersatzzuständigkeit sind die Fälle der Mehrfachzuständigkeit (§ 25 AO) und des Zuständigkeitsstreits (§ 28 AO) zu unterscheiden. In Fällen fehlender Zuständigkeit bei beschränkt Steuerpflichtigen geht § 24 AO der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 7 FVG vor.
Die Regelung betrifft u. a. die Zuständigkeit für Maßnahmen zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO) und für Verspätungszuschläge (§ 152 AO). Sie findet ferner Anwendung für den Erlass von Haftungsbescheiden (§§ 191, 192 AO), wegen des Sachzusammenhangs ist mithin i. d. R. das Finanzamt des Steuerpflichtigen gleichzeitig für die Heranziehung des Haftenden örtlich zuständig (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 24).
Neben den Fällen, in denen weder die AO noch die Einzelsteuergesetze Zuständigkeitsregelung getroffen haben, erfasst § 24 AO insbesondere auch die Fälle, in denen sich bei der Anwendung der örtlichen Zuständigkeitsregelungen der AO bzw. der Einzelsteuergesetze eine Zuständigkeit aus tatsächlichen Gründen nicht bestimmen lässt.
Die Vorschrift begründet eine reguläre Zuständigkeit für das gesamte Verwaltungsverfahren. Kann die örtliche Zuständigkeit nicht sofort einwandfrei geklärt werden, ist bei unaufschiebbaren Maßnahmen die Zuständigkeit auf § 29 AO zu stützen (Nr. 2 AEAO zu § 24).
Tz. 30 Mehrfache örtliche Zuständigkeit
§ 25 AO entscheidet über die Kompetenzen, wenn sich bei der Anwendung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 17–24 AO) Mehrfachzuständigkeiten ergeben, d. h. mehrere Finanzbehörden an sich zuständig sind (in Abgrenzung zu Fällen des § 28 AO, in denen objektiv nur eine Finanzbehörde zuständig ist). Dies gilt auch für mögliche mehrfache Zuständigkeiten nach § 2 Abs. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO bei Vorhandensein mehrerer Erklärungspflichtiger (§ 3 der V zu § 180 Abs. 2 AO). Die Vorschrift regelt, wie auch schon § 24 AO, die volle Verwaltungszuständigkeit. In Fällen mehrfacher örtlicher Zuständigkeit bei beschränkt Steuerpflichtigen kommt ebenfalls § 25 AO zur Anwendung. Die Spezialvorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 7 FVG, wonach das Bundeszentralamt für Steuern bei nicht im Inland ansässigen Personen das für die Besteuerung örtlich zuständige Finanzamt bestimmt, kommt nur bei Streitigkeiten mehrerer Finanzämter und sonstigen Zuständigkeitszweifeln zur Anwendung.
Durch § 25 AO werden mehrere Möglichkeiten zur Lösung von Mehrfachzuständigkeiten angeboten. Grds. wird die Zuständigkeit für das Verfahren derjenigen Finanzbehörde zugewiesen, die zuerst mit der Sache befasst worden ist. Die Bestimmung der Zuständigkeit nach der ersten Befassung kann allerdings auch – aus Verwaltungssicht – zu völlig unzweckmäßigen Ergebnissen führen. Deswegen ist nach § 25 Satz 1 AO eine abweichende Einigung der zuständigen Finanzbehörden zulässig, eine andere als die zuerst mit der Sache befasste Finanzbehörde für zuständig zu bestimmen. Da die Finanzbehörde, auf die man sich einigt, bereits an sich örtlich zuständig ist, handelt es sich bei der abweichenden Einigung nach § 25 Satz 1 AO nicht um eine Zuständigkeitsvereinbarung i. S. von § 27 AO. Die Einigung bedarf somit nicht der Zustimmung des Steuerpflichtigen (vgl. auch AEAO zu § 25). Die Einigung ist kein Verwaltungsakt.
Eine vom Primat der ersten Befassung abweichende Entscheidung unter mehreren an sich zuständigen Finanzbehörden ist auch durch die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde möglich. Zuständige Aufsichtsbehörde ist
bei mehreren Finanzämtern innerhalb eines Oberfinanzdirektions-Bezirks die Oberfinanzdirektion bzw. die an ihrer Stelle eingerichtete Landesfinanzbehörde (§ 6 Abs. 2 Nr. 4a AO),
bei mehreren Finanzämtern in mehreren Oberfinanzdirektions-Bezirken eines Landes die oberste Landesfinanzbehörde,
bei mehreren Finanzämtern in verschiedenen Ländern, bei Steuern, die im Auftrag des Bundes verwaltet werden, das Bundesministerium der Finanzen (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Art. 85 Abs. 4 GG).
bei Hauptzollämtern die gemeinsame Bundesfinanzdirektion, ansonsten das Bundesministerium der Finanzen.
Wenn die beteiligten Finanzämter verschiedenen Bundesländern angehören und Steuern betroffen sind, die nicht im Auftrag des Bundes verwaltet werden, wie z. B. Erbschaftsteuer, Grunderwerbsteuer und Kraftfahrzeugsteuer, fehlt es an einer gemeinsamen Aufsichtsbehörde. In diesen Fällen treffen nach § 25 Satz 2 AO die jeweiligen Fachaufsichtsbehörden gemeinsam die Entscheidung über die Zuständigkeit. Die Entscheidungen der Fachaufsichtsbehörden ist ebenfalls lediglich ein innerdienstlicher Organisationsakt und kein Verwaltungsakt.
Besondere Bedeutung kommt der Regelung in Fällen der Trennung von Ehegatten zu, wenn diese für das Trennungsjahr die Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen und zumindest einer der Ehepartner seinen Wohnsitz in den Bezirk eines anderen Finanzamts verlegt. Da sich die örtliche Zuständigkeit für die Einkommensteuer hier nach dem Wohnsitz der jeweiligen Ehegatten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO) richtet, liegt eine mehrfache örtliche Zuständigkeit vor, wenn die Ehegatten in verschiedenen Finanzamtsbezirken wohnen (s. auch Tz. 23).
Tz. 31 Zuständigkeitswechsel
a) Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift
§ 26 AO trägt dem Umstand Rechnung, dass die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit nicht grds. an unveränderbare Ereignisse anknüpfen, wie z. B. die Lage eines Grundstücks (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO). Wenn sich Anknüpfungspunkte für die örtliche Zuständigkeit ändern (z. B. der Wohnsitz des Steuerpflichtigen), können Wechsel in der Zuständigkeit eintreten. Die Vorschrift betrifft alle Steuerarten; vorwiegende Bedeutung kommt ihr allerdings für die laufend veranlagten Steuern zu (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer). Zu Auswirkungen eines Zuständigkeitswechsels auf das Rechtsbehelfsverfahren s. , BStBl 1995 I S. 664.
b) Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels
Durch die bloße Änderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände (z. B. durch Wohnsitzwechsel in den Bezirk eines anderen Finanzamts), geht die örtliche Zuständigkeit noch nicht auf die neu zuständige Behörde über. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Finanzbehörden oft erst nach mehreren Monate von entsprechenden Änderungen erfahren.
Ändern sich die die Zuständigkeit begründenden Umstände, wechselt die Zuständigkeit in dem Zeitpunkt, in dem entweder die bisher zuständige Behörde oder die nunmehr zuständige Behörde von der Änderung positiv Kenntnis erlangt. Für einen Zuständigkeitswechsel ist nicht allein auf die Kenntnis der künftig zuständigen Finanzbehörde abzustellen. Die Zuständigkeit wechselt bereits, wenn die bisher zuständige Finanzbehörde entsprechende Kenntnis erlangt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen genügt für einen Zuständigkeitswechsel nicht. Die Vorschrift verlangt aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität überschaubare, eindeutige Verhältnisse, damit Unsicherheiten vermieden werden, die zu Kompetenzstreitigkeiten führen. Die die Zuständigkeit ändernden Umstände müssen daher aus der Sicht der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei feststehen (vgl. , BStBl 1989 II 9 S. 483). Der Steuerpflichtige kann sich auf den Zuständigkeitswechsel nicht berufen, solange keine der beiden beteiligten Finanzbehörden von den die Zuständigkeit verändernden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (Nr. 1 AEAO zu § 26).
c) Fortführung des Verfahrens
Aus Gründen der Verfahrensökonomie kann nach § 26 Satz 2 AO das bisher zuständige Finanzamt ein bereits begonnenes Verwaltungsverfahren trotz eines zwischenzeitlich eingetretenen Zuständigkeitswechsels fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen des Steuerpflichtigen der einfachen und zweckmäßigen Durchführung dient, z. B. weil das Verfahren bereits weit fortgeschritten ist und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzämtern kann sich stets nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung insgesamt (z. B. kann eine bereits begonnene Außenprüfung weitergeführt werden). Als Verwaltungsverfahren i. S. des § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das einzelne Besteuerungsverfahren anzusehen, das im Allgemeinen mit der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung oder der Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der Verwirklichung des Steueranspruchs endet, einschließlich eines etwaigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten.
Vereinbarungen nach § 26 Satz 2 AO können insbesondere zweckmäßig sein, wenn
der Steuerpflichtige die Fortführung des Verfahrens durch das bisher zuständige Finanzamt beantragt und dafür wichtige Gründe anführt,
die Bearbeitung eines Falls bereits kurz vor dem Abschluss steht oder
eine Außenprüfung stattgefunden hat und der Prüfungsbericht noch nicht ausgewertet ist.
Eine Vereinbarung nach § 26 Satz 2 AO bedarf nicht der Zustimmung des Steuerpflichtigen. Nach Nr. 2 AEAO zu § 26 soll er jedoch gehört und von der Fortführung des Verwaltungsverfahrens in Kenntnis gesetzt werden. Seine Interessen sind angemessen zu berücksichtigen.
Liegen die Voraussetzungen des § 26 Satz 2 AO nicht vor oder soll die Zuständigkeit insgesamt bei der bisher zuständigen – inzwischen aber unzuständig gewordenen – Finanzbehörde verbleiben, kann eine Fortführung des Verfahrens nur aufgrund einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO mit Zustimmung des Steuerpflichtigen erfolgen.
d) Zuständigkeitswechsel bei Insolvenz und Liquidation
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Beginn einer Liquidation ergeben sich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit grds. keine Besonderheiten. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Einleitung der Liquidation geht i. d. R. die Geschäftsleitung des Unternehmens auf den Insolvenzverwalter oder den Liquidator über. Trifft der Insolvenzverwalter oder der Liquidator die für das Unternehmen maßgeblichen Entscheidungen von einem Ort aus, der nicht im Bezirk der bisher zuständigen Finanzbehörde liegt, würde ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit eintreten.
Es ist jedoch nicht zweckmäßig, kurz vor Beendigung der Steuerpflicht ein anderes Finanzamt mit der Bearbeitung des Steuerfalls eines auslaufenden Unternehmens zu befassen. Zudem kann die durch den Zuständigkeitswechsel notwendig gewordene Aktenabgabe an das zuständig gewordene Finanzamt, deren Abwicklung sich nach allgemeiner Erfahrung häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht, Ursache dafür sein, dass wichtige Fristen und Termine (z. B. nach § 28 Abs. 1, § 194 Abs. 1 InsO) versäumt werden und dadurch Steuerausfälle eintreten.
Die Regelung schiebt einen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit hinaus. Der Zuständigkeitswechsel tritt danach solange nicht ein, wie über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde, ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
Tz. 32 Zuständigkeitsvereinbarung
a) Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift
§ 27 AO dient der Verwaltungsvereinfachung. Neben den Fällen des § 26 Satz 2 AO kann auch nach § 27 AO durch Vereinbarung zwischen den Finanzbehörden die Zuständigkeit einer an sich nicht zuständigen Finanzbehörde begründet werden. Dies kann insbesondere sinnvoll sein um, Zuständigkeiten bei einer Finanzbehörde zu konzentrieren. Voraussetzung hierfür ist die Zustimmung des Betroffenen. Die Vorschrift betrifft allein die örtliche Zuständigkeit und gilt für alle Steuern.
b) Zustimmung des Betroffenen
Eine Zuständigkeitsvereinbarung ist nur wirksam, wenn der Betroffene zustimmt. Das Zustimmungserfordernis ist eingefügt worden, um der Verfassungsbestimmung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu genügen, weil an die Zuständigkeit der Finanzbehörde die Zuständigkeit des Finanzgerichts anknüpft.
Eine bestimmte Form für die Zustimmung des Betroffenen ist nicht vorgeschrieben. Die Zustimmung ist jedoch bedingungsfeindlich und kann nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 27). Um es den Finanzbehörden zu ermöglichen, schnell sachgerechte Zuständigkeitsvereinbarungen herbeizuführen, gilt nach § 27 Satz 2–4 AO die Zustimmung des Betroffenen als erteilt, wenn dieser von einer der beteiligten Finanzbehörden unter Hinweis auf die Folgen seines Schweigens aufgefordert worden ist, der Vereinbarung zuzustimmen und er sich innerhalb der von der Finanzbehörde gesetzten Frist nicht geäußert hat.
Der Steuerpflichtige kann eine Zuständigkeitsvereinbarung nur anregen. Er hat keinen Anspruch auf die Herbeiführung einer Zuständigkeitsvereinbarung.
c) Anwendungsfälle
Zuständigkeitsvereinbarungen können für alle Steuern getroffen werden; für einmalige und laufend zu veranlagende Steuern. Ein Bedarf für eine Zuständigkeitsvereinbarung kann sich insbesondere dann ergeben, wenn Zentralzuständigkeiten (z. B. nach § 20a AO oder nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. mit der UStZustV) nicht erforderlich erscheinen und zu unnötig erschwertem Verwaltungsvollzug führen. Die Vorschrift kommt aber auch bei der Besteuerung von Amtsangehörigen zum Tragen.
Der AEAO zu § 27 enthält eine beispielhafte Aufzählung der Fälle, in denen regelmäßig das Herbeiführen einer Zuständigkeitsvereinbarung angezeigt ist. Danach ist eine Zuständigkeitsvereinbarung, nach der das für die Ertragsbesteuerung zuständige Finanzamt auch für die Umsatzsteuer zuständig wird, regelmäßig herbeizuführen z. B.
bei Steuerpflichtigen, die ihr Unternehmen als Einzelunternehmer ausschließlich oder überwiegend im Inland betreiben und sowohl im Inland als auch im Ausland einen Wohnsitz haben (z. B. ausländischer Gaststättenbetreiber oder Einzelhändler, der neben seinem inländischen Wohnsitz über einen (Zweit-)Wohnsitz in seinem Heimatland verfügt);
bei Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland, die allein oder überwiegend im Inland unternehmerisch tätig sind ( z. B. im Inland ansässige Limited, die lediglich ihren statutarischen Sitz in Großbritannien hat).
Bei beiden Fallgruppen kommt es in Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zum Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeiten für die Ertrags- und Umsatzbesteuerung. Da sich die betroffenen Unternehmen – abgesehen vom formalen Anknüpfungspunkt im Ausland – meist nicht von inländischen Unternehmen unterscheiden, ist die Herbeiführung einer Zuständigkeitsvereinbarung zur Vermeidung eines erschwerten Verwaltungsvollzugs in diesen Fällen regelmäßig sachgerecht.
In Bauleistungsfällen ist nach Nr. 2 AEAO zu § 20a regelmäßig eine von der zentralen Zuständigkeit nach § 20a Abs. 1 und 2, § 21 Abs. 1 Satz 2 und § 22 Abs. 1 Satz 2 AO abweichende Zuständigkeitsvereinbarung mit dem ortsnahen Finanzamt herbeizuführen, wenn
das Unternehmen nur gelegentlich Bauleistungen i. S. von § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG erbringt,
das Unternehmen Bauleistungen i. S. von § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG erbringt, die im Verhältnis zum Gesamtumsatz nur von untergeordneter Bedeutung sind, oder
eine zentrale Zuständigkeit für den Steuerpflichtigen und für die Finanzbehörden unzweckmäßig ist.
§ 27 AO ist auch im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 365 Abs. 1 AO) und bei Außenprüfungen anwendbar. Die Begrenzung der Zuständigkeitsvereinbarung auf einzelne Verfahrensabschnitte ist zulässig.
Die gesetzlichen Zuständigkeiten für gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO können nicht durch eine Zuständigkeitsvereinbarung abgeändert werden, da das Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für die gesonderte Gewinnfeststellung (§ 18 AO) und für die Steuern vom Einkommen (§ 19 AO) tatbestandsmäßige Voraussetzung für den Erlass eines gesonderten Gewinnfeststellungsbescheids ist (vgl. , BStBl 1987 II S. 195). Es kann also keine Vereinbarung getroffen werden, die bewirkt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO entfallen.
Tz. 33 Zuständigkeitsstreit
§ 28 AO regelt positive und negative Kompetenzkonflikte mehrerer Finanzbehörden sowie das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit in Fällen, in denen aus anderen Gründen Zuständigkeitszweifel bestehen. In Abgrenzung zur Mehrfachzuständigkeit nach § 25 AO besteht ein positiver Kompetenzkonflikt, wenn sich mehrere Finanzbehörden für örtlich zuständig halten, aber nur eine nach §§ 17 ff. AO zuständig ist. Wenn sich mehrere Finanzbehörden hingegen für unzuständig halten, spricht man von einem negativen Kompetenzkonflikt.
Die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde entscheidet über die örtliche Zuständigkeit (zur Bestimmung der gemeinsamen Fachaufsichtsbehörde s. Tz. 30). Sie hat kein Ermessen. Ihre Entscheidung muss sie nach den gesetzlichen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit treffen. Die Fachaufsichtsbehörde kann daher nicht eine unzuständige Finanzbehörde als zuständig bestimmen. Dies ist nur durch Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO (mit Zustimmung des Steuerpflichtigen) möglich.
Fehlt es an einer gemeinsamen fachlichen Aufsichtsbehörde, gilt § 25 Satz 2 AO entsprechend. In diesen Fällen treffen bei Kompetenzkonflikten oder Zuständigkeitszweifeln die jeweiligen Fachaufsichtsbehörden die Entscheidung nach der zuständigen Finanzbehörde gemeinsam, d. h. sie haben eine einvernehmliche Entscheidung herbeizuführen.
§ 28 Abs. 2 AO bestimmt ausdrücklich, dass die Sonderregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 7 FVG unberührt bleibt. Danach bestimmt bei Personen, die nicht im Inland ansässig sind, in Fällen des positiven wie negativen Kompetenzkonflikts mehrerer Finanzämter sowie bei Zweifeln über die örtliche Zuständigkeit das Bundeszentralamt für Steuern das örtlich zuständige Finanzamt.
Tz. 34 Gefahr im Verzug
§ 29 AO regelt eine Notzuständigkeit für unaufschiebbare Maßnahmen. Die Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn Gefahr im Verzug vorliegt und die an sich zuständige Finanzbehörde am rechtzeitigen Handeln gehindert ist oder wenn Unklarheit über die zuständige Finanzbehörde besteht. In diesen Fällen wird eine vorübergehende örtliche Zuständigkeit derjenigen Finanzbehörde begründet, in deren Bezirk Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Diese Behörde muss sachlich zuständig (§ 16 AO) sein. Die Notzuständigkeit endet, sobald die örtlich zuständige Finanzbehörde feststeht und selbst in der Lage ist, tätig zu werden. § 29 Satz 2 AO ordnet die unverzügliche Unterrichtung der sonst örtlich zuständigen Behörde an.
Die Vorschrift hat besondere Bedeutung für Fahndungs- und Vollstreckungsmaßnahmen, z. B. wenn ein Arrest (§ 324 AO) vollstreckt werden soll.
III. Steuergeheimnis
Tz. 35 Allgemeines zum Steuergeheimnis
§§ 30–31b AO enthalten Vorschriften über den Umgang mit personenbezogenen Daten im Besteuerungsverfahren, allerdings beschränkt auf die Regelungen zur Weitergabe und mittelbar auch zur Nutzung von Daten. Regelungen zur Erhebung von Daten enthalten die §§ 85 ff. AO. Eine besondere Vorschrift zur Speicherung von Daten enthält § 88a AO. § 30a AO ist in diesem Zusammenhang deplaziert, da diese Norm Regelungen zur Beschränkung der Möglichkeiten zur Datenerhebung enthält.
Das Steuergeheimnis ist zwar – im Gegensatz zum Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis – kein Grundrecht (vgl. , 2 BvE 15/83, BStBl 1984 II S. 634), es trägt aber als bereichsspezifische Regelung (vgl. § 1 Abs. 3 BDSG) dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des Besteuerungsverfahrens Rechnung. Das Steuergeheimnis genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten (, BStBl 1991 I S. 654).
Tz. 36 Steuergeheimnis
§ 30 AO dient dem privaten Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und anderer zur Auskunftserteilung verpflichteten Personen. Zugleich bezweckt die Vorschrift, durch besonderen Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit der Mitarbeiter der Finanzbehörden die Bereitschaft zur Offenlegung steuerlicher Sachverhalte zu fördern, um so das Steuerverfahren zu erleichtern, die Steuerquellen vollständig zu erfassen und eine gesetzmäßige, d. h. insbesondere auch eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Diese im Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichbehandlungsgebot verankerten öffentlichen Interessen haben einen Rang, der über das nur fiskalische Interesse an der Sicherung des Steueraufkommens hinausgeht (vgl. , 2 BvE 15/83, BStBl 1984 II S. 634).
a) Gegenstand des Steuergeheimnisses
Durch das Steuergeheimnis wird alles geschützt, was dem Amtsträger oder einer ihm gleichgestellten Person in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a–c AO genannten Verfahren über den Steuerpflichtigen oder andere Personen bekannt geworden ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Tatsachen für die Besteuerung relevant sind oder nicht. Andererseits unterliegen Erkenntnisse, die ein Amtsträger außerhalb des Diensts erlangt hat, nicht dem Steuergeheimnis.
Das Steuergeheimnis erstreckt sich auf die gesamten persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Verhältnisse einer Person. Im Gegensatz zum Bundesdatenschutzgesetz ist das Steuergeheimnis aber nicht auf natürliche Personen beschränkt. Das Steuergeheimnis schützt Daten aller Steuerrechtssubjekte ungeachtet ihrer Rechtsform und ihrer Rechtsfähigkeit, also auch von Körperschaften, Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften.
Zu den Verhältnissen zählen auch das Verwaltungsverfahren selbst, die Art der Beteiligung am Verwaltungsverfahren und die Maßnahmen, die vom Beteiligten getroffen wurden. So unterliegt z. B. auch dem Steuergeheimnis, ob und bei welcher Finanzbehörde ein Beteiligter steuerlich geführt wird, ob ein Steuerfahndungsverfahren oder eine Außenprüfung stattgefunden hat, wer für einen Beteiligten im Verfahren aufgetreten ist und welche Anträge gestellt worden sind. Dem Steuergeheimnis unterliegen auch personenbezogene Daten Dritter, die Eingang in das Besteuerungsverfahren finden.
Anonymisierte Daten unterliegen nicht dem Steuergeheimnis. Statistische Vergleichswerte sind keine personenbezogenen Daten.
b) Zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtete Personen
Amtsträger (vgl. § 7 AO) und ihnen nach § 30 Abs. 3 AO gleichgestellte Personen haben das Steuergeheimnis zu wahren. Auch Amtsträger anderer Ressorts haben das (sog. verlängerte) Steuergeheimnis zu wahren, wenn ihnen Daten in einem Verfahren nach § 30 Abs. 2 AO bekannt geworden sind. Die Verletzung des Steuergeheimnisses ist strafbar (§ 355 StGB). Für die Wahrung des Steuergeheimnisses verantwortliche Stelle ist jede Person (oder Stelle), die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen lässt.
Nicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet sind Entrichtungsschuldner, die nach den Steuergesetzen für Rechnung Dritter Steuern einzubehalten und abzuführen haben; in diesem Fall gelten aber besondere Geheimhaltungspflichten (z. B. § 39b Abs. 1 Satz 4 EStG). Ebenso wenig unterliegen dem Steuergeheimnis Sachverständige, die im Auftrag des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren tätig werden. Für Steuerberater gilt nicht § 30 AO, allerdings ordnet das Berufsrecht besondere Verschwiegenheitspflichten an (vgl. § 57 StBerG).
c) Durchbrechung des Steuergeheimnisses
§ 30 Abs. 4 und 5 AO enthält grundlegende Bestimmungen darüber, wann die Offenbarung der vom Steuergeheimnis geschützten Verhältnisse, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zulässig („befugt”) ist. Offenbarung ist dabei jedes ausdrückliche oder konkludente Verhalten, aufgrund dessen einem Dritten Verhältnisse eines anderen bekannt werden können. Eine Offenbarung kann sich aus mündlichen, schriftlichen oder elektronischen Erklärungen, aber auch aus anderen Handlungen oder Unterlassungen ergeben. Offenbarung setzt keine Absicht voraus, das Steuergeheimnis kann auch durch Nachlässigkeit beim Umgang mit Akten oder Daten verletzt werden. Keine Offenbarung liegt vor, wenn die fraglichen Verhältnisse dem Adressaten schon bekannt waren.
Dritter ist dabei jede andere Person als die für die Daten verantwortliche Person. Die Weitergabe von Informationen über einen Steuerfall an andere Stellen der Finanzverwaltung ist daher nur zulässig, wenn dies gesetzlich zugelassen ist (vgl. dazu aber insbes. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Dritter ist auch der Steuerpflichtige selbst, wenn es um Daten anderer Personen geht, die in seinem Besteuerungsverfahren bekannt geworden sind; hierzu gehören zum einen Daten über andere Steuerpflichtige, die im Wege einer Kontrollmitteilung bekannt geworden sind, zum anderen aber Name und Anschrift eines Anzeigeerstatters (vgl. , BStBl 1994 II S. 802). Soweit es nach § 30 Abs. 4 AO zulässig ist, dem Steuergeheimnis unterliegende Kenntnisse zu offenbaren, muss unter Abwägung der gegenseitigen Interessen eine sachgerechte Ermessensentscheidung getroffen werden. Dabei sind im Einzelfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen und auch das des Informanten gegen den Zweck des Steuergeheimnisses abzuwägen; dieser Zweck kann es auch erfordern, die Auskunftsbereitschaft Dritter zu erhalten. In der Abwägung des Einzelfalls bedeutet dies, dass dem Informantenschutz dann ein höheres Gewicht als dem Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zukommt, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (vgl. , BStBl 2007 II S. 275).
d) Offenbarungsbefugnisse im Einzelnen
aa) § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO
Die Offenbarung vom Steuergeheimnis geschützter Kenntnisse ist zulässig, soweit sie der Durchführung eines Verfahrens i. S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO dient. Die Vorschrift legitimiert zugleich die Verwendung dieser Daten durch den Empfänger für die Zwecke, für die sie ihm offenbart wurden. Für die Praxis besonders bedeutsam ist die Offenbarung zur Durchführung eines Besteuerungsverfahrens, eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen sowie eines Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahrens. Die Offenbarung geschützter Daten ist auch zulässig zur Durchführung von steuerlichen Haftungs- und Vollstreckungsverfahren. Die Offenbarungsbefugnis des § 30 bs. 4 Nr. 1 AO gilt nur für inländische Verfahren, die Offenbarung von steuerlichen Daten an ausländische Behörden richtet sich nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO.
Die Offenbarungsbefugnis umfasst nicht nur Verfahren hinsichtlich der Person, um deren Daten es geht (Beispiel: Nutzung von Daten, die beim Steuerpflichtigen für dessen Einkommensteuerfestsetzung erhoben wurden, für einen anderen Besteuerungszeitraum und/oder eine andere Steuerart); zulässig ist die Offenbarung auch, soweit dies der Durchführung entsprechender Verfahren hinsichtlich anderer Steuerpflichtiger dient. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist auch Rechtsgrundlage für die Fertigung von Kontrollmitteilungen (vgl. auch § 194 Abs. 3 AO). Vgl. im Übrigen auch Nr. 4 AEAO zu § 30.
§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist auch Rechtsgrundlage für die Offenbarung von steuerlichen Daten gegenüber vorgesetzten Finanzbehörden, bis hin zum Bundesministerium der Finanzen (aufgrund seiner Befugnisse nach Art. 85 Abs. 3 und 4 i.V. mit Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG).
bb) § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO
Die Offenbarung vom Steuergeheimnis geschützter Kenntnisse ist zulässig, soweit sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Neben den einschlägigen Regelungen in der AO (z. B. §§ 31–31b, 88a, 93a, 117 und 249 Abs. 2 Satz 2 AO) und den Einzelsteuergesetzen enthalten viele außersteuerliche Gesetze eine Befugnis zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses; vgl. dazu die beispielhafte Aufzählung in Nr. 5 AEAO zu § 30.
Eine Bestimmung über die allgemeine Pflicht zur Amtshilfe kann das Steuergeheimnis nicht durchbrechen. Das jeweilige Gesetz muss vielmehr ausdrücklich anordnen, dass Finanzbehörden steuerliche Daten mitteilen dürfen oder müssen. Da das Steuergeheimnis durch Bundesgesetz geregelt ist, können landesrechtliche Regelungen oder kommunale Satzung keine Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO legitimieren. Die Offenbarung von steuerlichen Daten gegenüber ausländischen Finanzbehörden zum Zweck der Besteuerung einschließlich der Steuererhebung und Vollstreckung richtet sich nach § 117 AO i. V. mit entsprechenden nationalen Gesetzen und innerstaatlich anwendbaren Rechtsakten der Europäischen Union (vgl. AEAO zu § 117).
cc) § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO
Die Offenbarung vom Steuergeheimnis geschützter Kenntnisse ist zulässig, soweit der Betroffene zustimmt. Diese Zustimmung ist formfrei und kann daher auch konkludent erteilt werden. Sie kann auch auf bestimmte Daten beschränkt werden. Sind mehrere Personen betroffen, müssen alle ihre Zustimmung zur Offenbarung eines Sachverhalts erteilen. Stimmen einzelne Personen nicht zu, dürfen die geschützten Verhältnisse derjenigen, die ihre Zustimmung nicht erteilt haben, nicht offenbart werden.
Die Zustimmung des Betroffenen begründet noch keine Offenbarungspflicht. Die Finanzbehörde muss im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob sie steuerliche Daten offenbart. Eine Verweigerung der Offenbarung wäre aber ermessensfehlerhaft, wenn der Betroffene ein berechtigtes Interesse an der Offenbarung hat und die Aufgabenerfüllung der Behörde durch die Offenbarung nicht beeinträchtigt wird.
dd) § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO
Die Offenbarung vom Steuergeheimnis geschützter Kenntnisse ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, soweit sie der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Tat dient, die keine Steuerstraftat ist.
Die Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO setzt zusätzlich voraus, dass die geschützten Kenntnisse in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden sind. Diese Offenbarungsbefugnis gilt nicht für solche Tatsachen, die der Steuerpflichtige in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens offenbart hat oder die bereits vor Einleitung des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens im Besteuerungsverfahren bekannt geworden sind (ggf. kann aber eine Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 oder Abs. 5 AO zulässig sein). Diese Offenbarungsbefugnisse hat insbesondere Bedeutung für Zufallsfunde. Voraussetzung ist jedoch, dass die fraglichen Erkenntnisse im Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahren selbst gewonnen wurden. Kenntnisse, die in einem anderen Verfahren (z. B. Festsetzungs-, Außenprüfungs-, Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren) erlangt wurden, dürfen nicht nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO den Strafverfolgungsbehörden offenbart werden.
Die Offenbarung geschützter Daten zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer nichtsteuerlichen Straftat ist darüber hinaus auch zulässig, wenn diese Daten ohne Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht erlangt worden sind (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. b AO). Tatsachen sind der Finanzbehörde ohne Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung bekannt geworden, wenn die Auskunftsperson nicht zuvor von der Finanzbehörde nach § 93 Abs. 1 AO zur Erteilung einer Auskunft aufgefordert worden ist. Ein Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101 ff. AO kann nur angenommen werden, wenn dem Berechtigten sein Auskunftsverweigerungsrecht bekannt war; dies setzt in den Fällen des § 101 AO eine entsprechende Belehrung voraus.
ee) § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO
Die Offenbarung vom Steuergeheimnis geschützter Kenntnisse ist zulässig, soweit für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO enthält eine – nicht abschließende – Aufzählung der Fälle, in denen ein zwingendes öffentliches Interesse gegeben ist. Bei anderen als den dort genannten Sachverhalten ist ein zwingendes öffentliches Interesse nur gegeben, wenn sie in ihrer Bedeutung einem der dort erwähnten Fälle vergleichbar sind. Ausführliche Regelungen enthält Nr. 8 AEAO zu § 30.
Zur Unterrichtung der Gewerbebehörden über die Verletzung steuerlicher Pflichten für Zwecke eines Gewerbeuntersagungsverfahrens vgl. , BStBl 2004 I S. 1178. Zur Offenbarungsbefugnis gegenüber Parlamenten bzw. einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags vgl. .
ff) § 30 Abs. 5 AO. Vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen
dürfen den Strafverfolgungsbehörden gegenüber offenbart werden, auch wenn sie dem Steuergeheimnis unterliegen. Die Offenbarung nach § 30 Abs. 5 AO darf nur erfolgen, wenn nach Auffassung der Finanzbehörde durch die falschen Angaben ein Straftatbestand verwirklicht worden ist. Die Durchführung eines Strafverfahrens wegen dieser Tat ist dabei aber nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Offenbarung.
e) Abruf von Daten (§ 30 Abs. 6 AO)
Nicht nur Informationen, die in Steuerakten enthalten sind, sondern auch personenbezogene Daten, die für eines der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO genannten Verfahren in einer Datei gespeichert sind, unterliegen dem Steuergeheimnis. Die auf § 30 Abs. 6 AO beruhende Steuerdaten-Abrufverordnung v. (BGBl 2005 I S. 3021) – StDAV – enthält besondere Bestimmungen zur Wahrung des Steuergeheimnisses, die bei einem Abruf vom Steuergeheimnis geschützter Daten zu beachten sind. Der Abruf derartiger Daten durch die für diese Daten zuständige Person stellt zwar keine Offenbarung dar, unterliegt aber ebenfalls den Sicherungsbestimmungen der StDAV.
Tz. 37 Schutz von Bankkunden
Die Vorschrift des § 30a AO ist innerhalb der §§ 30–31b AO ein Fremdkörper, denn es geht nicht um den Schutz steuerlicher Daten, die die Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren erhoben haben. Es geht um Einschränkungen bei der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzbehörden. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ist umstritten, da sie die nach Art. 3 GG verfassungsrechtlich gebotene Gleichmäßigkeit der Besteuerung beeinträchtigt. Da der Gesetzgeber aber seit 1998 das im Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der Finanzbehörden – gerade im Bereich der Geschäftsbeziehungen zu Kreditinstituten – kontinuierlich erweitert und so letztlich nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen hat, kann die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 30a AO mittlerweile dahingestellt bleiben (vgl. dazu auch NWB EAAAC-69082). Durch die Einführung der Abgeltungssteuer auf Einkünfte i. S. der §§ 20 und 23 EStG dürfte sich die praktische Bedeutung des § 30a AO – zumindest im privaten Bereich – weitgehend erledigt haben.
§ 30a AO begründet kein Bankgeheimnis im Sinne eines Auskunftsverweigerungsrechts oder eines Mitwirkungsverweigerungsrechts. Auskunftsverweigerungsrechte (und damit verknüpft Vorlageverweigerungsrechte) haben nur die in §§ 101 ff. AO genannten Personen. Die Bedeutung von § 30a Abs. 1 AO erschöpft sich daher letztlich in einem Appell an die Ermittlungsbehörden, im Rahmen der ihnen nach §§ 85, 88 AO obliegenden Sachverhaltserforschung die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit zu beachten.
Nach § 30a Abs. 2 AO ist es den Finanzbehörden untersagt, von den Kreditinstituten zum Zweck der allgemeinen Überwachung die einmalige oder periodische Mitteilung von Konten bestimmter Art oder bestimmter Höhe zu verlangen. Auskunftsersuchen im Einzelfall sind nach § 93 AO i. V. mit § 30a Abs. 5 AO dennoch zulässig.
§ 30a Abs. 3 AO verbietet – als Ausnahme von § 194 Abs. 3 AO – das Ausschreiben von Kontrollmitteilungen hinsichtlich Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung die Bank die Legitimationsprüfung nach § 154 Abs. 2 AO vorgenommen hat. § 30a Abs. 3 AO steht der Ausschreibung und Weiterleitung von Kontrollmitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter der betreffenden Bankkunden nach § 194 Abs. 3 AO nicht ausnahmslos entgegen. Dieses Verbot des Ausschreibens von Kontrollmitteilungen gilt nämlich nicht, wenn wegen des Verdachts einer Steuerverkürzung ermittelt wird oder ermittelt worden ist, mithin ein steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht besteht oder gegeben war (, BStBl 2000 II S. 643).
Entsprechendes gilt, wenn die Außenprüfung ein Kreditinstitut prüft und nach § 194 Abs. 3 AO Kontrollmitteilungen fertigen will. Ist der Anlass, der zu einem Vorgehen nach § 194 Abs. 3 AO grds. berechtigt, von einer solchen Qualität, dass sich hieraus sogar ein steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht ableiten lässt, entfaltet § 30a Abs. 3 AO keine Schutz- oder Vertrauenswirkung zugunsten der von diesem Verdacht betroffenen Dritten (, BStBl 2001 II S. 665). Der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat ist bei der Durchführung von Tafelgeschäften dann gerechtfertigt, wenn der Bankkunde solche Geschäfte bei seinem Kreditinstitut, bei dem er seine Konten und/oder Depots führt, außerhalb dieser legitimationsgeprüften Konten durch – buchmäßig betrachtet – Bareinzahlungen und Barabhebungen abwickelt.
Zufallserkenntnisse der Außenprüfung, die den Verdacht einer Steuerverkürzung im Einzelfall begründen, können auch hinsichtlich solcher Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Identitätsprüfung vorgenommen worden ist, dem zuständigen Finanzamt mitgeteilt werden (Nr. 1 Abs. 2 AEAO zu § 30a).
In Vordrucken für Steuererklärungen soll die Angabe der Nummern von Konten und Depots, die der Steuerpflichtige bei Kreditinstituten unterhält, grds. nicht verlangt werden (§ 30a Abs. 4 AO). Diese Angaben dürfen aber verlangt werden, soweit steuermindernde Ausgaben oder Vergünstigungen geltend gemacht werden oder die Abwicklung des Zahlungsverkehrs mit dem Finanzamt dies bedingt.
Auskunftsersuchen an Kreditinstitute nach § 93 AO (s. hierzu Tz. 115) sind zulässig (§ 30a Abs. 5 Satz 1 AO). Andere Personen als die Beteiligten sollen dabei nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO erst dann um Auskunft gebeten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Dieser Grundsatz gilt nach § 30a Abs. 5 Satz 2 AO auch bei der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten nach § 208 Abs. 1 Satz 1 AO, wenn die Person des Steuerpflichtigen bekannt und gegen ihn kein Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit eingeleitet worden ist.
§ 30a Abs. 5 AO steht der Kontenabrufmöglichkeit nach § 93 Abs. 7 und 8 i. V. mit § 93b AO nicht entgegen. Durch die Kontenabrufmöglichkeit soll die Finanzbehörde erst in die Lage versetzt werden, Konten und Depots des Steuerpflichtigen zu ermitteln, um dann ggf. an die so festgestellten Kreditinstitute Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO richten zu können. Dabei ist zu beachten, dass ein Kontenabrufersuchen nur gestellt werden darf, wenn ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziele geführt hat oder keinen Erfolg verspricht.
Tz. 38 Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen an Stellen außerhalb der Finanzverwaltung
Die §§ 31 - 31b AO enthalten nähere Regelungen zur Befugnis, teilweise auch zur Verpflichtung der Finanzbehörden, öffentlichen Stellen außerhalb der Finanzverwaltung personenbezogene Daten, die dem Steuergeheimnis unterliegen, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen mitzuteilen. Die Regelungen beinhalten zugleich die gesetzliche Befugnis zur Zweckänderung der für Zwecke eines Besteuerungsverfahrens oder eines anderen Verfahrens i. S. des § 30 Abs. 2 AO erhobenen Daten.
Für die Empfänger der Daten gilt dabei das sog. verlängerte Steuergeheimnis (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO). Die Empfänger der Daten sind selbst nicht zum Datenabruf befugt. Für einen Datenabgleich gelten besondere Bestimmungen (vgl. z. B. § 45d Abs. 2 EStG, § 118 SGB XII).
Tz. 39 Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen
a) Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträgen und Steuerbeträgen an Körperschaften des öffentlichen Rechts
Die Finanzbehörden sind nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AO grds. verpflichtet, Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge und Steuerbeträge an Körperschaften des öffentlichen Rechts einschließlich der Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, zur Festsetzung von solchen Abgaben mitzuteilen, die an diese Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen. Die Körperschaft darf diese Daten nur zur Festsetzung einer Abgabe verwenden, die an die genannte Besteuerungsgrundlage, den Steuermessbescheid oder den Steuerbetrag anknüpft (z. B. Beiträge der Landwirtschaftskammern, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Rechtsanwaltskammern, Notarkammern, Ärzte-, Zahnärzte- und Tierärztekammern, Steuerberaterkammern, Architektenkammern, Ingenieurkammern und anderen Berufskammern). Entscheidend ist das jeweilige Landesrecht bzw. die Satzung der Körperschaft. Ein Akteneinsichtsrecht hat die betreffende Körperschaft aber nicht.
Die Finanzbehörden dürfen Körperschaften des öffentlichen Rechts auf Ersuchen darüber hinaus Namen und Anschriften ihrer Mitglieder, die dem Grunde nach zur Entrichtung von Abgaben i. S. des § 31 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet sind, sowie die von der Finanzbehörde für die Körperschaft festgesetzten Abgaben übermitteln, soweit die Kenntnis dieser Daten zur Erfüllung von in der Zuständigkeit der Körperschaft liegenden öffentlichen Aufgaben erforderlich ist und überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen (§ 31 Abs. 1 Satz 3 AO).
b) Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen an Träger der gesetzlichen Sozialversicherung, an die Bundesagentur für Arbeit und an die Künstlersozialkasse
Die Finanzbehörden sind nach § 31 Abs. 2 AO grds. verpflichtet, die dem Steuergeheimnis unterliegenden Verhältnisse des Betroffenen den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung, der Bundesagentur für Arbeit (einschl. ihrer nachgeordneten Stellen) und der Künstlersozialkasse mitzuteilen, soweit die Kenntnis dieser Verhältnisse für die Feststellung der Versicherungspflicht oder die Festsetzung von Beiträgen einschließlich der Künstlersozialabgabe erforderlich ist. Die Träger der Sozialversicherung, die Bundesagentur für Arbeit und die Künstlersozialkasse haben bei Anfragen zu versichern, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 AO vorliegen. Eine Mitteilungspflicht besteht auch, wenn der Betroffene einen Antrag auf Mitteilung stellt.
Zweck der Regelung ist es, den Mitteilungsempfängern die Festsetzung der von ihnen zu erhebenden Beiträge zu ermöglichen oder zu erleichtern. § 31 Abs. 2 AO erlaubt dabei für Zwecke der Beitragsfestsetzung sehr weitgehende Auskünfte, die nicht auf Besteuerungsgrundlagen im strengen Sinne beschränkt sind. Es können auch andere Sachverhalte mitgeteilt werden. Auskünfte sind dabei sowohl über den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer zulässig. Weiterhin schließt § 31 Abs. 2 AO nicht aus, dass die Finanzämter aufgrund eines Auskunftsersuchens der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung und der Künstlersozialkasse im Einzelfall weitere Ermittlungen anstellen.
c) Mitteilung von Grundsteuer-Daten
Die für die Verwaltung der Grundsteuer zuständigen Behörden sind nach § 31 Abs. 3 AO berechtigt, (nur) Namen und Anschriften von Grundstückseigentümern, die bei der Verwaltung der Grundsteuer bekannt geworden sind, zur Verwaltung anderer Abgaben sowie zur Erfüllung sonstiger öffentlicher Aufgaben (selbst) zu verwenden oder den hierfür zuständigen Gerichten, Behörden oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf Ersuchen mitzuteilen, soweit nicht überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen.
Für die Verwaltung der Grundsteuer sind außerhalb der Stadtstaaten nicht die Finanzbehörden, sondern die Gemeinden zuständig. Für die Gemeinden gelten dabei die Bestimmungen der AO über das Steuergeheimnis (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AO). Abgaben i. S. des § 31 Abs. 3 AO sind insbesondere Erschließungsbeiträge, Straßenreinigungs- und/oder Gehwegreinigungsbeiträge, Müllabfuhrgebühren und Abwassergebühren. Die Gemeinden oder die sonst zuständigen Grundsteuerbehörden dürfen die Namen und Anschriften von Grundstückseigentümern aber auch für andere öffentliche Aufgaben verwenden.
Die Gemeinden bzw. die sonstigen Grundsteuerbehörden sind aber auch zur Weitergabe der genannten Daten an andere Behörden, Gerichte oder juristische Personen des öffentlichen Rechts – auf deren Ersuchen – berechtigt, sofern die Mitteilung erforderlich ist, damit die ersuchende Stelle eine ihr obliegende öffentliche Aufgabe erfüllen kann (z. B. Weitergabe der Eigentümerdaten an Grundbuchämter und Katasterämter zur Vervollständigung oder Berichtigung der von diesen Behörden zu führenden öffentlichen Register).
Tz. 40 Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs
Das Recht, selbst über die Verwendung persönlichkeitsbezogener Daten zu bestimmen (Recht auf informationelle Selbstbestimmung), steht in einem gewissen Widerstreit zu dem – verfassungsrechtlich gleichwertigen – Allgemeininteresse, dass Sozialversicherungsleistungen nicht unrechtmäßig in Anspruch genommen werden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch eingeschränkt werden, um einen solchen Leistungsmissbrauch abzuwehren. Eben dieses Ziel verfolgt § 31a AO. Dabei wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt, weil § 31a AO das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr einschränkt als es zur Erreichung des vorgenannten Ziels erforderlich ist.
Die Finanzbehörden dürfen den zuständigen öffentlichen Stellen dem Steuergeheimnis unterliegende Verhältnisse eines Betroffenen nach § 31a Abs. 1 AO mitteilen, soweit die Daten erforderlich sind
(1) für die Durchführung eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines anderen gerichtlichen oder Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel
der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung oder Schwarzarbeit,
der Entscheidung über Erteilung, Rücknahme oder Widerruf einer Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
der Entscheidung über die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Erstattung, Weitergewährung oder Belassen einer Leistung aus öffentlichen Mitteln sowie
(2) für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückgewähr einer Leistung aus öffentlichen Mitteln.
Grds. besteht eine Mitteilungspflicht, doch erfolgt eine Mitteilung auch auf Antrag des Betroffenen (§ 31a Abs. 2 AO).
Illegale Beschäftigung liegt unter anderem dann vor, wenn Ausländer ohne eine erforderliche Genehmigung arbeiten oder beschäftigt werden (illegale Arbeitnehmerbeschäftigung) oder Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber an einen Dritten gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen werden, obwohl eine erforderliche Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht vorliegt oder die Überlassung gesetzlich nicht gestattet ist (unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung). Nach § 1 Abs. 2 SchwarzArbG leistet Schwarzarbeit, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei bestimmte Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt. Ausführlich hierzu s. Nr. 2 AEAO zu § 31a.
Leistungen aus öffentlichen Mitteln i. S. des § 31a Abs. 1 AO sind alle Leistungen der öffentlichen Hand, insbesondere Sozialleistungen und Subventionen. Sozialleistungen sind die im SGB I vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Hierzu zählen die in §§ 18–29 SGB I und die in § 68 SGB I aufgezählten Leistungen (z. B. die Leistungen der Agenturen für Arbeit, der gesetzlichen Krankenkassen, der gesetzlichen Rentenversicherungsträger, der Sozialämter und der Unterhaltsvorschussbehörden). Subventionen sind nach § 1 Abs. 1 SubvG i. V. mit § 264 Abs. 7 StGB Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an Betriebe oder Unternehmen wenigstens zum Teil ohne marktübliche Gegenleistung gewährt werden und der Förderung der Wirtschaft dienen sollen.
Die Mitteilung nach § 31a AO erfolgt von Amts wegen, wenn die Finanzbehörde über konkrete Informationen verfügt, die für die zuständige Stelle für ein in § 31a Abs. 1 AO genanntes Verfahren erforderlich sein können. Die Offenbarung durch das Steuergeheimnis geschützter Verhältnisse zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückforderung von Arbeitslosengeld (oder einer anderen Leistung aus öffentlichen Mitteln) setzt nicht voraus, dass die Finanzbehörde selbst festgestellt hat, dass die Kenntnis der zu offenbarenden Tatsachen die Rückforderung rechtfertigt oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechtfertigen wird; ausreichend ist insofern, dass die Tatsachen für die Durchführung eines solchen Verwaltungsverfahrens überhaupt geeignet sind (, BStBl 2008 II S. 42). Mit einer Mitteilung des Finanzamts gegenüber einem Träger der Sozialversicherung ist daher auch nicht der Vorwurf eines Missbrauchs von Sozialversicherungsleistungen verbunden. Sie beinhaltet auch keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht, weil sie diesen gerade nicht voraussetzt.
Die Finanzbehörden sind zum Zweck der Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen nach § 31a AO nicht zu zusätzlichen Ermittlungen verpflichtet. Die Mitteilungspflicht begründet auch keine Befugnis zur Gewährung von Akteneinsicht oder zur Übersendung von Akten. Denn § 31a AO ist keine Amtshilfebestimmung, sondern steht in systematischer Beziehung zu § 30 AO, dessen Schutzumfang sie lediglich einschränkt.
Vgl. im Übrigen, insbesondere zum Verfahren bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und von Schwarzarbeit, den AEAO zu § 31a.
Tz. 41 Mitteilungen zur Bekämpfung der Geldwäsche
Die Finanzbehörden haben nach § 31b AO Tatsachen, die auf eine Straftat i. S. des § 261 StGB – Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte – oder eine Terrorismusfinanzierung (§ 1 Abs. 2 Geldwäschegesetz) schließen lassen, den zuständigen Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Anzuzeigen sind dabei alle Tatsachen, die darauf schließen lassen, dass eine bare oder unbare Finanztransaktion einer Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung dient oder im Falle ihrer Durchführung dienen würde.
Den Finanzbehörden obliegt die Prüfung, ob im Einzelfall ein anzeigepflichtiger Verdachtsfall gem. § 31b AO vorliegt. Es reicht aus, dass objektiv erkennbare Anhaltspunkte für das Vorliegen von Tatsachen, die auf eine Geldwäsche-Straftat schließen lassen, sprechen und ein krimineller Hintergrund i. S. des § 261 StGB nicht ausgeschlossen werden kann. Die zur Verdachtsmeldung verpflichtete Finanzbehörde muss nicht das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 261 StGB einschließlich der der Geldwäsche zugrunde liegenden Vortat prüfen. Hinsichtlich des Vortatenkatalogs reicht der Verdacht auf die illegale Herkunft der Gelder schlechthin aus. Dies gilt für Tatsachen, die auf eine Terrorismusfinanzierung schließen lassen, entsprechend.
Nach dem AEAO zu § 31b sind die Verdachtsanzeigen in Kopie auch der beim Bundeskriminalamt errichteten zentralen Analyse- und Informationsstelle (Financial Intelligence Unit – FIU) zu erstatten. Der Betroffene ist über eine Verdachtsanzeige nicht zu informieren, da ansonsten der Zweck der Anzeige gefährdet würde.
IV. Haftungsbeschränkung
Tz. 42 Haftungsbeschränkung für Amtsträger
Verletzt ein Amtsträger vorsätzlich oder fahrlässig seine Amts- oder Dienstpflichten gegenüber einem Dritten, hat er diesem den daraus entstandenen Schaden nach § 839 BGB zu ersetzen. Diese Verpflichtung geht jedoch nach Art. 34 GG auf die Körperschaft über, in deren Dienst der Amtsträger steht. Daher haftet die Körperschaft, bei der der Amtsträger beschäftigt ist, im Außenverhältnis für den durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden. Im Innenverhältnis ist ein Rückgriff der Körperschaft auf den Amtsträger nach Art. 34 Satz 2 GG nur möglich, sofern die Amts- oder Dienstpflichtverletzung durch den Amtsträger grob fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde. Im Steuerrecht ist ein solcher Rückgriff auf den Amtsträger zusätzlich durch § 32 AO beschränkt.
Amtsträger sollen Steuerfälle sachgerecht und zügig bearbeiten und entscheiden können, ohne dabei aus Furcht vor Regressforderungen ihres Dienstherrn profiskalisch zu entscheiden. § 32 AO schränkt deshalb die Haftung der Amtsträger gegenüber ihrer Anstellungskörperschaft (Regress) für Handlungen im Besteuerungsverfahren ein. Die Freistellung vom Regress betrifft die Fälle in denen
eine Steuer oder eine steuerliche Nebenleistung wird nicht, zu niedrig oder zu spät festgesetzt, erhoben oder beigetrieben wird,
eine Steuererstattung oder Steuervergütung zu Unrecht gewährt wird oder
eine Besteuerungsgrundlage oder eine Steuerbeteiligung (Anteil an der Zerlegung eines Steuermessbetrags) nicht, zu niedrig oder zu spät festgesetzt wird.
Nach § 32 AO kann ein Amtsträger für Folgen einer Amts- oder Dienstpflichtverletzung allerdings in Anspruch genommen werden, wenn diese Pflichtverletzung mit einer Strafe bedroht ist. In Betracht kommt z. B. eine Mittäterschaft des Amtsträgers bei einer Steuerhinterziehung durch einen Dritten. Disziplinarmaßnahmen sind keine Strafen i. S. des § 32 AO (AEAO zu § 32).
Die Regelung des § 32 AO ist nicht anwendbar, wenn aufgrund einer Amts- oder Dienstpflichtverletzung Steuern zu hoch festgesetzt oder erhoben werden; in diesem Fall obliegt es dem betroffenen Steuerpflichtigen, die steuerlichen Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und ggf. auch gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen.
2. Teil: Steuerschuldrecht
I. Steuerpflichtiger und für ihn handelnde Personen
Tz. 43 Steuerpflichtiger
§ 33 AO enthält die für das gesamte Besteuerungsverfahren elementare Definition des Steuerpflichtigen. Dieser Begriff geht dabei über die in den Einzelsteuergesetzen verwendeten Definitionen hinaus, weil eine Person bereits durch bestimmte verfahrensrechtliche Pflichten zum Steuerpflichtigen i. S. des § 33 Abs. 1 AO wird, ohne Steuerschuldner zu sein. Die Definition des Begriffs „Steuerpflichtiger” ist auch bei Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO maßgebend (, BStBl 1997 II S. 115).
Steuerpflichtiger ist danach
wer eine Steuer schuldet. Die Steuerschuldnerschaft richtet sich dabei nach den Einzelsteuergesetzen. Vom Steuerschuldner zu unterscheiden ist der Entrichtungsschuldner (s. unten).
wer für eine Steuer haftet. Dies gilt allerdings nur für den Fall gesetzlicher Haftung, nicht für die vertragliche Übernahme einer fremden Steuerschuld. Die Haftung kann sich aus der AO (§§ 69 ff. AO), aus den Einzelsteuergesetzen (z. B. § 42d EStG) oder aus Haftungsnormen des Zivilrechts (vgl. dazu § 191 AO) ergeben. Ein Entrichtungsschuldner wird regelmäßig zum Haftungsschuldner, wenn er seine Pflicht zur Einbehaltung und Abführung einer Abzugsteuer nicht erfüllt.
wer eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat. Wann eine Person Steuer für Rechnung eines Dritten zu entrichten hat, richtet sich nach den Einzelsteuergesetzen. – Beispiele: Arbeitgeber (Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer seines Arbeitnehmers), Schuldner von Kapitalerträgen (Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge). In diesen Beispielsfällen ist Steuerschuldner der Arbeitnehmer bzw. der Gläubiger der Kapitalerträge, der Arbeitgeber bzw. der Schuldner der Kapitalerträge ist lediglich Entrichtungsschuldner. Ausnahme: der Arbeitgeber übernimmt pauschalierte Lohnsteuer und wird dann selbst zum Steuerschuldner. – Steuerpflichtiger i. S. des § 33 AO ist auch, wer als Auftraggeber von Bauleistungen Bauabzugsteuer einbehalten und abführen muss (§ 48 EStG).
wer eine Steuererklärung abzugeben hat. Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ergibt sich grds. aus den Einzelsteuergesetzen (vgl. § 149 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie kann sich darüber hinaus aber auch aus einer individuellen Aufforderungen der Finanzbehörde ergeben (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO). Steuerpflichtiger i. S. des § 33 AO ist dabei auch, wer zur Abgabe einer Feststellungserklärung, einer Erklärung zur Festsetzung eines Messbetrags oder einer Zerlegungserklärung abzugeben hat (vgl. §§ 181, 184,185 AO).
wer Sicherheit zu leisten hat. Diese Pflicht muss sich aus den Steuergesetzen ergeben (vgl. insbesondere § 109 Abs. 2, § 165 Abs. 1 Satz 4, § 222 Satz 2, § 361 Abs. 2 Satz 5 AO). Besondere praktische Bedeutung hat die Sicherheitsleistung nach § 241 AO bei Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (Zöllen).
wer Bücher oder Aufzeichnungen zu führen hat. Diese Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht muss sich aus den Steuergesetzen (vgl. z. B. §§ 140 ff. AO, § 22 UStG) oder aus anderen gesetzlichen Bestimmungen (z. B. Aufzeichnungspflichten nach HGB) ergeben. Zu den Aufzeichnungspflichten i. S. des § 33 AO gehört auch die Pflicht des Kontenführers, Aufzeichnungen über den Verfügungsberechtigten zu fertigen (§ 154 Abs. 2 AO). Die Pflicht eines Nichtunternehmers, Rechnungen über steuerpflichtige Werklieferungen oder sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück zwei Jahre aufzubewahren (§ 14b Abs. 1 Satz 5 UStG), ist keine Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht i. S. des § 33 AO.
wer andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. Steuergesetze i. S. des § 33 AO sind alle Rechtsnormen (Gesetze und Rechtsverordnungen), die – zumindest zum Teil – steuerrechtliche Vorschriften enthalten. Es kann sich dabei sowohl um materiell-rechtliche als auch um steuerverfahrensrechtliche Regelungen handeln. Entsprechende Verpflichtungen enthalten z. B. §§ 34 und 35 AO und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO. Eine Steuerpflicht nach § 33 AO kann sich auch aus der Verpflichtung ergeben, eine Außenprüfung hinsichtlich der Verhältnisse von Gesellschaftern dulden zu müssen (vgl. § 194 Abs. 2 AO).
Nicht unter den Begriff des Steuerpflichtigen i. S. des § 33 AO fällt, wer in einer für ihn fremden Steuersache tätig wird oder werden soll (§ 33 Abs. 2 AO). Das sind neben Bevollmächtigten und Beiständen (§§ 80, 123, 183 AO) auch diejenigen, die in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen (§ 93 AO), Urkunden (§ 97 AO) oder Wertsachen (§ 100 AO) vorzulegen, Sachverständigengutachten zu erstatten (§ 96 AO) oder das Betreten von Grundstücken oder Räumen zu gestatten (§ 99 AO) oder Steuern aufgrund vertraglicher Verpflichtung zu entrichten haben (§ 192 AO).
Tz. 44 Gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte
§§ 34 und 35 AO begründen besondere steuerliche Pflichten der Personen, die für ein anderes Steuerrechtssubjekt handeln. Diese Personen sind neben dem von ihnen vertretenen Steuerrechtssubjekt selbst Steuerpflichtiger i. S. des § 33 AO, da sie eigene steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen haben. Von besonderer Bedeutung ist dies für Personen oder Rechtsgebilde, die zwar Träger steuerrechtlicher Rechte und Pflichten sind (Steuerrechtssubjekt), steuerrechtlich aber nicht handlungsfähig sind. § 35 AO erweitert den Kreis der steuerlichen Pflichten auf Personen, die über das Vermögen eines Dritten rechtlich, wirtschaftlich und tatsächlich verfügen können.
Die in §§ 34 und 35 AO genannten Personen haften nach § 69 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
Tz. 45 Gesetzliche Vertreter
Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Diese Vertreter und Geschäftsführer haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen vertretenen Steuerrechtssubjekten auferlegt sind (z. B. Buchführungs-, Erklärungs-, Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten nach §§ 90, 93, 140 ff. AO, die Verpflichtung, aus den von ihnen verwalteten Mitteln die vom Vertretenen geschuldeten Steuern zu zahlen und diesbezüglich auch die steuerliche Vollstreckung in dieses Vermögen zu dulden, vgl. § 77 AO).
a) Gesetzliche Vertreter natürlicher Personen
Gesetzliche Vertreter eines minderjährigen Kindes sind
Vater und Mutter des Kinds gemeinschaftlich, soweit nicht einem Elternteil die elterliche Sorge allein übertragen ist,
wenn sie bei Geburt des Kinds miteinander verheiratet sind (§ 1629 Abs. 1 BGB),
wenn sie durch wirksame, öffentlich beurkundete Sorgeerklärungen (§§ 1626b ff. BGB) erklären, dass sie die elterliche Sorge gemeinsam übernehmen wollen, oder
wenn sie einander heiraten (§ 1626a Abs. 1 BGB),
im Übrigen die mit dem Vater des Kinds nicht verheiratete Mutter allein (§ 1626a Abs. 2 BGB).
Weitere Fälle der gesetzlichen Vertretung: Vormundschaft (§ 1793 BGB), Betreuung und Pflege im Rahmen des übertragenen Aufgabenkreises (§§ 1896 ff., 1909 ff. BGB), Nachlasspfleger bei noch unbekannten oder ungewissen Erben (§ 1960 Abs. 2 BGB).
b) Gesetzliche Vertreter juristischer Personen
Gesetzliche Vertreter einer juristischen Person des Privatrechts sind ihre vertretungsberechtigten Organe, nämlich
der Vorstand eines eingetragenen Vereins (§ 26 Abs. 2 BGB),
der Vorstand einer rechtsfähigen Stiftung (§ 86 BGB),
der Vorstand einer AG (§ 78 Abs. 1 AktG),
der Vorstand einer Genossenschaft (§ 24 Abs. 1 GenG),
der Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 Abs. 1 GmbHG).
Gesetzliche Vertreter sind ggf. auch die Abwickler bzw. Liquidatoren einer juristischen Person.
Gesetzliche Vertreter einer juristischen Person des öffentlichen Rechts sind deren verfassungsmäßig berufene Vertreter (z. B. Minister, Landrat, Bürgermeister, Pfarrer).
c) Gesetzliche Vertreter nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen
Gesetzliche Vertreter dieser Rechtssubjekte sind
der Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins (§ 54 BGB),
der Vorstand einer nicht rechtsfähigen Stiftung,
nach § 710 BGB bestellte Geschäftsführer einer GbR,
der Geschäftsführer einer OHG ( § 114 f. HGB),
der Geschäftsführer einer KG (§ 164 HGB).
Die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG haben die steuerlichen Pflichten der GmbH und mit diesen auch die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (, BStBl 1984 II S. 776).
Bei einer nicht rechtsfähige Personenvereinigung ohne Geschäftsführer kann sich die Finanzbehörde unmittelbar an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten, ohne dass vorher in jedem Fall eine Aufforderung zur Bestellung von Bevollmächtigten ergehen muss (§ 34 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO). Hat eine nicht rechtsfähige Vermögensmasse (z. B. eine Erbengemeinschaft) keinen Geschäftsführer, haben diejenigen die steuerlichen Pflichten als Vertreter zu erfüllen, denen das Vermögen zusteht (§ 34 Abs. 2 Satz 3 AO).
Die Finanzbehörde kann auch mehrere Mitglieder einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung (Gesellschafter) gleichzeitig zur Pflichterfüllung nach § 34 Abs. 2 AO auffordern (Nr. 2 AEAO zu § 34).
Tz. 46 Vermögensverwalter
§ 34 Abs. 3 AO begründet besondere steuerrechtliche Pflichten von Vermögensverwaltern, wobei unerheblich ist, ob die Verwaltungsbefugnis gesetzlich oder durch Rechtsgeschäft begründet wurde. In Betracht kommen insbesondere Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO), auch vorläufige Insolvenzverwalter, wenn ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen wurde (§ 22 Abs. 1 InsO) oder wenn dem Verwalter vom Gericht die Pflicht zur steuerlichen Vertretung auferlegt wurde (§ 22 Abs. 2 InsO), und Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren, Zwangsverwalter (§ 152 ZVG), Testamentsvollstrecker (§§ 2205 ff. BGB) und Nachlassverwalter als Parteien kraft Amts. Mit Einstellung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse endet die Vermögensverwaltung durch den Insolvenzverwalter und damit seine Verpflichtung aus § 34 Abs. 3 AO (vgl. § 36 AO). Abwickler, Liquidatoren und Nachlasspfleger sind nicht Vermögensverwalter, sondern gesetzliche Vertreter i. S. des § 34 Abs. 1 AO.
Der Inhalt der Pflichten eines Vermögensverwalters bestimmt sich grds. nach seinen Verwaltungsbefugnissen. Die öffentlich-rechtliche Vertretungspflicht nach § 34 Abs. 3 AO kann aber nicht durch privatrechtliche Abrede zwischen dem Verwalter und dem Vertretenen oder Dritten abbedungen werden. Der Insolvenzverwalter einer Personengesellschaft ist nicht verpflichtet, die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung abzugeben, da es sich um eine insolvenzfreie Angelegenheit handelt. Erklärungspflichtig sind in diesem Fall vielmehr die Gesellschafter, denen die Besteuerungsgrundlagen zuzurechnen sind.
Tz. 47 Verfügungsberechtiger
Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die gleichen Pflichten wie ein gesetzlicher Vertreter, soweit er diese rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. § 35 AO hat gegenüber § 34 AO nachrangige Bedeutung.
Verfügungsberechtigter ist, wer tatsächlich, rechtlich und wirtschaftlich über Mittel verfügen kann, die einem Dritten zuzurechnen sind, und auch als solcher nach außen auftritt. Diese Verfügungsmacht kann sich aus zivilrechtlichen Vereinbarungen mit dem Dritten, aus gesetzlichen Bestimmungen oder aus einer behördlichen oder gerichtlichen Anordnung ergeben. Die Verfügungsmacht muss dabei auch zivilrechtlich wirksam sein. Dabei ist eine nur im Innenverhältnis vereinbarte Beschränkung der rechtlichen Verfügungsbefugnis unbeachtlich.
Eine tatsächlich beherrschende Stellung allein ohne wirksame rechtliche Kompetenzen begründet keine Pflicht nach § 35 AO. Sicherungseigentum allein begründet grds. keine Verfügungsbefugnis i. S. des § 35 AO (vgl. Nr. 3 AEAO zu § 35). Ein Bevollmächtigter (insbes. ein Steuerberater oder ein Rechtsanwalt), der über die Bevollmächtigung zur Vertretung gegenüber der Finanzbehörde und dem Finanzgericht keine weitergehende Befugnis zur Verfügung über das Vermögen des Vollmachtgebers hat, ist ebenfalls kein Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO.
Tz. 48 Erlöschen der Vertretungsmacht
Das Erlöschen der Vertretungs- oder Verfügungsmacht lässt die nach den §§ 34 und 35 AO entstandenen Pflichten der Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten unberührt, soweit diese Pflichten den Zeitraum betreffen, in dem die Vertretungs- bzw. Verfügungsmacht bestanden hat und soweit der Verpflichtete sie erfüllen kann. Gleiches gilt für die Pflichten der in § 34 Abs. 2 AO angesprochenen Personen (Mitglieder, Gesellschafter, Erben usw.).
Da die Vermögensverwaltung durch den Insolvenzverwalter mit Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse endet, muss er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die steuerlichen Pflichten des Gemeinschuldners erfüllen und kann daher auch nicht mehr nach § 69 AO für Steuerausfälle hinsichtlich des vom ihm zuvor Vertretenen haften.
Hat der ehemalige Vertreter (z. B. ein Geschäftsführer) dem Vertretenen bei Beendigung des Vertretungsverhältnisses alle Bücher, Aufzeichnungen und Geschäftspapiere ausgehändigt, kann er später nicht mehr zu deren Vorlage verpflichtet werden, da er diese Pflicht objektiv nicht mehr erfüllen kann.
II. Steuerschuldverhältnis
Tz. 49 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
§ 37 Abs. 1 AO enthält eine abschließende Aufzählung aller möglichen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Dieser Begriff wird in der AO an verschiedenen Stellen verwendet (z. B. bei Bestimmung des Umfangs der Haftung, der Fälligkeit und der Zahlungsverjährung).
a) Steueranspruch
Dieser Anspruch richtet sich allein gegen den Steuerschuldner (vgl. § 43 Satz 1 AO) und besteht in der Verpflichtung, die Steuer (vgl. § 3 Abs. 1 AO) zu zahlen. Davon zu unterscheiden ist die Steuerentrichtungsschuld, d.h. die Zahlungsschuld aufgrund der Verpflichtung, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen. Diese Zahlungsschuld ist selbst kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, bei Nichterfüllung der Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung kann der Entrichtungsschuldner ggf. als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden.
b) Steuervergütungsanspruch
Bei Steuervergütungen handelt es sich um umgekehrte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Eine Steuervergütung liegt z. B. vor, wenn sich bei der Umsatzsteuer ein Überschuss der abziehbaren Vorsteuer über die zu entrichtende Umsatzsteuer ergibt. Vgl. dazu auch § 3 AO. Soweit der Gesetzgeber bei Prämien und Zulagen bestimmt, dass die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind, sind derartige Ansprüche wie Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu behandeln.
c) Haftungsanspruch
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer anderen Person als des Steuerschuldners als Haftungsschuldner ergeben sich aus den §§ 69–77 AO, den Einzelsteuergesetzen oder zivilrechtlichen Vorschriften (z. B. §§ 25, 128 HGB). Durch eine vertragliche Vereinbarung, die Steuer eines Dritten an die Finanzbehörde zu entrichten, wird keine Haftungsschuld i. S. des § 37 Abs. 1 AO begründet.
d) Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung
Steuerliche Nebenleistungen sind Kosten für verbindliche Auskünfte (§ 89 Abs. 3 - 5 AO), Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO, Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Zollbehörden (§ 178 AO), Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Finanzbehörden (§ 178a AO), Zinsen nach §§ 233–237 AO, Säumniszuschläge (§ 240 AO), Zwangsgelder nach § 329 AO, Kosten nach §§ 337–345 AO sowie Zinsen i. S. des Zollkodexes. Strafen oder Geldbußen sind keine steuerlichen Nebenleistungen und damit auch keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, auch wenn sie wegen Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung verhängt wurden.
e) In den Einzelsteuergesetzen geregelte Steuererstattungsansprüche
Soweit Einzelsteuergesetze besondere Erstattungsansprüche begründen, handelt es sich bei ihnen um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Solche Ansprüche ergeben sich z. B. aus § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG für die veranlagte Einkommensteuer, aus § 44b EStG für die Erstattung von Kapitalertragsteuer, aus § 18 Abs. 4 UStG, § 30 Abs. 2 GrStG oder § 20 Abs. 3 GewStG. Den Erstattungsansprüchen nach den Einzelsteuergesetzen ist gemein, dass für die vorherige Zahlung der Steuer eine Rechtsgrundlage bestanden hat, die regelmäßig auch – anders als in den Fällen des § 37 Abs. 2 AO – bestehen bleibt.
Tz. 50 Erstattungsanspruch nach
a) Entstehen des Erstattungsanspruchs
§ 37 Abs. 2 AO enthält eine allgemeine Umschreibung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, der einem Steuerpflichtigen oder Steuergläubiger dadurch erwächst, dass eine Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund erfolgt ist oder der Grund hierfür später wegfällt.
Grundlage für die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind nach § 218 Abs. 1 AO grds. entsprechende Verwaltungsakte, durch die der jeweilige Anspruch festgesetzt wird. Auch wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis dem Grunde nach besteht, kann er folglich erst verwirklicht (durchgesetzt) werden, wenn er durch Steuerbescheid festgesetzt wurde (zu Steueranmeldungen vgl. § 168 AO). Ein Steuerbescheid ist damit formeller Rechtsgrund für die Zahlung eines Steueranspruchs. Soweit kein formeller Rechtsgrund für eine an die Finanzbehörde gezahlte Steuer vorliegt, hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt wurde, einen reinen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO. In Betracht kommen hier insbesondere Fälle, in denen eine Steuer irrtümlich doppelt gezahlt oder vollstreckt wurde.
Rechtlicher Grund für eine Steuerzahlung ist jede Art von Steuerbescheid, Steueranmeldung, Haftungsbescheid, Bescheid über eine steuerliche Nebenleistung. Unerheblich ist, ob dieser Bescheid bestandskräftig ist und ob er vorläufig (§ 165 AO) oder unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ergangen ist. Auch die Steueranmeldung des Entrichtungsschuldners über eine von ihm einbehaltene Abzugsteuer ist formeller Rechtsgrund für die Zahlung der Abzugsteuer an das Finanzamt. Erst mit Erfassung der dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte in die Veranlagung des Vergütungsgläubigers entfällt der Rechtsgrund, so dass die einbehaltenen Steuerbeträge auf die festgesetzte Steuer angerechnet werden können. Ein Vorauszahlungsbescheid oder eine Steueranmeldung über eine einbehaltene Abzugsteuer bleiben formeller Rechtsgrund für die Steuerzahlung, wenn keine Jahressteuerfestsetzung erfolgt. Unerheblich ist, ob dies mangels eines erforderlichen Antrags unterbleibt oder wenn wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung keine Steuerfestsetzung mehr erfolgen darf.
Darüber hinaus kann sich ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO auch dann ergeben, wenn durch einen Steuerbescheid eine Steuer festsetzt wurde, die die nach dem Gesetz objektiv entstandene Steuer übersteigt. Nach der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie besteht auch in derartigen Fällen ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO. Nach der Rechtsprechung des BFH besteht immer dann ein Erstattungsanspruch, wenn etwas gezahlt wurde, das nach dem materiellen Steuerrecht nicht geschuldet wird. Dieser Erstattungsanspruch besteht unabhängig davon, ob der fehlerhafte Steuerbescheid korrigiert werden kann, kann aber erst durchgesetzt werden, wenn der (rechtswidrige) Rechtsgrund für die Zahlung durchgesetzt werden kann. Erst in diesem Zeitpunkt wird der materielle Erstattungsanspruch zugleich zu einem formellen Erstattungsanspruch. Umgekehrt kann ein materieller Erstattungsanspruch aufgrund einer Überzahlung auf eine zunächst zu niedrig festgesetzte Steuer bei einer entsprechenden Festsetzung der Steuer (Erhöhung auf die objektiv geschuldete Steuer) entfallen.
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO besteht nicht nur, wenn die Leistung von vorne herein ohne Rechtsgrund erfolgte. § 37 Abs. 2 AO gilt auch dann, wenn der Rechtsgrund später weggefallen ist. Der Rechtsgrund für eine Steuerzahlung kann z. B. wegfallen, wenn die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerschuldners geändert wird oder wenn die (bereits gezahlte) Steuer erlassen wird.
b) Erstattungsverpflichteter
Erstattungsverpflichteter ist der Empfänger der ursprünglichen Leistung, die ohne Rechtsgrund erfolgt war oder deren Rechtsgrund nachträglich entfallen ist. Erfolgte diese Leistung an einem Dritten, der tatsächlich nur Vertreter oder Bote des materiell-rechtlich Erstattungs- oder Vergütungsberechtigten war, leistete der Schuldner an ihn nur als Stellvertreter des Berechtigten; folglich ist der Vertreter oder Bote auch nicht Leistungsempfänger i. S. des § 37 Abs. 2 AO. Leistungsempfänger bleibt auch in diesen Fällen der Vertretende bzw. der Auftraggeber, da der Schuldner der Leistung an ihn mit schuldbefreiender Wirkung leisten wollte. Gleiches gilt im Fall einer wirksamen Zahlungsanweisung des Erstattungs- oder Vergütungsberechtigten.
Ein Dritter ist als tatsächlicher Empfänger der rechtsgrundlosen oder rechtgrundlos gewordenen Zahlung allerdings dann Leistungsempfänger i. S. des § 37 Abs. 2 AO und damit zur Rückzahlung verpflichtet, wenn das Finanzamt an ihn eine Steuererstattung oder Vergütung in der irrigen Annahme ausgezahlt hat, er sei vom Rechtsinhaber ermächtigt, für diesen Zahlungen entgegen zu nehmen. Das gilt entsprechend bei Anweisungen an eine Bank, wenn der angebliche Kunde bei der Bank kein Konto unterhält.
c) Erstattungsberechtigter
Erstattungsberechtigter ist derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung geleistet worden ist, auch wenn ein Dritter die Zahlung tatsächlich geleistet hat. Es kommt nicht darauf an, von wem oder mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte. Eine spätere Interpretation des Willens des Zahlenden ist nicht zulässig (vgl. , BStBl 1995 II S. 492, m. w. N.).
Personen, die nach § 44 AO Gesamtschuldner sind, sind nicht Gesamtgläubiger eines Erstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO. Erstattungsberechtigter ist nur der Gesamtschuldner, auf dessen Rechnung die Zahlung erfolgt ist. Da jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung schuldet, ist grds. davon auszugehen, dass der Zahlende nur seine eigene Schuld tilgen wollte. Nur wenn erkennbar für gemeinsame Rechnung aller Gesamtschuldner geleistet werden sollte, sind alle Gesamtschuldner anteilig erstattungsberechtigt.
Zusammenveranlagte Ehegatten sind demzufolge keine Gesamtgläubiger. Im Streitfall bzw. bei einer Aufrechnung gegen Steuerschulden nur eines Ehegatten oder der Pfändung des Erstattungsanspruchs nur eines Ehegatten muss ermittelt werden, in welchem Umfang jeder Ehegatte einen individuellen Erstattungsanspruch hat. Unerheblich ist, in der Person welches Ehegatten ein für die Steuererstattung ursächlicher Steuerermäßigungstatbestand verwirklicht worden ist. Führt die Zusammenveranlagung z. B. zur Erstattung einbehaltener Lohnsteuer, ist nur derjenige Ehegatte erstattungsberechtigt, von dessen Arbeitslohn die Lohnsteuer einbehalten wurde; denn diese Steuer ist für seine Rechnung an das Finanzamt abgeführt worden. Haben beide Ehegatten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen, von denen Lohnsteuer einbehalten wurde, ist die Aufteilung des Erstattungsanspruchs im Verhältnis des jeweiligen Lohnabzugs des Ehegatten zum Gesamtabzug durchzuführen. Dabei sind die einzelnen Steuerabzugsbeträge getrennt zu betrachten, so dass jeweils die Lohnsteuern, die Kirchensteuern und die Solidaritätszuschläge, die für die Ehegatten einbehalten wurden, einzeln zueinander ins Verhältnis zu setzen sind.
Bei der Rückforderung einer Steuervergütung oder Steuererstattung (oder der Erstattung eines anderen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis), die ohne rechtlichen Grund geleistet worden ist,ist Erstattungsberechtiger die zuständige Finanzbehörde, Erstattungspflichtiger ist derjenige, der die fragliche Leistung erhalten hat. Hat z. B. ein Dritter durch eine Fehlüberweisung ohne Rechtsgrund eine Steuererstattung erhalten, schuldet er diese nach § 37 Abs. 2 AO der Finanzbehörde; der Steuerschuldner kann hierfür nicht in Anspruch genommen werden. Entsprechendes gilt, wenn die Finanzbehörde einem Dritten aufgrund einer unwirksamen (z. B. gefälschten) Abtretungsanzeige die dem Steuerschuldner zustehende Steuererstattung ausgezahlt hat. Der Dritte kann durch einen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsbescheid in Anspruch genommen werden.
d) Besonderheiten im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung
Bei einer Abtretung, Verpfändung oder Pfändung geht das Recht auf Geltendmachung einer Steuererstattung auf den Empfänger der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung über. Die Finanzbehörde darf folglich an den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner nicht mehr zahlen. Leistet die Finanzbehörde dennoch an den Steuerschuldner, ist dieser nach § 37 Abs. 2 AO verpflichtet, die Leistung wieder an die Finanzbehörde zu erstatten.
Hat die Finanzbehörde im Fall einer Abtretung, Verpfändung oder Pfändung an den Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger geleistet, ohne dass ein Rechtsgrund für die Leistung bestand (oder fiel der Rechtsgrund später weg), richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO an den Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger. Der Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger kann durch einen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsbescheid in Anspruch genommen werden. Unerheblich ist dabei, ob die Abtretung, Verpfändung oder Pfändung zivilrechtlich oder steuerrechtlich wirksam war. Beruht der nachträgliche Wegfall des Rechtsgrunds auf einer Korrektur der bisherigen Steuerfestsetzung, ist der Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger nicht anfechtungsbefugt, da er nur hinsichtlich des Zahlungsanspruchs in die Rechtsstellung des Abtretenden, Verpfänders oder Pfändungsschuldners getreten ist.
Im Fall einer wirksamen Abtretung, Verpfändung oder Pfändung richtet sich der Erstattungsanspruch nicht nur gegen den Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger, sondern nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO auch gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner. Beide Personengruppen sind damit Gesamtschuldner der Rückforderung. Die Finanzbehörde hat ein Auswahlermessen, welcher der Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch genommen wird. Regelmäßig ist aber der Abtretende, Verpfänder oder Pfändungsschuldner nur nachrangig in Anspruch zu nehmen. Von Bedeutung ist dies z. B., wenn bei einem ursprünglichen Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit eines Umsatzes der Erwerber seinen Vorsteuervergütungsanspruch an den Veräußerer abgetreten hat und später der Verzicht auf die Steuerfreiheit rückgängig gemacht wird, so dass der an den Abtretungsempfänger ausgezahlte Vorsteuervergütungsanspruch zurückgefordert wird.
e) Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
Der Erstattungsanspruch ist entweder im Rahmen der Abrechnung eines ggf. geänderten Steuerbescheids oder durch einen Rückforderungsbescheid bzw. durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO geltend zu machen. Ein Abrechnungsbescheid muss insbesondere ergehen, wenn der Rückforderungsanspruch gegen einen Abtretungsempfänger, Pfand- oder Pfändungsgläubiger der zu Unrecht geleisteten Zahlung gerichtet wird.
Die Rückforderung zu Unrecht erstatteter Steuern oder geleisteter Steuererstattungen/-vergütungen ist die logische, grds. durch das öffentliche Interesse an der gesetzmäßigen Verwaltung öffentlicher Abgaben gebotene Folge der Feststellung, dass die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Von der Rückforderung kann nur abgesehen werden, wenn die Interessen des Rückforderungsschuldners dieses öffentliche Interesse überwiegen. § 818 Abs. 3 BGB („Wegfall der Bereicherung”) ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar und enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch bei einer Rückforderung zu Unrecht erstatteter Steuern zu berücksichtigen ist.
Der Empfänger einer Geldleistung des Finanzamts darf mit dieser nicht, solange er deren Rechtsgrundlosigkeit nicht positiv kennt (§ 819 BGB), nach Belieben verfahren, ohne fürchten zu müssen, sie unter Umständen zurückerstatten zu müssen, sondern kann die ihm gewährte Leistung nur dann ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit endgültig behalten, wenn ihn ungeschriebene Rechtsgrundsätze wie Treu und Glauben und der Grundsatz des Vertrauensschutzes (ausnahmsweise) vor einer Rückforderung bewahren. Erforderlich sind dazu besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (, BStBl 2004 II S. 123). Zeitablauf allein reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grds. nicht aus. Hinzukommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle. Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben.
Tz. 51 Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
Von der Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu unterscheiden sind
die Festsetzung des Anspruchs durch Steuerbescheid (§§ 155 ff. AO),
die Fälligkeit des Anspruchs (§ 220 AO) sowie
die Verwirklichung des Anspruchs im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren (§§ 218 ff., §§ 249 ff. AO).
Der Steueranspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Tatbestand verwirklicht wird, an den das Gesetz eine bestimmte Leistungspflicht knüpft, soweit nicht im Gesetz eine abweichende Regelung getroffen worden ist (vgl. z. B. § 36 Abs. 1 EStG, § 48 KStG, § 13 Abs. 1 UStG, § 18 GewStG, § 9 Abs. 2 GrStG, § 9 ErbStG). Tatbestand ist die Gesamtheit aller in den materiellen Steuerrechtsvorschriften (einschl. der §§ 39–42 AO sowie der §§ 51 ff. AO) geregelten abstrakten Voraussetzungen, die im Einzelfall gegeben sein müssen, damit die vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge eintritt. Steuer entsteht folglich dann, wenn der konkrete Sachverhalt alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erfüllt. Das Entstehen des Steueranspruchs ist unabhängig vom Willen des Steuerschuldners, aber auch der Finanzbehörde, soweit der Tatbestand nicht ausnahmsweise subjektive Elemente enthält.
Ist die Steuer durch Tatbestandsverwirklichung entstanden, kann der Sachverhalt grds. nicht mehr mit Rückwirkung neu gestaltet werden, es sei denn, dies ist ausnahmsweise gesetzlich zugelassen. Davon zu unterscheiden sind rückwirkende Ereignisse i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO. Bei bilanziellen Wahlrechten, Bedingungen, Befristungen oder antragsabhängigen Steuervergünstigungen wird nicht nachträglich der Tatbestand geändert, sondern lediglich eine andere (gesetzlich alternativ zugelassene) Rechtsfolge gezogen. Gesetzliche Änderungen des Tatbestands sind nur möglich, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende Gesetzesänderung vorliegen.
Entsprechendes gilt für den Steuervergütungsanspruch, den Steuererstattungsanspruch oder einen Anspruch auf steuerliche Nebenleistungen. Der Anspruch auf Erstattungszinsen nach § 233a AO entsteht mit der Steuerfestsetzung, die zu dem eine Erstattung auslösenden Unterschiedsbetrag i. S. des § 233a Abs. 1 AO führt. Der Haftungsanspruch entsteht, sobald der Tatbestand der Haftungsnorm erfüllt ist, jedoch nicht vor Entstehen der zugrunde liegenden Primärschuld.
Der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die den materiell-rechtlichen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis übersteigende Leistung erbracht wurde oder der rechtliche Grund für die Leistung entfallen ist.
Vergleiche über Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind wegen der – auch verfassungsrechtlich gebotenen – Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung unzulässig. Ausnahmsweise zulässig sind aber Verständigungen über schwierig zu ermittelnde Sachverhalte (tatsächliche Verständigungen).
Der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zum Entstehen oder Erlöschen. Er kann allenfalls das Steuerrechtsverhältnis modifizieren und verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann.
An die Entstehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind verschiedene verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Folgen geknüpft. So ist z. B. die Abtretung eines Erstattungsanspruchs nur wirksam, wenn er nach Entstehung des Anspruchs der Finanzbehörde angezeigt wurde (§ 46 Abs. 2 AO); so beginnt z. B. die Steuerfestsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
Von der steuerrechtlichen Entstehung eines Steueranspruchs zu unterscheiden ist aber die insolvenzrechtliche Begründetheit.
Tz. 52 Zurechnung
a) Allgemeines
§ 39 AO enthält eine allgemeine Regelung über die steuerliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern. Diese Regelung, insbesondere die Regelung über wirtschaftliches Eigentum, kann allerdings durch abweichende Bestimmungen in den Einzelsteuergesetzen verdrängt werden (dies gilt insbesondere für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Grunderwerbsteuer und andere Verkehrsteuern). Sie gilt auch nicht für die Zwangsvollstreckung. Die Regelung betrifft allein Wirtschaftsgüter, nicht Einkünfte oder Umsätze. Deren Zurechnung richtet sich nach dem materiellen Steuerrecht, z. B. dem EStG oder dem UStG.
Der Begriff des Wirtschaftsguts wird in § 39 AO nicht definiert. Seine Definition richtet sich deshalb nach §§ 4 ff. EStG und damit mittelbar nach dem im Handelsrecht verwendeten Begriff des Vermögensgegenstands. Wirtschaftsgüter sind danach Sachen und Rechte, aber auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt und die nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich sind. Sachen, die nach dem bürgerlichen Recht eine Einheit bilden (ungeteilte Sachen), können steuerlich mehrere Wirtschaftsgüter sein.
b) Zurechnung zum zivilrechtlichen Eigentümer
§ 39 Abs. 1 AO enthält den allgemeinen Grundsatz, dass Wirtschaftsgüter dem zivilrechtlichen Eigentümer auch steuerlich zuzurechnen sind. Dieser Grundsatz wird aber durch die Regelungen in Absatz 2 verdrängt, die sich mit der Frage des wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) und der Zurechnung bei Gesamthandsgemeinschaften (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO) befassen.
c) Zurechnung zum wirtschaftlichen Eigentümer
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO enthält eine Legaldefinition des wirtschaftlichen Eigentums: Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat oder ein Herausgabeanspruch überhaupt nicht besteht.
Ob diese Voraussetzungen zutreffen, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls zu bestimmen. Entscheidend ist, inwieweit der zivilrechtliche Eigentümer noch auf das Wirtschaftsgut einwirken oder darüber sogar verfügen kann. Unerheblich ist dagegen, ob der wirtschaftliche Eigentümer letztlich wie ein zivilrechtlicher Eigentümer verfügen kann (z. B. bei Grundstücken). Der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers hat zudem nur dann keine wirtschaftliche Bedeutung, wenn die Einwirkungs- und Verfügungsbefugnisse des zivilrechtlichen Eigentümers während der gesamten gewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts beschränkt sind.
Der schuldrechtlich oder dinglich Nutzungsberechtigte (z. B. ein Mieter oder Pächter) hat i. d. R. kein wirtschaftliches Eigentum an dem ihm zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgut. Gleiches gilt für das eigentumsähnliche Dauerwohnrecht (§ 31 WEG) oder ein vergleichbar ausgestaltetes schuldrechtliches Dauerwohnungsrecht. Trägt der Nutzungsberechtigte aber statt des zivilrechtlichen Eigentümers die Kosten der Anschaffung oder Herstellung einer von ihm selbstgenutzten Wohnung, ist er dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn ihm auf Dauer, nämlich für die voraussichtliche Nutzungsdauer der Wohnung, Substanz und Ertrag der Wohnung wirtschaftlich zustehen ( NWB JAAAC-47290). Das ist u. a. der Fall, wenn ihm für den Fall der Nutzungsbeendigung ein Anspruch auf Ersatz des vollen Verkehrswerts der Wohnung gegen den zivilrechtlichen Eigentümer zusteht. Ein (vertraglicher) Anspruch auf Entschädigung nur in Höhe des „Verkehrswertes des Dauernutzungsrechts” reicht nicht aus.
Nießbrauch an einem Grundstück führt allein nicht zu wirtschaftlichem Eigentum des Nießbrauchberechtigten. Der Vorbehaltsnießbraucher ist nur dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn sich seine rechtliche oder tatsächliche Stellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks von der normalen – lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden – Position eines Nießbrauchers so deutlich unterscheidet, dass er die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchsbelastete Grundstück ausübt (vgl. , BStBl 2000 II S. 653).
Wer ein selbst genutztes Einfamilienhaus auf fremdem Grund für eigene Rechnung errichtet, ist wirtschaftlicher Eigentümer des Gebäudes, wenn ihm
für den Fall der Nutzungsbeendigung ein Anspruch auf Ersatz des Verkehrswertes des Gebäudes zusteht; ein solcher Anspruch kann sich aus einer vertraglichen Vereinbarung oder aus dem Gesetz, insbesondere aus Bereicherungsrecht, ergeben (, BStBl 2002 II S. 281).
aufgrund eindeutiger, vor Bebauung getroffener Vereinbarung ein Nutzungsrecht für die voraussichtliche Nutzungsdauer des Gebäudes zusteht (, BStBl 1998 II S. 97).
Dementsprechend ist wirtschaftliches Miteigentum am Wohnobjekt gegeben, wenn die Alleineigentümerin eines unbebauten Grundstücks dort mit ihrem späteren Ehemann nach Einräumung eines dauernden Mitnutzungsrechts ein Einfamilienhaus errichten lässt, dessen Herstellungskosten beide je zur Hälfte tragen. Errichten die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemeinsam ein Einfamilienhaus auf einem Grundstück, das zivilrechtlich im Eigentum nur eines Partners steht, kann auch der andere wirtschaftlicher Miteigentümer sein, wenn ihm für den Fall des Scheiterns der Lebensgemeinschaft nach zivilrechtlichen Grundsätzen ein Ausgleichsanspruch gegen den zivilrechtlichen Eigentümer in Höhe des hälftigen Verkehrswerts des Gebäudes zusteht (BFH, Urteil v 18. 7. 2001 - X R 15/01, BStBl 2002 II S. 278).
Bei einem Leasing-Vertrag kommt es darauf an, ob der Leasing-Nehmer bei normalem Vertragsverlauf den Leasing-Geber für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann. Vgl. dazu im Einzelnen , BStBl 1971 I S. 264.
Bei der Veräußerung eines Wirtschaftsguts (z. B. auch eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft) ist ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber bereits dann anzunehmen, wenn der Erwerber
aufgrund eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und
die mit dem Wirtschaftsgut verbundenen wesentlichen Rechte sowie
das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
Eine vom Zivilrecht abweichende Zuordnung des Wirtschaftsguts erfordert dabei nicht in jedem Einzelfall die Erfüllung der vorstehend genannten Voraussetzungen in vollem Umfang. Zu berücksichtigen ist, dass es nicht auf die äußere rechtliche Gestaltung ankommt, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse, also auf das wirtschaftlich Gewollte und tatsächlich auch Bewirkte (, BStBl 2007 II S. 296, m. w. N.).
Nur in Ausnahmefällen kann der Veräußerer eines Wirtschaftsguts trotz Übergangs des zivilrechtlichen Eigentums auf den Erwerber doch wirtschaftlicher Eigentümer bleiben. Schuldrechtliche Veräußerungsverbote allein, auch wenn sie durch eine Auflassungsvormerkung gesichert sind, hindern nämlich nicht, dass das betroffene Wirtschaftsgut dem rechtlichen Eigentümer zuzurechnen ist. Denn weder aufgrund eines vorbehaltenen Nutzungsrechts noch aufgrund eines schuldrechtlichen Veräußerungsverbots kann der Nießbraucher ähnlich einem Eigentümer über die Substanz des Grundstücks verfügen. Auch ein zusätzlich vertraglich vereinbartes Rückforderungsrecht im Falle des Vorversterbens der übernehmenden Person hängt vom Eintritt eines künftigen Ereignisses und von der Ausübung eines sodann bestehenden Rechts ab und ist daher – abhängig von diesen Eventualitäten – nicht geeignet, dem Nießbraucher die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück zu vermitteln. Wirtschaftliches Eigentum des Veräußerers ist aber anzunehmen, wenn die Eigentumsübertragung (z. B. Schenkung) nur formal erfolgte, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Wirtschaftsgüter auf deren gewöhnliche Nutzungsdauer aber beim früheren Eigentümer verblieben sind.
Erwerbsoptionen allein sind nur dann geeignet, die Annahme wirtschaftlichen Eigentums des Berechtigten zu begründen, wenn nach dem typischen und für die wirtschaftliche Beurteilung maßgeblichen Geschehensablauf tatsächlich mit einer Ausübung des Optionsrechts gerechnet werden kann.
d) Zurechnung bei Treuhandverhältnissen, bei Sicherungseigentum und Eigenbesitz
Bei Treuhandverhältnissen sind die Wirtschaftsgüter nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO dem Treugeber, bei Sicherungseigentum dem Sicherungsgeber und bei Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen. Es handelt sich hierbei um Fälle, in denen nach dem Gesetz ausdrücklich wirtschaftliches Eigentum vorliegt.
Der Treuhänder tritt zwar im Außenverhältnis wie der Eigentümer des Wirtschaftsguts auf, im Innenverhältnis ist seine Rechtsstellung aber dahingehend eingeschränkt, dass er seine Rechte nur im Interesse des Treugebers ausüben darf. Maßgebend sind dabei die Regelungen der Treuhandverträge, die regelmäßig Bestimmungen zur Weisungsbefugnis des Treugebers, zur Pflicht des Treuhänders zur Abrechnung seines Handelns gegenüber dem Treugeber und zum Recht des Treugebers auf Rückübertragung des Wirtschaftsguts enthalten. Gegenstand der Treuhandabrede muss eine Unterordnungs- oder Beherrschungssituation sein, die das rechtliche Eigentum zur „leeren Hülle” werden lässt.
Ein Treuhandverhältnis ist dabei steuerlich nur wirksam, wenn es eindeutig vereinbart und vereinbarungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. dazu , BStBl 2001 II S. 468). Also muss der Treugeber das Treuhandverhältnis rechtlich und tatsächlich beherrschen, ansonsten ist er nicht wirtschaftlicher Eigentümer i. S. des § 39 AO. Dazu muss eine klare Trennung zwischen dem Eigenvermögen des Treuhänders und dem Treugut bestehen, es muss also deutlich erkennbar sein, dass der Treuhänder im Interesse des Treugebers handelt.
Diese Grundsätze gelten sowohl für die Übertragungstreuhand (das Wirtschaftsgut geht aus dem Vermögen des Treugebers auf den Treuhänder über),die Erwerbstreuhand (das Wirtschaftsgut wird vom Treuhänder für Rechnung des Treugebers erworben) und die Vereinbarungstreuhand (das Wirtschaftsgut war bereits im Eigentum des Treuhänders und wird von ihm dann vereinbarungsgemäß als Treugut für den Treugeber verwaltet).
Unerheblich ist, ob das Treuhandverhältnis im Außenverhältnis offen oder verdeckt ist. Der Treuhänder muss auf Verlangen des Finanzamts nachweisen, wem das Wirtschaftsgut wirtschaftlich zuzurechnen ist. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, ist das Wirtschaftsgut dem Treuhänder zuzurechnen (§ 159 Abs. 1 AO).
Sicherungsübereignung ist ein besitzloses Pfandrecht. Diese Übereignung vermittelt zwar formal zivilrechtliches Eigentum des Sicherungsnehmers, allerdings darf das Sicherungsgut grds. nicht ohne Zustimmung des Sicherungsgebers veräußert werden. Hat der Sicherungsgeber die tatsächliche Sachherrschaft über das Wirtschaftsgut und darf es vom Sicherungsnehmer nicht veräußert werden, solange der Sicherungsgeber seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt, ist der Sicherungsgeber wirtschaftlicher Eigentümer des nur zur Sicherung übereigneten Wirtschaftsguts. Ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Sicherungsnehmer tritt dann erst ein, wenn der Sicherungsfall eintritt.
Eigentum und tatsächliche Sachherrschaft (Besitz) eines Wirtschaftsguts können auseinander fallen. Eigenbesitzer ist dabei, wer die Sachherrschaft über eine Sache so ausübt, als sei er zugleich deren Eigentümer (vgl. § 872 BGB). Der Fremdbesitzer übt die Sachherrschaft über eine Sache in Anerkennung des fremden Eigentums aus. Der Eigenbesitzer ist wirtschaftlicher Eigentümer eines Wirtschaftsguts, wenn die Eigentümerstellung des zivilrechtlichen Eigentümers nur formal erscheint. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO ist ein Wirtschaftsgut z. B. demjenigen zuzurechnen, der sie als vermeintlicher Eigentümer in Unkenntnis der Unwirksamkeit der Übereignung besitzt, und demjenigen, der sich den Eigenbesitz durch Diebstahl oder Untreue verschafft hat.
e) Zurechnung bei Gesamthandseigentum
Gesamthandsgemeinschaften sind
GbR (§§ 705 ff. BGB),
Partnerschaftsgesellschaft,
OHG (§§ 105 ff. HGB),
KG (§§ 161 ff. HGB),
eheliche Gütergemeinschaft ( §§ 1415 ff. BGB),
fortgesetzte Gütergemeinschaft (§§ 1483 ff. BGB) und
Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff.).
In dieses Fällen steht ein Sondervermögen allen Gesamthändern gemeinschaftlich zu. Der Gesamthänder besitzt dabei keinen Anteil an den einzelnen Gegenständen dieses Vermögens; auch die Anteile der Gesamthänder am Gesamthandsvermögen sind nicht nach Bruchteilen festgelegt.
Soweit für Zwecke der Besteuerung nach Maßgabe der Einzelsteuergesetze eine anteilige Zurechnung erforderlich ist, fingiert § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO eine Beteiligung der Gesamthänder an den Wirtschaftsgütern nach Bruchteilen. Nach welchem Schlüssel die Anteile der Gesamthänder zu bestimmen sind, bestimmt sich nach dem materiellen Steuerrecht sowie den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen über die Gesamthandsgemeinschaft.
Einer Aufspaltung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO bedarf es nicht, wenn die Gesamthandsgemeinschaft selbst die Steuer schuldet (z. B. bei der Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer). Die getrennte Zurechnung ist für die Besteuerung deshalb nur dann erforderlich, wenn die Gesamthandsgemeinschaft den Besteuerungstatbestand erfüllt, ohne Schuldnerin der Steuer zu sein. Bei der Ermittlung des Anteils eines Gesamthänders am Gewinn einer Mitunternehmerschaft hat allerdings § 15 Abs. 2 Nr. 2 EStG i. V. mit den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4, 5 EStG Vorrang vor § 39 AO.
Tz. 53 Gesetz- oder sittenwidriges Verhalten
Das Steuerrecht stellt bei der Beurteilung von Sachverhalten und Rechtsgeschäften grds. auf das wirtschaftliche Ergebnis ab, unabhängig davon, ob dieses Verhalten (sei es durch Tun, Dulden oder Unterlassen) bzw. die wirksam getätigten Rechtsgeschäfte von der Rechtsordnung anerkannt oder missbilligt werden oder nicht. Ein unzulässiges oder von der Allgemeinheit missbilligtes Verhalten soll nicht auch noch dadurch begünstigt werden, dass es nicht besteuert wird. Trotz bürgerlich-rechtlicher Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (z. B. wegen Wuchers, § 138 BGB) können aus dem wirksam getätigten Rechtsgeschäft die regulären steuerrechtlichen Folgerungen gezogen werden. Gleiches gilt für Verstöße gegen gesetzliche, gerichtliche oder behördliche Veräußerungsverbote (§§ 135, 136 BGB). Auch die Strafbarkeit des Handelns des Steuerpflichtigen ist nach § 40 AO für die Besteuerung ohne Bedeutung.
Wenn es für die Besteuerung unerheblich ist, ob ein tatbestandsmäßiges Verhalten gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, bedeutet dies zwar hauptsächlich, dass dem Steuerpflichtigen hinsichtlich der Besteuerung eine Berufung auf die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens verwehrt ist, doch ist es angesichts der allgemeinen Fassung der Vorschrift und des mit dieser verfolgten Zwecks der wertungsindifferenten Besteuerung grds. auch geboten, die Wirkungen begünstigender Steuerrechtsnormen ohne Rücksicht auf die Verbotswidrigkeit tatbestandsmäßigen Verhaltens eintreten zu lassen. Daher sind Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Vorsteuerbeträge grds. auch dann abziehbar sind, wenn sie im Zusammenhang mit gesetz- oder sittenwidrigem Verhalten stehen.
Steuerlich zu berücksichtigen sind hiernach z. B. der Aufwand für Schwarzhandel, Werbungskosten von Prostituierten, Aufwendungen eines Schwarzarbeiters oder Kosten, die ein Hehler für den Erwerb von Diebesgut aufzuwenden hat. Auch Strafverteidigungskosten sind dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist (vgl. z. B. , BStBl 2008 II S. 223, m. w. N.). Die Annahme von Erwerbsaufwendungen setzt allerdings in allen Fällen voraus, dass die die Aufwendungen auslösenden schuldhaften Handlungen noch im Rahmen der betrieblichen oder beruflichen Aufgabenerfüllung liegen und nicht auf privaten, den betrieblichen oder beruflichen Zusammenhang aufhebenden Umständen beruhen. Ein Abzug ist nicht möglich, wenn die strafbaren Handlungen mit der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen nur insoweit im Zusammenhang stehen, als diese eine Gelegenheit zu einer Straftat verschafft. Eine erwerbsbezogene Veranlassung wird auch aufgehoben, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat.
Allerdings dürfen nach § 12 Nr. 4 EStG, der § 40 AO insoweit vorgeht, in einem Strafverfahren festgesetzte Geldstrafen, sonstige Rechtsfolgen vermögensrechtlicher Art, bei denen der Strafcharakter überwiegt, und Leistungen zur Erfüllung von Auflagen oder Weisungen, soweit die Auflagen oder Weisungen nicht lediglich der Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens dienen, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden.
Bei Steuervergünstigungen mit Subventionscharakter darf gesetz- oder sittenwidriges Verhalten ebenfalls nicht zusätzlich durch steuerliche „Sozialzwecknormen” gefördert werden. Wohnungen, Ausbauten oder Erweiterungen, die entgegen den baurechtlichen Vorschriften ohne Baugenehmigung errichtet wurden, sind daher nicht steuerlich begünstigt; eine nachträglich erteilte Baugenehmigung berechtigt nur für die Zukunft zur Inanspruchnahme der – mittlerweile aufgehobenen – Steuerbegünstigung nach § 10e EStG (, BStBl 1999 II S. 598).
Für Zölle und Einfuhrumsatzsteuer wird § 40 AO durch Art. 212 Satz 1 Zollkodex verdrängt, wonach eine Zollschuld grds. auch dann entsteht, wenn die Einfuhr Waren betrifft, für die Verbote oder Beschränkungen bestehen. Abweichend von diesen Grundsätzen hatte der EuGH wiederholt entschieden, dass beim Schmuggel von harten Drogen kein Wertzoll bzw. keine Einfuhrumsatzsteuer anfällt und dass bei unerlaubter Lieferung von Haschisch und von Amphetaminen innerhalb eines Mitgliedstaats keine Umsatzsteuer anfällt. Gleiches gilt für Falschgeld. Diese Rechtsprechung wurde in Art. 212 Satz 2 Zollkodex festgeschrieben.
Tz. 54 Unwirksame Rechtsgeschäfte, Scheingeschäfte und Scheinhandlungen
§ 41 AO ist (wie auch §§ 39, 40 und 42 AO) Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Steuerrechts. Die steuerlichen Folgen von Rechtsgeschäften und Sachverhalten sollen sich nicht rein formal an den rechtlichen, sondern an den tatsächlichen Gegebenheiten orientieren. § 41 AO gilt sowohl für Fälle, in denen sich die wirtschaftliche Durchführung eines unwirksamen Geschäfts steuererhöhend auswirkt, wie auch im umgekehrten Fall, wenn die Durchführung des Geschäfts steuermindernd wirkt.
a) Unwirksame Rechtsgeschäfte
Für die Besteuerung ist es nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO unerheblich, dass ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder rückwirkend (ex tunc) unwirksam wird, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Beteiligte i. S. des § 41 Abs. 1 AO sind nicht nur die Beteiligten nach § 78 AO, sondern auch solche Personen, die durch Begünstigung oder Belastung an den Wirkungen eines unwirksamen Rechtsgeschäfts irgendwie teilhaben.
Abweichende Regelungen in den Steuergesetzen gehen allerdings vor (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AO). So gilt § 41 Abs. 1 AO nicht, wenn die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Geschäfts Tatbestandsvoraussetzung des Steuergesetzes ist.
§ 41 Abs. 1 AO ist bei Verträgen unter nahen Angehörigen nur mit Einschränkungen anzuwenden. Ein zunächst formunwirksamer Vertrag zwischen nahen Angehörigen ist nur dann von vornherein steuerlich anzuerkennen, wenn aus den besonderen übrigen Umständen des konkreten Einzelfalls ein ernsthafter Bindungswillen der Angehörigen zweifelsfrei abgeleitet werden kann. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn den Angehörigen aufgrund der bestehenden Rechtslage nicht anzulasten ist, dass sie die Formvorschriften zunächst nicht beachtet haben, und wenn sie zeitnah nach dem Auftauchen von Zweifeln alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrags herbeizuführen (, BStBl 2000 II S. 386)
Wird ein zivilrechtlich unwirksames Rechtsgeschäft von den Beteiligten als wirksam behandelt, ist der Steuertatbestand erfüllt und der Steueranspruch entstanden. Wird ein Rechtsgeschäft später unwirksam, wirkt dies aber nur für die Zukunft (ex nunc), bleibt der Steuertatbestand erfüllt. Auflösend bedingte Rechtsgeschäfte werden bei Eintritt der Bedingung nicht rückwirkend unwirksam. Ein später gefasster Entschluss, das unwirksame Rechtsgeschäft tatsächlich auch als unwirksam zu behandeln, hat daher auf die Erfüllung des Steuertatbestands keinen Einfluss mehr; er kann sich nur für die Zukunft auswirken (, HFR 1997 S. 610). Unter Umständen kann dies aber ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellen.
So ist z. B. der als Zins eines bestimmten Kapitals vereinbarte Betrag auch dann im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen, wenn die vermeintliche zivilrechtliche Rechtsgrundlage nicht besteht. Maßgeblich ist auch insoweit die tatsächliche Handhabung der Beteiligten. Der Zufluss eines Geldbetrags im Falle dessen bloßer Gutschrift in den Büchern des Schuldners setzt zwar im Regelfall voraus, dass insoweit eine eindeutige und unbestrittene Leistungsverpflichtung des Schuldners besteht, diesem also insbesondere kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (vgl. , BStBl 1994 II S. 632). Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich der Schuldner erkennbar auf zivilrechtliche Einwendungen und Einreden gegen die Forderung des Gläubigers nicht berufen will.
b) Scheingeschäfte und Scheinhandlungen
§ 41 Abs. 2 AO trifft eine Regelung für Scheingeschäfte, die nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig sind, und für Scheinhandlungen. § 41 Abs. 1 Satz 1 AO greift in diesen Fällen nicht, weil Scheingeschäfte nicht darauf angelegt sind, vollzogen zu werden.
Ein Scheingeschäft wird dadurch charakterisiert, dass die Vertragspartner das Rechtsgeschäft nicht ernstlich wollen. Mit Hilfe des Scheingeschäftes soll ein Tatbestand vorgespiegelt werden, der in Wirklichkeit weder gewollt ist noch tatsächlich besteht. Die Vertragspartner wollen einverständlich nur den äußeren Schein eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, jedoch die mit diesem Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht eintreten lassen.
Kein Scheingeschäft liegt vor, wenn die Vertragsparteien einen unzutreffenden Rechtsgrund vorgespiegelt oder die Art des Geschäfts falsch bezeichnet haben; in diesem Falle kann aber die Anwendung des § 42 AO (s. Tz. 55) in Betracht kommen. Bei einem nach den Grundsätzen des § 42 AO zu beurteilenden Umgehungsgeschäft wollen die Beteiligten gerade den Eintritt der mit der Erklärung verbundenen Rechtsfolgen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Wird eine als gewollt bezeichnete Rechtswirkung wirklich gewollt, sind daher unwahre Angaben im Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts nicht geeignet, dieses zum Scheingeschäft zu machen. Daher ist zu differenzieren, ob die Parteien zur Erreichung des mit dem Rechtsgeschäft erstrebten Erfolgs ein Scheingeschäft für genügend oder ein ernst gemeintes Geschäft für notwendig erachtet haben.
Eine Scheinhandlung i. S. des § 41 Abs. 2 AO verlangt ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der Beteiligten in Verwirklichung eines Gesamtplans. Eine Scheinhandlung liegt z. B. vor, wenn ein Zahlungsempfänger die ihm zugeflossenen Beträge in Verwirklichung eines gemeinsamen Gesamtplans alsbald dem Schuldner wieder zuwendet.
Tz. 55 Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten
Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entstehen würde. § 42 AO ist keine Blankettnorm, die dazu dient, Besteuerungslücken zu schließen. Die Regelung greift nur ein, wenn die gewählte Gestaltung nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweiligen steuerrechtlichen Vorschriften zu Grunde liegen, der Steuerumgehung dienen soll.
§ 42 AO ist auch keine Auslegungsnorm. Die Regelung kann folglich erst angewandt werden, wenn die Auslegungsmöglichkeiten der Steuernorm ausgeschöpft sind. Daher ist zunächst der von den Beteiligten tatsächlich vollzogene Sachverhalt festzustellen und mit den geltenden Auslegungsregeln steuerlich zu bewerten. Erst wenn die Auslegungsmöglichkeiten der Steuerrechtsnorm erschöpft sind, stellt sich die Frage eines Gestaltungsmissbrauchs.
Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ist zunächst zu prüfen, ob das im Einzelfall anzuwendende Einzelsteuergesetz für den vorliegenden Sachverhalt eine Regelung enthält, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient. Dies ist nach dem Wortlaut der Regelung und dem Sinnzusammenhang, nach der systematischen Stellung im Gesetz sowie nach der Entstehungsgeschichte der Regelung zu beurteilen. Liegt danach eine Regelung vor, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, gilt Folgendes:
Ist der Tatbestand der Regelung erfüllt, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift, nicht nach § 42 Abs. 2 AO. In diesem Fall ist unerheblich, ob auch die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 AO vorliegen.
Ist der Tatbestand der Regelung dagegen nicht erfüllt, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ein Missbrauch i. S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt.
Allein bereits das Vorliegen einer einzelgesetzlichen Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, schließt nämlich die Anwendbarkeit des § 42 Abs. 2 AO damit nicht aus. Sofern ein Missbrauch i. S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO).
Ein Missbrauch i. S. des § 42 Abs. 2 AO liegt vor, wenn
eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die den wirtschaftlichen Vorgängen nicht angemessen ist,
die gewählte Gestaltung beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem Steuervorteil führt,
dieser Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehenen ist und
der Steuerpflichtige für die von ihm gewählte Gestaltung keine außersteuerlichen Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.
Ob eine rechtliche Gestaltung unangemessen ist, ist für jede Steuerart gesondert nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweiligen maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen, zu beurteilen. Kein Steuerpflichtiger ist verpflichtet, den Sachverhalt so zu gestalten, dass ein Steueranspruch besteht. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung noch nicht unangemessen.
Eine Gestaltung ist aber insbesondere dann auf ihre Angemessenheit zu prüfen, wenn sie ohne Berücksichtigung der beabsichtigten steuerlichen Effekte unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint. Die Ungewöhnlichkeit einer Gestaltung begründet allein noch keine Unangemessenheit. Bei einer grenzüberschreitenden Gestaltung ist nach der Rechtsprechung des EuGH Unangemessenheit insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewählte Gestaltung rein künstlich ist und nur dazu dient, die im Inland geschuldete Steuer zu umgehen.
Bei der Prüfung, ob die gewählte Gestaltung zu Steuervorteilen führt, sind die steuerlichen Auswirkungen der gewählten Gestaltung mit der hypothetischen steuerlichen Auswirkung einer angemessenen Gestaltung zu vergleichen. Dabei sind auch solche Steuervorteile zu berücksichtigen, die nicht beim handelnden Steuerpflichtigen selbst, sondern bei Dritten eintreten. Dritte i. S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO sind nur solche Personen, die in einer gewissen Nähe zum Steuerpflichtigen stehen. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Beteiligten Angehörige des Steuerpflichtigen i. S. des § 15 AO oder persönlich oder wirtschaftlich mit ihm verbunden sind.
Der in § 42 Abs. 2 AO verwendete Begriff des „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils” ist nicht deckungsgleich mit dem „nicht gerechtfertigten Steuervorteil” i. S. des § 370 Abs. 1 AO. Steuervorteile i. S. des § 42 Abs. 2 AO sind daher nicht nur Steuervergütungen oder Steuererstattungen, sondern auch geringere Steueransprüche.
Der durch die gewählte Gestaltung begründete Steuervorteil ist insbesondere dann gesetzlich vorgesehen, wenn der Tatbestand einer Norm erfüllt ist, mit der der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten durch steuerliche Anreize fördern wollte. Erfüllt die gewählte Gestaltung den Tatbestand für die Inanspruchnahme einer vom Gesetzgeber gewollten Steuerbegünstigung oder eines anderen steuerlichen Vorteils, liegt auch dann kein Missbrauch i. S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn die gewählte Gestaltung unangemessen ist.
Nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AO kann der Steuerpflichtigen die bei Vorliegen des Tatbestands des § 42 Abs. 2 Satz 1 begründete Annahme eines Missbrauchs durch Nachweis außersteuerlicher Gründe entkräften. Die vom Steuerpflichtigen nachgewiesenen außersteuerlichen Gründe müssen allerdings nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sein. Sind die nachgewiesenen außersteuerlichen Gründe nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Vergleich zum Ausmaß der Unangemessenheit der Gestaltung und den vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Steuervorteilen nicht wesentlich oder sogar nur von untergeordneter Bedeutung, sind sie nicht beachtlich. In diesem Fall bleibt es bei der Annahme eines Missbrauchs nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO.
Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO ist als solcher nicht strafbar, sondern nur dann, wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern.
Weiterführende Hinweise zu § 42 AO n. F. s. Dörr/Baum, NWB F. 2 S. 9697.
Tz. 56 Steuerschuldner und Steuervergütungsgläubiger
Nicht die AO, sondern die einzelnen Steuergesetze bestimmen, wer Steuerschuldner oder Gläubiger einer Steuervergütung ist und ob ein Dritter die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat.
Steuerschuldner ist die Person, die eine Steuer aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu leisten hat und ggf. auch Vollstreckungsschuldner sein kann. In Abhängigkeit von den Einzelsteuergesetzen kann auch eine Personengesellschaft Steuerschuldnerin sein (z. B. bei Umsatzsteuer und Gewerbesteuer). Steuerschuldner ist auch eine Person, die Anspruch auf Erstattung einer Steuer hat (z. B. nach Überzahlung wegen zu hoher Vorauszahlungen oder zu hohem Steuerabzug); vgl. dazu auch § 37 Abs. 2 AO (Tz. 50).
Wird eine Steuer im Wege des Steuerabzugs erhoben, ist der Vergütungsgläubiger (z. B. Arbeitnehmer oder Kapitalanleger) weiterhin Steuerschuldner, während der Vergütungsschuldner Entrichtungsschuldner ist. Dessen Zahlungsschuld ist selbst kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, bei Nichterfüllung der Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung kann der Entrichtungsschuldner ggf. als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden.
Gläubiger einer Steuervergütung ist die Person, die in eigener Person diesen Anspruch geltend machen kann. Eine Steuervergütung liegt z. B. vor, wenn sich bei der Umsatzsteuer ein Überschuss der abziehbaren Vorsteuer über die zu entrichtende Umsatzsteuer ergibt. Vgl. auch die Steuervergütung nach § 4a UStG. Keine Steuervergütungen sind Prämien und Zulagen, die aus dem Steueraufkommen gezahlt werden (z. B. die Investitionszulage). Daher ordnet der Gesetzgeber in den jeweiligen Gesetzen grds. an, dass auf die jeweiligen Leistungen die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind
Tz. 57 Gesamtschuldner
a) Wesen der Gesamtschuldnerschaft
Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), kann der Gläubiger nach § 421 Satz 1 BGB die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teile fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Gesamtschuldner zur Leistung verpflichtet. Nach § 44 AO gelten die Prinzipien des § 421 BGB auch für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Anordnung der Gesamtschuldnerschaft zwischen mehreren Leistungsverpflichteten stärkt die Stellung des Steuergläubigers. Sie soll der Finanzbehörde eine möglichst rasche und sichere Realisierung ihres Anspruchs ermöglichen.
§ 44 AO gilt für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. dazu im Einzelnen § 37 AO) sowie für andere staatliche Ansprüche, auf die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anwendbar sind. § 44 AO hat allerdings nicht zur Folge, dass Gesamtschuldner Gesamtgläubiger sind.
Ob und ggf. inwieweit ein in Anspruch genommener Gesamtschuldner gegen die anderen Ausgleichsansprüche hat, bestimmt sich ausschließlich nach Zivilrecht. Soweit keine anderweitige gesetzliche Regelung besteht, die Gesamtschuldner nichts anderes vereinbart haben und aus den Umständen bei der Entstehung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung keine andere Verteilung abzuleiten ist, sind die Gesamtschuldner nach § 426 Abs. 1 BGB im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet.
b) Fallgruppen
Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind steuerrechtlich Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO). Personen i. S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 AO sind nicht nur natürliche oder juristische Personen, sondern auch sonstige steuerrechtsfähige Subjekte (vgl. dazu § 33 AO). Unerheblich ist auch, ob die betroffenen Personen miteinander verwandt oder anderweitig rechtlich oder wirtschaftlich verbunden sind.
Voraussetzung für die Annahme einer Gesamtschuld ist u. a., dass alle beteiligten Personen für die nämliche Leistung einzustehen haben. Nämlichkeit liegt z. B. vor, wenn es sich um die gleiche Steuerart für den gleichen Besteuerungszeitraum handelt, die gegenüber einer Person durch Tatbestandsverwirklichung entstanden ist. Unerheblich ist allerdings, worauf die Leistungspflicht der Beteiligten bezüglich dieser Leistung beruht.
In folgenden Fällen liegt danach eine steuerrechtliche Gesamtschuldnerschaft vor:
mehrere Personen verwirklichen gemeinsam denselben Steuertatbestand und schulden nebeneinander persönlich die dadurch entstandene Steuer (z. B. § 13 GrEStG, § 10 Abs. 3 GrStG, § 20 ErbStG);
neben dem Steuerschuldner haftet ein Dritter für dessen Steuerschuld;
mehrere Personen haften für dieselbe Steuerschuld eines Dritten;
mehrere Personen werden zusammen zur Steuer veranlagt (§§ 26, 26b EStG).
Eine steuerrechtliche Gesamtschuld wird aber nicht allein dadurch begründet, dass mehrere Personen gemeinschaftlich Einkünfte erzielen, die ggf. nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festgestellt werden. Denn die einheitlich festgestellten Einkünfte gehen in die Festsetzung der individuellen Steuerschuld der Feststellungsbeteiligten ein. § 44 AO greift in derartigen Fällen nur ausnahmsweise ein, soweit Feststellungsbeteiligte auch zusammen zur Steuer veranlagt werden.
Haften mehrere Personen gleichzeitig für dieselbe (nämliche) Leistung, sind sie steuerrechtlich unanhängig davon Gesamtschuldner, ob ihre Haftung auf Gesetz oder auf Vertrag und ob sie auf steuerrechtlichen oder sonstigen (z. B. zivilrechtlichen) Vorschriften beruht.
c) Umfang der Gesamtschuld
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung. Dabei kann die Finanzbehörde von allen Gesamtschuldnern die gesamte Leistung aber nur einmal verlangen.
Bei Zusammenveranlagung erstreckt sich die Gesamtschuldnerschaft nicht nur auf die festgesetzte Steuer, sondern grds. auch auf Säumniszuschläge (, BStBl 1995 II S. 487) und Verspätungszuschläge (, BStBl 1987 II S. 836), sofern diese steuerlichen Nebenleistungen gegen beide Eheleute entstanden bzw. festgesetzt worden sind. Entsprechendes gilt für die Festsetzung von Zinsen nach §§ 233 ff. AO. Die Gesamtschuldnerschaft von zusammenveranlagten Ehegatten ist auch bei Anwendung des § 173 AO hinsichtlich des groben Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln zu berücksichtigen (vgl. dazu , BStBl 1997 II S. 115).
d) Inanspruchnahme der Gesamtschuldner
Grds. steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde, ob sie ihre Forderung gegen einen, gegen mehrere oder gegen alle Gesamtschuldner gleichzeitig geltend macht. Es liegt auch in ihrem Ermessen, ob sie von dem einzelnen Gesamtschuldner die gesamte Leistung oder nur einen Teil ihres Anspruchs verlangt. Die Finanzbehörde braucht bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen, ob dem von ihr in Anspruch Genommenen interne Ausgleichsansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner zustehen oder ob die Beteiligten intern Vereinbarungen über die Rangfolge bei Erfüllung der Schuld getroffen haben.
Nach ihrem Ermessen kann die Finanzbehörde folglich entscheiden,
in welcher Reihenfolge sie die einzelnen Gesamtschuldner in Anspruch nimmt (Auswahlermessen),
ob sie die verschiedenen Gesamtschuldner in vollem Umfang oder nur anteilig in Anspruch nimmt und
ob Haftungsschuldner überhaupt in Anspruch genommen werden (Entschließungsermessen).
Bei ihrer Ermessensentscheidung muss die Finanzbehörde in erster Linie Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte berücksichtigen, zu denen vor allem die schnelle und sichere Realisierbarkeit des Steueranspruchs und dabei namentlich die Erreichbarkeit (, BStBl 1986 II S. 178) und die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Schuldner gehören. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Haftende grds. nur subsidiär zum Steuerschuldner in Anspruch genommen werden dürfen (vg. dazu § 219 AO).
Die Ermessensausübung ist nach den allgemeinen Regeln zu begründen (vgl. § 121 AO). Dabei muss aber nicht in jedem Fall auf die Existenz eines anderen Gesamtschuldners oder auf die ihm gegenüber getroffenen Maßnahmen hingewiesen werden (, BStBl 1984 II S. 784). Die Darlegung des Ermessens kann auch dann unterbleiben, wenn nach den offenkundigen Umständen des Einzelfalls nur die Inanspruchnahme von Haftungsschuldnern in Betracht kommt und die Finanzbehörde gleichzeitig gegen alle vorhandenen Haftungsschuldner vorgeht.
e) Bedeutung schuldbeeinflussender Umstände
§ 44 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO regelt, wie sich in der Person eines Gesamtschuldners eintretende Umstände auf die Position der übrigen Gesamtschuldner auswirken:
soweit ein Gesamtschuldner die Forderung durch Zahlung oder Aufrechnung erfüllt, wirkt dies zugleich schuldmindernd zugunsten der übrigen Gesamtschuldner;
soweit ein Gesamtschuldner eine Sicherheit für die geschuldete Leistung leistet, wirkt dies zugleich als Sicherheitsleistung der übrigen Gesamtschuldner.
Unerheblich ist dabei, ob der leistende Gesamtschuldner freiwillig oder im Vollstreckungsverfahren unter Zwang geleistet hat.
Die Befreiung der übrigen Gesamtschuldner bleibt grds. auch dann wirksam, wenn dem Leistenden das von ihm Geleistete später wieder erstattet wird. Das gilt allerdings nicht, wenn die Erstattung nur deshalb erfolgte, weil der Leistende – anders als zunächst angenommen – überhaupt kein Gesamtschuldner war.
Andere Tatsachen als Erfüllung, Aufrechnung und Sicherheitsleistung wirken nur für und gegen denjenigen Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO). So treten Festsetzungs- und Zahlungsverjährung gegenüber jedem beteiligten Gesamtschuldner nach den individuellen Umständen zu unterschiedlichen Umständen sein. Das damit bewirkte Erlöschen des Anspruchs gilt also nur gegen jeden Beteiligten individuell. Allerdings ist in diesem Zusammenhang § 191 Abs. 5 AO zu beachten. Auch auf eine mögliche Verwirkung kann sich nur der Gesamtschuldner berufen, bei dem die für den Eintritt der Verwirkung maßgeblichen Umstände eingetreten sind. Ebenso wirken eine abweichende Festsetzung nach § 163 AO, eine Stundung nach § 222 AO, ein Zahlungsaufschub nach § 223 AO, ein Erlass nach § 227 AO, ein Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO, eine Niederschlagung nach § 261 AO oder eine Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO nur gegenüber dem Gesamtschuldner, dem sie bewilligt wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erlassunwürdigkeit eines Gesamtschuldners einen Erlass zugunsten anderer Gesamtschuldner nicht ausschließt.
Die gegen die Gesamtschuldner bestehenden Ansprüche können ohne Einschränkungen nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 249 ff. AO) gegenüber jedem einzelnen Gesamtschuldner vollstreckt werden. Dabei bleiben die Vorschriften über die Aufteilung von Steuerschulden (§§ 268–280 AO) unberührt, was im Falle einer wirksamen Aufteilung der Steuerschuld zu einer Beschränkung der Vollstreckungsmöglichkeiten führt.
f) Steuerfestsetzung gegenüber Gemeinschuldnern
Unter den Voraussetzungen des § 155 Abs. 3 AO (z. B. zusammenveranlagte Ehegatten) können gegenüber Gesamtschuldnern zusammengefasste Steuerbescheide ergehen. Ist der eine Gesamtschuldner der Steuerschuldner und der andere Gesamtschuldner nur Haftungsschuldner, kann gegenüber dem Steuerschuldner nur ein Steuerbescheid und gegenüber dem Haftungsschuldner nur ein vom Steuerbescheid unabhängiger Haftungsbescheid ergehen (vgl. dazu § 191 AO).
Ein Haftungsbescheid darf nach § 191 Abs. 5 Satz 1 AO allerdings nicht mehr ergehen,
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Diese Einschränkung gilt allerdings nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat (§ 191 Abs. 5 Satz 2 AO).
Tz. 58 Gesamtrechtsnachfolge
a) Begriff
Der Begriff „Gesamtrechtsnachfolge” hat seinen Ursprung im Zivilrecht, wo er einen Vorgang beschreibt, in dem ein Rechtssubjekt erlischt und dessen gesamtes Vermögen ohne besonderen Übertragungsakt auf ein anderes Rechtssubjekt oder mehrere andere Rechtssubjekte übergeht. Der Vermögensübergang erfolgt nicht durch rechtsgeschäftliche Übertragung einzelner Gegenstände, sondern durch einheitlichen Rechtsakt. Die zivilrechtliche Definition gilt grds. auch bei Anwendung des § 45 AO, wobei es im Steuerrecht nicht auf die Rechtsfähigkeit, sondern auf die Steuerrechtsfähigkeit ankommt. Steuerliche Gesamtrechtsnachfolge kann deshalb auch im Verhältnis zu nicht rechtsfähigen, nur steuerrechtsfähigen Sondervermögen eintreten. Dagegen gehen bei Einzelrechtsnachfolge nur einzelne Rechtspositionen durch individuelle Rechtsakte auf den Rechtsnachfolger über.
Eine Gesamtrechtsnachfolge i. S. des § 45 Abs. 1 AO liegt beispielsweise vor in Fällen
der Erbfolge (§ 1922 Abs. 1 BGB),
der Anwachsung des Anteils am Gesellschaftsvermögen bei Ausscheiden eines Gesellschafters (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. z. B. , BStBl 1981 II S. 293),
der Verschmelzung von Gesellschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG) und
der Vermögensübertragung im Wege der Vollübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 174 Abs. 1, §§ 175, 176, 178, 180 ff. UmwG).
In den vorgenannten Fällen der Anwachsung, Verschmelzung und Vermögensübertragung im Wege der Vollübertragung gilt die Regelung des § 45 Abs. 1 AO allerdings nicht in Bezug auf die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Nr. 1 AEAO zu § 45).
Keine Gesamtrechtsnachfolger sind der Erbschaftskäufer (§ 2371 BGB), der Vermächtnisnehmer (§ 2174 BGB) und der Übernehmer eines Vermögens i. S. des § 419 BGB. Eine steuerliche Gesamtrechtsnachfolge liegt auch nicht vor in Fällen einer Abspaltung oder Ausgliederung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 123 ff. UmwG; , BStBl 2003 II S. 835) sowie einer Vermögensübertragung im Wege der Teilübertragung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 174 Abs. 2, §§ 175, 177, 179, 184 ff., 189 UmwG). In den Fällen einer Aufspaltung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG) ist § 45 Abs. 1 AO jedoch sinngemäß anzuwenden (Nr. 2 AEAO zu § 45); dies gilt nicht in Bezug auf die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.
Eine formwechselnde Umwandlung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, §§ 190 ff. UmwG) führt grds. nicht zu einer steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge, da hier lediglich ein Wechsel der Rechtsform eines Rechtsträgers unter Wahrung seiner rechtlichen Identität vorliegt (§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Ändert sich aber durch den Formwechsel das Steuersubjekt (z. B. in Fällen der Umwandlung einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft), ist § 45 Abs. 1 AO sinngemäß anzuwenden (Nr. 3 AEAO zu § 45).
b) Wirkung
Bei Gesamtrechtsnachfolge tritt der Rechtsnachfolger grds. in die gesamte materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtsstellung des Rechtsvorgängers ein (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. , BStBl 2002 II S. 441). Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis können dabei nur übergehen, wenn sie im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge bereits entstanden waren.
Ausgenommen von der steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge sind höchstpersönliche Verhältnisse des Rechtsvorgängers und unlösbar mit seiner Person verknüpfte Umstände (z. B. der Verlustabzug nach § 10d EStG; vgl. dazu , BStBl 2008 II S. 608). Ob und in welchem Umfang steuerrechtliche Positionen vererblich sind oder wegen ihres höchstpersönlichen Charakters und ihrer unlösbaren Verknüpfung mit der Person ihres Inhabers nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger übergehen können, kann nicht allein durch eine isolierte Auslegung der allgemeinen Vorschrift des § 45 AO, sondern nur unter Heranziehung der für die betreffende Rechtsbeziehung einschlägigen materiell-rechtlichen Normen und Prinzipien des jeweiligen Einzelsteuergesetzes gefunden werden.
Ausdrücklich von der Gesamtrechtsnachfolge ausgenommen sind Zwangsgelder (§ 45 Abs. 1 Satz 2 AO). Die übrigen steuerlichen Nebenleistungen, die Verspätungszuschläge, Zinsen (§§ 233–237 AO), Säumniszuschläge und Kosten (§ 178, §§ 337–345 AO), gehen kraft Gesetzes auf den Erben über. Entstandene Säumniszuschläge sind auch noch nach dem Tod des Steuerpflichtigen zu erheben. Der Erbe kann dabei den Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen, auf den Erblasser bezogenen Billigkeitsgründen geltend machen.
Die steuerliche Gesamtrechtsnachfolge betrifft auch die verfahrensrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsnachfolge. Dem Rechtsvorgänger bereits bekannt gegebene Steuerbescheide wirken daher auch gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger. War die Steuerfestsetzung gegenüber dem Rechtsvorgänger bereits unanfechtbar geworden, muss auch der Gesamtrechtsnachfolger dies gegen sich gelten lassen (§ 166 AO). Eine bei Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge bereits laufende Rechtsbehelfsfrist läuft gegen den Gesamtrechtsnachfolger unverändert weiter. Allerdings kann unter den Voraussetzungen des § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Der Gesamtrechtsnachfolger tritt auch in ein im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge anhängiges Einspruchsverfahren ein. Für finanzgerichtliche Verfahren s. § 155 FGO i. V. mit §§ 239 ff. ZPO. Wer als Rechtsnachfolger ein vom Rechtsvorgänger begonnenes Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren fortführt, ist im Unterliegensfalle Schuldner der Aussetzungszinsen. War ein Leistungsgebot gegenüber dem Rechtsvorgänger bekannt gegeben worden, ist nach § 254 Abs. 1 Satz 3 AO gegenüber dem Rechtsnachfolger ein (eigenes) Leistungsgebot erforderlich.
Hat der Rechtsvorgänger den Steuertatbestand zwar verwirklicht, wurde ihm der Steuerbescheid aber vor Eintritt der Rechtsnachfolge nicht mehr bekannt gegeben, ist der Bescheid an den Gesamtrechtsnachfolger – als Inhaltsadressaten – zu richten (vgl. , BStBl 1974 II S. 388). Zur Besonderheiten der Bekanntgabe s. Nr. 2.12 AEAO zu § 122. Ein gegen den verstorbenen Erblasser ergangener Bescheid ginge ins Leere und wäre gegenüber dem Erben auch dann unwirksam, wenn dieser ihn erhalten und zur Grundlage seines Handelns machen würde.
Ist in einem gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid anstelle des Erben noch der Erblasser als Beteiligter bezeichnet, kann dies durch Richtigstellungsbescheid korrigiert werden (§ 182 Abs. 3 AO). Auf gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO ist die Regelung des § 182 Abs. 3 AO aber nicht anwendbar.
c) Haftung des Erben
Erben haben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 AO). Daher muss der Erbe für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach §§ 1967 ff. BGB vorläufig unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen (Eigenvermögen und Nachlass) einstehen. Er kann seine Haftung aber auf den Nachlass beschränken (vgl. § 265 AO). Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen sind dabei weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das Leistungsgebot geltend zu machen, sondern allein im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner (§ 2058 BGB). Dabei sind aber die Einschränkungen nach §§ 2059 ff. BGB zu beachten. Vor der Teilung des Nachlasses kann der noch nicht unbeschränkbar haftende Miterbe die Vollstreckung in sein Eigenvermögen abwehren und muss der bereits unbeschränkbar haftende Miterbe die Vollstreckung in sein Eigenvermögen nur hinsichtlich des seinem Erbteil entsprechenden Teils der Nachlassverbindlichkeit dulden (§ 2059 BGB). Nach der Teilung des Nachlasses haftet jeder Miterbe unter den besonderen Voraussetzungen des § 2060 BGB nur für den seiner Erbquote entsprechenden Bruchteil der Nachlassschuld.
Aus dem Nachlass zu entrichten sind insbesondere die in der Person des Erblassers entstandenen Steuer- und Haftungsschulden einschließlich steuerlicher Nebenleistungen mit Ausnahme von Zwangsgeldern (sog. Erblasserschulden). Die auf den Erben übergegangenen Steuerschulden bleiben Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Gestalt von Steueransprüchen, der Erbe wird mit der Erbschaft kein Haftungsschuldner i. S. der §§ 69 ff. AO. Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 AO bleiben die Vorschriften über eine eigene steuerrechtliche Haftung des Erben (z. B. nach § 69 i. V. mit §§ 34, 35 AO) allerdings unberührt. Hinsichtlich steuerrechtlicher Haftungsansprüche gelten die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Beschränkung der Erbenhaftung nicht.
Tz. 59 Abtretung, Verpfändung und Pfändung
Ansprüche auf Erstattung von Steuern, Haftungsbeträgen, steuerlichen Nebenleistungen und auf Steuervergütungen können nach § 46 Abs. 1 AO abgetreten, verpfändet und gepfändet werden. Allerdings hat der Gesetzgeber hieran erhöhte Formerfordernisse gestellt, um Erstattungsberechtigte vor unüberlegten und für sie nachteiligen zivilrechtlichen Verfügungen zu schützen. Zugleich hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass die Finanzbehörden sich schon vor der Entstehung von Steuererstattungs- und -vergütungsansprüchen mit Rechten Dritter befassen müssen.
§ 46 AO betrifft nur die dort genannten Ansprüche gegen den Steuergläubiger, nicht Ansprüche gegen den Steuerpflichtigen. Nicht abtretbar sind isolierte Ansprüche auf Anrechnung von Steuern sowie des Anspruchs auf Abzug der Vorsteuer. Abtretbar ist nur der Erstattungsanspruch bei einem Überhang der abziehbaren Vorsteuer über die Umsatzsteuer (Vorsteuerüberschuss).
Ein Hoheitsträger kann eine Forderung gegen einen Steuerschuldner zum Zweck der Einziehung an einen anderen Hoheitsträger abtreten, ohne die Voraussetzungen des § 46 AO beachten zu müssen.
Tz. 60 Abtretung
Grundlage einer Abtretung ist zunächst ein (formfreier) zivilrechtlicher Abtretungsvertrag. In der (formgebundenen) öffentlich-rechtlichen Abtretungsanzeige müssen der Abtretende, der Abtretungsempfänger, die Art und die Höhe des abgetretenen Anspruchs sowie der Grund der Abtretung angegeben werden. Die Abtretungsanzeige ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Bei der Ermittlung des in ihr verkörperten Willens sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die für die Finanzbehörde als Empfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung erkennbar gewesen sind.
In der Abtretungsanzeige ist die abgetretene Forderung des Abtretenden gegen den Steuergläubiger zweifelsfrei zu bezeichnen. Die Abtretungsanzeige muss ggf. entsprechend ausgelegt werden. Angaben in gesonderten Unterlagen (z. B. Übersendungsschreiben) reichen daher nur aus, wenn in der Abtretungsanzeige hierauf Bezug genommen wird.
Die Höhe des abgetretenen Anspruchs muss nicht ziffernmäßig angegeben, mindestens aber bestimmbar sein. Die Abtretungsanzeige kann ggf. entsprechend ausgelegt werden. Angaben in zusätzlichen Unterlagen reichen aus, wenn in der Abtretungsanzeige hierauf ausdrücklich Bezug genommen wird.
Anzugeben ist auch der Grund der Abtretung. Eine kurze Beschreibung reicht dabei aus, wenn sie die Finanzbehörde in die Lage versetzt zu prüfen, ob ein Verstoß gegen § 46 Abs. 4 AO vorliegt oder nicht. Mit den Angaben zum Abtretungsgrund in der Abtretungsanzeige soll dem Finanzamt nämlich die Möglichkeit zur schnellen und einfachen Prüfung eröffnet werden, ob eine Sicherungsabtretung vorliegt, die nur Bankunternehmen gestattet ist und bei anderen Personen zur Nichtigkeit der Abtretung führt. Daneben dienen die Angaben zum Abtretungsgrund dazu, dem Finanzamt einen Hinweis darauf zu geben, ob es sich bei der Abtretung um einen geschäftsmäßigen Erwerb von Erstattungsansprüchen oder Vergütungsansprüchen handeln könnte, der zur Nichtigkeit der Abtretung führen würde. Die mangelnde Angabe des Abtretungsgrunds kann nicht nachgeholt werden, wenn dessen Bezeichnung gänzlich fehlte.
Die Abtretung muss der zuständigen Finanzbehörde auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck angezeigt werden. Erfolgt die Anzeige bei einer unzuständigen Finanzbehörde, wird sie erst wirksam, wenn sie von dieser an die zuständige Finanzbehörde (erfolgreich) weitergeleitet wurde; maßgebend ist dann der Zeitpunkt des Eingangs bei der zuständigen Finanzbehörde. Die Abtretung kann auch auf einer privaten Ablichtung oder einem Abdruck des amtlichen Formulars angezeigt werden, wenn die Ablichtung bzw. der Abdruck dem amtlichen Formular inhaltlich und in der drucktechnischen Gestaltung völlig entspricht. Eine Übermittlung der Anzeige per Telefax oder per E-Mail ist unwirksam. Auch eine notarielle Beurkundung einer Abtretung kann die Anzeige auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck nicht ersetzen.
Anzeigeberechtigt ist nur der Abtretende, er kann allerdings den Abtretungsempfänger oder Dritte bevollmächtigen, die Abtretungsanzeige für ihn abzugeben. Maßgeblich ist, dass die Anzeige vom Abtretenden stammt oder zumindest mit seinem Willen und nach entsprechender Kenntnisnahme des Inhalts abgegeben wurde. Blanko unterschriebene Formulare sind daher unwirksam.
Die Anzeige muss vom Abtretenden und vom Abtretungsempfänger unterzeichnet worden sein (§ 46 Abs. 3 Satz 2 AO). Bei Gesamtgläubigerschaft ist die Unterschrift jedes der Gesamtgläubiger erforderlich. Sind Erstattungsansprüche von zusammenveranlagten Ehegatten abgetreten worden und fehlt in der Abtretungsanzeige die Unterschrift eines Ehegatten, ist mangels Gesamtgläubigerschaft nur die Abtretung des Erstattungsanspruchs des Ehegatten, der die Anzeige unterschrieben hat, wirksam (vgl. , BStBl 1997 II S. 522).
Der Abtretende kann den Abtretungsempfänger bevollmächtigen, für ihn die Anzeige zu unterzeichnen. Die Vollmacht des Abtretenden hierzu ist jedoch nur bei nachgewiesener Kenntnis des Abtretenden von dem amtlich vorgeschriebenen Anzeigenvordruck wirksam, und zwar bei widerruflich wie bei unwiderruflich erteilter Vollmacht (, BStBl 1983 II S. 123; Urteil v. - VII R 170/84, BStBl 1988 II S. 178). Ist die Unterschrift des Abtretenden gefälscht, kann die Anzeige durch seine Genehmigung nicht wirksam werden (, EFG 1992 S. 103).
Ein Abtretungsempfänger kann die Abtretung von Ansprüchen auf Erstattung von Steuern, Haftungsbeträgen, steuerlichen Nebenleistungen oder auf Steuervergütungen der zuständigen Finanzbehörde wirksam erst nach Entstehung des Anspruchs anzeigen (§ 46 Abs. 2 AO). Die Anzeige wirkt steuerlich nicht auf den Zeitpunkt des zivilrechtlichen Abtretungsvertrags zurück.
Zivilrechtlich können die Vertragsparteien auch für künftige, noch nicht entstandene Forderungen eine Abtretung vereinbaren. Vor Entstehung des Steueranspruchs den Finanzbehörden angezeigte Abtretungen sind diesen gegenüber aber wirkungslos; sie werden auch nicht mit Entstehung des Anspruchs wirksam. Wird die (zivilrechtlich vorweggenommene) Abtretung erst nach Entstehung der Forderung der zuständigen Finanzbehörde angezeigt, ist die Abtretung ab diesem Zeitpunkt (aber nicht rückwirkend) steuerlich wirksam.
Da z. B. der Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus überzahlter Lohnsteuer grds. mit Ablauf des für die Steuerfestsetzung maßgebenden Erhebungszeitraums entsteht (§ 38 AO i. V. mit § 36 Abs. 1 EStG), sind während des betreffenden Erhebungszeitraums (bis 31. 12.) angezeigte Lohnsteuer-Abtretungen bzw. Verpfändungen oder ausgebrachte Pfändungen wirkungslos. Ein auf einem Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG beruhender Erstattungsanspruch ist nur dann wirksam abgetreten, wenn die Abtretung erst nach Ablauf des Verlustentstehungsjahrs angezeigt worden ist. Ansprüche auf Eigenheimzulage entstehen für jedes Jahr des Förderzeitraums gesondert (vgl. § 10 EigZulG). Die Abtretung der einzelnen Ansprüche kann daher jeweils erst nach ihrer Entstehung angezeigt werden. Die Abtretung eines Anspruchs auf Erstattungszinsen darf erst nach Wirksamwerden der zugrunde liegenden Steuerfestsetzung angezeigt werden (vgl. , BStBl 2002 II S. 677).
Die Finanzbehörde ist grds. nicht verpflichtet, die Wirksamkeit einer Abtretungsanzeige bereits bei deren Eingang abschließend zu überprüfen und die Beteiligten auf Formmängel hinzuweisen, insbesondere wenn der abgetretene oder verpfändete Anspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgesetzt ist. Die spätere Berufung auf einen Formmangel stellt daher allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar, so dass die nicht formgerechte Anzeige in diesem Ausnahmefall als wirksam zu behandeln ist.
Mit der wirksam angezeigten Abtretung geht nicht die gesamte Rechtsstellung des Steuerpflichtigen über (vgl. z. B. , BStBl 1978 II S. 465). Übertragen wird nur der bloße Zahlungsanspruch. Auch nach einer Abtretung ist der Steuerbescheid weiterhin allein dem Steuerpflichtigen bekannt zu geben. Der Abtretungsempfänger kann den Steuerbescheid auch nicht anfechten. Dem Abtretungsempfänger muss nur mitgeteilt werden, ob und ggf. in welcher Höhe sich aus der Veranlagung ein Erstattungsanspruch ergeben hat und ob und ggf. in welcher Höhe aufgrund der Abtretung an ihn zu leisten ist. Über Streitigkeiten hierüber ist durch Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO zu entscheiden.
Der Abtretungsempfänger ist auch nicht befugt, einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu stellen (vgl. , BStBl 1999 II S. 84). Dieser Antrag ist ein von den Rechtswirkungen des § 46 AO nicht erfasstes höchstpersönliches steuerliches Gestaltungsrecht.
Tz. 61 Verpfändung
Durch den Abschluss eines (formfreien) Verpfändungsvertrags (vgl. dazu §§ 1273 ff. BGB) wird dem Gläubiger zur Sicherheit ein Pfandrecht an dem Steuererstattungs- oder Steuervergütungsanspruch bestellt. Die Verpfändung von Steuererstattungs- und Vergütungsansprüchen ist nur unter Einhaltung der Formvorschriften des § 46 Abs. 2–5 AO zulässig und wirksam, denn diese Vorschriften, die die Abtretung betreffen, sind nach § 46 Abs. 6 Satz 3 AO sinngemäß auf die Verpfändung anzuwenden. Daher gelten die Erläuterungen zur Abtretung entsprechend.
Tz. 62 Pfändung
Ansprüche auf Erstattung von Steuern, Haftungsbeträgen, steuerlichen Nebenleistungen und auf Steuervergütungen können nach § 46 Abs. 1 AO auch gepfändet werden. Für die Pfändung durch private Gläubiger gelten die Vorschriften der §§ 829 ff. ZPO, für behördliche Pfändungs- und Einziehungsverfügungen bei öffentlich-rechtlichen Forderungen die entsprechenden Vollstreckungsgesetze des Bundes bzw. des Landes. Darüber hinaus sind die aus § 46 AO sich ergebenden Einschränkungen zu beachten. Die Überleitung von Erstattungsansprüchen nach § 90 BSHG hat die Wirkung einer Abtretung (, BStBl 1988 II S. 500).
Die Pfändung erfolgt durch einen Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts (§ 829 ZPO). Der Pfändungsbeschluss bewirkt die Belastung des Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs mit einem Pfandrecht. Zur Verwirklichung des Anspruchs muss darüber hinaus der gepfändete Anspruch zur Einziehung oder an Zahlungs statt dem Gläubiger überwiesen werden (§ 835 ZPO). Daher wird die Überweisung regelmäßig mit der Pfändung verbunden (Pfändungs- und Überweisungsbeschluss).
Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Pfändung ist ein wirksamer Pfändungsbeschluss, die wirksame Zustellung des Pfändungsbeschlusses, die Erstattungsberechtigung des Pfändungsschuldners und die Verfügbarkeit des gepfändeten Anspruchs.
Der Pfändungsbeschluss muss den Pfändungsgläubiger und Pfändungsschuldner, den Drittschuldner, den vollstreckbaren Anspruch und den gepfändeten Anspruch genau bezeichnen. Ungenaue oder fehlerhafte Bezeichnungen sind nur dann unschädlich, wenn die Feststellung der Identität von Pfändungsgläubiger oder Pfändungsschuldner gleichwohl zweifelsfrei gewährleistet ist. Der vollstreckbare Anspruch des Pfändungsgläubigers muss nach Vollstreckungstitel und Betrag (Hauptforderung zuzüglich Zinsen und Kosten) bezeichnet sein, weil sich danach der Umfang des Pfandrechts und der Einziehungsbefugnis bestimmt.
Nach § 46 Abs. 7 AO gilt die (zuständige) Finanzbehörde, die über den Anspruch zu entscheiden hat, als Drittschuldner nach §§ 829, 845 ZPO. Für die Bestimmung des zuständigen Finanzamts kommt es auf den Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an. War die örtliche Zuständigkeit bereits vor diesem Zeitpunkt nach § 26 AO auf ein anderes Finanzamt übergegangen oder war das Finanzamt nie zuständig, ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht wirksam geworden und darf auch nicht an das zuständige Finanzamt weitergeleitet werden. Ändert sich die Zuständigkeit dagegen erst nach der Zustellung des Beschlusses, geht die sich daraus ergebende Verpflichtung auf das neue Finanzamt über.
Voraussetzung für einen wirksamen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist weiterhin, dass er nicht erlassen wurde, bevor der zu pfändende Anspruch nach § 38 AO entstanden ist (§ 46 Abs. 6 Satz 1 AO). Vgl. dazu die Erläuterungen in Tz. 60.
Die Pfändung wird bewirkt mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§ 829 Abs. 3 ZPO). Die Zustellung des Beschlusses erfolgt durch den Gerichtsvollzieher nach Maßgabe der §§ 193 und 194 ZPO (§ 192 Abs. 1 ZPO). Dabei kann der Gerichtsvollzieher selbst zustellen oder sich der Post bedienen. Die Zustellung wird mit Übergabe des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Amtsleiter der Finanzbehörde oder eine von ihm bevollmächtigte Person wirksam (§ 170 Abs. 2 ZPO). Wegen weiterer Besonderheiten im Zustellungsverfahren vgl. Tz. 142 und die Regelungen in Nr. 3 AEAO zu § 122. Der Gerichtsvollzieher oder Postzusteller soll auf dem zugestellten Schriftstück Datum und Uhrzeit der Zustellung vermerken. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Schriftstücks nicht nachweisen oder ist es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Schriftstück der Person, an die die Zustellung gerichtet war, tatsächlich zugegangen ist (§ 189 ZPO).
Mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird grds. die Aufforderung an den Drittschuldner (das Finanzamt) verbunden, eine Erklärung nach § 840 Abs. 1 ZPO darüber abzugeben,
ob und inwieweit es die Forderung als begründet anerkennt und Zahlung zu leisten bereit ist,
ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung erheben,
ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits gepfändet ist.
Die Drittschuldnererklärung ist innerhalb von zwei Wochen abzugeben. Bei einer schuldhaft verspätet, unvollständig, unrichtig oder nicht abgegebenen Drittschuldnererklärung kann das Finanzamt schadensersatzpflichtig werden (§ 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Frist kann vom Gläubiger aber verlängert werden. Die Drittschuldnererklärung ist kein Verwaltungsakt, sondern eine bloße Mitteilung an den Pfändungsgläubiger. Sie ist nicht anfechtbar und auch kein bindendes Schuldanerkenntnis.
Erkennt das Finanzamt die Pfändung in der Drittschuldnererklärung nicht an, weil die Veranlagung bereits durchgeführt wurde und keine Erstattungsansprüche (mehr) bestehen, bleibt die Pfändung im Hinblick auf eine möglicherweise sich ergebende weitere Erstattung durch eine Änderung der Steuerfestsetzung wirksam.
In der Drittschuldnererklärung muss sich das Finanzamt nur zu den in § 840 Abs. 1 Nr. 1–3 ZPO aufgeführten Fragen äußern. Im Übrigen berechtigt die allgemeine Auskunftspflicht das Finanzamt als Drittschuldner in dem durch die Pfändung gezogenen Rahmen zur Auskunft nur, soweit das Steuergeheimnis (§ 30 AO) nicht verletzt wird. Liegt ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nur gegen einen Ehegatten vor und ergibt sich der Erstattungsanspruch aus einer Zusammenveranlagung, kann die Pfändung nur teilweise anerkannt werden, wenn beide Ehegatten die Steuer gezahlt haben. Die Drittschuldnererklärung ist entsprechend zu ergänzen, nähere Angaben zur Aufteilung des Erstattungsbetrags sind wegen § 30 AO aber nicht zulässig.
Die Pfändung verschafft dem Pfändungsgläubiger ein Pfändungspfandrecht an dem gepfändeten Erstattungs- oder Vergütungsanspruch (§ 804 Abs. 1 ZPO). Durch die Überweisung des gepfändeten Anspruchs zur Einziehung (§ 835 Abs. 1 ZPO) ist der Pfändungsgläubiger ermächtigt, den gepfändeten Anspruch in eigenem Namen geltend zu machen. Dies schließt die Befugnis des Pfändungsgläubigers ein, beim Vorliegen der Voraussetzungen mit dem ihm zur Einziehung überwiesenen Erstattungs- oder Vergütungsanspruch gegen eine eigene Schulden aufzurechnen.
Mit der wirksam ausgebrachten Pfändung geht nicht die gesamte Rechtsstellung des Steuerpflichtigen über. Dem Pfändungsgläubiger wird nur der reine Zahlungsanspruch übertragen. Mit Zugang des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses kann das Finanzamt in Höhe der gepfändeten Forderung nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Vollstreckungsschuldner leisten. Wurde der Erstattungsbetrag trotz wirksamer Pfändung (versehentlich) an den Steuerpflichtigen ausbezahlt, ist an den Pfändungsgläubiger nochmals zu leisten und gegen den Steuerpflichtigen ein auf § 37 Abs. 2 AO gestützter Rückforderungsbescheid zu erlassen.
Nach einer Pfändung ist der Steuerbescheid weiterhin allein dem Steuerpflichtigen bekannt zu geben. Der Pfändungsgläubiger des Erstattungsanspruchs kann den Steuerbescheid nicht anfechten. Ihm muss – nach Erteilung der Drittschuldnererklärung – nur mitgeteilt werden, ob und ggf. in welcher Höhe sich aus der Veranlagung ein Erstattungsanspruch ergeben hat und ob und ggf. in welcher Höhe aufgrund der Pfändung an ihn zu leisten ist.
Ist die Pfändung nach Auffassung des Finanzamts unwirksam, teilt es dies dem Pfändungsgläubiger in der Drittschuldnererklärung mit. Besteht der Pfändungsgläubiger gleichwohl auf Auszahlung des Erstattungsbetrags, ist ihm ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zu erteilen. Legt er gegen diesen Abrechnungsbescheid Einspruch ein, ist der Steuerpflichtige nach § 360 AO hinzuzuziehen.
Bei Streit über die Wirksamkeit eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses oder bei mehrfacher Pfändung und/oder Abtretung und Uneinigkeit über die Rangfolge kann der Erstattungsbetrag beim Amtsgericht hinterlegt werden (§ 853 ZPO). Liegen nur Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vor und besteht Streit über die Rangfolge, kommt eine Hinterlegung bei demjenigen Amtsgericht in Betracht, dessen Beschluss dem Finanzamt zuerst zugestellt wurde. Die Hinterlegung hat für das Finanzamt schuldbefreiende Wirkung. Zahlt das Finanzamt aufgrund eines von ihm für wirksam gehaltenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Pfändungsgläubiger aus und stellt sich danach die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses heraus, kann sich das Finanzamt gegenüber dem Steuerpflichtigen auf § 836 Abs. 2 ZPO berufen und eine nochmalige Erstattung an ihn ablehnen.
Schon vor Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch das Gericht kann der Gläubiger selbst nach § 845 Abs. 1 ZPO zur Sicherung seiner Forderung das Finanzamt durch eine sog. Vorpfändung über die bevorstehende Pfändung benachrichtigen. Diese Benachrichtigung muss im Wesentlichen den Anforderungen entsprechen, die an den Inhalt eines Pfändungsbeschlusses zu stellen sind, sowie die Aufforderung beinhalten, nicht mehr an den Schuldner zu zahlen. Fehlt eines dieser wesentlichen Merkmale, ist die Vorpfändung unwirksam.
Auch die Vorpfändung muss durch den Gerichtsvollzieher zugestellt werden. Eine Zustellung durch den Gläubiger selbst oder eine von ihm beauftragte andere Person ist unwirksam und auch nicht nach § 189 ZPO heilbar. Eine vor Entstehung des Anspruchs zugestellte Vorpfändung ist unwirksam. Eine Drittschuldnererklärung ist nicht abzugeben. Eine unwirksame Vorpfändung hat auf die Wirksamkeit einer ordnungsgemäßen Pfändung keinen Einfluss. In der Drittschuldnererklärung für den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist jedoch hierauf im Hinblick auf die ausbleibende rangwahrende Wirkung hinzuweisen. Die Vorpfändung hat nach § 845 Abs. 2 ZPO die Wirkung eines Arrests, also einer vorläufigen Beschlagnahme, und beinhaltet das Verbot einer Zahlung des Finanzamts an den Steuerpflichtigen. Der Gläubiger erwirbt ein auflösend bedingtes Pfandrecht. Die Bedingung entfällt mit der fristgemäßen Pfändung. Wird der Pfändungsbeschluss, gerechnet vom Tag der Zustellung der Vorpfändung, innerhalb der Monatsfrist des § 845 Abs. 2 ZPO zugestellt, erlangt sie (rückwirkend) den Rang, der der Vorpfändung nach dem Zeitpunkt ihrer Zustellung zukommen würde. Sie geht damit Pfändungen und/oder Abtretungen vor, die nach der Vorpfändung zugestellt wurden. Die Vorpfändung verliert ihre Wirkung, wenn die Pfändung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht wirksam vorgenommen wird. Wird die Pfändung nach Fristablauf zugestellt, kommt ihr die rangwahrende Wirkung der Vorpfändung nicht mehr zu und sie erhält den Rang nach dem eigenen Eingang.
Behördliche Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sind Verwaltungsakte im Rahmen des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens. Auch für sie gilt § 46 Abs. 6 AO, so dass vor Entstehung des Anspruchs erlassene Verfügungen nichtig sind. Wirksam wird eine behördliche Pfändungsverfügung mit ihrer Bekanntgabe, d. h. mit ihrem Eingang beim Finanzamt. Danach richtet sich deren Rangfolge in Konkurrenz mit gerichtlichen Pfändungsbeschlüssen und Abtretungen. Grds. gelten die Regelungen über gerichtliche Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse mit Ausnahme der Vorpfändung entsprechend.
Tz. 63 Geschäftsmäßiger Erwerb und geschäftsmäßige Einziehung von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen
Der geschäftsmäßige Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen zum Zweck der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung ist nicht zulässig (§ 46 Abs. 4 Satz 1 AO). Von diesem Verbot ausgenommen sind lediglich der Erwerb und die Einziehung von zur Sicherung abgetretenen Ansprüchen durch Unternehmen, denen das Betreiben von Bankgeschäften erlaubt ist (§ 46 Abs. 4 Satz 2 und 3 AO).
Eine bloße Sicherungsabtretung liegt nur vor, wenn bei Anlegung eines strengen Maßstabs für den Abtretenden und für den Abtretungsempfänger der Sicherungszweck im Vordergrund steht. Auch der geschäftsmäßige Erwerb von Pfandrechten an Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen ist Kreditinstituten nur gestattet, wenn sie nach dem Verpfändungsvertrag an der verpfändeten Forderung keine weitergehenden Rechte als bei einer Sicherungsabtretung haben. Verstöße gegen § 46 Abs. 4 AO werden als Steuerordnungswidrigkeiten geahndet (§ 383 AO).
Geschäftsmäßig handelt, wer die Tätigkeit selbständig und in Wiederholungsabsicht ausübt. Die Geschäftsmäßigkeit ist daher regelmäßig zu bejahen, wenn für den Erwerb von Erstattungsansprüchen organisatorische Vorkehrungen getroffen werden (z. B. vorbereitete Formulare, besondere Karten). Allein der Umstand, dass dem Finanzamt die Abtretung verschiedener Steuererstattungsansprüche durch mehrere Abtretungsanzeigen jeweils nach der Entstehung des betreffenden Erstattungsanspruchs angezeigt wird, rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass ein geschäftsmäßiger Forderungserwerb vorliegt (, BStBl 2006 II S. 348). Es reicht auch nicht aus, dass die Abtretung im Rahmen eines Handelsgeschäfts vorgenommen wurde.
Auch bei einem Verstoß gegen § 46 Abs. 4 Satz 1 AO oder bei sonstiger Unwirksamkeit des der Abtretung oder Verpfändung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts kann die Finanzbehörde nach erfolgter Anzeige mit befreiender Wirkung an den Abtretungsempfänger zahlen, soweit nicht Rechte anderer Gläubiger entgegenstehen (§ 46 Abs. 5 AO).
Tz. 64 Erlöschen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
Ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO) erloschen, kann er nicht mehr geltend gemacht werden, und zwar weder von der Finanzbehörde noch vom Steuerpflichtigen. Anders als im Zivilrecht ist die Erlöschenswirkung von Amts wegen zu beachten und ist damit der Disposition der Beteiligten entzogen. Da § 47 AO auf den abstrakten, materiellen Steueranspruch abstellt, der kraft Gesetzes entsteht, kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Höhe dieser Anspruch durch Steuerbescheid festgesetzt worden ist.
§ 47 AO enthält eine beispielhafte Aufzählung der (wichtigsten) Fälle, in denen ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis erlischt. Dabei ist zu beachten, dass die in § 47 AO genannten Erlöschensgründe nicht für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gleichermaßen gilt.
a) Erlöschen durch Zahlung
Die zum Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis führende Zahlung i. S. des § 224 AO ist ein im Wesentlichen nach privatrechtlichen Vorschriften zu beurteilender Vorgang, der aus öffentlich-rechtlichem Grund und mit öffentlich-rechtlicher Wirkung erfolgt.
Bei Zahlung durch Giroüberweisung erlischt der Anspruch erst mit der Gutschrift des überwiesenen Betrags auf dem Konto des Gläubigers (, BStBl 1988 II S. 41). Im Falle einer Zahlungsanweisung erlischt der Anspruch mit der Gutschrift des überwiesenen Betrags auf dem Konto des vom Gläubiger benannten Zahlungsempfängers. § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO regelt den Eintritt der Tilgungswirkung bei Zahlungen an Finanzbehörden, § 224 Abs. 3 Satz 3 AO bestimmt den Zeitpunkt der Tilgungswirkung bei Zahlungen der Finanzbehörden an Steuerpflichtige.
Der Zahlungspflichtige trägt jeweils die Verlustgefahr. Der Anspruch eines Steuerpflichtigen auf Erstattung von Einkommensteuer-Überzahlungen erlischt daher nicht, wenn der Erstattungsbetrag deshalb auf ein anderes Konto gelangt ist, weil er irrtümlich eine falsche Kontonummer angegeben hat.
Bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln ist zwischen Bargeld und Schecks zu unterscheiden (§ 224 Abs. 2 Nr. 1 AO): bei Übergabe oder Übersendung von Bargeld tritt die Tilgungswirkung am Tag des Eingangs ein, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks tritt Tilgungswirkung erst drei Tage nach dem Tag des Eingangs ein.
Hat der Steuerpflichtige die Finanzbehörde zum Lastschrifteinzug ermächtigt, gilt die Zahlung als am Fälligkeitstag bewirkt (§ 224 Abs. 2 Nr. 3 AO). Unerheblich ist, wann die Finanzbehörde den Lastschrifteinzug veranlasst und wann der Betrag beim Schuldner und beim Gläubiger wertgestellt wird. Keine Tilgungswirkung tritt ein, wenn der Lastschrifteinzug wegen mangelnder Deckung des Kontos vom Kreditinstitut abgelehnt wird oder wenn der Kontoinhaber zulässigerweise gegenüber seinem Kreditinstitut widerspricht und die Zahlung entsprechend rückgängig gemacht wird.
Auch die Hingabe von Kunstgegenständen an Zahlungs statt (§ 224a AO) führt zum Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis.
Ein entstandener Steueranspruch erlischt auch bei Zahlung vor Fälligkeit mit der Zahlung, wenn das Finanzamt die Zahlung annimmt und behält; denn die Erlöschenswirkung nach § 47 AO hängt von der Entstehung und nicht von der Fälligkeit des Anspruchs ab. Zahlungen, die nach Entstehung des abstrakten materiell-rechtlichen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auf diesen geleistet worden sind, haben Tilgungswirkung i. S. des § 47 AO daher selbst dann, wenn sie die durch Steuerbescheid festgesetzte, aber nicht die abstrakt entstandene Steuer übersteigen (, BStBl 1997 II S. 112).
b) Erlöschen durch Aufrechnung
Auch die Aufrechnung führt zum Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Für die Aufrechnung mit Steuern einschließlich der Steuervergütungen gelten nach § 226 AO die Aufrechnungsvorschriften des BGB sinngemäß. Nach § 387 BGB kann der Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, sofern die gegenseitigen Forderungen auf Leistungen gerichtet sind, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind.
Eine Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis setzt daher voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (Gegenforderung), entstanden und auch fällig ist. Eine wirksame Aufrechnung setzt ferner voraus, dass die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), bereits entstanden und schon erfüllbar ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, bewirkt die Aufrechnung nach § 389 BGB, dass die aufgerechneten Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (Aufrechnungslage). Liegen die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nicht vor, bleibt die Möglichkeit einer vertraglichen Verrechnung der gegenseitigen Forderungen.
Für den Fall, dass das Finanzamt die Aufrechnung einer Steuerforderung gegen eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen erklärt, ergibt sich also aus § 226 AO i. V. mit § 389 BGB, dass die fällige Steuerforderung des Finanzamts als in dem Zeitpunkt erloschen gilt, in welchem das Finanzamt die ihm obliegende Steuererstattung i. S. des § 387 BGB bewirken konnte, weil der diesbezügliche Anspruch des Steuerschuldners existent und erfüllbar gewesen ist (, BStBl 2000 II S. 246). Hinsichtlich der Berechnung von Zinsen nach §§ 233 ff. AO und Säumniszuschlägen gelten allerdings Sonderregelungen (§ 238 Abs. 1 Satz 3 und § 240 Abs. 1 Satz 5 AO).
c) Erlöschen durch Erlass
Der in § 47 AO verwendete Begriff „Erlass” gilt gleichermaßen für die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO als auch für den Erlass im engeren Sinne nach § 227 AO, der regelmäßig eine Festsetzung des zu erlassenden Anspruchs voraussetzt (Ausnahme: Säumniszuschläge nach § 240 AO). Beide Fälle führen zum Erlöschen von Ansprüchen gegen den Steuerpflichtigen.
d) Erlöschen durch Verjährung
Im Zivilrecht begründet die Verjährung lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners, das im Wege der Einrede der Verjährung geltend gemacht werden muss. Bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis führt dagegen die Verjährung kraft Gesetzes zum Erlöschen des Anspruchs; die Vollendung der Verjährung ist daher von Amts wegen zu beachten. Bei der in § 47 AO angesprochenen Verjährung ist zwischen der Festsetzungsverjährung (§§ 169–171 AO) und der Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) zu unterscheiden.
aa) Festsetzungsverjährung
Die Finanzbehörde darf die Festsetzung von Steuern, von Erstattungsansprüchen oder von Vergütungsansprüchen nur vornehmen, wenn (bzw. soweit) die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt auch für Änderungen oder Aufhebungen von Steuerfestsetzungen (vgl. §§ 164, 165, 172 ff. AO) sowie Berichtigungen wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO), gleichgültig ob zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen. Mit Ablauf der Festsetzungsfrist, d.h. mit Eintritt der Festsetzungsverjährung, sind Ansprüche des Steuergläubigers, aber auch Ansprüche des Erstattungsberechtigten erloschen.
Eine Steuerfestsetzung, die erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgt, ist allerdings nicht nichtig (vgl. § 125 AO), sondern nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin aufzuheben. Der Steuerpflichtige hat in diesem Fall einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO. Wird der nach Ablauf der Festsetzungsfrist rechtswidrig erlassene Steuerbescheid allerdings unanfechtbar, geht der Erstattungsanspruch unter, da er nicht mehr geltend gemacht werden kann. Führt der unanfechtbare Steuerbescheid zu einem Zahlungsanspruch des Finanzamts, kann es ihn ggf. auch vollstrecken (d.h. mit Zwangsmitteln durchsetzen). Ergibt sich aus dem Steuerbescheid ein Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen, kann sich das Finanzamt nur dann auf den Ablauf der Festsetzungsfrist berufen, wenn der Steuerbescheid aufgehoben werden kann. Anderenfalls bleibt es bei der Zahlungspflicht des Finanzamts.
Ist Festsetzungsverjährung eingetreten und damit der Anspruch des Finanzamts gegen den Steuerpflichtigen nach § 47 AO erloschen, kann die Geltung von Treu und Glauben einerseits nicht dazu führen, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen der erloschene Anspruch wieder auflebt. Andererseits kann nach Treu und Glauben ein Verschulden des Finanzamts i. d. R. auch nicht zur Folge haben, dass nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern ist.
bb) Zahlungsverjährung
Die Zahlungsverjährung (§§ 228–232 AO) erstreckt sich sowohl auf Ansprüche der Finanzbehörden als auch auf Ansprüche der Steuerpflichtigen. Sie ist von Amts wegen zu beachten. Mit verjährten Ansprüchen kann daher auch nicht aufgerechnet werden.
Da der Ablauf der Verjährungsfrist kraft Gesetzes zum Erlöschen der Steuerforderung führt, kann das Finanzamt nicht mit Erfolg geltend machen, der Steuerpflichtige habe sein Recht, sich auf die Verjährung zu berufen, verwirkt.
e) Erlöschen durch Eintritt einer auflösenden Bedingung
Auflösend bedingte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen mit dem Eintritt der Bedingung. Beispiele für auflösend bedingte Ansprüche, die nach § 47 AO erlöschen:
Der Steuervorauszahlungsanspruch ist auflösend bedingt durch die Festsetzung der Jahressteuer.
Die Gesamtschuldnerschaft von zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten nach § 26 EStG, § 44 AO ist auflösend bedingt durch die Wahl der getrennten Veranlagung durch einen der Ehegatten.
Für auflösend bedingte Ansprüche aus dem Verbrauchsteuerrecht geht § 50 AO der Regelung in § 47 AO vor.
f) Erlöschen in anderer Weise
Abgesehen von den in § 47 AO gesetzlich geregelten Gründen für das Erlöschen eines Steuerschuldverhältnisses erlischt ein Schuldverhältnis auch,
wenn der Zahlungsanspruch im Wege der Vollstreckung (z. B. Verwertung von Sicherheiten oder beschlagnahmten Gegenständen) befriedigt wurde;
wenn die Zahlungsansprüche durch einen wirksamen Verrechnungsvertrag erfüllt wurden (s. u.);
wenn sich Forderung und Schuld in einer Person vereinen;
wenn Gesamtrechtsnachfolge eintritt (dies gilt allerdings nur für Zwangsgelder, § 45 Abs. 1 Satz 2 AO).
Ein Verrechnungsvertrag kommt z. B. dann zustande, wenn ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mit der Umsatz-Voranmeldung dem Finanzamt die Verrechnung seines Erstattungsanspruchs mit einer Einkommensteuerforderung des Finanzamts an ihn anbietet und das Finanzamt dieses Angebot ausdrücklich oder stillschweigend annimmt. Die Rechtswirksamkeit eines Verrechnungsvertrags ist nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen über den Abschluss von Verträgen zu beurteilen (vgl. , BStBl 1985 II S. 114, m. w. N.).
Für Ansprüche auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (Zölle) gehen die Regelungen des Zollkodex (vgl. Art. 233 und 234 ZK) den Regelungen der AO vor. Von Bedeutung ist hier regelmäßig nur die Zahlungsverjährung nach §§ 228 ff. AO.
g) Keine Erlöschenswirkung
Abweichend vom Zivilrecht (§ 378 BGB) führt die Hinterlegung nicht zum Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. §§ 241 ff. AO). Als Sicherheitsleistung führen die Hinterlegung wie auch andere Formen der Sicherheitsleistung erst durch die Verwertung der Sicherheit zum Erlöschen des Steueranspruchs.
Die Niederschlagung nach § 261 AO ist lediglich ein verwaltungsinterner Akt, der zur Folge hat, dass die Finanzbehörde ihre Ansprüche (vorübergehend oder endgültig) nicht weiter verfolgt. Der Steueranspruch bleibt daher bestehen.
Verwirkung tritt ein, wenn ein Berechtigter durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung eines Rechts als unlautere Rechtsausübung angesehen werden muss. Im Fall der Verwirkung bleibt der Anspruch zwar bestehen und erlischt daher nicht, allerdings steht der Grundsatz von Treu und Glauben der Geltendmachung des Anspruchs entgegen. Leistet der Schuldner trotz Verwirkung, kann der Gläubiger die Leistung behalten, da sein Anspruch nicht erloschen war.
Die Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer führt zwar zum Erlöschen der Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, nicht aber zum Erlöschen der Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers. Diese erlischt erst mit der Anrechnung der Lohnsteuer auf die Einkommensteuer (vgl. § 36 Abs. 2 EStG).
Tz. 65 Leistung durch Dritte, Haftung Dritter
Leistungen an Finanzbehörden können sowohl durch den Schuldner (das ist i. d. R. der Steuer- oder Haftungsschuldner oder der Entrichtungsschuldner) selbst als auch durch Dritte erbracht werden (§ 48 Abs. 1 AO). Denn es handelt sich „nur” um Zahlungsverpflichtungen, nicht um höchstpersönliche Verpflichtungen. Zahlungen Dritter sind – anders als im Zivilrecht – auch dann wirksam, wenn der Schuldner der Leistung durch den Dritten widerspricht.
Leistungen Dritter führen grds. zum Erlöschen des erfüllten Anspruchs. Etwas anderes gilt nur, wenn der Dritte von einem Ablösungsrecht Gebrauch macht. In diesem Fall geht der Anspruch des Finanzamts auf den Dritten über, wobei er allerdings seinen öffentlich-rechtlichen Charakter verliert.
Dritte können sich gegenüber einer Finanzbehörde auch vertraglich verpflichten, Leistungen aus dem Steuerschuldverhältnis mit Wirkung für den Schuldner zu erbringen. Verpflichtungsgründe können sein eine Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB), ein Garantievertrag, die Hingabe eines Wechsels, ein Schuldversprechen (§ 780 BGB), eine kumulative Schuldübernahme oder auch ein Vergleich (§ 779 BGB). Der Dritte wird dabei aber nicht zu einem Steuerschuldner i. S. des § 43 AO. Die Finanzbehörde kann deshalb gegen ihn nicht mit den Zwangsmitteln der AO, sondern nur zivilrechtlich vorgehen (vgl. AEAO zu § 48). Andererseits wird der Steuerschuldner durch die Verpflichtungserklärung des Dritten nicht von seiner eigenen Zahlungsverpflichtung gegenüber der Finanzbehörde befreit.
Tz. 66 Verschollenheit
Verschollenheit ist nach § 1 Abs. 1 Verschollenheitsgesetz gegeben, wenn Zweifel am Fortleben bzw. am Tod bestehen, weil der Aufenthalt der verschollenen Person unbekannt ist, keine Nachricht von ihr vorliegt und deshalb Zweifel an ihrem Fortleben bestehen. In diesem Fall gilt für die Besteuerung der Tag als Todestag, mit dessen Ablauf der Beschluss über die Todeserklärung des Verschollenen rechtskräftig wird (§ 49 AO).
Ist der Tod einer Person dagegen gewiss und allein der Zeitpunkt des Tods ungewiss, liegt keine Verschollenheit vor (§ 1 Abs. 2 Verschollenheitsgesetz). Wenn in diesem Fall ein Verfahren zur Feststellung des Todeszeitpunkts eingeleitet und ein Zeitpunkt des Tods festgestellt wird (§ 39 Verschollenheitsgesetz), ist dieser Zeitpunkt auch für die Besteuerung maßgebend; § 49 AO ist in diesem Fall nicht anwendbar.
Für die Besteuerung wird der Verschollene, solange er nicht für tot erklärt ist, nach § 49 AO als lebend behandelt. Wird kein Antrag auf Todeserklärung gestellt, gilt der Verschollene für steuerliche Zwecke (weiterhin) als lebend. Bedeutung hat dies insbesondere für das Ehegatten-Splitting nach §§ 26, 26b EStG. Erst ab Rechtskraft der Todeserklärung gilt der Ehegatte als verwitwet. Bei 20-jähriger Verschollenheit ist allerdings von einem dauernden Getrenntleben auszugehen, so dass keine Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG mehr möglich ist.
Bei einer Todeserklärung nach § 9 Verschollenheitsgesetz werden aufgrund der Regelung des § 49 AO die Steuern auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses abgerechnet. Die Besteuerungsgrundlagen werden bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin dem Verschollenen zugerechnet, nicht seinen Erben. Nach § 45 AO gehen die gegenüber dem Verschollenen bis zu dem nach § 49 AO maßgeblichen Zeitpunkt (Rechtskraft des Beschlusses) entstandenen Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis (ausgenommen Zwangsgelder) vom Verschollenen auf die Erben über.
Tz. 67 Erlöschen und Unbedingtwerden der Verbrauchsteuer, Übergang der bedingten Verbrauchsteuerschuld
Das in § 50 AO behandelte Rechtsinstitut der bedingten Steuer ist dadurch praktisch bedeutungslos geworden, dass sich das Recht der (nationalen) Verbrauchsteuern mittlerweile nach den Vorgaben des Rechts der Europäischen Gemeinschaft richtet, das eine bedingte Entstehung der Steuer nicht vorsieht. Die Verbrauchsteuergesetze sehen nun vielmehr eine „Steueraussetzung” vor, die allerdings nicht mit der Aussetzung der Vollziehung verwechselt werden darf.
III. Steuerbegünstigte Zwecke
Tz. 68 Gemeinnützigkeitsrecht
Zu §§ 51–68 AO werden die Voraussetzungen und Grenzen der Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke geregelt. Man bezeichnet diese §§ allgemein auch als Gemeinnützigkeitsrecht. Die Gemeinnützigkeit ist Voraussetzung für zahlreiche steuerliche Vergünstigungen, z. B. für die Befreiung von der Körperschaft- und Gewerbesteuer und den ermäßigten Steuersatz bei der Umsatzsteuer. Die entsprechenden Regelungen finden sich jedoch nicht in der AO, sondern in den Einzelsteuergesetzen (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, § 3 Nr. 6 GewStG, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG).
Darüber hinaus berechtigt die Gemeinnützigkeit unter bestimmten Voraussetzungen zum Empfang steuerbegünstigter Spenden.
S. auch Schleder, Steuerrecht der Vereine, 8. Auflage Herne 2008.
Tz. 69 Allgemeines
Die Vorschrift bestimmt die Adressaten und Voraussetzungen einer Steuervergünstigung wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke.
Körperschaft im Sinne der Vorschrift und damit möglicher Adressat einer Steuervergünstigung ist jede Körperschaft, Personenvereinigung und Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes (§ 51 Abs. 1 Satz 2 AO). Dazu gehören u. a. auch Vereine, Anstalten, Stiftungen sowie Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Funktionale Untergliederungen (Abteilungen) von Körperschaften gelten nach § 51 Satz 2 AO nicht als selbständige Steuersubjekte. Damit soll ein Missbrauch in Form mehrmaliger Inanspruchnahme von Freibeträgen (z. B. § 24 KStG) verhindert werden. Hingegen sind regionale Untergliederungen (Landes-, Bezirks-, Ortsverbände) von Großvereinen als nichtrechtsfähige Vereine (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG) selbständige Steuersubjekte im Sinne des Körperschaftsteuerrechts, wenn sie
über eigene satzungsmäßige Organe (Vorstand, Mitgliederversammlung) verfügen und über diese auf Dauer nach außen im eigenen Namen auftreten und
eine eigene Kassenführung haben.
Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die regionalen Untergliederungen – neben der Satzung des Hauptvereins – noch eine eigene Satzung haben. Zweck, Aufgaben und Organisation der Untergliederungen können sich auch aus der Satzung des Hauptvereins ergeben (vgl. , BStBl 1988 I S. 443).
Die Steuervergünstigungen setzen die ausschließliche (§ 56 AO) und unmittelbare Verfolgung (§ 57 AO)
Zwecke durch die Körperschaft voraus. Die Anforderungen, die die Körperschaft hinsichtlich ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung im Einzelnen erfüllen muss, um die Steuervergünstigungen zu erlangen, ist in den §§ 52 ff. AO geregelt.
§ 51 Abs. 2 AO bestimmt die Voraussetzungen der Steuervergünstigung bei Verwirklichung steuerbegünstigter Zwecke im Ausland. Danach müssen natürliche Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, gefördert werden oder die Tätigkeit der Körperschaft fördert neben der Verwirklichung der steuerbegünstigten Zwecke auch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland. Um den Inlandsbezug nicht nur bei der Verfolgung gemeinnütziger, sondern auch bei der Verfolgung mildtätiger und kirchlicher Zwecke vorauszusetzen, wurde das Tatbestandsmerkmal „vor die Klammer gezogen” und in die allgemeine Vorschrift des § 51 AO integriert. Der Inlandsbezug wird für die Sachverhalte vorgeschrieben, in denen die steuerbegünstigten Zwecke im Ausland verwirklicht werden. Bisher war für die Verfolgung mildtätiger oder kirchlicher Zwecke die Förderung der Allgemeinheit nicht vorausgesetzt worden. Dies soll weiterhin gelten, soweit die mildtätigen oder kirchlichen Zwecke im Inland verwirklicht werden.
§ 51 Abs. 3 AO regelt den Ausschluss von Körperschaften, die extremistisches Gedankengut fördern, von der Gemeinnützigkeit. Hiernach kann eine Körperschaft nur dann als steuerbegünstigt anerkannt werden, wenn sie nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen nach § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes verfolgt. Dies entspricht der bisherigen Behandlung durch die Finanzverwaltung (vgl. Nr. 16 AEAO zu § 52 AO). Die Regelung will damit insbesondere diejenigen Vereine von der Anerkennung als gemeinnützig ausschließen, deren Zweck oder Tätigkeit namentlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen geeignet ist. Mit der zusätzlichen Aufnahme des Tatbestands des Zuwiderlaufens gegen den Gedanken der Völkerverständigung sollen z. B. ausländerextremistische Spendensammelvereine von der Zuerkennung der Steuerbegünstigung ausgeschlossen werden. Ob die Ausschlusskriterien auf den konkreten Verein zutreffen, kann sich nicht nur aus der Satzung, sondern insbesondere auch aus dem tatsächlichen Verhalten der Vereinsmitglieder ergeben.
Tz. 70 Gemeinnützige Zwecke
Gemeinnützige Zwecke sind Aktivitäten zur selbstlosen Förderung der Allgemeinheit (zum Begriff der Selbstlosigkeit s. Tz. 73). Sie gehören zu den steuerbegünstigten Zwecken und führen zu Steuervergünstigungen, wie z. B. der Befreiung von der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer oder dem ermäßigter Umsatzsteuersatz.
Steuerbefreit sind nur Körperschaften, d. h. eingetragene Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbH oder gemeinnützige AG, auch nicht rechtsfähige Vereine, nicht aber Personengesellschaften wie z. B. GbR. Die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke durch eine Körperschaft setzt voraus, dass ihre Tätigkeit der Allgemeinheit zugute kommt. Dies ist nicht gegeben, wenn der Kreis der geförderten Personen infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. Ein Verein, dessen Tätigkeit in erster Linie seinen Mitgliedern zugute kommt (insbesondere Sportvereine und Vereine, die in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 23 AO genannte Freizeitbetätigungen fördern), fördert nicht die Allgemeinheit, wenn er den Kreis der Mitglieder durch hohe Aufnahmegebühren oder Mitgliedsbeiträge und -umlagen klein hält (im Einzelnen s. Nr. 1.1 AEAO zu § 52).
§ 52 Abs. 2 AO der Vorschrift enthält eine Aufzählung der gemeinnützigen Zwecke. Diese Aufzählung ist ein grds. abgeschlossener Katalog. Die Allgemeinheit kann allerdings auch durch die Verfolgung von Zwecken, die hinsichtlich der Merkmale, die ihre steuerrechtliche Förderung rechtfertigen, mit den in § 52 Abs. 2 AO aufgeführten Zwecken identisch sind, gefördert werden.
Zum Umfang der einzelnen gemeinnützigen Zwecke s. AEAO zu § 52. Ein ausführliches ABC der gemeinnützigen Zwecke findet sich bei Schleder, Steuerrecht der Vereine, 8. Auflage, Herne 2008.
Tz. 71 Mildtätige Zwecke
Förderung der Mildtätigkeit i. S. des § 53 AO bedeutet, Personen zu unterstützen, die
infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen/hilfsbedürftig sind § 53 (Nr.1) AO oder
wirtschaftlicher Hilfe bedürfen § 53 (Nr. 2) AO.
Die beiden Regelungen stehen unabhängig nebeneinander. Hilfen nach § 53 Nr. 1 AO dürfen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Unterstützungsbedürftigkeit gewährt werden. Die Unterstützung muss selbstlos erfolgen (s. § 55 AO). Eine völlige Unentgeltlichkeit der mildtätigen Zuwendung wird indes nicht verlangt. Die mildtätige Zuwendung darf nur nicht des Entgelts wegen erfolgen. Zur Selbstlosigkeit s. auch Nr. 3 AEAO zu § 53.
Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit i. S. des § 53 Nr. 1 AO kommt es nicht darauf an, dass die Hilfsbedürftigkeit dauernd oder für längere Zeit besteht. Bei Personen, die das 75. Lebensjahr vollendet haben, kann körperliche Hilfsbedürftigkeit ohne weitere Nachprüfung angenommen werden (vgl. Nr. 4 AEAO zu § 53). Zur Bestimmung der wirtschaftlichen Hilfsbedürftigkeit nach § 53 Nr. 2 AO s. Nr. 5 ff. AEAO zu § 53.
Tz. 72 Kirchliche Zwecke
Eine Körperschaft verfolgt kirchliche Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, selbstlos (§ 55 AO) zu fördern. Religionsgemeinschaften, die nicht Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, können ggf. gemeinnützig sein (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).
In § 54 Abs. 2 AO sind beispielhaft kirchliche Zwecke aufgeführt; diese können um weitere vergleichbare kirchliche Zwecke erweitert werden.
Tz. 73 Selbstlosigkeit
Die in den §§ 52–54 AO beschriebenen steuerbegünstigten Zwecke (gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke) müssen von der Körperschaft selbstlos verfolgt werden. Selbstlos bedeutet, dass die Körperschaft weder selbst noch zugunsten ihrer Mitglieder eigenwirtschaftliche Zwecke, wie z. B. gewerbliche oder sonstige Erwerbszwecke, verfolgt. Dies heißt nicht, dass die Körperschaft keinerlei wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen darf. Eine Steuerbegünstigung ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit der Körperschaft bei einer Gesamtbetrachtung das Gepräge gibt. Die Tätigkeit darf somit nicht in erster Linie auf Mehrung des Vermögens der Körperschaft gerichtet sein.
Neben dem selbstlosen Handeln müssen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1–5 AO weitere Voraussetzungen für eine Begünstigung vorliegen:
Gefordert ist eine zweckgebundene und zeitnahe Mittelverwendung. Sämtliche Mittel dürfen ausschließlich für satzungsmäßige Zwecke verwendet werden, und die Mitglieder als solche dürfen keine Gewinnanteile und sonstigen Zuwendungen erhalten; mit Mitteln der Körperschaft dürfen weder unmittelbar noch mittelbar politische Parteien unterstützt oder gefördert werden (für Ausnahmen s. § 58 AO). Mittel i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO sind sämtliche Vermögenswerte der Körperschaft, nicht nur die ihr durch Spenden, Beiträge und Erträge ihres Vermögens und ihrer wirtschaftlichen Zweckbetriebe zur Verfügung stehenden Geldbeträge (, BStBl 1992 II S. 62). Zu weiteren Einzelheiten s. Nr. 1–21 und 26–28 AEAO zu § 55.
Mitglieder dürfen bei ihrem Ausscheiden oder bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft nicht mehr als die eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert der Sacheinlagen zurückerhalten. S. hierzu auch Nr. 23 AEAO zu § 55.
Untersagt ist die Begünstigung von Personen. Die Körperschaft darf keine Personen durch zweckfremde Ausgaben oder unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen.
Gemäß dem Grundsatz der Vermögensbindung darf das Vermögen der Körperschaft bei deren Auflösung oder Aufhebung oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. Zu Einzelheiten s. Nr. 23–25 AEAO zu § 55 und die Erläuterungen zu § 61 AO.
Eine nachträgliche Verletzung der Vermögensbindung nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO führt gem. § 61 Abs. 3 AO bei der Körperschaft zu einer Nachversteuerung. Aber auch die Verstöße der tatsächlichen Geschäftsführung gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1–3 AO können so schwerwiegend sein, dass sie einer Verwendung des gesamten Vermögens für satzungsfremde Zwecke gleichkommen und zu einer Nachversteuerung führen (vgl. Nr. 8 AEAO zu § 61).
Zu den Besonderheiten bei Stiftungen und Betrieben gewerblicher Art von Körperschaften öffentlichen Rechts (s. Nr. 30 und 31 AEAO zu § 55).
Tz. 74 Ausschließlichkeit
Eine Körperschaft darf nur ihre steuerbegünstigten Zwecke und steuerlich unschädliche Betätigungen (§ 58 AO) verfolgen. Mehrere steuerbegünstigte Zwecke können nebeneinander verfolgt werden, ohne dass dadurch die Ausschließlichkeit verletzt wird. Die verwirklichten steuerbegünstigten Zwecke müssen jedoch sämtlich satzungsmäßige Zwecke sein, d. h. in der Satzung aufgenommen sein. Anderenfalls wäre die Steuerbegünstigung der Körperschaft gefährdet. Eine vermögensverwaltende Tätigkeit verstößt nicht gegen das Ausschließlichkeitsgebot des § 56 AO (, BStBl 1992 II S. 62).
Tz. 75 Unmittelbarkeit
Die Zweckverwirklichung einer Körperschaft muss nicht nur selbstlos und ausschließlich erfolgen, sondern auch unmittelbar. Unmittelbarkeit ist gegeben, wenn die Körperschaft die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst oder durch Hilfspersonen verwirklicht (wegen der Ausnahmen Hinweis auf § 58 AO).
Bei der Verwirklichung durch Hilfspersonen ist es erforderlich, dass nach den Umständen des Falls, insbesondere nach den rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen, die zwischen der Körperschaft und der Hilfsperson bestehen, das Wirken der Hilfsperson wie eigenes Wirken der Körperschaft anzusehen ist, d. h. die Hilfsperson nach den Weisungen der Körperschaft einen konkreten Auftrag ausführt. Hilfsperson kann eine natürliche Person, Personenvereinigung oder juristische Person sein (s. auch Nr. 2 AEAO zu § 57).
§ 57 Abs. 2 AO fingiert bei sog. Dachkörperschaften („Dachverbänden”) die Unmittelbarkeit und eröffnet damit auch ihnen die Steuervergünstigung wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke. Voraussetzung ist, dass jede der im Verband zusammengefassten Körperschaften sämtliche Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung erfüllt (s. im Übrigen Nr. 3 AEAO zu § 57).
Tz. 76 Steuerlich unschädliche Betätigungen
Die Vorschrift beinhaltet einen Katalog verschiedener Tätigkeiten, die unschädlich für die steuerliche Begünstigung einer Körperschaft sind. Durch gesetzliche Fiktion werden Ausnahmen von der Selbstlosigkeit (§ 55 AO), der Ausschließlichkeit (§ 56 AO) und dem Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 57 AO) zugelassen und einzelne Betätigungen, die an sich einer Steuervergünstigung entgegenstehen würden, für steuerlich unschädlich erklärt. Zu den aufgezählten Ausnahmen gehören u. a.
Mittelbeschaffung für andere Körperschaften,
teilweise Mittelzuwendung,
Zurverfügungstellung von Arbeitskräften,
Rücklagenbildung,
gesellige Zusammenkünfte.
Erläuterungen zu den einzelnen Ausnahmetatbeständen enthält der AEAO zu § 58.
Tz. 77 Voraussetzung der Steuervergünstigung
Die Vorschrift bestimmt, dass eine Steuervergünstigung nur gewährt wird,
selbstlos (§ 55 AO), ausschließlich (§ 56 AO) und unmittelbar (§ 57) durch die Körperschaft verfolgt wird, und dies
aus der Verfassung der Körperschaft (Satzung) direkt hervorgeht.
Zudem muss die tatsächliche Geschäftsführung diesen Satzungsbestimmungen entsprechen.
Zu Einzelheiten der Satzung s. Nr. 1 und 2 AEAO zu § 59 sowie die Erläuterungen zu § 60 AO.
Die Entscheidung, ob eine Körperschaft steuerbegünstigt ist, trifft das Finanzamt im Veranlagungsverfahren durch Steuerbescheid (ggf. Freistellungsbescheid). Ein besonderes Anerkennungsverfahren ist nicht vorgesehen. Ein Antrag auf Anerkennung als steuerbegünstigte Körperschaft ist nicht erforderlich. Eine Körperschaft, bei der die gesetzlichen Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung vorliegen, muss entsprechend behandelt werden. Daher ist auch ein Verzicht auf die Behandlung als steuerbegünstigte Körperschaft nicht möglich (vgl. Nr. 3 AEAO zu § 59).
Körperschaften, deren Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren noch nicht festgestellt worden ist, kann auf Antrag eine vorläufige Bescheinigung erteilt werden. Dies ist regelmäßig der Fall bei neu gegründeten Körperschaften. Die Bescheinigung wird benötigt um steuerbegünstigte Spenden zu erhalten oder von Kosten befreit zu werden (z. B. Kosten für die Eintragung ins Vereinsregister). Die vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit stellt keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich eine Auskunft über den gekennzeichneten Teilbereich der für die Steuervergünstigung erforderlichen Voraussetzungen dar. Sie sagt z. B. nichts über die Übereinstimmung von Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung aus (s. Nr. 4 ff. AEAO zu § 59). Wird eine vorläufige Bescheinigung über die Gemeinnützigkeit erteilt oder die Steuervergünstigung anerkannt, bei einer späteren Überprüfung der Körperschaft aber festgestellt, dass die Satzung doch nicht den Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts genügt, dürfen aus Vertrauensschutzgründen hieraus keine nachteiligen Folgerungen für die Vergangenheit gezogen werden. Die Körperschaft ist trotz der fehlerhaften Satzung für abgelaufene Veranlagungszeiträume und für das Kalenderjahr, in dem die Satzung beanstandet wird, als steuerbegünstigt zu behandeln. Dies gilt nicht, wenn bei der tatsächlichen Geschäftsführung gegen Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts verstoßen wurde (vgl. , BStBl 2004 I S. 1059).
Tz. 78 Anforderungen an die Satzung
§ 60 AO enthält Anforderungen an die Satzung sowohl in formeller als auch in zeitlicher Hinsicht.
Gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 AO muss die Satzung so präzise gefasst sein, dass aus ihr unmittelbar entnommen werden kann, ob die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung vorliegen (formelle Satzungsmäßigkeit). Der formellen Satzungsmäßigkeit ist aber genügt, wenn sich die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die steuerliche Vergünstigung aufgrund einer Auslegung aller Satzungsbestimmungen ergeben (vgl. , BStBl 1997 II S. 794).
Die notwendigen Festlegungen einer Satzung ergeben sich aus einer in der AO enthaltenen Mustersatzung für Vereine, Stiftungen, Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, geistliche Genossenschaften und Kapitalgesellschaften. Die Mustersatzung enthält u. a. die Anforderung, dass sich die Körperschaft zur ausschließlichen und unmittelbaren Verfolgung förderungswürdiger Zwecke verpflichtet.
§ 60 Abs. 2 AO legt die Anforderungen an die Satzung in zeitlicher Hinsicht fest. Danach muss die Satzung den vorgeschriebenen Erfordernissen bei der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer während des ganzen Veranlagungs- oder Bemessungszeitraums und bei den anderen Steuern im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 38 AO) entsprechen. Die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Anerkennung der Steuerbegünstigung müssen folglich erfüllt sein (s. Nr. 6 AEAO zu § 60)
bei der Körperschaftsteuer vom Beginn bis zum Ende des Veranlagungszeitraums,
bei der Gewerbesteuer vom Beginn bis zum Ende des Erhebungszeitraums,
bei der Grundsteuer zum Beginn des Kalenderjahrs, für das über die Steuerpflicht zu entscheiden ist (§ 9 Abs. 2 GrStG),
bei der Umsatzsteuer zu den sich aus § 13 Abs. 1 UStG ergebenden Zeitpunkten,
bei der Erbschaftsteuer zu den sich aus § 9 ErbStG ergebenden Zeitpunkten.
Tz. 79 Satzungsmäßige Vermögensbindung
Eine gemeinnützige Körperschaft darf bei ihrer Auflösung oder Aufhebung oder bei Wegfall ihres steuerbegünstigten Zwecks ihr Vermögen nur für steuerbegünstigte Zwecke verwenden (Grundsatz der Vermögensbindung; s. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO). In ihrer Satzung muss sie den Zweck, für den das Vermögen in diesen Fällen verwendet werden soll, genau bestimmen (§ 61 Abs. 1 AO). Sie kann dazu entweder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts oder eine andere steuerbegünstigte Körperschaft, die das Vermögen erhalten soll, konkret benennen oder aber einen bestimmten steuerbegünstigten Zweck angeben, für den eine Körperschaft des öffentlichen Rechts oder eine andere steuerbegünstigte Körperschaft das Vermögen zu verwenden hat.
Der ab 2007 aufgehobene § 61 Abs. 2 AO enthielt eine Alternative, wonach für die Vermögensbindung eine Bestimmung in der Satzung ausreichte, dass bei Auflösung der Körperschaft oder Wegfall der Gemeinnützigkeit das Vermögen für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden ist und der künftige Beschluss über die Verwendung des Vermögens erst nach Einwilligung des Finanzamts ausgeführt werden darf. Diese Satzungsbestimmung war aber nur dann zulässig, wenn aus zwingenden Gründen der künftige Verwendungszweck des Vermögens bei Aufstellung der Satzung noch nicht angegeben werden konnte. Die Regelung führte in der Praxis oft zu unnötigen Auseinandersetzungen über das Bestehen von zwingenden Gründen. Zur Vermeidung von Aufwand für bestehende Körperschaften, deren Satzung die Alternative für die Vermögensbindung enthält („Altfälle”), wird durch Nr. 2 AEAO zu § 61 angeordnet, dass die Bestimmung über die Vermögensbindung erst dann angepasst werden muss, wenn die Satzung aus anderen Gründen ohnehin geändert wird.
§ 61 Abs. 3 AO behandelt die Verletzung des Grundsatzes der Vermögensbindung. In Fällen der nachträglichen Aufhebung der satzungsmäßigen Vermögensbindung wird die entsprechende Vorschrift der Satzung als von Anfang an steuerlich nicht ausreichend angesehen. Die Regelung greift auch ein, wenn bei der tatsächlichen Geschäftsführung gegen die Satzungsvorschrift der Vermögensbindung verstoßen wird (§ 63 Abs. 2 AO).
Die steuerlichen Folgerungen sind durch Steuerfestsetzung rückwirkend zu ziehen. Es können Steuerbescheide geändert werden, die Steuern betreffen, die innerhalb von zehn Jahren vor der erstmaligen Verletzung der Vermögensbindungsregelung entstanden sind (§ 61 Abs. 3 Satz 2 AO). Die Finanzverwaltung kann demnach auch noch zugreifen, wenn zwischen dem steuerfreien Bezug der Erträge und dem Wegfall der Steuerbegünstigung ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren liegt, selbst wenn in der Zwischenzeit keine Erträge mehr zugeflossen sind (vgl. Nr. 5 AEAO zu § 61, mit Beispielen).
Hingegen begründen Verstöße gegen § 55 Abs. 1 und 3 AO „lediglich” die Möglichkeit einer Nachversteuerung im Rahmen der Festsetzungsfrist. Auch die Verstöße der tatsächlichen Geschäftsführung gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1–3 AO können so schwerwiegend sein, dass sie einer Verwendung des gesamten Vermögens für satzungsfremde Zwecke gleichkommen und zu einer Nachversteuerung führen (vgl. Nr. 6 und 8 AEAO zu § 61).
Tz. 80 Ausnahmen von der satzungsmäßigen Vermögensbindung
Der durch das JStG 2009 aufgehobene § 62 AO enthielt eine Ausnahmeregelung zu § 61 AO. Die Vorschrift ist letztmals anzuwenden auf Betriebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei den von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verwalteten unselbständigen Stiftungen und bei geistlichen Genossenschaften (Orden, Kongregationen), die vor dem errichtet wurden. Bei den genannten Körperschaften braucht die Vermögensbindung nicht in der Satzung festgelegt werden. Materiell unterliegen aber auch diese Körperschaften der Vermögensbindung. Bei den genannten Körperschaften wurde vom grds. Erfordernis der satzungsmäßigen Vermögensbindung bisher abgesehen, weil u. a. aufgrund aufsichtsbehördlicher Kontrollen sichergestellt war, dass bei ihrer Auflösung oder Aufhebung oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks das verbleibende Vermögen für steuerbegünstigte Zwecke verwendet wird.
Durch die Einbeziehung aller in der Europäischen Union bzw. in dem Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums ansässiger, in Deutschland beschränkt steuerpflichtiger gemeinnütziger Körperschaften in die Körperschaftsteuerbefreiung kann die aufsichtsbehördliche Kontrolle jedoch zukünftig nicht mehr in allen Fällen gewährleistet werden. Durch die Streichung der Ausnahmeregelung des § 62 AO wurde erreicht, dass Steuervergünstigungen („Anerkennung der Gemeinnützigkeit”) nunmehr sowohl bei allen unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften als auch bei beschränkt steuerpflichtigen EU/EWR-ausländischen Körperschaften davon abhängen, dass die Vermögensbindung in deren Satzung genau bestimmt ist.
Tz. 81 Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung
Die tatsächliche Geschäftsführung einer steuerbegünstigen Körperschaft muss auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den satzungsmäßigen Voraussetzungen über die Steuerbegünstigung entsprechen. Den Nachweis muss die Körperschaft durch ordnungsmäßige Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben, gegenüber dem Finanzamt erbringen. Dabei sind die Vorschriften der §§ 140 ff. AO über die Führung von Büchern und Aufzeichnungen zu beachten. Handelsrechtliche Vorschriften gelten nur, sofern sich dies aus der Rechtsform der Körperschaft oder aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ergibt. Sofern steuerbegünstigte Zwecke im Ausland verwirklicht werden, besteht eine erhöhte Nachweispflicht (§ 90 Abs. 2 AO).
Die tatsächliche Geschäftsführung umfasst auch die Ausstellung steuerlicher Zuwendungsbestätigungen. Bei Missbräuchen auf diesem Gebiet, z. B. durch die Ausstellung von Gefälligkeitsbestätigungen, ist die Steuerbegünstigung zu versagen (Nr. 2 AEAO zu § 63).
Durch die sinngemäße Anwendung von § 60 Abs. 2 und § 61 Abs. 3 AO gilt, dass
die tatsächliche Geschäftsführung dem satzungsgemäßen Zweck bei der Körperschaftsteuer bzw. Gewerbesteuer während des ganzen Veranlagungs- oder Bemessungszeitraums und bei den anderen Steuern im Zeitpunkt der Steuerentstehung entsprechen muss, und
dass bei einem Verstoß der tatsächlichen Geschäftsführung gegen den satzungsmäßig festgelegten Grundsatz der Vermögensbindung die Steuerbegünstigung rückwirkend entfällt.
Das Finanzamt kann bei einer Ansammlung von Mitteln, die nicht nach § 58 Nr. 6 und 7 AO einer zweckgebundenen bzw. freien Rücklage zugeführt werden können, eine Frist für die Verwendung der Mittel setzen. Die Steuerbegünstigung bleibt erhalten, wenn die Mittel innerhalb der gesetzten Frist für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. Die Fristsetzung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts (§ 5 AO). Diese Vorschrift sollte Körperschaften aber keineswegs dazu verleiten, Mittel planmäßig anzusammeln. Stellt das Finanzamt eine planmäßige unzulässige Mittelansammlung fest, kann es in Ausübung seines Ermessens von einer Fristsetzung absehen und die Gemeinnützigkeit für den gesamten Zeitraum des schädlichen Verhaltens versagen.
Tz. 82 Steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe
Soweit das Gesetz eine Steuervergünstigung für einen von einer Körperschaft unterhaltenen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausschließt, entfällt die Steuervergünstigung für die dem Geschäftsbetrieb zuzuordnenden Besteuerungsgrundlagen, soweit dieser kein Zweckbetrieb ist. Zweckbetriebe bestimmen sich nach den §§ 65–68 AO. Liegt also kein Zweckbetrieb vor, unterliegt der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb der allgemeinen Besteuerung. Ob der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb steuerpflichtig ist oder ein Zweckbetrieb besteht, wird bei der Körperschaftsteuerveranlagung der steuerbegünstigten Körperschaft entschieden (vgl. Nr. 3 AEAO zu § 64).
Gesetze in diesem Sinn, die die Steuervergünstigung für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausschließen, sind u. a. § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG und § 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 UStG. Zur Definition des Begriffs „wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb” wird auf § 14 AO verwiesen, der ihn als selbständige und nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer reinen Vermögensverwaltung hinausgeht, beschreibt. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist dabei nicht notwendig. Steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe liegen z. B. vor beim Verkauf von Speisen und Getränken sowie bei geselligen Veranstaltungen, für die Eintrittsgeld erhoben werden.
Alle steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe einer Körperschaft werden zusammengefasst (§ 64 Abs. 2 AO). Dies gilt sowohl für die Ermittlung und Verrechnung von Gewinnen und Verlusten, als auch für die steuerlichen Freigrenzen und die Beurteilung der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 1 AO.
Nach § 64 Abs. 3 AO sind ist der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb erst bei Einnahmen einschließlich Umsatzsteuer von mehr als 35.000 € jährlich steuerpflichtig (Besteuerungsgrenze). Mit der Besteuerungsgrenze sollen vor allem die meist ehrenamtlichen Vorstände und Geschäftsführer der gemeinnützigen Vereine von Arbeiten, die für die zutreffende Besteuerung der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe notwendig sind, entlastet werden. Die Höhe der Einnahmen aus den steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben bestimmt sich nach den Grundsätzen der steuerlichen Gewinnermittlung. Zur Ermittlung der Einnahmen, insbesondere auch zu Einnahmen die nicht in die Ermittlung einzubeziehen sind, s. Nr. 14–23 AEAO zu § 64.
Nach § 64 Abs. 4 AO gilt die Aufteilung einer Körperschaft in mehrere selbständige Körperschaften zum Zweck der mehrfachen Inanspruchnahme der Steuervergünstigung nach § 64 Abs. 3 AO als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 AO. Hiervon erfasst werden allerdings nicht die regionalen Untergliederungen (Landes-, Bezirks-, Ortsverbände) steuerbegünstigter Körperschaften (vgl. Nr. 24 AEAO zu § 64).
§ 64 Abs. 5 AO enthält eine Vereinfachung für die Ermittlung der Überschüsse aus der Verwertung unentgeltlich erworbenen Altmaterials aus Sammlungen außerhalb einer ständig dafür eingerichteten Verkaufsstelle, die der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegen. Es besteht ein Wahlrecht, ob der tatsächliche Gewinn oder der branchenüblich geschätzte Reingewinn der Besteuerung unterworfen werden soll. Die Regelung gilt nur für Altmaterialsammlungen (Sammlung und Verwertung von Lumpen, Altpapier, Schrott). Sie gilt nicht für den Einzelverkauf gebrauchter Sachen (Gebrauchtwarenhandel). Basare und ähnliche Einrichtungen sind deshalb nicht begünstigt.
Ein weiteres Wahlrecht eröffnet § 64 Abs. 6 AO den Körperschaften. Diese können sich bei den dort bestimmten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben für eine pauschale Gewinnermittlung in Höhe von 15 % der Einnahmen entscheiden.
Wird der Überschuss nach § 64 Abs. 5 AO geschätzt oder nach § 64 Abs. 6 AO pauschal ermittelt, muss die Körperschaft die mit diesen Einnahmen im Zusammenhang stehenden Einnahmen und Ausgaben gesondert aufzeichnen. Die genaue Höhe der Einnahmen wird zur Ermittlung des Gewinns nach § 64 Abs. 5 bzw. 6 AO benötigt. Die mit diesen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben zusammenhängenden Ausgaben dürfen das Ergebnis der anderen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe nicht mindern (Nr. 34 AEAO zu § 64). Für weitere Einzelheiten s. Nr. 25–35 AEAO zu § 64.
Tz. 83 Zweckbetrieb
Einen Spezialfall des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (§ 14 AO) bildet der Zweckbetrieb. Ein Zweckbetrieb ist nach § 65 AO gegeben, wenn
ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen,
die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und
der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.
Die Einkünfte eines Zweckbetriebs unterliegen – unabhängig von der Höhe des erwirtschafteten Gewinns – nicht den Ertragsteuern. Ebenso unterliegen die Umsätze eines Zweckbetriebs dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG). Zur Abgrenzung von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben und Zweckbetrieben s. Abschn. 170 Abs. 4 UStR.
Ein Zweckbetrieb muss tatsächlich und unmittelbar satzungsmäßige Zwecke der Körperschaft verwirklichen, die ihn betreibt. Es genügt nicht, wenn er begünstigte Zwecke verfolgt, die nicht satzungsmäßige Zwecke der ihn tragenden Körperschaft sind. Ebenso wenig genügt es, wenn er der Verwirklichung begünstigter Zwecke nur mittelbar dient, z. B. durch Abführung seiner Erträge. Ein Zweckbetrieb muss deshalb in seiner Gesamtrichtung mit den ihn begründenden Tätigkeiten und nicht nur mit den durch ihn erzielten Einnahmen den steuerbegünstigten Zwecken dienen (Nr. 2 AEAO zu § 65).
Eine weitere Voraussetzung eines Zweckbetriebs ist, dass die Zwecke der Körperschaft nur durch ihn erreicht werden können. Die Körperschaft muss den Zweckbetrieb zur Verwirklichung ihrer satzungsmäßigen Zwecke unbedingt und unmittelbar benötigen.
Für die Annahme eines Zweckbetriebs ist von besonderer Bedeutung, dass der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu den nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb treten darf, als es bei der Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (Wettbewerbsklausel). Eine tatsächliche, konkrete Konkurrenz- und Wettbewerbslage zu steuerpflichtigen Betrieben derselben oder ähnlichen Art ist nicht erforderlich (vgl. , BStBl 1994 II S. 573). Ein Zweckbetrieb ist daher – entgegen dem , BStBl 2000 II S. 705 – bereits dann nicht gegeben, wenn ein Wettbewerb mit steuerpflichtigen Unternehmen lediglich möglich wäre, ohne dass es auf die tatsächliche Wettbewerbssituation vor Ort ankommt. Unschädlich ist dagegen der uneingeschränkte Wettbewerb zwischen Zweckbetrieben, die demselben steuerbegünstigten Zweck dienen und ihn in der gleichen oder in ähnlicher Form verwirklichen.
Liegt ein Zweckbetrieb nach den §§ 66–68 AO vor, müssen die allgemeinen Voraussetzungen des § 65 AO für die Annahme eines Zweckbetriebs nicht erfüllt sein (Abschn. 170 Abs. 3 UStR).
Tz. 84 Wohlfahrtspflege
§ 66 AO enthält eine Sonderregelung für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe, die sich mit der Wohlfahrtspflege befassen. Diese zählen zu den Zweckbetrieben, wenn mindestens zwei Drittel ihrer Leistungen hilfsbedürftigen Personen i. S. des § 53 AO zugute kommen. Für Krankenhäuser findet § 66 AO keine Anwendung; hier gelten die Bestimmungen des § 67 AO.
Wohlfahrtspflege ist die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich dabei auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken. Zu den Einrichtungen der Wohlfahrtspflege zählen u. a. die gem. § 23 UStDV anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege:
Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.;
Deutscher Caritasverband e. V.;
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V.;
Deutsches Rotes Kreuz e. V.;
Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V.;
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V.;
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.;
Bund der Kriegsblinden Deutschlands e. V.;
Verband deutscher Wohltätigkeitsstiftungen e. V.;
Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V.;
Sozialverband VdK Deutschland e. V.
Weitere Beispiele enthalten die Nr. 4–7 AEAO zu § 66. Liegt ein Zweckbetrieb nach § 66 AO vor, müssen die allgemeinen Voraussetzungen des § 65 AO nicht geprüft werden (vgl. Abschn. 170 Abs. 3 UStR 2008).
Tz. 85 Krankenhäuser
§ 67 AO enthält Sonderregelungen darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Krankenhaus ein Zweckbetrieb ist. Dabei wird zwischen Krankenhäusern, die in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes oder der Bundespflegesatzverordnung fallen, und denen, die dies nicht tun, unterschieden. § 67 AO enthält keine Definition des Begriffs Krankenhaus. Da aber an das Sozialrecht angeknüpft wird, sind die § 2 Nr. 1 KHG und § 107 SGB V erläuternd heranzuziehen.
Krankenhäuser i. S. des § 2 Nr. 1 KHG sind Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden. § 107 Abs. 1 SGB V enthält neben weiteren Voraussetzungen eine ähnliche Definition. Danach sind Krankenhäuser Einrichtungen, die mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf ausgerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten, und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden.
Zu dem Zweckbetrieb Krankenhaus gehören damit alle Einnahmen und Ausgaben, die mit den ärztlichen und pflegerischen Leistungen an die Patienten als Benutzer des jeweiligen Krankenhauses zusammenhängen. Eine wirtschaftliche Betätigung mit anderem Gegenstand führt als eigenständiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb insoweit zur Steuerpflicht (vgl. , BStBl 2005 II S. 545, m. w. N.).
Tz. 86 Sportliche Veranstaltungen
Sportliche Veranstaltungen eines Sportvereins werden je nach Fallgestaltung und Option des Vereins entweder als Zweckbetrieb oder als steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb eingestuft. Zum Begriff des Sportvereins s. Nr. 2 AEAO zu § 67a, zum Begriff der sportlichen Veranstaltung s. Nr. 3 ff. AEAO zu § 67a.
Nach § 67a Abs. 1 AO werden sportliche Veranstaltungen eines Sportvereins grds. als Zweckbetrieb behandelt, wenn die Einnahmen – aus allen sportlichen Veranstaltungen zusammengezählt – einschließlich der Umsatzsteuer insgesamt 35.000 € im Jahr nicht übersteigen (Zweckbetriebsgrenze). Die Zweckbetriebsgrenze für sportliche Veranstaltungen besteht neben der Besteuerungsgrenze des § 64 Abs. 3 AO und dient wie diese der Vereinfachung der Vereinsbesteuerung. Liegen die Einnahmen über der Zweckbetriebsgrenze, ist ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anzunehmen. Zu den Einnahmen gehören insbesondere Eintrittsgelder, Startgelder, Zahlungen für die Übertragung sportlicher Veranstaltungen in Rundfunk und Fernsehen, Lehrgangsgebühren und Ablösezahlungen.
§ 67a Abs. 2 AO gibt den Vereinen die Möglichkeit gegeben, auf die Anwendung der Zweckbetriebsgrenze zu verzichten (Optionsmöglichkeit), da diese auch zu steuerlichen Nachteilen führen kann. Die Option muss bei der Finanzverwaltung schriftlich beantragt werden und bindet den Verein für mindestens fünf Veranlagungszeiträume an die getroffene Wahl. Die steuerliche Behandlung seiner sportlichen Veranstaltungen richtet sich dann nach § 67a Abs. 3 AO. Danach sind sportliche Veranstaltungen ein Zweckbetrieb, wenn an ihnen kein bezahlter Sportler des Vereins teilnimmt und der Verein keinen vereinsfremden Sportler selbst oder im Zusammenwirken mit einem Dritten bezahlt. Auf die Höhe der Einnahmen oder Überschüsse dieser sportlichen Veranstaltungen kommt es bei Anwendung des § 67a Abs. 3 AO nicht an. Sportliche Veranstaltungen, an denen ein oder mehrere Sportler teilnehmen, die nach § 67a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder 2 AO als bezahlte Sportler anzusehen sind, sind steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (vgl. Nr. 22 AEAO zu § 67a). Zum Begriff der sportlichen Veranstaltung i. S. des § 67a Abs. 3 AO, zum Begriff des Sportlers des Vereins und zum Begriff der Vergütung s. Nr. 23, 26 ff., 30 AEAO zu § 67a.
Tz. 87 Einzelne Zweckbetriebe
Die Vorschrift enthält einen gesetzlichen Katalog einzelner Zweckbetriebe. Sie geht als lex specialis der Regelung des § 65 AO vor, d. h. dass in den in § 68 AO aufgeführten Fällen die Voraussetzungen des § 65 AO nicht vorliegen müssen. Die beispielhafte Aufzählung von Betrieben, die Zweckbetriebe sind, gibt zudem wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung der Begriffe Zweckbetrieb (§ 65 AO) im Allgemeinen und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege (§ 66 AO) im Besonderen (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 68).
Erläuterungen zu den einzelnen gesetzlichen Zweckbetrieben finden sich im AEAO zu § 68.
IV. Haftung
Tz. 88 Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
Das Steuerrecht unterscheidet zwischen Schuld und Haftung. Unter Schuld versteht man die primäre Leistungspflicht des Steuerschuldners (§ 43 AO). Dieser muss für die Erfüllung seiner Steuerschuld einstehen. Haftung im steuerrechtlichen Sinne bedeutet, dass jemand für die Erfüllung einer fremden Steuerschuld mit seinem eigenen Vermögen einzustehen hat. Ein Steuerschuldner kann deshalb für dieselbe Abgabe grds. nicht Haftender im Sinne der steuergesetzlichen Haftungsvorschriften sein, weil die Stellung als Steuerschuldner mit der eines Fremdhaftenden begrifflich unvereinbar ist. Das Steuer- und Haftungsschuldner in Einzelfällen auch identisch seien können, zeigt § 45 Abs. 2 AO für die Gesamtrechtsnachfolge bei Erbfällen. Bei der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall wird der Erbe selbst Steuerschuldner. Allerdings bleiben nach § 45 Abs. 2 Satz 2 AO die Vorschriften, durch die eine steuerrechtliche Haftung der Erben begründet wird, unberührt.
Kann oder will der Steuerschuldner seine Steuerschuld nicht begleichen, sollen andere Personen in Anspruch genommen werden können. Der Zweck der Haftungsvorschriften besteht darin, die Durchsetzung des einzelnen Steueranspruchs durch den Zugriff auf das Vermögen Dritter oder auch auf Sachen zu sichern. Der Fiskus erhält so eine zusätzliche Sicherheit für die Steuerschulden.
Die Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) ist in den §§ 69–76 AO geregelt. Bei den Haftungsbestimmungen der AO geht es nicht um straf- oder geldbußenähnliche Sanktionen, sondern um eine Gewährleistung für beeinträchtigte Steueransprüche. Durch die Haftungsnormen wird die Durchsetzung des Steueranspruchs zusätzlich abgesichert bzw. in einigen Fällen sogar erst ermöglicht. Hierzu wird das Steuerschuldverhältnis auf weitere Personen ausgedehnt, die bei Erfüllung der jeweiligen Haftungsvoraussetzungen vom Fiskus auf Zahlung in Anspruch genommen werden können. Haften können Personen (persönliche Haftung) oder auch Sachen (Sachhaftung). Bei der persönlichen Haftung ist zwischen der beschränkten (§§ 74, 75, 77 AO) und unbeschränkten Haftung (§§ 69–73 AO) zu unterscheiden.
Die Haftungstatbestände der AO knüpfen zum einen an ein vorwerfbares Verhalten des Haftenden (§§ 69–72 AO) und zum anderen an ein besonderes Näheverhältnis zu einer Gesellschaft (§ 73 AO), einer Sache (§§ 74, 76 AO) oder einer Gesamtheit von Sachen (§ 75 AO) an. Die Haftung der Organgesellschaft (§ 73 AO), des Eigentümers von Gegenständen (§ 74 AO) sowie des Betriebsübernehmers (§ 75 AO) umfasst nicht alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis schlechthin, sondern lediglich Steuern und Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen. Nicht benannt werden in diesen Vorschriften die steuerlichen Nebenleistungen, für die folglich auch nicht gehaftet wird. In diesen Fällen handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung, die ausschließlich auf einer besonderen Stellung des Haftenden und damit auf objektiven Tatbestandsmerkmalen beruht. Dieser Umstand liefert ein nachvollziehbares Kriterium dafür, warum die Haftung der in §§ 73, 74, 75 AO benannten Haftungsschuldner auf rückständige Steuern beschränkt ist und verwirkte Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie Zinsen außer Betracht gelassen werden.
Die §§ 69 ff. AO regeln die Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis jedoch nicht abschließend. Weitere gesetzliche Haftungstatbestände finden sich in den Einzelsteuergesetzen, sowie den zivilrechtlichen Vorschriften des BGB und des HGB.
Beispiele der gesetzlichen Haftung für Steuerschulden:
Haftung des Ausstellers einer Spendenbescheinigung (§ 10b Abs. 4 Satz 2 EStG),
Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers (§ 42d Abs. 1 EStG),
Haftung des Leistungsempfängers von Bauleistungen (§ 48a Abs. 3 EStG),
Haftung des Ausstellers einer Spendenbescheinigung (§ 9 Abs. 3 S. 2 KStG),
zum Nachlass gehörendes Handelsgeschäft (§ 27 HGB),
Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns (§ 28 HGB).
Neben der gesetzlichen Haftung kann auch aufgrund vertraglicher Vereinbarung für Steuerschulden gehaftet werden, wenn sich Dritte durch rechtsgeschäftliche Verpflichtungsgeschäfte, wie z. B. Bürgschaft (§ 765 BGB) oder Schuldversprechen (§ 780 BGB), dazu verpflichten, für die Steuerschuld eines anderen einzustehen (§ 48 Abs. 2 AO). Die vertraglichen Haftungsansprüche sind in der Praxis jedoch eher selten anzutreffen.
Da nach der Systematik der AO das Steuerschuldrecht, das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren sowie die Erhebung von einander getrennt behandelt werden, finden sich auch die einzelnen Vorschriften zur Haftung in verschieden Teilen der AO. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungs- oder Duldungsbescheides nach der AO finden sich in den §§ 69–77 AO. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Durchsetzung eines entstandenen Haftungsanspruchs sind für die gesetzliche Haftung, unabhängig davon, ob sie sich aus öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Vorschriften ergibt, in § 191 AO geregelt (Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid). Für die vertragliche Haftung findet § 192 AO Anwendung (Verwirklichung des Anspruchs nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts). Die Erhebung der Haftungsschuld (Zahlungsaufforderung) richtet sich nach § 219 AO.
Die Haftung setzt voraus, dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO gegen einen Dritten besteht (sog. Primäranspruch, Haupt- oder Erstschuld). Der Haftungsanspruch ist grds. vom zugrunde liegenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis abhängig, d. h. es besteht Akzessorietät. Eine Haftung kommt nur für materiell-rechtlich bestehende Steueransprüche in Betracht. Der Grundsatz der Akzessorietät der Haftung nach der AO gilt allerdings nur eingeschränkt. Eine Durchbrechung erfährt der Akzessorietätsgrundsatz z. B. für den Fall, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat (§ 191 Abs. 5 Satz 2 AO).
Der Haftungsanspruch ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO). Er entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Haftungsnorm die Haftungsfolge knüpft (§ 38 AO), jedoch nicht vor Entstehen der Steuerschuld. Werden mehrere Haftungstatbestände gleichzeitig erfüllt, kann das Finanzamt diese nebeneinander geltend machen. Da der Haftungsschuldner für eine fremde Schuld einzustehen hat, setzt seine Inanspruchnahme neben dem Bestehen einer öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Haftungsnorm voraus, dass der Primäranspruch bei Erlass des Haftungsbescheids materiell-rechtlich noch besteht. Entscheidend ist dabei allein die materiell-rechtliche Existenz des Steueranspruchs, nicht jedoch seine formale Festsetzung. Die Festsetzung des Steueranspruchs gegenüber dem Steuerschuldner ist für die Inanspruchnahme des Haftenden ohne Bedeutung. Denn die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, dass die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist. Aufgrund der Abhängigkeit der Haftungsschuld vom Primäranspruch ist das Erlöschen der Steuerschuld bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme zu berücksichtigen.
Steuer- und Haftungsschuldner sind Gesamtschuldner i. S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 AO. Steuerschuldner und Haftungsschuldner sind nebeneinander verpflichtet, einen Betrag in Höhe der Steuerschuld zu entrichten, wenn auch die Verpflichtung auf unterschiedlichen Gründen beruht. Die Steuerschuld geht nicht auf den Haftenden über. Vielmehr tritt der Anspruch des Finanzamts auf Haftung für eine bestimmte Steuerschuld neben die Steuerforderung. Die Inanspruchnahme des Steuerschuldners ist jedoch grundsätzlich vorrangig. Der Haftungsschuldner darf gem. § 219 Satz 1 AO, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur auf Zahlung in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben ist oder anzunehmen ist, dass sie aussichtslos sein würde (sog. Subsidiarität). Der Subsidiaritätsgrundsatz wird durch § 219 Satz 2 AO wesentlich eingeschränkt. Der Erstschuldner ist danach nicht vorgreiflich in Anspruch zu nehmen, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten oder Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.
Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach §§ 191 und 192 AO steht im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde.
Tz. 89 Haftung der Vertreter
Die Haftung des Vertreters nach § 69 AO ist in der Praxis eine der am häufigsten angewandten Haftungsnormen. Ziel der Vorschrift ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen verursacht werden. Diese Personen haften, soweit durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten Steuern nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet werden. Die Vertreterhaftung findet auch auf die steuerlichen Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO Anwendung.
Der Haftende steht persönlich und unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen ein. Der Umfang der Haftung ist auf den Betrag beschränkt, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Vorschrift hat somit Schadensersatzcharakter. Der wegen seines Handelns als Vertreter Haftende wird zusätzlich zum Steuerpflichtigen herangezogen, damit er dem Steuergläubiger, der sich denjenigen, der das Steuerschuldverhältnis begründet, nicht aussuchen kann, im Schadensfall Ersatz leistet.
§ 69 Satz 2 AO stellt klar, dass sich die Haftung nicht nur auf die Säumniszuschläge erstreckt, die aufgrund der Pflichtverletzung dem Finanzamt unmittelbar vorenthalten wurden, sondern auch auf die infolge der Pflichtverletzung bedingten Säumniszuschläge.
a) Haftungsschuldner
Die Haftung nach § 69 i. V. mit §§ 34, 35 AO erstreckt sich im Einzelnen auf die
gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen (z. B. Vater und Mutter bei nicht oder nur beschränkt geschäftsfähigen, ehelichen Kindern; Vorstand einer AG; Geschäftsführer einer GmbH);
Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen(z. B. bei einer OHG, KG, GbR);
Mitglieder oder Gesellschafter nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen und Träger nichtrechtsfähiger Vermögensmassen, soweit kein Geschäftsführer vorhanden ist;
Vermögensverwalter (z. B. Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter und Testamentsvollstrecker);
Verfügungsberechtigten (z. B. Treuhänder).
b) Pflichten und Pflichtverletzung
Die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Vertreter und Verfügungsberechtigten haben die steuerlichen Pflichten der von ihnen vertretenen Steuerpflichtigen zu erfüllen. Dazu gehören z. B. die Buchführungs-, Erklärungs-, Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten (§§ 140 ff., 90, 93 AO) oder die Verpflichtung, die Vollstreckung in das verwaltete Vermögen zu dulden (§ 77 AO). Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO besteht die Hauptpflicht der Geschäftsführer („insbesondere”) darin, dafür zu sorgen, dass die Steuern aus Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Eine Pflichtverletzung liegt danach u. a. vor bei fehlender oder unrichtiger Abgabe von Steuererklärungen, Missachtung von Buchführungsvorschriften und vor allem bei Nichtzahlung fälliger Steueransprüche aus den verwalteten Mitteln.
c) Haftungsschaden
Durch die Pflichtverletzung muss ein Schaden entstanden sein. Die Vorschrift des § 69 AO hat Schadensersatzcharakter und keinen Strafcharakter. Zu einem Haftungsschaden kommt es, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung wegen nicht rechtzeitiger Festsetzung ist insbesondere bei der Umsatzsteuer von Bedeutung, wenn Umsätze nicht rechtzeitig vorangemeldet werden.
d) Kausalität
Die Haftung nach § 69 AO setzt voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden Kausalität besteht, d. h. zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden muss ein ursächlicher Zusammenhang existieren (Kausalzusammenhang). Die Pflichtverletzung ist als kausal anzusehen, wenn sie nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Haftungsschaden entfiele.
e) Verschulden
Die Verantwortlichen haften nur, wenn sie ihre Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt haben. Eine leichte Fahrlässigkeit löst keine Haftung aus. Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich seine Pflichten verletzt („mit Wissen und Wollen”). Es genügt, wenn er die Pflichtverletzung billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz). Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt. Ein grobes Verschulden liegt z. B. regelmäßig vor, wenn der Vertreter eine unvollständige Steuererklärung abgibt, weil er das Erklärungsformular nicht gewissenhaft gelesen und deshalb eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet hat.
Für die Haftung nach § 69 AO ist es nicht erforderlich, dass es durch die Pflichtverletzung zu einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung gekommen ist. Die Haftung des Steuerhinterziehers und Steuerhehlers ist in § 71 AO geregelt. Gleichwohl können die Haftungstatbestände der §§ 69 und 71 AO von derselben Person erfüllt werden. In diesen Fällen sind beide Haftungsvorschriften zu prüfen (s. im Einzelnen Tz. 91).
Eine Haftung des Vertreters tritt nur bei eigenem Verschulden ein. Bedient sich der Vertreter zur Erfüllung der ihm durch § 34 AO auferlegten Pflichten dritter Personen (z. B. Angestellte, steuerliche Berater), haftet er nur dann für Steuerausfälle, die durch schuldhaftes Verhalten der beauftragten dritten Person eingetreten sind, wenn ihn ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft (vgl. , BStBl 1995 II S. 278).
f) Besonderheiten zu Pflichtverletzung und Verschulden
aa) Mehrere Geschäftsführer
Sind in einer Gesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft grds. jeden von ihnen die Verantwortung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft. Diese Gesamtverantwortung kann zwar durch eine – zwingend schriftliche, z. B. im Gesellschaftsvertrag enthaltene – Verteilung der Geschäfte begrenzt, aber nicht aufgehoben werden (vgl. , BStBl 1986 II S. 384, m. w. N.). Die Begrenzung der Verantwortung eines Geschäftsführers bezüglich der steuerlichen Pflichten gilt allerdings nur soweit und solange kein Anlass besteht, unter dem Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters (§ 347 HGB, § 93 AktG, § 43 GmbHG) an der exakten Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln. Zeichnet sich jedoch eine nachhaltige Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft ab, ist jeder einzelne Geschäftsführer verpflichtet, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft zu kümmern.
bb) Zahlungsverpflichtung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO
Fehlen am Fälligkeitstag der Steuerschuld die zur Tilgung erforderlichen Mittel und können diese auch nicht durch Kreditaufnahme beschafft werden, handelt der Verantwortliche grds. nicht pflichtwidrig. Beruht die Zahlungsunfähigkeit jedoch auf einer bevorzugten Befriedigung anderer Gläubiger (z. B. Lieferanten), obwohl dem Verantwortlichen die Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, liegt eine Pflichtverletzung vor.
Reichen bei Fälligkeit der Steuerbeträge die dem Vertreter zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten aus, hängt der Umfang der Pflichtverletzung davon ab, ob die Steuerschulden in etwa im gleichen Verhältnis getilgt wurden wie die übrigen Schulden (Grundsatz der anteilige Tilgung). Dem liegt der Gedanke der Gleichbehandlung aller Gläubiger zu Grunde, denn Steuerschulden sind keine Schulden minderen Rangs. Eine „auf Heller und Pfennig” abgestimmte Verteilung der vorhandenen Mittel auf die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ist dabei jedoch nicht erforderlich. Soweit dem Verantwortlichen unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung, wegen der Ausschöpfung der vorhandenen oder bereitzuhaltenden Mittel, die Erfüllung von Steuerschulden unmöglich ist, fehlt es für die Haftung nach § 69 AO, wenn nicht schon an einer Pflichtverletzung, doch jedenfalls an einem Verschulden (vgl. , BStBl 1991 II S. 678). Wird hingegen das Finanzamt bei der Verteilung der verwalteten Mittel benachteiligt, liegt regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung vor.
Der Haftungsbetrag ist danach zu ermitteln, in welchen Umfang die Steuerschulden bei Berücksichtigung der während des Haftungszeitraums bestehenden und angelaufenen Verbindlichkeiten (einschließlich Steuerschulden) und der während dieses Zeitraums zur Verfügung stehenden Geldmittel hätten befriedigt werden können. Dies führt zur Haftung im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrags. Der Haftungszeitraum beginnt grds. mit dem Tag der ältesten Fälligkeit der für die Haftung in Betracht kommenden Ansprüche und endet mit dem Tag der Beendigung der Pflichtverletzung, spätestens mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldner (z. B. Tag des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens).
Die Gleichbehandlung aller Gläubiger gilt nicht für Abzugsteuern. Diese sind vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das Finanzamt abzuführen. Abzugsteuern sind treuhänderisch verwaltete Steuern eines Dritten. Eine nicht fristgerechte Zahlung einbehaltener Abzugsteuern stellt stets eine Pflichtverletzung dar. Etwaige Liquiditätsschwierigkeiten können deshalb nicht von der Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer befreien. Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht aus, müssen die Löhne in dem Umfange gekürzt werden, dass die Lohnsteuer aus den vorhandenen Mitteln an das Finanzamt entrichtet werden kann.
Tz. 90 Haftung des Vertretenen
§ 70 AO regelt die Haftung der Vertretenen in den Fällen, in denen Vertreter i. S. der §§ 34 und 35 AO dadurch Steuerschuldner und Haftende werden, dass sie vorsätzlich oder leichtfertig Steuern verkürzen. Neben ihrer vorrangigen Bedeutung für das Zoll- und Verbrauchsteuerrecht findet die Vorschrift auch im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern, insbesondere bei Abzugsteuern, Anwendung.
Der Vertretene haftet, wenn dessen Vertreter gem. §§ 34, 35 AO (gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte) Steuern hinterziehen oder leichtfertig verkürzen und dadurch selbst zu Steuerschuldnern oder Haftenden werden, für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Dies gilt allerdings nicht bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen, wenn diese aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Hierdurch wird berücksichtigt, dass die natürlichen Personen insoweit kein Auswahlverschulden treffen kann. Darüber hinaus kommt es auch bei allen übrigen Vertretenen nicht zur Haftung, wenn sie ihren Vertreter, der die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgesucht und beaufsichtigt haben und sie aus der Tat ihres gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben (vgl. auch BT-Drucks. VI/1982 S. 120). Damit bewirkt das Gesetz, dass der Haftung der Vertretenen durch die Pflicht zu jener Sorgfalt Grenzen gesetzt sind, die der Steuergläubiger von jedem anderen, für sich selbst handelnden Steuerpflichtigen in gleicher Weise erwarten darf (etwa, dass er, sofern er selbst unkundig ist, fachkundigen Rat einholt oder sich fachkundiger Hilfe bedient).
Im Unterschied zu § 69 AO umfasst die Haftung nach § 70 AO nicht sämtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Gehaftet wird nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur für Steuern, d. h. Geldleistungen i. S. des § 3 Abs. 1 AO, und Steuervorteile, d. h. Steuererstattungen oder Steuervergütungen. Auf steuerlichen Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 4 AO erstreckt sich die Haftung des Vertretenen nicht. Hinterziehungszinsen nach § 235 AO sind in § 70 AO – anders als in § 71 AO – nicht erwähnt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei dieser Fallkonstellation für die Hinterziehungszinsen nur der Täter oder Teilnehmer der Steuerhinterziehung, nicht aber der damit nicht identische Vertretene haften soll.
Voraussetzung für die Haftung ist, dass durch die Handlung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter oder Verfügungsberechtigten – bei der Ausübung ihrer Obliegenheiten – entweder Steuern verkürzt oder Steuervorteile zu Unrecht gewährt worden sind. Es muss eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO sowohl hinsichtlich des subjektiven als auch des objektiven Tatbestands, seitens der in den §§ 34, 35 bezeichneten Personen verwirklicht sein. Beim Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe scheidet eine Haftungsinanspruchnahme des Vertretenen folglich aus. Die Steuerhinterziehung muss nicht zwingend als Täter begangen werden, es genügt bereits die Teilnahme an einer Steuerhinterziehung (Anstiftung oder Beihilfe). Nicht ausreichend ist dagegen der Versuch des jeweiligen Deliktes. Auf die Steuerhehlerei nach § 374 AO findet die Haftung nach § 70 AO keine Anwendung.
Tz. 91 Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers
§ 71 AO begründet eine Haftung der Steuerhinterzieher und Steuerhehler, sowie der an den Taten teilnehmenden Personen, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Die Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn jemand, der selbst nicht Steuerschuldner ist, eine Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO begangen oder daran als Anstifter oder Gehilfe teilgenommen hat. Die Regelung hat insbesondere Bedeutung für die Fälle, in denen die Haftung nicht bereits nach § 69 AO im Rahmen eines Vertretungsverhältnisses eintritt, sondern sich auf Personen erstreckt, die nicht als Vertreter i. S. der §§ 34, 35 AO handeln, also z. B. Angestellte des Steuerpflichtigen oder Steuerberater. Gleichwohl können die Haftungstatbestände der §§ 69 und 71 AO von derselben Person erfüllt werden (z. B. haftet der Vorstand einer AG, der Lohnsteuern hinterzieht, sowohl aufgrund der Pflichtverletzung nach § 69 AO als auch wegen der vollendeten Steuerhinterziehung nach § 71 AO).
In Abweichung zu § 69 AO ist der Kreis der haftenden Personen nicht durch Gesetz bereits eingeschränkt; grds. kann jeder (außer dem Steuerschuldner) den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklichen. Einzige Voraussetzung ist die Begehung oder Teilnahme an einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei. Der Haftungsschuldner haftet persönlich und unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen. Allerdings ist der Umfang der Haftung auf den Betrag der verkürzten Steuern und zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie die Zinsen nach § 235 AO beschränkt.
Die Haftung nach § 71 AO setzt voraus, dass der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder der Steuerhehlerei nach § 374 AO erfüllt sind. Beim Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe scheidet eine Haftungsinanspruchnahme folglich aus. Die für den Erlass des Haftungsbescheids zuständige Stelle der Finanzbehörde hat im Einvernehmen mit der für Straf- und Bußgeldsachen zuständigen Stelle zu prüfen, ob der objektive und subjektive Tatbestand der einschlägigen Strafvorschrift gegeben ist. Eine vorherige strafgerichtliche Verurteilung ist nicht erforderlich. Ebenso wenig sind Selbstanzeige (§ 371 AO), Eintritt der Strafverfolgungsverjährung oder sonstige Verfahrenshindernisse von Bedeutung. Auch an Entscheidungen im strafgerichtlichen Verfahren ist die zuständige Finanzbehörde nicht gebunden (vgl. , BStBl 1973 II S. 68). Diese fehlende Bindungswirkung trägt u. a. dem Umstand Rechnung, dass noch nachträglich Tatsachen bekannt werden können, die bei der strafgerichtlichen Entscheidung nicht zu Grunde gelegt wurden. Doch ist die Finanzbehörde – ungeachtet der fehlenden Bindungswirkung – nicht daran gehindert, sich die Feststellungen des Strafgerichts zu eigen zu machen, wenn sie diese für zutreffend hält.
Leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO oder der Versuch der Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei können keinen Haftungsanspruch nach § 71 AO begründen.
Tz. 92 Haftung bei Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit
Die Haftungsvorschrift des § 72 AO steht im engen Zusammenhang mit der Regelung zur Kontenwahrheit gem. § 154 AO. Durch § 154 AO soll verhindert werden, dass die Nachprüfung steuerlicher Verhältnisse erschwert oder unmöglich gemacht wird. Dem dient die sog. Legitimationspflicht des § 154 Abs.1 AO, welche dem Kunden des Kontoführenden verbietet, einen Irrtum über die Identität der als Gläubiger genannten Person zu erwecken (formale Kontenwahrheit).
Hat der Verfügungsberechtigte gegen die Wahrheitspflicht des § 154 Abs. 1 AO verstoßen, besteht nach § 154 Abs. 3 AO eine sog. Kontosperre, d. h. der Kontoführende hat vor der Herausgabe von Guthaben, Wertsachen oder Schließfachinhalten die Zustimmung des für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer des Verfügungsberechtigten zuständigen Finanzamts einzuholen. Ausführlich zu § 154 AO s. Tz. 180 f.
Bei einem Verstoß gegen § 154 Abs. 3 AO haftet der Zuwiderhandelnde nach Maßgabe des § 72 AO. Dabei ist die Haftung auf vorsätzliche oder grob fahrlässige Zuwiderhandlungen beschränkt. Ebenso wie die Haftung nach § 69 AO ist die Haftung nach § 72 AO eine Schadensersatzhaftung für pflichtwidriges Verhalten. Die Haftung ist daher auf den Wert des unrechtmäßig Herausgegebenen beschränkt. Als Haftungsschuldner kommt ausschließlich der Kontoführende in Betracht, da sich nur an ihn die Verpflichtung des § 154 Abs. 3 AO richtet. Beim Kontoführenden kann es sich sowohl um natürliche als auch juristische Personen sowie Personengesellschaften handeln. Juristische Personen haften für schuldhafte Zuwiderhandlungen ihrer Organe und Erfüllungsgehilfen (, BStBl 1990 II S. 263).
Eine Haftung nach § 72 AO tritt nur ein, soweit die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis beeinträchtigt wird. Dies ist der Fall, wenn durch die unbefugte Herausgabe Vollstreckungsmöglichkeiten des Finanzamts vereitelt werden und deshalb Forderungen ganz oder teilweise ausfallen. Dies gilt auch für steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO.
Die Kausalität ist i. d. R. auf den Zeitpunkt bezogen zu beurteilen, in dem das Finanzamt die Steuerforderungen nach deren Bekanntwerden gegen den Steuerpflichtigen festgesetzt hat. In diesem Zeitpunkt hat sich erst entschieden, wieweit die Verwirklichung dieser Steuerforderungen durch die Zuwiderhandlungen gegen die Kontensperre beeinträchtigt worden ist. In diesem Zeitpunkt ist der Haftungsanspruch auch erst entstanden.
Tz. 93 Haftung bei Organschaft
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Die Vorschrift regelt die Haftung der Organgesellschaften für Steuern des Organträgers. Nach § 73 AO haftet eine Organgesellschaft (Tochtergesellschaft, beherrschtes Unternehmen) für solche Steuern des Organträgers (Muttergesellschaft, beherrschendes Unternehmen), für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Die Haftung bezieht sich nur auf die Steuern, für die die Organschaft gilt.
Die Vorschrift findet ihre Rechtfertigung nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung darin, dass bei steuerlicher Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfasst, die ohne diese Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden wären. Die Haftung der im Organkreis untergeordneten Organgesellschaft für Steuerschulden des die Organgesellschaft beherrschenden Organträgers gleicht damit die steuerlichen Risiken aus, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könnten.
Die Haftung setzt – im Gegensatz zur Haftung nach § 69 AO – keine vorwerfbare Pflichtverletzung der Haftungsschuldner voraussetzt. Es handelt sich vielmehr um eine strengere, weil verschuldensunabhängige Haftung, die ausschließlich auf der besonderen Rechtsstellung des Haftenden und damit auf objektiven Tatbestandsmerkmalen beruht.
b) Organschaft
Ob eine Organschaft vorliegt, richtet sich nach dem jeweiligen Steuergesetz, das für die einzelne Steuer von Bedeutung ist. Die Voraussetzungen für die umsatzsteuerlichen Organschaft sind in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG geregelt, die der körperschaftsteuerlichen Organschaft in §§ 14, 17 und 18 KStG und die der gewerbesteuerlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 GewStG.
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt eine umsatzsteuerliche Organschaft vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist. Für die Annahme einer Organschaft ist im Umsatzsteuerrecht nicht Voraussetzung, dass eine Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger von Beginn bis zum Ende eines Wirtschaftsjahrs ununterbrochen bestanden hat. Anders als bei Jahressteuern entsteht nämlich die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem entweder die Leistungen ausgeführt oder die Entgelte vereinnahmt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG).
Die Voraussetzungen für die gewerbesteuerliche Organschaft stimmen mit denen der körperschaftsteuerlichen Organschaft überein.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KStG kann Organträger nur ein einziges gewerbliches Unternehmen mit Geschäftsleitung im Inland sein. Eine Organschaft zu mehreren Organträgern (Mehrmütterorganschaft) ist nicht zulässig. Ein gewerbliches Unternehmen liegt vor, wenn die Voraussetzungen für einen Gewerbebetrieb i. S. des § 2 GewStG erfüllt sind. Eine eigene gewerbliche Tätigkeit des Organträgers ist nicht erforderlich. Organträger kann auch eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i. S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG oder ein Unternehmen sein, das Gewerbebetrieb kraft Rechtsform ist. Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft gilt nach § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb. Dies gilt allerdings nicht für einen dauerdefizitären Betrieb gewerblicher Art. Aufgrund fehlender Gewinnerzielungsabsicht erfüllt er nicht die allgemeinen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Gewerbebetriebs i. S. von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG.
Als Organgesellschaften kommen alle Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (doppelter Inlandsbezug) in Betracht. Eine ausländische Kapitalgesellschaft kann danach nicht Organgesellschaft sein, selbst wenn sie im Inland einen Gewerbebetrieb unterhält.
Anders als bei der umsatzsteuerlichen Organschaft ist bei der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger nur zuzurechnen, wenn die Organschaft vom Beginn bis zum Ende eines Wirtschaftsjahrs ununterbrochen bestanden hat.
c) Haftungsschuldner
Haftungsschuldner ist jede Organgesellschaft.
d) Art und Umfang der Haftung
§ 73 AO begründet eine persönliche und unbeschränkte Haftung der Organgesellschaft/en. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift erstreckt sich die Haftung lediglich auf Steuern und nicht auf steuerliche Nebenleistungen. S. auch , BStBl 2006 II S. 3.
Gehaftet wird für alle Steuern des Organträgers, für die die Organschaft steuerlich von Bedeutung ist. Besteht z. B. nur hinsichtlich der Umsatzsteuer Organschaft, erstreckt sich die Haftung der Organgesellschaft/en nur auf die Umsatzsteuer, nicht jedoch auf die Körperschaft- und Gewerbesteuer. Die Organgesellschaft haftet grds. jedoch nicht nur für „ihren” Anteil an der jeweiligen Steuer, d. h. den Steuerbetrag, der ohne Bestehen des Organschaftverhältnisses bei ihr angefallen wäre, sondern auch für die Beträge, die beim Organträger und den anderen Organgesellschaften angefallen sind. Eine bewusste Beschränkung auf die Steuern der einzelnen Organgesellschaft hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen.
Nach § 73 Satz 2 AO wird auch für Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gehaftet. Diese Regelung hat allerdings nur deklaratorischen Charakter, da die Steuervergütungsansprüche den Steuern ohnehin gleich stehen (s. Tz. 3).
Die Haftung erstreckt sich nur auf die Steuern, die während des Bestehens der Organschaft entstehen. Für vororganschaftliche Steuern wird hingegen nicht gehaftet, auch dann nicht, wenn sie erst während der Organschaft fällig werden.
e) Geltendmachung der Haftung
Die Haftungsansprüche werden gem. § 191 Abs. 1 AO durch Haftungsbescheid geltend gemacht. Da die Erhebung der Gewerbesteuer, außer in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, den Gemeinden obliegt, sind diese auch für die Geltendmachung entsprechender Haftungsansprüche bei gewerbesteuerlicher Organschaft zuständig.
Tz. 94 Haftung des Eigentümers von Gegenständen
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Nach § 74 AO haften Personen, die an einem gewerblichen Unternehmen wesentlich beteiligt sind, mit den in ihrem Eigentum stehenden Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, für diejenigen Steuern des Unternehmers, die sich auf den Betrieb des Unternehmens gründen.
Die Haftungsvorschrift des § 74 AO soll verhindern, dass, wenn der Unternehmer selbst über kein ausreichendes Vermögen verfügt, sich die Beitreibung betrieblicher Steuerschulden deswegen als unmöglich erweist, weil alle dem Unternehmen dienenden pfändbaren Gegenstände nicht dem Unternehmer, sondern anderen Personen gehören. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Unternehmer mit gemieteten oder gepachteten Gegenständen wirtschaftet, z. B. im Rahmen der Betriebsaufspaltung oder bei Sonderbetriebsvermögen. Sofern der Eigentümer der überlassenen Gegenstände wesentlich am Unternehmen beteiligt ist, ermöglicht § 74 AO die Vollstreckung in die im Eigentum des wesentlich Beteiligten stehenden, dem Betrieb dienenden Gegenstände.
Den eigentlichen Grund für die Haftung bildet dabei nicht die Beteiligung am Unternehmen, sondern der objektive Beitrag, den der Gesellschafter durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, für die Weiterführung des Unternehmens leistet. Wer nämlich als Gesellschafter dem Unternehmen Gegenstände zur Verfügung stellt, die für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze von wesentlicher Bedeutung sind, leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der steuerbegründenden Tatbestände (, BStBl 1967 III S. 166).
b) Wesentlich beteiligte Person
Haftungsschuldner ist der wesentlich am Unternehmen beteiligte Eigentümer der an das Unternehmen überlassenen Gegenstände. Hinsichtlich der Stellung als wesentlich Beteiligter bestimmt § 74 Abs. 2 AO, dass eine Person am Unternehmen wesentlich beteiligt ist, wenn sie unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Als wesentlich beteiligt gilt auch, wer ohne entsprechende Vermögensbeteiligung auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass fällige Steuern i. S. des § 74 Abs. 1 Satz 1 AO nicht entrichtet werden. Es genügt hingegen nicht, wenn eine Person nur die Möglichkeit hat, beherrschenden Einfluss auszuüben. Eine wesentliche Beteiligung liegt auch dann vor, wenn der betroffene Eigentümer nur mittelbar, z. B. über eine Tochtergesellschaft oder einen Treuhänder, beteiligt ist.
c) Gegenstände, die einem Unternehmen dienen
Voraussetzung für eine Haftung ist, dass der wesentlich beteiligten Person Gegenstände gehören, die einem Unternehmen dienen. Der Begriff des Unternehmens bestimmt sich dabei nach umsatzsteuerlichen Kriterien (§ 2 UStG) und umfasst folglich nicht nur Gewerbebetriebe; die Rechtsform ist unerheblich. Gegenstände i. S. des § 74 AO sind nach Ansicht der Finanzverwaltung körperliche Gegenstände; nicht hingegen immaterielle Gegenständen, wie z. B. Rechte (vgl. auch Nr. 1 AEAO zu § 74). Zu den Gegenständen gehören auch Grundstücke.
Für die Haftung ist der Rechtsgrund für die Überlassung der Gegenstände an den Unternehmer nicht von Bedeutung (z. B. Miete, Pacht, Nießbrauch). Auch die unentgeltliche Überlassung oder bloße Duldung führt zur Haftung.
Die Gegenstände dienen dem Unternehmen i. S. des § 74 AO, wenn sie nicht nur vorübergehend zur Verfügung stehen, sondern nachhaltig den Unternehmenszweck fördern. Die Gegenstände dürfen nicht von untergeordneter Bedeutung sein, sie brauchen aber keine wesentliche Grundlage des Betriebs zu bilden.
d) Art und Umfang der Haftung
§ 74 AO begründet eine persönliche Haftung, die allerdings auf die dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Gegenstände beschränkt ist. Sind die Gegenstände bei Haftungsinanspruchnahme nicht mehr vorhanden, z. B. veräußert oder verschrottet, entfällt letztlich die Haftung. Eine Surrogathaftung (d. h. die Haftung mit dem Verkaufserlös oder einem Ersatz-Wirtschaftsgut) ist umstritten. Ein vertraglicher Haftungsausschluss ist nicht möglich.
Der Eigentümer haftet für die Steuern und Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet und die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind; auf die Fälligkeit kommt es nicht an (sachliche Beschränkung). Hierzu gehören die Steuern bzw. Ansprüche, für die der in den Einzelsteuergesetzen bezeichnete Tatbestand an den Betrieb eines Unternehmens geknüpft ist (z. B. Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Verbrauchsteuer bei Herstellungsbetrieben, Rückforderung von Investitionszulage), nicht dagegen z. B. Personensteuern (z. B. Einkommen-, Körperschaft-, Erbschaftsteuer), Zölle, Abschöpfungen, Steuerabzugsbeträge (z. B. Lohnsteuer) oder Kapitalverkehrsteuern. Die Haftung erstreckt sich nicht auf die steuerlichen Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO.
Der Eigentümer der Gegenstände haftet persönlich, aber beschränkt auf die dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Gegenstände (gegenständliche Beschränkung). Die gilt auch dann, wenn die dem Unternehmen dienenden Gegenstände nicht dem einzelnen Gesellschafter als Eigentümer (Alleineigentümer oder Bruchteilseigentümer) zustehen, sondern einer GbR, die ihrerseits nur wesentlich Beteiligte als Gesellschafter hat. Die Zugehörigkeit der einem Unternehmen dienenden Gegenstände zu einem Gesamthandsvermögen ist für die Haftung nach § 74 AO ohne Bedeutung, wenn Träger dieses Gesamthandsvermögens nur die am Unternehmen wesentlich beteiligten Personen sind, weil diese Personen als Personengruppe die Gegenstände zu Eigentum haben, wie § 74 AO dies voraussetzt. Die Gegenstände, mit denen der Eigentümer haftet, müssen dem Unternehmen des Steuerschuldners im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschulden gedient haben; nicht erforderlich ist, dass sie dem Unternehmen noch im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung dienen. Die gegenständliche Beschränkung der Haftung muss im Haftungsbescheid ausgesprochen werden. Vor dem Hintergrund, dass der Haftungsbescheid Grundlage der Vollstreckung ist, folgt, dass die der Haftung nach § 74 AO unterliegenden Gegenstände so genau bezeichnet werden müssen, dass der Vollziehungsbeamte des Finanzamts ohne weitere Feststellungen und rechtliche Prüfungen in diese Gegenstände vollstrecken kann ( , EFG 1993 S. 423).
In zeitlicher Hinsicht ist der Haftungsumfang in doppelter Weise begrenzt (zeitliche Beschränkung). Es wird nämlich nur für die Steueransprüche und Erstattungsansprüche gehaftet, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind (§ 74 Abs. 1 Satz 2 AO) und es müssen während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung die Gegenstände auch dem Betrieb des Unternehmens gedient haben (vgl. NWB WAAAB-57204).
Tz. 95 Haftung des Betriebsübernehmers
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Bei einem Unternehmen bietet grds. das vorhandene Betriebsvermögen dem Steuergläubiger eine Sicherheit für die Durchsetzung der durch den Betrieb entstandenen Steuern. Wird der Betrieb jedoch, bevor die entsprechenden Steuerschulden getilgt sind, an einen Erwerber übertragen, wäre damit dem Fiskus eine wichtige Sicherheit entzogen. Dies will die Haftung des Betriebsübernehmers verhindern. Gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 AO haftet der Erwerber, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet wird, für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge, vorausgesetzt, dass die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahrs entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden.
Detailierte Ausführungen zur Haftung des Betriebsübernehmens, insbesondere unter Einbeziehung der einschlägigen Rechtsprechung finden sich im umfangreichen AEAO zu § 75. Eine Checkliste zur Haftung des Betriebsübernehmers unter der NWB DokID NWB CAAAB-04678.
Bei der Übernahme eines Betriebs kommt neben § 75 AO auch noch eine Haftungsinanspruchnahme nach § 25 HGB in Betracht.
b) Haftungsschuldner
Haftungsschuldner ist der an der Geschäftsübereignung beteiligte Erwerber. Als Erwerber kommt jeder in Betracht, der Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Die Haftung des Erwerbers ist nicht dadurch ausgeschlossen, wenn die Weiterführung des Betriebs – bedingt durch organisatorische Veränderungen – nur im eingeschränkten Umfang erfolgt (vgl. NWB BAAAB-28404). Denn für die Haftung kommt es allein darauf an, dass der Erwerber sich die wirtschaftliche Kraft des übernommenen Unternehmens – sei es durch Verpachtung, Weiterveräußerung oder Stilllegung zur Steigerung der Erträge des eigenen Betriebs – zuführen und daraus die rückständigen Betriebssteuern zahlen kann.
c) Art und Umfang der Haftung
§ 75 AO begründet eine persönliche, keine dingliche Haftung, die jedoch ihrem Gegenstand nach auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt ist (§ 75 Abs. 1 Satz 2 AO). Ein vertraglicher Haftungsausschluss ist nicht möglich.
Der Übernehmer eines Unternehmens oder gesondert geführten Betriebes haftet nur (sachliche Beschränkung) für
die im Betrieb begründeten Steuern (z. B. Umsatzsteuer, ausschließlich der Einfuhrumsatzsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG und der Umsatzsteuer wegen unberechtigten Steuerausweises gem. § 14c Abs. 2 USt; pauschalierte Lohnsteuer; Gewerbesteuer); er haftet dagegen insbesondere nicht für Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Erbschaftsteuer, Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Kraftfahrzeugsteuer;
Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen sowie Prämien und Zulagen, auf die die Vorschriften für Steuervergütungen entsprechend anwendbar sind, wobei der Erstattungsanspruch aus einer betriebsbedingten Steuervergütung bzw. Prämie oder Zulage resultieren muss (insbesondere Rückforderung der Investitionszulage);
Steuerabzugsbeträge, insbesondere Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Abzugsbeträge nach §§ 48, 50a EStG.
Steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) sind von der Haftung ausgenommen.
Die Haftung ist in zweifacher Hinsicht zeitlich beschränkt (zeitliche Beschränkung). Voraussetzung ist, dass
die Steuern und Erstattungsansprüche seit dem Beginn des letzten vor der wirtschaftlichen Übereignung liegenden Kalenderjahrs i. S. des § 38 AO entstanden sind und
innerhalb eines Jahrs nach Anmeldung (§ 138 AO) des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet worden sind.
Die Jahresfrist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt der Betriebsübernahme. Die Fälligkeit der Ansprüche ist unerheblich. Es reicht aus, wenn die Steuern gegenüber dem Veräußerer innerhalb der Jahresfrist festgesetzt worden sind, der Haftungsbescheid kann später erlassen werden.
Die Haftung beschränkt sich auf das übernommene Vermögen (gegenständliche Beschränkung). Darunter ist das übernommene Aktivvermögen zu verstehen; Schulden sind nicht abzuziehen. Der Haftungsschuldner haftet nicht in Höhe des Werts des übernommenen Vermögens, sondern mit diesem Vermögen. Auf die Haftungsbeschränkung ist im Haftungsbescheid hinzuweisen, ohne dass es der genauen Bezeichnung der übernommenen Vermögensgegenstände bedarf. Es ist ausreichend, wenn im Haftungsbescheid der Vermögenswert angegeben wird, auf den die Haftung beschränkt ist. Alternativ können natürlich auch die einzelnen übernommenen Gegenstände (ggf. in einer besonderen Anlage zum Bescheid) aufgeführt werden. Inwieweit Surrogathaftung (Haftung mit Ersatzwirtschaftsgütern) in Betracht kommt, ist streitig.
d) Übereignung eines Unternehmens oder gesondert geführten Betriebs
Als Unternehmen i. S. des § 75 AO ist jede organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und tatsächlichen Mitteln zur Verfolgung eines wirtschaftlichen oder ideellen Zwecks zu verstehen. Der Haftungstatbestand orientiert sich an dem Unternehmensbegriff in § 2 Abs.1 UStG. Allerdings wird im Schrifttum auch die Auffassung vertreten, dass der Unternehmensbegriff i. S. von § 75 Abs.1 AO enger sei oder enger sein könne als der entsprechende umsatzsteuerliche Begriff.
Eine Übereignung eines Unternehmens im Ganzen liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die übereigneten Gegenstände die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens waren und geeignet sind, die wesentlichen Grundlagen für den Betrieb des Erwerbers zu bilden (vgl. , BStBl 2003 II S. 226). Um die Haftung des Übernehmers herbeizuführen, muss das gesamte lebende Unternehmen übereignet werden, so dass der Erwerber es ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. § 75 AO verlangt nicht die Übertragung sämtlicher vom bisherigen Unternehmer für seinen Betrieb genutzter Grundlagen und erst recht nicht die Übertragung solcher Grundlagen, die zu einem früheren, vor der Betriebsübernahme liegenden Zeitpunkt zu diesen gehört haben, von dem vorherigen Unternehmer aber bereits vor der Übertragung seines Unternehmens aus irgendeinem Grunde veräußert, weggegeben oder sonst aufgegeben worden sind. Zur Haftungsbegründung ist es ausreichend, dass die wesentlichen Grundlagen eines lebenden Unternehmens übereignet werden. Ein bereits monatelang stillgelegtes Unternehmen ist kein lebendes Unternehmen i. S. des § 75 AO. Eine kurze Stilllegung von einigen Wochen ist allerdings ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass der Erwerber den Betrieb ohne größere Aufwendungen sofort wieder eröffnen kann. Die tatsächliche Fortführung des Unternehmens ist jedoch nicht Voraussetzung. So kann der Erwerber z. B. das an sich lebensfähige Unternehmen aus Konkurrenzgründen stilllegen, ohne dass die Haftung nach § 75 AO ausgeschlossen wird.
Nach der im Steuerrecht herrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist unter einer Übereignung i. S. von § 75 AO zum einen die zivilrechtliche Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern zu verstehen, allerdings in einem Umfang, der die Fortführung des vom Veräußerer betriebenen Unternehmens ermöglicht. Zum anderen reicht der Übergang eines Unternehmens dergestalt auf einen anderen aus, dass der Erwerber in der Lage ist, wirtschaftlich wie ein Eigentümer darüber zu verfügen, gleichgültig, ob er im bürgerlich-rechtlichen Sinne Eigentümer geworden ist oder nicht. Denn Haftungsgrund des § 75 AO ist nicht die reine Vermögensübernahme, sondern die Aneignung der wirtschaftlichen Ertragskraft des erworbenen Unternehmens. Für die Haftung des Betriebsübernehmers kommt es daher nur darauf an, dass das wirtschaftliche Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen, d. h. die Möglichkeit, über den Einsatz der Gegenstände allein entscheiden zu können, vom bisherigen Unternehmer auf den Erwerber übergeht.
Die Vermietung oder Verpachtung der wesentlichen Grundlagen des Unternehmens durch den Eigentümer und früheren Betriebsinhaber an den fortführenden Unternehmer vermag hingegen die Haftung nach § 75 AO nicht zu begründen (vgl. , BStBl 1986 II S. 589, m. w. N.).
Ein gesondert geführter Betrieb i. S. des § 75 AO ist ein mit gewisser Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil eines Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist. Fehlt es hieran, kommt eine Haftung – ohne Rücksicht auf den Umfang der übernommenen Wirtschaftsgüter – nicht in Betracht (vgl. , BStBl 1984 II S. 486, und Nr. 3.1 AEAO zu § 75 m. w. N.). Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines gesondert geführten Betriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu entscheiden. Als Abgrenzungsmerkmale sind u. a. von Bedeutung: räumliche Trennung vom Hauptbetrieb, gesonderte Buchführung, eigenes Personal, eigene Verwaltung, selbständige Organisation, eigenes Anlagevermögen, ungleichartige betriebliche Tätigkeit und eigener Kundenstamm. Diese Merkmale, die nicht sämtlich vorliegen müssen, haben unterschiedliches Gewicht je nachdem, ob es sich um einen Handels-, Dienstleistungs- oder Fertigungsbetrieb handelt.
Welche Wirtschaftsgüter wesentliche Betriebsgrundlage sind, hängt letztendlich von der Art des Betriebs ab und ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden; in Betracht kommen z. B. Geschäftsgrundstücke, -räume und -einrichtung, Warenlager, Maschinen, Nutzungs- und Gebrauchsrechte, Kundenstamm. Maßgeblich ist das tatsächliche Ergebnis der Übertragung, nicht etwa vertraglich getroffene Vereinbarungen. Eine Haftung kommt nicht in Betracht, sofern der frühere Betriebsinhaber eine wesentliche Betriebsgrundlage zurückbehält und erst später übereignet (, BStBl 1985 II S. 651).
Eine Betriebsübereignung i. S. des § 75 AO setzt bei Grundstücken, die zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens gehören und im Eigentum des Betriebsinhabers stehen, voraus, dass sie nach den Vorschriften des BGB an den Erwerber übereignet werden. Die Vermietung oder Verpachtung eines solchen Grundstücks durch den früheren Betriebsinhaber an den fortführenden Unternehmer vermag die Haftung nicht zu begründen (, BStBl 1986 II S. 589, und v. - VII R 194/82 NWB SAAAB-28433).
Sofern die zu übertragenden grundlegenden Bestandteile des Unternehmens auch Wirtschaftsgüter umfassen, die nicht im bürgerlich-rechtlichen Sinne übereignet werden können (z. B. Erfahrungen und Geheimnisse, Beziehungen zu Kunden, Lieferern und Mitarbeitern), genügt es, dass diese wesentlichen Grundlagen des Unternehmens nur im wirtschaftlichen Sinne übereignet werden, dass also ein eigentümerähnliches Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Unternehmens auf den Erwerber übergegangen ist. Danach ist es, wenn z. B. die Betriebsräume des übereigneten Unternehmens angemietet oder angepachtet waren, für die Haftung des Erwerbers ausreichend, dass er mit dem Vermieter dieser Räume unter Mitwirkung des Veräußerers einen Mietvertrag abschließt. Für die Mitwirkung des bisherigen Betriebsinhabers ist es ausreichend, wenn dieser in irgendeiner tatsächlichen Art und Weise in den Abschluss des neuen Nutzungsvertrags eingeschaltet war, sei es, dass er den Eintritt des Betriebsübernehmers in den alten Vertrag oder den Neuabschluss des Nutzungsvertrags initiierte, vermittelte, befürwortete oder auch nur billigte.
e) Haftungsausschluss für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse und im Vollstreckungsverfahren
Nach § 75 Abs. 2 AO scheidet für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse und im Vollstreckungsverfahren eine Haftung des Betriebsübernehmers aus. Ein Unternehmen wird aus einer Insolvenzmasse erworben, wenn der Erwerb nach Eröffnung und vor Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens getätigt wird. Ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden, greift der Haftungsausschluss nach § 75 Abs. 2 nicht ein (vgl. , BStBl 1998 II S. 765). Ein Erwerb im Vollstreckungsverfahren liegt vor, wenn dieser im Rahmen der Verwertung, also der Zwangsversteigerung (§ 17 ZVG), der besonderen Verwertung (§ 65 ZVG), der Versteigerung (§ 814 ZPO), der anderweitigen Verwertung (§ 825 ZPO) oder der Verwertung nach den §§ 296, 305 AO erfolgt.
Einen darüber hinausgehenden Haftungsausschluss durch private Vereinbarung lässt die öffentlich-rechtliche Natur der Haftung nach § 75 AO nicht zu.
Tz. 96 Sachhaftung
§ 76 AO enthält eine Haftungsregelung für Zölle (Ein- und Ausfuhrabgaben) und Verbrauchsteuern. Die Vorschrift begründet keine persönliche Haftung des Steuerschuldners, sondern eine dingliche (sachliche) Haftung von Waren für die auf ihnen ruhenden Abgaben. Die Vorschrift findet zwar auf die Einfuhrumsatzsteuer als eine Verbrauchsteuer Anwendung (vgl. § 21 Abs. 1 UStG), nicht aber auf die Umsatzsteuer als Verkehrsteuer – weder direkt und auch nicht entsprechend.
Dem Steuergläubiger stehen durch § 76 AO zweierlei Rechte zu:
das dingliche Verwertungsrecht, ohne Rücksicht auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse zur Sicherung der Ansprüche auf Zahlung der Zölle und Verbrauchsteuern die Waren zurückzubehalten oder sich durch deren Verwertung zu befriedigen (Sachhaftung);
das Recht zur Beschlagnahme derjenigen Waren, an denen das Verwertungsrecht besteht.
Danach hat der Steuergläubiger das Recht, sich ohne Rücksicht auf Privatrechte irgendwelcher Art wegen der Zoll- und Steuerschulden an die Waren und Erzeugnisse zu halten und die Bezahlung durch deren Zurückhaltung zu erzwingen oder sich durch Versteigerung der Waren und Erzeugnisse nach § 327 AO zu befriedigen und zur Sicherung dieses Rechts die tatsächliche Verfügung Dritter über die Waren und Erzeugnisse zu verhindern (vgl. , BStBl 1989 II S. 491).
An sich haftet jede einzelne Sache nur für die auf ihr ruhende – d. h. insbesondere durch ihre Herstellung oder ihr Verbringen begründete – Zoll- oder Verbrauchsteuerschuld. Im Rahmen des wirtschaftlich Üblichen ist § 76 AO aber auch auf Sachgesamtheiten zwecks gemeinsamer Verwertung anwendbar.
Die Entstehung der Sachhaftung und deren Erlöschen sind in § 76 Abs. 2 und 4 AO geregelt. Die Haftung entsteht bei zoll- oder verbrauchsteuerpflichtigen Waren (z. B. Tabak, Branntwein, Mineralöl oder Erdgas) regelmäßig mit ihrem Verbringen in den Geltungsbereich der AO; bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren außerdem mit Beginn ihrer Gewinnung oder Herstellung. Damit knüpft die Sachhaftung, anders als die persönliche Haftung, nicht an die Entstehung einer Steuerschuld (§ 38 AO) an. Die Haftung erlischt mit dem Erlöschen der Steuerschuld (vgl. § 47 AO). Sie erlischt ferner mit der Aufhebung der Beschlagnahme oder dadurch, dass die Waren mit Zustimmung der Finanzbehörde in einen steuerlich nicht beschränkten Verkehr übergehen. Diese Aufzählung ist abschließend. Aus anderen Gründen kann die Haftung nach § 76 AO nicht enden. Während die Aufhebung der Beschlagnahme ausdrücklich angeordnet werden muss, kann die Zustimmung der Finanzbehörde zum Übergang in den freien Verkehr sich auch stillschweigend oder schlüssig aus den Umständen ergeben und braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden.
§ 76 Abs. 3 AO ermöglicht der Finanzbehörde die Sicherstellung der Sachhaftung, d. h. die Sicherstellung des Rechts auf Zurückbehaltung und Verwertung durch den Steuergläubiger, durch Beschlagnahme. Es handelt sich dabei um eine völlig andere Art der Sicherstellung als die „Sicherstellung im Aufsichtswege” i. S. des § 215 AO, die der Gefahrenabwehr dient. Die Beschlagnahme nach § 76 Abs. 3 Satz 1 AO hat allein den Zweck, die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dadurch sicherzustellen, dass die Realisierung der Sachhaftung ermöglicht wird. Mit der Feststellung, ob solche Ansprüche gegeben sind, d.h. mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, hat sie nichts zu tun (vgl. , BStBl 1989 II S. 3).
Die Zulässigkeit einer Beschlagnahme beginnt mit Entstehung der Sachhaftung und endet mit dem Wegfall der Sachhaftung. Die Beschlagnahme ist damit also u. U. noch vor Entstehung der Steuerschuld möglich. Die Beschlagnahme erfolgt regelmäßig dadurch, dass das zuständige Hauptzollamt die Waren in Gewahrsam nimmt. Als Beschlagname genügt aber auch der Erlass eines Verfügungsverbots hinsichtlich tatsächlicher Verfügungen an den Gewahrsaminhaber. Damit ist diesem z. B. das Verarbeiten, Wegschaffen oder Vernichten der Ware verboten. Die Beschlagnahme ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO) und kann folglich mit einem Einspruch (§ 347 AO) angefochten werden.
Für die Geltendmachung der Sachhaftung ist kein Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO erforderlich. Die Geltendmachung geschieht vielmehr durch die Anordnung der Verwertung der haftenden Ware. Die Verwertung ist zulässig, sobald die auf den Waren ruhenden Steuerschulden fällig geworden sind und dem Eigentümer der haftenden Ware die Verwertungsabsicht bekannt gegeben wurde und seit der Bekanntgabe mindestens eine Woche verstrichen ist (§ 327 Satz 3 AO). Die Verwertung erfolgt durch öffentliche Versteigerung (§ 327 Satz 2 i. V. mit § 296 Abs. 1 AO). Da es sich um eine dingliche Haftung handelt, kann die Anordnung der Verwertung nur solange geltend gemacht werden, wie eine Sachhaftung besteht.
Die Geltendmachung der Haftung steht grds. im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Nach § 76 Abs. 5 AO kommt die Geltendmachung der Sachhaftung allerdings nicht in Betracht, wenn die Waren einem Verfügungsberechtigten abhanden kommen, wenn verbrauchsteuerpflichtige Waren in einen Herstellungsbetrieb aufgenommen werden oder wenn einfuhr- und ausfuhrabgabenpflichtige Waren einer zollrechtlichen Behandlung zugeführt werden.
Tz. 97 Duldungspflicht
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
§ 77 AO behandelt zwei Fälle der Duldung einer Zwangsvollstreckung. Die steuerlichen Duldungspflichten sind damit jedoch nicht abschließend geregelt. Weitere Vorschriften über die Duldung der Zwangsvollstreckung finden sich in den §§ 262–265 AO (s. Tz. 286 ff.). Anders als der Haftungsschuldner haftet der Duldungsschuldner nicht mit seinem eigenen Vermögen. Er muss die Vollstreckung in Gegenstände dulden, die seiner Verwaltung unterliegen.
b) Duldungspflicht des Mittelverwalters
§ 77 Abs. 1 AO bestimmt, dass derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, eine Steuer mit den von ihm verwalteten Mitteln zu bezahlen, die Vollstreckung in dieses Vermögen zu dulden hat. Diese Personen sind in erster Linie zur Zahlung aus dem von ihnen verwalteten Vermögen verpflichtet. Es liegt deshalb nur eine sog. unechte Duldungspflicht vor, da die Duldungspflicht nur subsidiär besteht.
Die Vorschrift hat vor allem Bedeutung für die in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen (gesetzliche Vertreter, Vermögensverwalter, Verfügungsberechtigte), soweit sie den Gewahrsam über die von ihnen verwalteten Mittel innehaben. Üben sie den Gewahrsam für den Vertretenen aus oder sind sie nur Besitzdiener, bedarf es nicht erst dieser Vorschrift, um in das Vermögen des Vertretenen zu vollstrecken.
Die Duldungspflicht ist streng akzessorisch, d. h. vom Bestehen einer Primärschuld (Erstschuld) abhängig. Gemäß dem Wortlaut der Vorschrift ist die Duldungspflicht auf Steuern begrenzt und erstreckt sich nicht auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO).
c) Duldungspflicht des Grundstückseigentümers
§ 77 Abs. 2 AO ordnet an, dass der Eigentümer von Grundbesitz die Vollstreckung in den Grundbesitz zu dulden hat, wenn wegen einer Steuer vollstreckt werden soll, die als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht. Die einzige Steuer, die als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht, ist die Grundsteuer (§ 12 GrStG). Es ist umstritten, ob die Duldungspflicht auf die Steuer begrenzt ist oder sich auch auf steuerliche Nebenleistungen erstreckt.
Bei der Duldungspflicht des Grundstückeigentümers handelt es sich um eine echte Duldungspflicht, weil sie primär auf Duldung der Zwangsvollstreckung gerichtet ist. Der Eigentümer muss die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden, auch wenn er nicht primärer Steuerschuldner der öffentlichen Last ist. Zugunsten der Finanzbehörde gilt derjenige als Eigentümer, der als solcher im Grundbuch eingetragen ist (gesetzliche Fiktion). Der eigentliche, aber nicht eingetragene Eigentümer kann jedoch die ihm zustehenden Einwendungen geltend machen und sein Eigentum verteidigen.
Bei einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden, das bei der Feststellung seines Einheitswerts dem Erbauer zugerechnet worden ist, kann die dingliche Haftung des Gebäudes für die Grundsteuer nicht gegen den Eigentümer des Grund und Bodens geltend gemacht werden (, BStBl 1960 III S. 9).
d) Geltendmachung
Die Geltendmachung, d. h. die Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen, erfolgt grds. durch Duldungsbescheid (§ 191 Abs. 1 AO), sofern es überhaupt eines entsprechenden Titels bedarf. Eines Duldungsbescheids bedarf es z. B. nicht gegen einen gesetzlichen Vertreter (z. B. Geschäftsführer einer GmbH). Dieser hat bereits aufgrund seiner Rechtsstellung die Vollstreckung in das Vermögen des Vertretenen zu dulden. Dem Duldungsbescheid kommt hier nur deklaratorische Wirkung zu. Die Inanspruchnahme durch Duldungsbescheid steht im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Der Duldungsbescheid ist ein Verwaltungsakt i. S. des § 118 AO. Wegen der weitere Einzelheiten, insbesondere zur Bekanntgabe und Korrektur von Duldungsbescheiden s. Tz. 221.
Der materielle Duldungsanspruch darf durch Duldungsbescheid erst geltend gemacht werden, wenn der zugrunde liegende Steueranspruch festgesetzt ist. Das folgt aus § 218 Abs. 1 AO, nach dem nur Steuerbescheide und Haftungsbescheide, nicht aber auch Duldungsbescheide Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis sein können. Während ein Haftungsbescheid ergehen kann, ohne dass zuvor ein Steuerbescheid gegenüber dem persönlichen Schuldner erlassen worden ist (vgl. auch § 191 Abs. 3 Satz 4 AO), bedarf es zur Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheids der vorherigen Festsetzung des Steueranspruchs. Ferner setzt die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheids voraus, dass der Steueranspruch fällig und vollstreckbar ist.
Der Duldungsanspruch selbst unterliegt keiner Festsetzungsverjährung.
3. Teil: Allgemeine Verfahrensvorschriften
I. Beteiligung am Verfahren, Ausschluss/Ablehnung von Personen
Tz. 98 Beteiligte
§ 78 AO enthält die gesetzliche Definition des für das Besteuerungsverfahren in verschiedener Weise bedeutsamen Begriffs „Beteiligter”. Dieser Beteiligtenbegriff gilt allerdings nicht im Zerlegungs- und im Rechtsbehelfsverfahren (AEAO zu § 78).
Beteiligte sind nach § 78 Nr. 1 AO Antragsteller und Antragsgegner. Diese Regelung hat immer dann Bedeutung, wenn Verwaltungsmaßnahmen nur auf Antrag durchgeführt werden dürfen (z. B. im Fall der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG oder bei antragsgebundenen Prämien und Zulagen). Bei Ausübung steuerlicher Wahlrechte ist der „Antragsteller” bereits kraft seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger Beteiligter. Die Festsetzung des – fremden – Steuervergütungsanspruchs (z. B. Kindergeld zugunsten des Abzweigungsberechtigten) gem. § 67 Satz 2 EStG kann auch von einem Auszahlungsberechtigten beantragt werden, wodurch er im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung erlangt. Antragsgegner i. S. des § 78 Nr. 1 AO sind solche Personen, in deren Rechte die Bewilligung des Antrags eingreift. Von aktueller Bedeutung ist dies z. B. bei einem Antrag auf Auskunftserteilung über steuerliche Daten eines Dritten zwecks Vorbereitung einer Konkurrentenklage; bei Erteilung der Auskunft wird in die Rechte des Dritten eingegriffen.
Nach § 78 Nr. 2 AO sind diejenigen, an die die Finanzbehörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat, Beteiligte. Beteiligter ist danach in erster Linie der Steuerpflichtige (vgl. dazu im Einzelnen § 33 AO; Tz. 43). Beteiligter ist darüber hinaus aber auch, wer in einer fremden Steuersache Auskunft erteilen soll (§ 93 Abs. 1 AO) oder wer als Drittschuldner eine entsprechende Erklärung abzugeben hat.
Beteiligte sind nach § 78 Nr. 3 AO auch diejenigen, mit denen die Finanzbehörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat. Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist begrenzt, da im Steuerrecht keine Verträge über Rechtsfragen geschlossen werden dürfen. Umstritten ist, ob eine tatsächliche Verständigung ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist oder ob die Bindungswirkung der Verständigung allein auf Treu und Glauben beruht. „Vertragspartner” einer tatsächlichen Verständigung ist der Steuerpflichtige, der bereits nach § 78 Nr. 2 AO Beteiligter ist.
Eine Besonderheit stellt in diesem Zusammenhang die Hingabe von Kunstgegenständen an Zahlungs statt (§ 224a AO). S. hierzu Tz. 245. In diesem Fall ist der Vertragspartner regelmäßig der Steuerpflichtige, der aber bereits nach § 78 Nr. 2 AO Beteiligter ist. Die AO kennt darüber hinaus keinen öffentlich-rechtlichen Vertrag.
Tz. 99 Handlungsfähigkeit
Verfahrenshandlungen kann nur vornehmen, wer aktiv und auch passiv handlungsfähig ist. Verfahrungshandlungen sind dabei in erster Linie die Abgabe und Entgegennahme von Erklärungen (z. B. Angabe von Steuererklärungen, Stellung von Anträgen, Erteilung von Auskünften, Zahlung, Aufrechnung, Entgegennahme von Verwaltungsakten, Duldung von Verwaltungshandlungen).
Für den Handlungsunfähigen bestimmte Verwaltungsakte sind dem gesetzlichen Vertreter bzw. den besonders Beauftragten bekannt zu geben, wobei der Handlungsunfähige als inhaltlich Betroffener anzugeben ist. Verfahrenshandlungen gegenüber handlungsunfähigen Personen sind unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn die Handlung für den Betroffenen ausschließlich vorteilhaft ist. Die Unwirksamkeit kann allerdings durch Genehmigung seitens der gesetzlichen Vertreter oder der besonders Beauftragten geheilt werden. Diese Genehmigung wirkt grds. zurück; heilt die Genehmigung allerdings eine zunächst unwirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts, wird dieser nur ex-nunc wirksam, d.h. die Rechtsbehelfsfrist beginnt erst mit Erteilung der Genehmigung.
a) Natürliche Personen
Das Zivilrecht regelt nicht ausdrücklich, wer unbeschränkt geschäftsfähig ist; geregelt ist nur, wer beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig ist. Geschäftsfähigkeit tritt mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ein (vgl. § 2 BGB), wenn die Person nicht nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig ist.
Geschäftsunfähig ist nach § 104 BGB, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Geschäftsunfähige Personen sind unter keinen Umständen handlungsfähig.
Minderjährige Personen (natürliche Personen, die das siebte Lebensjahr, aber noch nicht 18. Lebensjahr vollendet haben) sind grds. beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB). Sie sind handlungsfähig, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens nach den Vorschriften des BGB als geschäftsfähig anerkannt sind. In Betracht kommt hier insbesondere der selbständige Betrieb eines Erwerbsgeschäfts. Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, ist der Minderjährige nach § 112 Abs. 1 BGB für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Ausgenommen sind allerdings Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf.
b) Juristische Personen, Personenvereinigungen, Vermögensmassen
Juristische Personen können nicht selbst handeln, sondern benötigen hierzu gesetzliche Vertreter, z. B. einen Geschäftsführer oder Vorstand (vgl. dazu im Einzelnen § 34 AO; s. Tz. 45). Andere Mitarbeiter einer juristischen Person sind nicht als „besonders Beauftragte” i. S. von § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO anstelle des gesetzlichen Vertreters zu Handlungen für die juristische Person befugt (vgl. , BStBl 1999 II S. 237). Daher ist die Unterzeichnung eines Investitionszulagenantrags durch einen rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten nur unter den Voraussetzungen des § 150 Abs. 3 AO zulässig. Nicht rechtsfähige Personenvereinigungen (z. B. nicht rechtsfähige Vereine) und Vermögensmassen (z. B. Zweckvermögen) können durch besonders Beauftragte handeln.
c) Behörden
Behörden sind nicht rechtsfähig und daher auch nicht handlungsfähig. Sie können nur durch ihre Leiter (Vorsteher), durch deren Vertreter oder durch Beauftragte handeln. Beauftragte sind solche Personen, deren Beauftragung sich aus dem Geschäftsverteilungsplan oder einer anderen organisatorischen Einzelweisung ergibt.
d) Handlungsfähigkeit bei Betreuung oder Pflegschaft
Eine betreute Person bleibt grds. geschäftsfähig und damit handlungsfähig. Wird eine prozessfähige Person in einem Rechtsstreit aber durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten, steht sie nach § 53 ZPO für diesen Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleich. Diese Regelung gilt für die steuerliche Handlungsfähigkeit entsprechend. Handlungsfähig ist in diesem Fall allein der vom Gericht bestellte Betreuer.
e) Handlungsfähigkeit bei nicht prozessfähigen Ausländern
Ein Ausländer, dem nach dem Recht seines Landes die Prozessfähigkeit mangelt, gilt nach § 55 ZPO als prozessfähig, wenn ihm nach dem Recht des Prozessgerichts die Prozessfähigkeit zusteht. Dies gilt für die steuerliche Handlungsfähigkeit gleichermaßen.
Tz. 100 Bevollmächtigte und Beistände
Jeder Beteiligte kann sich im Besteuerungsverfahren durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Unerheblich ist, warum er einen Bevollmächtigten bestellt. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass der Beteiligte außer Stande ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu regeln.
a) Umfang der Vollmacht
Die Vollmacht gilt grds. im gesamten Besteuerungsverfahren. Mit der Bestellung eines Bevollmächtigten verliert der Steuerpflichtige allerdings nicht die Möglichkeit, selbst rechtswirksame Erklärungen gegenüber der Finanzbehörde abzugeben. Er kann z. B. auch einen von dem Bevollmächtigten eingelegten Einspruch zurücknehmen.
Ausgenommen von der Vertretung ist kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung der Empfang von Steuererstattungen und Steuervergütungen (§ 80 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Bevollmächtigte kann jedoch in anderer Weise über das Guthaben des Steuerpflichtigen verfügen, indem er z. B. namens des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde aufrechnet. Erstattungen an Bevollmächtigte oder andere Personen sind außerdem – insoweit außerhalb der Vollmacht nach § 80 AO – zulässig, wenn der Steuerpflichtige eine entsprechende Zahlungsanweisung erteilt; die Finanzbehörde ist jedoch nicht zur Zahlung an sie verpflichtet. Vgl. Nr. 2 AEAO zu § 80.
Eine weitere Ausnahme von der Vertretung durch einen Bevollmächtigten enthält § 150 Abs. 3 AO. Soweit die Einzelsteuergesetze bei der Unterzeichnung von Steuererklärungen die eigenhändige Unterschrift vorsehen, ist eine Vertretung durch Bevollmächtigte nur dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist. Die eigenhändige Unterschrift kann in diesem Fall nachträglich verlangt werden, wenn der Hinderungsgrund weggefallen ist.
Schriftwechsel und Verhandlungen im Besteuerungsverfahren sind mit dem Bevollmächtigten zu führen (§ 80 Abs. 3 Satz 1 AO). Mit der Bestellung eines Bevollmächtigten wird der Vollmachtgeber im Besteuerungsverfahren nicht von seinen Mitwirkungspflichten entbunden. Die Finanzbehörde soll sich nur bei Vorliegen besonderer Gründe an den Beteiligten selbst wenden, z. B. um ihn um Auskünfte zu bitten, die nur er selbst als Wissensträger geben kann (Nr. 4 Satz 2 AEAO zu § 80). In diesem Fall ist der Bevollmächtigte hierüber zu unterrichten (§ 80 Abs. 3 Satz 3 AO).
Es liegt im Ermessen des Finanzamts, ob es einen Steuerbescheid an den Steuerpflichtigen selbst oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO). Ermessenslenkende Anweisungen enthält Nr. 1.7.2 AEAO zu § 122. Ein während eines Klageverfahrens ergehender Änderungsbescheid ist grds. dem Prozessbevollmächtigten bekannt zu geben (vgl. , BStBl 1998 II S. 266). Die Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung muss auf jeden Fall an den Schuldner persönlich zugestellt werden. Die Zustellung an einen Bevollmächtigten genügt nicht.
b) Beschränkungen einer Vollmacht
Beschränkungen der Vollmacht gelten gegenüber der Finanzbehörde nur dann, wenn sie hierüber informiert wurde. Eine unter einer bestimmten Steuernummer erteilte Vollmacht bezieht sich grds. nur auf solche Vorgänge, die zu dieser Steuernummer gehören. Gleichermaßen gilt eine für ein genau bestimmtes Jahr erteilte Vollmacht nur für dieses Jahr. Liegen allerdings keine Anhaltspunkte für eine derartige zeitliche Begrenzung der Vollmacht vor, ist – zumindest nach Rechtscheingrundsätzen – auch von einer Bevollmächtigung für die Folgejahre auszugehen. Nimmt ein Bevollmächtigter einen Einspruch entgegen einer der Finanzbehörde nicht bekannten Mandantenweisung zurück, ist die Rücknahme wirksam.
c) Erteilung der Vollmacht
Die Vollmacht kann grds. formlos erteilt werden. Sie kann daher schriftlich, elektronisch oder mündlich, u. U. sogar stillschweigend erteilt werden. Die Finanzbehörde kann allerdings einen schriftlichen Nachweis der Vollmacht verlangen (§ 80 Abs. 1 Satz 3 AO). Die Finanzbehörde soll den schriftlichen Nachweis allerdings nur verlangen, wenn begründete Zweifel an der Vertretungsmacht bestehen; dieser Nachweis kann auch in elektronischer Form (vgl. § 87a Abs. 3 AO) erbracht werden. Bei Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet (Nr. 1 AEAO zu § 80).
Der einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe erteilte Auftrag zur Erstellung und Einreichung der Steuererklärungen umfasst grds. nicht zugleich eine Bestellung als Empfangsbevollmächtigter (vgl. , BStBl 1981 II S. 3). Aus der Mitwirkung eines Steuerberaters bei der Steuererklärung folgt daher nicht, dass die Finanzbehörde einen Steuerbescheid dem Steuerberater zu übermitteln hat.
d) Widerruf der Vollmacht
Eine Vollmacht kann jederzeit widerrufen werden. Der Entzug einer Vollmacht (z. B. durch Entzug des Vertretungsmandats) berührt allerdings als rein interner Vorgang ebenso wenig das verfahrensrechtliche Vertretungsverhältnis wie die Niederlegung des Mandats. Der Vollmachtgeber muss sich Handlungen seines Bevollmächtigten (ggf. auch dessen Verschulden) zurechnen lassen, solange das Vertretungsverhältnis nicht durch entsprechende Erklärung gegenüber der Finanzbehörde beendet worden ist.
Die Vollmacht wird weder durch den Tod des Vollmachtgebers noch durch eine Veränderung in seiner Handlungsfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung aufgehoben (§ 80 Abs. 2 AO). Tritt der Bevollmächtigte für den Rechtsnachfolger im Verwaltungsverfahren auf, hat er allerdings dessen Vollmacht auf Verlangen schriftlich beizubringen.
e) Beistand
Ein Beteiligter kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen (§ 80 Abs. 4 AO). Aufgabe des Beistands ist nicht die Vertretung des Beteiligten, sondern lediglich dessen Beratung und Unterstützung. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt allerdings als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht.
f) Zwingende Zurückweisung von Bevollmächtigten und Beiständen
Die Finanzbehörde muss Bevollmächtigte und Beistände zurückweisen, soweit sie geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, ohne nach dem StBerG dazu befugt zu sein; diese Einschränkung gilt nicht für Notare und Patentanwälte (§ 80 Abs. 5 AO). Solange die Finanzbehörde den Bevollmächtigten aber nicht zurückweist (z. B. mangels Kenntnis eines Verstoßes gegen §§ 2–4 StBerG), bleibt die Vollmacht im Besteuerungsverfahren wirksam.
Die Zurückweisung ist auch dem Beteiligten, dessen Bevollmächtigter oder Beistand zurückgewiesen wird, mitzuteilen (§ 80 Abs. 8 AO). Verfahrenshandlungen des zurückgewiesenen Bevollmächtigten oder Beistands, die dieser nach seiner Zurückweisung vornimmt, sind unwirksam.
g) Mögliche Zurückweisung von Bevollmächtigten und Beiständen
Bevollmächtigte und Beistände können vom schriftlichen oder mündlichen Vortrag zurückgewiesen werden, wenn sie hierzu ungeeignet sind (§ 80 Abs. 6 AO). Vom mündlichen Vortrag können sie nur zurückgewiesen werden, wenn sie zum sachgemäßen Vortrag nicht fähig sind. Diese Zurückweisungsbefugnis gilt nicht für die in § 3 Nr. 1 und in § 4 Nr. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen (Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer sowie Notare im Rahmen ihrer Befugnisse nach der Bundesnotarordnung, Patentanwälte und Patentanwaltsgesellschaften im Rahmen ihrer Befugnisse nach der Patentanwaltsordnung).
Die Zurückweisung ist auch dem Beteiligten, dessen Bevollmächtigter oder Beistand zurückgewiesen wird, mitzuteilen (§ 80 Abs. 8 AO). Verfahrenshandlungen des zurückgewiesenen Bevollmächtigten oder Beistands, die dieser nach der Zurückweisung vornimmt, sind unwirksam.
Tz. 101 Bestellung eines Vertreters von Amts wegen
In besonders gelagerten Ausnahmefällen hat das Vormundschaftsgericht auf Ersuchen einer Finanzbehörde von Amts wegen einen geeigneten Vertreter für Beteiligte oder herrenlose Sachen zu bestellen. Die Bestellung eines Vertreters von Amts wegen ist für das Besteuerungsverfahren auf die in § 81 AO genannten Fälle beschränkt. Ab tritt an die Stelle des Vormundschaftsgerichts das Betreuungsgericht bzw. bei minderjährigen Beteiligten das Familiengericht.
Tz. 102 Ausgeschlossene Personen §
82 AO
Die Ausschließung von Amtsträgern und ihnen gleichgestellten Personen soll Interessenkonflikte bei der Bearbeitung im Steuerverwaltungsverfahren vermeiden und zugleich das Vertrauen in die Objektivität des Verwaltungshandelns sicherstellen. Nach § 82 AO gesetzlich ausgeschlossene Personen dürfen in keinem Stadium des Verwaltungsverfahrens mitwirken, also auch nicht bei vorbereitenden Tätigkeiten. Rein mechanische Tätigkeiten, die keinen Einfluss auf die Willensbildung haben können, sind allerdings nicht ausgeschlossen. Eine ausgeschlossene Person darf allerdings bei Gefahr im Verzug unaufschiebbare Maßnahmen treffen (§ 82 Abs. 2 AO).
Ausgeschlossen ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AO jede Person,
die selbst oder deren Angehörige Beteiligte eines steuerlichen Verfahrens ist;
die einen Beteiligten kraft Gesetzes oder Vollmacht allgemein oder im konkreten Verfahren vertritt;
die Angehöriger einer Person ist, die für einen Beteiligten im konkreten Verfahren Hilfe in Steuersachen leistet;
die bei einem Beteiligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats oder eines gleichartigen Organs tätig ist (sofern nicht dessen Anstellungskörperschaft Beteiligte ist);
die außerhalb ihrer amtlichen Eigenschaft in der Angelegenheit ein Gutachten abgegeben hat oder sonst tätig geworden ist.
Dem Beteiligten steht dabei gleich, wer durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann, es sei denn, der Vor- oder Nachteil beruht darauf nur, dass jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden (§ 82 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO).
Verwaltungsakte, an denen eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2–6 und Satz 2 AO ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, sind nicht allein deshalb nichtig (§ 125 Abs. 3 Nr. 2 AO). Nichtigkeit ist im Umkehrschluss ausnahmslos gegeben, wenn am Verwaltungsakt eine Person mitgewirkt hat, die in diesem Verfahren selbst Beteiligter ist (§ 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO).
Tz. 103 Besorgnis der Befangenheit
Liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Amtsträgers zu rechtfertigen oder wird von einem Beteiligten das Vorliegen eines solchen Grunds behauptet, hat ein Amtsträger den Leiter der Finanzbehörde (oder den von ihm Beauftragten) zu unterrichten und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten. Der Behördenleiter (oder der von ihm Beauftragte) hat in diesem Fall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der Amtsträger sich der Mitwirkung am weiteren Verfahren zu enthalten hat. Bis dahin darf (und muss) der zuständige Amtsträger weiterhin tätig bleiben. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Behördenleiter selbst, trifft diese Anordnung die Aufsichtsbehörde, sofern sich der Behördenleiter nicht selbst einer Mitwirkung enthält.
Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn sich aus objektiv feststellbaren Tatsachen der subjektiv vernünftigerweise mögliche Verdacht ergibt, der Amtsträger werde bei der konkreten Entscheidung nicht unparteiisch, unvoreingenommen und sachgemäß tätig werden (, BStBl 1983 II S. 344). Vom Standpunkt des Beteiligten aus muss sich bei objektiver Betrachtung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Amtsträgers rechtfertigen lassen. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund tatsächlich gegeben ist. Das in § 83 AO vorgeschriebene Verfahren ist daher schon dann durchzuführen, wenn objektiv ein vernünftiger Grund vorliegt, der den Beteiligten von seinem Standpunkt aus befürchten lassen könnte, dass der Amtsträger nicht unparteiisch sachlich entscheiden werde (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 83). Allein subjektiv begründete Besorgnis der Befangenheit reicht für die Anwendung des § 83 AO nicht aus.
§ 83 AO begründet weder für den Amtsträger noch für den Beteiligten ein selbständiges Recht zur Ablehnung der Mitwirkung eines Amtsträgers. Ein Verstoß gegen § 83 AO macht den Verwaltungsakt nicht nichtig und kann nur im Wege der (außergerichtlichen oder gerichtlichen) Anfechtung des Verwaltungsakts geltend gemacht werden, der unter Mitwirkung des Amtsträgers zustande gekommen ist (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 83). Dabei ist § 127 AO zu beachten. Dem Leiter der Finanzbehörde kann nicht durch einstweilige Anordnung aufgegeben werden, einen Amtsträger von der Mitwirkung in einem Steuerverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit auszuschließen (, BStBl 1981 II S. 634). Es ist allerdings umstritten, ob dem Steuerpflichtigen ein Recht auf gerichtliche Überprüfung der Festlegung des Außenprüfers zusteht, wenn aufgrund des bisherigen Verhaltens des Prüfers – über die bloße Besorgnis der Befangenheit hinaus – zu befürchten ist, dass der Prüfer Rechte des Steuerpflichtigen verletzen wird, ohne dass diese Rechtsverletzung durch spätere Rechtsbehelfe rückgängig gemacht werden könnte (vgl. , BStBl 2002 II S. 507).
Tz. 104 Ablehnung von Mitgliedern eines Ausschusses
Jeder Beteiligte kann ein Mitglied eines in einem Verwaltungsverfahren tätigen Ausschusses ablehnen, das in diesem Verwaltungsverfahren nach § 82 AO nicht tätig werden darf oder bei dem nach § 83 AO die Besorgnis der Befangenheit besteht. Die Ablehnung vor einer mündlichen Verhandlung (insbes. der Steuerberaterprüfung) ist schriftlich oder zur Niederschrift zu erklären.
Die Ablehnungserklärung ist unzulässig, wenn sich der Beteiligte in eine mündliche Verhandlung eingelassen hat, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich der Ablehnungsgrund erst aus dem Verhalten des Ausschussmitglieds während der mündlichen Verhandlung ergibt.
Der Ausschuss entscheidet über den Ausschluss, wobei das betroffene Mitglied an der Entscheidung nicht mitwirken darf. Ein ausgeschlossenes Mitglied darf bei der weiteren Beratung und Beschlussfassung nicht zugegen sein. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch kann nur zusammen mit der Entscheidung angefochten werden, die das Verfahren vor dem Ausschuss abschließt.
II. Besteuerungsgrundsätze und Beweismittel §§ 85–100 AO
Tz. 105 Besteuerungsgrundsätze
§ 85 AO enthält als Aufgabennorm die an den Vorgaben des GG orientierten tragenden Grundsätze des Besteuerungsverfahrens: Die Finanzbehörden haben den gesetzlichen Auftrag, die Steuern gleichmäßig und nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen und zu erheben. Diese Prinzipien gelten in allen Stadien der Besteuerung, d. h. also sowohl bei Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen als auch der Festsetzung und Erhebung der Steuern. § 85 AO unterscheidet auch nicht zwischen dem Steuerermittlungsverfahren, das der Festsetzung der Steuer gegenüber einem bestimmten Steuerpflichtigen dient und dem Steueraufsichtsverfahren, in dem die Finanzbehörden gegenüber allen Steuerpflichtigen darüber wachen, dass die Steuern nicht zu Unrecht verkürzt werden. Ermittlungen ins Blaue hinein sind hiernach aber nicht zulässig. Die in § 85 AO beschriebene Aufgabe der Finanzbehörden ist auch bei Ermessensentscheidungen als Zielvorgabe zu beachten.
Der gesetzliche Auftrag „sicherzustellen”, dass Steuern nicht verkürzt werden usw., weist auf die Befugnis zu Maßnahmen außerhalb eines konkreten Besteuerungsverfahrens hin. So sind den Finanzbehörden allgemeine Hinweise an die Öffentlichkeit oder ähnliche vorbeugende Maßnahmen gegenüber einzelnen zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags gestattet. Auf der Grundlage des § 85 AO können andere Behörden im Wege der Amtshilfe ersucht werden, Aufträge nur gegen Vorlage steuerlicher Unbedenklichkeitsbescheinigungen zu erteilen (Nr. 4 AEAO zu § 85).
Das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung beruht auf dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 GG), der für das Steuerrecht verlangt, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Die Besteuerungsgleichheit hat mithin als ihre Komponenten die Gleichheit der normativen Steuerpflicht ebenso wie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Daraus folgt, dass das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet sein muss, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet. Hängt die Festsetzung einer Steuer von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Steuerpflichtigen gestellt. Der Gesetzgeber muss die Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip (vgl. dazu grundlegend , BStBl 1991 II S. 654).
Die Anwendung der allgemeinen Verfahrensvorschriften der AO auf alle nach der AO vorgesehenen Verfahrensabschnitte gründet auf der in Art. 20 Abs. 3 GG festgelegten Forderung nach der Gesetzmäßigkeit allen Verwaltungshandelns und dem sich aus § 85 AO ergebenden Gebot für die Finanzbehörden, die Steuer nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Die in den allgemeinen Verfahrensvorschriften vorgesehenen Mittel der Sachaufklärung sind daher in jedem Verfahrensstadium anzuwenden, um die Durchsetzung des materiell-rechtlich begründeten Steueranspruchs bis zu seiner endgültigen Verwirklichung zu gewährleisten (vgl. , BStBl 2000 II S. 366). Das Interesse an einer materiell-rechtlich gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung hat grds. auch Vorrang vor dem Interesse an einem formal ordnungsgemäßen Verfahren (vgl. , BStBl 1998 II S. 461).
Das Finanzamt hat nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgegeben werden, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte, selbst dann, wenn die fehlerhafte Auffassung in einem Prüfungsbericht niedergelegt worden war oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte. Auch ein jahrelanges Untätigsein der Finanzbehörde allein reicht nicht für die Verwirkung eines Steueranspruchs aus, sondern setzt vielmehr zusätzlich ein bestimmtes Verhalten der Behörde und einen hierdurch geschaffenen Vertrauenstatbestand beim Steuerpflichtigen voraus.
Vergleiche über den Steueranspruch sind aufgrund des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung unzulässig. Zulässig sind allerdings tatsächliche Verständigungen über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt, wenn der tatsächliche Sachverhalt schwierig zu ermitteln ist (vgl. im Einzelnen , BStBl 2008 I S. 831).
Tz. 106 Beginn des Verfahrens
Grds. entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (Opportunitätsprinzip). Dieser Grundsatz gilt allerdings nur eingeschränkt:
Die Finanzbehörde muss ein Verwaltungsverfahren durchführen, wenn sie aufgrund von Rechtsvorschriften (Gesetz, Rechtsverordnung) verpflichtet ist, von Amts wegen tätig zu werden.
Die Finanzbehörde muss ein Verwaltungsverfahren ebenfalls durchführen, wenn sie aufgrund von Rechtsvorschriften verpflichtet ist, auf Antrag tätig zu werden und der Antrag auch gestellt wurde.
Die Finanzbehörde darf kein Verwaltungsverfahren durchführen, wenn sie nur auf Antrag tätig werden darf, ein Antrag aber nicht gestellt wurde.
Für den Bereich der Besteuerung ist aufgrund des in § 85 AO definierten Auftrags das sog. Legalitätsprinzip die Regel (§ 86 Satz 2 Nr. 1 erste Alternative AO). Sobald die Finanzbehörde Anhaltspunkte für die Entstehung einer Steuer oder über Möglichkeiten zur Verwirklichung des Steueranspruchs hat, muss sie tätig werden. Derartige Anhaltspunkte können sich aus dem vorliegenden Einzelfall oder abstrakt aus Erfahrungen mit vergleichbaren Fällen ergeben. Unzulässig sind allerdings Ermittlungen ins Blaue hinein.
Unter Anträgen i. S. des § 86 Satz 2 Nr. 2 AO sind nur solche Anträge zu verstehen, die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens sind (z. B. Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). Antrag i. S. des § 86 Satz 2 Nr. 1 AO kann dagegen auch ein Stundungs- oder Erlassantrag sein: Die Finanzbehörde kann – nach Ermessen – auch ohne Vorliegen eines Antrags tätig werden; sobald aber ein Antrag gestellt wurde, muss die Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren einleiten.
Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens i. S. von § 86 AO liegt nicht schon dann vor, wenn die Finanzbehörde interne Ermittlungen oder Überprüfungen anstellt. Erst eine nach außen wirkende Maßnahme ist als Beginn des Verwaltungsverfahrens nach § 86 AO anzusehen, z. B. eine Aufforderung, eine Steuererklärung abzugeben oder Auskunft zu erteilen. Auch die Anhörung eines Beteiligten kann als erste nach außen wirkende Handlung den Beginn des Verwaltungsverfahrens darstellen.
Tz. 107 Amtssprache
Die Amtssprache ist deutsch (§ 87 Abs. 1 AO). Daher hat kein Beteiligter Anspruch darauf, dass die Finanzbehörde eine andere Sprache benutzt. Verwaltungsakte in deutscher Sprache sind daher auch dann wirksam, wenn der Adressat der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Nach § 87 AO ist es Amtsträgern nicht untersagt, Erklärungen in einer für den Adressaten verständlichen Sprache abzugeben. Dies gilt insbesondere für mündliche Erklärungen. (Schriftliche) Verwaltungsakte sind dagegen grds. in deutscher Sprache bekannt zu geben (Nr. 1 Satz 5 AEAO zu § 87). Jeder Beteiligte muss aber grds. von sich aus Vorkehrungen treffen, Amtshandlungen deutscher Finanzbehörden verstehen zu können; ggf. muss er selbst (und auf eigene Kosten) Übersetzungen vornehmen lassen. Fehler bei der Übersetzung gehen dabei zu Lasten des Beteiligten.
Werden bei einer Finanzbehörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente vorgelegt, kann die Finanzbehörde verlangen, dass unverzüglich eine Übersetzung vorgelegt wird (§ 87 Abs. 2 Satz 1 AO). Ob sie dies tut, steht allerdings in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Wird die von der Finanzbehörde verlangte Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, kann die Finanzbehörde auf Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen.
Bei Anträgen und Eingaben in fremder Sprache soll die Finanzbehörde – zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – allerdings zunächst prüfen, ob eine zur Bearbeitung ausreichende Übersetzung durch eigene Bedienstete oder im Wege der Amtshilfe ohne Schwierigkeiten beschafft werden kann. Übersetzungen sind nur im Rahmen des Notwendigen, nicht aus Prinzip anzufordern. Die Finanzbehörde kann auch in einer fremden Sprache verhandeln, wenn der Amtsträger über entsprechende Sprachkenntnisse verfügt (Nr. 1 AEAO zu § 87).
Wenn eine fremdsprachige Erklärung des Beteiligten (Anzeige, Antrag oder Willenserklärung) eine Frist in Lauf setzt, innerhalb derer die Finanzbehörde in einer bestimmten Weise tätig werden muss, beginnt der Lauf der Frist erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Finanzbehörde eine Übersetzung vorliegt (§ 87 Abs. 3 AO). Verzichtet die Finanzbehörde auf eine Übersetzung durch den Beteiligten, sind Anträge, die ein Verwaltungsverfahren auslösen (vgl. § 86 Satz 2 zweite Alternative AO), und fristwahrende Eingaben (z. B. Rechtsbehelfe) in ihren wesentlichen Teilen in deutscher Sprache aktenkundig zu machen. In diesem Fall beginnt der Lauf der Frist bereits mit Eingang der Erklärung bei der Finanzbehörde.
Bei der Vorlage fremdsprachiger Belege, Urkunden oder anderer Dokumenten kann die Finanzbehörde die Vorlage einer beglaubigten oder von einem öffentlich bestellten oder beeidigten Dolmetscher oder Übersetzer angefertigten Übersetzung verlangen. Wird die verlangte Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, kann die Finanzbehörde auf Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen. Die Finanzbehörde kann Schriftstücke in fremder Sprache aber auch ohne Übersetzung durch den Beteiligten entgegennehmen, wenn der Amtsträger über entsprechende Sprachkenntnisse verfügt (Nr. 1 AEAO zu § 87).
Soll durch eine fremdsprachige Erklärung des Beteiligten (Anzeige, Antrag oder Willenserklärung) zugunsten eines Beteiligten eine Frist gegenüber der Finanzbehörde gewahrt, ein öffentlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht oder eine Leistung begehrt werden, gilt die Erklärung als zum Zeitpunkt des Eingangs bei der Finanzbehörde abgegeben, wenn auf Verlangen der Finanzbehörde innerhalb einer von dieser zu setzenden angemessenen Frist eine Übersetzung vorgelegt wird (§ 87 Abs. 4 AO). Wird eine Übersetzung nicht oder erst nach Ablauf der Frist vorgelegt, ist der Zeitpunkt des Eingangs der Übersetzung maßgebend, soweit sich nicht aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen etwas anderes ergibt. Auf diese Rechtsfolge ist bereits bei der Fristsetzung hinzuweisen. Der Lauf der Frist beginnt auch dann bereits mit Eingang der (fremdsprachigen) Erklärung bei der Finanzbehörde, wenn sie auf die Vorlage einer Übersetzung verzichtet hat.
Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse des Beteiligten sind bei der Prüfung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) wegen der Versäumung der Einspruchsfrist bezüglich eines ihm übermittelten Steuerbescheids angemessen zu berücksichtigen. Ein der deutschen Sprache nicht kundiger Beteiligte hat allerdings seine Sorgfaltspflicht verletzt, wenn er sich von dem ihm unverständlichen Steuerbescheid nicht in angemessener Zeit eine Übersetzung verschafft oder ihn seinem sprachkundigen Bevollmächtigten zur weiteren Bearbeitung übergibt.
Tz. 108 Elektronische Kommunikation
Die Vorschrift enthält Grundsätze für die elektronische Kommunikation zwischen den Steuerpflichtigen (einschließlich ihrer Vertreter) und den Finanzbehörden. Sie regelt nicht die elektronische Kommunikation zwischen Dritten und den Steuerpflichtigen; auch nicht, soweit Dritte dem Steuerpflichtigen steuerlich relevante Belege erteilen (z. B. Rechnungen i. S. des § 14 UStG, Zuwendungsbestätigungen nach § 50 EStDV, Kapitalertragsteuerbescheinigungen nach § 45a Abs. 2 EStG). § 87a AO gilt auch nicht für die Übermittlung von Dokumenten durch Telefax (vgl. Nr. 1.8.2 AEAO zu § 122). Die elektronische Kommunikation mit den Finanzgerichten und dem BFH regelt § 52a FGO.
§ 87a AO enthält keine Verpflichtung zur elektronischen Kommunikation mit den Finanzbehörden. Derartige Verpflichtungen können sich aber aus den Einzelsteuergesetzen ergeben. Sie bestehen z. B. für die Übermittlung der Lohnsteuer-Anmeldungen (§ 41a Abs. 1 Satz 2 EStG), der Lohnsteuerbescheinigungen (§ 41b Abs. 1 Satz 2 EStG), der Umsatzsteuer-Voranmeldungen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) und der Zusammenfassenden Meldungen (§ 18a Abs. 1 Satz 1 UStG).
Die Übermittlung elektronischer Dokumente ist zulässig, soweit der Empfänger (Steuerpflichtiger bzw. sein Vertreter, Finanzbehörde) hierfür einen Zugang eröffnet hat. Der Empfänger kann den Zugang ausdrücklich oder konkludent sowie generell oder nur für bestimmte Fälle (z. B. für nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Dokumente) eröffnen.
Hat eine natürliche oder juristische Person, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt, oder eine Behörde auf einem im Verkehr mit der Finanzbehörde verwendeten Briefkopf, in einer Steuererklärung oder in einem Antrag ihre E-Mail-Adresse angegeben oder sich per E-Mail an die Finanzbehörde gewandt, wird sie hiermit konkludent ihre Bereitschaft erklärt haben, Eingänge auf elektronischem Weg entgegenzunehmen. Gegenteiliges müsste ausdrücklich erklärt werden, z. B. durch einen Hinweis im Briefkopf oder in der an die Finanzbehörde gerichteten E-Mail. Bei einem Bürger, der keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (z. B. Arbeitnehmer, Rentner), dürfte dagegen nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen, aber nicht formgebundenen Einverständniserklärung von einer Zugangseröffnung auszugehen sein.
Finanzbehörden, die eine E-Mail-Adresse angeben, erklären damit ihre Bereitschaft, elektronische Dokumente entgegenzunehmen. Sie können diese Bereitschaft aber ausdrücklich ausschließen (z. B. für die Entgegennahme von Dokumenten, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind).
Ein elektronisches Dokument ist zugegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung es in für den Empfänger bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat. „Bearbeitbarkeit” bedeutet, dass der Empfänger das elektronische Dokument öffnen und lesen kann. Ob und wann der Empfänger das Dokument tatsächlich zur Kenntnis nimmt, ist für den Zeitpunkt des Zugangs unbeachtlich. Zur widerlegbaren Vermutung des Tags des Zugangs elektronisch übermittelter Verwaltungsakte s. § 122 Abs. 2a, § 123 Satz 2 und 3 AO.
Ein für den Empfänger nicht bearbeitbares elektronisches Dokument löst noch keine Rechtsfolgen aus (z. B. die Wahrung einer Antrags- oder Einspruchsfrist oder das Wirksamwerden eines Verwaltungsakts). Ist das an eine Finanzbehörde übermittelte elektronische Dokument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet, hat die Finanzbehörde dies dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich (d. h. ohne schuldhaftes Zögern) mitzuteilen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen und dadurch eine gesetzliche Frist versäumt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
(§ 110 AO) in Betracht. Macht jemand geltend, er könne ein von einer Finanzbehörde übermitteltes elektronisches Dokument nicht bearbeiten, hat die Finanzbehörde es erneut in einem geeigneten elektronischen Format oder als Schriftstück zu übermitteln.
Übermittelt die Finanzbehörde Daten, die dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) unterliegen, hat sie diese Daten in einem geeigneten Verfahren zu verschlüsseln. Eine Pflicht zur Verschlüsselung besteht nicht, wenn die zu übermittelnden Daten nicht dem Steuergeheimnis unterliegen, z. B. wenn die Finanzbehörde auf elektronischem Weg einen Vordruck übermittelt oder eine allgemeine Auskunft erteilt. Ebenso besteht keine Verschlüsselungspflicht, wenn Steuerpflichtige Daten an die Finanzbehörde übermitteln.
Soweit durch Gesetz die Schriftform vorgeschrieben ist, ermöglicht § 87a Abs. 3 und 4 AO grds. eine Übermittlung in elektronischer Form, wenn das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur i. S. des § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes versehen ist. Durch Rechtsverordnung kann aber (vorerst befristet bis zum ) neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassen werden, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt; s. hierzu § 150 AO (Tz. 176). Zur Einspruchseinlegung durch E-Mail s. § 357 AO.
Die Schriftform kann in der AO oder in den anderen Steuergesetzen durch unterschiedliche Begriffe, wie „schriftlich”, „schriftliche Form”, „Schriftform” bestimmt oder durch Formulierungen wie „Unterschrift” oder „Niederschrift” vorausgesetzt werden. Der im Verwaltungsrecht maßgebliche Begriff der „Schriftform” verlangt nicht stets die eigenhändige Unterzeichnung des Dokuments; seine konkrete Bedeutung erschließt sich erst durch die Auslegung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen (s. BT-Drucks. 14/9000 S. 26). Schreibt ein Gesetz eine eigenhändige Unterzeichnung vor, muss diejenige Person das elektronische Dokument signieren, die zur eigenhändigen Unterschrift verpflichtet ist, bzw. in den Fällen des § 150 Abs. 3 AO die bevollmächtigte Person.
Soweit die Schriftform nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, liegt kein Fall des § 87a Abs. 3 und 4 AO vor. Gleichwohl darf aber auch in diesen Fällen ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden; u. U. kann es dann aber an einer „Zugangseröffnung” durch den Empfänger fehlen.
Auch soweit Gesetze die Übermittlung von Dokumenten auf elektronischem Weg vorschreiben, sind die Regelungen des § 87a Abs. 3 und 4 AO nicht anwendbar. Somit ergibt sich aus der AO keine Verpflichtung, diese Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder ein anderes sicheres Verfahren anzuwenden.
Die in § 87a Abs. 3 und 4 AO bestimmte Gleichstellung der elektronischen Form (unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur) mit einer gesetzlich angeordneten Schriftform gilt nicht, wenn die jeweils einschlägige Norm die elektronische Übermittlung ausdrücklich ausschließt (wie z. B. § 224a Abs. 2 Satz 1, § 244 Abs. 1 Satz 3, § 309 Abs. 1 Satz 2, § 324 Abs. 2 Satz 3 AO und § 18 Abs. 1 Satz 3 GrEStG) oder wenn das Dokument „auf” (nicht: „nach”) einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck zu übermitteln ist (wie z. B. die Abtretungsanzeige nach § 46 Abs. 3 AO) und die Verwaltung hierfür kein elektronisches Formular zur Verfügung stellt.
Zur Beweiskraft elektronischer Dokumente vgl. Nr. 4 AEAO zu § 87a.
Tz. 109 Untersuchungsgrundsatz
Im Besteuerungsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz: Die Finanzbehörde hat den steuererheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu untersuchen. Sie hat dazu weit reichende Kompetenzen (vgl. insbesondere §§ 92 ff. AO). Andererseits hat der Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts weitgehend mitzuwirken (vgl. § 90 AO).
Die Finanzbehörden haben alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären. Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt dabei allerdings nicht grenzenlos. Denn die Finanzbehörden bestimmen Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO). Bei dieser Entscheidung ist der (verfassungsrechtliche) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Ermittlungshandlungen dürfen also zu dem angestrebten Erfolg nicht erkennbar außer Verhältnis stehen. Sie sollen so gewählt werden, dass damit unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls ein möglichst geringer Eingriff in die Rechtssphäre des Beteiligten oder Dritter verbunden ist (Nr. 1 Abs. 1 AEAO zu § 88).
Die Finanzbehörde ist bei ihrer Entscheidung an Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten zwar nicht gebunden (§ 88 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz AO); sie handelt aber ermessensfehlerhaft, wenn sie Beweisanträgen des Steuerpflichtigen, die nicht von vorneherein steuerlich irrelevant sind, überhaupt nicht nachgeht. Geht sie Beweisanträgen des Steuerpflichtigen nach pflichtgemäßem Ermessen (Entschließungsermessen) nach, steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, welche Ermittlungsmethoden sie nutzt (Auswahlermessen).
Bei der Entscheidung der Finanzbehörde über Art und Umfang der anzustellenden Ermittlungen dürfen Erwägungen einbezogen werden, die im Ergebnis Zweckmäßigkeitserwägungen gleichzustellen sind (vgl. , 1 BvL 10/71, BStBl 1973 II S. 720). Daher kann auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand für (weitergehende) Ermittlungen und steuerlichem Erfolg abgestellt werden. Die Finanzämter dürfen auch berücksichtigen, in welchem Maße sie durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet werden, sofern sie bei vorhandenen tatsächlichen oder rechtlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entsprechen und zu seinem Nachteil entscheiden (Nr. 1 Abs. 2 Satz 4 AEAO zu § 88).
In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung kann es der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden dienen, wenn sich die Finanzbehörde und die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen (sog. tatsächliche Verständigung, vgl. , BStBl 2008 I S. 831).
Die Finanzbehörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Sie darf ihre Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen daher nicht davon abhängig machen, ob sich ein „Mehrergebnis” ergeben kann. Maßstab für die Ermessensentscheidung muss allein sein, ob die vorliegenden Angaben und Erkenntnisse eine möglichst zutreffende Steuerfestsetzung ermöglichen. Falls Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass steuermindernde Umstände nicht oder nicht zutreffend erklärt wurden, muss sie – regelmäßig unter Beteiligung des Steuerpflichtigen – weitere Ermittlungen anstellen. Finanzbehörden sind zur Ermittlung und gegebenenfalls auch zur Schätzung von Werbungskosten berechtigt und verpflichtet, wenn das Entstehen von Werbungskosten im hohen Maße glaubhaft ist, der Umfang und die Höhe jedoch nicht oder nur schwer nachweisbar sind.
Die Amtsermittlungspflicht der Finanzbehörden wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 90 AO (s. Tz. 112) begrenzt. Die Finanzbehörden sind daher nicht verpflichtet, den Sachverhalt auf alle theoretisch denkbaren Fallgestaltungen zu erforschen. Grds. kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung vollständig und richtig sind (, BStBl 1969 II S. 474). Die Finanzbehörde kann den Angaben eines Steuerpflichtigen im Regelfall Glauben schenken, wenn nicht greifbare Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind (, BStBl 1979 II S. 57). Sie verletzt ihre Aufklärungspflicht nur, wenn sie Tatsachen oder Beweismittel außer acht lässt und offenkundigen Zweifelsfragen nicht nachgeht, die sich ihr den Umständen nach ohne weiteres aufdrängen mussten (, BStBl 1986 II S. 241), oder Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen. Die Frage der Verletzung der Amtsermittlungspflicht ist insbesondere bei Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO von Bedeutung.
Das Steuerrecht kennt angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes keine subjektive Beweislastregel. Im Regelfall trägt aber die Finanzbehörde die Feststellungslast für die Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können. Der in Anspruch genommene Steuerpflichtige trägt dagegen die Feststellungslast für Tatsachen, die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen begründen oder einen Steueranspruch aufheben oder einschränken. Die Finanzbehörde trägt im Fall der Änderung eines Steuerbescheids zu Lasten des Steuerpflichtigen die Feststellungslast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der dabei in Anspruch genommenen Änderungsvorschriften. Ändert das Finanzamt z. B. einen bestandskräftigen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, trägt es die Feststellungslast dafür, dass die für die Änderung des Bescheids erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere dafür, dass diese „neu” sind. Die Feststellungslast trifft jedoch den Steuerpflichtigen, wenn er die Verletzung der Ermittlungspflichten durch das Finanzamt rügt (, BStBl 1998 II S. 599). Bei der Änderung einer Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO trägt die Finanzbehörde allerdings nicht die Feststellungslast dafür, dass vom Steuerpflichtigen geltend gemachte und im Ausgangsbescheid auch berücksichtigte Betriebsausgaben nicht angefallen bzw. nicht anzuerkennen sind.
Zweckmäßigkeitserwägungen, die nicht zuletzt in den Regelungen zur Arbeitsweise in den Veranlagungsstellen (BStBl 1996 I S. 1391) und bei der Weiterentwicklung des automationsgestützten Besteuerungsverfahrens unter Einsatz von Risikomanagementsystemen zum Tragen kommen, finden ihre Grenze zum einen in der Verpflichtung, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen. Zu beachten ist aber auch das verfassungsrechtliche Gebot, die Gleichmäßigkeit im steuerlichen Belastungserfolg sicherzustellen. Die steuerliche Belastungsgleichheit ist ein Allgemeingut von herausgehobener Bedeutung, die durch Art. 3 Abs. 1 GG grundrechtlich gewährleistet wird. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet aber eine Regelung der Steuererhebung, welche die Gleichheit des Belastungserfolgs prinzipiell verfehlt.
Regelungen und Verwaltungsabläufe, die die Durchsetzung des Steueranspruchs sichern und Steuerverkürzungen verhindern sollen, müssen auf die Eigenart des konkreten Lebensbereichs und des jeweiligen Steuertatbestands ausgerichtet werden. Wird eine Steuer nicht an der Quelle erhoben, hängt ihre Festsetzung vielmehr von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden aber erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Steuerpflichtigen gestellt. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip daher der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip. Gerade bei der Ausgestaltung von Risikomanagementsystemen muss dem dadurch Rechnung getragen werden, dass die Auswahl der näher zu untersuchenden Steuerfälle nicht allein an der voraussichtlichen Arbeitsbelastung und der Personallage in den Finanzämtern, sondern primär an der Möglichkeit unzutreffender (zu hoher oder auch zu niedriger Steuerfestsetzung) orientiert wird.
Tz. 110 Sammlung von geschützten Daten
Die Finanzbehörden sind nach § 85 AO allgemein verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen. In Erfüllung dieser Aufgabe ist die Finanzverwaltung berechtigt, steuererhebliche Daten eines Steuerpflichtigen von einer Finanzbehörde oder Dienststelle einer Finanzbehörde an die andere weiterzuleiten. Informationen, die sich eine Dienststelle der Finanzverwaltung rechtmäßig verschafft hat, dürfen von allen Dienststellen des Finanzressorts zur Erfüllung ihrer in § 85 AO beschriebenen Aufgaben verwertet werden. Die Finanzverwaltung ist insoweit als Einheit anzusehen. Denn nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist die Offenbarung der nach § 30 Abs. 2 AO erlangten Kenntnisse zulässig, soweit sie (u. a.) der Durchführung eines steuerlichen oder steuerstrafrechtlichen Verfahrens dient.
Soweit es zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern (vgl. § 85 AO) erforderlich ist, dürfen Finanzbehörden dem Steuergeheimnis unterliegende Daten auch für Zwecke künftiger Verfahren i. S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO in Dateien oder Akten sammeln und verwenden. Eine Verwendung ist allerdings nur für Verfahren i. S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO zulässig.
§ 88a AO steht mit dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit in Einklang (, BStBl 2009 II S. 23). Die Vorschrift regelt hinreichend deutlich, welche Behörden welche Daten zu welchem Zweck sammeln dürfen, und grenzt die Zweckbestimmung der Datensammlung in doppelter Hinsicht ein:
Zum einen dürfen Daten nur zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern gespeichert werden. Dies erfordert eine auf die Eignung der Daten für den Sammlungszweck bezogene Prognoseentscheidung der speichernden Behörde zum Zeitpunkt der Datenspeicherung.
Hinsichtlich der aufgrund einer solchen Prognoseentscheidung gesammelten Daten wird die Zweckbestimmung dadurch eingegrenzt, dass sie nach § 88a Satz 2 AO nur in den gesetzlich bestimmten Verfahren genutzt werden dürfen. Diese Beschränkung der Datenverwendung wirkt wiederum auf die Entscheidung darüber zurück, welche Daten gespeichert werden sollen.
§ 88a AO genügt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn die Vorschrift dient der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern und damit einem verfassungsrechtlich legitimen Ziel, das aufgrund des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gebots steuerlicher Belastungsgleichheit selbst Verfassungsrang hat. Die in § 88a AO vorgesehenen Datenspeicherungen sind auch geeignet und erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen. Eine gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern setzt nämlich häufig Kenntnisse über komplexe tatsächliche Zusammenhänge voraus, die im einzelnen Besteuerungsverfahren nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand ermittelbar wären.
Tz. 111 Beratung, Auskunft
a) Allgemeine Fürsorgepflicht
§ 89 Abs. 1 Satz 1 AO ordnet eine allgemeine Fürsorgepflicht der Finanzbehörden für die Steuerpflichtigen an. Die Finanzbehörde soll hiernach die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Damit sind aber nur Erklärungen und Anträge gemeint, die sich der Finanzbehörde bei dem jeweils gegebenen Sachverhalt aufdrängen. Denn grds. ist es Sache des Steuerpflichtigen, sich über relevante Antragsmöglichkeiten zu unterrichten. Die Finanzämter wären überfordert, wenn sie darauf zu achten hätten, ob der Steuerpflichtige jede sich ihm bietende Möglichkeit ausgenutzt hat, Steuern zu sparen (, BStBl III S. 178).
Hat die Finanzbehörde eindeutig gegen ihre Fürsorgepflicht nach § 89 Abs. 1 Satz 1 AO verstoßen, ist dem Steuerpflichtigen grds. durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) oder durch Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu helfen. Anderenfalls kann es geboten sein, die zu Unrecht festgesetzte Steuer wegen sachlicher Unbilligkeit (§ 227 AO) zu erlassen (Nr. 1.2 AEAO zu § 89).
b) Allgemeine Beratungspflicht
Nach § 89 Abs. 1 Satz 2 AO hat die Finanzbehörde Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten zu erteilen, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Dies gilt grds. nur für Auskünfte über das Verfahren (z. B. Fristberechnung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Aussetzung der Vollziehung). Die Erteilung von (unverbindlichen) Auskünften materieller Art ist den Finanzbehörden gestattet; hierauf besteht jedoch kein Anspruch.
c) Verbindliche Auskunft
Die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern können unter den Voraussetzungen des § 89 Abs. 2 Satz 1 AO und der StAuskV auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Die Erteilung einer verbindlichen Auskunft steht im Ermessen der Finanzbehörde, es besteht also kein gesetzlicher Anspruch.
Die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt im Wesentlichen bereits verwirklicht ist. Über Rechtsfragen, die sich aus einem bereits abgeschlossenen Sachverhalt ergeben, ist ausschließlich im Rahmen des Veranlagungs- oder Feststellungsverfahrens zu entscheiden. Das gilt auch, wenn der Sachverhalt zwar erst nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über den Antrag verwirklicht wird. Eine verbindliche Auskunft kann allerdings auch für die ernsthaft geplante Umgestaltung eines bereits vorliegenden Sachverhalts erteilt werden. Das gilt insbesondere bei Sachverhalten, die wesentliche Auswirkungen in die Zukunft haben (z. B. Dauersachverhalte).
Verbindliche Auskünfte sollen nach Nr. 3.5.4 AEAO zu § 89 nicht erteilt werden in Angelegenheiten, bei denen die Erzielung eines Steuervorteils im Vordergrund steht (z. B. Prüfung von Steuersparmodellen, Feststellung der Grenzpunkte für das Handeln eines ordentlichen Geschäftsleiters). Die Erteilung verbindlicher Auskünfte kann auch abgelehnt werden, wenn zu dem Rechtsproblem eine gesetzliche Regelung, eine höchstrichterliche Entscheidung oder eine Verwaltungsanweisung in absehbarer Zeit zu erwarten ist.
Antragsteller einer verbindlichen Auskunft i. S. des § 89 Abs. 2 AO (und damit zugleich Gebührenschuldner i. S. des § 89 Abs. 3–5 AO) ist derjenige, in dessen Namen der Antrag gestellt wird. Zur Antragstellung durch Personenmehrheiten vgl. § 1 Abs. 2 StAuskV. Antragsteller und Steuerpflichtiger müssen nicht identisch sein. Auskünfte an Dritte sind aber nur zulässig, wenn die Person, die den der Auskunft zugrunde liegenden Sachverhalt verwirklichen soll, bei Antragstellung noch nicht existiert. Vgl. dazu im Einzelnen Nr. 3.2 AEAO zu § 89.
Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist grds. das Finanzamt, das bei Verwirklichung des dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalts für die Besteuerung örtlich zuständig sein würde. Abweichend hiervon ist allerdings bei Antragstellern, für die im Zeitpunkt der Antragstellung nach §§ 18–21 AO kein Finanzamt zuständig ist, auf dem Gebiet der Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, nach § 89 Abs. 2 Satz 3 AO das Bundeszentralamt für Steuern für die Auskunftserteilung zuständig. Vgl. dazu im Einzelnen Nr. 3.3 AEAO zu § 89. Betrifft eine verbindliche Auskunft mehrere Steuerarten und sind hierfür jeweils unterschiedliche Finanzbehörden zuständig, soll eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO herbeigeführt werden, wenn die unterschiedliche Zuständigkeit weder für den Steuerpflichtigen noch für die Finanzbehörden zweckmäßig ist. Sofern keine Zuständigkeitsvereinbarung herbeigeführt werden kann, sollen sich die beteiligten Finanzämter untereinander abstimmen, um widersprüchliche verbindliche Auskünfte zu vermeiden.
Der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft muss schriftlich gestellt werden und die in § 1 Abs. 1 StAuskV bezeichneten Angaben enthalten. Zusätzlich soll der Antragsteller nach § 89 Abs. 4 Satz 2 AO Angaben zum Gegenstandswert der Auskunft machen. Vgl. dazu im Einzelnen Nr. 3.4 AEAO zu § 89.
Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt. Die verbindliche Auskunft (auch wenn sie nicht der Rechtsauffassung des Antragstellers entspricht) und die Ablehnung der Erteilung einer verbindlichen Auskunft sind nach Nr. 3.5.5 AEAO zu § 89 schriftlich zu erteilen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Die Bekanntgabe richtet sich nach § 122 AO. In den Fällen des § 1 Abs. 2 StAuskV ist die Auskunft allen Beteiligten gegenüber einheitlich zu erteilen und dem von ihnen bestellten Empfangsbevollmächtigten bekannt zu geben.
Die verbindliche Auskunft muss folgende Angaben enthalten (s. Nr. 3.5.6 AEAO zu § 89):
den ihr zugrunde gelegten Sachverhalt; dabei kann auf den im Antrag dargestellten Sachverhalt Bezug genommen werden,
die Entscheidung über den Antrag, die zugrunde gelegten Rechtsvorschriften und die dafür maßgebenden Gründe; dabei kann auf die im Antrag dargelegten Rechtsvorschriften und Gründe Bezug genommen werden,
eine Angabe darüber, für welche Steuern und für welchen Zeitraum die verbindliche Auskunft gilt.
Die von der zuständigen Finanzbehörde erteilte verbindliche Auskunft ist für die Besteuerung des Antragstellers nur dann bindend, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV). Die Bindungswirkung tritt daher nicht ein, wenn der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt mit dem bei der Beantragung der verbindlichen Auskunft vorgetragenen Sachverhalt in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmt. Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge geht die Bindungswirkung entsprechend § 45 AO auf den Rechtsnachfolger über. Bei Einzelrechtsnachfolge erlischt die Bindungswirkung.
Ist die verbindliche Auskunft zuungunsten des Steuerpflichtigen rechtswidrig, tritt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 StAuskV keine Bindungswirkung ein. Ist die verbindliche Auskunft dagegen zugunsten des Steuerpflichtigen rechtswidrig, bleibt ihre Bindungswirkung grds. bestehen. Die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft entfällt nach § 2 Abs. 2 StAuskV ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Wird die verbindliche Auskunft in diesem Fall zur Klarstellung aufgehoben, hat dies nur deklaratorische Wirkung.
Eine verbindliche Auskunft kann unter den Voraussetzungen der §§ 129–131 AO berichtigt, zurückgenommen und widerrufen werden. Wurde die verbindliche Auskunft von einer sachlich oder örtlich unzuständigen Behörde erlassen, entfaltet sie von vornherein keine Bindungswirkung. Darüber hinaus kann eine verbindliche Auskunft nach § 2 Abs. 3 StAuskV auch mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden, wenn sich herausstellt, dass die erteilte Auskunft unrichtig war. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit kommt es auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens, also der Bekanntgabe der verbindlichen Auskunft an. Eine verbindliche Auskunft ist von vornherein unrichtig im Sinne des § 2 Abs. 3 StAuskV, wenn sie von einem nach ihrer Bekanntgabe ergangenen FG- oder BFH-Urteil oder einer später ergangenen Verwaltungsanweisung abweicht.
d) Gebühren für die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft
§ 89 Abs. 3 AO ordnet eine allgemeine Gebührenpflicht für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft an. Gebühren sind daher grds. auch dann zu entrichten, wenn die Finanzbehörde in ihrer verbindlichen Auskunft eine andere Rechtsauffassung als der Antragsteller vertritt, wenn sie die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ablehnt oder wenn der Antrag zurückgenommen wird. Vor einer Ablehnung eines Antrags aus formalen Gründen soll die Finanzbehörde den Antragsteller allerdings auf diese Mängel und auf die Möglichkeit der Ergänzung oder Rücknahme des Antrags hinzuweisen. Wird ein Antrag vor Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag auf verbindliche Auskunft zurückgenommen, kann die Gebühr ermäßigt werden.
Die Gebührenpflicht gilt nicht für Anträge auf verbindliche Zusagen aufgrund einer Außenprüfung nach §§ 204 ff. AO oder für Lohnsteueranrufungsauskünfte nach § 42e EStG. Sie gilt auch nicht für Anfragen, die keine verbindliche Auskunft des Finanzamts i. S. des § 89 Abs. 2 AO zum Ziel haben.
Die Gebühr richtet sich grds. nach dem Wert, den die Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert; § 89 Abs. 4 Satz 1 AO). Der Gegenstandswert beträgt mindestens 5.000 € und ist in analoger Anwendung des § 39 Abs. 2 GKG auf 30 Mio. € begrenzt. Die Gebühr beträgt mindestens 121 € und höchstens 91.456 €. Der Antragsteller soll den Gegenstandswert und die für seine Bestimmung maßgeblichen Umstände bereits in seinem Auskunftsantrag darlegen. Den Angaben des Antragstellers ist im Regelfall zu folgen. Eine Ermittlung des Gegenstandwerts durch das Finanzamt ist nur dann geboten, wenn der Antragsteller keine Angaben machen kann oder wenn seine Angaben zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen würden.
Beziffert der Antragsteller den Gegenstandswert nicht und ist der Gegenstandswert auch nicht durch Schätzung bestimmbar, ist eine Zeitgebühr zu berechnen (§ 89 Abs. 4 Satz 4 AO). Die Zeitgebühr beträgt 50 € je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit, mindestens 100 €.
Die Gebühr ist durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Antragsteller festzusetzen. Der Antragsteller hat die Gebühr innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheids zu entrichten (§ 89 Abs. 3 Satz 2 AO). Die Entscheidung über den Antrag auf verbindliche Auskunft soll bis zur Zahlung der Gebühr zurückgestellt werden, wenn der Zahlungseingang nicht gesichert erscheint. In derartigen Fällen ist im Gebührenbescheid darauf hinzuweisen, dass über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft erst nach Zahlungseingang entschieden wird.
Vgl. zur Erteilung verbindlicher Auskünfte nach § 89 Abs. 2 AO und zur Gebührenberechnung auch Baum, NWB F. 2 S. 9725 NWB OAAAC-74834.
Tz. 112 Mitwirkungspflicht der Beteiligten
Die Steuern entstehen (abstrakt) durch Sachverhaltsverwirklichung. Zu (konkreten) Festsetzung der nach Art, Höhe, Zeitraum und Adressat zutreffenden Steuer bedarf es aber ungeachtet des im Steuerrecht allgemein geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes der individuellen Mitwirkung der Beteiligten. Dies trägt auch dem Grundsatz Rechnung, dass personenbezogene Daten in erster Linie beim Betroffenen selbst zu erheben sind.
Die AO enthält keine gesetzlich festgelegte Regel über die Verteilung der Feststellungslast im Besteuerungsverfahren. Im Regelfall trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für Tatsachen, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können, der in Anspruch genommene Steuerpflichtige dagegen für Tatsachen, die Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen begründen oder einen Steueranspruch aufheben oder einschränken.
a) Mitwirkungspflicht bei Inlandssachverhalten
Die Beteiligten sind nach § 90 Abs. 1 Satz 1 AO zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen ihrer Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen legen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Darüber hinaus können sie von der Finanzbehörde u. a. um Auskunft (§ 93 Abs. 1 AO) oder um Vorlage von Beweismitteln (§ 97 AO) gebeten werden. Besondere Mitwirkungspflichten gelten bei der Durchführung von Außenprüfungen (vgl. § 200 AO).
Die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt die Ermittlungspflichten der Finanzbehörden und kann insbesondere bei nachträglichem Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln (§ 173 AO) relevant sein. Die Mitwirkung kann erzwungen werden (§§ 328–334 AO). Der Umfang der Mitwirkungspflicht richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Die Erfüllung der Mitwirkungspflichten muss auch erforderlich, möglich, zumutbar und verhältnismäßig sein.
Bleiben dem Finanzamt die Umstände, die es ihm ermöglichen würden, die Steuer zutreffend festzusetzen, deshalb unbekannt, weil der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten, insbesondere seine Steuererklärungspflichten (§ 149 Abs. 1 AO), verletzt hat, kann dem Finanzamt nicht vorgeworfen werden, es habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Denn wirkt der Steuerpflichtige pflichtwidrig bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht mit, mindert sich die Ermittlungspflicht des Finanzamts. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht sind u. a. die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die des Finanzamts umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (vgl. , BStBl 1989 II S. 462). Aus einer Verletzung der Mitwirkungspflicht können ggf. für den Beteiligten belastende Schlüsse gezogen werden (z. B. bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO).
Bei erschwerter Sachverhaltsermittlung ist (als Ausfluss aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip) eine „tatsächliche Verständigung” zwischen dem Beteiligten und der Finanzbehörde als Vereinbarung über eine bestimmte Sachbehandlung zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH müssen sich die Beteiligten nach Treu und Glauben an einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung festhalten lassen. Die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung setzt allerdings voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen – nicht aber auf Rechtsfragen – bezieht, der Sachverhalt die Vergangenheit betrifft, die Sachverhaltsermittlung erschwert ist, auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt ist und die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (vgl. z. B. , BStBl 1996 II S. 625).
b) Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten
Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf ausländische Vorgänge bezieht, haben die Beteiligten diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Beteiligten haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und können sich nicht darauf berufen, dass sie Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen können, wenn sie sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung ihrer Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können (§ 90 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO). Die Erfüllung der erhöhten Mitwirkungspflichten muss erforderlich, möglich, zumutbar und verhältnismäßig sein.
Verletzt ein Steuerpflichtiger seine erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO und ist der Sachverhalt nicht anderweitig aufklärbar, kann zu seinem Nachteil von einem Sachverhalt ausgegangen werden, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Insbesondere dann, wenn die Mitwirkungspflicht sich auf Tatsachen und Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen bezieht, können aus seiner Pflichtverletzung für ihn nachteilige Schlussfolgerungen gezogen werden (Nr. 1 AEAO zu § 90). Die Verletzung einer dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Pflicht zur Beschaffung von Beweismitteln kann daher auch nur dann zu nachteiligen Rechtsfolgen führen, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür bestehen, dass mit Hilfe der betreffenden Beweismittel eine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich gewesen wäre.
c) Besondere Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten bei Auslandssachverhalten
Bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, hat ein Steuerpflichtiger über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i. S. des § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen (§ 90 Abs. 3 Satz 1 AO). Diese Aufzeichnungspflicht umfasst auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. Die erhöhten Aufzeichnungspflichten gelten auch für Steuerpflichtige, die für die inländische Besteuerung Gewinne zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen oder den Gewinn der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben.
Art, Inhalt und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen richten sich nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV). Die Finanzbehörde soll die Vorlage von Aufzeichnungen i. d. R. nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen. Bei Verletzung der Aufzeichnungs- und Vorlagepflicht nach § 90 Abs. 3 AO kommt eine Schätzung nach § 162 Abs. 3 und 4 AO in Betracht.
Tz. 113 Anhörung Beteiligter
§ 91 AO enthält den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs im Steuerverwaltungsverfahren. Die Anhörungspflicht besteht dabei aber nur hinsichtlich der für die Entscheidung erheblichen Tatsachen. Keine Anhörungspflicht besteht, wenn die Finanzbehörde einen (unstreitigen) Sachverhalt rechtlich anders als der Beteiligte beurteilt. Daher besteht grds. auch kein Anspruch auf ein sog. Rechtsgespräch.
Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist. Eine Anhörung muss ferner unterbleiben, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
Die Anhörung kann schriftlich oder auch mündlich (ggf. fernmündlich) erfolgen. Die zur Gewährung rechtlichen Gehörs gesetzten Fristen müssen angemessen sein und sowohl die Wahrnehmung des Anhörungsrechts als auch eine sachgemäße und erschöpfende Äußerung ermöglichen.
Hauptanwendungsfall des § 91 AO ist das typische Veranlagungsverfahren. Will die Finanzbehörde von dem in der Steuererklärung vorgetragenen Sachverhalt wesentlich abweichen, muss sie den Beteiligten vor Erlass des Steuerbescheids oder sonstigen Verwaltungsakts über ihre Absicht informieren. Die Anhörungspflicht besteht allerdings nur bei Abweichungen zuungunsten des Beteiligten.
Eine rechtswidrig unterbliebene Anhörung der Beteiligten kann nach Erlass des Steuerbescheids nachgeholt und die Fehlerhaftigkeit des Bescheids dadurch geheilt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 3 AO). Ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten unterblieben und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 126 Abs. 3 i. V. mit § 110 AO). Die unterlassene Anhörung ist im Allgemeinen allerdings nur dann für die Versäumung der Einspruchsfrist ursächlich, wenn die notwendigen Erläuterungen auch im Verwaltungsakt selbst unterblieben sind (, BStBl 1985 II S. 601).
§ 91 AO gilt nicht nur im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern z. B. auch im Außenprüfungsverfahren, im Steuerfahndungsverfahren, im Erhebungsverfahren, im Vollstreckungsverfahren und bei der Durchführung der zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe.
Im Einspruchsverfahren gilt § 91 AO grds. entsprechend (§ 365 Abs. 1 AO). Allerdings gelten folgende Besonderheiten: Nach § 364a AO kann der Einspruchsführer beantragen, dass vor Erlass der Einspruchsentscheidung sowohl der Sachstand als auch der Rechtsstand mit ihm erörtert wird; auf eine verbösernde Entscheidung muss das Finanzamt unter Angabe von Gründen hinweisen und dem Einspruchsführer Gelegenheit zur Äußerung geben (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).
Ein Recht auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung über zum Beteiligten gespeicherte Daten sieht § 91 AO für das Verwaltungsverfahren nicht vor. Allerdings ist dem Beteiligten nach dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung grds. auch Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu erteilen (, BStBl 2009 II S. 23). Eine Informationsmöglichkeit für den von einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Betroffenen ist nämlich auch Voraussetzung dafür, dass er die Rechtswidrigkeit der Informationsgewinnung oder etwaige Rechte auf Löschung oder Berichtigung geltend machen kann. Insoweit ist der Anspruch auf die Kenntniserlangung ein Erfordernis effektiven Grundrechtsschutzes im Bereich sowohl des behördlichen als auch des gerichtlichen Verfahrens.
Ein Auskunftsanspruch besteht nach Auffassung des BVerfG auf jeden Fall dann, wenn eine staatliche Stelle zu informationsbezogenen Eingriffen berechtigt ist, deren Vornahme oder Umfang der Betroffene nicht sicher abschätzen kann, da er in den Informationsverarbeitungsprozess nicht oder nicht stets einbezogen wird, wenn keine Pflicht dieser Stelle zur aktiven Benachrichtigung des Betroffenen besteht. Für ein behördliches Ermessen bei der Entscheidung über die Auskunftserteilung ist in derartigen Fällen verfassungsrechtlich kein Raum. Einschränkungen der Auskunftspflicht müssen vielmehr gesetzlich bestimmt sein (wie z. B. in § 19 Abs. 4 BDSG).
Tz. 114 Beweismittel
Die Finanzbehörden sind verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben; dazu müssen sie den steuererheblichen Sachverhalt von Amts wegen aufklären (aber grds. unter Mitwirkung der Beteiligten). Die Finanzbehörden sind dabei aber nicht verpflichtet, in jedem Fall alle Angaben des Beteiligten auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen; soweit die Finanzbehörde im Einzelfall jedoch Anlass dazu sieht, hat sie die Angaben des Beteiligten zu überprüfen. Anderenfalls ergäbe sich eine gegen den Gleichheitssatz verstoßende Steuerbelastung, die nahezu allein auf der Erklärungsbereitschaft und der Ehrlichkeit des einzelnen Beteiligten beruhte (vgl. , BStBl 1991 II S. 654).
Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung kann sich die Finanzbehörde aller rechtlich zulässigen Beweismittel bedienen, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Die Erforderlichkeit der Beweiserhebung ist von der Finanzbehörde nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls im Wege der Prognose zu beurteilen (AEAO zu § 92). Der Sachverhalt muss nämlich tatsächlich aufklärungsbedürftig und die aufzuklärende Tatsache für die Entscheidung auch von Bedeutung sein. Die Ermittlung des Sachverhalts und somit die Verwendung eines Beweismittels muss aber auch verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar sein. Unverhältnismäßige Beweismittel sind unzulässig.
Die Finanzbehörde ist nicht verpflichtet, den Sachverhalt unter Einsatz aller in Betracht kommenden Beweismittel aufzuklären, soweit der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt hat; ggf. kann sie die Besteuerungsgrundlagen auch nach § 162 AO schätzen.
§ 92 Satz 2 AO enthält eine Aufzählung der wichtigsten Beweismittel. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Bei Einsatz der möglichen Beweismittel hat die Mitwirkung des Steuerpflichtigen Vorrang vor allen anderen Beweismitteln. Deshalb soll ein Dritter grds. erst dann um Auskunft gebeten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung beim Beteiligten selbst nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). Gleiches gilt für die Versicherung an Eides Statt (§ 95 Abs. 1 Satz 2 AO), die nur abgenommen werden soll, wenn andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind. Auch die Vorlage von Urkunden soll von Dritten erst dann verlangt werden, wenn der Vorlagepflichtige keine oder nur eine unzureichende Auskunft erteilt hat (§ 97 Abs. 2 AO).
Grds. stehen die in § 92 AO aufgezählten Beweismittel gleichwertig gegenüber. Die Finanzbehörde hat ein Auswahlermessen, welches Beweismittels sie sich bedienen will. Der Beteiligte hat keinen Anspruch darauf, dass die Finanzbehörde alle möglichen Beweismittel ausschöpft. Ist der Sachverhalt bei Einsatz eines Beweismittels aus Sicht der Finanzbehörde hinreichend aufgeklärt, muss sie keine weiteren Beweismittel einsetzen. Beweisanträge des Beteiligten darf die Finanzbehörde nur übergehen, wenn der Sachverhalt für sie noch nicht aufgeklärt ist oder durch einfachere Beweismittel aufgeklärt werden kann.
Tz. 115 Auskunftspflicht der Beteiligten und anderer Personen
Die allgemeine Beweismittelvorschrift des § 93 AO gilt für alle steuerrechtlichen Verfahren (Festsetzungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahren) einschließlich des steuerlichen Haftungsverfahrens. Im Rahmen der Außenprüfung und der Steuerfahndung sind die Regelungen in §§ 200, 208, 210 und 211 AO zu beachten. Im Steuerstraf- und -bußgeldverfahren gelten nach § 385 Abs. 1 und § 410 Abs. 1 AO die Vorschriften der StPO und des OWiG.
Die Kontenabrufmöglichkeit für steuerliche und außersteuerliche Zwecke nach § 93 Abs. 7 und 8 AO ist ein besonderes Ermittlungsinstrument, letztlich eine Vorstufe vor weiteren Ermittlungen (insbesondere in Gestalt von Auskunftsersuchen an die Beteiligten oder Kreditinstitute). Die steuerliche Kontenabrufmöglichkeit besteht grds. in allen Stufen des steuerrechtlichen Verfahrens, aber nicht im Steuerstrafverfahren (hier gilt § 24c KWG). In Besteuerungsverfahren, auf die die AO nach § 1 AO nicht unmittelbar anwendbar ist (z. B. landesrechtlich geregelte Steuern), ist ein Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 AO nicht zulässig.
a) Auskunftsersuchen an den Beteiligten und Dritte
Ein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO ist zulässig, wenn die Heranziehung eines Auskunftspflichtigen im Einzelfall aufgrund hinreichender konkreter Umstände oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen geboten ist (vgl. , BStBl 1987 II S. 419). Unter dieser Voraussetzung sind grds. auch Sammelauskunftsersuchen zulässig (vgl. , BStBl 1990 II S. 198). Unzulässig ist aber ein Auskunftsersuchen „ins Blaue hinein” (, BStBl 1991 II S. 277).
Die Auskunft muss zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen muss möglich und dessen Inanspruchnahme muss geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Die Erforderlichkeit eines Auskunftsersuchens ist von der Finanzbehörde nach den Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungen im Wege der Prognose zu beurteilen. Die Erforderlichkeit setzt keinen begründeten Verdacht voraus, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten vorliegen; es genügt, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen ein Auskunftsersuchen angezeigt ist.
Die Finanzbehörden können Auskunftsersuchen an die Beteiligten (vgl. § 78 AO), aber auch an Dritte richten, wenn das Ersuchen zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlich ist. Auskunftsersuchen an Dritte sollen allerdings erst dann erfolgen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten selbst nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Ob diese Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO vorliegen, hat die Finanzbehörde im Einzelfall anhand einer Prognoseentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen. Die Sachaufklärung durch die Beteiligten hat nicht zum Ziel geführt, wenn sie zwar versucht worden ist, aber letztlich nicht gelungen ist. Die Sachaufklärung durch die Beteiligten verspricht keinen Erfolg, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls oder nach den bisherigen Erfahrungen der Finanzbehörde mit den Beteiligten nicht zu erwarten ist. Auskunftsersuchen an Dritte können insbesondere geboten sein, wenn die Beteiligten keine eigenen Kenntnisse über den relevanten Sachverhalt besitzen und eine Auskunft daher ohne Hinzuziehung Dritter nicht erteilt werden kann; in diesem Fall ist das Auskunftsersuchen unmittelbar an denjenigen zu richten, der über die entsprechenden Kenntnisse verfügt. Ein Auskunftsersuchen an einen Dritten kann aber auch geboten sein, wenn eine Auskunft des Beteiligten aufgrund konkreter Umstände von vorneherein als unwahr zu werten wäre. Eine Auskunftspflicht Dritter besteht nur dann nicht, wenn (und soweit) ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht (vgl. §§ 101 - 103 AO).
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO sieht keine Rangfolge vor, welche von mehreren als Auskunftspflichtige in Betracht kommenden Personen in Anspruch zu nehmen ist (vgl. , BStBl 2000 II S. 366). Bei der Ausübung des Auswahlermessens ist eine Interessenabwägung zwischen den besonderen Belastungen, denen ein Auskunftsverpflichteter ausgesetzt ist, und dem Interesse der Allgemeinheit an der möglichst gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steueransprüche vorzunehmen. Die Beantwortung eines Auskunftsersuchens ist i. d. R. auch dann zumutbar, wenn mit dessen Befolgung eine nicht unverhältnismäßige Beeinträchtigung eigenwirtschaftlicher Interessen verbunden ist (vgl. , BStBl 2002 II S. 142).
Wenn ein Dritter um Auskunft ersucht werden soll, ist der Beteiligte grds. über die Möglichkeit eines Auskunftsersuchen gegenüber Dritten zu informieren, um das Auskunftsersuchen ggf. abwenden zu können und damit zu verhindern, dass seine steuerlichen Verhältnisse Dritten bekannt werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn dadurch der Ermittlungszweck gefährdet würde.
Im Auskunftsersuchen hat die Finanzbehörde anzugeben, worüber Auskunft erteilt werden soll und für welche Person die Auskunft angefordert wird (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AO). Zur Begründung des Ersuchens genügen grds. die Angabe der Rechtsgrundlage sowie bei einem Auskunftsersuchen an einen Dritten der Hinweis, dass die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziele geführt hat oder keinen Erfolg verspricht.
Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO sind Verwaltungsakte i. S. des § 118 AO und daher mit dem Einspruch anfechtbar. Auch wenn für Auskunftsersuchen keine bestimmte Form vorgesehen ist (§ 119 Abs. 2 AO), sollten sie jedoch grds. schriftlich erfolgen (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AO). Im Auskunftsersuchen ist eine angemessene Frist zur Auskunftserteilung zu bestimmen sowie anzugeben, in welcher Form die Auskunft erteilt werden soll (§ 93 Abs. 4 AO).
b) Kontenabruf für steuerliche Zwecke
Mithilfe eines Kontenabrufs können Finanzbehörden folgende Bestandsdaten zu Konten- und Depotverbindungen abrufen (s. Nr. 2.1 AEAO zu § 93):
die Nummer eines Kontos, das der Verpflichtung zur Legitimationsprüfung i. S. des § 154 Abs. 2 Satz 1 AO unterliegt, oder eines Depots,
der Tag der Errichtung und der Tag der Auflösung des Kontos oder Depots,
der Name, sowie bei natürlichen Personen der Tag der Geburt, des Inhabers und eines Verfügungsberechtigten sowie
der Name und die Anschrift eines abweichend wirtschaftlich Berechtigten (§ 8 Abs. 1 Geldwäschegesetz).
Kontenbewegungen und Kontenstände können auf diesem Weg nicht ermittelt werden, dazu bedarf es weiterer Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO an den Steuerpflichtigen oder an das Kreditinstitut.
Ein Kontenabruf für steuerliche Zwecke ist nur in den gesetzlich abschließend aufgezählten Fällen möglich (§ 93 Abs. 7 Satz 1 AO). Vgl. dazu auch Nr. 2.2 AEAO zu § 93. Nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 AO ist ein Kontenabruf ohne weitere Einschränkungen auch mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zulässig. Wenn die Finanzbehörde eine Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen mittels eines Kontenabrufs für erforderlich hält, weil sie Zweifel daran hat, ob die Angaben des Steuerpflichtigen vollständig und richtig sind, kann sie ihn daher auffordern, zur Aufklärung des Sachverhalts einem Kontenabruf zuzustimmen. Erteilt der Steuerpflichtige trotz Aufforderung die Zustimmung zu einem Kontenabruf nicht und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen, sind die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen.
Ein Kontenabruf steht im Ermessen der Finanzbehörde. Er darf nur anlassbezogen und zielgerichtet erfolgen und muss sich auf eine eindeutig bestimmte Person beziehen. Die Vornahme eines Kontenabrufs setzt keinen begründeten Verdacht dafür voraus, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten vorliegen. Es genügt vielmehr, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen ein Kontenabruf angezeigt ist (vgl. , 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, BStBl 2007 II S. 896). Die Verantwortung für die Zulässigkeit des Datenabrufs und der Datenübermittlung trägt die ersuchende Finanzbehörde (§ 93b Abs. 3 AO).
Ein Kontenabruf ist auch zulässig, um Konten oder Depots zu ermitteln, hinsichtlich derer der Steuerpflichtige zwar nicht Verfügungsberechtigter, aber wirtschaftlich Berechtigter ist. Dies gilt auch dann, wenn der Verfügungsberechtigte nach § 102 AO die Auskunft verweigern könnte (z. B. bei Anderkonten von Anwälten).
Ein Kontenabruf ist auch im Besteuerungsverfahren eines Berufsgeheimnisträgers i. S. des § 102 AO grds. zulässig. Bei der gebotenen Ermessensentscheidung ist hier zusätzlich eine Güterabwägung zwischen der besonderen Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht des Berufgeheimnisträgers und der Bedeutung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzunehmen. Über Anderkonten eines Berufsgeheimnisträgers, die durch einen Kontenabruf im Besteuerungsverfahren des Berufsgeheimnisträgers festgestellt werden, sind keine Kontrollmitteilungen zu fertigen. S. auch Nr. 2.5 AEAO zu § 93.
Die Finanzbehörde soll vor einem Kontenabruf grds. zuerst dem Beteiligten Gelegenheit geben, Auskunft über seine Konten und Depots zu erteilen und ggf. entsprechende Unterlagen (z. B. Konto, Depotauszüge) vorzulegen, es sei denn, der Ermittlungszweck würde dadurch gefährdet. Hat sich durch einen Kontenabruf herausgestellt, dass Konten oder Depots vorhanden sind, die der Beteiligte auf Nachfrage nicht angegeben hat, ist er über das Ergebnis des Kontenabrufs zu informieren (§ 93 Abs. 9 Satz 2 AO). Hierbei ist der Beteiligte darauf hinzuweisen, dass die Finanzbehörde ggf. auch das betroffene Kreditinstitut um Auskunft ersuchen kann. Würde durch eine vorhergehende Information des Beteiligten aber der Ermittlungszweck gefährdet oder ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls, dass eine Aufklärung durch den Beteiligten selbst nicht zu erwarten ist, kann sich die Finanzbehörde auch unmittelbar an die betreffenden Kreditinstitute wenden. In diesen Fällen ist der Beteiligte allerdings nachträglich über die Durchführung des Kontenabrufs zu informieren. Wurden die Angaben des Beteiligten durch einen Kontenabruf bestätigt, ist der Beteiligte in geeigneter Weise über die Durchführung des Kontenabrufs zu informieren, z. B. durch eine Erläuterung im Steuerbescheid.
c) Kontenabruf für außersteuerliche Zwecke
Nach § 93 Abs. 8 Satz 1 AO dürfen die für die Verwaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, der Sozialhilfe nach dem SGB XII, der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, der Aufstiegsfortbildungsförderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz und des Wohngeldes nach dem Wohngeldgesetz zuständigen Behörden das Bundeszentralamt für Steuern um einen Kontenabruf ersuchen, soweit dies zur Überprüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen erforderlich ist und ein vorheriges Auskunftsersuchen an den Betroffenen nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. § 93 Abs. 8 Satz 2 AO ermöglicht einen Kontenabruf für andere (nicht steuerliche) Zwecke, sofern dies bundesgesetzlich zugelassen ist.
Tz. 116 Allgemeine Mitteilungspflichten
§ 93a AO enthält die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Mitteilungsverordnung (MV). Neben den allgemeinen Mitteilungspflichten nach der MV haben die Betroffenen im Einzelfall auch Auskünfte nach § 93 AO zu erteilen, Amtshilfe nach §§ 111 ff. AO zu leisten oder Anzeigen nach § 116 AO zu erstatten. Darüber hinaus bestehen besondere gesetzliche Anzeigepflichten, z. B. nach dem ErbStG oder dem BewG.
Die MV regelt die Übermittlung von (Kontroll-)Mitteilungen von Behörden, anderen öffentlicher Stellen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an die Finanzbehörden ohne Ersuchen. Sie enthält Anweisungen für die mitteilenden Stellen, was zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang welchem Finanzamt mitzuteilen ist. Damit geht sie über die Regelung des § 93 AO hinaus, der lediglich Mitteilungen im konkreten Einzelfall und auf Anfrage (Auskunftsersuchen) vorsieht. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. , BStBl 2002 I S. 477, und v. - S 0229, BStBl 2004 I S. 418.
Tz. 117 Automatisierter Abruf von Kontoinformationen
§ 93b AO ergänzt die Regelungen zur Kontenabrufmöglichkeit in § 93 Abs. 7 und 8 AO. Während jene Vorschrift die Berechtigung zum Kontenabruf regelt, ordnet § 93b Abs. 1 AO an, dass Kreditinstitute die nach § 24c Abs. 1 KWG zu führende Datei auch für Abrufe nach § 93 Abs. 7 und 8 AO zu führen haben. § 93b Abs. 2 AO ermächtigt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), auf Ersuchen der sog. Bedarfsträger (abrufberechtigte Behörden i. S. des § 93 Abs. 7 und 8 AO), bei den Kreditinstituten einzelne Daten aus den nach § 93b Abs. 1 AO zu führenden Dateien im automatisierten Verfahren abzurufen und sie an den Ersuchenden zu übermitteln. Die rechtliche Verantwortung für die Zulässigkeit eines derartigen Abrufs trägt der Bedarfsträger (§ 93b Abs. 3 AO).
Das Bundeszentralamt für Steuern protokolliert für Zwecke der Datenschutzkontrolle bei jedem Abruf den Zeitpunkt, die bei der Durchführung des Abrufs verwendeten Daten, die abgerufenen Daten, die Person, die den Abruf durchgeführt hat, das Aktenzeichen sowie die ersuchende Stelle und deren Aktenzeichen (§ 93b Abs. 4 AO i. V. mit § 24c Abs. 4 Satz 1 KWG). Die Protokolldaten dürfen auch für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Kontenabrufs genutzt werden.
Tz. 118 Eidliche Vernehmung
Die Regelung des § 94 AO ergänzt die Auskunftspflicht Dritter nach § 93 Abs. 1 AO. Soweit es um Auskünfte Beteiligter geht, kommt eine Versicherung an Eides statt nach § 95 AO in Betracht.
Die Finanzbehörde kann nach § 94 Abs. 1 Satz 1 AO das für den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort der zu beeidigenden Person zuständige Finanzgericht (bzw. in den Fällen des § 94 Abs. 1 Satz 2 AO das zuständige Amtsgericht) um die eidliche Vernehmung ersuchen. Die Abnahme eines Eids nach § 94 AO soll aber grds. nur das letzte Mittel zur Wahrheitserforschung sein. Voraussetzung ist daher, dass die Finanzbehörde die Beeidigung eines Dritten mit Rücksicht auf die Bedeutung der Auskunft oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Auskunft für geboten hält. Bei der Ermessensausübung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
Das Ersuchen der Finanzbehörde nach § 94 AO ist ein Verwaltungsakt, der vom Betroffenen (Person, die eidlich vernommen werden soll) mit dem Einspruch angefochten werden kann. Der Beteiligte, dessen Besteuerung Anlass der eidlichen Vernehmung des Dritten ist, ist nicht anfechtungsbefugt. Er ist allerdings berechtigt, am gerichtlichen Verfahren teilzunehmen und Fragen an den Dritten zu stellen (§ 94 Abs. 2 Satz 3 AO).
Das um Abnahme eines Eids ersuchte Gericht darf das Ersuchen der Finanzbehörde auf eidliche Vernehmung eines Zeugen nur auf die daran zu stellenden inhaltlichen und förmlichen Anforderungen überprüfen. Das Gericht entscheidet nach § 94 Abs. 3 AO aber auch über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Zeugnisses oder der Eidesleistung (vgl. §§ 101 ff. AO). Auf das Eidesverfahren sind im Übrigen die einschlägigen Regelungen der ZPO anzuwenden (§ 82 FGO i. V. mit §§ 478 - 481, 483, 484 ZPO). Zu den strafrechtlichen Folgen eines sog. Falscheids s. §§ 153–163 StGB.
Tz. 119 Versicherung an Eides statt
Die in § 95 AO geregelte Versicherung an Eides statt ist das letzte Mittel zur Erforschung steuerrelevanter Tatsachen. Eine Versicherung an Eides statt soll nämlich nur gefordert werden, wenn andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind, zu keinem Ergebnis geführt haben oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern. Bei der Ermessensausübung ist u. a. zu berücksichtigen, ob der Beteiligte die Beweisnot zu verantworten hat.
Eine eidesstattliche Versicherung kann nur vom Beteiligten, nicht von Dritten, gefordert werden. Beteiligter kann auch ein Vertreter i. S. der §§ 34, 35 AO sein. Von eidesunfähigen Personen i. S. des § 393 ZPO darf keine eidesstattliche Versicherung verlangt werden. Eine eidesstattliche Versicherung kann auch im Vollstreckungsverfahren gefordert werden (vgl. aber auch § 284 AO). Die Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung kann mit dem Einspruch angefochten werden.
Die Versicherung an Eides statt kann nicht nach § 328 AO erzwungen werden. Aus der Weigerung eines Steuerpflichtigen, seine Tatsachenbehauptung durch eidesstattliche Versicherung zu bekräftigen, können aber für ihn ggf. nachteilige Folgerungen gezogen werden (z. B. eine Schätzung nach § 162 AO). Der Beteiligte hat umgekehrt keinen Anspruch darauf, dass ihm Gelegenheit zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegeben wird. Bietet er freiwillig eine eidesstattliche Versicherung an, müssen die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 2 AO nicht erfüllt sein.
Die Angaben, deren Richtigkeit eidesstattlich versichert werden soll, sind dem Beteiligten mindestens eine Woche vor Aufnahme der Versicherung schriftlich mitzuteilen. Der Beteiligte ist vor der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung und die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen eidesstattlichen Versicherung zu belehren (§ 95 Abs. 4 Satz 1 AO).
Die eidesstattliche Versicherung wird von der Finanzbehörde zur Niederschrift aufgenommen. Diese Niederschrift ist dem Beteiligten zur Genehmigung vorzulesen oder auf Verlangen zur Durchsicht vorzulegen. Die erteilte Genehmigung ist zu vermerken und von dem Beteiligten zu unterschreiben. Die Niederschrift ist dann von dem Amtsträger, der die eidesstattliche Versicherung aufgenommen hat, sowie vom Schriftführer zu unterschreiben.
Tz. 120 Hinzuziehung von Sachverständigen
Bei Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht kann die Finanzbehörde anordnen, dass ein (unabhängiger) Sachverständiger zuzuziehen ist. Die Hinzuziehung eines unabhängigen Sachverständigen ist nur geboten, soweit die Finanzbehörde nicht selbst sachkundig ist. Die Finanzbehörde ist daher z. B. bei streitigen Grundstücksbewertungen nicht verpflichtet, das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen einzuholen. Sie kann sich auch mit Hilfe hauseigener Bewertungssachverständiger sachkundig machen. Deren Gutachten sind im finanzgerichtlichen Prozess aber als sog. Privatgutachten zu behandeln. Der Beteiligte hat keinen Anspruch auf amtliche Zuziehung eines Sachverständigen, er darf dies aber anregen oder auf eigene Rechnung einen Sachverständigen beauftragen, dessen Gutachten ebenfalls als Privatgutachten zu behandeln ist.
Die Finanzbehörde hat den Beteiligten grds. vorab die Person zu benennen, die sie zum Sachverständigen ernennen will (Ausnahme: Gefahr im Verzug). Die Beteiligten können einen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen oder wenn von seiner Tätigkeit die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu befürchten ist. Das fristgebundene Ablehnungsgesuch hat allerdings keine aufschiebende Wirkung. Über die Ablehnung entscheidet die Finanzbehörde, die den Sachverständigen ernannt hat oder ernennen will (§ 96 Abs. 2 AO).
Der von der Finanzbehörde zum Sachverständigen Ernannte hat seiner Ernennung grds. Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderlichen Art öffentlich bestellt ist oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausübt oder wenn er zur Ausübung derselben öffentlich bestellt oder ermächtigt ist (§ 96 Abs. 3 AO). Der Sachverständige kann die Erstattung des Gutachtens aber wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen (§ 96 Abs. 4 AO).
Der Sachverständige geht von den bisher im Verfahren festgestellten Tatsachen aus, wendet darauf die Erfahrungssätze seines besonderen Fachgebiets an und zieht daraus dann die für die Besteuerung relevanten Schlussfolgerungen. Zu diesem Zweck teilt die Finanzbehörde dem Gutachter ihre Erkenntnisse mit und überlässt ihm ggf. Steuerakten. Der Sachverständige ist aber zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet. Die Finanzbehörde muss ihn hierauf ausdrücklich hinweisen (§ 96 Abs. 6 AO). Reichen dem Gutachter die bisherigen Erkenntnisse nicht aus, darf er keine eigenständigen Ermittlungen anstellen, sondern muss die Finanzbehörde um weitere Sachverhaltsaufklärung bitten. Der Gutachter darf lediglich eine Augenscheinseinnahme nach § 99 AO eigenständig durchführen.
Das Gutachten ist grds. schriftlich zu erstatten (§ 96 Abs. 7 AO). Es muss erkennen lassen, von welchem Sachverhalt der Gutachter ausgegangen ist und welche Erkenntnisquellen er seinen Schlussfolgerungen zugrunde gelegt hat. Eine Beeidigung des erstellten Gutachtens darf von der Finanzbehörde nur gefordert werden, wenn sie dies mit Rücksicht auf die Bedeutung des Gutachtens für geboten hält. Sofern der Sachverständige für die Erstattung von Gutachten der betreffenden Art im Allgemeinen beeidigt ist, genügt die Berufung auf den geleisteten Eid.
Der Beteiligte kann – über die Ablehnung wegen Befangenheit hinaus – weder die Ernennung des Gutachters noch dessen Gutachten anfechten. Als Beweismittel unterliegt das Sachverständigengutachten allerdings der freien Beweiswürdigung durch die Finanzbehörde bzw. bei Anfechtung des Verwaltungsakts, dem das Gutachten zugrunde gelegt wurde, durch das Finanzgericht.
Tz. 121 Vorlage von Urkunden
§ 97 AO regelt die Pflicht zur Vorlage von Urkunden durch die Beteiligten, aber auch durch Dritte. Die Finanzbehörde kann von ihnen die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung verlangen. Unter Urkunde ist jede auf Papier verkörperte oder auf Daten-/Bildträgern festgehaltene Gedankenerklärung zu verstehen. Sie muss allgemein oder zumindest für Eingeweihte verständlich sein und den Urheber erkennen lassen.
Die Vorlage von Urkunden soll grds. erst dann verlangt werden, wenn der Vorlagepflichtige keine Auskunft erteilt hat, wenn seine Auskunft unzureichend ist oder wenn Bedenken gegen die Richtigkeit der Auskunft bestehen (§ 97 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Urkundenvorlage kann aber auch dann verlangt werden, soweit der Beteiligte eine steuerliche Vergünstigung geltend macht (z. B. Sonderausgaben, Sonderabschreibungen), wenn die Finanzbehörde beim Beteiligten keine Außenprüfung durchführen will oder wenn sie wegen der erheblichen steuerlichen Auswirkungen eine baldige Klärung des Sachverhalts für geboten hält (§ 97 Abs. 2 Satz 2 AO). Im Vorlageersuchen ist auch anzugeben, ob die Urkunden für die Besteuerung des zur Vorlage Aufgeforderten selbst oder für die Besteuerung eines Dritten benötigt werden. Das Vorlageersuchen ist ein mit dem Einspruch anfechtbarer Verwaltungsakt.
Die Finanzbehörde hat bei ihrer Ermessensausübung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Grds. sind – im Rahmen des Zumutbaren und Erforderlichen – Urkunden im Original vorzulegen. Denn nur die Originalurkunde hat den vollständigen Beweiswert. Die Behörde muss aber eine ihr vom Vorlagepflichtigen angebotene Kopie akzeptieren, wenn für die Erbringung des Beweises unerheblich ist, ob das Original oder eine Fotokopie vorgelegt wird. Die Vorlage von Original-Urkunden ist aber auch dann zumutbar, wenn der Vorlagepflichtige sich diese erst beschaffen muss. Bei Urkunden in fremder Sprache kann die Finanzbehörde eine Übersetzung fordern (§ 87 Abs. 2 AO).
Die Finanzbehörde kann die Vorlage der Urkunden an Amtsstelle verlangen oder sie bei dem Vorlagepflichtigen einsehen, wenn dieser einverstanden ist oder die Urkunden für eine Vorlage an Amtsstelle ungeeignet sind (§ 97 Abs. 3 Satz 1 AO). Urkunden, die auf Daten-/Bildträgern gespeichert sind, müssen ggf. in lesbarer Form ausgedruckt werden (§ 97 Abs. 3 Satz 2 i. V. mit § 147 Abs. 5 AO).
Die Finanzbehörde kann ein (gegenüber Dritten zur Entschädigung nach § 107 AO berechtigendes) Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO mit einem Vorlageersuchen nach § 97 AO verbinden. Bei einem kombinierten Auskunfts- und Vorlageersuchen hat der ersuchte Dritte Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen, d. h. auch jener, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Urkunden entstanden sind (, BStBl 1988 II S. 163). Ein nicht entschädigungspflichtiges Vorlageverlangen i. S. des § 97 AO liegt nur dann vor, wenn die Finanzbehörde die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das Finanzamt die Konten- und Depotnummern benennt oder vergleichbar konkrete Angaben zu sonstigen Bankverbindungen macht (, BStBl 2007 II S. 80).
Verweigert der Beteiligte die Vorlage von Urkunden, ist eine Beweislastentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit eine Aufbewahrungspflicht besteht und die Urkundenvorlage möglich und zumutbar war.
Tz. 122 Einnahme des Augenscheins
In allen Verfahrensarten nach der AO ist die Einnahme des Augenscheins ein zulässiges Beweismittel. Inaugenscheinnahme ist jede Form der sinnlichen Wahrnehmung (Sehen, Riechen, Fühlen, etc.) des beweisbedürftigen Phänomens (Personen, Sachen, Geschehensabläufe, Rekonstruktion von Vorfällen etc.). Die Beweiserhebung über die Existenz und den Inhalt von Urkunden richtet sich allerdings nach § 97 AO. Gegenstand einer Inaugenscheinnahme ist typischerweise die Existenz, die Nutzung oder die Beschaffenheit bestimmter Wirtschaftsgüter. Regelmäßig erfolgt eine Inaugenscheinnahme im Rahmen einer Außenprüfung, sie kann aber auch im Rahmen einer amtsinternen Fallbearbeitung durchgeführt werden.
Die Anordnung einer Inaugenscheinnahme ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Die Durchführung der Beweiserhebung durch Inaugenscheinnahme ist zu protokollieren. Eine Zuziehung des Beteiligten ist nur im Einspruchsverfahren vorgeschrieben (§ 365 Abs. 2 AO), sollte aber grds. auch in allen anderen steuerlichen Verfahren erfolgen. Dadurch können nämlich Rückfragen sofort an Ort und Stelle beantwortet und zugleich rechtliches Gehör gewährt werden. An der Inaugenscheinnahme sollte ein Sachverständiger beteiligt werden, wenn die Finanzbehörde nicht selbst über ausreichende Sachkenntnisse verfügt.
Tz. 123 Betreten von Grundstücken und Räumen
Eine Beweiserhebung durch Inaugenscheinnahme nach § 98 AO kann auch darin bestehen, Grundstücke, Räume, Schiffe, umschlossene Betriebsvorrichtungen und ähnliche Einrichtungen zu betreten. Betreten werden kann jeder Gegenstand, dessen Betreten sich im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zum Zweck der Inaugenscheinnahme als notwendig erweisen kann. Die Bewohnbarkeit von Räumen ist nicht Voraussetzung für ein Betreten. Umschlossene Betriebsvorrichtungen müssen wie Räume von allen Seiten umschlossen sein (z. B. Maschinenräume oder Lagerräume, die ansonsten zum Betreten durch Menschen nicht bestimmt oder geeignet sind). Wegen der erheblichen Belastung für den Duldungspflichtigen und der Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung dürfen die Finanzbehörden von dem Betretungsrecht nur dann Gebrauch machen, wenn keine anderen gleichermaßen geeignete Beweismittel zur Verfügung stehen und der Sachverhalt durch das Betreten überhaupt aufgeklärt werden kann.
Zu anderen Zwecken als der konkreten Beweiserhebung ist ein Betreten nicht zulässig. Die Ausforschung (Suche nach unbekannten Gegenständen) ist nach § 99 Abs. 2 AO nicht zulässig, daher liegt auch keine Durchsuchung i. S. des Art. 13 GG vor. Über § 99 AO hinausgehende Regelungen zum Betreten von Grundstücken und Räumen enthalten § 200 AO (Außenprüfung), § 210 AO (Steueraufsicht), § 287 AO (Vollstreckung) und § 27b UStG (Umsatzsteuer-Nachschau).
Betretungsberechtigt sind Amtsträger der zuständigen Finanzbehörde sowie nach §§ 96 und 98 AO zugezogene Sachverständige. Ein Sachverständiger kann den Augenschein als Gehilfe der Finanzbehörde auch ohne Begleitung durch einen Amtsträger einnehmen. Amtsträger vorgesetzter Finanzbehörden sind nur mit Zustimmung des Betroffenen betretungsberechtigt.
Duldungspflichtig ist die Person, die unmittelbare tatsächliche Verfügungsbefugnis über die fragliche Einrichtung hat (Eigentümer bei Selbstnutzung, anderenfalls Mieter, Pächter, Leasingnehmer etc.). Unerheblich ist, ob die Inaugenscheinnahme seiner eigenen Besteuerung dient oder der Besteuerung eines Dritten. Der Duldungspflichtige ist angemessene Zeit vor dem Betreten zu benachrichtigen (§ 99 Abs. 1 Satz 2 AO), soweit dies den Ermittlungszweck nicht gefährden würde. Der Duldungspflichtige darf an der Inaugenscheinnahme teilnehmen, seine Teilnahme ist allerdings nicht zwingende Voraussetzung. Der Duldungspflichtige kann die Anordnung des Betretens mit dem Einspruch anfechten.
Das Betretungsrecht ist auf die üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten beschränkt. Ein Betreten an Sonn- und Feiertagen ist damit ebenso ausgeschlossen aus wie zur Nachtzeit. Übliche Geschäfts- und Arbeitszeiten orientieren sich an den Gegebenheiten des Einzelfalls (regelmäßig zwischen 7 und 20 Uhr). Im Einvernehmen mit dem Duldungspflichtigen kann auch eine andere Betretungszeit vereinbart werden.
Wohnräume dürfen gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden (§ 99 Abs. 1 Satz 3 AO). Umstritten ist, ob unter den an Art. 13 GG orientierten Begriff „Wohnräume” nur privat genutzte Räume oder auch Geschäfts- und Betriebsräume fallen. Unstreitig ist allerdings, dass das verfassungsrechtliche Schutzbedürfnis des Inhabers von Geschäfts- und Betriebsräumen deutlich geringer ist als das des Inhabers von privaten Wohnräumen im engen Sinne.
Das Betretungsrecht kann zwar grds. mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, soweit es sich nicht um private Wohnräume handelt oder eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Dies wird im Besteuerungsverfahren aber äußerst selten vorkommen. Bei einer Verweigerung des Zugangs zu den fraglichen Räumen kommt vielmehr regelmäßig eine Beweislastentscheidung und in deren Folge eine Schätzung nach § 162 AO in Betracht. Unklarheiten gehen dabei grds. zu Lasten des Beteiligten.
Tz. 124 Vorlage von Wertsachen
Eine weitere Form der Beweiserhebung ist die Inaugenscheinnahme von Wertsachen. Beteiligte und andere Personen haben der Finanzbehörde auf Ersuchen Wertsachen vorzulegen, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen über ihre Beschaffenheit und ihren Wert zu treffen. Wertsachen sind Geld, Wertpapiere, Schmuck, Edelsteine, Edelmetall, Antiquitäten etc. Diese Wertsachen müssen der Finanzbehörde allerdings bereits bekannt sein, Vorlageersuchen zum Zweck der Ausforschung sind unzulässig (§ 100 Abs. 2 AO). Die Inaugenscheinnahme vorgelegter Wertsachen kann auch durch Sachverständige erfolgen.
III. Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte/Entschädigung des Auskunftspflichtigen
Tz. 125 Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechte der Angehörigen
Nach § 101 AO können Angehörige eines Beteiligten (vgl. § 15 AO) die Auskunft sowie die Beeidigung ihrer Auskunft verweigern, wenn sie nicht selbst am Verfahren beteiligt sind oder wenn sie nicht als Vertreter des Beteiligten (§§ 34, 35 AO) Auskunft zu erteilen haben. Das zwischen Angehörigen bestehende Vertrauensverhältnis soll geschützt werden. Werden Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, steht ihnen hinsichtlich der Verhältnisse des jeweils anderen Ehegatten das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht zu.
Das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht steht nur anderen Personen als den Beteiligten zu. Beteiligte und die für sie auskunfts- und vorlagepflichtigen Vertreter (vgl. §§ 34 und 35 AO) müssen im Interesse einer gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung an der Aufklärung des Sachverhalts uneingeschränkt mitwirken. Dies gilt grds. auch dann, wenn ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wurde. Im Besteuerungsverfahren bleibt der einer Straftat Verdächtigte jedenfalls im Grundsatz auch nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens zur (wahrheitsgemäßen) Mitwirkung verpflichtet (, BStBl 2002 II S. 328). Dies gilt insbesondere auch für die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO. Lediglich Zwangsmittel (§ 328 AO) sind unzulässig, wenn der Auskunfts- oder Vorlagepflichtige dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Wird eine Auskunft oder eine Vorlage ohne Rechtsgrundlage verweigert, ist nach Beweislastgrundsätzen zu entscheiden.
Die Verweigerung bedarf keiner Begründung. Das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht unterliegt keinen inhaltlichen Beschränkungen und gilt in allen Steuerverfahren nach der AO, d. h. also nicht nur im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern z. B. auch im Einspruchs-, Vollstreckungs- oder Haftungsverfahren.
Die Angehörigen sind über das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht zu belehren (§ 101 Abs. 1 Satz 2 AO), diese Belehrung ist aktenkundig zu machen. Durch die Belehrung muss die Auskunftsperson in die Lage versetzt werden, die Tragweite ihres Beschlusses frei zu beurteilen. Der Gegenstand der Auskunft ist hinreichend zu konkretisieren. Eine Verletzung der Belehrungspflicht ist – außer bei nachträglicher Zustimmung – irreparabel. Da sie nicht rückgängig gemacht werden kann, darf die Finanzbehörde die hieraus gewonnenen Tatsachenkenntnisse nicht verwerten (vgl. , BStBl 1991 II S. 204). Zulässig ist es allerdings, das Auskunftsersuchen nach rechtmäßiger Belehrung über das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht zu wiederholen; wiederholt der Auskunftspflichtige daraufhin seine Auskunft, kann diese verwertet werden (Nr. 2 AEAO zu § 101).
Tz. 126 Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse
Durch § 102 AO werden einigen Berufsgruppen Auskunftsverweigerungsrechte eingeräumt, um deren Berufsgeheimnisse zu schützen.
Allen in § 102 AO abschließend aufgezählten Berufsgruppen ist gemein, dass ein besonderes und verfassungsrechtlich bedeutsames Vertrauensverhältnis zu anderen Personen besteht. Der Schutz dieses Vertrauensverhältnisses hat Vorrang vor dem Gebot, die Steuern gesetzmäßig und gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Das Auskunftsverweigerungsrecht gilt allerdings nicht mehr, wenn die Berufsträger von der Schweigepflicht entbunden wurden (§ 103 Abs. 3 AO). In diesem Fall haben auch ihre Gehilfen kein Auskunftsverweigerungsrecht. Da § 102 AO keine Belehrungspflicht vorsieht, können freiwillig erteilte Auskünfte eines Berufsträgers auch dann verwertet werden, wenn er nicht von der Schweigepflicht entbunden worden war.
Für den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts können die Grundsätze herangezogen werden, die zu dem mit § 102 AO weitestgehend gleich gestalteten § 53 Abs. 1 StPO entwickelt wurden (vgl. , BStBl 1993 II S. 451). Danach bezieht sich die Befugnis eines Berufsträgers (z. B. eines Arzts, eines Rechtsanwalts oder eines Steuerberaters) zur Auskunftsverweigerung auch auf die Identität des Patienten bzw. Mandanten und die Tatsache seiner Behandlung oder Beratung. Das Auskunftsverweigerungsrecht greift allerdings nicht im Hinblick auf diejenigen Patienten oder Mandanten ein, die auf eine Geheimhaltung ihrer Identität verzichtet haben. Ein solcher Verzicht ist z. B. anzunehmen, wenn ein Steuerberater an der Erstellung von Steuererklärungen seiner Mandanten mitgewirkt und dies der Finanzbehörde gegenüber kenntlich gemacht hat.
Das Auskunftsverweigerungsrecht gilt auch dann, wenn die Auskunft in der eigenen Steuersache des Berufsträgers erteilt werden soll. Durch das gesetzliche Auskunftsverweigerungsrecht wird die Befugnis der Finanzbehörde zu steuerlichen Ermittlungen und insbesondere zur Anordnung und Durchführung einer Außenprüfung bei einem Berufsträger allerdings nicht eingeschränkt (vgl. NWB XAAAC-81450). Denn anderenfalls würde nicht zuletzt das Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung (§ 85 AO) verletzt, dessen Befolgung beeinträchtigt werden könnte, wenn sich Angehörige bestimmter Berufsgruppen unter Berufung auf eine bestehende Verschwiegenheitspflicht generell der Überprüfung ihrer im Besteuerungsverfahren gemachten Angaben entziehen könnten. Vor der Fertigung von Kontrollmitteilungen muss der geprüfte Berufsträger allerdings gehört werden, damit er die Umsetzung dieses Vorhabens ggf. gerichtlich verhindern lassen kann.
Gesetzliche Anzeigepflichten der Notare und Mitteilungspflichten der Berufsträger nach der Zinsinformationsverordnung verdrängen das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 AO. Soweit diese Anzeigepflichten bestehen, sind Notare auch zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung weiterer Auskünfte verpflichtet.
Tz. 127 Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit
Nach § 103 Satz 1 AO können Personen, die nicht Beteiligte und nicht für einen Beteiligten auskunftspflichtig sind, die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder einen ihrer Angehörigen (vgl. § 15 AO) wegen einer bereits begangenen Tat der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder einer Verfolgung nach dem OWiG aussetzen würde. Dem Beteiligten selbst steht kein Auskunftsverweigerungsrecht zu; Gleiches gilt für die Personen, die als Vertreter des Beteiligten i. S. der §§ 34, 35 AO auskunftspflichtig sind. Daher besteht die Mitwirkungspflicht (insbesondere die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen) auch nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens (vgl. § 393 AO). Der Steuerpflichtige wird dadurch nicht gezwungen, sich selbst zu belasten. Er muss nur als Folge seiner mangelnden Mitwirkung hinnehmen, dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.
Dem Auskunftsverpflichteten steht zur Vermeidung einer Selbstbelastung kein umfassendes, sondern nur ein gegenständlich beschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Zur Verweigerung einer insgesamt verlangten Auskunft berechtigt § 103 AO jedoch dann, wenn die geforderte Auskunft nicht in einzelne Fragen aufgeteilt werden kann oder wenn die geforderte Auskunft in einem so engen Zusammenhang mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten steht, dass nichts übrig bleibt, was beantwortet werden könnte, ohne dass die Auskunftsperson sich oder einen Angehörigen belasten würde. In diesen Fällen führt das Recht, die Beantwortung einzelner Fragen zu verweigern, im Ergebnis ausnahmsweise zu einer berechtigten Verweigerung der verlangten Auskunft in vollem Umfang. Lässt sich ein weit gefasstes Beweisthema hingegen in Bereiche mit und in solche ohne Verfolgungsgefahr aufteilen, entfällt für die letztgenannten Bereiche das Verweigerungsrecht.
Beruft sich ein Zeuge auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 103 AO, muss er grds. die Tatsachen angeben und glaubhaft machen, auf die er seine Weigerung stützt. Dies gilt allerdings nicht, wenn diese Tatsachen der Finanzbehörde bereits bekannt sind oder er sich schon durch die Begründung belasten müsste.
Auskunftspersonen sind über das Auskunftsverweigerungsrecht zu belehren (§ 103 Satz 2 AO), diese Belehrung ist aktenkundig zu machen. Die Ausführungen zur Belehrung in Tz. 125 gelten auch hier.
Tz. 128 Verweigerung der Erstattung eines Gutachtens oder der Vorlage von Urkunden und Wertsachen
Wer ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101–103 AO hat, kann insoweit auch die Erstattung eines Gutachtens oder die Vorlage von Urkunden oder Wertsachen ablehnen. Soweit die Finanzbehörde über ein Auskunftsverweigerungsrecht zu belehren hat, muss sie auch über das Vorlageverweigerungsrecht belehren. Bei Verletzung der Belehrungspflicht greift ein Verwertungsverbot.
Die Vorlage von Urkunden und Wertsachen kann nicht verweigert werden, wenn diese für den Beteiligten aufbewahrt werden und der Beteiligte bei eigenem Gewahrsam zur Vorlage verpflichtet wäre (§ 104 Abs. 2 Satz 1 AO). Trotz ihres Auskunftsverweigerungsrechts sind die Angehörigen der steuerberatenden Berufe daher verpflichtet, alle Urkunden und Wertsachen, insbesondere Geschäftsbücher und sonstige Aufzeichnungen, die sie für ihren Mandanten aufbewahren oder führen, auf Verlangen der Finanzbehörde unter den gleichen Voraussetzungen vorzulegen wie der Mandant selbst (AEAO zu § 104).
Mit Entbindung eines Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht entfällt sowohl dessen Auskunftsverweigerungsrecht als auch das Vorlageverweigerungsrecht. Gesetzliche Anzeigepflichten der Notare verdrängen das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 AO; insoweit sind Notare auch zur Vorlage von Urkunden verpflichtet (§ 104 Abs. 1 Satz 2 AO).
Tz. 129 Verhältnis der Auskunfts- und Vorlagepflicht zur Schweigepflicht öffentlicher Stellen
Den Auskunfts- und Vorlagepflichten für steuerliche Zwecke ist ein besonders hoher Rang eingeräumt, um dem Gebot einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung Rechnung tragen zu können. Die allgemeine Verschwiegenheitspflicht der Amtsträger und Mitarbeiter öffentlicher Stellen gilt demnach grds. nicht gegenüber den Finanzbehörden. § 105 AO verdrängt allerdings nicht das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis. Für Informationen, die dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, gilt ein Verwertungsverbot, sofern die Finanzbehörde diese Informationen nicht selbst rechtmäßig hätte erheben können (vgl. § 393 Abs. 3 Satz 2 AO).
Wenn andere Gesetze abschließende Regelungen über die Übermittlung von (i. d. R. personenbezogenen) Daten an Dritte enthalten und dabei keine oder nur eine sehr eingeschränkte Auskunftserteilung an Finanzbehörden zulassen, gehen auch diese Regelungen den steuerlichen Auskunfts- und Vorlagepflichten vor.
Tz. 130 Beschränkung der Auskunfts- und Vorlagepflicht bei Beeinträchtigung des staatlichen Wohls
Die Erteilung einer Auskunft oder die Vorlage von Urkunden darf von der Finanzbehörde nicht gefordert werden, wenn die zuständige oberste Bundes- oder Landesbehörde erklärt, dass dies dem Wohl des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereiten würde. Die trotz einer Untersagungserklärung der zuständigen obersten Behörde erteilten Auskünfte oder vorgelegten Unterlagen unterliegen allerdings keinem Verwertungsverbot.
Tz. 131 Entschädigung der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen
Werden Auskunftspflichtige oder Sachverständige, die nicht Beteiligte oder für Beteiligte auskunftspflichtig sind, von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren zu Beweiszwecken herangezogen, erhalten sie auf Antrag eine Entschädigung oder Vergütung. Freiwillig vorgelegte Auskünfte und Sachverständigengutachten führen selbst dann nicht zu einer Entschädigung, wenn die Finanzbehörde sie verwertet. § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens einschließlich des Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahrens, nicht jedoch im Straf- und Bußgeldverfahren (vgl. dazu § 405 AO). Die Entschädigung oder Vergütung bestimmt sich in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG). Handelt es sich bei dem Auskunftspflichtigen um eine Person, bei der Kenntnisse über den Entschädigungsanspruch nicht vorausgesetzt werden können, und ist zu erwarten, dass dem Auskunftspflichtigen durch die Auskunftserteilung nicht nur unbedeutende Kosten erwachsen werden, ist er auf die Entschädigungsmöglichkeit und das Erfordernis der Antragstellung hinzuweisen.
Für die Vorlage von Urkunden (§ 97 AO) und für die Duldung der Einnahme des Augenscheins (§ 98 AO) kann keine Entschädigung nach § 107 AO beansprucht werden. Nimmt ein Auskunftspflichtiger oder ein Sachverständiger eine Hilfsperson (z. B. seinen Steuerberater) in Anspruch, hat die Hilfsperson keinen eigenen Entschädigungsanspruch.
Bei einem kombinierten Auskunfts- und Vorlageersuchen hat der ersuchte Dritte Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen, d. h. auch jener, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Urkunden entstanden sind (, BStBl 1988 II S. 163). Wegen eines nicht entschädigungspflichtiges Vorlageverlangen i. S. des § 97 AO s. auch Tz. 121.
IV. Fristen, Termine, Wiedereinsetzung
Tz. 132 Fristen und Termine
Fristen sind abgegrenzte, bestimmte oder jedenfalls bestimmbare Zeiträume (, BStBl 2003 II S. 898).
Gesetzliche Fristen werden durch Gesetz oder Rechtsverordnung (vgl. § 4 AO) selbst bestimmt, wie z. B. die Frist für die Einlegung eines Einspruchs (§ 355 Abs. 1 AO), einen Antrag auf Wohnungsbauprämie (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WoPG), Arbeitnehmer-Sparzulage (§ 14 Abs. 4 Satz 2 5. VermBG), Altersvorsorgezulage (§ 89 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder Vorsteuer-Vergütung an ausländische Unternehmer (§ 18 Abs. 9 Satz 3 UStG) sowie die Festsetzungsfristen (§§ 169 ff. AO) und die Zahlungsverjährungsfrist (§§ 228 ff. AO). Sie können grds. nicht nach § 109 AO verlängert werden; ihr Ablauf kann aber gehemmt oder unterbrochen sein (§§ 171, 230, 231 AO). Versäumt der Steuerpflichtige eine gesetzliche Frist, ist eine Heilung grds. nur durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) möglich. Gesetzliche Fristen können aber nach § 109 AO verlängert werden, soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist, wie z. B. für die Steuererklärungsfrist (§ 109 Abs. 1 Satz 1 AO; s. hierzu auch § 149 AO) und für die Frist für den Widerruf des Verzichts auf die Besteuerung nach Durchschnittssätzen (§ 24 Abs. 4 Satz 5 und 6 UStG).
Behördliche Fristen werden von den Finanzbehörden durch einen besonderen Verwaltungsakt oder durch eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt (§ 120 AO) gesetzt, wie z. B. die Frist für die Befolgung eines Auskunftsverlangens nach § 93 AO, die Frist nach § 364b AO und der Zeitraum einer bewilligen Stundung (§ 222 AO) oder Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO). Von der Behörde gesetzte Fristen können nach§ 109 AO verlängert werden. Die Vorschrift über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) ist nur anwendbar, soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist, wie z. B. in § 364b Abs. 2 Satz 3 AO.
Terminesind bestimmte Zeitpunkte, zu denen etwas geschehen soll oder zu denen eine Wirkung eintritt. „Fälligkeitstermine” geben das Ende einer Frist an (AEAO zu § 108, Nr. 1).
Für die Berechnung der Fristen gelten die §§ 187–193 BGB sowie die ergänzenden Bestimmungen in § 108 Abs. 2–6 AO. Von erheblicher Bedeutung ist § 108 Abs. 3 AO, der bestimmt, dass eine Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags endet, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. Unerheblich ist, ob es sich um eine gesetzliche oder um eine behördlich bestimmte Frist handelt. § 108 Abs. 3 AO gilt auch für die in den §§ 122, 123 AO und in § 4 VwZG getroffenen Regelungen zur Fiktion des Tags der Bekanntgabe von Verwaltungsakten (, BStBl II S. 898).
Die Finanzbehörde gibt am einen für einen Empfänger im Inland bestimmten Verwaltungsakt mit einfachem Brief zur Post. Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO würde der Verwaltungsakt grds. als am bekannt gegeben gelten. Da dieser Tag auf den Karfreitag fällt, gilt aber aufgrund des § 108 Abs. 3 AO der Verwaltungsakt erst am (Dienstag nach Ostern) als bekannt gegeben. Die Einlegung eines Einspruchs wäre somit bis zum möglich.
Tz. 133 Verlängerung von Fristen
Verlängert werden können grds. nur von den Finanzbehörden gesetzte Fristen (s. hierzu § 108 AO). Eine Ausnahme gilt für Steuererklärungsfristen, die auch dann verlängert werden können, wenn sie – wie z. B. in § 149 Abs. 2 AO, in § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG und in § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG – durch das Gesetz bestimmt werden (§ 109 Abs. 1 Satz 1 AO).
Die Finanzbehörde kann die Fristverlängerung auch rückwirkend bewilligen. Ferner kann sie die Bewilligung der Fristverlängerung mit einer Nebenbestimmung (§ 120 AO) versehen und sie hierbei insbesondere von einer Sicherheitsleistung (§§ 241 ff. AO) abhängig machen.
Ein Antrag des Steuerpflichtigen auf Fristverlängerung ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. I. d. R. wird die Finanzbehörde aber nur nach einem Antrag, der formfrei gestellt werden kann, eine sachgemäße Entscheidung treffen können. Zur allgemeinen Verlängerung der Fristen für die Abgabe von Steuererklärungen, die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellt werden, s. § 149 AO.
Im Gegensatz zum Fall einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) handelt es sich bei der Entscheidung über eine Fristverlängerung (und ggf. bei der Entscheidung über die Beifügung einer Nebenbestimmung) um eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO).
Tz. 134 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
a) Unverschuldete Verhinderung, eine gesetzliche Frist einzuhalten
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und damit die Heilung einer Fristversäumnis kommt in Betracht, wenn der Steuerpflichtige eine von ihm zu beachtende gesetzliche Frist nicht eingehalten ha.t Fristen, die von der Finanzbehörde zu beachten sind, wie z. B. die Festsetzungsfrist nach § 169 AO, werden von § 110 AO nicht erfasst (, BStBl 2000 II S. 330). Für Fristen, die in Verfahren vor den Finanzgerichten oder vor dem BFH zu beachten sind, gilt § 56 FGO.
Eine gesetzliche Frist (s. hierzu § 108 AO) muss versäumt worden sein. Von der Finanzbehörde gesetzte Fristen können nach § 109 AO (ggf. auch rückwirkend) verlängert werden. Bei einer Versäumung dieser Fristen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht; es sei denn, die Vorschriften über die Wiedereinsetzung sind ausdrücklich für anwendbar erklärt worden (wie z. B. in § 364b Abs. 2 Satz 3 AO).
Steuererklärungsfristen können nach § 109 AO unabhängig davon verlängert werden, ob sie durch das Gesetz oder durch die Finanzbehörde bestimmt werden. Bei Versäumung einer gesetzlichen Steuererklärungsfrist kommt daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (Nr. 3 AEAO zu § 110; strittig).
Der Steuerpflichtige muss ohne Verschulden verhindert gewesen sein, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt in den Fällen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit vor, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit ausreicht. Fahrlässig handelt, wer die gebotene und ihm mögliche Sorgfalt bei der Fristwahrung außer Acht lässt. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.
Eine unverschuldete Verhinderung kann z. B. in folgenden Fällen vorliegen:
Vorübergehende Abwesenheit des Steuerpflichtigen wegen einer Urlaubs- oder Geschäftsreise. „Vorübergehend” ist ein Zeitraum von höchstens sechs Wochen (, HFR 1976 S. 331). Ist der Steuerpflichtige längere Zeit abwesend, trifft ihn ein Verschulden, wenn er nicht dafür sorgt, dass die Post ihm nachgesandt oder von einem Beauftragten in Empfang genommen wird ( NWB IAAAB - 88295).
Erkrankung, wenn diese schwer ist oder plötzlich auftritt und den Steuerpflichtigen daran hindert, seine steuerlichen Angelegenheiten zu besorgen oder einen Vertreter zu bestellen. Nach Abklingen der Erkrankung muss der Steuerpflichtige innerhalb angemessener Zeit wichtige Fristen überprüfen (, BStBl 1966 III S. 437).
Verzögerung bei der Beförderung durch die Post. Der Steuerpflichtige darf grds. auf die normalen Brieflaufzeiten vertrauen. Er muss nur dafür sorgen, dass das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben wird, dass es bei normalem Lauf dem Empfänger rechtzeitig zugeht (, BStBl 2007 II S. 96).
Störungen bei einer Übermittlung durch Telefax, wenn die fristgerechte Übermittlung nur deshalb gescheitert ist, weil die Übermittlungsleitung oder das Empfangsgerät der Behörde gestört und eine anderweitige Übermittlung vor Ablauf der Frist weder möglich noch zumutbar war. Es muss aber so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen worden sein, dass diese unter normalen Umständen vor Fristablauf hätte abgeschlossen werden können (, BStBl 1997 II S. 496).
Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 AO).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, wenn sich der Steuerpflichtige über das materielle Recht irrt und deshalb von der Einlegung eines Einspruchs absieht. Gleiches gilt, wenn nach Ablauf der Einspruchsfrist neue, zugunsten des Steuerpflichtigen wirkende Rechtsprechung bekannt wird, eine im Steuerfall angewandte Rechtsnorm vom BVerfG für nichtig oder für mit dem GG unvereinbar erklärt wird oder eine Verwaltungsanweisung ergeht, Steuerfestsetzungen hinsichtlich weiterer Punkte für vorläufig zu erklären (vgl. § 165 AO).
Hat sich der Steuerpflichtige über verfahrensrechtliche Fragen (z. B. über Beginn und Dauer einer Frist oder über das Vorliegen einer Ausschlussfrist) geirrt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein, wenn der Irrtum entschuldbar ist (, BStBl 2006 II S. 833). Bei Angehörigen der steuerberatenden Berufe begründet die mangelnde Kenntnis des Verfahrensrechts grds. einen Verschuldensvorwurf (, BStBl 1999 II S. 65).
Arbeitsüberlastung rechtfertigt grds. keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nur besondere Umstände, die zu einer unvorhersehbaren und unabwendbaren Arbeitsüberlastung führen, können als Wiedereinsetzungsgründe angesehen werden. Ebenso kann die fehlende Kenntnis der deutschen Sprache für sich allein eine Fristversäumung nicht entschuldigen. Da die Amtssprache Deutsch ist (§ 87 Abs. 1 AO), muss sich der Steuerpflichtige selbst um eine Übersetzung bemühen.
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach fehlerhafter Adressierung eines Einspruchs s. § 357 AO.
b) Vertreterverschulden (Absatz 1 Satz 2)
Bei der Prüfung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wird das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zugerechnet. Vertreter i. S. des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO sind insbesondere die gesetzlichen Vertreter natürlicher oder juristischer Personen (§ 34 AO), die Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen oder Vermögensmassen (§ 34 AO) und die Bevollmächtigten (§ 80 AO). Keine Vertreter sind z. B. Boten, Empfangsbevollmächtigte ( NWB ZAAAC-72603), Angestellte eines Vertreters und Familienangehörige.
Die Zurechnung des Vertreterverschuldens setzt voraus, dass ein wirksames Vertretungsverhältnis vorliegt. Ist dies der Fall, muss der Steuerpflichtige sich das Verschulden eines Bevollmächtigten auch dann zurechnen lassen, wenn dieser sich weisungswidrig verhalten hat ( NWB IAAAB-41489).
Ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe (somit insbesondere ein Steuerberater) muss durch eine ordnungsgemäße Büroorganisation sicherstellen, dass Fristen eingehalten werden (, BStBl 1997 II S. 199). Es ist ein Fristenkontrollbuch (oder eine ähnliche Einrichtung, z. B. Fristenkartei) zu führen, in dem jede Fristsache sofort nach ihrem Eingang vermerkt wird (, BStBl 1973 II S. 169). Das Fristenkontrollbuch muss täglich geprüft werden.
Ferner ist ein Postausgangsbuch zu führen. Aus den Eintragungen muss nachvollzogen werden können, für wen und wann ein bestimmter Vorgang das Büro verlassen hat. Im Fristenkontrollbuch dürfen die Fristen erst gelöscht werden, wenn der Postausgang in das Postausgangsbuch eingetragen worden ist ( NWB KAAAB-69741).
Werden das Fristenkontrollbuch und das Postausgangsbuch ordnungsgemäß geführt und die Bürokräfte in regelmäßigen Abständen belehrt und überwacht, liegt bei einem reinen Büroversehen kein Verschulden vor, z. B. wenn ein fristgebundenes Schriftstück durch Angabe einer für den Bevollmächtigten nicht leicht erkennbaren falschen Postleitzahl verspätet bei der Finanzbehörde eingeht (, BStBl 2000 II S. 235).
Ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe muss den Fristablauf eigenverantwortlich kontrollieren, sobald ihm eine Fristsache vorgelegt wird. Unterlässt er dies, liegt kein Büroversehen vor. Wird ein Verwaltungsakt durch die Post mit Zustellungsurkunde zugestellt (vgl. § 122 AO), ist der Umschlag mit dem Zustellvermerk aufzubewahren.
Bei einem Angehörigen der steuerberatenen Berufe liegt grds. ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließender Organisationsmangel vor, wenn er keine Vorsorgemaßnahmen für den Fall seiner Abwesenheit (z. B. durch Krankheit, Urlaub oder Geschäftsreise) trifft.
c) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist grds. nur möglich, wenn innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses ein Antrag gestellt wird. Das Hindernis ist weggefallen, wenn der Betroffene von der Fristversäumung Kenntnis erlangt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erlangen können und müssen. Der Antrag ist an keine besondere Form gebunden. Er kann daher auch mündlich, fernmündlich oder durch E-Mail gestellt werden.
Die Monatsfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung ist eine gesetzliche Frist und beginnt mit Ablauf des Tags, an dem das Hindernis wegfällt. Sie kann nicht von der Finanzbehörde nach § 109 AO verlängert werden. Abweichend von der Regelung in der AO ist im Verfahren vor den Finanzgerichten, im allgemeinen Verwaltungsverfahren und im sozialbehördlichen Verfahren ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X).
Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen. Die Gründe sind innerhalb der Monatsfrist darzulegen. Erläuterungen, Vervollständigungen und Ergänzungen sind aber nach Ablauf der Monatsfrist noch möglich. Auch die Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe kann nach Ablauf der Monatsfrist nachgeholt werden.
Die Wiedereinsetzungsgründe können z. B. durch die Benennung von Beweismitteln oder die Bestätigung Dritter glaubhaft gemacht werden. Eine anwaltliche Versicherung reicht für sich allein nicht aus. Eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers ist zur Glaubhaftmachung nur geeignet, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Die rechtzeitige Absendung eines fristgebundenen Schriftstücks kann i. d. R. durch den auf dem Briefumschlag abgedruckten Poststempel nachgewiesen werden. Wird geltend gemacht, die Frist sei wegen einer Erkrankung nicht gewahrt worden, müssen grds. Art und Schwere der Erkrankung ärztlich attestiert werden.
Innerhalb der einmonatigen Antragsfrist ist auch die versäumte Handlung nachzuholen, z. B. der Einspruch einzulegen. Auch wenn der Wiedereinsetzungsantrag selbst formfrei ist, müssen die für die nachzuholende Handlung geltenden Formalien eingehalten werden (z. B. Schriftform für den Einspruch; § 357 AO).
Wird die versäumte Handlung innerhalb der einmonatigen Antragsfrist nachgeholt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch ohne Antrag gewährt werden. Gleichwohl sind auch dann grds. die Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen und glaubhaft zu machen (, BStBl 1989 II S. 328). Sind die Wiedereinsetzungsgründe der Finanzbehörde bereits bekannt oder offenkundig, ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (, BStBl 1977 II S. 246).
Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Steuerpflichtige infolge höherer Gewalt (z. B. durch Krieg oder durch Naturereignisse) gehindert war, die Wiedereinsetzung zu beantragen oder die versäumte Handlung nachzuholen.
Im Gegensatz zu einer Entscheidung über eine Fristverlängerung nach § 109 AO ist die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Ermessensentscheidung. Die Finanzbehörde hat Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn die Voraussetzungen des § 110 AO erfüllt sind. Die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung ist nicht selbständig anfechtbar, sondern nur zusammen mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt. Wird z. B. ein Einspruch als unzulässig verworfen, weil er verspätet eingelegt worden ist und nach Auffassung der Finanzbehörde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist, kann diese Entscheidung nur mit der Klage angefochten werden.
V. Rechts- und Amtshilfe
Tz. 135 Rechts- und Amtshilfe Behörden und Gerichte
Die grundsätzliche Verpflichtung der Behörden und Gerichte, sich gegenseitig Amts- und Rechtshilfe zu leisten, ergibt sich bereits aus Art. 35 Abs. 1 GG. Amtshilfe ist Unterstützung, die eine Behörde einer anderen Behörde gewährt, Rechtshilfe Unterstützung durch ein Gericht, soweit eine richterliche oder rechtspflegerische Handlung begehrt wird, oder Hilfe für ein Gericht, damit dieses seine richterlichen oder rechtspflegerischen Aufgaben erfüllen kann (Tipke/Kruse, AO, Rn. 1 zu § 111; Abgrenzung der Begriffe ist aber strittig).
Die §§ 111–115 AO regeln die Amts- und Rechtshilfe, die deutsche Behörden anderer Verwaltungszweige und Gerichte gegenüber den Finanzbehörden zu leisten haben, sowie die Amtshilfe innerhalb der Finanzverwaltung. Für die Amtshilfe, die Finanzbehörden gegenüber anderen Behörden leisten, gelten die §§ 4–8 VwVfG und die §§ 3–7 SGB X. § 30 AO (Steuergeheimnis) ist auch bei der Leistung von Amtshilfe zu beachten.
Zur Amtshilfe sind nur die Behörden und Gerichte verpflichtet. Behörden sind auch die Sozialversicherungsträger, die sich insoweit nicht auf das Sozialgeheimnis berufen können (§ 71 Abs. 1 Nr. 3 SGB X), nicht aber beispielsweise Betriebe gewerblicher Art der Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost (diese sind aber Behörde, soweit sie aufgrund des § 72 Abs. 2 EStG als Familienkasse tätig werden; vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO). Amtshilfe kann beispielsweise geleistet werden durch Erteilung von Auskünften, Aktenübersendung oder Erstattung von Gutachten. Auch wenn keine Verpflichtung zur Amtshilfe besteht, kann sich eine Auskunfts- oder Vorlagepflicht aus den §§ 93 und 97 AO ergeben.
Tz. 136 Anzeige von Steuerstraftaten
Die durch § 116 AO begründete besondere Anzeigeverpflichtung besteht bereits dann, wenn Gerichte oder Behörden Tatsachen erfahren, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen. Ein Anfangsverdacht im strafrechtlichen Sinne muss noch nicht vorliegen. Für die Meldung des Verdachts einer „Schmiergeldzahlung” besteht nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG eine spezielle Verpflichtung.
Die Leistung von Amtshilfe kann nicht erzwungen werden. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen ersuchender und ersuchter Behörde ist nach § 112 Abs. 5 AO zu verfahren.
Tz. 137 Zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen
§117 AO
Die zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen regeln § 117 AO, das EG-Amtshilfe-Gesetz und das EG-Beitreibungsgesetz; s. hierzu auch die Hinweise im AEAO zu § 117.
VI. Verwaltungsakte
Tz. 138 Begriff des Verwaltungsakts
Die Definition des Begriffs des Verwaltungsakts ist insbesondere für den Rechtsweg von Bedeutung. Ein Einspruch ist nämlich nur gegen Verwaltungsakte statthaft sowie dann, wenn geltend gemacht wird, die Finanzbehörde sei nach einem gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts untätig geblieben (§ 347 Abs. 1 AO). Ferner können die Finanzbehörden nur Verwaltungsakte ggf. zwangsweise durchsetzen (§ 249 Abs. 1 AO).
Einen Verwaltungsakt kann nur eine Behörde erlassen; zum Begriff der Behörde s. § 6 AO.
Es muss sich um eine hoheitliche Maßnahme handeln. Die Beteiligten müssen sich somit in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen. Amtshilfeersuchen (s. hierzu Tz. 135 ff.) sind daher keine Verwaltungsakte. Ein Verwaltungsakt liegt dagegen vor, wenn eine Finanzbehörde auf der Grundlage des § 93 AO von einer anderen Behörde eine Auskunft verlangt. Privatrechtliche Geschäfte (z. B. der Kauf von Büromaterial) sind keine hoheitliche Maßnahmen und daher keine Verwaltungsakte.
Die hoheitliche Maßnahme muss einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts regeln. Abstrakte Regelungen, die eine Vielzahl von Personen betreffen können (wie z. B. Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsanweisungen), sind deshalb keine Verwaltungsakte. Von dem Betroffenen muss ein Tun, Dulden oder Unterlassen gefordert oder dem Betroffenen muss ein Recht oder ein rechtlich erheblicher Vorteil gewährt, bestätigt oder versagt werden.
Die Regelung muss auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sein. Innerdienstliche Weisungen sind daher keine Verwaltungsakte.
Ob ein Verwaltungsakt vorliegt, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln (, BStBl 1998 II S. 176). Ein Schriftstück kann mehrere Verwaltungsakte enthalten (z. B. Festsetzungen der Einkommensteuer, der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags).
Zu den Arten der Verwaltungsakte lassen sich insbesondere die folgenden Unterscheidungen treffen:
Gebundene Verwaltungsakte und Ermessensverwaltungsakte. Die Finanzbehörde muss erlassen, wenn die Voraussetzungen einer Rechtsnorm vorliegen (z. B. Steuerbescheid). Bei Ermessensverwaltungsakten hat die Finanzbehörde die Wahl zwischen mehreren Entscheidungen; s. hierzu § 5 AO.
Feststellende (deklaratorische) Verwaltungsakte und rechtsgestaltende (konstitutive) Verwaltungsakte. Sie stellen einen kraft Gesetzes bestehenden Rechtszustand fest (z. B. Festsetzung der kraft Gesetzes entstandenen Steuer durch Steuerbescheid). Gestaltende Verwaltungsakte begründen oder ändern Rechte oder Pflichten oder heben sie auf, wie z. B. die Gewährung einer Stundung, eines Steuererlasses oder einer Aussetzung der Vollziehung. Ein Steuerbescheid wirkt konstitutiv, soweit er eine Steuer festsetzt, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht.
Belastende und begünstigende. S. hierzu Tz. 150.
Rechtmäßige und rechtswidrige. S. hierzu Tz. 150.
Verwaltungsakte mit und ohne Dauerwirkung. Verwaltungsakte mit Dauerwirkung begründen ein zumindest für eine gewisse Zeit bestehen bleibendes Rechtsverhältnis, wie z. B. die Bewilligung einer Stundung oder einer Aussetzung der Vollziehung. Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung erschöpfen sich in ihrer einmaligen Feststellung, Befolgung oder Vollziehung, wie z. B. der Steuerbescheid und der Steuererlass nach § 227 AO.
Verwaltungsakte sind insbesondere die Steuerbescheide, die Steuermessbescheide, die Feststellungsbescheide sowie die in Tz. 150 angeführten Entscheidungen.
Keine Verwaltungsakte sind beispielsweise
nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlungen, wie z. B. Benennungsverlangen nach § 160 AO und die in den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid ausgesprochene Bitte, künftig ein Fahrtenbuch zu führen ( NWB EAAAB-60894).
Wissenserklärungen (wohl aber verbindliche Auskünfte nach § 89 Abs. 2 AO und verbindliche Zusagen nach § 204 AO).
Realakte (z. B. Gewährung von Akteneinsicht oder mündliche Erörterung gem. § 364a AO); die Ablehnung eines Realakts ist aber Verwaltungsakt.
Aufrechnungserklärungen (, BStBl 1987 II S. 536).
Kontoauszüge ( NWB DAAAC-41534).
Mahnungen (§ 259 AO), da sie lediglich die im Leistungsgebot (§ 254 AO) bereits ausgesprochene Zahlungsverpflichtung wiederholen.
Niederschlagungen (§ 259 AO), da es sich um verwaltungsinterne Maßnahmen handelt.
die Anordnung der förmlichen Zustellung (, BStBl 2000 II S. 520).
Berechnungsmitteilungen nach § 100 Abs. 2 Satz 3 FGO (, BStBl 2005 II S. 217).
Einen bedeutsamen Anwendungsfall der in § 118 Satz 2 AO definierten Allgemeinverfügung enthalten § 172 Abs. 3 AO und § 367 Abs. 2b AO.
Ein Verwaltungsakt muss, um wirksam zu werden, inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO) und dem zutreffenden Adressaten bekannt gegeben werden (§§ 122, 124 AO). Die Korrektur von Verwaltungsakten regeln die §§ 129, 130, 131, 172 ff. AO.
Tz. 139 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsakts
Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Es muss erkennbar sein, an wen der Verwaltungsakt sich richtet (s. hierzu Tz. 142) und was vom Adressaten verlangt wird bzw. welche Rechte diesem zugestanden oder versagt werden. Das Bestimmtheitsgebot gilt für den verfügenden Teil des Verwaltungsakts (Tenor), nicht aber auch für dessen Begründung (s. hierzu § 121 AO). Bei Zweifeln darüber, was von der Finanzbehörde gewollt ist, kann aber ggf. die Begründung herangezogen werden; auch eine Auslegung ist möglich (, BStBl 1997 II S. 791). Wegen der Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Steuerbescheids s. auch § 157 Abs. 1 Satz 2 AO.
Für Steuerverwaltungsakte ist grds. keine besondere Form vorgeschrieben (§ 119 Abs. 2 AO). Von diesem Grundsatz der Formfreiheit weichen aber viele Vorschriften der AO und der anderen Steuergesetze ab. So ist z. B. für Steuerbescheide (§ 157 Abs. 1 Satz 1 AO), für Haftungs- und für Duldungsbescheide (§ 191 Abs. 1 Satz 3 AO), für Außenprüfungsanordnungen (§ 196 AO), für verbindliche Zusagen (§ 205 Abs. 1 AO), für Verfügungen über die Pfändung einer Geldforderung (§ 309 AO), für die Androhung von Zwangsmitteln (§ 332 Abs. 1 Satz 1 AO) und für Einspruchsentscheidungen (§ 366 AO) die Schriftform vorgeschrieben (zum Ersatz der Schriftform durch die elektronische Form vgl. Tz. 108).
Bei einem schriftlich oder elektronisch erlassenen Verwaltungsakt muss erkennbar sein, welche Behörde ihn erlassen hat (§ 119 Abs. 3 Satz 1 AO).
Verstöße gegen das Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit, gegen eine vom Gesetz angeordnete Schriftform und gegen das Gebot der Erkennbarkeit der erlassenden Behörde führen im Allgemeinen dazu, dass der Verwaltungsakt nichtig (§ 125 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO) und damit unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO) ist.
Tz. 140 Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
Ein gebundener Verwaltungsakt (s. hierzu Tz. 138) darf nur dann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn dies gesetzlich zugelassen ist oder wenn die Nebenbestimmung sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden (§ 120 Abs. 1 AO). Gesetzlich zugelassene Nebenbestimmungen sind der Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO), der Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) und die Sicherheitsleistung bei einer Aussetzung der Steuerfestsetzung (§ 165 Abs. 1 Satz 4 AO). Ein Steuerbescheid darf beispielsweise nicht mit der Auflage verbunden werden, künftig bestimmte Nachweise zu erbringen.
§ 120 Abs. 2 AO ermöglicht für Ermessensverwaltungsakte die folgenden Nebenbestimmungen:
Befristung,
aufschiebende bzw. auflösende Bedingung,
Widerrufsvorbehalt,
Auflage,
Vorbehalt einer Auflage.
Die Anforderung einer Sicherheitsleistung kann je nach der von der Finanzbehörde gewählten Formulierung eine aufschiebende Bedingung oder eine Auflage sein. Wird beispielsweise eine Stundung nur gegen Sicherheitsleistung gewährt (§ 222 Satz 2 AO) und ist diese Nebenbestimmung eine Bedingung, tritt die mit der Stundung beabsichtigte Rechtsfolge (Hinausschieben der Fälligkeit) erst ein, wenn die Sicherheitsleistung erbracht wird. Ist die Anforderung der Sicherheitsleistung eine Auflage, wird die Stundung bereits vor Erfüllung der Auflage wirksam. Die Finanzbehörde wäre aber nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 AO befugt, die Stundung mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheitsleistung nicht erbringt.
Befristung, Bedingung und Widerrufsvorbehalt sind unselbständige, Auflage und Auflagenvorbehalt selbständige Nebenbestimmungen. Unselbständige Nebenbestimmungen können nur durch Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt, dem sie beigefügt sind, angefochten werden. Selbständige Nebenbestimmungen sind dagegen isoliert anfechtbar.
Tz. 141 Begründung des Verwaltungsakts
Schriftliche und elektronische sowie schriftlich oder elektronisch bestätigte Verwaltungsakte sind zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist. Dies gilt für sämtliche Verwaltungsakte. Ermessensverwaltungsakte (§ 5 AO) müssen erkennen lassen, dass die Finanzbehörde ihr Ermessen ausgeübt hat und von welchen Gesichtspunkten sie bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist; diese Verpflichtung besteht nicht bei einer Ermessensreduzierung auf Null ( NWB BAAAC-54120).
Mündlich oder in anderer Weise erlassene Verwaltungsakte müssen nicht begründet werden. Auch in den Fällen des § 121 Abs. 2 AO kann von einer Begründung abgesehen werden, somit insbesondere dann, wenn die Finanzbehörde einem Antrag des Steuerpflichtigen vollinhaltlich folgt oder wenn dem Steuerpflichtigen die Auffassung der Finanzbehörde durch vorangegangene Erörterungen bereits bekannt ist. Auch die Entscheidung, eine Steuer unter Nachprüfungsvorbehalt festzusetzen, bedarf keiner Begründung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO).
Unterlässt die Finanzbehörde eine erforderliche Begründung, ist der Verwaltungsakt fehlerhaft, aber nicht nichtig. Der Begründungsmangel kann unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 und 2 AO geheilt werden oder aufgrund der Regelung in § 127 AO unbeachtlich sein. War eine fehlende Begründung ursächlich dafür, dass der Steuerpflichtige davon abgesehen hat, den Verwaltungsakt anzufechten, ist gem. § 126 Abs. 3 AO i. V. mit § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Tz. 142 Bekanntgabe des Verwaltungsakts
a) Adressat/Empfänger des Verwaltungsaktes
Um wirksam zu werden, muss ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt gegeben werden, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird (§ 122 Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Nr. 1 AEAO zu § 122 unterscheidet zwischen dem Inhaltsadressaten, dem Bekanntgabeadressaten und dem Empfänger eines Verwaltungsakts.
Inhaltsadressat eines Verwaltungsakts ist derjenige, gegen den der Verwaltungsakt sich richtet. Inhaltsadressat eines Steuerbescheids ist somit der Steuerschuldner. Eine natürliche Person wird im Allgemeinen durch den Vor- und den Familiennamen genügend bezeichnet. Nur wenn Verwechslungsmöglichkeiten bestehen, insbesondere bei häufiger vorkommenden Namen, sind weitere Angaben erforderlich (z. B. Wohnungsanschrift, Namenszusätze wie „senior” oder „junior”, Geburtsdatum). Bei juristischen Personen und Handelsgesellschaften ergibt sich der zutreffende „Name” aus Gesetz, Satzung, Register oder ähnlichen Quellen. In Fällen der Gesamtrechtsnachfolge (z. B. Erbschaft) ist der Gesamtrechtsnachfolger Inhaltsadressat des Verwaltungsakts.
Bekanntgabeadressat ist die Person, welcher der Verwaltungsakt bekannt zu geben ist. Diese Person wird häufig mit dem Inhaltsadressaten identisch sein. Andere Personen sind aber beispielsweise Bekanntgabeadressaten, wenn sie für handlungsunfähige (§ 79 AO) Personen steuerliche Pflichten zu erfüllen haben, wie z. B. Eltern für ihre minderjährigen Kinder.
Empfänger ist diejenige Person, welcher der Verwaltungsakt tatsächlich zugehen soll, damit er durch Bekanntgabe wirksam wird. I. d. R. ist der Inhaltsadressat nicht nur Bekanntgabeadressat, sondern auch Empfänger. Eine andere Person ist aber Empfänger, wenn die Finanzbehörde den Verwaltungsakt einem Bevollmächtigten übermitteln will. Die Entscheidung darüber, ob ein Verwaltungsakt einem Bevollmächtigten bekannt zu geben ist, steht im Ermessen der Finanzbehörde (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO). Nr. 1.7 AEAO zu § 122 enthält hierzu ermessensleitende Anweisungen.
Rechtsprechung und Literatur differenzieren i. d. R. nicht zwischen dem Bekanntgabeadressaten und dem Empfänger Ausführliche Erläuterungen und Beispiele zur Adressierung enthält Nr. 2 AEAO zu § 122.
b) Zeitpunkt des Zugangs
Ein Verwaltungsakt ist zugegangen und damit bekannt gegeben, wenn er derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich war und nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auch erwartet werden konnte (, BStBl 2000 II S. 175). Unerheblich ist, ob der Empfänger tatsächlich Kenntnis vom Inhalt des Verwaltungsakts nimmt.
§ 122 AO schreibt – abgesehen vom Fall der förmlichen Zustellung – nicht vor, wie ein Verwaltungsakt bekannt zu geben ist. Es ist daher z. B. auch zulässig, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt dem Empfänger aushändigt.
I. d. R. werden aber schriftliche Verwaltungsakte (s. hierzu Tz. 139) durch die Post übermittelt. § 122 Abs. 2 AO fingiert für diese Fälle, dass der Verwaltungsakt bei einer Übermittlung an einen Empfänger im Inland drei Tage und bei einer Übermittlung an einen Empfänger im Ausland einen Monat nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Der Begriff der „Post” ist nicht auf die Deutsche Post AG beschränkt, sondern umfasst alle Unternehmen, soweit sie Postdienstleistungen erbringen. Fällt der dritte Tag oder der Ablauf der Monatsfrist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, gilt der Verwaltungsakt erst am darauf folgenden Werktag als bekannt gegeben (§ 108 Abs. 3 AO; , BStBl 2003 II S. 898).
§ 122 Abs. 2 AO regelt zwar, wann ein Verwaltungsakt bei einer Übermittlung in das Ausland als bekannt gegeben gilt, beantwortet aber nicht die völkerrechtliche Frage, ob ein Verwaltungsakt durch die Post in das Ausland versandt werden darf. Mit Ausnahme der in Nr. 3.1.4.1 Satz 4 AEAO zu § 122 aufgeführten Staaten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass dies der Fall ist.
Der durch § 122 Abs. 2 AO fingierte Tag der Bekanntgabe bleibt auch dann maßgeblich, wenn der Verwaltungsakt dem Empfänger tatsächlich früher zugeht, nicht aber, wenn der Verwaltungsakt dem Empfänger nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugeht. Im Zweifel hat die Finanzbehörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Der von der Finanzbehörde zu erbringende Nachweis des Zugangs kann nicht durch einen Anscheinsbeweis geführt werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises (, BStBl 2005 II S. 623). Bestreitet der Empfänger den Zugang überhaupt, muss er keine weitere Erklärung abgeben. Behauptet er lediglich, den Verwaltungsakt nicht innerhalb der dreitägigen Frist bzw. innerhalb der Monatsfrist erhalten zu erhaben, hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren.
Für elektronisch übermittelte Verwaltungsakte (s. hierzu auch Tz. 108) enthält § 122 Abs. 2a AO eine dem § 122 Abs. 2 AO vergleichbare Regelung, differenziert aber nicht danach, ob der Verwaltungsakt einem Empfänger im Inland oder einem Empfänger im Ausland übermittelt wird. Die Vorschrift gilt auch für durch Telefax (einschließlich Computerfax) übermittelte Verwaltungsakte (Nr. 1.8.2 AEAO zu § 122).
c) Öffentliche Bekanntgabe
§ 122 Abs. 3 und 4 AO regelt den Sonderfall einer Öffentlichen Bekanntgabe, die nur dann in Betracht kommt, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn eine Allgemeinverfügung (§ 118 Satz 2 AO) bekannt gegeben werden soll.
d) Förmliche Zustellung
Eine förmliche Zustellung ist nur erforderlich, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben ist oder durch die Finanzbehörde angeordnet wird (§ 122 Abs. 5 Satz 1 AO). Gesetzlich vorgeschrieben ist die förmliche Zustellung beispielsweise für die Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 284 Abs. 6 Satz 1 AO), für die Verfügung über die Pfändung einer Geldforderung (§ 309 Abs. 2 AO) und für die Arrestanordnung (§ 324 Abs. 2 Satz 1, § 326 Abs. 4 AO). Die behördliche Anordnung einer förmlichen Zustellung ist kein Verwaltungsakt und bedarf daher keiner Begründung (, BStBl 2000 II S. 520). Sie ist zweckmäßig, wenn die Finanzbehörde einen eindeutigen Nachweis des Tags der Bekanntgabe für erforderlich hält, z. B. wenn ein Steuerbescheid kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gegeben werden soll oder wenn der Steuerpflichtige in der Vergangenheit den Zugang von Verwaltungsakten, die durch einfachen Brief versandt worden sind, bestritten hat.
e) Zustellungsarten
Die Zustellung richtet sich nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes – VwZG – (§ 122 Abs. 5 Satz 2 AO). Dieses sieht die folgenden Zustellungsarten vor: Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG), Zustellung durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein – nicht aber eine Zustellung durch „Einwurf-Einschreiben” – (§ 4 VwZG), Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 VwZG), Zustellung im Ausland (§ 9 VwZG) und Öffentliche Zustellung (§ 10 VwZG). Ausführliche Erläuterungen zum Verfahren nach dem VwZG enthält Nr. 3 AEAO zu § 122.
f) Mehrere Beteiligte
Betreffen Verwaltungsakte mehrere Beteiligte, sind sie grds. sämtlichen Beteiligten bekannt zu geben. § 122 Abs. 6 und 7 AO sieht aber Bekanntgabeerleichterungen vor, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind, dass Verwaltungsakte nur einem Beteiligten bekannt gegeben werden, oder wenn Verwaltungsakte Ehegatten oder Ehegatten mit ihren Kindern oder Alleinstehende mit ihren Kindern betreffen und diese Personen eine gemeinsame Anschrift haben. Die Erleichterungen gelten nicht nur für Steuerbescheide, sondern für sämtliche Verwaltungsakte, somit beispielsweise auch für Entscheidungen über eine Stundung (§ 222 AO) oder eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO). Zur Bestellung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten in Fällen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung s. § 183 AO.
g) Bekanntgabemängel
Wird der Inhaltsadressat im Verwaltungsakt gar nicht, falsch oder so ungenau bezeichnet, dass Verwechslungen möglich sind, ist der Verwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und somit nichtig und unwirksam (Tz. 139). Eine Heilung ist nicht möglich. Die Finanzbehörde muss einen neuen Verwaltungsakt mit zutreffender Benennung des Inhaltsadressaten erlassen (, BStBl 1970 II S. 598). Wird dagegen der Inhaltsadressat lediglich ungenau bezeichnet, ohne dass Zweifel an seiner Identität bestehen (z. B. geringfügige Fehler bei der Schreibweise des Nachnamens, falsche Bezeichnung der Rechtsform einer Gesellschaft), liegt kein Fall der fehlenden inhaltlichen Bestimmtheit vor. Ein Steuerbescheid, der eine falsche Person eindeutig und zweifelsfrei als Inhaltsadressaten (Steuerschuldner) benennt, ist nicht nichtig, sondern nur rechtswidrig.
Ein Verwaltungsakt, der dem Inhaltsadressaten selbst bekannt gegeben wird, obwohl eine andere Person Bekanntgabeadressat ist (z. B. Bekanntgabe eines Steuerbescheids an eine minderjährige Person), ist unwirksam (, BStBl 1968 II S. 503).
Geht ein Verwaltungsakt, der den Inhaltsadressaten und den Bekanntgabeadressaten zutreffend bezeichnet, lediglich einem falschem Empfänger zu (z. B. wenn die Finanzbehörde eine Empfangsvollmacht ohne zureichenden Grund nicht beachtet), wird der Verwaltungsakt zwar zunächst nicht wirksam. Der Bekanntgabemangel wird aber aufgrund des entsprechend anwendbaren § 8 VwZG geheilt, wenn der Verwaltungsakt an den zutreffenden Empfänger weitergeleitet wird (, BStBl 2005 II S. 855).
Ferner können Bekanntgabemängel durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe einer nachfolgenden Einspruchsentscheidung geheilt werden, wenn diese sich nicht darauf beschränkt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen (, BStBl 1994 II S. 603).
Tz. 143 Bestellung eines Empfangsbevollmächtigten
Die Finanzbehörde kann verlangen, dass ein Beteiligter ohne Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), Sitz (§ 10 AO) oder Geschäftsleitung (§ 11 AO) im Inland einen inländischen Empfangsbevollmächtigten benennt. Dieses Verlangen ist ein Verwaltungsakt und daher dem ausländischen Beteiligten ordnungsgemäß bekannt zu geben, um wirksam zu werden. Hierbei ist zu beachten, dass nicht sämtliche Staaten damit einverstanden sind, dass deutsche Finanzbehörden Steuerverwaltungsakte durch die Post übermitteln (Nr. 1.8.4 AEAO zu § 122).
Kommt der Beteiligte dem Verlangen, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen, nicht nach, kann die Finanzbehörde diesem künftig Verwaltungsakte durch die Post übermitteln, ohne die Einschränkungen gem. Nr. 1.8.4 AEAO zu § 122 beachten zu müssen. Ein Schriftstück gilt dann einen Monat nach der Aufgabe zur Post und ein elektronisches Dokument drei Tage nach der Absendung als zugegangen. Die Zugangsvermutung kann zwar widerlegt werden; abweichend von § 122 Abs. 2 und Abs. 2a AO muss hierfür aber feststehen, dass das Schriftstück oder das elektronische Dokument den Empfänger nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt erreicht hat. Zweifel gehen daher zu Lasten des Empfängers.
Bestellt der Beteiligte einen inländischen Empfangsbevollmächtigten, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 122 AO. I. d. R. wird es dann zutreffender Ausübung des durch § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumten Ermessens entsprechen, einen Verwaltungsakt dem inländischen Empfangsbevollmächtigten bekannt zu geben.
Tz. 144 Wirksamkeit des Verwaltungsakts
§ 124 Abs. 1 AO bestimmt, wem gegenüber, wann und mit welchem Inhalt ein Verwaltungsakt (§ 118 AO) wirksam wird.
Wirksam wird der Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Der Verwaltungsakt muss dieser Person ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sein. Die unter Beachtung der Regelungen des § 122 AO vorgenommene Bekanntgabe ist auch maßgebend dafür, wann der Verwaltungsakt wirksam wird. Geht daher ein Verwaltungsakt einem Empfänger vor Ablauf der in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bestimmten dreitägigen Frist zu, wird der Verwaltungsakt gleichwohl erst mit Ablauf der dreitägigen Frist wirksam (, BStBl 2001 II S. 274).
Richtet sich ein Verwaltungsakt an mehrere Beteiligte und wird er (z. B. weil kein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter vorhanden ist) diesen Beteiligten zu unterschiedlichen Zeitpunkten bekannt gegeben, wird der Verwaltungsakt auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam.
Die Finanzbehörde kann den Willen zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts aufgeben. Der Verwaltungsakt wird dann nicht wirksam, wenn der Bekanntgabewille aufgegeben wird, bevor der Verwaltungsakt den Herrschaftsbereich der Finanzbehörde verlassen hat, und die Rechtzeitigkeit der Aufgabe des Bekanntgabewillens in den Akten klar und eindeutig dokumentiert ist (, BStBl 2001 II S. 662).
Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Maßgebend ist somit nicht die Aktenverfügung, sondern die Fassung, die dem Beteiligten zugegangen ist. Bei einer Abweichung zwischen Aktenverfügung und bekannt gegebenem Verwaltungsakt liegt aber i. d. R. eine „offenbare Unrichtigkeit” i. S. des § 129 AO vor (vgl. Tz. 149).
Mit Wirksamwerden des Verwaltungsakts ist die Verwaltung an diesen gebunden. Die gilt auch für rechtswidrige (zum Begriff der „Rechtswidrigkeit” vgl. Tz. 150), nicht aber für nichtige Verwaltungsakte. Die Finanzbehörde kann sich von der Bindung nur lösen, wenn der Steuerpflichtige Einspruch einlegt oder die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift der AO oder eines anderen Steuergesetzes erfüllt sind (§ 124 Abs. 2 AO).
Ein nach den §§ 172 ff. AO ergehender Änderungsbescheid nimmt den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt auf. Der ursprüngliche Bescheid ist suspendiert, solange der Änderungsbescheid wirksam ist (, BStBl 1973 II S. 231). Durch Aufhebung eines Aufhebungsbescheids lebt der ursprüngliche Bescheid wieder auf (, BStBl 2006 II S. 346).
Ein Verwaltungsakt kann sich auch durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigen (§ 124 Abs. 2 AO). Durch Zeitablauf erledigen sich z. B. befristete Anordnungen der Stundung (§ 222 AO) oder der Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO; , BStBl 2008 II S. 134). „Auf andere Weise” erledigen sich z. B. Außenprüfungsanordnungen (§ 197 AO) mit Abschluss der Außenprüfung, Anordnungen des persönlichen Erscheinens einer Auskunftsperson (§ 93 Abs. 5 AO) mit dem Tod dieser Person sowie Vorauszahlungsbescheide mit Wirksamwerden der Jahressteuerfestsetzung (zur Fortsetzung eines Einspruchsverfahrens in diesen Fällen s. § 365 Abs. 3 AO). Ein auf einer Schätzung (§ 162 AO) beruhender Steuerbescheid erledigt sich nicht durch die nachgeholte Abgabe der Steuererklärung.
Ein nach § 125 AO nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO). Unwirksam ist ein Verwaltungsakt auch dann, wenn er nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde (§ 122 AO). Somit ist jeder nichtige Verwaltungsakt unwirksam, aber nicht jeder unwirksame Verwaltungsakt auch nichtig.
Tz. 145 Nichtigkeit des Verwaltungsakts
Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO). Weder die Verwaltung noch der Steuerpflichtige kann aus einem nichtigen Verwaltungsakt Rechte ableiten; u. U. kann aber die Berufung auf die Nichtigkeit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Tz. 7) verstoßen (, BStBl 1993 II S. 174). Ein nichtiger Verwaltungsakt darf nicht vollstreckt werden.
Zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führt nur ein besonders schwerwiegender Fehler (§ 125 Abs. 1 AO). Ein derartiger Fehler ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Verwaltungsakt die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maß verletzt, dass von niemand erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen ( NWB AAAAC-16490).
Der schwerwiegende Fehler muss zudem „offenkundig” sein. Dies ist der Fall, wenn jeder verständige Dritte bei Unterstellung der Kenntnisse aller in Betracht kommenden Umstände in der Lage ist, den Fehler in seiner besonderen Schwere zu erkennen (, BStBl 2007 II S. 472).
Fehler, die der Verwaltung bei der Rechtsanwendung unterlaufen, führen i. d. R. für sich allein nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts. Daher ist z. B. ein Änderungsbescheid nicht allein deshalb nichtig, weil er unter Verletzung von Änderungsvorschriften zustande gekommen ist.
Ein Verstoß gegen das Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (§ 119 Abs. 1 AO) hat i. d. R. die Nichtigkeit zur Folge (vgl. Tz. 139), ebenso ein Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Schriftform (Tz. 139). Zur Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden s. Tz. 189.
Ohne dass noch geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 AO vorliegen, ist gem. § 125 Abs. 2 AO ein Verwaltungsakt stets nichtig,
wenn er schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist und die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt (s. hierzu auch § 119 Abs. 3 AO),
wenn ihn aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
wenn er die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand erfüllt, oder
wenn er gegen die guten Sitten verstößt.
Insbesondere die beiden letztgenannten Fälle dürften in der Besteuerungspraxis ohne Bedeutung sein.
Nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 17 ff. AO) nicht eingehalten worden sind. Zudem kann nach § 127 AO ein derartiger Verstoß unbeachtlich sein. Obwohl in der Vorschrift nicht ausdrücklich erwähnt, führt auch ein Verstoß gegen die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit (§ 16 AO) i. d. R. nicht zur Nichtigkeit. In diesen Fällen kommt eine Korrektur nach § 130 AO bzw. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO in Betracht. Die übrigen in § 125 Abs. 3 AO genannten Fälle, die für sich allein nicht zur Nichtigkeit führen (Mitwirkung einer ausgeschlossenen Person, fehlende Beschlussfassung durch einen Ausschuss, unterbliebene Mitwirkung einer anderen Behörde), dürften im Besteuerungsverfahren nur von geringer Bedeutung sein.
Ein Steuerbescheid ist nicht deshalb nichtig, weil die dem Bescheid zugrunde liegende Steuererklärung entgegen gesetzlicher Verpflichtung (z. B. nach § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG) nicht unterschrieben war (, BStBl 2002 II S. 642).
Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, ist der Verwaltungsakt nur dann im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte (§ 125 Abs. 4 AO).
Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit des Verwaltungsakts jederzeit von Amts wegen feststellen. Auf Antrag ist die Nichtigkeit festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat (§ 125 Abs. 5 AO). Der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit ist nicht fristgebunden. Ob die Feststellung der Nichtigkeit einen Verwaltungsakt (§ 118 AO) darstellt, ist umstritten (vgl. , BStBl 2008 II S. 686). Der Steuerpflichtige kann auch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (§ 41 FGO) erheben oder den nichtigen Verwaltungsakt mit Einspruch (§ 347 AO) und Anfechtungsklage angreifen. Auch dann muss keine Frist eingehalten werden.
Tz. 146 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern
Nicht nur Fehler bei der Anwendung des materiellen Steuerrechts, sondern auch Verfahrens- oder Formfehler führen zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, bei besonders schweren Fehlern sogar zu seiner Nichtigkeit (§ 125 AO). Verstößt die Finanzbehörde gegen Verfahrens- oder Formvorschriften, müsste sie daher grds. nach einem zulässigen Rechtsbehelf bzw. Korrekturantrag den Verwaltungsakt aufheben.
Nach § 126 AO können jedoch bestimmte Verfahrens- oder Formfehler geheilt werden. Ferner kann nach § 127 AO der Anspruch auf Aufhebung des fehlerhaften Verwaltungsakts ausgeschlossen sein. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschriften ist, dass der (fehlerhafte) Verwaltungsakt wirksam (§ 124 AO) geworden ist. Er darf somit nicht nichtig (§ 125 AO) sein, und die Finanzbehörde muss ihn ordnungsgemäß bekannt gegeben haben (§ 122 AO).
Gem. § 126 Abs. 1 Nr. 1 AO kann ein für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlicher Antrag mit heilender Wirkung nachträglich gestellt werden. Dies gilt aber nicht, wenn das Gesetz für den Antrag eine Ausschlussfrist vorsieht.
Nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO kann eine erforderliche Begründung (§ 121 AO) nachträglich gegeben werden.
Gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO kann die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt werden, z. B. wenn die Finanzbehörde eine nach § 91 AO gebotene Anhörung oder eine Schlussbesprechung nach einer Außenprüfung (§ 201 AO) unterlassen hat.
Die Fälle des § 126 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AO (nachträgliche Beschlussfassung eines Ausschusses; Nachholung der Mitwirkung einer anderen Behörde) dürften im Besteuerungsverfahren weitgehend ohne praktische Bedeutung sein.
Die Handlungen nach § 126 Abs. 1 Nr. 2–5 AO können nicht nur im behördlichen Verfahren (insbesondere im Einspruchsverfahren), sondern noch bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Ferner bestimmt § 102 Satz 2 FGO, dass die Finanzbehörde im Klageverfahren gegen einen Ermessensverwaltungsakt (§ 5 AO) ihre Ermessenserwägungen ergänzen kann. Diese Vorschrift erlaubt es nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen, nicht aber, Ermessenserwägungen erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (, BStBl 2004 II S. 579). Im Verfahren vor dem BFH (Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren) ist eine Nachholung von Handlungen nach § 126 Abs. 1 Nr. 2–5 AO bzw. eine Ergänzung von Ermessenserwägungen (§ 102 Satz 2 FGO) nicht mehr möglich.
Für den Fall, dass einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung (§ 121 AO) fehlt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden ist, bestimmt § 126 Abs. 3 AO, dass die Versäumung der Einspruchsfrist (§ 355 AO) als nicht verschuldet gilt mit der Folge, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) in Betracht kommt. Die unterlassene Begründung bzw. Anhörung muss ursächlich dafür gewesen sein, dass der Steuerpflichtige von einer Anfechtung abgesehen hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Finanzamt bei der Steuerfestsetzung von den Angaben in der Steuererklärung abgewichen ist und weder vor Erlass des Steuerbescheids noch im Bescheid selbst auf die Abweichung hingewiesen hat und der Steuerpflichtige deshalb davon ausging, die Veranlagung sei entsprechend seinen Angaben durchgeführt worden. Dagegen fehlt es z. B. dann an einer „Ursächlichkeit”, wenn der Steuerpflichtige das Ende der Einspruchsfrist falsch berechnet hat oder wenn er einen den Steuerbescheid enthaltenden Brief nicht öffnet (, BStBl 1986 II S. 908). § 126 Abs. 3 AO fingiert nur, dass kein Verschulden vorliegt, befreit aber nicht von den übrigen Voraussetzungen des § 110 AO, z. B. von der Einhaltung der in § 110 Abs. 3 AO bestimmten Jahresfrist.
Tz. 147 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern
Auch Verfahrens- oder Formfehler führen grds. dazu, dass der Steuerpflichtige nach einem zulässigen Rechtsbehelf bzw. Korrekturantrag beanspruchen kann, dass der fehlerhafte Verwaltungsakt aufgehoben wird (vgl. Tz. 146). Es würde jedoch eine überflüssige „Förmelei” bedeuten, wenn die Finanzbehörde nach Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts einen Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt neu erlassen müsste. § 127 AO bestimmt daher, dass die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
§ 127 AO gilt für gebundene Verwaltungsakte (zum Begriff s. Tz. 138), grds. aber nicht für Ermessensverwaltungsakte (, BStBl 1989 II S. 483). Auch auf Schätzungsbescheide (§ 162 AO) ist § 127 AO anwendbar (, BStBl 1999 II S. 382; strittig).
Der Verwaltungsakt muss wirksam bekannt gegeben worden (§ 122 AO) und darf nicht nichtig (§ 125 AO) sein. § 127 AO ist nicht anwendbar, wenn der Verfahrens- oder Formfehler nach § 126 AO geheilt worden ist.
Zu den in § 127 AO angeführten „Vorschriften über das Verfahren” gehören insbesondere die Vorschriften über die Sachverhaltsaufklärung (§§ 85 ff. AO) sowie über die Anhörungsrechte der Beteiligten (§ 91 AO). „Verfahrensvorschriften” sind auch die Vorschriften über die Zuständigkeit. § 127 AO ist aber nur bei einer Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 17 ff. AO), nicht jedoch bei einem Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit (§ 16 AO) anwendbar (, BStBl 1993 II S. 649). Die Verletzung einer Vorschrift über die Form des Verwaltungsaks kann u. U. zu dessen Nichtigkeit führen (Tz. 139); § 127 AO ist dann nicht anwendbar.
Keine „Verfahrensvorschriften” i. S. des § 127 AO sind z. B. die Vorschriften der §§ 129, 130, 131, 172 ff. AO über die Korrektur von Verwaltungsakten (, BStBl 2009 II S.35) und die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO).
§ 127 AO ist auch in einem gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zu beachten (, BStBl 1985 S. 377).
Tz. 148 Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts
Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen fehlerfreien Verwaltungsakt umgedeutet werden. Wie die §§ 126 und 127 AO befreit auch § 128 AO die Finanzbehörde von der Notwendigkeit, einen fehlerhaften Verwaltungsakt aufheben zu müssen. Auch ein nichtiger Verwaltungsakt (§ 125 AO) kann in einen fehlerfreien Verwaltungsakt umgedeutet werden (insoweit abweichend von den Fällen der §§ 126 und 127 AO). Wegen der engen Voraussetzungen für eine Umdeutung hat § 128 AO in der Verwaltungspraxis nur geringe Bedeutung.
Der fehlerfreie Verwaltungsakt muss auf das gleiche Ziel gerichtet sein wie der fehlerhafte Verwaltungsakt. Daher ist es z. B. nicht zulässig, einen Vorauszahlungsbescheid in einen Jahressteuerbescheid, einen Steuerbescheid in einen Haftungsbescheid, einen Haftungsbescheid in einen Steuerbescheid, einen Einkommensteuerbescheid in einen Lohnsteuernachforderungsbescheid oder einen Einheitswertbescheid über eine Nachfeststellung in einen Einheitswertbescheid über eine Zurechnungsfortschreibung umzudeuten. Dagegen ist es möglich, einen Erstbescheid, der in der unzutreffenden Annahme der Nichtigkeit eines vorangegangenen nach § 165 AO vorläufigen Bescheids ergangen ist, in einen Änderungsbescheid i. S. des § 165 Abs. 2 AO umzudeuten. Durch die Umdeutung wird kein neuer Verwaltungsakt erlassen, sondern lediglich der fehlerhafte Verwaltungsakt als anderer, nunmehr rechtmäßiger Verwaltungsakt aufrecht erhalten ( NWB OAAAC-61543).
Tz. 149 Offenbare Unrichtigkeiten beim Erlass eines Verwaltungsakts
Unterlaufen der Finanzbehörde beim Erlass eines Verwaltungsakts Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, kann sie diese Fehler berichtigen (§ 129 Satz 1 AO). Dies gilt für sämtliche Arten von Verwaltungsakten, nicht nur für Steuerbescheide.
Unerheblich ist, ob sich der Fehler zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt hat oder ob die Finanzbehörde den Fehler verschuldet hat ( NWB BAAAC-54120).
Schreibfehler sind z. B. Rechtschreibfehler, Wortverwechselungen und Wortstellungsfehler. Sie werden allerdings häufig den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts nicht beeinflussen und daher keiner förmlichen Berichtigung bedürfen.
Rechenfehler sind insbesondere Fehler bei der Ausführung der Grundrechenarten (Addition, Substraktion, Multiplikation, Division) und bei der Prozentrechnung. Sie können nur dann nach § 129 AO berichtigt werden, wenn sie ohne weitere Prüfung erkennbar sind ( NWB XAAAB-32026).
Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Versehen, die mit Schreib- oder Rechenfehlern vergleichbar sind, wie z. B. Eingabefehler, Übertragungsfehler oder Fehler beim Ablesen der Steuertabellen.
Voraussetzung für eine Berichtigung nach § 129 AO ist, dass die Unrichtigkeit offenbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Fehler „auf der Hand liegt”, also durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist, ohne dass weitere Nachforschungen anzustellen sind ( NWB FAAAA-70021).
Die Unrichtigkeit muss nicht unmittelbar im Steuerverwaltungsakt oder aus dem Steuerpflichtigen bekannten Unterlagen erkennbar sein. Es reicht aus, dass sie aus den Steuerakten ersichtlich ist (, BStBl 2006 II S. 400). § 129 AO („Fehler beim Erlass eines Verwaltungsakts”) weicht insoweit bewusst von der Parallelvorschrift des § 42 VwVfG („Fehler in einem Verwaltungsakt”) ab.
Die offenbare Unrichtigkeit muss beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sein. Daher können grds. nur Fehler der Finanzbehörde berichtigt werden. Eine Berichtigung ist aber möglich, wenn es sich um einen Übernahmefehler handelt, d. h. um einen Fehler, der aus der Steuererklärung oder aus den vom Steuerpflichtigen eingereichten Unterlagen klar ersichtlich ist und von der Finanzbehörde übernommenen wurde ( NWB TAAAC-58385). Nach § 129 AO korrigierbar sind auch offenbare Unrichtigkeiten in einer Steueranmeldung (, BStBl 1980 II S. 18).
Weicht der bekannt gegebene Verwaltungsakt von der Aktenverfügung ab, liegt i. d. R. ein Schreib- oder Übertragungsfehler vor, der gem. § 129 AO berichtigt werden kann (, BStBl 2006 II S. 400; Nr. 2 AEAO zu § 124; strittig).
Rechtsfehler sind keine offenbaren Unrichtigkeiten. Eine Berichtigung nach § 129 AO scheidet daher aus, wenn die mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben ist (, BStBl 1998 II S. 535). Eine Berichtigung ist auch ausgeschlossen, wenn der Fehler auf mangelnder Sachaufklärung durch die Finanzbehörde beruht, also feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt wurden.
Ob bei der elektronischen Datenverarbeitung unterlaufene Fehler nach § 129 AO berichtigt werden können, hängt davon ab, ob ein „mechanischer Fehler” oder ein Rechtsfehler vorliegt. Wird eine Vorschrift aufgrund fehlerhafter Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung programmtechnisch falsch umgesetzt, handelt es sich um einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Rechtsfehler. Unterläuft bei der Programmierung ein mechanisches Versehen (z. B. Fehler bei der Codierung), ist eine Berichtigung möglich (, BStBl 1996 II S. 509). Ob ein Fehler bei der Eintragung in einen Eingabewertbogen oder bei der Dateneingabe eine offenbare Unrichtigkeit oder einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Tatsachen- oder Rechtsirrtum darstellt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.
Nach § 129 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen (§ 5 AO), ob sie eine Berichtigung durchführt. Wegen der Verpflichtung zur gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung (§ 85 AO) wird aber i. d. R. das Ermessen auf Null reduziert sein, wenn die offenbare Unrichtigkeit die Höhe der im Bescheid ausgewiesenen Steuer beeinflusst hat ( NWB BAAAC-54120).
Ferner besteht eine Verpflichtung zur Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeit, wenn der Steuerpflichtige hieran ein berechtigtes Interesse hat (§ 129 Satz 2 AO). Dieses liegt z. B. vor, wenn dem zu berichtigenden Verwaltungsakt Bindungswirkung für andere Verwaltungsakte beizumessen ist. Ein berechtigtes Interesse wird dagegen nicht vorliegen, wenn ein nur geringfügiger Schreibfehler berichtigt werden soll.
Bei einer Berichtigung nach § 129 AO können im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung unter sinngemäßer Anwendung des § 177 AO materielle Fehler korrigiert werden (, BStBl 1989 II S. 531).
Wegen der zeitlichen Begrenzung der Berichtigungsmöglichkeit s. Nr. 1 AEAO zu § 129.
Tz. 150 Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten
Die Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten gelten nur für einen Teil der Steuerverwaltungsakte. Insbesondere Steuerbescheide und diesen gleichgestellte Verwaltungsakte (s. hierzu § 155 AO) sind von der Anwendung der §§ 130, 131 AO ausgenommen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO). Diese Verwaltungsakte werden nach den §§ 172 ff. AO aufgehoben oder geändert. Sondervorschriften zur Korrektur von Verwaltungsakten bestehen z. B. für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten (§ 129 AO) sowie für verbindliche Zusagen nach einer Außenprüfung (§ 207 AO) und für Aufteilungsbescheide (§ 280 AO). Für eine verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) enthält § 2 Abs. 3 StAuskV eine neben den §§ 130, 131 AO anwendbare Korrekturnorm.
Die §§ 130, 131 AO gelten z. B. für Verwaltungsakte, die über Folgendes entscheiden:
Anrechnung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen auf die festgesetzte Steuer (§ 36 Abs. 2 EStG),
Anforderung von Säumniszuschlägen (§ 240 AO),
Streitigkeiten über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis („Abrechnungsbescheide”; § 218 Abs. 2 AO),
Fristverlängerung für die Abgabe einer Steuererklärung (§ 109 AO),
Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO),
abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO),
Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO),
Haftung oder Duldung (§ 191 AO),
Aufforderung zur Buchführung (§ 141 Abs. 2 AO), Gewährung von Buchführungs-, Aufzeichnungs- oder Aufbewahrungserleichterungen (§ 148 AO),
Außenprüfungsanordnung (§ 196 AO), Entscheidung über den Beginn einer Außenprüfung (§ 197 AO),
Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 249 ff. AO), insbesondere Pfändungsverfügungen (§§ 281, 309 AO) sowie Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO),
Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (§ 107 AO),
Zulassung der Lohnsteuer-Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 EStG,
Erteilung einer Nichtveranlagungsbescheinigung (§ 44a Abs. 2 EStG),
Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gem. § 48b EStG,
Gestattung der Umsatzversteuerung nach Isteinnahmen (§ 20 UStG).
Von den Regelungen der §§ 130 und 131 AO nicht erfasst werden z. B.
Entscheidungen über die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte (da es sich hier um die gesonderte, unter Nachprüfungsvorbehalt stehende Feststellung von Besteuerungsgrundlagen handelt; § 39a Abs. 4 EStG),
Freistellungsbescheide und Steuervergütungsbescheide (da diese Steuerbescheiden gleichstehen und somit die §§ 172 AO anwendbar sind),
Niederschlagungen nach § 261 AO (da es sich um eine verwaltungsinterne Maßnahme handelt).
Rechtswidrige Verwaltungsakte werden zurückgenommen (§ 130 AO), rechtmäßige Verwaltungsakte widerrufen (§ 131 AO).
Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er ganz oder teilweise gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt, ermessensfehlerhaft ergangen ist (s. hierzu § 5 AO) oder wenn eine Rechtsgrundlage überhaupt fehlt. Die Frage, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ist nach der Sach- und Rechtslage am Tag des Wirksamwerdens des Verwaltungsakts zu beurteilen (Nr. 1 AEAO zu § 131). Ob formelles oder materielles Recht verletzt wurde, ist grds. unerheblich. Soweit aber die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 126 AO geheilt wird, scheidet eine Rücknahme oder ein Widerruf des Verwaltungsakts aus.
Bei besonders schwerwiegenden Fehlern kann der Verwaltungsakt nichtig sein (§ 125 AO). Auch ein nichtiger Verwaltungsakt darf aber nach § 130 AO zurückgenommen werden (, BStBl 1985 II S. 579). Ob ein Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist oder nicht, ist für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit unerheblich. Der Eintritt der Unanfechtbarkeit kann aber für die Frage von Bedeutung sein, ob die Finanzbehörde von ihrem Ermessen Gebrauch macht, den Verwaltungsakt zurückzunehmen oder zu widerrufen.
Begünstigende Verwaltungsakte können nur unter erschwerten Bedingungen zurückgenommen oder widerrufen werden. Unter einer Begünstigung i. S. der §§ 130, 131 AO ist jede Rechtswirkung zu verstehen, an deren Aufrechterhaltung der Steuerpflichtige ein schutzwürdiges Interesse hat (, BStBl 1987 II S. 405). Für die Abgrenzung zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten kommt es somit darauf an, wie sich eine von der Finanzbehörde beabsichtigte Korrektur auswirken würde.
Einem Stundungsantrag wird nur teilweise entsprochen. Der Steuerpflichtige begehrt mit einem Korrekturantrag, die Stundung wie ursprünglich beantragt zu gewähren. Die bewilligte Stundung wirkt grds. begünstigend. Sie belastet aber den Steuerpflichtigen, soweit seinem Antrag nicht entsprochen wurde.
Die Finanzbehörde beabsichtigt, einen festgesetzten Verspätungszuschlag zu erhöhen.
Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist grds. ein belastender Verwaltungsakt. Sie wirkt aber begünstigend, soweit kein höherer Verspätungszuschlag festgesetzt wurde.
Kein Fall einer Rücknahme oder eines Widerrufs liegt vor, wenn durch einen Verwaltungsakt über einen neuen Sachverhalt entschieden werden soll (z. B. wenn nach einer ergangenen Außenprüfungsanordnung der Prüfungszeitraum erweitert werden soll) oder wenn sich die bisherige Entscheidung durch Zeitablauf erledigt hat und nunmehr eine neue Entscheidung ergehen soll (z. B. wenn nach Ablauf des Zeitraums einer bewilligten Stundung für einen weiteren Zeitraum gestundet werden soll). In beiden Fällen wird ein neuer Verwaltungsakt erlassen, der zu dem früheren Verwaltungsakt hinzutritt.
Die Entscheidung über die Rücknahme oder den Widerruf eines Verwaltungsakts ist mit dem Einspruch anfechtbar (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Unterlässt es die Finanzbehörde, über einen Antrag auf Rücknahme oder Widerruf eines Verwaltungsakts zu entscheiden, kann unter den Voraussetzungen des § 347 Abs. 1 Satz 2 AO Untätigkeitseinspruch erhoben werden.
Tz. 151 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
Nicht begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte können grds. ohne Einschränkungen mit Wirkung für die Vergangenheit oder mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Dies gilt auch, wenn der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar geworden ist.
Begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte können dagegen nur in folgenden Fällen zurückgenommen werden:
Der Verwaltungsakt wurde von einer sachlich unzuständigen Behörde (s. hierzu § 16 AO) erlassen (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 AO). Ein Verstoß gegen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit oder gegen den internen Geschäftsverteilungsplan reicht nicht aus.
Der Verwaltungsakt wurde durch unlautere Mittel – wie Täuschung, Drohung oder Bestechung – erwirkt (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die unlauteren Mittel müssen vorsätzlich angewandt worden sein, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (, BStBl 1961 III S. 488). Grobe Fahrlässigkeit genügt nicht ( NWB BAAAA-62641). Eine Rücknahme des Verwaltungsakts ist auch möglich, wenn die unlauteren Mittel nicht vom Steuerpflichtigen selbst, sondern von einem Dritten (z. B. durch einen Vertreter oder durch einen Angehörigen der Finanzverwaltung) angewandt worden sind (, BStBl 1995 II S. 293).
Der Steuerpflichtige hat den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO). Die Angaben müssen objektiv unrichtig gewesen sein. Ein schuldhaftes Handeln des Steuerpflichtigen muss nicht vorgelegen haben.
Die Rechtswidrigkeit war dem Steuerpflichtigen bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt (§ 130 Abs. 2 Nr. 4 AO). Es reicht nicht aus, dass der Steuerpflichtige nur die tatsächlichen Umstände, welche die Rechtswidrigkeit zur Folge haben, kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt (, BStBl 1996 II S. 82). Die Kenntnis (oder die Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit) eines Vertreters oder eines Bevollmächtigten ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.
Über die Regelungen in § 130 Abs. 2 AO hinaus ist es zulässig, einen mit einem wirksamen Widerrufsvorbehalt versehenen rechtswidrigen Verwaltungsakt nach § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO zu widerrufen (, BStBl 1983 II S. 187). Ferner ist es zulässig, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zurückzunehmen.
Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann grds. jederzeit zurückgenommen werden, auch wenn er bereits unanfechtbar geworden ist. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt kann aber nur innerhalb eines Jahres, nachdem die Finanzbehörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, zurückgenommen werden; dies gilt jedoch nicht in den Fällen der Erwirkung durch unlautere Mittel (§ 130 Abs. 3 AO).
Die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO). I. d. R. wird es zutreffender Ermessensausübung entsprechen, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zurückzunehmen (, BStBl 2007 II S. 742). Ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt allerdings bereits unanfechtbar geworden, wird es i. d. R. ermessensgerecht sein, die Rücknahme abzulehnen, wenn der Steuerpflichtige nur Gründe anführt, die er bereits in einem Einspruchsverfahren hätte vorbringen können. Dagegen kommt die Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts in Betracht, wenn vom Steuerpflichtigen auch unter Berücksichtigung aller Umstände nicht verlangt werden konnte, ein Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen (, BStBl 1981 II S. 507).
Nach Ermessen der Finanzbehörde ist auch darüber zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird. Bei Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung (z. B. Festsetzung eines Verspätungszuschlags, Erlass nach § 227 AO) ist eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Vergangenheit möglich. Dagegen können Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (z. B. die Gewährung einer Stundung gem. § 222 AO oder einer Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO) auch mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden.
Der Verwaltungsakt kann ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Eine Teilrücknahme kommt in Betracht, wenn nur ein Teil des Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Dies kann insbesondere bei Verwaltungsakten über Geldleistungen (z. B. Haftungsbescheid, Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags oder eines Zwangsgelds) der Fall sein. Bei einer Rücknahme wegen sachlicher Unzuständigkeit der Behörde wird der Verwaltungsakt i. d. R. im Ganzen zurückzunehmen sein.
Tz. 152 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts
Nur rechtmäßige Verwaltungsakte können widerrufen werden. Ein Widerruf kommt daher nur bei Ermessensentscheidungen (§ 5 AO) in Betracht, weil es dort mehrere rechtmäßige Entscheidungen geben kann. Gebundene Verwaltungsakte (wie z. B. die Entscheidung über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und von Vorauszahlungen auf die festgesetzte Steuer oder die Anforderung von Säumniszuschlägen) können daher nicht widerrufen werden. Ein Widerruf kommt auch dann nicht in Betracht, wenn bei einer Ermessensentscheidung der Ermessensspielraum derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig ist.
Ein Widerruf ist nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Er kommt daher nur bei Dauerverwaltungsakten in Betracht, ferner bei Verwaltungsakten, die zwar keine Dauerverwaltungsakte, aber noch nicht vollzogen sind. Ein Widerruf ist nicht zulässig, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts neu erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Solche Gründe können sich z. B. aus gesetzlichen Vorschriften ergeben, ferner aus Verwaltungsanweisungen, die im Interesse der Gleichbehandlung eine bestimmte Sachentscheidung vorschreiben.
Begünstigende rechtmäßige Verwaltungsakte können nur in folgenden Fällen widerrufen werden:
Der Widerruf ist durch Rechtsvorschrift zugelassen oder wurde im Verwaltungsakt vorbehalten (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Gesetzlich zugelassen ist der Widerruf z. B. für die Bewilligung von Buchführungs-, Aufzeichnungs- oder Aufbewahrungserleichterungen (§ 148 Satz 3 AO) und für die Gewährung einer Dauerfristverlängerung für die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und für die Entrichtung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen (§ 46 Satz 2 UStDV). Der Widerrufsvorbehalt ist eine Nebenbestimmung i. S. des § 120 AO. Ein wirksamer Widerrufsvorbehalt ist für sich allein noch kein Grund dafür, den Verwaltungsakt zu widerrufen. Vielmehr müssen für den Widerruf sachlich vertretbare Gründe vorliegen (, BStBl 1960 III S. 259).
Der Verwaltungsakt ist mit einer Auflage (s. hierzu Tz. 140) verbunden, die der Begünstigte nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt (§ 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Der Fall einer Bedingung ist in der Vorschrift nicht angeführt, weil bei Nichterfüllung einer aufschiebenden Bedingung die mit dem Verwaltungsakt angestrebten Rechtsfolgen nicht eintreten bzw. bei Eintritt einer auflösenden Bedingung ohne Weiteres entfallen, so dass ein Widerruf nicht erforderlich ist.
Es treten nachträglich Tatsachen ein, die die Finanzbehörde berechtigt hätten, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und ohne einen Widerruf wäre das öffentliche Interesse gefährdet (§ 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO). Zum Begriff der „Tatsachen” gelten die zu § 173 AO entwickelten Grundsätze entsprechend. Die Tatsachen müssen sich nach Erlass des Verwaltungsakts geändert haben (z. B. Erzielung eines größeren Lotteriegewinns während des Zeitraums einer gewährten Stundung). Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts vorlagen, der Finanzbehörde aber nicht bekannt waren, können zur Folge haben, dass der Verwaltungsakt als rechtswidrig anzusehen ist und somit nach § 130 AO zurückgenommen werden kann.
Ferner ist es zulässig, einen Verwaltungsakt mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zu widerrufen.
Analog zur Rücknahme kann der Verwaltungsakt ganz oder teilweise widerrufen werden. Zur zeitlichen Begrenzung der Rücknahmemöglichkeit gilt § 130 Abs. 3 AO entsprechend (§ 131 Abs. 2 Satz 2 AO). Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden (§ 124 AO) des Widerrufs unwirksam. Die Finanzbehörde kann hierfür einen späteren, nicht aber einen früheren Zeitpunkt bestimmen (§ 131 Abs. 3 AO).
Tz. 153 Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung im Rechtsbehelfsverfahren
Die Vorschrift stellt klar, dass ein Verwaltungsakt auch dann nach den einschlägigen Vorschriften der AO oder eines anderen Steuergesetzes korrigiert werden darf, wenn gegen ihn ein Einspruchsverfahren oder ein gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (Klageverfahren, Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, Revisionsverfahren) anhängig ist. Obwohl in § 132 AO nicht ausdrücklich erwähnt, bleibt auch eine Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten (§ 129 AO) möglich. Der neue Verwaltungsakt wird „automatisch” Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens (§ 365 Abs. 3 AO, § 68 FGO).
Wird der Verwaltungsakt während eines gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens korrigiert und ist ein Prozessvertreter bestellt, ist grds. diesem der neue Verwaltungsakt bekannt zu geben (Nr. 1.7.2 AEAO zu § 122).
Auch wenn dies § 132 AO nicht ausdrücklich regelt, kann ein Verwaltungsakt auch nach Abschluss eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens berichtigt, zurückgenommen, widerrufen, aufgehoben oder geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift der AO oder eines anderen Steuergesetzes erfüllt sind. Falls ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, ist aber dessen Bindungswirkung zu beachten (§ 110 FGO).
Tz. 154 Rückgabe von Urkunden und Sachen
Die dem § 52 VwVfG entsprechende Vorschrift dürfte im Steuerverwaltungsverfahren nur von geringer praktischer Bedeutung sein.
4. Teil: Durchführung der Besteuerung
I. Erfassung der Steuerpflichtigen
Tz. 155 Personenstands- und Betriebsaufnahme
Um den Finanzbehörden die Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere die vollständige und gleichmäßige Erfassung aller Steuerpflichtigen zu ermöglichen, können Personenstands- und Betriebsaufnahmen durchgeführt werden. Diese Erhebungen werden durch die Gemeinden für die Finanzbehörden durchgeführt. Dabei unterliegen die entsprechenden Gemeindebediensteten dem Steuergeheimnis (§ 30 AO). Den Gemeinden stehen zur Durchsetzung die Zwangsmittel nach den §§ 328–335 AO zur Verfügung. Da die Gemeinden nicht als Hilfsstellen der Finanzämter – also nicht als Finanzbehörden – tätig werden, handelt es bei den Erhebungen nicht um Abgabenangelegenheiten (§ 347 Abs. 1 AO). Bei Einwendungen gegen Maßnahmen der Gemeinde ist daher nicht der Finanzrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Angehörige der Bundeswehr, der Bundespolizei und der Polizei, die in Dienstunterkünften untergebracht sind und keine andere Wohnung haben, sind von der Personenstandsaufnahme ausgenommen.
Ob und wann eine Personenstands- und Betriebsaufnahme erforderlich ist, bestimmen grds. die Landesregierungen durch Rechtsverordnung; sie können allerdings diese Ermächtigung auf die obersten Finanzbehörden übertragen. Allerdings wird von den Personenstands- und Betriebsaufnahmen schon seit Langem kein Gebrauch mehr gemacht. Auch in Zukunft dürfte nicht mehr mit solch einer Maßnahme zu rechnen sein, insbesondere nicht, da den Finanzbehörden nunmehr dass neu geschaffene Instrument des Identifikationsmerkmals (§§ 139a–139d AO; s. Tz. 161 ff.) zur Erfassung und Identifizierung der Steuerpflichtigen zur Verfügung steht.
Aus Vereinfachungsgründen und zur Ersparnis von Verwaltungsaufwand können die Gemeinden mit der Personenstands- und Betriebsaufnahme auch besondere Erhebungen für ihre eigenen Zwecke verbinden, sofern für diese Erhebungen eine Rechtsgrundlage besteht. Den Gemeinden stehen für die zu eigenen Zwecken durchgeführten Erhebungen nicht die Zwangsmittel der AO zur Verfügung.
Tz. 156 Mitwirkungspflicht bei der Personenstands- und Betriebsaufnahme
Grundstückseigentümer sind verpflichtet, diejenigen Personen anzugeben, die auf dem Grundstück eine Wohnung, Wohnräume, eine Betriebstätte, Lagerräume oder sonstige Geschäftsräume haben.
Wohnungsinhaber und Untermieter haben über sich und zu ihrem Haushalt gehörende Personen notwendige Angaben zu machen, wie z. B. Name, Familienstand, Geburtstag und Geburtsort, Religionszugehörigkeit, Wohnsitz, Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung.
Inhaber von Betriebstätten haben insbesondere Angaben über die Art und Größe des Betriebes und über die Betriebsinhaber zu machen.
Die Mitwirkung der einzelnen Personen kann nach § 134 Abs. 1 Satz 2 AO erzwungen werden.
Tz. 157 Änderungsmitteilungen für die Personenstandsaufnahme
Nach § 136 AO müssen die Meldebehörden die ihnen nach den Vorschriften über das Meldewesen der Länder bekannt gewordenen Änderungen der Daten natürlicher Personen nach § 135 AO dem zuständigen Finanzamt mitzuteilen. Das sind grds. Daten, wie z. B. die Änderung von Vor-, Familiennamen, Familienstand oder Wohnsitz. Durch die Meldungen sollen die Datenbestände der Finanzbehörden auf dem aktuellen Stand gehalten werden.
Tz. 158 Steuerliche Erfassung von Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen
Unabhängig von den Mitwirkungspflichten bei der Personenstands- und Betriebsaufnahme (§§ 134–136 AO) bestehen gem. §§ 137–139 AO insbesondere gegenüber den Finanzbehörden besondere Anzeigepflichten.
Die Anzeigepflicht nach § 137 AO dient der steuerlichen Erfassung von Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen. Sie besteht gegenüber dem nach § 20 AO zuständigen Finanzamt und den für die Erhebung der Realsteuern zuständigen Gemeinden und betrifft Umstände, die für die Besteuerung von Bedeutung sind. Hierzu gehören insbesondere
die Gründung,
der Erwerb der Rechtsfähigkeit,
die Änderung der Rechtsform,
die Verlegung der Geschäftsleitung oder des Sitzes und
die Auflösung.
Die Frist für die Meldung beträgt einen Monat.
Tz. 159 Anzeigen über die Erwerbstätigkeit
Die in § 138 Abs. 1 AO geregelten Anzeigepflichten dienen der steuerlichen Erfassung der Gewerbetreibenden, der Land- und Forstwirte und der freiberuflich Tätigen. § 138 Abs. 2 AO soll durch die rechtzeitige steuerliche Erfassung und Überwachung grenzüberschreitender Sachverhalte die ordnungsgemäße Besteuerung von Auslandseinkünften unbeschränkt Steuerpflichtiger sicherstellen. Die entsprechenden Mitteilungen sind innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis zu erstatten.
a) Anzeigepflichten Gewerbetreibener, Land- und Forstwirte, selbständig Tätiger
Land- und Forstwirte sowie Gewerbetreibende haben die Eröffnung eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft, eines gewerblichen Betriebs oder einer Betriebstätte anzuzeigen. Unter Eröffnung ist auch die Fortführung eines Betriebs oder einer Betriebstätte durch den Rechtsnachfolger oder Erwerber zu verstehen. Die Verpflichtung besteht nur gegenüber der Gemeinde, in der dieser Betrieb oder die Betriebstätte eröffnet wird. Die Gemeinde hat dann unverzüglich das zuständige Finanzamt zu unterrichten. Gewerbetreibende, die nach § 14 GewO gegenüber der zuständigen Behörde (Ordnungs- bzw. Gewerbeamt) anzeigepflichtig sind, genügen mit dieser Anzeige gleichzeitig ihrer steuerlichen Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1 AO. Die Anzeige ist auf dem Vordruck zu erstatten, der durch die Anlagen 1, 2 und 3 zu § 14 Abs. 4 GewO bestimmt worden ist. Ein Durchschlag ist zur Weiterleitung an das zuständige Finanzamt vorgesehen. Steuerpflichtige, die nicht unter die Anzeigepflicht nach der GewO fallen, können die Anzeige formlos erstatten. Sie können sich aber auch des Vordrucks gemäß der GewO bedienen.
Freiberuflich Tätige haben die Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit dem Wohnsitzfinanzamt nach § 19 Abs. 1 AO und ggf. dem Tätigkeitsfinanzamt nach § 19 Abs. 3 AO mitzuteilen. Die Meldungen haben nur gegenüber dem Finanzamt zu erfolgen.
Mitzuteilen sind zudem die Aufgabe eines Betriebs, einer Betriebstätte oder einer freiberuflichen Tätigkeit.
Nach § 138 Abs. 1a AO können Unternehmer i. S. des § 2 UStG ihre Anzeigepflichten nach § 138 Abs. 1 AO zusätzlich bei der für die Umsatzbesteuerung zuständigen Finanzbehörde (§ 21 AO) elektronisch erfüllen. Die Richtlinie 2002/38/EG des Rates v. verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Bereich der Umsatzsteuer die Angaben eines Steuerpflichtigen über die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit auf elektronischem Weg entgegenzunehmen (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie), soweit er dies wünscht. Durch die Regelung wird der EG-rechtlichen Verpflichtung auch in den Fällen genügt, in denen die Gemeinden aus technischen Gründen nicht in der Lage sind, die Anzeigen über die Erwerbstätigkeit elektronisch entgegenzunehmen. Die Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1 AO bleibt davon unberührt.
§ 138 Abs. 1b AO ermöglicht es dem BMF, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Unternehmer i. S. des § 2 UStG die bereits bisher von den Finanzbehörden verschickten Fragebögen anlässlich der Aufnahme einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit nunmehr auf elektronischem Wege übermitteln. Die entsprechende Rechtsverordnung, in der auch bestimmt werden kann, unter welchen Voraussetzungen auf eine elektronische Übermittlung verzichtet werden kann, ist noch nicht ergangen.
b) Anzeige grenzüberschreitender Sachverhalte durch unbeschränkt Steuerpflichtige
Nach § 138 Abs. 2 AO haben Steuerpflichtige mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland, d. h. unbeschränkt Steuerpflichtige, dem zuständigen Finanzamt nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck das Folgende anzuzeigen:
die Gründung und den Erwerb von Betrieben und Betriebsstätten im Ausland;
die Beteiligung an ausländischen Personengesellschaften oder deren Aufgabe oder Änderung;
den Erwerb von Beteiligungen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i. S. des § 2 Nr. 1 des KStG, wenn damit unmittelbar eine Beteiligung von mindestens 10 % oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 25 % am Kapital oder am Vermögen der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150.000 € beträgt.
Diese Anzeigepflicht erleichtert den Finanzbehörden die steuerliche Überwachung bei Auslandsbeziehungen. Durch die Mitteilungen werden die Finanzämter rechtzeitig auf diese Sachverhalte hingewiesen und dadurch in die Lage versetzt, frühzeitig die steuerlichen Auswirkungen zu prüfen.
Für die Ermittlung der Anschaffungskosten aller Beteiligungen an Körperschaften usw. sind die Anschaffungskosten von früher erworbenen Beteiligungen einzubeziehen (, BStBl 2003 I S. 260). Ergänzend nimmt das (BStBl 2004 I S. 847) zu diversen Einzelfragen im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 2 AO Stellung. So wird z. B., da die Einführung der 150.000-€-Grenze in unmittelbarem Zusammenhang mit der Absenkung der Beteiligungsgrenze des § 7 Abs. 6 AStG stand, auf Meldungen für den Erwerb börsennotierter Beteiligungen verzichtet, soweit die Beteiligung weniger als 1 % beträgt. Ferner gelten die Anzeigepflichten nicht für Anteile an Kapitalgesellschaften, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten i. S. des KWG dem Handelsbuch zuzurechnen sind.
Wer vorsätzlich oder leichtfertig seiner Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 2 AO nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit i. S. des § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO, die vorbehaltlich des § 378 AO mit einer Geldbuße bis zu 5.000 € geahndet werden kann. Die Anzeigepflicht kann auch mit Zwangsmitteln nach § 328 AO durchgesetzt werden.
Tz. 160 Anmeldung von Betrieben in besonderen Fällen
Neben der allgemeinen Anzeigepflicht des § 138 AO normiert § 139 Abs. 1 AO für die Hersteller verbrauchsteuerpflichtiger Waren sowie diejenigen, die ein Unternehmen betreiben wollen, bei dem besondere Verkehrsteuern anfallen, eine Anmeldepflicht bereits vor Eröffnung des Betriebs. Die Bestimmung soll die besondere Überwachung dieser Betriebe (Steueraufsicht nach §§ 209 ff. AO) ermöglichen und sicherstellen.
Zu den Verbrauchsteuern gehören die Bier-, Branntwein-, Kaffee-, Mineralöl-, Schaumwein-, Strom- und Tabaksteuer. Besondere Verkehrsteuern sind z. B. die Rennwett- und Lotteriesteuer und die Versicherungsteuer. Die Umsatzsteuer zählt nicht dazu.
§ 139 Abs. 2 AO beinhaltet eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen über den Zeitpunkt, die Form und den Inhalt der Anmeldung. Die Rechtsverordnungen werden, soweit es sich um Verkehrsteuern handelt, von der Bundesregierung, im Übrigen vom Bundesministerium der Finanzen erlassen. Wegen der in Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG geregelten Ertragshoheit der Länder in Bezug auf die Biersteuer bedarf die Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen, soweit sie die Biersteuer betrifft, der Zustimmung des Bundesrats. Von der Verordnungsermächtigung ist in den Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen zu den Einzelsteuergesetzen durchgehend Gebrauch gemacht worden.
Tz. 161 Identifikationsmerkmal
Durch die Vergabe eines einheitlichen und dauerhaften Identifikationsmerkmals für jeden Steuerpflichtigen können Daten, die vom Steuerpflichtigen selbst oder von Dritten an die Finanzbehörden übermittelt werden, eindeutig und unverwechselbar dem Steuerfall des Steuerpflichtigen zugeordnet werden.
Für das Besteuerungsverfahren sind folgende Identifikationsmerkmale vorgesehen (§ 139a Abs. 1 Satz 3 AO):
für natürliche Personen eine steuerliche Identifikationsnummer nach § 139b AO,
für wirtschaftlich tätige natürliche Personen, juristische Personen und Personenvereinigungen die steuerliche Wirtschafts-Identifikationsnummer nach § 139c AO.
Damit die eindeutige Zuordnung auch umfassend gewährleistet wird, ist das Identifikationsmerkmal bei Anträgen, Erklärungen oder Mitteilungen gegenüber den Finanzbehörden anzugeben.
Zuständig für die Vergabe der Identifikationsmerkmale ist das Bundeszentralamt für Steuern (§ 139a Abs. 1 Satz 1 AO). Diese zentrale Zuständigkeit stellt sicher, dass keine mehrfache Vergabe der Merkmale erfolgt.
Die Identifikationsnummer wird an jeden mit alleiniger Wohnung oder Hauptwohnung im Melderegister registrierten Einwohner vergeben. Darüber hinaus erhält jeder eine Identifikationsnummer, der in Deutschland steuerliche Pflichten zu erfüllen hat.
Die Vergabe der Wirtschafts-Identifikationsnummer hängt sachlich und zeitlich von der Vergabe der Identifikationsnummer ab, d.h. zunächst wird allen natürlichen Personen eine Identifikationsnummer zugewiesen und erst daran anschließend erfolgt die Vergabe der Wirtschafts-Identifikationsnummer. Natürliche Personen, die wirtschaftlich tätig sind, werden neben ihrer Identifikationsnummer also zusätzlich eine Wirtschafts-Identifikationsnummer erhalten, so dass der betriebliche Bereich eindeutig von der privaten Sphäre getrennt wird.
Tz. 162 Identifikationsnummer
Die Identifikationsnummer wird aufgrund von Daten der Meldebehörden vergeben. Zwecks erstmaliger Zuteilung der Identifikationsnummer haben die Meldebehörden dem Bundeszentralamt für Steuern nach § 139b Abs. 6 Satz 1 AO für jeden in ihrem Zuständigkeitsbereich mit alleiniger Wohnung oder Hauptwohnung im Melderegister registrierten Einwohner folgende Daten zu übermitteln:
Familienname,
frühere Namen,
Vornamen,
Doktorgrad,
Tag und Ort der Geburt,
Geschlecht,
gegenwärtige Anschrift der alleinigen Wohnung oder der Hauptwohnung,
Tag des Ein- und Auszugs,
Übermittlungssperren nach dem Melderechtsrahmengesetz und den Meldegesetzen der Länder.
Die Identifikationsnummer besteht aus 11 Ziffern, die nicht aus anderen Daten über den Steuerpflichtigen gebildet oder abgeleitet wurden, so dass aus ihr keinerlei Rückschlüsse auf die Person des Steuerpflichtigen gezogen werden können („nichtsprechende” Nummer).
Die Identifikationsnummer wird auch an Neugeborene vergeben, da natürliche Personen nach dem EStG bereits mit der Geburt einkommensteuerpflichtig sind. Zwar werden diese Steuerpflichtigen im Regelfall noch keine Einkommensteuer schulden, dennoch können derartige Konstellationen nicht von vornherein ausgeschlossen werden (z. B. bei Kapitalerträgen). Die Identifikationsnummer ändert sich ein Leben lang nicht. So wird die eindeutige Identifizierung eines Steuerpflichtigen jederzeit möglich.
Mit Einführung der Identifikationsnummer wird die Modernisierung des aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammenden Lohnsteuerverfahrens sowie die Besteuerung der Alterseinkünfte mit Hilfe des Rentenbezugsmitteilungsverfahrens ermöglicht. Die Identifikationsnummer erlaubt darüber hinaus die einfache Zuordnung von steuerlich relevanten Daten auf elektronischem Wege. Die Vergabe weiterer Steuernummern, z. B. für verschiedene Steuerarten oder in Fällen des Wechsels des Wohn- oder Betriebssitzes, wird in Zukunft entbehrlich. Die Wirtschafts-Identifikationsnummer kann auch die Funktion der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erfüllen und diese daher ersetzen.
Nach § 139b Abs. 2 Satz 2 AO dürfen andere öffentliche oder nichtöffentliche Stellen (Dritte) die Identifikationsnummer nur erheben und verwenden, wenn dies zur Datenübermittlung zwischen ihnen und den Finanzbehörden erforderlich ist oder eine Rechtsvorschrift die Erhebung oder Verwendung ausdrücklich erlaubt oder anordnet. Weiterhin dürfen sie ihre Dateien nur insoweit nach der Identifikationsnummer ordnen oder für den Zugriff erschließen, als dies für regelmäßige Datenübermittlungen zwischen ihnen und den Finanzbehörden erforderlich ist.
Bisher gibt es nur zwei Anwendungsfälle, in denen Dritte die Identifikationsnummer aufgrund einer ausdrücklichen Rechtsvorschrift erheben und verwenden dürfen. Das ist zum einen das Rentenbezugsmitteilungsverfahren (§ 22a EStG) und zum anderen das elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmalverfahren (§ 39e EStG). In beiden Fällen wurde die Erhebung und Verwendung der Identifikationsnummer durch Dritte durch die jeweilige Rechtsvorschrift angeordnet.
Um die im Zeitraum zwischen der erstmaligen Übermittlung von Daten nach § 139b Abs. 6 Satz 1 AO (Meldebehörde an Bundeszentralamt für Steuern) und der anschließenden Mitteilung der einem Steuerpflichtigen zugeteilten Identifikationsnummer nach § 139b Abs. 6 Satz 5 AO (Bundeszentralamt für Steuern an Meldebehörde) sich ergebenden Veränderungen im Datenbestand der jeweiligen Meldebehörde (z. B. bei einem Wohnsitzwechsel nach dem Stichtag) richtig zuordnen zu können, haben die Meldebehörden die Aufgabe und auch zugleich ausdrücklich die Befugnis, für jeden im Melderegister gespeicherten Einwohner ein eindeutiges Kennzeichen – das sog. Vorläufige Bearbeitungsmerkmal – zu vergeben und dieses zusammen mit den nach § 139b Abs. 6 Satz 1, Abs. 7 und 8 AO zu liefernden Datensätzen an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln. Mit diesem besonderen Ordnungsmerkmal wird bis zu dem Zeitpunkt der Zuteilung der Identifikationsnummer einzig und allein die richtige Zuordnung der zwischen den Meldebehörden und dem Bundeszentralamt für Steuern zu übermittelnden Daten sichergestellt. Es stellt keine „vorläufige Identifikationsnummer” dar. Mit der Speicherung der zugeteilten Identifikationsnummer im Melderegister wird das Vorläufige Bearbeitungsmerkmal überflüssig und ist folgerichtig zu löschen.
Tz. 163 Wirtschafts-Identifikationsnummer
Wirtschaftlich Tätige erhalten auf Anforderung der zuständigen Finanzbehörde eine Wirtschafts-Identifikationsnummer (§ 139a Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 139c Abs. 1 Satz 1 AO). Der Begriff „wirtschaftlich Tätige” ist im Hinblick auf die angestrebte Ersetzung anderer Nummernsysteme durch die Wirtschafts-Identifikationsnummer weit auszulegen. Hierzu gehören z. B. Unternehmer i. S. von § 2 Abs. 1 UStG und die zur Meldung nach § 28a SGB IV verpflichteten Arbeitgeber.
Die Vorschrift enthält die Aufzählung von Daten, die für die Identifikation von wirtschaftlich Tätigen erforderlich sind. Mit der abschließenden Aufzählung wird dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit und damit einer wesentlichen Forderung des Datenschutzes Rechnung getragen.
Tz. 164 Verordnungsermächtigung
§ 139d enthält die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, die organisatorische und technische Maßnahmen zur Wahrung des Steuergeheimnisses sowie weitere Einzelheiten zur Vergabe und Löschung der Identifikationsmerkmale und zur Übermittlung der Daten zwischen den Meldebehörden und dem Bundesamt für Finanzen enthält. Insbesondere sind darin Regelungen aufzunehmen, die sicherstellen, dass mittels des Identifikationsmerkmals ein unbefugter Zugriff auf Daten, die dem Steuergeheimnis unterliegen, ausgeschlossen bleibt.
Vgl. hierzu die Steueridentifikationsnummerverordnung (StIdV) v. mit späteren Änderungen.
II. Führung von Büchern und Aufzeichnungen
Tz. 165 Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten
a) Allgemeines
Bei den §§ 140 ff. AO handelt es sich um eine besondere Form der Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Durchführung der Besteuerung. Gem. § 85 AO haben die Finanzbehören die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Hierzu benötigen sie Informationen über die Bemessungsgrundlagen der Steuer. Da sich die für die Besteuerung erheblichen Sachverhalte jedoch regelmäßig in der Sphäre des Steuerpflichtigen ereignen, ohne dass die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhält, ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (vgl. § 90 Abs. 1 AO). Die allgemeine Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 90 Abs. 1 AO wird durch die in den §§ 140 ff. AO geregelten Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten konkretisiert (vgl. , BStBl II 1981 S. 392). Die Buchführung und Aufzeichnungen sind für die Besteuerung u. a. von materiell-rechtlicher Bedeutung für die Gewinnermittlung, vor allem im Bereich des Bilanzsteuerrechts. Die Vorschriften dienen aber auch der Substanzbesteuerung (Erbschaftsteuer, Gewerbesteuer) und den Steuerabrechnungen aufgrund von Bestandsentwicklungen (z. B. bei Verbrauchsteuern und bei Zolllagern).
Der Buchführung und den Aufzeichnungen, die den §§ 140–148 AO entsprechen, kommt eine Beweisfunktion zu, d. h. sie sind der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit kein Anlass für eine Beanstandung ihrer sachlichen Richtigkeit besteht (§ 158 AO).
Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten ergeben sich zum einen aus den Steuergesetzen (z. B. §§ 18a, 18b, 22 UStG, §§ 140 ff. AO), zumeist aber aus außersteuerlichen Rechtsnormen (z. B. HGB; ausführliche Aufzählung bei den Erläuterungen zu § 140 AO). Die Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten der AO haben entweder ihren Ursprung unmittelbar in der AO – sog. originäre Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht (§§ 141–144 AO) – oder es werden entsprechende außersteuerliche Verpflichtungen zu steuerlichen Pflichten erklärt – sog. abgeleitete (derivative) Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht (§ 140 AO). Dort, wo gesetzliche Regelungen über die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten fehlen, können Aufzeichnungspflichten über die Betriebseinnahmen und die Betriebsausgaben nicht auf die allgemeine Mitwirkungspflichten und Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen (§§ 90, 93, 149, 150 AO, § 25 Abs. 3 i. V. mit § 2 EStG) gestützt werden. (vgl. NWB XAAAB-33397).
Die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten sind keine höchstpersönlichen Pflichten, d. h. der Verpflichtete kann sich zu ihrer Erfüllung auch der Hilfe sachkundiger externer (z. B. Steuerberater) oder interner Dritter (z. B. angestellter Buchhalter) bedienen. Die rechtliche Verantwortlichkeit wird dadurch jedoch nicht auf den Dritten übertragen, sondern verbleibt beim Verpflichteten.
b) Buchführungspflicht und Gewinnermittlungsart
Das Bestehen einer Buchführungspflicht bzw. das freiwillige Führen von Büchern ist von wesentlicher Bedeutung für die Art der steuerlichen Gewinnermittlung.
Land- und Forstwirte, die nicht zur Führung von Büchern verpflichtet sind, können unter den Voraussetzungen des § 13a EStG ihren Gewinn nach Durchschnittssätzen oder nach § 4 Abs. 3 EStG als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (Einnahmenüberschussrechnung) ermitteln. Wenn der Land- und Forstwirt jedoch nach §§ 140 oder 141 AO verpflichtet ist, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Besteht keine Buchführungspflicht, werden für den Betrieb aber freiwillig Bücher geführt und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse gemacht, ist der Gewinn auch durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln, wenn ein Antrag nach § 13a Abs. 2 EStG gestellt worden ist oder der Gewinn aus anderen Gründen nicht nach § 13a EStG zu ermitteln ist (vgl. R 4.1 Abs. 1 EStR).
Gewerbetreibende, die nicht zur Buchführung verpflichtet sind, können ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermitteln. Bei einem gewerblichen Betrieb, für den die Verpflichtung besteht, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen oder für den freiwillig Bücher geführt und regelmäßig Abschlüsse gemacht werden, muss der Gewerbetreibende den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG ermitteln, wobei das Betriebsvermögen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) zugrunde zu legen ist, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Dieser Grundsatz wird auch als Maßgeblichkeitsgrundsatz bezeichnet. Die Handelsbilanz ist maßgeblich für die Steuerbilanz.
Werden für einen gewerblichen Betrieb, für den Buchführungspflicht besteht, keine Bücher geführt oder ist die Buchführung nicht ordnungsmäßig, ist der Gewinn nach § 5 EStG unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls, unter Umständen unter Anwendung von Richtsätzen, zu schätzen. Das Gleiche gilt, wenn für einen gewerblichen Betrieb freiwillig Bücher geführt und Abschlüsse gemacht werden, die Buchführung jedoch nicht ordnungsmäßig ist (vgl. R 4.1 Abs. 2 EStR).
Bei einem gewerblichen Betrieb, für den keine Buchführungspflicht besteht, für den auch freiwillig keine Bücher geführt werden und für den nicht festgestellt werden kann, dass der Steuerpflichtige die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt hat, ist der Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls, unter Umständen unter Anwendung von Richtsätzen, zu schätzen. Ist der Gewinn im Vorjahr nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt worden, handelt es sich bei der erstmaligen Anwendung von Richtsätzen um einen Wechsel der Gewinnermittlungsart (s. hierzu R 4.6 Abs. 1 EStR). Hat der Steuerpflichtige dagegen für den Betrieb zulässigerweise die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gewählt, ist gegebenenfalls auch eine Gewinnschätzung in dieser Gewinnermittlungsart durchzuführen (vgl. , BStBl 1984 II S. 504).
Selbständig Tätige mit Einkünften aus § 18 EStG unterliegen weder handels- noch steuerrechtlichen Buchführungspflichten und können daher stets den Gewinn durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln. Es steht ihnen allerdings frei, freiwillig Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen. In diesen Fällen ist der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Die Angehörigen der freien Berufe, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, müssen bei der Buchung der Geschäftsvorfälle die allgemeinen Regeln der kaufmännischen Buchführung befolgen (, BStBl 1966 III S. 496).
c) Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten bei Überschussermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG
Weder das EStG noch die AO enthalten eine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen und der Betriebsausgaben für die Überschussermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Insbesondere kann eine solche Aufzeichnungspflicht nicht auf die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG gestützt werden, da diese lediglich die Art der Gewinnermittlung bestimmt. Aus ihr ergibt sich nur eine Verpflichtung zur Führung eines Verzeichnisses über die Wirtschaftsgüter des nicht abnutzbaren Anlagevermögens (§ 4 Abs. 3 Satz 5 EStG).
Eine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen ergibt sich allerdings aus § 22 UStG i. V. mit §§ 63–68 UStDV. Die danach bestehende Verpflichtung des Unternehmers zur Aufzeichnung der Entgelte und der unentgeltlichen Wertabgaben hat auch Bedeutung für die Einkommensteuer. Zwar sind die umsatzsteuerrechtlichen Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen „nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen” i. S. des § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (vgl. NWB KAAAB-80831, m. w. N.).
Eine Regelung, dass vereinnahmte Barentgelte gesondert in einem Kassenbuch aufzuzeichnen sind, enthält weder § 22 UStG noch die UStDV. Auch die §§ 145, 146 AO können eine derartige Verpflichtung nicht begründen, da die Anwendung dieser Vorschriften gerade eine ausdrückliche gesetzliche Aufzeichnungsverpflichtung zur Voraussetzung hat. Bei der Einnahmenüberschussrechnung gibt es keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Vereinnahmtes Geld wird sofort Privatvermögen. Die Feststellung eines Kassenbestands, für den ein Kassenbuch bei einer Gewinnermittlung nach dem Bestandsvergleich aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung erforderlich ist, kommt nicht in Betracht. Demzufolge hat der BFH erkannt, dass Steuerpflichtige, die ihren Gewinn zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, nicht verpflichtet sind, ein Kassenbuch zu führen (vgl. und Beschluss v. - X B 57/05 NWB KAAAB-80831). Aus dieser Rechtsprechung kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass bei bargeldintensiver Gewerbetätigkeit keine Einzelaufzeichnungen angefertigt werden müssen. Beide für eine bargeldintensive Gewerbetätigkeit zur Auswahl stehenden Vorgehensweisen – die Führung eines Kassenkontos oder die Erstellung von Kassenberichten – bringen es mit sich, dass täglich geschäftliche Bargeldbestände zu ermitteln und festzuhalten sind.
Nach § 146 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz AO müssen Steuerpflichtige, die ihren Gewinn zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, die Aufzeichnungen, die allein nach den Steuergesetzen (§ 22 UStG) vorzunehmen sind, lediglich so führen, dass sie dem konkreten Besteuerungszweck genügen. Sie können auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen (§ 146 Abs. 5 Satz 1 AO). Diese Anforderung ist erfüllt, wenn Steuerpflichtige sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs ablegen und in handschriftliche Listen eintragen, auch wenn nur auf den Rechnungen, nicht aber in den angefertigten Listen zwischen Geldeingang auf dem Bankkonto oder Barzahlung unterschieden wurde.
d) Verstöße gegen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten
Verstöße gegen außersteuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten stehen den Verstößen gegen steuerrechtliche Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften gleich (vgl. AEAO zu § 140). Werden Bücher nicht, nicht richtig oder nicht vollständig geführt, kann das Finanzamt die Verpflichtung nach §§ 328 ff. AO mit Zwangsmitteln durchsetzen, vorausgesetzt, es ist ein entsprechender Verwaltungsakt zur Erfüllung der Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht erlassen worden. Zudem hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO).
Wenn nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle oder Betriebsvorgänge vorsätzlich oder leichtfertig nicht oder in tatsächlicher Hinsicht unrichtig verbucht werden, liegt eine Steuergefährdung vor (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Diese Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 5.000 € geahndet werden (§ 379 Abs. 4 AO). Hinzu kommt der ebenfalls als Ordnungswidrigkeit ausgestaltete Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO, wenn durch leichtfertig begangene Verstöße gegen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten Steuern verkürzt, d. h. nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt, oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Dies kann mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden. Bei vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflichten zur Verkürzung von Steuern oder zur Erlangung von nicht gerechtfertigten Steuervorteilen liegt sogar eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO vor, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. Darüber hinaus ist die Verletzung von Buchführungspflichten unter den Voraussetzungen der §§ 283 und 238b StGB (sog. Insolvenzstraftaten) strafbar.
Für Steuerpflichtige, die gesetzlich nicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen verpflichtet sind, diese aber freiwillig führen, gelten die straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften nicht.
Tz. 166 Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach anderen Gesetzen
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
Durch § 140 AO werden die außersteuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften für das Steuerrecht nutzbar gemacht, indem die in anderen Gesetzen als den Steuergesetzen begründete Buchführungs- oder Aufzeichnungspflicht zu einer steuerlichen Pflicht wird, soweit die Bücher und Aufzeichnungen für die Besteuerung von Bedeutung sind. Durch diese abgeleitete (derivative) Buchführungspflicht ist das Steuerrecht der Notwendigkeit enthoben, für steuerliche Zwecke eigene Vorschriften zu schaffen.
b) Außersteuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften
Außersteuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften finden sich zum einen in den allgemeinen Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften des Handels-, Gesellschafts- und Genossenschaftsrechts (z. B. § 238 ff., §§ 257 - 261 HGB, § 91 AktG, § 41 GmbHG, § 33 GenG). Zu den außersteuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften zählen aber auch die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten für bestimmte Betriebe und Berufe, die sich aus einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen ergeben.
Abfallbeseitigungsunternehmen (Nachweisbücher),
Apotheken (Herstellungs-, Prüfungs - und Betäubungsmittelbücher),
Baugewerbe (Baubücher),
Detekteien (Auftragsbücher),
Güterfernverkehr (Fahrtenbücher),
Gebrauchtwarenhändler (Gebrauchtwarenbücher),
Handelsmakler (Tagebücher),
Hotel- und Gaststättengewerbe (Fremdenverzeichnisse),
Lohnsteuerhilfevereine (Einnahmen und Ausgaben),
Spielbanken (Identifizierungs- und Aufzeichnungspflichten),
Verwalter gemeinschaftlichen Wohneigentums (Wirtschaftspläne, Abrechnungen, Rechnungslegung),
Waffenhändler (Waffenhandelsbücher und Munitionshandelsbücher),
Hersteller von Wein (Wein- und Analysebücher).
Obwohl nicht alle außersteuerrechtlichen Aufzeichnungen zwangsläufig „für die Besteuerung von Bedeutung” sein müssen, wird der Großteil von ihnen fast immer zweckdienliche Anhaltspunkte für die Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen ergeben, mit der Folge, dass die außersteuerlichen Dokumentationspflichten auch für die Besteuerung zu erfüllen sind.
Soweit Land- und Forstwirte zwecks Inanspruchnahme staatlicher Förderungsmittel nach den einzelbetrieblichen Förderungsprogrammen der Bundesregierung oder der Landesregierungen verpflichtet sind, für einen bestimmten Zeitraum Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen und der zuständigen Landwirtschaftsbehörde alljährlich den Buchführungsabschluss in der vorgeschriebenen Form vorzulegen (Auflagenbuchführung), begründet diese auf Verwaltungsvorschriften beruhende Verpflichtung für sich allein keine Buchführungspflicht i. S. des § 140 AO. Entsprechendes gilt für eine Buchführung als Testbetrieb nach dem Landwirtschaftsgesetz (vgl. , BStBl 1981 I S. 878).
c) Buchführungspflicht nach § 140 AO i. V. mit § 238 Abs. 1 HGB
Derjenige, der nach Handelsrecht verpflichtet ist, Aufzeichnungen und Bücher zu führen, hat diese Verpflichtungen gem. § 140 AO auch im Interesse der Besteuerung zu erfüllen. Nach § 238 Abs. 1 HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ersichtlich zu machen. Kaufmann i. S. des HGB ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB). Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb (unabhängig von der Rechtsform), sofern das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB).
Das Erfordernis eines nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Genauere Abgrenzungskriterien sind gesetzlich nicht normiert. Grds. ist auf den Einzelfall abzustellen, wobei die gesamten Verhältnisse des einzelnen Betriebs entscheidend sind. Für die Entscheidung, ob ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist, sind u. a. folgende Entscheidungskriterien heranzuziehen: Branche, Umsatzerlöse, Zahl der Arbeitnehmer und die Art ihrer Tätigkeit, Vielzahl von Geschäftsverbindungen, Vielzahl und Komplexität der Erzeugnisse und Leistungen, grenzüberschreitende Tätigkeiten, Größe, Zahl und Organisation der Betriebsstätten, Teilnahme am Frachtverkehr, Kontokorrentverkehr, Höhe des Anlagevermögens.
Eine Entscheidung setzt eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse des einzelnen Betriebs voraus. Hierbei muss nicht jedes einzelne Merkmal bei dem zu betrachtenden Betrieb das Erfordernis kaufmännischer Einrichtung ergeben. Da die Abgrenzung nach § 1 Abs. 2 HGB in der Praxis Schwierigkeiten macht, ist in den Fällen, in denen ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb nicht offensichtlich ist, eine Buchführungspflicht nach § 141 AO zu prüfen.
Nicht nach Handelsrecht buchführungspflichtig sind land- und forstwirtschaftliche Betriebe, da auf diese gem. § 3 Abs. 1 HGB die Vorschriften des § 1 HGB keine Anwendung finden, und selbständig Tätige i. S. von § 18 EStG, da diese kein Handelsgewerbe betreiben. Das betrifft insbesondere Freiberufler. Zu den freiberuflichen Tätigkeiten zählen neben der selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erziehende Tätigkeit, u. a. die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ingenieure, Architekten, Heilpraktiker, Journalisten und Dolmetscher.
Ist der Steuerpflichtige Kaufmann nach den Vorschriften des Handelsrechts, dann ist er u. a. verpflichtet,
Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen (§ 238 Abs. 1 HGB),
Handelsbücher in einer lebenden Sprache zu führen (§ 239 Abs. 1 HGB),
vollständige, richtige, zeitgerechte und geordnete Eintragungen in den Büchern vorzunehmen (§ 239 Abs. 2 HGB),
zu Beginn des Handelsgewerbes und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs ein Inventar aufzustellen (§ 240 Abs. 1 und 2 HGB),
zu Beginn des Handelsgewerbes (Eröffnungsbilanz) und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs einen Abschluss aufzustellen, der das Verhältnis des Vermögens und der Schulden darstellt (§ 242 Abs. 1HGB),
eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahrs (Gewinn- und Verlustrechnung) für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs vorzunehmen (§ 242 Abs. 2 HGB),
nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit einen Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn und Verlustrechnung) in deutscher Sprache und in Euro aufzustellen (§§ 243, 244 HGB) und diesen unter Angabe des Datums zu unterzeichnen,
die Unterlagen unter Beachtung der Aufbewahrungsfristen aufzubewahren (§ 257 AO).
d) Beginn und Ende der Buchführungspflicht
Beginn und Ende der Buchführungspflicht nach § 140 AO richten sich nach den außersteuerlichen Gesetzen. So beginnt z. B. die Buchführungspflicht nach §§ 238 ff. HGB mit dem Erwerb der Kaufmannseigenschaft, d. h. mit der Aufnahme eines Handelsgewerbes (§ 1 HGB) – einschließlich der Vorbereitungshandlungen – bzw. mit der Eintragung der Firma ins Handelsregister (§§ 2, 3 und 5 HGB). Bei OHG und KG, die ein Handelsgewerbe betreiben, beginnt die Buchführungspflicht mit Aufnahme des Betriebs unter der gemeinschaftlichen Firma, sofern nur eigenes Vermögen verwaltet wird, mit der Eintragung der Firma des Unternehmens ins Handelsregister (§§ 105, 161 HGB). Bei juristischen Personen des Handelsrechts (AG, KGaA, GmbH, Genossenschaften) beginnt die Buchführungspflicht mit der Eintragung in das Handelsregister (§§ 41, 278 AktG, § 11 GmbHG, §§ 13, 17 GenG) unabhängig davon, ob sie ein Handelsgewerbe betreiben, da sie als Handelsgesellschaften als Kaufleute gelten (§ 6 HGB i. V. mit § 3 AktG, § 13 GmbHG, § 17 GenG).
Die handelsrechtliche Buchführungspflicht endet mit dem Verlust der Kaufmannseigenschaft, z. B. wenn das Unternehmen einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht mehr erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB), bei endgültiger Einstellung des Handelsgewerbes, bei Veräußerung, Vererbung, Einbringung in ein anderes Unternehmen oder mit der Löschung aus dem Handelsregister (§§ 2, 3, 105 Abs. 2, § 161 Abs. 2 HGB). Juristische Personen des Handelsrechts (AG, KGaA, GmbH, Gen) gelten als Handelsgesellschaften, solange sie im Handelsregister eingetragen sind.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt die handels- und steuerrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten des Schuldners unberührt (§ 155 Abs. 1 Satz 1 InsO), es sei denn das Unternehmen war bei Insolvenzeröffnung bereits eingestellt.
Tz. 167 Buchführungspflicht bestimmter Steuerpflichtiger
a) Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift
Durch § 141 AO wird der Kreis der Buchführungspflichtigen erweitert. Gewerbetreibende und Land und Forstwirte werden bei Überschreiten bestimmter Wertgrenzen zur Führung von Büchern verpflichtet, sofern nicht bereits eine Buchführungspflicht nach § 140 AO besteht. Die Vorschrift betrifft nur gewerbliche Unternehmer sowie Land- und Forstwirte. Die Regelung erstreckt sich nicht auf selbständig Tätige mit Einkünften aus § 18 EStG. Gewerbliche Unternehmer sind solche Unternehmer, die einen Gewerbebetrieb i. S. des § 15 Abs. 2 oder 3 EStG bzw. des § 2 Abs. 2oder 3 GewStG ausüben. Land- und Forstwirt ist, wer Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 13 EStG).
Ausländische Unternehmen fallen unter die Vorschrift des § 141 AO jedenfalls dann, wenn und soweit sie im Inland eine Betriebsstätte unterhalten oder einen ständigen Vertreter bestellt haben. Die Vorschrift bezweckt bei ausländischen gewerblichen Unternehmen die zutreffende ertragsteuerliche Erfassung der im Inland beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Da diese Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht nur unterliegen, wenn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, kann die Buchführungspflicht sinnvollerweise nur für diese Gruppe von Steuerpflichtigen gelten. Als gesetzgeberisches Ziel einer Buchführungspflicht für ausländische Unternehmen käme zwar auch die Ermittlung der zutreffenden Umsatzsteuer aus inländischen Umsätzen in Betracht. Das ist jedoch auszuschließen, da das UStG für im Inland umsatzsteuerpflichtige ausländische Unternehmen durch die Spezialvorschrift des § 22 UStG besondere Aufzeichnungspflichten begründet (vgl. , BStBl 1995 II S. 238).
Die Buchführungspflicht knüpft an das Überschreiten der in § 141 Abs. 1 AO aufgezählten Buchführungsgrenzen durch den einzelnen Betrieb an:
Umsätze einschließlich der steuerfreien Umsätze, ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nr. 8–10 UStG, von mehr als 500.000 € im Kalenderjahr
oder
selbstbewirtschaftete land- und forstwirtschaftliche Flächen mit einem Wirtschaftswert (§ 46 des BewG) von mehr als 25.000 €
oder
ein Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 50.000 € im Wirtschaftsjahr
oder
ein Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 50.000 € im Kalenderjahr
Bei Überschreiten der Grenzen sind gewerbliche Unternehmer und Land und Forstwirte verpflichtet, „für diesen Betrieb” Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen. Die §§ 238, 240–242 Abs. 1 und die §§ 243–256 HGB gelten gem. § 141 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend. Diese Verweisung auf das Handelsrecht führt zur kaufmännischen Buchführungspflicht, sofern nicht das Steuerrecht etwas anderes bestimmt. Zum „Betrieb” einer Personenhandelsgesellschaft gehört ihr gesamtes steuerliches Betriebsvermögen inklusive des Sonderbetriebsvermögens ihrer Gesellschafter. Die Buchführungspflicht einer Personengesellschaft erstreckt sich folglich auch auf das Sonderbetriebsvermögen. Die Gesellschafter selbst sind insoweit nicht buchführungspflichtig (vgl. , BStBl 1991 II S. 401).
Es ist ausreichend, dass nur eine der genannten Grenzen überschritten wird. Die Buchführungsgrenzen beziehen sich grds. auf den einzelnen Betrieb (zum Begriff vgl. , BStBl 1989 II S. 7), auch wenn der Steuerpflichtige mehrere Betriebe der gleichen Einkunftsart hat. Eine Ausnahme gilt für steuerbegünstigte Körperschaften, bei denen mehrere steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe als ein Betrieb zu behandeln sind (§ 64 Abs. 2 AO). Wird die Buchführungsgrenze nur einmalig überschritten, soll auf Antrag nach § 148 AO Befreiung von der Buchführungspflicht bewilligt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Grenze auch später überschritten wird (vgl. Nr. 4 des AEAO zu § 141).
Bei der Prüfung, ob eine der Buchführungsgrenzen nach § 141 AO überschritten ist, ist Folgendes zu beachten:
In den maßgebenden Umsatz nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind auch die nicht steuerbaren Auslandsumsätze einzubeziehen. Ggf. sind sie zu schätzen (Nr. 3 AEAO zu § 141).
Erhöhte Absetzungen für Abnutzung sowie Sonderabschreibungen sind bei der Prüfung der Gewinngrenzen unberücksichtigt zu lassen (§ 7a Abs. 6 EStG). Erhöhte Absetzungen für Abnutzung sind nur insoweit dem Gewinn zuzurechnen, als diese die Absetzungsbeträge nach § 7 Abs. 1oder 4 EStG übersteigen (§ 7a Abs. 3 EStG).
Da die Gewinngrenze für die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe auf das Kalenderjahr abstellt, werden bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr die zeitanteiligen Gewinne aus zwei Wirtschaftsjahren angesetzt.
Wirtschaftswert i. S. des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 AO ist der nach den Grundsätzen des § 46 BewG errechnete Wert der selbstbewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Fläche. Für die Bestimmung der Buchführungsgrenzen sind die Einzelertragswerte der im Einheitswert erfassten Nebenbetriebe bei der Ermittlung des Wirtschaftswerts der selbstbewirtschafteten Flächen nicht anzusetzen (vgl. , BStBl 1990 II S. 606).
b) Beginn und Ende der Buchführungspflicht
§ 141 Abs. 2 AO regelt den Beginn und das Ende der Buchführungspflicht. Danach ist die Verpflichtung vom Beginn des Wirtschaftsjahrs an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat. Voraussetzungen für den Beginn der Buchführungspflicht nach § 141 AO sind also:
die „Feststellungen der Finanzbehörde”, aus denen sich ergibt, dass eine der im einzelnen bezeichneten Wertgrenzen überschritten ist und
die entsprechende Mitteilung des Finanzamts, dass aufgrund dieser Feststellungen die Buchführungspflicht zu erfüllen ist.
Die Mitteilung des Finanzamts über den Beginn der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO ist dabei der entscheidende rechtsgestaltende Verwaltungsakt, der den Beginn der Buchführungspflicht konstitutiv auslöst. Die Buchführungspflicht beginnt nicht, bevor das Finanzamt den Steuerpflichtigen nach Überschreiten einer der Grenzen ausdrücklich schriftlich auf dem Beginn der Buchführungspflicht hingewiesen hat. Die Mitteilung dient der Rücksichtnahme auf die Unerfahrenheit bisher nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger. Diesen soll Gelegenheit gegeben werden, sich für die Zukunft innerhalb angemessener Frist auf die Buchführungspflicht einzustellen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen und ggf. rechtzeitig gem. § 148 AO Buchführungserleichterungen zu beantragen (, BStBl 1986 II S. 39). Wegen ihrer rechtsgestaltenden Wirkung ist eine Mitteilung aber auch dann erforderlich, wenn der Steuerpflichtige bereits (seit Jahren) freiwillig Bücher führt und seinen Gewinn nach Bestandsvergleich ermittelt ( EFG 1984 S. 149). Wird die Mitteilung des Finanzamts als rechtsgestaltender Verwaltungsakt weder angefochten noch zurückgenommen noch widerrufen, beginnt die Buchführungspflicht auch dann, wenn die Begründung der Mitteilung (Feststellung des Überschreitens einer Buchführungsgrenze nach § 141 Abs. 1 AO) nicht mehr zutreffend ist (, BStBl 1983 II S. 254).
Die Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht soll dem Steuerpflichtigen mindestens einen Monat vor Beginn des Wirtschaftsjahrs bekannt gegeben werden, von dessen Beginn ab die Buchführungspflicht zu erfüllen ist (Nr. 4 AEAO zu § 141). In der Mitteilung ist anzugeben, auf welche Sachverhalte sich die Feststellung der Finanzbehörde stützt. Die Mitteilung ist ein Verwaltungsakt i. S. von § 118 AO, der mit dem Einspruch (§ 347 AO) angefochten werden kann.
Die „Feststellungen der Finanzbehörde” besitzen dagegen nur feststellenden Charakter. Die Finanzbehörde kann die Feststellung im Rahmen eines Steuer- oder Feststellungsbescheids oder durch einen selbständigen feststellenden Verwaltungsakt treffen. Die Feststellung kann aber auch mit der Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 2 AO verbunden werden und bildet dann mit ihr einen einheitlichen Verwaltungsakt (vgl. , BStBl 1983 II S. 768, m. w. N.).
Die Verpflichtung zur Buchführung endet nach Ablauf eines vollen Wirtschaftsjahrs, nachdem die Finanzbehörde festgestellt hat, dass keine der Buchführungsgrenzen mehr überschritten ist. Der Wegfall der Buchführungspflicht wird aber dann nicht wirksam, wenn die Finanzbehörde vor dem Erlöschen der Verpflichtung wiederum das Bestehen der Buchführungspflicht feststellt. Damit sollen allzu häufige Veränderungen in der Buchführungspflicht vermieden werden.
c) Buchführungspflicht des Betriebsübernehmers
Nach § 141 Abs. 3 AO geht eine bestehende Buchführungspflicht auf denjenigen, der den Betrieb im Ganzen zur Bewirtschaftung übernimmt (z. B. Erwerber, Erbe, Pächter, Nießbraucher) kraft Gesetzes über. Der ansonsten erforderliche Hinweis der Finanzbehörde auf den Beginn der Buchführungspflicht kann daher unterbleiben. Es ist auch nicht Voraussetzung, dass eine der in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–5 AO aufgeführten Buchführungsgrenzen überschritten ist. Eine Übernahme des Betriebs im Ganzen liegt vor, wenn seine Identität gewahrt bleibt. Dies ist der Fall, wenn die wesentlichen Grundlagen des Betriebs als einheitliches Ganzes erhalten bleiben. Dies liegt nicht vor, wenn nur der landwirtschaftliche, nicht aber auch der forstwirtschaftliche Teilbetrieb übernommen wird (vgl. Nr. 5 AEAO zu § 141).
Tz. 168 Ergänzende Vorschriften für Land- und Forstwirte
Buchführungspflichtige Land- und Forstwirte haben neben den jährlichen Bestandsaufnahmen und den jährlichen Abschlüssen ein Anbauverzeichnis zu führen. In ihm ist nachzuweisen, mit welchen Fruchtarten die selbstbewirtschafteten Flächen im abgelaufenen Wirtschaftsjahr bestellt waren. In das Verzeichnis sind alle dem Betrieb dienenden Flächen, also auch Pachtflächen und andere zur Nutzung überlassene Flächen, aufzunehmen. Die selbstbewirtschaftete Fläche ist unter Angabe ihrer Größe in die einzelnen Nutzungs- und Kulturarten aufzuteilen; Flur- und Parzellenbezeichnungen oder ortsübliche Bezeichnungen sind anzugeben. Unproduktive Flächen, wie z. B. Hofraum, Dauerwege, Lagerplätze, Gebäudeflächen, sollen gleichfalls angegeben werden.
Das Anbauverzeichnis muss grds. nach den Verhältnissen zum Beginn eines Wirtschaftsjahrs aufgestellt werden. Fruchtarten, die innerhalb eines Wirtschaftsjahrs bestellt und abgeerntet werden, sind fortlaufend zusätzlich anzugeben. Ein Anbauverzeichnis erübrigt sich, wenn für einen Forstbetrieb oder Forstbetriebsteil ein amtlich anerkanntes Betriebsgutachten oder ein Betriebswerk vorliegt.
Zu weiteren Einzelheiten zur Führung eines Anbauverzeichnisses s. , BStBl 1981 I S. 878.
Tz. 169 Aufzeichnung des Wareneingangs
Die Aufzeichnung des Wareneingangs nach § 143 AO dient insbesondere der Überprüfung des Buchführungsergebnisses durch Nachkalkulation. Die Vorschrift verpflichtet alle gewerblichen Unternehmer, den Wareneingang gesondert aufzuzeichnen. Land- und Forstwirte sowie selbständig Tätige fallen nicht unter die Vorschrift. Gewerbliche Unternehmer sind solche, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. des § 15 EStG beziehen. Die Aufzeichnungspflicht besteht unabhängig von einer Buchführungspflicht. Bei buchführenden Gewerbetreibenden genügt es, wenn sich die geforderten Angaben aus der Buchführung ergeben – es ist nicht erforderlich, dass ein besonderes Wareneingangsbuch geführt wird.
Es sind alle Waren einschließlich der Rohstoffe, unfertigen Erzeugnisse, Hilfsstoffe und Zutaten aufzuzeichnen, die der Unternehmer im Rahmen seines Gewerbebetriebs zur Weiterveräußerung oder zum Verbrauch erwirbt. Waren, die üblicherweise für den Betrieb zur Weiterveräußerung oder zum Verbrauch erworben werden, sind auch dann aufzuzeichnen, wenn sie im Einzelfall für betriebsfremde Zwecke verwendet werden. Die Aufzeichnungspflicht bezieht sich auf alle erworbenen Waren, gleichgültig, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich, für eigene oder fremde Rechnung erworben worden sind.
Die Aufzeichnungen des Wareneingangs müssen folgende Angaben enthalten:
Tag des Wareneingangs oder Datum der Rechnung,
Namen oder Firma und Anschrift des Lieferers,
handelsübliche Bezeichnung der Ware,
Hinweis auf den Beleg.
Zu der den Gewerbetreibenden obliegenden Verpflichtung, den Namen oder die Firma und die Anschrift des Lieferers aufzuzeichnen, gehört es auch, sich in Zweifelsfällen Gewissheit über die Richtigkeit der von Lieferanten dazu gemachten Angaben zu verschaffen. Bei der Entscheidung darüber, ob dem Steuerpflichtigen die Benennung von Lieferanten und entsprechende Nachforschungen billigerweise zuzumuten sind, ist in erster Linie auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Abwicklung der einzelnen Kaufgeschäfte abzustellen (vgl. , EFG 1988 S. 272).
Die neben § 143 AO bestehenden besondere Aufzeichnungspflichten, die in Einzelsteuergesetzen vorgeschrieben sind (z. B. nach § 22 UStG), bleiben von den Bestimmungen des § 143 AO unberührt. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, wenn Aufzeichnungen zusammengefasst werden, sofern damit den jeweils gestellten Anforderungen (z. B. nach der AO und dem UStG) genügt wird.
Tz. 170 Aufzeichnung des Warenausgangs
Die Vorschrift dient wie § 143 AO einer wirksamen Kontrolle der Betriebsvorgänge beim aufzeichnungspflichtigen Unternehmer, im besonderen Maße aber auch der Kontrolle der vollständigen Erfassung des Wareneingangs beim Abnehmer, dessen Namen und Anschrift nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 AO aufzuzeichnen sind.
Aufzeichnungspflichtig sind alle gewerblichen Unternehmer, die nach Art ihres Geschäftsbetriebs Waren regelmäßig an andere gewerbliche Unternehmer zur Weiterveräußerung oder zum Verbrauch als Hilfsstoffe liefern. Aufzuzeichnen ist der erkennbar zur Weiterveräußerung oder zum Verbrauch als Hilfsstoff bestimmte, an gewerbliche Unternehmer gerichtete Warenausgang.
Im Allgemeinen wird bekannt sein, wann die Voraussetzungen für eine Aufzeichnungspflicht gegeben sind. Es können aber auch Zweifel entstehen. Deshalb sind Lieferungen auf Rechnung, Tauschgeschäfte, unentgeltliche Lieferungen und Barverkäufe mit Mengenrabatt in jedem Fall aufzuzeichnen, es sei denn, die Ware ist erkennbar nicht zur gewerblichen Weiterverwendung bestimmt.
§ 144 Abs. 3 AO bestimmt, welche Angaben die Aufzeichnungen enthalten müssen. Diese Bestimmung entspricht dem § 143 Abs. 3 AO. Bei buchführenden Unternehmern können die Aufzeichnungspflichten auch hier im Rahmen der Buchführung erfüllt werden. Ebenso nicht erforderlich ist die Führung eines besonderen Warenausgangsbuchs. Auch bleiben die besonderen Aufzeichnungspflichten, z. B. nach § 22 Abs. 2 Nr. 1–3 UStG, unberührt. Erleichterungen nach § 14 Abs. 6 UStG für die Ausstellung von Rechnungen (z. B. nach §§ 31, 33 UStDV) gelten auch für § 144 AO (vgl. AEAO zu § 144).
Der Unternehmer ist verpflichtet, über den aufzeichnungspflichtigen Warenausgang einen Beleg zu erteilen, der die in § 144 Abs. 3 AO genannten Angaben sowie seinen Namen oder die Firma und seine Anschrift enthält.
Die Aufzeichnungspflichten des Warenausganges gelten auch für Land- und Forstwirte, die nach § 141 AO buchführungspflichtig sind. Dadurch soll eine bessere Überprüfung der Käufer land- und forstwirtschaftlicher Produkte (z. B. Obst- oder Gemüsehändler) ermöglicht werden. Es sind daher die Waren aufzuzeichnen, die erkennbar zur gewerblichen Weiterverwendung bestimmt sind. Unter die Aufzeichnungspflicht fallen auch solche Produkte, die vom Erwerber nicht unmittelbar weiterveräußert, sondern zuvor be- oder verarbeitet werden. Die Regelung ist im Interesse der Gleichbehandlung der gewerbliche Unternehmer beliefernden Unternehmer gerechtfertigt und notwendig. Nicht aufzeichnungspflichtig sind allerdings Land- und Forstwirte, die nach § 140 AO oder anderen Bestimmungen buchführungspflichtig sind und alle nicht buchführungspflichtigen Land- und Forstwirte, die freiwillig Bücher führen.
Tz. 171 Allgemeine Anforderungen an Buchführung und Aufzeichnungen
a) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
§ 145 AO bestimmt, welche allgemeinen Anforderungen an eine Buchführung und an steuerliche Aufzeichnungen zu stellen sind, und ist somit eine Art „Zusammenfassung” der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), welche durch einzelne Ordnungsvorschriften für die Durchführung (§ 146 AO) und die Aufbewahrung der Buchführungsunterlagen (§ 147 AO) ergänzt wird.
§ 145 Abs. 1 AO gibt die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze über die an die Buchführung zu stellenden Anforderungen wieder. Ein bestimmtes Buchführungssystem ist, nicht zuletzt im Hinblick auf die fortschreitende technische Entwicklung im Bereich der Buchführungstechniken und -systeme (u. a. elektronische Rechnung), nicht vorgeschrieben; allerdings muss bei Kaufleuten die Buchführung den Grundsätzen der doppelten Buchführung entsprechen (§ 242 Abs. 3 HGB). Stattdessen hat der Gesetzgeber allgemeine Mindestanforderungen an eine Buchführung kodifiziert. Danach muss ein sachverständiger Dritter in der Lage sein, sich anhand der Buchführung in angemessener Zeit ohne Schwierigkeiten einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Vermögenslage des Unternehmens zu verschaffen. Sachverständiger Dritter i. S. des § 145 Abs. 1 AO ist nicht nur ein sachverständiger Angehöriger des jeweiligen Geschäftszweiges, sondern vielmehr auch ein Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder für den Prüfungsdienst ausgebildeter Bediensteter der Finanzverwaltung (vgl. , BStBl 1981 II S. 9). Die Buchführung muss so beschaffen sein, dass der Dritte, ausgehend von der Bilanz, einen Geschäftsvorfall bis zu seinem Entstehen, d. h. bis zum dazugehörenden Beleg, verfolgen kann und umgekehrt.
Nach § 145 Abs. 2 AO sind Aufzeichnungen, die nicht als „Bücher” im Rahmen der Buchführung geführt werden, so vorzunehmen, dass der Zweck erreicht wird, den sie für die Besteuerung erfüllen. Maßgeblich für die Dokumentation und das Verfahren ist folglich der Zweck der Aufzeichnungspflicht für das Besteuerungsverfahren.
b) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
Die u. a. im Zusammenhang mit der Buchführungspflicht (§ 238 HGB) und der Erstellung des Jahresabschlusses (§ 243 HGB) erwähnten Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) bestehen aus einer Vielzahl von Leitsätzen; sie sind weder handels- noch steuerrechtlich abschließend definiert. Es handelt sich vielmehr um eine begriffliche Zusammenführung einzelner gesetzlicher Vorschriften des Handelsrechts und der AO (§§ 238 ff. HGB, §§ 145–147 AO) sowie allgemein anerkannter Grundsätze, nach denen ein ordentlicher Kaufmann verfährt, um jederzeit die Übersicht über seine Geschäfte, sein Vermögen und die Entwicklung zu haben. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sind nicht starr, sondern werden laufend von der Praxis sowie der Rechtsprechung weiterentwickelt und den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Sie lassen sich hinsichtlich der Buchführungsform (formelle Ordnungsmäßigkeit) und des Buchführungsinhalts (materielle Ordnungsmäßigkeit) unterscheiden. Die formelle Ordnungsmäßigkeit betrifft die Art und Weise der Dokumentation, die Klarheit und Übersichtlichkeit. Dazu gehört neben der Verständlichkeit und der Unveränderlichkeit der Aufzeichnungen auch die Beachtung der Aufbewahrungsfristen. Die materielle Ordnungsmäßigkeit bezieht sich auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit. Voraussetzungen dafür sind ein systematischer Aufbau der Buchführung, zeitnahe geordnete Eintragungen und die Beachtung des Belegprinzips.
Eine Buchführung ist ordnungsgemäß, wenn sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 145 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Buchungen und die sonstigen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet sein (§ 239 Abs. 2 HGB, § 146 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies erfordert eine fortlaufende, unverzügliche Verbuchung aller Geschäftsvorfälle. Nach herrschender Meinung gebieten die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für den Kassenverkehr eine tägliche Verbuchung und für andere Geschäftsvorfälle eine Verbuchung innerhalb von längstens einem Monat, sofern die Buchführungsunterlagen organisatorisch gegen Verlust geschützt sind (vgl. , BStBl 1979 II S. 20). Die aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung abzuleitende Pflicht zu zeitnaher Verbuchung wird durch die in § 146 Abs. 1 AO konkretisierten Buchführungspflichten bestätigt. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO schreibt für Kasseneinnahmen und -ausgaben eine tägliche Verbuchung vor. Die übrigen Geschäftsvorfälle sind nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO „zeitgerecht” zu verbuchen (ebenso § 239 Abs. 2 HGB). Auch wenn diese Bestimmungen für Geschäftsvorfälle außerhalb des Kassenverkehrs keinen bestimmten Tag zur Verbuchung vorschreiben, muss jedoch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vorgängen und ihrer buchmäßigen Erfassung bestehen. Die letzten Geschäftsvorfälle des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs sind spätestens bis zum Ablauf von vier Wochen nach dem Bilanzstichtag buchmäßig zu erfassen. (vgl. , BStBl 1992 II S. 1010).
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung erfordern grds. die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts in einem Umfang, der eine Überprüfung seiner Grundlagen, seines Inhalts und seiner Bedeutung für den Betrieb ermöglicht. Das bedeutet nicht nur die Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens oder der Firma und der Anschrift des Vertragspartners (Identität). Nach ständiger Rechtsprechung erfordert eine ordnungsmäßige Buchführung, dass sämtliche Geschäftsvorfälle nach der zeitlichen Reihenfolge und mit ihrem richtigen und erkennbaren Inhalt festgehalten werden. Dabei dürfen Eintragung oder Aufzeichnung nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist. Auch solche Veränderungen dürfen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind (§ 239 Abs. 3 HGB, § 146 Abs. 4 AO). Werden Abkürzungen, Ziffern, Buchstaben oder Symbole verwendet, muss im Einzelfall deren Bedeutung eindeutig festliegen (§ 239 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 146 Abs. 3 Satz 3 AO).
Zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung gehört auch die Sammlung von Belegen. Jede Buchung muss im Zusammenhang mit einem Beleg stehen („Keine Buchung ohne Beleg!”). Die Belege und die empfangenen Geschäftsbriefe sind aufzubewahren (§ 257 HGB, § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AO). Fehlen sie, ist eine Buchführung nicht ordnungsgemäß (vgl. , BStBl 1998 II S. 51, m. w. N.).
Eine ordnungsmäßige Kassenführung erfordert, dass die Kasseneingänge und -ausgänge – soweit zumutbar, mit ausreichender Bezeichnung des Geschäftsvorfalls – in einem Kassenbuch derart aufgezeichnet werden, dass es jederzeit möglich ist, den Sollbestand nach dem Kassenbuch mit dem Ist-Bestand der Geschäftskasse auf die Richtigkeit nachzuprüfen (sog. Kassensturzfähigkeit der Aufzeichnungen). Die Kassensturzfähigkeit ist zum einen dadurch herzustellen, dass jeder Bargeldgeschäftsvorfall einzeln aufgezeichnet und die Belege den Kassenunterlagen beigefügt werden. In einem solchen Falle ist es zwar nicht erforderlich, dass der Kassenbestand täglich ermittelt wird; es müssen aber die Ursprungsaufzeichnungen über die Einnahmen aufbewahrt werden.
Anders liegt es dagegen, wenn die Bareinnahmen eines Tages („Tageslosung”) durch einen sog. Kassenbericht ermittelt werden. Die Tageseinnahmen werden im Fall des Kassenberichts nicht dadurch festgehalten, dass jeder einzelne Zahlungsvorgang unmittelbar aufgezeichnet wird, sondern sie werden durch den Abgleich von Kassenanfangs- und Kassenendbestand unter Hinzurechnung der aus der Kasse geleisteten Zahlungen rechnerisch ermittelt. Beim Kassenbericht ist die tägliche Feststellung des Kassenbestands somit für die Berechnung der Tageslosung und damit für eine ordnungsgemäße Kassenführung unentbehrlich (, BStBl 1970 II S. 45, m. w. N.). Wird die Kasse in Form eines Kassenberichts geführt, ist die Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen über die Bargeschäfte nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse „in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch” übertragen wird (vgl. , BStBl 1978 II S. 307, m. w. N.). Beim Kassenbericht müssen also die Einnahmenaufzeichnungen, die in einer Notiz über das Ergebnis der täglichen rechnerischen Feststellung der Tageseinnahmen bestehen, nicht aufgehoben werden; es muss aber eine tägliche Feststellung des Kassenbestands erfolgen.
Die zeitgerechte Verbuchung der Geschäftsvorfälle und eine ordnungsmäßige Kassenführung sind bei Betrieben mit einem hohen Anteil an Bareinnahmen i. d. R. entscheidende Grundlagen einer kaufmännischen Buchführung. Mängel auf diesem Gebiet nehmen der Buchführung im Allgemeinen die Ordnungsmäßigkeit. Nach dem (BStBl 2004 I S. 419) ist eine Einzelaufzeichnung der baren Betriebseinnahmen im Einzelhandel nach der Rechtsprechung des BFH unter dem Aspekt der Zumutbarkeit nicht erforderlich, wenn Waren von geringem Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden. Von der Zumutbarkeit von Einzelaufzeichnungen über die Identität ist jedenfalls bei einer Annahme von Bargeld im Wert von 15.000 € und mehr auszugehen. Außersteuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten bleiben davon jedoch unberührt.
c) Buchführungsmängel
Enthält die Buchführung formelle Mängel, ist ihre Ordnungsmäßigkeit nicht zu beanstanden, wenn das sachliche Ergebnis der Buchführung dadurch nicht beeinflusst wird und die Mängel kein erheblicher Verstoß gegen die Anforderungen an die zeitgerechte Erfassung der Geschäftsvorfälle, die besonderen Anforderungen bei Kreditgeschäften, die Aufbewahrungsfristen sowie die Besonderheiten bei der Buchführung auf Datenträgern sind.
Enthält die Buchführung materielle Mängel, z. B. wenn Geschäftsvorfälle nicht oder falsch gebucht sind, wird ihre Ordnungsmäßigkeit dadurch nicht berührt, wenn es sich dabei um unwesentliche Mängel handelt, z. B. wenn nur unbedeutende Vorgänge nicht oder falsch dargestellt sind. Die Fehler sind dann zu berichtigen, oder das Buchführungsergebnis ist durch eine Zuschätzung richtig zu stellen. Bei schwerwiegenden materiellen Mängeln gilt R 4.1 Abs. 2 Satz 3 EStR (R 5.2 Abs. 2 EStR). Ein materieller Mangel der Buchführung kann auch vorliegen, wenn die körperliche Bestandsaufnahme fehlt oder unvollständig ist, es sei denn, dass eine körperliche Bestandsaufnahme nicht erforderlich ist oder das Bestandsverzeichnis fehlt oder unvollständig ist.
Tz. 172 Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen
§ 146 AO regelt die an Buchführung und Aufzeichnungen zu stellenden formellen Anforderungen. Es gilt der Grundsatz, dass alle Eintragungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden müssen.
Das Erfordernis der zeitgerechten Eintragung besagt, dass die Eintragung im Anschluss an den einzutragenden Vorgang innerhalb einer Zeit zu machen ist, die sich nach den Verhältnissen des Unternehmens und nach der Art des Geschäftsvorfalls richtet. Die Frist im Einzelnen hängt deshalb von den Umständen des Einzelfalls ab. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der rationelle Einsatz moderner Datenverarbeitungsanlagen bei der Erstellung der Buchführung wegen der großen Leistungsfähigkeit dieser Anlagen eine periodenweise Verbuchung in bestimmten Zeitabständen, in denen sich ein den Einsatz der Datenverarbeitungsanlagen lohnender Buchungsstoff angesammelt hat, bedingt. Durch das Erfordernis der zeitgerechten Eintragung wird verhindert, dass der Unternehmer bestimmte Geschäftsvorfälle durch Verzögerung der Eintragungen in der Schwebe hält oder dass Buchungsunterlagen verloren gehen, wenn sie längere Zeit unverbucht bleiben.
Für Kasseneinnahmen und Kassenausgaben allerdings reicht die zeitgerechte Verbuchung nicht aus. Die erforderliche tägliche Abstimmung des Kassenbestands ist nur möglich, wenn Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich aufgezeichnet werden. Eine entsprechende Verpflichtung enthält § 146 Abs. 1 Satz 2 AO.
Der Begriff „geordnet” besagt, dass jede sinnvolle Ordnung genügt, die einen sachverständigen Dritten in den Stand setzt, sich in angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens zu verschaffen.
Bücher und Aufzeichnungen sind im Geltungsbereich der AO, d. h. im Inland zu führen und aufzubewahren. Damit soll sichergestellt werden, dass die Bücher und Aufzeichnungen für die Finanzbehörden jederzeit erreichbar sind. Ausnahmen sind für ausländische Betriebstätten zugelassen. Die dortigen Betriebsergebnisse müssen jedoch in die inländische Buchführung übernommen werden, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Das gilt auch für ausländische Organgesellschaften. Hierbei sind gegebenenfalls Korrekturen zur Anpassung an die deutschen steuerlichen Vorschriften vorzunehmen und kenntlich zu machen.
Die Verpflichtung zur Führung der Bücher im Inland bereitet allerdings in Zeiten voranschreitender Globalisierung in der Praxis zunehmend Probleme. § 146 Abs. 2a und 2b AO schafft die Möglichkeit, eine EDV-gestützte Buchführung in andere EU-Staaten und EWR-Staaten (soweit eine Rechtsvereinbarung über Amtshilfe besteht) zu verlagern. Vorteilhaft ist diese Lockerung nicht nur für internationale Konzerne, sondern auch für alle Unternehmen, die ihre EDV aus Kostengründen ins europäische Ausland verlagern wollen; andere Staaten bleiben aber weiterhin grds. ausgeschlossen (wegen Ausnahmen s. unten).
Aufgrund dieser Regelungen können die mittels eines Datenverarbeitungssystems erstellte Buchführung und sonstige Aufzeichnungen verlagert werden. Die „Papierbuchführung”, insbesondere die in Papierform vorliegenden Rechnungen i. S. des UStG, muss im Inland verbleiben, damit eine Umsatzsteuer-Nachschau weiterhin möglich bleibt. Voraussetzung für die Verlagerung ist eine Zustimmung des betreffenden Staats, dass dieser den Zugriff durch die deutschen Finanzbehörden erlaubt. Dies ist erforderlich, da der Datenzugriff durch die deutsche Finanzverwaltung auf einen im Ausland befindlichen Server als hoheitlicher Eingriff eine Verletzung fremder Hoheitsrechte darstellt. Dem Finanzamt muss im schriftlichen Antrag auch der Standort des EDV-Systems und ggf. Name und Anschrift eines damit beauftragten Anbieters mitgeteilt werden. Erforderlich sind des Weiteren die Zuverlässigkeit des Steuerpflichtigen in Auskunftspflichten sowie die Möglichkeit des vollen Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO. Änderungen müssen der Finanzbehörde unverzüglich mitgeteilt werden. Die Voraussetzungen dienen der Sicherstellung einer effizienten Kontrolle durch die Steuerverwaltung und damit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
§ 146 Abs. 2a Satz 5 AO belässt den Finanzbehörden unabhängig vom Vorliegen der dort genannten Kriterien eine am Einzelfall orientierte flexible Entscheidungsmöglichkeit. Eine Verlagerung kann auch dann bewilligt werden, wenn
die Buchführung in einen Staat außerhalb des EU/EWR-Raums (z. B. Indien oder USA) verlagert werden soll oder
der Steuerpflichtige eine Zustimmung des betreffenden Staats zum Datenzugriff nicht beibringt oder
der Standort des EDV-Systems und ggf. Name und Anschrift eines damit beauftragten Anbieters nicht mitgeteilt werden,
die effektive Steuerkontrolle aber nicht gefährdet ist. Anlass für diese Ausnahmeregelung ist u. a. die in der Praxis wohl kaum beschaffbare „Zustimmung” des betreffenden Staats zum Datenzugriff. Es ist unklar, welche ausländische Behörde die geforderte Zustimmung zuständigerweise erteilen könnte.
§ 146 Abs. 2a Satz 6 AO verlangt, dass bei Wegfall des Bewilligungsgrunds die Buchführung wieder nach Deutschland zurückverlagert werden muss. Kommt der Steuerpflichtige der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten zur Meldung von Änderungen, zur Einräumung des Datenzugriffs, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i. S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb angemessener Frist nicht nach oder hat er seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert, kann nach § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld von 2.500 bis 250.000 € festgesetzt werden.
Für die Eintragungen in die Bücher und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen ist eine lebende Sprache zu verwenden. Gegebenenfalls kann die Finanzbehörde Übersetzungen verlangen. Verwendet der Steuerpflichtige Abkürzungen, so muss deren Bedeutung eindeutig vorliegen (s. § 146 Abs. 3 AO).
Eine Buchung oder Aufzeichnung darf nach § 146 Abs. 4 AO nicht in der Art und Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist.
§ 146 Abs. 5 AO enthält die gesetzliche Grundlage für die sog. „Offene Posten-Buchhaltung” sowie für die Führung der Bücher und sonst erforderlichen Aufzeichnungen auf maschinell lesbaren Datenträgern (z. B. Magnetplatten, Magnetbänder, Disketten, elektro optische Speicherplatten, CD ROM). Bei einer Buchführung auf maschinell lesbaren Datenträgern (DV-gestützte Buchführung) müssen die Daten unverzüglich lesbar gemacht werden können. Es wird nicht verlangt, dass der Buchungsstoff zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. zum Ende des Jahres) lesbar gemacht wird. Er muss ganz oder teilweise lesbar gemacht werden, wenn die Finanzbehörde es verlangt (§ 147 Abs. 5 AO). Wer seine Bücher oder sonst erforderlichen Aufzeichnungen auf maschinell lesbaren Datenträgern führt, hat die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme – GoBS – zu beachten. Ausführlich hierzu , BStBl 1995 I S. 738.
Die Ordnungsvorschriften gelten auch bei freiwillig geführten Büchern oder Aufzeichnungen.
Tz. 173 Ordnungsvorschriften für die Aufbewahrung von Unterlagen
Die in § 147 AO normierte Aufbewahrungspflicht für Unterlagen ist Bestandteil der Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht, weil erst anhand der aufzubewahrenden Unterlagen die Buchführung auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden kann. Für Kaufleute (§ 1 Abs. 1 HGB) ergibt sich die Aufbewahrungspflicht bereits aus § 257 HGB. § 147 AO regelt im Einzelnen
die geordnet aufzubewahrenden Unterlagen,
die Art der Aufbewahrung,
die Aufbewahrungsfristen,
den Beginn der Aufbewahrungsfrist,
die Lesbarmachung von Bild- und Datenträgern,
den Datenzugriff der Finanzverwaltung.
Gem. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO hat der Steuerpflichtige seine Bücher und Aufzeichnungen, Inventare, Jahresabschlüsse, Lageberichte, die Eröffnungsbilanz sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen gesondert aufzubewahren. Unter „Büchern” in diesem Sinne sind solche Bücher zu verstehen, die für steuerliche Zwecke geführt werden. Hierzu gehören nicht nur die für das Handelsrecht maßgebenden Handelsbücher, deren Führung über § 140 AO auch zur steuerrechtlichen Pflicht erhoben wird, sondern alle Geschäftsbücher, wie die Grund -, Haupt- und Nebenbücher, aber auch die Anlagekarteien und Bücher, die aufgrund besonderer steuerlicher Vorschriften – wie z. B. Anbauverzeichnis (§ 142 AO), Wareneingangsbuch (§ 143 AO), Warenausgangsbuch (§ 144 AO) – und anderer gesetzlicher Vorschriften – wie z. B. Gebrauchtwarenbücher oder Tagebücher der Handelsmakler (s. im Einzelnen zu § 140 AO, Tz. 166) – zu führen sind. Zu den „Aufzeichnungen” rechnen insbesondere die Anschreibungen, die Steuerpflichtige, die ihren Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, aufgrund gesetzlicher Vorschriften fertigen (z. B. Aufzeichnungen i. S. des § 22 UStG, Verzeichnisses über die Wirtschaftsgüter des nicht abnutzbaren Anlagevermögens nach § 4 Abs. 3 Satz 5 EStG). Unter die in § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO ebenfalls aufgeführten Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen fallen sämtliche zum Verständnis der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen erforderlichen ergänzenden Unterlagen (z. B. Kontenpläne und Abkürzungsverzeichnisse). Ihnen kommt bei DV-gestützten Buchführungen besondere Bedeutung zu. Die Dokumentation hat nach Maßgabe der Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme – GoBS – (, BStBl 1995 I S. 738) zu erfolgen. Unter die Arbeitsanweisungen und Organisationsunterlagen fallen dabei auch die jeweiligen Programm- und Systemdokumentationen. Hierzu gehören z. B. Ablaufdiagramme, Blockdiagramme und ähnliche Organisationsbeschreibungen. Die Kenntnis dieser Unterlagen ist Voraussetzung für die Überprüfung der Buchführung.
Nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO sind die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe und die Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe vom Steuerpflichtigen aufzubewahren. Aufbewahrungspflichtig sind danach die Ein- und Ausgangrechnungen. Als aufbewahrungspflichtige Unterlagen gehören die Ein- und Ausgangrechnungen zudem zu jenen Urkunden, die der Steuerpflichtige im Rahmen der Außenprüfung vorzulegen hat. Diese Vorlegungspflicht gem. § 200 Abs. 1 Satz 2 AO korrespondiert mit der steuerlichen Aufbewahrungspflicht.
Die Art der Aufbewahrung (Original, Wiedergabe auf Bild- oder anderen Datenträgern) ist in § 147 Abs. 2 AO geregelt. Der Gesetzgeber hat hier zur Archivierung von Unterlagen auf digitalen Datenträgern bewusst keine besondere Technik vorgeschrieben. Mit Ausnahme insbesondere der Jahresabschlüsse und der Eröffnungsbilanz ist damit die Speicherung/Archivierung der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen auf Bildträgern oder anderen Datenträgern zulässig. Anstatt einer Aufbewahrung im Original ist die Aufbewahrung als Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf einem anderen Datenträger erlaubt, wenn dies den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht und sichergestellt ist, dass die Wiedergabe oder die Daten bei Lesbarmachung mit den Originaldokumenten bildlich übereinstimmen (§ 147 Abs. 2 Nr. 1 AO) und wenn sie während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar sind, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können (§147 Abs. 2 Nr. 2 AO). Bildträger sind z. B. Fotokopien, Mikrofilme. Als andere Datenträger kommen z. B. Magnetbänder, Magnetplatten, Disketten in Betracht.
Auch das sog. COM-Verfahren (Computer Output Microfilm) ist möglich. Bei diesem Verfahren werden die Daten aus dem Computer direkt auf Mikrofilm ausgegeben. Bei der Aufzeichnung von Schriftgut auf Mikrofilm sind die Mikrofilm-Grundsätze (, BStBl 1984 I S. 155) zu beachten. Die Mikrofilm-Grundsätze gelten nur für die herkömmliche Schriftgutverfilmung und nicht für andere Aufzeichnungs- und Speicherverfahren (z. B. EDV). Deshalb finden sie auch keine unmittelbare Anwendung auf das COM-Verfahren, da eine Verfilmung eines Originals, von der die Mikrofilm-Grundsätze ausgehen, bei diesem Verfahren nicht stattfindet.
§147 Abs. 2 Nr. 2 AO enthält das Erfordernis der maschinellen Auswertbarkeit. Unter dem Begriff „maschinelle Auswertbarkeit” versteht die Finanzverwaltung den wahlfreien Zugriff auf alle gespeicherten Daten einschließlich der Stammdaten und Verknüpfungen mit Sortier- und Filterfunktionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Mangels wahlfreier Zugriffsmöglichkeit akzeptiert die Finanzverwaltung daher keine Reports oder Druckdateien, die vom Unternehmen ausgewählte („vorgefilterte”) Datenfelder und -sätze aufführen, jedoch nicht mehr alle steuerlich relevanten Daten enthalten. Gleiches gilt für archivierte Daten, bei denen z. B. während des Archivierungsvorgangs eine „Verdichtung” unter Verlust vorgeblich steuerlich nicht relevanter, originär aber vorhanden gewesener Daten stattgefunden hat. Das Erfordernis der maschinellen Auswertbarkeit steht jedoch der Zulässigkeit der Aufbewahrung von ursprünglich in Papierform erstellten Rechnungen in Form von Bilddateien im pdf- oder tif-Format nicht entgegen. Zwar mögen derartige graphische Dateien zur Weiterverarbeitung in DV-gestützten Buchführungssystemen grds. nicht geeignet sein. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass auch die in Papierform erstellten Originale der Rechnungen nicht zur maschinellen Weiterverarbeitung geeignet sind und § 147 Abs. 2 Nr. 2 AO den Steuerpflichtigen nicht verpflichten soll, bei der Archivierung auf einen Datenträger eine höhere Datenverarbeitungsfähigkeit herzustellen, als sie dem Original anhaftet. Nicht digitalisierte Belege dürfen deshalb auch in Ansehung von § 147 Abs. 2 Nr. 2 AO in graphischen Formaten gespeichert werden.
Nach § 147 Abs. 3AO beträgt die Aufbewahrungsfrist zehn Jahre für
Bücher und Aufzeichnungen, Inventare, Jahresabschlüsse, Lageberichte, die Eröffnungsbilanz sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen,
Buchungsbelege,
Unterlagen, die einer mit Mitteln der Datenverarbeitung abgegebenen Zollanmeldung nach Art. 77 Abs. 1 i. V. mit Art. 62 Abs. 2 Zollkodex beizufügen sind, sofern die Zollbehörden nach Art. 77 Abs. 2 Satz 1 Zollkodex auf ihre Vorlage verzichtet oder sie nach erfolgter Vorlage zurückgegeben haben,
und sechs Jahre für die
empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe,
Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe und
sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind,
sofern nicht in anderen Steuergesetzen kürzere Aufbewahrungsfristen zugelassen sind. Kürzere Aufbewahrungsfristen nach außersteuerlichen Gesetzen lassen die in § 147 Abs. 3 Satz 1 AO bestimmte Frist unberührt. Haben Rechnungen usw. Buchfunktion, z. B. bei der Offene-Posten-Buchhaltung, sind sie so lange wie Bücher aufzubewahren (§ 146 Abs. 5 i. V. mit § 147 Abs. 3 AO). Eine Aufbewahrung der Registrierkassenstreifen, Kassenzettel, Bons und dergleichen ist im Einzelfall jedoch nicht erforderlich, wenn der Zweck der Aufbewahrung in anderer Weise gesichert und die Gewähr der Vollständigkeit der von Registrierkassenstreifen usw. übertragenen Aufzeichnungen nach den tatsächlichen Verhältnissen gegeben ist (vgl. , BStBl 1966 III S. 371). Zum Verzicht auf die Aufbewahrung von Kassenstreifen bei Einsatz von Registrierkassen s. , BStBl 1966 I S. 34.
Um zu verhindern, dass die Aufbewahrungspflicht entfällt, solange die Aufbewahrung noch steuerlich bedeutsam ist, ist eine Ablaufhemmung vorgesehen, nach der die Aufbewahrungsfrist nicht abläuft, soweit und solange die Unterlagen für Steuern von Bedeutung sind, für welche die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Dies gilt allerdings nicht für die verlängerten Festsetzungsfristen nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bei Steuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung.
Die Lesbarmachung von in nicht lesbarer Form aufbewahrten Unterlagen richtet sich nach § 147 Abs. 5 AO. Der Verzicht auf einen herkömmlichen Beleg darf die Möglichkeiten der Prüfung des betreffenden Buchungsvorgangs in formeller und sachlicher Hinsicht nicht beeinträchtigen. Dem Steuerpflichtigen werden daher bestimmte Hilfspflichten auferlegt, wenn er seine Unterlagen in nicht ohne Hilfsmittel lesbarer Form aufbewahrt. So begründet die Aufbewahrung auf einem Bildträger oder anderen Datenträgern die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, auf seine Kosten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um die Unterlagen lesbar zu machen. Hiermit wird die allgemeine Vorlegungspflicht nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO für auf Datenträgern gespeicherte Unterlagen dahingehend konkretisiert, dass die Vorlegung in Form der Lesbarmachung auf der beim Steuerpflichtigen hierfür vorhandenen technischen Einrichtung zu geschehen hat. Bei Speicherung von vorlegungspflichtigen Belegen in Form graphischer Dateien auf Festplatten, CD-ROM oder sonstigen Speichermedien hat die Lesbarmachung in der Weise zu erfolgen, dass der Steuerpflichtige dem Prüfer die bei ihm vorhandene Hard- und Software zur Verfügung stellt, damit dieser die gespeicherten Abbildungen der Belege unmittelbar am Bildschirm einsehen kann.
§ 147 Abs. 6 AO räumt der Finanzbehörde das Recht ein, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellte Buchführung des Steuerpflichtigen durch Datenzugriff zu prüfen. Diese neue Prüfungsmethode tritt neben die Möglichkeit der herkömmlichen Prüfung. Das Recht auf Datenzugriff steht der Finanzbehörde nur im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen zu. Der Steuerpflichtige hat hieran gem. § 200 Abs. 1 Satz 2 AO unterstützend mitzuwirken. Durch die Regelungen zum Datenzugriff wird der sachliche Umfang der Außenprüfung (§ 194 AO) nicht erweitert; er wird durch die Prüfungsanordnung (§ 196 AO, § 5 BpO) bestimmt. Gegenstand der Prüfung sind wie bisher nur die nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Doch sind die Prüfungsmethoden den modernen Buchführungstechniken anzupassen. Dies gilt umso mehr, als in zunehmendem Maße der Geschäftsverkehr papierlos abgewickelt wird und der Vorsteuerabzug aus elektronischen Abrechnungen mit qualifizierter elektronischer Signatur und Anbieter-Akkreditierung nach dem Signaturgesetz möglich ist. Die Einführung dieser neuen Prüfungsmethode ermöglicht zugleich rationellere und zeitnähere Außenprüfungen.
Der Datenzugriff erstreckt sich auf die Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO. Die Daten der Finanzbuchhaltung, der Anlagenbuchhaltung und der Lohnbuchhaltung sind danach für den Datenzugriff zur Verfügung zu halten. Der Steuerpflichtige ist nicht berechtigt, gegenüber der Außenprüfung bestimmte Einzelkonten (z. B. Drohverlustrückstellungen, nicht abziehbare Betriebsausgaben, organschaftliche Steuerumlagen) zu sperren, die aus seiner Sicht nur das handelsrechtliche Ergebnis, nicht aber die steuerliche Bemessungsgrundlage beeinflusst haben (vgl. , BStBl 2008 II S. 415).
Die Anwendung des Datenzugriffs der Finanzbehörden wird durch die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) (, BStBl 2001 I S. 415) geregelt.
Verstöße gegen die Aufbewahrungspflicht sind zugleich Verstöße gegen die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Wegen der Rechtsfolgen vgl. Nr. 1 AEAO zu § 146 (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 147).
Tz. 174 Bewilligung von Erleichterungen
Die Finanzbehörden können widerruflich für einzelne Fälle oder für bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen bewilligen, wenn die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird. Die Erleichterungen sind auf die durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungserleichterungen beschränkt. Der Umfang der von der Finanzbehörde zu bewilligenden Erleichterungen bei der Erfüllung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungspflichten richtet sich danach, welche Maßnahme im Einzelfall zur Vermeidung von Härten erforderlich ist. Dazu kann auch die vorübergehende Befreiung von der Buchführungspflicht gehören, z. B. wenn die Überschreitung der Gewinngrenze oder Umsatzgrenze, die die Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 4 AO auslöst, durch einen außergewöhnlichen und einmaligen Geschäftsvorfall, z. B. die Veräußerung von Grund und Boden als Bauland oder die Zahlung einer einmaligen Entschädigungsleistung, ausgelöst wird. Die Überschreitung der in § 141 AO festgelegten Grenzen von Umsatz und Gewinn zeigt im Allgemeinen an, dass der Betrieb auf Dauer oder doch für längere Zeit eine Größe und damit eine Ertragskraft hat, die es nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lässt, auch weiterhin den Gewinn nach einer vereinfachten Methode, insbesondere nach Durchschnittsätzen gem. § 13a EStG zu ermitteln. Diese Aussagekraft hat indes die einmalige Überschreitung der Umsatz- und/oder der Gewinngrenze nicht, wenn sie durch einen außergewöhnlichen und einmaligen Geschäftsvorfall ausgelöst wird. In Fällen dieser Art kann die Zielsetzung des § 148 AO, Härten zu vermeiden, nur verwirklicht werden, wenn Befreiung von der Buchführungspflicht insgesamt gewährt wird. Davon geht auch die Finanzverwaltung aus, wenn sie in Tz. 2.4 des (BStBl 1981 I S. 878) und der entsprechenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder in Fällen dieser Art die (gänzliche) Befreiung von der Buchführungspflicht vorsieht (vgl. , BStBl 1988 II S. 20).
Persönliche Gründe, wie Alter und Krankheit des Steuerpflichtigen, rechtfertigen regelmäßig keine Erleichterungen (vgl. , BStBl III S. 253).
Eine Bewilligung soll nur ausgesprochen werden, wenn der Steuerpflichtige sie beantragt. Die Entscheidung über einen Antrag nach § 148 AO ist eine Ermessensentscheidung.
III. Steuererklärungen
Tz. 175 Abgabe der Steuererklärungen
Wer zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, bestimmt sich grds. nach den Steuergesetzen (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO); s. hierzu z. B. § 25 Abs. 3 EStG i. V. mit § 56 EStDV, § 31 Abs. 1 KStG, § 18 Abs. 1 und 3 UStG, § 14a GewStG und § 181 Abs. 2 AO.
Für handlungsunfähige Personen haben deren gesetzliche Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO), in Fällen einer Gesamtrechtsnachfolge die Gesamtrechtsnachfolger (§ 45 Abs. 1 AO) die Steuererklärungspflicht zu erfüllen. Eine noch ausstehende Erklärung für die gesonderte und ggf. einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen befreit nicht von der Verpflichtung, eine Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuererklärung abgeben zu müssen.
Zur Abgabe einer Steuererklärung ist auch verpflichtet, wer hierzu von der Finanzbehörde aufgefordert wird (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO). Eine derartige Aufforderung kann in Betracht kommen, wenn unklar ist, ob eine Steuerpflicht besteht.
Soweit die Steuergesetze nichts anderes bestimmen, gilt nach § 149 Abs. 2 AO für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen (z. B. Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuererklärung, Umsatzsteuerjahreserklärung) grds. eine fünfmonatige Frist für die Abgabe der Steuererklärung. Die Finanzbehörden können diese Frist verlängern (§ 109 AO), unabhängig davon, ob die Steuererklärung kraft gesetzlicher Verpflichtung oder aufgrund einer Aufforderung durch die Finanzbehörde einzureichen ist. Für von Angehörigen der steuerberatenden Berufe angefertigte Steuererklärungen werden die Fristen durch Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder (zuletzt: Erlasse v. - S 0320 NWB EAAAD-02671) grds. bis zum Ende des Folgejahres allgemein verlängert. Ein Anspruch darauf, diese allgemeine Fristverlängerung auch auf die eigenen Steuererklärungen der Angehörigen der steuerberatenden Berufe zu erstrecken, besteht nicht (, BStBl 2003 II S. 550).
Eine vorzeitige Anforderung der Steuererklärungen auf einen Zeitpunkt vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Steuererklärungsfrist ist nicht zulässig.
Die Erfüllung einer gesetzlichen oder durch behördliche Anordnung bewirkten Steuererklärungspflicht kann die Finanzbehörde erforderlichenfalls durch Androhung und, wenn nötig, Festsetzung von Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) durchsetzen. Bei Nichtabgabe einer Steuererklärung können die Besteuerungsgrundlagen ggf. geschätzt werden (§ 162 AO). Die Schätzung befreit dann aber nicht von der Verpflichtung, die Steuererklärung abzugeben (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO). Wird eine Steuererklärung, zu deren Abgabe eine Verpflichtung besteht, nicht oder verspätet abgegeben, kann die Finanzbehörde einen Verspätungszuschlag (§ 152 AO) festsetzen. Ferner kann die unterlassene oder verspätete Abgabe einer Steuererklärung den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) erfüllen.
Tz. 176 Form und Inhalt der Steuererklärungen
Die Steuererklärungen sind nach (nicht: „auf”) amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben, soweit nicht eine mündliche Steuererklärung zugelassen ist (§ 150 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Verwendung eines privat hergestellten Vordrucks ist zulässig, wenn dieser dem amtlichen Vordruck voll entspricht; s. hierzu auch , BStBl 1999 I S. 1049, zuletzt geändert durch , BStBl 2003 I S. 160. Es ist unschädlich, wenn der nichtamtliche Steuererklärungsvordruck nur einseitig bedruckt wird (, BStBl 2007 II S. 2). Ein Rechtsanspruch auf kostenlose Übersendung der amtlichen Steuererklärungsvordrucke besteht nicht.
Mündlich abgegeben werden können z. B. Zollanmeldungen (Art. 61 Buchst. c Zollkodex).
Die Steuererklärungen können den Finanzbehörden elektronisch übermittelt werden, soweit dies gesetzlich oder durch die Steuerdaten-Übermittlungsverordnung zugelassen ist (§ 150 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 87a AO). Ferner kann eine gesetzliche Verpflichtung bestehen, Steuererklärungen auf elektronischem Weg abzugeben. Eine derartige Verpflichtung besteht z. B. für die Lohnsteuer-Anmeldungen (§ 41a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG) und die Umsatzsteuer-Voranmeldungen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). – Für Veranlagungszeiträume ab 2011 werden durch das Steuerbürokratieabbaugesetz v. (BGBl 2008 I S. 2850) Unternehmen weitergehende Verpflichtungen zur elektronischen Übermittlung von Steuererklärungen auferlegt.
Steuererklärungen dürfen nur dann durch Telefax übermittelt werden, wenn sie nicht vom Steuerpflichtigen eigenhändig zu unterschreiben sind (, BStBl 2003 I S. 74).
Soweit dies gesetzlich bestimmt ist (z. B. in § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 UStG), hat der Steuerpflichtige in der Steuererklärung die Steuer selbst zu berechnen. Es handelt sich dann um eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3, §§ 167, 168 AO).
Die Steuererklärungen sind wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen, unabhängig davon, ob dies in der Erklärung besonders zu versichern ist oder nicht. Die Fragen in der Steuererklärung sind in deutscher Sprache zu beantworten (§ 87 Abs. 1 AO).
§ 150 AO schreibt nicht vor, ob und von wem eine Steuererklärung zu unterzeichnen ist.
§ 150 Abs. 3 AO bestimmt lediglich, dass dann, wenn die Steuergesetze die eigenhändige Unterzeichnung anordnen (z. B. § 25 Abs. 3 Satz 4 und 5 EStG, § 18 Abs. 3 Satz 3 UStG), eine Vertretung bei der Unterschriftleistung nur zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist. Die Finanzbehörde kann die eigenhändige Unterschrift nachträglich verlangen, wenn der Hinderungsgrund entfallen ist. Es handelt sich hier um eine abschließende Regelung (, BStBl 2000 II S. 573). Trotz einer längeren Abwesenheit kann eine Vertretung bei der Unterschriftleistung ausgeschlossen sein, wenn der Steuerpflichtige ohne Schwierigkeit postalisch erreichbar ist und ihm die Nutzung der postalischen Verbindung zugemutet werden kann (, BStBl 2001 II S. 629). Kehrt ein ausländischer Arbeitnehmer auf Dauer in sein Heimatland zurück, ist eine Unterzeichnung der Steuererklärung durch einen Bevollmächtigten zulässig; die Bevollmächtigung muss aber offen gelegt werden (, BStBl 2002 II S. 455).
Nach § 150 Abs. 4 AO sind den Steuererklärungen die Unterlagen beizufügen, die nach den Steuergesetzen vorzulegen sind. Beigefügt werden müssen z. B. Abschriften der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die Einnahmenüberschussrechnungen (§ 60 EStDV).
Tz. 177 Aufnahme der Steuererklärung an Amtsstelle
§ 151 AO gestattet es ausnahmsweise, Steuererklärungen, die schriftlich einzureichen sind, bei der zuständigen Finanzbehörde zu Protokoll zu erklären, wenn die Schriftform dem Steuerpflichtigen nicht zugemutet werden kann, insbesondere wenn er nicht in der Lage ist, eine gesetzlich vorgeschriebene Selbstberechnung der Steuer (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) vorzunehmen oder durch einen Dritten vornehmen zu lassen.
Maßgebend sind die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Eine Aufnahme der Steuererklärung an Amtsstelle kommt daher z. B. in Betracht, wenn der Steuerpflichtige geschäftlich unerfahrenen ist oder die deutsche Sprache nicht beherrscht und auch nicht in der Lage ist, die Hilfe eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe in Anspruch zu nehmen. Eine fehlende Handlungsfähigkeit (§ 79 AO) ist kein Grund für eine Aufnahme der Steuererklärung an Amtsstelle. In diesem Fall haben die Personen i. S. des § 34 AO die Steuererklärungspflicht zu erfüllen ( NWB RAAAB-06040).
Tz. 178 Verspätungszuschlag
§152 AO
Ist jemand gesetzlich oder aufgrund besonderer Aufforderung durch die Finanzbehörde zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet und kommt er dieser Verpflichtung nicht oder verspätet nach, kann die Finanzbehörde gegen ihn einen Verspätungszuschlag festsetzen (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Verspätungszuschlag ist ein sowohl repressives als auch präventives Druckmittel eigener Art, das den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und somit auch die rechtzeitige Festsetzung und Erhebung der Steuer sicherstellen soll (, BStBl 2002 II S. 679).
Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Satz 2 AO). Nicht aus den Steuerakten ersichtliche Entschuldigungsgründe hat der Steuerpflichtige darzulegen. Die Versäumnis ist regelmäßig nicht entschuldbar, wenn eine Steuererklärung wiederholt nicht oder nicht fristgerecht abgegeben oder eine von der Finanzbehörde antragsgemäß bewilligte Fristverlängerung nicht eingehalten wurde.
Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO) oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Erklärungspflichtigen zuzurechnen (§ 152 Abs. 1 Satz 3 AO). Erfüllungsgehilfe ist z. B. ein mit der Erstellung der Steuererklärung beauftragter Steuerberater. Dessen Arbeitsüberlastung ist grds. kein Entschuldigungsgrund.
Ein Verspätungszuschlag kann auch festgesetzt werden, wenn eine Steuererklärung nicht formgerecht eingereicht wurde, insbesondere wenn sie entgegen gesetzlicher Verpflichtung (z. B. § 41a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG, § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) in „Papierform” und nicht elektronisch übermittelt wurde und die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen nicht von seiner Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung befreit hat. Die „Papiererklärung” ist in diesen Fällen unwirksam. Ein Verspätungszuschlag darf dagegen nicht festgesetzt werden, wenn den Steuererklärungen nicht die Unterlagen beigefügt werden, die nach den Steuergesetzen vorzulegen sind (§ 150 Abs. 4 AO). Die Finanzbehörde kann aber zur Durchsetzung der Vorlagepflicht Zwangsmaßnahmen nach den §§ 328 ff. AO ergreifen.
Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO). Vorab hat aber die Finanzbehörde zu prüfen, ob eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, ob die Frist für die Abgabe der Steuererklärung überschritten wurde und ob eine Fristversäumnis entschuldbar erscheint. Wird die erste und die zweite Frage bejaht und die dritte Frage verneint, hat die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen darüber zu befinden, ob und in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird. Die Finanzbehörde hat hierbei nicht nur den Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, sondern auch die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen (§ 152 Abs. 2 Satz 2 AO). Bei der Ermessensausübung sind alle diese Kriterien zu beachten; das Für und Wider dieser Kriterien ist gegeneinander abzuwägen (, BStBl 2001 II S. 60). S. hierzu auch Nr. 7 AEAO zu § 152.
Ein Verspätungszuschlag darf auch dann festgesetzt werden, wenn die Finanzbehörde die verspätet abgegebene Steuererklärung nicht sofort nach deren Eingang bearbeitet hat (, BStBl 2002 II S. 679). Auch die erfolgte Androhung eines Zwangsgelds (§§ 328 ff. AO) schließt die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nicht aus ( NWB HAAAC-50126).
Der Verspätungszuschlag darf 10 % der festgesetzten Steuer oder des festgesetzten Messbetrags nicht übersteigen und höchstens 25.000 € betragen (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO). Ein Verspätungszuschlag in Höhe von mehr als 5.000 € ist nur festzusetzen, wenn mit einem Verspätungszuschlag in Höhe von bis zu 5.000 € ein durch die verspätete Abgabe der Steuererklärung für den Steuerpflichtigen entstandener Zinsvorteil nicht ausreichend abgeschöpft werden kann (Nr. 6 AEAO zu § 152).
Die Finanzbehörde kann einen Verspätungszuschlag auch dann festsetzen, wenn eine Erklärung für gesondert (und ggf. einheitlich) festzustellende Besteuerungsgrundlagen nicht oder nicht fristgerecht abgegeben worden ist. In diesen Fällen sind für die Anwendung der Regelungen über die 10-%-Grenze und den absoluten Höchstbetrag (25.000 €) die steuerlichen Auswirkungen zu schätzen (§ 152 Abs. 4 AO). Hierbei gelten die Grundsätze, die die Rechtsprechung zum Streitwert eines gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens entwickelt hat. Somit sind z. B. bei der verspäteten oder unterlassenen Abgabe einer Erklärung für gesondert und einheitlich festzustellende Einkünfte die steuerlichen Verhältnisse grds. mit 25 % des Gewinns bzw. Verlustes anzunehmen; der Ansatz eines höheren Prozentsatzes kommt aber in Betracht, wenn ohne besondere Ermittlungen erkennbar ist, dass der Pauschalsatz von 25 % den tatsächlichen einkommensteuerlichen Auswirkungen nicht gerecht wird (, BStBl 2007 II S. 54).
Der Verspätungszuschlag ist regelmäßig mit der Steuer oder dem Steuermessbetrag festzusetzen (§ 152 Abs. 3 AO). Auch wenn die Festsetzung des Verspätungszuschlags „auf einem Papier” mit dem Steuerbescheid verbunden wird, handelt es sich um einen eigenen, auch selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt. Die gesonderte Festsetzung eines Verspätungszuschlags kommt insbesondere in Betracht, wenn eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3, §§ 167, 168 AO) verspätet abgegeben wurde. Ein Verspätungszuschlag kann auch vor Erlass des Steuerbescheids festgesetzt werden; der zeitliche Zusammenhang zwischen der Steuerfestsetzung und der Festsetzung des Verspätungszuschlags muss aber gewahrt bleiben. Ein Verspätungszuschlag kann auch noch innerhalb eines Jahrs nach Erlass des Steuerbescheids festgesetzt werden (, BStBl 2002 II S. 124).
Der Verspätungszuschlag ist gegen den zur Abgabe der Steuererklärung Verpflichteten festzusetzen. Dies gilt auch, wenn die Steuererklärung von einem gesetzlichen Vertreter oder einer sonstigen Person i. S. der §§ 34, 35 AO abzugeben ist (, BStBl 1991 II S. 675). In Ausnahmefällen kommt aber eine Festsetzung gegen den Vertreter in Betracht, z. B. wenn zu erwarten ist, dass der Verspätungszuschlag bei ihm leichter beizutreiben ist. In den Fällen einer Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer kann der Verspätungszuschlag gegen beide Ehegatten als Gesamtschuldner festgesetzt werden, auch dann, wenn ein Ehepartner keine Einkünfte erzielt hat (, BStBl 2001 II S. 60).
Wird die Steuer herabgesetzt, hat die Finanzbehörde zu prüfen, ob auch ein festgesetzter Verspätungszuschlag herabzusetzen ist. Durch die Herabsetzung der Steuerschuld haben sich die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Gesichtspunkte verändert. Ferner kann die Minderung der festgesetzten Steuer zur Folge haben, dass nunmehr die 10-%-Grenze überschritten wird (, BStBl 1979 II S. 641).
Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist mit dem Einspruch anfechtbar (§ 347 AO). Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Einspruchsführers ist dann ggf. eine neue Ermessensentscheidung zu treffen.
Von der durch § 152 Abs. 5 AO eingeräumten Ermächtigung, mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften zum Verspätungszuschlag zu erlassen, hat das BMF bisher keinen Gebrauch gemacht. Anweisungen an die Finanzbehörden enthält aber der AEAO zu § 152.
Tz. 179 Berichtigung von Erklärungen
Steuererklärungen sind wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet daher konsequenterweise zu einer Richtigstellung, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.
Berichtigt werden müssen aber nicht nur Steuererklärungen (§§ 149, 150 AO), sondern alle Erklärungen des Steuerpflichtigen, die Einfluss auf die Festsetzung oder Erhebung einer Steuer haben, wie z. B. Änderungsanträge nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und Anträge auf Herabsetzung von Vorauszahlungen. Es besteht aber keine Verpflichtung, unaufgefordert auf eine Erhöhung festgesetzter Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen hinzuwirken, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen verbessert haben.
Zur Berichtigung verpflichtet ist der Steuerpflichtige, ggf. dessen Gesamtrechtsnachfolger (§ 45 Abs. 1 AO). Für handlungsunfähige Personen (§ 79 AO) müssen die für sie handelnden Personen i. S. der §§ 34, 35 AO die Berichtigungsanzeige erstatten (§ 153 Abs. 1 Satz 2 AO). Ist in Fällen einer Zusammenveranlagung die Einkommensteuererklärung fehlerhaft, trifft denjenigen Ehegatten die Berichtigungspflicht, dem die unrichtig oder unvollständig erklärten Besteuerungsgrundlagen zuzurechnen sind. Erkennt ein Steuerpflichtiger, dass eine von seinem Bevollmächtigten (z. B. Steuerberater) der Finanzbehörde zugeleitete Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist, ist der Steuerpflichtige, nicht der Bevollmächtigte zur Berichtigung verpflichtet.
Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit muss vom Steuerpflichtigen nach Abgabe der Erklärung erkannt worden sein. § 153 AO ist daher nicht anwendbar, wenn dem Steuerpflichtige bereits bei Abgabe seiner Erklärung deren Fehlerhaftigkeit bewusst war. Er hat dann möglicherweise mit der Abgabe dieser Erklärung eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) begangen. Der Steuerpflichtige muss die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seiner Erklärung tatsächlich erkannt haben. „Erkennenmüssen” oder „Erkennenkönnen” reicht nicht aus.
Auf Fehler, die der Finanzbehörde bei der Bearbeitung der Erklärung unterlaufen sind, muss der Steuerpflichtige nicht hinweisen.
Eine Anzeigepflicht besteht, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen (§ 153 Abs. 2 AO), z. B. wenn Bindungsfristen (z. B. nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 2007) nicht eingehalten werden.
Weitere Berichtigungs- bzw. Anzeigepflichten bestehen, wenn eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern (s. hierzu Tz. 194) zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen Höhe entrichtet worden ist (§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) oder wenn Waren, für die eine Steuervergünstigung unter einer Bedingung gewährt worden ist, in einer Weise verwendet werden sollen, die der Bedingung nicht entspricht.
Berichtigungsanzeigen sind an die sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde zu richten (, BStBl 2008 II S. 595).
Soweit die einzelnen Steuergesetze besondere Anzeigepflichten vorsehen (z. B. § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG und § 29 EStDV), sind diese vorrangig gegenüber § 153 AO.
IV. Kontenwahrheit
Tz. 180 Verbot falscher oder fingierter Konten
Durch die Regelung über die sog. Kontenwahrheit in § 154 AO soll verhindert werden, dass die Überprüfung steuerrelevanter Verhältnisse erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird.
§ 154 Abs. 1 AO verbietet ausnahmslos die Einrichtung eines Kontos, die Vornahme von Buchungen, die Verwahrung oder Verpfändung von Wertsachen und die Einrichtung eines Schließfaches unter falschem oder fingiertem Namen. Die Verwendung eines Künstlernamens ist zulässig, wenn die Identität zweifelsfrei feststeht. § 154 Abs. 1 AO verbietet nicht, Konten auf den Namen Dritter zu errichten. Dabei ist die Existenz des Dritten selbstverständlich nachzuweisen (Ander- oder Fremdkonten). Der ausdrücklichen Zustimmung des Dritten bedarf es nicht.
Das Verbot richtet sich primär an denjenigen, der als Kunde bei einem anderen ein Konto errichten lassen will oder Buchungen vornehmen lässt. Umstritten ist, ob sich das Verbot auch gegen den Kontoführer etc. und seine Mitarbeiter richtet; ein Verstoß gegen § 154 Abs. 1 AO ist in diesem Fall nur dann anzunehmen, wenn das Handeln des Kunden unter falschem oder erdichteten Namen bekannt war oder hätte erkannt werden müssen. Ein Verstoß gegen § 154 Abs. 1 AO ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 2 AO). Wurde gegen dieses Verbot verstoßen, dürfen Guthaben, Wertsachen und der Inhalt eines Schließfachs nur mit Zustimmung des für die Einkommen- und Körperschaftsteuer des Verfügungsberechtigten zuständigen Finanzamts herausgegeben werden (§ 154 Abs. 3 AO).
Wer rein betriebsinterne Konten (z. B. in seiner Buchhaltung) unter falschem oder erdichteten Namen führt, verstößt zwar nicht gegen § 154 Abs. 1 AO, wohl aber gegen § 146 Abs. 1 AO
Tz. 181 Legitimationsprüfung und Auskunftsbereitschaft
Jeder, der für einen anderen Konten führt, Wertsachen verwahrt oder von ihm als Pfand nimmt oder ihm ein Schließfach überlässt, hat sich zuvor Gewissheit über die Person des Verfügungsberechtigten zu verschaffen. Dies gilt nicht nur für Kreditinstitute, sondern auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr und für Privatpersonen. Die Abwicklung von Geschäftsvorfällen über sog. CpD-Konten ist verboten, wenn der Name des Beteiligten bekannt ist oder unschwer ermittelt werden kann und für ihn bereits ein entsprechendes Konto geführt wird (Nr. 3 AEAO zu § 154). Betriebsinterne Konten unterliegen nicht der Legimationsprüfung.
Verfügungsberechtigter sind sowohl der Gläubiger der Forderung und seine gesetzlichen Vertreter als auch derjenige, der kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäfts zur Verfügung über das Konto berechtigt ist (Kontovollmacht). Personen, die aufgrund Gesetzes oder Rechtsgeschäfts zur Verfügung berechtigt sind, ohne dass diese Berechtigung dem Kontoführer mitgeteilt worden ist, gelten nach Nr. 7 AEAO zu § 154 insoweit nicht als Verfügungsberechtigte.
Gewissheit über die Person besteht im Allgemeinen nur, wenn der vollständige Name, das Geburtsdatum und der Wohnsitz durch eine amtliche Urkunde (z. B. Personalausweis) nachgewiesen worden sind. Eine vorübergehende Anschrift (Hoteladresse) reicht nicht aus. Bei einer juristischen Person (Körperschaft des öffentlichen Rechts, AG, GmbH usw.) reicht die Bezugnahme auf eine amtliche Veröffentlichung oder ein amtliches Register unter Angabe der Register-Nummer aus. Über § 154 AO hinausgehende Pflichten zur Legitimationsprüfung enthält das Geldwäschegesetz. Künftig dürfte auch die Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer (§ 139b AO) gefordert werden.
Wird ein Konto auf den Namen eines verfügungsberechtigten Dritten errichtet, müssen die Angaben über Person und Anschrift sowohl des Kontoinhabers als auch desjenigen, der das Konto errichtet, festgehalten werden. Steht der Verfügungsberechtigte noch nicht fest (z. B. der unbekannte Erbe), reicht es aus, wenn das Kreditinstitut sich zunächst Gewissheit über die Person und Anschrift des das Konto Errichtenden (z. B. des Nachlasspflegers) verschafft; die Legitimation des Kontoinhabers ist sobald wie möglich nachzuholen (Nr. 4 AEAO zu § 154).
Die zur Legitimation erforderlichen Angaben sind auf dem Kontostammblatt zu machen. Es ist unzulässig, Name und Anschrift des Verfügungsberechtigten lediglich in einer vertraulichen Liste zu führen und das eigentliche Konto nur mit einer Nummer zu kennzeichnen. Die Führung sog. Nummernkonten ist ohnehin verboten.
Der Kontoführer ist zudem verpflichtet, ein besonderes alphabetisch geführtes Namensverzeichnis der Verfügungsberechtigten zu führen, um jederzeit über die Konten und Schließfächer eines Verfügungsberechtigten Auskunft geben zu können. Die Verpflichtung zur Auskunftsbereitschaft besteht noch sechs Jahre nach Beendigung der Geschäftsbeziehung, bei Bevollmächtigten sechs Jahre nach Erlöschen der Vollmacht (Nr. 6 AEAO zu § 154). Eines derartigen Verzeichnisses bedarf es nicht, wenn die Erfüllung der Verpflichtung auf andere Weise sichergestellt werden kann. Angesichts der für das Kontenabrufverfahren nach § 24c KWG und § 93b AO zu führenden Dateien hat diese Verpflichtung nur noch untergeordnete Bedeutung.
Die Verletzung der Verpflichtungen nach § 154 Abs. 2 AO allein führt noch nicht unmittelbar zu einer Haftung oder Ahndung wegen Ordnungswidrigkeit. Es kann sich jedoch um eine Steuergefährdung i. S. des § 379 Abs. 1 Nr. 3 AO handeln, unter Umständen sogar um eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO.
Nach Nr. 7 Abs. 2 AEAO zu § 154 wird von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn in folgenden Fällen auf die Legitimationsprüfung und die Herstellung der Auskunftsbereitschaft verzichtet wird:
bei Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder, wenn die Voraussetzungen für die gesetzliche Vertretung bei Kontoeröffnung durch amtliche Urkunden nachgewiesen werden,
bei Vormundschaften und Pflegschaften einschließlich Amtsvormundschaften und Amtspflegschaften sowie bei rechtlicher Betreuung (§§ 1896 ff. BGB),
bei Parteien kraft Amtes (Konkursverwalter, Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker und ähnliche Personen),
bei Pfandnehmern (insbesondere in Bezug auf Mietkautionskonten, bei denen die Einlage auf einem Konto des Mieters erfolgt und an den Vermieter verpfändet wird),
bei Vollmachten auf den Todesfall (auch nach diesem Ereignis),
bei Vollmachten zur einmaligen Verfügung über ein Konto,
bei Verfügungsbefugnissen im Lastschriftverfahren (Abbuchungsauftragsverfahren und Einzugsermächtigungsverfahren),
bei Vertretung juristischer Personen des öffentlichen Rechts (einschließlich Eigenbetriebe),
bei Vertretung von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen,
bei den als Vertretern eingetragenen Personen, die in öffentlichen Registern (Handelsregister, Vereinsregister) eingetragene Firmen oder Personen vertreten,
bei Vertretung von Unternehmen, sofern schon mindestens fünf Personen, die in öffentliche Register eingetragen sind bzw. bei denen eine Legitimationsprüfung stattgefunden hat, Verfügungsbefugnis haben,
bei vor dem begründeten, noch bestehenden oder bereits erloschenen Befugnissen.
V. Steuerfestsetzung
Tz. 182 Steuerfestsetzung durch Steuerbescheid
§ 155 Abs. 1 AO stellt den Grundsatz auf, dass Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt werden. Der Steuerbescheid ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO), der verbindlich festlegt, welche Steuer in welcher Höhe ein bestimmter Steuerpflichtiger schuldet. Maßgebend ist die dem Steuerpflichtigen ordnungsgemäß bekannt gegebene Ausfertigung und nicht die Aktenverfügung der Finanzbehörde (so auch § 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Zu Form und Inhalt eines Steuerbescheids s. § 157 AO.
Auch ein Freistellungsbescheid ist ein Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO). Er regelt, dass nach einer von der Finanzbehörde vorgenommenen Prüfung des Sachverhalts eine namentlich benannte Person eine bestimmte Steuer überhaupt nicht oder für einen bestimmten Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum nicht schuldet ( NWB IAAAC-83986). Freistellungsbescheide sind z. B. Grundlage für die Erstattung einbehaltener Steuerabzugsbeträge nach § 50d EStG.
Vom Freistellungsbescheid zu unterscheiden ist die Freistellungsbescheinigung (z. B. nach § 48b EStG oder § 50d Abs. 2 EStG). Diese ermächtigt einen zum Steuerabzug Verpflichteten, von dem Steuerabzug ganz oder teilweise abzusehen. Die Freistellungsbescheinigung ist zwar Verwaltungsakt, aber kein Steuerbescheid. Gleiches gilt für die Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Nr. 2 EStG.
Die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung (z. B. eines nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gestellten Antrags auf Veranlagung zur Einkommensteuer) steht zwar verfahrensrechtlich einem Steuerbescheid gleich (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO). Sie stellt aber nur fest, dass die formellen Voraussetzungen für eine Steuerfestsetzung nicht erfüllt sind, und trifft keine Aussage zur Steuerpflicht. Die NV-Verfügung ist lediglich eine verwaltungsinterne Entscheidung, eine Veranlagung zu einer Steuer nicht durchzuführen. Sie ist nicht auf eine Rechtswirkung nach außen gerichtet und daher kein Verwaltungsakt (§ 118 AO). Sie kann aber als Ablehnung eines Antrags auf Veranlagung anzusehen sein, wenn sie dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wird.
Auch ein Bescheid, der einen anderen Steuerbescheid aufhebt, ist kein Freistellungsbescheid.
Steuervergütungsbescheide sind den Steuerbescheiden gleichgestellt (§ 155 Abs. 4 AO). Steuervergütungsbescheide sind z. B. die Bescheide über eine Vorsteuer-Vergütung nach § 18 Abs. 9 UStG i. V. mit den §§ 59–61 UStDV und die Bescheide über die Festsetzung eines Kindergelds nach den §§ 62 ff. EStG (§ 31 Satz 3 EStG). Gesetze über Prämien und Zulagen sehen vor, dass die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind; s. z. B. § 96 Abs. 1 EStG (Altersvorsorgezulage), § 14 Abs. 2 5. VermBG (Arbeitnehmer-Sparzulage), § 8 Abs. 1 WoPG (Wohnungsbauprämie) und § 13 InvZulG 2007 (Investitionszulage). Die nach diesen Gesetzen ergehenden Festsetzungsbescheide stehen somit ebenfalls Steuerbescheiden gleich. Entsprechendes gilt, wenn die Finanzbehörde einen Antrag auf Festsetzung einer Steuervergütung, Prämie oder Zulage ablehnt.
Den Steuerbescheiden gleich stehen auch Feststellungsbescheide (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO), Zerlegungsbescheide (§ 185 AO), Zuteilungsbescheide (§ 190 Satz 2 AO) und Zinsbescheide (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) ist dagegen kein Steuerbescheid, sondern sonstiger Verwaltungsakt mit der Wirkung eines Grundlagenbescheids. Auch Haftungsbescheide (§ 191 AO) sind keine Steuerbescheide (, BStBl 2005 II S. 122).
Ob ein Steuerbescheid bzw. ein diesem gleichgestellter Verwaltungsakt oder ein sonstiger Verwaltungsakt (vgl. Tz. 150) vorliegt, ist insbesondere für die Frage einer Korrekturmöglichkeit von Bedeutung. Für Steuerbescheide gelten die §§ 172 ff. AO, für die sonstigen Verwaltungsakte die §§ 130 und 131 AO.
Üblicherweise enthalten die Steuerbescheide auch eine Abrechnung über die geleisteten Vorauszahlungen und über die anrechenbaren Steuerabzugsbeträge, ggf. auch ein Leistungsgebot (§ 254 AO) und eine Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen nach § 233a AO. Hierbei handelt sich um nur äußerlich mit dem Steuerbescheid verbundene selbständige Verwaltungsakte.
Schulden mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner, können gegen sie zusammengefasste Steuerbescheide ergehen (§ 155 Abs. 3 Satz 1 AO). Von dieser Möglichkeit können die Finanzämter insbesondere in Fälle der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer (§ 26b EStG) Gebrauch machen sowie dann, wenn gegen mehrere Erben eine in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld festzusetzen ist. Verfahrensrechtlich handelt es sich um mehrere Verwaltungsakte (Steuerbescheide), die nur äußerlich auf einem Formular verbunden werden.
Die Finanzbehörden können zusammengefasste Steuerbescheide mit Verwaltungsakten über steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) oder sonstige Ansprüche, auf die die AO anzuwenden ist, verbinden. Dies gilt auch dann, wenn diese weiteren Verwaltungsakte sich nicht an sämtliche Inhaltsadressaten (Tz. 142) der zusammengefassten Steuerbescheide richten (§ 155 Abs. 3 Satz 2 und 3 AO). Daher kann beispielsweise ein Bescheid über die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer verbunden werden mit der Festsetzung der Kirchensteuer (auch wenn nur ein Ehegatte einer kirchensteuerberechtigten Religionsgemeinschaft angehört), der Festsetzung einer Arbeitnehmer-Sparzulage (auch wenn nur ein Ehegatte zulageberechtigt ist), der Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO sowie der Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO). Auch hier handelt es sich um die Zusammenfassung mehrere Verwaltungsakte auf einem Bescheidformular.
Nach § 155 Abs. 2 AO darf ein Steuerbescheid auch dann erlassen werden, wenn Besteuerungsgrundlagen gesondert festzustellen sind und der Grundlagenbescheid noch aussteht. Die für den Erlass des Steuerbescheids zuständige Finanzbehörde kann die in dem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zunächst schätzen; s. § 162 AO.
Tz. 183 Absehen von Steuerfestsetzung
Steuern sind nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (§ 85 Satz 1 AO). Nach § 156 Abs. 1 AO i. V. mit der Kleinbetragsverordnung unterbleibt aber unter den Voraussetzungen dieser Verordnung die Änderung oder Berichtigung eines Steuerfestsetzung, einer Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags, einer gesonderten Feststellung von Einkünften, einer Festsetzung der Investitions- oder Eigenheimzulage sowie die Rückforderung einer Wohnungsbauprämie. Dies gilt sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Steuerpflichtigen. Unterbleibt die Änderung der Festsetzung einer Hauptsteuer, darf auch die Festsetzung einer Annexsteuer nicht geändert werden. Erstmalige Steuerfestsetzungen werden von der Kleinbetragsverordnung nicht erfasst.
Ferner kann nach § 156 Abs. 2 AO die Festsetzung einer Steuer und einer steuerlichen Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO) unterbleiben, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Festsetzung und der Einziehung außer Verhältnis zu dem festzusetzenden Betrag stehen. Im Gegensatz zur ersten Alternative reicht bei der zweiten Alternative eine Prognose aus.
Die Regelungen der Kleinbetragsverordnung sind von Amts wegen zu beachten. Das auf § 156 Abs. 2 AO gestützte Absehen von einer Steuerfestsetzung ist dagegen eine Ermessensentscheidung.
Durch das Absehen von der Festsetzung bzw. von der Änderung oder Berichtigung einer Festsetzung erlischt nicht der Steueranspruch. Die Festsetzung bzw. ihre Änderung oder Berichtigung kann daher innerhalb der Festsetzungsfrist nachgeholt werden; in den Fällen der Kleinbetragsverordnung aber nur, wenn nunmehr die Kleinbetragsgrenzen überschritten werden.
Die AO und die anderen Steuergesetze enthalten weitere Kleinbetragsregelungen, s. z. B. § 239 Abs. 2 Satz 2 AO und § 37 Abs. 5, § 39a Abs. 5, § 41c Abs. 4 Satz 2, § 42d Abs. 5 EStG. Zur Kleinbetragsregelung für das Erhebungsverfahren s. , BStBl 2001 I S. 242.
§ 156 AO und die Kleinbetragsverordnung regeln nicht die Abrundung von Steuerbeträgen oder von zu erklärenden Besteuerungsgrundlagen. Vorschriften zur Abrundung enthalten z. B. § 238 Abs. 2, § 239 Abs. 2 Satz 1, § 240 Abs. 1 Satz 1 AO und § 36 Abs. 3 EStG.
Tz. 184 Form und Inhalt der Steuerbescheide
Steuerbescheide sowie Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichstehen (Tz. 182), sind schriftlich zu erteilen, soweit nichts anderes bestimmt ist, wie z. B. für Zollbescheide ( NWB QAAAB-54893). Eine Unterschrift oder eine Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten ist i. d. R. nicht erforderlich, da Steuerbescheide im Allgemeinen formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen werden (§ 119 Abs. 3 Satz 2 AO).
Unter den Voraussetzungen des § 87a AO können Steuerbescheide auch elektronisch erlassen werden. Das elektronische Dokument muss dann mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen werden (§ 87a Abs. 4 AO). Von der in § 87a Abs. 6 AO eingeräumten Möglichkeit, durch Rechtsverordnung neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zuzulassen, wurde hinsichtlich der Steuerbescheide bisher kein Gebrauch gemacht.
§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO konkretisiert für Steuerbescheide die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (Tz. 139). Schriftliche Steuerbescheide müssen demnach die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Steuer schuldet und somit Inhaltsadressat (vgl. Tz. 142) des Steuerbescheids ist. Für Feststellungsbescheide (§§ 179 ff. AO) gilt dies sinngemäß. Inhaltsadressat eines Feststellungsbescheids ist demnach derjenige, dem der Gegenstand der Feststellung bei der Besteuerung zuzurechnen ist (, BStBl 2004 II S. 914). Wird gegen § 157 Abs. 1 Satz 2 AO verstoßen oder der Steuerbescheid nicht schriftlich erteilt, ist der Bescheid i. d. R. nichtig.
Zur Begründung eines Steuerbescheids s. § 121 AO.
Schriftlichen Steuerbescheiden ist eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen (§ 157 Abs. 1 Satz 3 AO). Wird die Rechtsbehelfsbelehrung nicht oder fehlerhaft erteilt, hat dies keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids; die Einspruchsfrist wird dann aber nicht in Lauf gesetzt (§ 356 AO).
Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grds. ein mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbarer Teil des Steuerbescheids (§ 157 Abs. 2 AO). Dies gilt nicht, wenn die Besteuerungsgrundlage gesondert (und ggf. einheitlich) festgestellt werden (s. hierzu §§ 179 ff. AO) oder wenn die der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen ausnahmsweise Bindungswirkung für andere Verwaltungsakte entfalten.
Tz. 185 Beweiskraft der Buchführung
§ 158 AO enthält eine gesetzliche Vermutung: Die Buchführung und die Aufzeichnungen, die den Vorschriften der §§ 140–148 AO entsprechen, sind der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Falls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Formell ordnungsmäßig geführte Bücher haben danach die Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit für sich, solange keine Umstände vorliegen, die diese Vermutung erschüttern.
Die Vermutung verliert ihre Wirksamkeit, wenn es nach Verprobung usw. unwahrscheinlich ist, dass das ausgewiesene Ergebnis mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Die Finanzbehörde kann sich hierzu z. B. des inneren und äußeren Betriebsvergleichs bedienen. Kommt sie dabei zu der Überzeugung, dass das in der Buchführung ausgewiesene Ergebnis unmöglich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen kann, ist sie grds. berechtigt, die Buchführung zu verwerfen und die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung (§ 162 AO) zu ermitteln. Die Entkräftung der Vermutung des § 158 AO führt jedoch nicht zu einer Verwerfung des gesamten Buchführungsergebnisses. Dies kommt durch die Verwendung des Worts „soweit” zum Ausdruck. Das Buchführungsergebnis ist nicht zu übernehmen, soweit die Beanstandungen reichen. Eine Vollschätzung an Stelle einer Zuschätzung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Buchführung in wesentlichen Teilen als unbrauchbar erweist (vgl. AEAO zu § 158).
Eine Gewinn- oder Umsatzschätzung darf bei einem formell ordnungsmäßig ermittelten Buchführungsergebnis i. d. R. nicht allein darauf gestützt werden, der erklärte Gewinn oder Umsatz weiche von den Zahlen der amtlichen Richtsatzsammlung ab. Es müssen sonstige Umstände hinzutreten, die die Vermutung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung entkräften (, BStBl 1975 II S. 217). Ein ungeklärter Vermögenszuwachs aus einer Vermögenszuwachsrechnung ergibt bei einer formell und sachlich nicht ordnungsmäßigen Buchführung eine ausreichend sichere Grundlage für die Höhe der Schätzung. Er rechtfertigt auch bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung die Annahme, dass höhere Betriebseinnahmen erzielt und höhere Privatentnahmen getätigt als gebucht wurden. Damit sind ein eigenständiger Schätzungsgrund und ein ausreichend sicherer Anhalt für die Höhe der Zuschätzung gegeben. Dasselbe gilt für einen ungeklärten Ausgabenüberschuss aus einer Geldverkehrsrechnung, und zwar sowohl aus einer Gesamtgeldverkehrsrechnung als auch aus einer Geldverkehrsrechnung nur für den privaten Bereich (vgl. , BStBl 1986 II S. 732, m. w. N.). Ferner können Kassenfehlbeträge Anlass geben, die (baren) Betriebseinnahmen zu schätzen. Dabei geben die Fehlbeträge regelmäßig einen ausreichenden Anhalt für die Schätzung der Höhe nach (vgl. , BStBl 1990 II S. 109).
Auch Verstöße gegen formelle Buchführungsbestimmungen können die Beweiskraft der Buchführung beeinträchtigen, wenn sich daraus Zweifel an ihrer sachlichen Richtigkeit ergeben.
Tz. 186 Nachweis der Treuhänderschaft
Bei Treuhandverhältnissen sind Wirtschaftsgüter dem Treugeber und nicht dem Treuhänder steuerlich zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO). § 159 AO stellt hierzu eine besondere Beweislastregel auf. Derjenige, der behauptet, Treuhänder, Vertreter eines anderen oder Pfandgläubiger zu sein, hat auf Verlangen der Finanzbehörde nachzuweisen, wem die Rechte oder Sachen gehören. Erbringt er diesen Nachweis nicht, sind ihm die Rechte oder Sachen regelmäßig zuzurechnen.
Bedeutsam ist § 159 AO insbesondere für die Zurechnung von Bankguthaben. § 30a AO steht einer Anwendung des § 159 AO nicht entgegen (, BStBl 2007 II S. 39). Die Anwendung des § 159 AO ist auch nicht auf Sachverhalte mit Auslandsbezug beschränkt.
Analog zu den Fällen des § 160 AO hat die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen zunächst zu entscheiden, ob sie ein auf § 159 AO gestütztes Nachweisverlangen stellt. Es muss nachgewiesen werden, wem die Rechte oder Sachen tatsächlich zuzurechnen sind. Nicht ausreichend ist es, wenn die Person, die behauptet, Treuhänder, Vertreter oder Pfandgläubiger zu sein, nur den negativen Nachweis erbringt, dass ihr die Rechte oder Sachen nicht zuzurechnen sind.
Wird der Nachweis nicht erbracht, hat die Finanzbehörde durch eine zweite Ermessensentscheidung darüber zu befinden, wem die Rechte oder Sachen zuzurechnen sind, wobei im Regelfall die Rechte oder Sachen dem Adressaten des Nachweisverlangens zuzurechnen sind.
Ein Nachweisverlangen kann mit einem gem. § 102 AO bestehenden Auskunftsverweigerungsrecht kollidieren, insbesondere dann, wenn Rechtsanwälte oder Steuerberater Mandantengelder verwahren. Aus § 159 Abs. 2 AO folgt, dass die Finanzbehörde durch ein Nachweisverlangen nicht fordern darf, ein durch § 102 AO geschütztes Berufsgeheimnis preiszugeben, es sei denn, der Berufsgeheimnisträger wurde von seiner Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden (§ 102 Abs. 3 AO) oder es liegt ein Fall des § 104 Abs. 2 AO vor. Der Berufsgeheimnisträger muss aber das Treuhandverhältnis als solches nachweisen (, BStBl 2007 II S. 39).
Treugeber und Treuhänder können ein gemeinsames Interesse daran haben, dass Rechte oder Sachen dem Treuhänder zugerechnet werden, weil dies steuerlich günstiger ist. § 159 Abs. 1 Satz 2 AO stellt daher klar, dass durch die Möglichkeit, ein Nachweisverlangen nach § 159 Abs. 1 Satz 1 AO zu stellen, das Recht der Finanzbehörden zur Sachverhaltsermittlung nicht beschränkt wird.
Analog zum Benennungsverlangen nach § 160 AO ist ein Nachweisverlangen gem. § 159 Abs. 1 Satz 1 AO kein Verwaltungsakt, sondern eine nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlung (strittig). Die Zurechnungsentscheidung wird im Rahmen der Steuerfestsetzung bzw. der gesonderten (und ggf. einheitlichen) Feststellung von Besteuerungsgrundlagen getroffen und ist somit ebenfalls nicht selbständig anfechtbar.
Tz. 187 Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern
§ 160 AO soll Steuerausfälle vermeiden, die dadurch entstehen können, dass Ausgaben und Schulden, die sich beim Steuerpflichtigen steuermindernd auswirken, beim Empfänger der Zahlung bzw. beim Gläubiger der Forderung steuerlich nicht erfasst werden. Es wird eine Art Gefährdungshaftung für einen Steuerpflichtigen begründet, der auf Verlangen der Finanzbehörde den Empfänger der Zahlung oder den Gläubiger der Forderung nicht benennt.
Erfasst sind alle Schulden, Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben (z. B. Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen). Soweit das materielle Steuerrecht einen Abzug ausschließt, ist § 160 AO nicht anwendbar, z. B. wenn die Aufwendungen keine Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 EStG) sind oder wenn zwar Betriebsausgaben vorliegen, der Abzug aber aufgrund ausdrücklicher Regelung ausgeschlossen ist (wie z. B. in den Fällen des § 4 Abs. 5 EStG).
Über die Anwendung des § 160 AO ist in einem zweistufigen Verfahren zu entscheiden. Zunächst hat die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen (§ 5 AO) darüber zu befinden, ob sie den Steuerpflichtigen auffordert, den Empfänger von Ausgaben oder den Gläubiger von Schulden zu benennen.
Ein Benennungsverlangen ist ermessensgerecht, wenn die Vermutung besteht, der Empfänger einer Zahlung bzw. der Gläubiger einer Forderung habe diese zu Unrecht nicht versteuert. Eine derartige Vermutung liegt insbesondere nahe bei Geschäften ohne Rechnung, Bargeschäften, bei ungewöhnlichen Zahlungsmodalitäten und bei Schwarzarbeit. Bestehen Anhaltspunkte für eine straf- oder bußgeldbewehrte Vorteilszuwendung, ist nach Nr. 1 AEAO zu § 160 die Benennung des Gläubigers oder des Empfängers stets zu verlangen. Zum einkommensteuerrechtlichen Abzugsverbot für die Zuwendung von Vorteilen i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG und zum Verhältnis dieser Vorschrift zu § 160 AO vgl. , BStBl 2002 I S. 1031.
Ein Benennungsverlangen ist ermessensfehlerhaft, wenn kein Anlass zu der Vermutung besteht, der Empfänger der Leistung habe diese nicht ordnungsgemäß versteuert, oder wenn der Empfänger offensichtlich nicht steuerpflichtig ist. Es ist ferner ermessensfehlerhaft, wenn dem Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Zahlung nicht zumutbar war, sich nach den Gepflogenheiten eines ordnungsmäßigen Geschäftsverkehrs über die Identität des Geschäftspartners zu vergewissern. Unzumutbar und unverhältnismäßig ist das an den Emittenten einer Inhaberschuldverschreibung gerichtete Verlangen, die Gläubiger der zu zahlenden Zinsen zu benennen (, BStBl 2004 II S. 582).
Zu Benennungsverlangen wegen Zahlungen an Domizilgeschäften und an Empfänger in Ausland s. Nr. 3 und 4 AEAO zu § 160; zu Benennungsverlangen in den Fällen des § 16 AStG s. , BStBl 2007 II S. 855. In den Fällen des § 48 Abs. 4, § 48b Abs. 5 EStG (Steuerabzug bei Bauleistungen) ist die Anwendung des § 160 AO ausgeschlossen.
Der Empfänger der Zahlung bzw. der Gläubiger der Forderung ist vom Steuerpflichtigen so genau mit vollem Namen und seiner Adresse zu benennen, dass er ohne weitere Ermittlungen durch die Finanzbehörde bestimmt werden kann (, BStBl 1996 II S. 51). Ist eine Person, die die Zahlung entgegennahm, lediglich zwischengeschaltet, weil sie entweder mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung die Leistung nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderen Gründen die erteilten Aufträge und empfangenen Gelder an Dritte weiterleitete, sind die hinter ihr stehenden Personen zu benennen.
Nach § 102 AO bestehende Auskunftsverweigerungsrechte müssen beachtet werden (§ 160 Abs. 2 AO). Der Steuerpflichtige muss daher den Empfänger bzw. Gläubiger nicht namentlich benennen, wenn er hierdurch ein Berufsgeheimnis verletzen würde. Er muss aber alles Zumutbare unternehmen, um den Nachweis zu erbringen, dass der Empfänger bzw. Gläubiger seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkommt. Für Presseangehörige verbleibt es bei der Verpflichtung zur namentlichen Benennung des Empfängers oder Gläubigers (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 AO), ferner wenn eine in § 102 AO aufgeführte Person von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden ist (§ 102 Abs. 3 AO).
Kommt der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen nach, ist über die Frage der Abziehbarkeit von Ausgaben, Schulden usw. ausschließlich nach dem materiellen Steuerrecht zu entscheiden. Für eine Ermessensausübung bleibt kein Raum.
Wird das Benennungsverlangen nicht oder nur unzureichend befolgt, hat die Finanzbehörde in einer zweiten Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang sie die Ausgaben, Schulden usw. nicht zum steuermindernden Abzug zulässt. Nach der gesetzlichen Vorgabe sind die Ausgaben, Schulden usw. dann „regelmäßig” nicht zu berücksichtigen und nur in Ausnahmefällen zum Abzug zuzulassen. Ein Ausnahmefall liegt z. B. vor, wenn eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs die Existenz des Steuerpflichtigen gefährden würde.
Da durch § 160 AO keine steuerliche Doppelbelastung herbeigeführt werden soll, sind die mutmaßlichen steuerlichen Verhältnisse des Empfängers der Zahlung bzw. des Gläubigers der Forderung zu berücksichtigen (, BStBl 1999 II S. 434).
Analog zu § 159 AO beschränkt auch die Möglichkeit, ein Benennungsverlangen zu stellen, nicht das Recht der Finanzbehörde, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln (§ 160 Abs. 1 Satz 2 AO).
Das Benennungsverlangen nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist kein Verwaltungsakt, sondern eine nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlung (, BStBl 1988 II S. 927; strittig). Über die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang der steuerliche Abzug von Schulden, anderen Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten oder anderen Ausgaben zu versagen ist, wird ebenfalls nicht in einem selbständigen Verfahren, sondern im Rahmen der Steuerfestsetzung bzw. der gesonderten (und ggf. einheitlichen) Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§§ 179 ff. AO) entschieden.
Auch die Finanzgerichte können Benennungsverlangen nach § 160 AO stellen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Tz. 188 Fehlmengen bei Bestandsaufnahmen
Nach den Verbrauchsteuergesetzen entsteht die Steuerschuld regelmäßig mit der Entfernung der steuerpflichtigen Waren aus dem Herstellungsbetrieb oder mit der Entnahme zum Verbrauch innerhalb des Betriebs. Zur Überwachung dieser Vorgänge schreiben die Durchführungsbestimmungen zu den Verbrauchsteuergesetzen u. a. vor, dass von Zeit zu Zeit der Bestand der steuerpflichtigen Waren aufzunehmen ist. Ergeben sich bei einer solchen Bestandsaufnahme Fehlmengen, fingiert § 161 AO im Wege einer widerlegbaren Vermutung die Entstehung der Verbrauchsteuer. Der Steuerpflichtige kann diese gesetzliche Vermutung dadurch widerlegen, indem er glaubhaft macht, dass insoweit keine Verbrauchsteuerschuld entstanden ist. Dies kann dadurch geschehen, indem er geltend macht, die Fehlmengen seien auf Umstände zurückzuführen, die eine Steuerschuld nicht begründen (wie z. B. Schwund oder Verderb). Umstände i. S. des § 161 AO, die eine Steuer nicht begründen, sind nur offensichtliche, nachgewiesene oder glaubhaft gemachte und in diesem Sinn feststehende tatsächliche Fehlmengenursachen. Typische Fehlmengenursachen (z. B. Wiege- und Peilfehler, Verarbeitungsverluste, Umlagerungs- und Leckageverluste) stehen der Besteuerung der Fehlmenge deshalb nur dann entgegen, wenn sie feststehen, nicht, wenn sie nur vermutet werden. Die Pflicht der Finanzbehörde, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (s. zu § 88 AO), bleibt durch die Regelung des § 161 AO unberührt, jedoch wird die Beweisführung der Finanzbehörden abweichend vom sonstigen Ermittlungsverfahren dadurch erleichtert, dass verbleibende Zweifel zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen.
Der in § 161 Satz 1 AO genannten weiteren Rechtsfolge, dass eine zunächst bedingt entstandene Verbrauchsteuer unbedingt geworden ist, kommt nach In-Kraft-Treten des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes keine Bedeutung mehr zu.
Tz. 189 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen
Die Finanzbehörden sind bei ihrer Sachverhaltsermittlung (§ 88 AO) auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen. Sie benötigen daher ein Instrument, um die Steuer auch dann festsetzen zu können, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht oder nur unzureichend nachkommt oder ihnen nicht nachkommen kann. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO bestimmt daher, dass die Finanzbehörde Besteuerungsgrundlagen, die sie nicht ermitteln oder berechnen kann, zu schätzen hat.
Nach § 162 Abs. 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn
der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag,
er eine weitere Auskunft (§ 93 Abs. 1–6 AO) oder eine Versicherung an Eides statt (§ 95 AO) verweigert,
er seiner gesteigerten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) nicht nachkommt,
der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat (§§ 140–147 AO), nicht vorlegen kann,
Buchführungen oder Aufzeichnungen der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, weil die Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit widerlegt ist (§ 158 AO), oder
tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige seine Zustimmung zu einem Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5, § 93b AO verweigert.
Sonderregelungen zur Schätzung und zu einem besonderen Zuschlag in den Fällen des § 90 Abs. 3 AO (Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i. S. des § 1 Abs. 2 AStG; Gewinnaufteilung zwischen inländischen und ausländischen Betriebsstätten) ergeben sich aus § 162 Abs. 3 und 4 AO.
Die Schätzung steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde; vielmehr ist zu schätzen, wenn die Voraussetzungen des § 162 AO erfüllt sind. Einzelgesetzliche Regelungen können aber einer Schätzung entgegenstehen, wie z. B. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3 EStG zur Ermittlung des privaten Nutzungsanteils eines betrieblichen Kraftfahrzeugs (, BStBl 2000 II S. 273).
Ziel einer Schätzung muss es sein, den tatsächlichen Verhältnissen möglichst nahe zu kommen (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO; , BStBl 2008 II S. 933). Daher sind auch steuermindernde Besteuerungsgrundlagen (z. B. Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben) zu schätzen, wenn sie nicht ermittelt oder berechnet werden können. Sicherheitszuschläge sind zulässig.
Zu schätzen sind die Besteuerungsgrundlagen und somit nicht die Steuerbeträge. Werden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit geschätzt, sind aber in angemessenem Umfang auch die bei einer Veranlagung anzurechnenden Lohnsteuerabzugsbeträge zu berücksichtigen, da das Finanzamt ansonsten gegen das Übermaßverbot verstoßen würde. Zur Berücksichtigung geschätzter Vorsteuerbeträge bei der Veranlagung zur Umsatzsteuer s. Abschnitt 202 Abs. 5–7 UStR 2008.
Ein Hauptanwendungsfall des § 162 AO ist die Schätzung nach unterlassener Abgabe einer Steuererklärung. Die Schätzung ist aber kein Straf- oder Zwangsmittel. „Mondschätzungen” sind daher unzulässig (, BStBl 2001 II S. 381). Wegen eines eventuellen Nachprüfungsvorbehalts zum Schätzungsbescheid vgl. Nr. 4 AEAO zu § 162. Trotz erfolgter Schätzung bleibt eine gesetzliche oder durch behördliche Anordnung begründete Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung bestehen (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).
Geschätzt werden dürfen beispielsweise auch der Anteil der beruflichen Nutzung eines gemischt genutzten PC (, BStBl 2004 II S. 958), der berufliche Anteil einer gemischt veranlassten Reise (, BStBl 2006 II S. 30) und die Höhe einer dem Grunde nach zweifelsfrei festgestellten verdeckten Gewinnausschüttung ( NWB QAAAB-36872).
Eine bestimmte Schätzungsmethode sieht das Gesetz nicht vor. Diese richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Schätzung von Gewinneinkünften ist auf der Basis der für den Steuerpflichtigen maßgebenden Gewinnermittlungsart vorzunehmen (, BStBl 2001 II S. 536).
Besteuerungsgrundlagen sind auch dann zu schätzen, wenn gegen den Steuerpflichtigen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist (, BStBl 2002 II S. 4). Die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerstraftat dürfen aber nicht im Schätzungsweg festgestellt werden (, BStBl 2007 II S. 364).
Will die Finanzbehörde einen Steuerbescheid vor Ergehen eines Grundlagenbescheids erlassen (§ 155 Abs. 2 AO), kann sie die in dem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen schätzen (§ 162 Abs. 5 AO). Hierbei handelt es sich um eine „vorläufige” Maßnahme (nicht aber i. S. des § 165 AO) der für den Steuerbescheid (Folgebescheid) zuständigen Finanzbehörde. Zur Berücksichtigung negativer Einkünfte aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften s. , BStBl 1992 I S. 404, BStBl 1994 I S. 420. Nach Ergehen des Grundlagenbescheids ist der Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern, falls die geschätzten Besteuerungsgrundlagen nicht mit den im Grundlagenbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen übereinsntimmen.
Entspricht das Schätzungsergebnis nicht den tatsächlichen Verhältnissen, führt dies wegen der mit einer Schätzung notwendigerweise verbundenen Unsicherheiten für sich allein nicht zur Rechtswidrigkeit des Schätzungsbescheids. Der Schätzungsbescheid ist nur dann rechtswidrig, wenn die Finanzbehörde zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Schätzung bejaht hat oder wenn der Steuerbescheid den durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmen verlässt (, BStBl 2001 II S. 381). Selbst grobe Schätzungsfehler führen i. d. R. nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit (§ 125 AO) des Schätzungsbescheids (, BStBl 2006 II S. 578). Der Schätzungsbescheid ist aber nichtig, wenn die Finanzbehörde bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat.
Auch die Finanzgerichte dürfen Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO schätzen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Sie sind nicht darauf beschränkt, eine von der Finanzbehörde vorgenommene Schätzung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das Finanzgericht kann seine Wahrscheinlichkeitsüberlegungen an die Stelle derjenigen der Finanzbehörde setzen, ohne deshalb die von der Finanzbehörde vorgenommene Schätzung als rechtswidrig einstufen zu müssen (, BStBl 2004 II S. 171).
Tz. 190 Abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen
a) Allgemeines
§ 163 AO behandelt die Berücksichtigung von Billigkeitsmaßnahmen im Festsetzungsverfahren. Die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen im Erhebungsverfahren regelt § 227 AO. Zweck dieser Normen ist es, den sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen. Weil sich die beiden Erlassvorschriften im Wesentlichen nur in der Rechtsfolge, nicht aber in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unterscheiden, sind die Kriterien für die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme im Regelungsbereich des § 163 AO die gleichen wie im Rahmen des § 227 AO (vgl. , BStBl 1995 II S. 297).
Tatbestandliche Voraussetzung einer jeden Billigkeitsmaßnahme nach § 163 oder § 227 AO ist, dass die Erhebung der Steuer nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Dabei werden persönliche und sachliche Billigkeitsgründe unterschieden.
b) Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift
Gem. § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 163 Satz 2 AO kann zudem mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zugelassen werden, dass bei den Steuern vom Einkommen einzelne Besteuerungsgrundlagen zu einem späteren oder früheren Zeitpunkt berücksichtigt werden. Bei dieser Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung handelt es sich nicht um einen endgültigen Erlass der Steuer, sondern um eine Verlagerung des Steueranspruchs auf spätere Veranlagungszeiträume, wobei allerdings auch eine echte Steuerersparnis eintreten kann. Da nicht immer voraussehbar ist, ob sich die Billigkeitsmaßnahme im Ergebnis für den Steuerpflichtigen günstig auswirkt, ist zwingend dessen Zustimmung vorgeschrieben.
Im Gegensatz zu § 227 AO, der für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gilt, findet § 163 AO nur bei Steuern und Ansprüchen, auf die die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (§§ 155– 178a AO) sinngemäß gelten, Anwendung. Dabei gilt § 163 Satz 1 AO allgemein für Steuern (§ 3 Abs. 1 AO), während § 163 Satz 2 AO nur auf Steuern vom Einkommen (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, zudem Lohnsteuer als Erhebungsform der Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) anzuwenden ist. Auf Zölle und nationale Verbrauchsteuern ist § 163 AO nicht anwendbar; insoweit gilt der Zollkodex.
Zu den Ansprüchen, auf die die Vorschriften über die Steuerfestsetzung sinngemäß anzuwenden sind, zählen:
Steuervergütungen (§ 155 Abs. 4 AO),
die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO),
die Festsetzung von Steuermessbeträgen (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO),
Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, Hinterziehungszinsen nach § 235 AO sowie Prozesszinsen nach § 236 AO (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei Stundungs- und Aussetzungszinsen greifen die § 234 Abs. 2, § 237 Abs. 4 als leges speciales ein. Auf andere steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) ist § 163 AO – anders als § 227 AO – nicht anwendbar.
Bei der Ermittlung der Einheitswerte ist § 163 AO nicht anzuwenden. Dies gilt allerdings nicht für Übergangsregelungen, die die oberste Finanzbehörde eines Landes im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der übrigen Länder trifft (vgl. § 20 Satz 2 BewG).
Bei Realsteuer-Messbeträgen wird die Befugnis zur Gewährung abweichender Festsetzungen nach § 163 AO (Gewerbesteuer, Grundsteuer) in § 184 Abs. 2 AO geregelt. Sind für die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer die Gemeinden zuständig, sind die Finanzämter grds. nicht befugt, den Steuermessbetrag dadurch niedriger festzusetzen, dass nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuer erhöhen, außer Betracht gelassen werden. Eine abweichende Festsetzung durch das Finanzamt ist jedoch möglich, wenn die zur Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer befugte Gemeinde dieser Maßnahme zugestimmt hat. Hiervon abweichend sind die Finanzämter nach § 184 Abs. 2 Satz 1 AO auch ohne Mitwirkung der hebeberechtigten Gemeinden berechtigt, bei der Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO zu gewähren, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind. Nach § 184 Abs. 2 Satz 2 AO wirkt eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer, soweit sie die gewerblichen Einkünfte beeinflusst, auch für die Gewinnermittlung bei der Gewerbesteuer. Vgl. hierzu auch Abschn. 6 GewStR.
c) Voraussetzungen
Die Voraussetzungen für eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen entsprechen denen für einen Erlass nach § 227 AO. Die Erhebung der Steuer muss nach Lage des einzelnen Falles aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig sein. Zu Einzelheiten s. hierzu die Ausführungen zu § 227 AO (Tz. 248).
d) Verfahren
Ein Antrag des Steuerpflichtigen auf abweichende Steuerfestsetzung ist nicht erforderlich, jedoch wird die Finanzbehörde regelmäßig erst auf Antrag tätig werden.
Ein Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung kann zulässigerweise auch noch nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gestellt werden. Wird somit ein derartiger Antrag vor Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellt und wird diesem Antrag entsprochen, ist der Steuerbescheid auf den sich der Antrag auf abweichende Festsetzung bezieht, nach § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 AO zu ändern (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 163).
Die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO) der Finanzverwaltung. Sie kann äußerlich mit der Steuerfestsetzung verbunden werden. Dies wird in der Praxis auch meist der Fall sein. Trotz der äußerlichen Verbindung in einem Bescheid stellt die Billigkeitsentscheidung einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO für den jeweiligen Steuerbescheid ist. Gegen jede der beiden Entscheidungen ist der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO statthaft (zum Einspruchsverfahren gegen die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme vgl. Nr. 4 AEAO zu § 347). Eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO führt zum Erlöschen des Steueranspruchs (§ 47 AO).
Wird eine Billigkeitsmaßnahme nach der Steuerfestsetzung gewährt, muss diese nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert oder aufgehoben werden (vgl. AEAO zu § 163).
Die Erlassentscheidung kann nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden. Die gerichtliche Überprüfung bezieht sich im Fall der Versagung darauf, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die Ermessensgrenzen überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Tz. 191 Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung
Die Vorschrift ermöglicht es, Steuern ohne nähere Prüfung der Besteuerungsgrundlagen festzusetzen. Abschlusszahlungen und Erstattungsansprüche können dadurch früher fällig werden. § 164 AO ist anwendbar auf Steuerbescheide und auf Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichstehen (s. hierzu Tz. 182), nicht aber z. B. auf Haftungsbescheide (§ 191 AO), abweichende Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) und Verspätungszuschlagfestsetzungen (§ 152 AO).
Voraussetzung für eine Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt ist, dass der Steuerfall noch nicht abschließend geprüft wurde. Unter einer abschließenden Prüfung ist nicht nur eine Außenprüfung (§§ 193 ff. AO) zu verstehen, sondern jegliche tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Steuerfalls, auch an Amtsstelle.
Hat noch keine abschließende Prüfung des Steuerfalls stattgefunden, steht es im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde, ob sie die Steuer unter Nachprüfungsvorbehalt festsetzt. Der Steuerpflichtige hat lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, nicht aber einen Rechtsanspruch auf einen Nachprüfungsvorbehalt. Dies gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde eine Außenprüfung beabsichtigt (, BStBl 1985 II S. 700).
Eine Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt bleibt auch zulässig, wenn die Finanzbehörde von den Angaben des Steuerpflichtigen abweicht (, BStBl 1984 II S. 6).
Der Nachprüfungsvorbehalt ist eine unselbständige Nebenbestimmung i. S. des § 120 Abs. 1 AO. Er muss im Steuerbescheid angegeben, nicht aber begründet werden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz AO). Eine Begründung ist jedoch zulässig. Einem bereits ergangenen Bescheid kann ein Nachprüfungsvorbehalt nur dann nachträglich beigefügt werden, wenn ein Einspruchsverfahren anhängig ist oder der Steuerpflichtige zustimmt. Enthält nur die Aktenverfügung, nicht aber der dem Steuerpflichtigen zugegangene Bescheid den Nachprüfungsvorbehalt, kann eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO vorliegen (, BStBl 2006 II S. 400; strittig).
Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO). Dasselbe gilt für Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte (§ 39 Abs. 3b, § 39a Abs. 4 EStG), und zwar auch in Änderungsfällen. Ferner steht – ggf. nach Zustimmung durch die Finanzbehörde – eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO). In diesen Fällen eines kraft Gesetzes bestehenden Nachprüfungsvorbehalts muss im Bescheid der Nachprüfungsvorbehalt nicht angegeben werden. Auf Kindergeldbescheide ist § 164 Abs. 1 Satz 2 AO nicht – auch nicht analog – anwendbar ( NWB IAAAC-48514).
Der Nachprüfungsvorbehalt umfasst – im Gegensatz zu einem Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) – stets die gesamte Steuerfestsetzung. Eine Beschränkung (z. B. auf einzelne Besteuerungsgrundlagen) ist nicht zulässig.
Solange der Nachprüfungsvorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werden, auch aus Gründen, die der Finanzbehörde im Zeitpunkt des Erlasses des unter Nachprüfungsvorbehalt stehendenden Bescheids bereits bekannt waren. Einer Aufhebung oder Änderung kann aber u. U. § 176 AO entgegenstehen. Wahlrechte können erneut ausgeübt werden, falls diese nicht fristgebunden sind. Die grds. umfassende Korrekturmöglichkeit besteht auch dann, wenn der unter Nachprüfungsvorbehalt stehende Bescheid unanfechtbar geworden ist.
Der Nachprüfungsvorbehalt verpflichtet die Finanzbehörde nicht, den Steuerfall später tatsächlich abschließend zu prüfen. Allerdings übt die Finanzbehörde das ihr zustehende Ermessen nicht zutreffend aus, wenn bereits im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt feststeht, dass eine Überprüfung nicht mehr stattfinden wird.
Wird eine Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt geändert, ist in dem neuen Steuerbescheid zu vermerken, ob dieser weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht oder ob der Vorbehalt aufgehoben wird. Fehlt ein derartiger Vermerk, bleibt der Vorbehalt wirksam; dies gilt nicht, wenn die zu ändernde Festsetzung kraft Gesetzes unter Nachprüfungsvorbehalt steht (Nr. 6 AEAO zu § 164).
Der Vorbehalt der Nachprüfung kann bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist jederzeit aufgehoben werden (§ 164 Abs. 3 Satz 1 AO), und zwar auch dann, wenn der Steuerfall nicht abschließend geprüft worden ist. Wie die Beifügung eines Nachprüfungsvorbehalts muss auch dessen Aufhebung nicht begründet werden (, BStBl 1998 II S. 502).
Nach einer Außenprüfung ist ein Nachprüfungsvorbehalt aufzuheben. Bei der Außenprüfung muss es sich um eine abschließende Prüfung gehandelt haben. Auch eine Sonderprüfung kann eine abschließende Prüfung sein, wenn sie sich in Fällen der Abschnittsbesteuerung auf ganze Besteuerungszeiträume oder in Fällen der Einzelbesteuerung auf einzelne Vorgänge erstreckt. Nach dem Wortlaut des § 164 Abs. 3 Satz 3 AO besteht eine Pflicht zur Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts nur, wenn sich aufgrund der Außenprüfung keine Änderungen gegenüber der bisherigen Steuerfestsetzung ergeben haben. Dies muss aber auch für den Fall gelten, dass aufgrund der Ergebnisse der Außenprüfung die Steuerfestsetzung zu ändern ist, da mit der abschließenden Prüfung die Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO für einen behördlich angeordneten Nachprüfungsvorbehalt entfallen sind. Aus dem gleichen Grund wird auch nach einer an Amtsstelle durchgeführten abschließenden Prüfung des Steuerfalls ein behördlich angeordneter Nachprüfungsvorbehalt aufzuheben sein (strittig).
Der zur Festsetzung einer Vorauszahlung oder zu einer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte kraft Gesetzes bestehende Nachprüfungsvorbehalt kann nicht aufgehoben werden. Aufhebbar ist aber der Nachprüfungsvorbehalt zu einer Steuerfestsetzung, die durch eine Steueranmeldung bewirkt wurde und keine Vorauszahlung zum Gegenstand hat. Ferner entfällt der Nachprüfungsvorbehalt, wenn die Finanzbehörde nach Eingang der Steueranmeldung erstmals einen Steuerbescheid ohne eine Aussage zum Nachprüfungsvorbehalt erlässt (, BStBl 2000 II S. 284).
Die isolierte Aufhebung eines Nachprüfungsvorbehalts steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Sie muss daher schriftlich oder in elektronischer Form (§ 87a Abs. 4 AO) ergehen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden (§ 164 Abs. 3 Satz 2 i. V. mit § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 AO).
Der behördlich angeordnete oder kraft Gesetzes bestehende Nachprüfungsvorbehalt entfällt mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist für hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Steuern auf 10 bzw. 5 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) verlängert nicht den Zeitraum der Wirksamkeit eines Nachprüfungsvorbehalts. Auch die Regelungen des § 171 Abs. 7, 8 und 10 AO über die dort bestimmten Ablaufhemmungen sind insoweit nicht anzuwenden (§ 164 Abs. 4 Satz 2 AO). Anwendbar ist jedoch die Vorschrift des § 171 Abs. 3 AO über die durch einen Antrag auf Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts bewirkte Ablaufhemmung. Auch die in § 170 AO enthaltenen Regelungen über eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist sind anwendbar.
Nach Aufhebung oder Wegfall des Nachprüfungsvorbehalts kann die Steuerfestsetzung nur dann aufgehoben oder geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift (z. B. § 173 AO) erfüllt sind.
Ein Nachprüfungsvorbehalt kann als unselbständige Nebenbestimmung nicht isoliert, sondern nur durch Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung angefochten werden. Ein rechtswidriger Nachprüfungsvorbehalt bleibt wirksam, wenn der Steuerpflichtige die unter Nachprüfungsvorbehalt stehende Festsetzung nicht anficht. Gleiches gilt, wenn die Finanzbehörde ihrer Verpflichtung, den Nachprüfungsvorbehalt aufzuheben, nicht nachkommt (, BStBl 2007 II S. 344).
Gegen die durch Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts bewirkte erneute Steuerfestsetzung kann ohne die Beschränkung des § 351 Abs. 1 AO Einspruch eingelegt werden. Hebt die Finanzbehörde während eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens einen Nachprüfungsvorbehalt auf, wird der Aufhebungsbescheid „automatisch” Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens (§ 365 Abs. 3 AO, § 68 FGO). Eine Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts während eines Einspruchsverfahrens erfordert i. d. R. keinen vorherigen Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO (, BStBl 1999 II S. 26). Gegen die Aufhebung eines Nachprüfungsvorbehalts in einer Einspruchsentscheidung ist die Klage und nicht ein erneuter Einspruch gegeben (, BStBl 1984 II S. 85).
Tz. 192 Vorläufige Steuerfestsetzung, Aussetzung der Steuerfestsetzung
§ 165 AO ermöglicht es, einen Steuerfall punktuell „offen zu halten”. Die Vorschrift gilt für Steuerbescheide sowie für Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichstehen (s. hierzu Tz. 182), nicht aber beispielsweise für Haftungsbescheide (§ 191 AO), abweichende Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) und Verspätungszuschlagfestsetzungen (§ 152 AO).
Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festsetzen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer (§ 38 AO) eingetreten sind. Tatsachen müssen ungewiss sein. Ungewissheiten rechtlicher Art können – abgesehen von den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO – nur dann zu einer vorläufigen Steuerfestsetzung führen, wenn es sich um eine Rechtsfrage aus einem außersteuerlichen Gebiet (z. B. dem Zivilrecht) handelt und die steuerliche Würdigung des Tatbestandes von der Klärung dieser rechtlicher Vorfrage abhängt.
Es muss sich um eine vorübergehende Ungewissheit handeln, die im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten beseitigt werden könnte (, BStBl 1990 II S. 1043). Sind Tatsachen endgültig nicht aufklärbar, ist zu schätzen (§ 162 AO).
§ 165 AO befreit die Finanzbehörde nicht von ihrer Ermittlungspflicht (§ 88 AO). Die Ungewissheit darf daher nicht darauf beruhen, dass die Finanzbehörde den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Eine vorläufige Steuerfestsetzung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn ungewiss ist, ob ein Tatbestand in der Zukunft erfüllt sein wird (, BStBl 1994 II S. 951). Eine Steuerfestsetzung kann z. B. vorläufig durchgeführt werden, wenn ein Sachverhalt – wie z. B. die Frage einer Gewinnerzielungsabsicht (fehlende „Liebhaberei”) – nur aufgrund einer mehrjährigen, über den einzelnen Veranlagungszeitraum hinausgehenden Betrachtung beurteilt werden kann.
Gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, wenn ungewiss ist, ob und wann völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung, die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden. Die Regelung soll den Steuerpflichtigen die Vorteile eines zu erwartenden Doppelbesteuerungsabkommens sichern. Wegen einer beabsichtigen völkerrechtlichen Regelung, die sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung nicht möglich.
Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem GG festgestellt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet hat und diese Neuregelung im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch aussteht. Die Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn das BVerfG eine Norm für nichtig erklärt oder ihre befristete Weitergeltung angeordnet hat.
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO. Nach dieser Vorschrift kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht (z. B. mit Europäischem Gemeinschaftsrecht oder mit dem GG) Gegenstand eines Verfahrens bei dem EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht (z. B. BFH) ist. Die Anhängigkeit eines Verfahrens bei einem Finanzgericht reicht nicht aus. Durch BMF-Schreiben bzw. gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder wird bundeseinheitlich festgelegt, hinsichtlich welcher Punkte Steuerfestsetzungen von Amts wegen nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig durchgeführt werden.
§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO ermöglicht eine vorläufige Steuerfestsetzung auch dann, wenn eine im Fall des Steuerpflichtigen relevante „einfachgesetzliche” Rechtsfrage Gegenstand eines Verfahrens beim BFH ist.
Ob die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festsetzt, steht in ihrem Ermessen (§ 5 AO). Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, grds. aber keinen Rechtsanspruch auf einen Vorläufigkeitsvermerk.
Soweit die Voraussetzungen für eine vorläufige Steuerfestsetzung vorliegen, kann nach§ 165 Abs. 1 Satz 4 AO die Steuerfestsetzung auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden (nicht zu verwechseln mit einer Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO, § 69 FGO). Ob eine Aussetzung der Steuerfestsetzung nur in Betracht kommt, wenn sich die Ungewissheit auf sämtliche Besteuerungsgrundlagen bezieht, ist umstritten.
Der Vorläufigkeitsvermerk ist eine unselbständige Nebenbestimmung i. S. des § 120 Abs. 1 AO. Er kann mit einem Nachprüfungsvorbehalt verbunden werden, wenn die Voraussetzungen des § 164 AO vorliegen.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind im Steuerbescheid anzugeben. In den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO muss daher die Finanzbehörde angeben, welche Tatsachen sie als ungewiss betrachtet (, BStBl 1985 II S. 648). In den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ist zu erläutern, hinsichtlich welcher Rechtsnormen die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht strittig ist.
Die Angabe der steuerlichen Auswirkung einer eventuellen späteren, auf den Vorläufigkeitsvermerk gestützten Änderung der Steuerfestsetzung ist nicht erforderlich und aufgrund der bestehenden Ungewissheit i. d. R. auch nicht möglich (, BStBl 1992 II S. 588).
Der Umfang des Vorläufigkeitsvermerks kann ggf. aus der Begründung des Steuerbescheids oder aus anderen Umständen durch Auslegung ermittelt werden ( NWB OAAAC-61543). Enthält der Steuerbescheid keine Angaben zum Umfang des Vorläufigkeitsvermerks und lässt sich der Umfang auch nicht durch Auslegung ermitteln, ist der Vorläufigkeitsvermerk inhaltlich nicht hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO) und somit gem. § 125 Abs. 1 AO und § 124 Abs. 3 AO nichtig und unwirksam (, BStBl 2008 II S. 2). Fehlt bei erkennbarem Umfang der Vorläufigkeit lediglich die Angabe des Grunds, ist der Vorläufigkeitsvermerk zwar rechtswidrig, nicht aber nichtig.
Einem bereits ergangenen Steuerbescheid kann ein Vorläufigkeitsvermerk grds. nur dann nachträglich beigefügt werden, wenn der Steuerpflichtige zustimmt. Wirkt der Vorläufigkeitsvermerk zugunsten des Steuerpflichtigen, muss die Zustimmung vor Ablauf der Einspruchs- oder der Klagefrist oder während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens erteilt worden sein (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 und 3 AO). Ferner kann die Finanzbehörde auch ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen einen Vorläufigkeitsvermerk in eine Einspruchsentscheidung aufnehmen. Wirkt der Vorläufigkeitsvermerk zuungunsten des Steuerpflichtigen, ist ein vorheriger „Verböserungshinweis” (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) erforderlich (, BStBl 1998 II S. 647). Außerdem kann eine Steuerfestsetzung nachträglich mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden, wenn sie unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) steht.
Ein Vorläufigkeitsvermerk bleibt auch dann wirksam, wenn er in einem nachfolgenden Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt wird (, BStBl 1989 II S. 9). Die Finanzämter sind jedoch angewiesen, in Änderungsfällen im neuen Steuerbescheid zu vermerken, ob und inwieweit dieser weiterhin vorläufig ist oder für endgültig erklärt wird (Nr. 5 AEAO zu § 165). Enthält der Änderungsbescheid einen Vorläufigkeitsvermerk, wird durch diesen der Umfang der Vorläufigkeit neu bestimmt (, BStBl 2000 II S. 282).
Im Gegensatz zu einem Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO), der stets die gesamte Steuerfestsetzung umfasst, bewirkt ein Vorläufigkeitsvermerk, dass die Festsetzung nur punktuell nicht materiell bestandskräftig wird (falls nicht ausnahmsweise die „Ungewissheit” sich auf sämtliche Besteuerungsgrundlagen bezieht). Hinsichtlich des vom Vorläufigkeitsvermerk nicht erfassten Teils der Steuerfestsetzung bleiben die übrigen Korrekturvorschriften der AO oder der anderen Steuergesetze anwendbar.
Soweit die Steuer vorläufig festgesetzt worden ist, kann die Finanzbehörde bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist den Steuerbescheid aufheben oder ändern (§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO), und zwar auch dann, wenn die den Vorläufigkeitsvermerk rechtfertigende Ungewissheit noch fortbesteht. Die Finanzbehörde darf die vorläufige Steuerfestsetzung auch vor Beseitigung der Ungewissheit für endgültig erklären.
Nach Beseitigung der Ungewissheit ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären bzw. eine ausgesetzte Steuerfestsetzung nachzuholen (§ 165 Abs. 2 Satz 2 AO). In den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO muss eine vorläufige Steuerfestsetzung aber nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist. Die Finanzbehörden können daher insbesondere dann von einer Endgültigkeitserklärung absehen, wenn die Steuer nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt worden ist, das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der im Vorläufigkeitsvermerk angeführten Rechtsnorm bestätigt hat und der Steuerpflichtige keinen Antrag auf Endgültigkeitserklärung stellt.
Die Aufhebung oder Änderung der vorläufigen Steuerfestsetzung und die Endgültigkeitserklärung sind bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist möglich; s. hierzu auch § 171 Abs. 8 AO. Einer Änderung kann aber u. U. § 176 AO entgegenstehen. Bei der Änderung einer vorläufigen Steuerfestsetzung sind im Rahmen des Änderungsbetrags auch solche Fehler zu berichtigen, die nicht mit dem Grund der Vorläufigkeit zusammenhängen (, BStBl 2000 II S. 332).
Ein Vorläufigkeitsvermerk kann als unselbständige Nebenbestimmung nicht isoliert, sondern nur durch Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung angefochten werden. Der Steuerpflichtige darf aber die Begründung seines Rechtsbehelfs auf Einwendungen gegen den Vorläufigkeitsvermerk beschränken. Ein rechtswidriger Vorläufigkeitsvermerk bleibt wirksam (und ermächtigt die Finanzbehörde, den Steuerbescheid ggf. später zu ändern), wenn der Steuerpflichtige die mit dem Vorläufigkeitsvermerk versehene Steuerfestsetzung nicht anficht (, BStBl 2002 II S. 84; a. A.: , BStBl 1998 II S. 702) Dagegen eröffnet ein nichtiger Vorläufigkeitsvermerk auch bei unterlassener Anfechtung keine Änderungsmöglichkeit (, BStBl 2008 II S. 2).
Zum Rechtsschutzbedürfnis für einen Einspruch gegen eine vorläufige Steuerfestsetzung s. Tz. 373.
Tz. 193 Drittwirkung der Steuerfestsetzung
In den in § 166 AO bestimmten Fällen muss ein Dritter eine unanfechtbar gewordene Steuerfestsetzung gegen sich geltend lassen. Dies gilt sowohl für einen Gesamtrechtsnachfolger wie auch für denjenigen, der in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen ergangenen Bescheid als dessen Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO), Bevollmächtigter (§ 80 AO) oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Wer kraft eigenen Rechts befugt ist, eine Steuerfestsetzung anzufechten, ergibt sich aus § 350 AO.
§ 166 AO ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn für den Steuerpflichtigen handelnde Vertreter in Haftung genommen werden sollen (§ 69 AO). Der sonst geltende Grundsatz, dass ein Haftungsschuldner auch Einwendungen gegen das Entstehen und die Höhe der Steuerschuld geltend machen kann, wird insoweit durchbrochen. Ein Vertreter ist aber nur dann durch § 166 AO an die Steuerfestsetzung gebunden, wenn er während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist Vertretungsmacht hatte (, BStBl 2005 II S. 127).
§ 166 AO bindet den Dritten nur an Steuerbescheide sowie an Verwaltungsakte, die den Steuerbescheiden gleichstehen (s. hierzu Tz. 182), auch an Steueranmeldungen. Einen an den Steuerpflichtigen gerichteten Haftungsbescheid (§ 191 AO) muss der Dritte nicht gegen sich gelten lassen. Ferner tritt eine Bindungswirkung nur ein, wenn der gegen den Steuerpflichtigen ergangene Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist.
Fälle der Einzelrechtsnachfolge sind von § 166 AO nicht erfasst; eine Anfechtungsbeschränkung kann sich aber aus § 353 AO ergeben. Ferner muss ein Beteiligter einer gesonderten (und ggf. einheitlichen) Feststellung einen Feststellungsbescheid gegen sich gelten lassen, wenn er aufgrund der Regelungen in § 352 AO und § 48 FGO persönlich nicht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs befugt ist.
Tz. 194 Steueranmeldung, Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern
Die Steuergesetze können bestimmen, dass in der Steuererklärung die Steuer selbst zu berechnen ist. Es handelt sich dann um eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO). Eine beispielhafte Aufzählung der Fälle einer Steueranmeldung enthält Nr. 1 AEAO zu § 167.
Abweichend von dem Grundsatz, dass Steuern durch Steuerbescheid festzusetzen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO), ist in Fällen einer Steueranmeldung eine Steuerfestsetzung nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer von der Steueranmeldung abweichenden Steuer führt oder eine Steueranmeldung nicht abgegeben wird (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO). Steuern können somit beschleunigt erhoben werden. Zu den Wirkungen einer Steueranmeldung s. § 168 AO.
§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO gilt auch, wenn der zur Abgabe einer Steueranmeldung Verpflichtete nicht Steuerschuldner ist, sondern verpflichtet ist, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten, anzumelden und abzuführen, wie z. B. der Arbeitgeber hinsichtlich der Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer oder ein zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer Verpflichteter. Gibt daher ein Arbeitgeber entgegen einer nach § 41a Abs. 1 EStG bestehenden Verpflichtung keine Lohnsteuer-Anmeldung ab, kann das Finanzamt ihm gegenüber die Lohnsteuer aufgrund einer Schätzung (§ 162 AO) durch Steuerbescheid festsetzen. Die Möglichkeit, einen Haftungsbescheid zu erlassen (§ 42d EStG), steht dem nicht entgegen (, BStBl 2004 II S. 1087). Entsprechendes gilt für die Kapitalertragsteuer (, BStBl 2001 II S. 67).
Die Regelung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gilt sinngemäß, wenn eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichten ist, wie z. B. bei der Erhebung der Tabaksteuer.
Gem. § 167 Abs. 1 Satz 3 AO steht das Anerkenntnis einer Zahlungsverpflichtung durch einen Steuerschuldner oder Haftungsschuldner einer Steueranmeldung gleich. Voraussetzung ist, dass das Anerkenntnis im Anschluss an eine Außenprüfung i. S. des § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO (Prüfung bei einem zum Steuerabzug Verpflichteten) schriftlich abgegeben wird, z. B. in den Fällen des § 42d Abs. 4 EStG oder des § 44 Abs. 5 Satz 3 EStG.
Steueranmeldungen sind – wie auch die übrigen Steuererklärungen – bei der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde abzugeben. Nach § 167 Abs. 2 AO gelten Steueranmeldungen aber auch dann als rechtzeitig abgegeben, wenn sie fristgerecht bei der zuständigen Kasse eingehen. Aufgrund der Zentralisierung der Finanzkassen sind die für die Besteuerung zuständigen Finanzämter häufig nicht identisch mit den Kassenfinanzämtern. Die Regelung vermeidet, dass Steuerpflichtige bei der Zahlung einer angemeldeten Steuer mit Scheck zwei Finanzämter anschreiben müssen. Sie gilt nicht für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und für Verbrauchsteuern. Es ist auch nicht möglich, einen Scheck fristwahrend bei dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzamt einzureichen.
Tz. 195 Wirkung einer Steueranmeldung
Eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) steht einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich; s. hierzu § 164 AO.
Führt die abgegebene Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer (z. B. wenn die angemeldete Jahres-Umsatzsteuer niedriger ist als die Summe der vorangemeldeten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen oder wenn eine berichtigte Steueranmeldung mit einem Mindersoll abgegeben wird), tritt die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt erst ein, wenn die Finanzbehörde zustimmt. Gleiches gilt, wenn die Anmeldung zu einer Steuervergütung führt (z. B. in den Fällen eines „Vorsteuerüberhangs” bei der Anmeldung der Umsatzsteuer oder in den Fällen der Vorsteuer-Vergütung nach den §§ 59–61 UStDV; , BStBl 2009 II S. 2). Hierdurch soll vermieden werden, dass die Finanzbehörden ohne vorherige Kontrolle Zahlungen leisten müssen.
Die Zustimmung zur Steueranmeldung ist Verwaltungsakt (, BStBl 2003 II S. 904), kann aber formfrei erteilt werden (§ 168 Satz 3 AO). Wird die Zustimmung dem Anmeldenden schriftlich (z. B. zusammen mit einer Abrechnungsmitteilung) oder elektronisch bekannt gegeben, gilt für den Tag der Bekanntgabe und somit für den Zeitpunkt des Eintritts der Wirkung einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt § 122 Abs. 2 und 2a AO. Wird die Zustimmung nicht schriftlich, elektronisch, mündlich oder fernmündlich bekannt gegeben, ist die Auszahlung des Erstattungs- bzw. Vergütungsbetrags als konkludente Bekanntgabe der Zustimmung anzusehen.
Eine Frist für die Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung sieht das Gesetz nicht vor. Welche Frist angemessen ist, ist in Anlehnung an die allgemeinen Regelungen, die das Verfahrensrecht für die Untätigkeit von Finanzbehörden vorsieht, zu beurteilen. Die Finanzämter sind angewiesen, in Fällen, in denen die Zustimmung nicht allgemein erteilt wird (Nr. 9 AEAO zu § 168), über die Zustimmung oder eine abweichende Festsetzung „alsbald” zu entscheiden (Nr. 10 AEAO zu § 168). Bei Voranmeldungen und Jahreserklärungen zur Umsatzsteuer kann die Finanzbehörde die Erteilung der Zustimmung im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (§ 18f UStG).
Die Steueranmeldung muss formgerecht abgegeben werden, um wirksam zu sein und um somit einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt gleichstehen zu können. Nicht wirksam ist eine Steueranmeldung, die entgegen einer gesetzlichen Verpflichtung nicht elektronisch übermittelt (Tz. 176) oder nicht unterschrieben wurde (, BStBl 2007 II S. 857). Das Recht der Finanzbehörde, die Steuer durch Steuerbescheid festzusetzen, bleibt hiervon unberührt (, BStBl 2002 II S. 642).
Will die Finanzbehörde von der angemeldeten Steuer abweichen, hat sie einen Steuerbescheid zu erteilen (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Steuerbescheid kann unter den Voraussetzungen der §§ 164 und 165 AO unter Nachprüfungsvorbehalt ergehen oder mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden. Die abweichende Festsetzung einer Vorauszahlung steht kraft Gesetzes unter Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO).
Soweit die Steueranmeldung – ggf. nach Zustimmung durch die Finanzbehörde – einer Steuerfestsetzung gleichsteht, gelten die allgemeinen Regelungen für eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Steuerpflichtige kann die durch die Steueranmeldung bewirkte Steuerfestsetzung mit dem Einspruch (§ 347 AO) anfechten, obwohl sie seinen eigenen Angaben entspricht. Ein Einspruch ist aber ausgeschlossen, wenn der Anmeldende auf ihn nach § 354 AO verzichtet hat. Der Steuerpflichtige kann, solange der Nachprüfungsvorbehalt wirksam ist, auch einen Aufhebungs- oder Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO stellen. Zur Befugnis Dritter, Einspruch gegen die Steueranmeldung einzulegen, s. Tz. 378. Wird über eine Zustimmung zu einer Steueranmeldung ohne Mitteilung eines zureichenden Grunds binnen angemessener Frist nicht entschieden, kann Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) erhoben werden.
Die Finanzbehörde kann den Nachprüfungsvorbehalt jederzeit aufheben. Nach einer abschließenden Prüfung ist er aufzuheben (Tz. 191). Der Nachprüfungsvorbehalt zur Festsetzung einer Vorauszahlung (z. B. zur vorangemeldeten Umsatzsteuer) kann nicht aufgehoben werden. Nach Aufhebung oder Wegfall des Nachprüfungsvorbehalts kann die Steuerfestsetzung nur dann aufgehoben oder geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift der AO (z. B. § 173 AO) oder eines anderen Steuergesetzes erfüllt sind.
Wegen der angemeldeten Steuer kann die Finanzbehörde erforderlichenfalls vollstrecken, ohne dass es eines Leistungsgebots bedarf (§ 249 Abs. 1 Satz 2, § 254 Abs. 1 Satz 4 AO).
VI. Festsetzungsverjährung
Im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO) u. a. durch Eintritt der Verjährung. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sind Teilaspekte des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 GG). Durch die Festsetzungsverjährung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erweisbarkeit von Ansprüchen umso schwieriger wird, je älter die Ansprüche werden (vgl. , BStBl 1989 II S. 442).
Die AO unterscheidet zwischen der Festsetzungsverjährung (§§ 169 - 171 AO) und der Zahlungsverjährung (§§ 228–232 AO). Die Festsetzungsverjährung betrifft die Geltendmachung des nach § 38 AO durch Tatbestandsverwirklichung entstandenen Steueranspruchs durch Erlass oder Korrektur eines Steuerbescheids bzw. durch Abgabe einer Steueranmeldung. Die Zahlungsverjährung betrifft hingegen erst die Durchsetzung des nach § 218 Abs. 1 AO „titulierten” Zahlungsanspruchs im Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren.
Der Ablauf der Festsetzungsfrist hat nicht nur Bedeutung für die Zulässigkeit der Steuerfestsetzung. Er ist u. a. auch für den gesetzlichen Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 4 AO und die Aufbewahrungsfristen für aufbewahrungspflichtige Unterlagen (vgl. § 147 Abs. 3 Satz 3 AO) relevant. Mittelbar berührt die Verjährung auch die Verzinsung nach § 233a AO, weil der Zinslauf auf den Zeitraum zwischen Steuerentstehung und Steuerfestsetzung abstellt.
Die Festsetzungsverjährung schließt Ermittlungshandlungen der Finanzbehörde im Einzelfall (§§ 88, 92 ff., 193 ff., 208 Abs. 1 Nr. 2 AO) nicht aus (vgl. , BStBl 1986 II S. 433).
Tz. 196 Festsetzungsfrist
a) Wesen der Festsetzungsfrist
Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Festsetzung der Steuer bzw. die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Dabei ist es unerheblich, ob der Erlass oder die Korrektur eines Steuerbescheids, Freistellungsbescheids oder Steuervergütungsbescheids zu einer Steuernachforderung oder zu einer Steuererstattung führt. Denn der zugrunde liegende Steueranspruch ist bereits erloschen (§ 47 AO) und darf nicht mehr geltend gemacht werden. Dies gilt auch, wenn die Steuer innerhalb der Festsetzungsfrist unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden ist. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist von Amts wegen zu prüfen, also nicht nur – wie im Zivilrecht – auf Verjährungseinrede hin zu beachten.
Im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten ist die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagende Ehegatten gem. § 26b EStG unbeschadet der individuellen Ermittlung der jeweiligen Einkünfte in Bezug auf das gemeinsame Einkommen und die hierdurch ausgelöste Einkommensteuerschuld als ein Steuerpflichtiger behandelt werden. Denn beide Ehegatten sind jeweils für sich eigenständige Steuersubjekte. Deshalb kann es bei den Ehegatten zu Einkommensteuerfestsetzungen in unterschiedlicher Höhe kommen.
Die Festsetzungsfrist ist nicht wiedereinsetzungsfähig (vgl. , BStBl 2000 II S. 330). Die Regelung des § 110 Abs. 1 AO, nach der auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, erfasst nur verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Fristen, die ,,einzuhalten'' sind; das sind Handlungs- und Erklärungsfristen, die Beteiligte (§ 78 AO) oder Dritte gegenüber der Finanzbehörde zu wahren haben. Nicht wiedereinsetzungsfähig sind dagegen die gesetzlichen Fristen, die von den Finanzbehörden als Verwaltungsträger im Verwaltungsverfahren zu beachten sind.
Ein nach Ablauf der Festsetzungsfrist erlassener Steuerbescheid ist nicht nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, sondern lediglich rechtswidrig (vgl. Nr. 3 AEAO vor §§ 169-171). Die Rechtsverletzung wird nur durch rechtzeitige Anfechtung dieses Bescheids beseitigt. Unterlässt der Steuerpflichtige die Anfechtung oder ist sie – z. B. wegen Fristversäumung – unzulässig, wird der Steuerbescheid materiell bestandskräftig. Der Steuerpflichtige muss dann den Steueranspruch trotz Rechtswidrigkeit des Steuerbescheids erfüllen. Der Steuerbescheid führt dabei nicht zum Wiederaufleben der Festsetzungsfrist und zur Rückgängigmachung der Erlöschenswirkung. Vielmehr wirkt er konstitutiv, da er einen eigenständigen Steueranspruch begründet, der nicht durch Verwirklichung des gesetzlichen Steuertatbestands entstanden ist.
b) Anwendungsbereich
Die Festsetzungsfrist betrifft in erster Linie Steuerbescheide; darüber hinaus gilt sie auch für Freistellungsbescheide und Steuervergütungsbescheide (§ 155 Abs. 1 und 4 AO) sowie für Bescheide über Ansprüche, für die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anwendbar sind (z. B. Investitionszulage, Sparzulage, Wohnungsbauprämie). Für den Erlass von Haftungsbescheiden gelten die Vorschriften über die Festsetzungsfrist nach § 191 Abs. 3 AO entsprechend, allerdings sind die Fristen für den Steuerschuldner und den Haftungsschuldner getrennt zu berechnen; ggf. ist aber die Akzessorietät nach § 191 Abs. 5 AO zu beachten. Für den Erlass und die Korrektur von Feststellungsbescheiden ist die – im Wesentlichen der Festsetzungsfrist entsprechende – Feststellungsfrist anzuwenden (§ 181 AO). Feststellungsbescheide können allerdings auch noch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist ergehen, sofern sie für eine Steuerfestsetzung in einem Folgebescheid von Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 181 Abs. 5 AO). Die Regelungen über die Festsetzungsfrist gelten für die Festsetzung von Steuermessbeträgen einschließlich der Zerlegung und Zuteilung entsprechend (§§ 184, 185 und 190 AO). Für Realsteuern gilt die Festsetzungsfrist auch dann, wenn ihre Verwaltung nach Landesrecht den Gemeinden übertragen wurde.
Für steuerliche Nebenleistungen gilt die Festsetzungsfrist nur, wenn dies gesetzlich ausdrücklich bestimmt ist. Bei Zinsen sind die Sonderregelungen in § 239 Abs. 1 AO zu beachten. Verspätungszuschläge unterliegen nicht der Festsetzungsverjährung. Von der erstmaligen Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist nach Nr. 5 AEAO zu § 169 jedoch grds. abzusehen, wenn die Festsetzungsfrist für die zugrunde liegende Steuer abgelaufen ist. Wird aber ein bereits vor Ablauf der für die Steuer geltenden Festsetzungsfrist festgesetzter Verspätungszuschlag nur aus formellen Gründen oder aufgrund einer fehlerhaften Ermessensausübung bezüglich seiner Höhe aufgehoben, ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags auch nach Ablauf der für die Steuer geltenden Festsetzungsfrist zulässig. Entsprechendes gilt für Zwangsgelder nach § 328 AO. Für Kosten der Vollstreckung besteht nach § 346 Abs. 2 AO eine einjährige Festsetzungsfrist. Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes und unterliegen allein der Zahlungsverjährung (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz AO).
Auf andere Ansprüche, z. B. Duldungsansprüche oder Erstattungsansprüche nach § 37 Abs. 2 AO, ist die Festsetzungsfrist nicht anzuwenden. Für Einfuhr- und Ausgangsabgaben nach EU-Recht gehen die Regelungen des Zollkodex den nationalen Regelungen und damit auch den Regelungen über die Festsetzungsfrist vor. Landessteuern, Kirchensteuern und Kommunalabgaben unterliegen nur dann der Festsetzungsfrist nach der AO, wenn dies durch Landes- oder Satzungsrecht bestimmt ist.
c) Fristwahrung
Die Festsetzungsfrist wird nach § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder wenn bei öffentlicher Zustellung die Benachrichtigung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VwZG bekannt gemacht oder veröffentlicht wird. Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass die Wirksamkeit von Steuerfestsetzungen letztlich von Zufälligkeiten des Bekanntgabevorgangs abhängt, die die Finanzbehörde bei der grds. vorgesehenen Bekanntgabe mittels einfachen Briefs nicht (mehr) beeinflussen kann. Die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ist allerdings nur dann gewahrt, wenn der vor Ablauf der Frist zur Post gegebene Steuerbescheid dem Empfänger nach Fristablauf tatsächlich zugeht (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BStBl 2003 II S. 548). Denn die Vorschrift bezweckt nicht, in Fällen, in denen dem Steuerpflichtigen der vom Finanzamt zur Post gegebene Steuerbescheid gar nicht zugeht, den Ablauf der Festsetzungsfrist bis zu einer wirksamen Bekanntgabe des Bescheids hinauszuschieben.
Wird der Steuermessbescheid – zusammen mit dem Realsteuerbescheid – von der Gemeinde im Auftrag des Finanzamtes versandt, kommt es auf den Zeitpunkt der Absendung des Messbescheids durch die Gemeinde an. Die Absendung der zugrunde liegenden Mitteilungen des Finanzamtes an die Gemeinde reicht zur Fristwahrung nicht aus (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 169).
Unbedeutend ist, ob der wirksame Steuerbescheid rechtswidrig oder sonst fehlerhaft ist. Ein nichtiger Bescheid vermag die Festsetzungsfrist allerdings nicht zu wahren, ebenso wenig ein zunächst zwar wirksamer, dann aber aufgehobener Bescheid oder ein von einer unzuständigen Finanzbehörde erlassener Bescheid.
d) Dauer der Festsetzungsfrist
Für Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen beträgt die Festsetzungsfrist ein Jahr (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Für Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. des Art. 4 Nr. 10 und 11 Zollkodex beträgt die Frist grds. drei Jahre. Allerdings enthält der Zollkodex von der AO abweichende Regelungen über den Beginn der Frist.
Für die übrigen Steuern und Steuervergütungen (d. h. insbesondere Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer) – sowie die entsprechend zu behandelnden Ansprüche, wie z. B. Investitionszulage, Sparzulage, Wohnungsbauprämie – beträgt die reguläre Festsetzungsfrist vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Die Feststellungsfrist (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO) beträgt ebenfalls vier Jahre.
Die Festsetzungsfrist verlängert sich auf zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und auf fünf Jahre, soweit die Steuer leichtfertig verkürzt worden ist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Der Steueranspruch ist daher ggf. in einen hinterzogenen, leichtfertig verkürzten und übrigen Betrag aufzuteilen (Teilverjährung). Steuerhehlerei ist keine Steuerverkürzung und daher von der verlängerten Festsetzungsfrist nicht erfasst. Die Anwendung der zehnjährigen Festsetzungsfrist setzt voraus, dass eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO), d. h. eine vorsätzliche Steuerverkürzung vorliegt. Der Tatbestand des § 370 AO muss objektiv und subjektiv erfüllt sein (vgl. , BStBl 1973 II S. 68, und v. 16. 1. 1973 - VIII R 52/69, BStBl 1973 II S. 273). Von einer leichtfertigen Steuerverkürzung ist auszugehen, wenn die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt, d. h. objektiv gesehen die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung gegeben sind, der Täter aber nicht vorsätzlich, sondern nur leichtfertig gehandelt hat.
Die verlängerte Festsetzungsfrist gilt auch, wenn der Steuerpflichtige eine wirksame strafbefreiende Selbstanzeige i. S. des § 371 AO abgegeben hat oder andere Strafverfolgungshindernisse vorliegen (z. B. Tod oder Flucht des Täters, Amnestie, Verfolgungsverjährung). Unbeachtlich ist es auch, wenn das Straf- oder Bußgeldverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird.
Die zehnjährige Festsetzungsfrist gilt dagegen nicht, wenn hinsichtlich der Steuerhinterziehung ein Schuldausschließungsgrund vorliegt (vgl. , BStBl 1998 II S. 530). Mit den Worten „Steuer hinterzogen” in § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nimmt der Gesetzgeber nämlich auf den Straftatbestand des § 370 AO Bezug. Dieser ist aber nur dann vollständig erfüllt, wenn die Tat auch schuldhaft begangen wurde.
Ob ein hinterzogener oder leichtfertig verkürzter Steuerbetrag vorliegt und damit die zehnjährige oder fünfjährige Festsetzungsfrist in Betracht kommt, ist im Rahmen des Besteuerungsverfahrens von der für die Festsetzung der Steuer zuständigen Stelle zu prüfen und zu entscheiden. An die Entscheidung in einem etwaigen Straf- und Bußgeldverfahren ist die Festsetzungsstelle nicht gebunden. Die in einem Straf- oder Bußgeldverfahren getroffenen Feststellungen können jedoch im Regelfall für das Besteuerungsverfahren übernommen werden (vgl. , BStBl 1995 II S.198). Zur Frage der Feststellung, ob Steuern hinterzogen worden sind, vgl. auch AEAO zu § 71. Entsprechendes gilt bezüglich leichtfertig verkürzter Steuern.
Die verlängerten Festsetzungsfristen gelten unabhängig davon, ob der Steuerschuldner, sein Vertreter oder sein Erfüllungsgehilfe der Täter ist. Handlungen seines Erfüllungsgehilfen muss sich der Steuerpflichtige immer zurechnen lassen. Unbeachtlich ist, ob der Steuerpflichtige oder sein Erfüllungsgehilfe alleine oder mittelbar oder als Anstifter gehandelt haben. Die fünf- oder zehnjährige Festsetzungsfrist wirkt sogar auch dann gegen den Steuerpflichtigen, wenn die Hinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch einen Erfüllungsgehilfen, sondern durch einen anderen Dritten begangen wurde. Denn die Steuerhinterziehung bzw. die leichtfertige Verkürzung „haftet” dem verkürzten Steueranspruch an. Allerdings kann sich der Steuerpflichtige nach § 169 Abs. 2 Satz 3 zweiter Halbsatz AO exkulpieren: Die verlängerte Festsetzungsfrist gilt bei Verkürzungshandlungen Dritter hiernach nicht, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass er aus der Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und die Tat nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.
Da es nicht darauf ankommt, wer die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat, muss bei Gesamtschuldnerschaft jeder Gesamtschuldner die Steuerhinterziehung bzw. leichtfertige Steuerverkürzung eines anderen Gesamtschuldners gegen sich gelten lassen. Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge geht die verlängerte Festsetzungsfrist auf den Gesamtrechtsnachfolger (z. B. den Erben) über.
§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist auch dann anzuwenden, wenn der Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist für hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Steuern verlängert allerdings nicht die Wirksamkeit des Vorbehalts der Nachprüfung (vgl. Nr. 7 AEAO zu § 164).
Tz. 197 Beginn der Festsetzungsfrist
a) Grundsatz
Die Festsetzungsfrist beginnt grds. mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Dies gilt gleichermaßen auch für Steuervergütungen und andere Ansprüche, für die Vorschriften über die Festsetzungsfrist entsprechend anzuwenden sind. Der Zeitpunkt der Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ist in § 38 AO und in den Einzelsteuergesetzen (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 38) geregelt.
Der Beginn der Frist für die gesonderte Feststellung von Einheitswerten ist in § 181 Abs. 3 und 4 AO geregelt. Die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide beginnt nach § 191 Abs. 3 Satz 3AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Bei Zinsen und Kosten der Vollstreckung ergibt sich der Beginn der Festsetzungsfrist aus § 239 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 346 Abs. 2 Satz 2 AO. Hinsichtlich der Verspätungszuschläge vgl. Nr. 5 AEAO zu § 169.
§ 170 Abs. 2–6 AO enthält wichtige Ausnahmen vom Grundsatz des § 170 Abs. 1 AO. Diese Anlaufhemmungen sind in der Praxis überwiegend anzutreffen.
b) Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht
Da die Finanzbehörden bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen sind, hat der Gesetzgeber eine Anlaufhemmung für den Fall angeordnet, dass eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung abzugeben oder eine Anzeige zu erstatten ist. Die Festsetzungsfrist beginnt danach mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Kalenderjahr, in dem die Steuer entstanden ist. Durch die Regelung wird verhindert, dass die Steuerpflichtigen durch unterlassene oder verspätete Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht die Finanzbehörden an der rechtzeitigen Steuerfestsetzung hindern oder deren Ermittlungsmöglichkeiten erheblich einschränken können.
Die Anlaufhemmung gilt für sämtliche Besitz- und Verkehrsteuern, für die aufgrund allgemeiner gesetzlicher Vorschrift (z. B. § 181 Abs. 2 AO; § 25 Abs. 2 EStG; § 14a GewStG; § 49 KStG; § 18 UStG; § 31 ErbStG) oder aufgrund einer Aufforderung der Finanzbehörde (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO) eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist; gesetzliche Vorschrift ist auch eine Rechtsverordnung (§ 4 AO).
Sie gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Stromsteuer (§ 170 Abs. 2 Satz 2 AO). Darüber hinaus kommt sie nicht zur Anwendung, wenn die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO später als aufgrund dieser Anlaufhemmung beginnt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am Ende).
Unwirksame Steuererklärungen (z. B. mündliche oder nicht unterschriebene Erklärungen) stellen keine wirksamen Steuererklärungen dar und beenden daher nicht die Anlaufhemmung. Unerheblich sind auch für den Besteuerungszeitraum abgegebene Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Maßgebend ist hier allein die Umsatzsteuer-Erklärung für das Kalenderjahr.
Unter Anzeige i. S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist eine Erklärung des Steuerpflichtigen zu verstehen, die mit der Steuerfestsetzung in Zusammenhang steht, sich aber im Gegensatz zu Steuererklärungen und Steueranmeldungen nur auf besondere Aspekte des Steuertatbestands bezieht (z. B. § 19 GrEStG). In Fällen, in denen eine alleinige Anzeigepflicht Dritter (Fremdanzeigen z. B. durch Gerichte, Behörden, Notare) besteht, ist die Anlaufhemmung nicht gegeben. Es wäre mit den durch die Verjährungsvorschriften verwirklichten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens nicht vereinbar, die Verjährung des Steueranspruchs aus Gründen hinauszuschieben, die der Steuerpflichtige nicht kennt (vgl. , BStBl II S. 780). Eine Berichtigungsanzeige nach § 153 AO ist keine Anzeige i. S. der Vorschrift und löst keine Anlaufhemmung aus (vgl. Nr. 3 AEAO zu § 170).
c) Anlaufhemmung bei Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern
Die Anlaufhemmung entspricht weitgehend der Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht (s. o.). Da sie nicht für Verbrauchsteuern – ausgenommen die Stromsteuer – gilt, ist sie nach Abschaffung der Wechselsteuer und der Börsenumsatzsteuer sowie dem Auslaufen der Kraftfahrzeugsteuer-Erhebung im Markenverfahren im Beitrittsgebiet (§ 12a KraftStG) bedeutungslos geworden.
d) Anlaufhemmung bei antragsgebundenen Steuerfestsetzungen
Soweit Steuern oder Steuervergütungen nur auf Antrag festgesetzt werden, ist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mangels Erklärungspflicht nicht einschlägig. Für die erstmalige Festsetzung gilt daher der Fristbeginn nach § 170 Abs. 1 AO.
Lediglich für die Aufhebung oder Änderung der antragsgebundenen Festsetzung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO wird der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 3 AO hinausgeschoben (vgl. , BStBl 2001 II S. 432). Die Festsetzungsfrist beginnt (nur für die Korrektur der antragsabhängigen Festsetzung) nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wurde. Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem der Antrag bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen ist. Ein eventuell mit der erstmaligen antragsgebundenen Festsetzung verbundener Nachprüfungsvorbehalt fällt dabei nicht vor Ablauf der nach § 170 Abs. 3 AO verlängerten Festsetzungsfrist weg.
e) Anlaufhemmung bei der Vermögensteuer und der Grundsteuer
Die Anlaufhemmung bei Erklärungspflicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erfährt für die (für Zeiträume vor 1996 noch zu erhebende) Vermögensteuer und die Grundsteuer nach § 170 Abs. 4 AO eine wesentliche Ergänzung, weil diese Steuern nicht jährlich aufs Neue, sondern grds. nach den Verhältnissen zum Hauptveranlagungszeitpunkt für mehrere Jahre festgesetzt werden. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bezieht sich nur auf das erste Kalenderjahr, für das die Steuer festgesetzt wird. Dabei kann es sich aber nicht nur um das Kalenderjahr des Hauptveranlagungszeitpunkts handeln, es kann sich auch um Fälle handeln, in denen eine Erklärung auf einen Nach- oder Neuveranlagungszeitpunkt abzugeben ist. Nach § 170 Abs. 4 AO wird der Anlauf der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums im gleichen Maße hinausgeschoben wie die Festsetzungsfrist für das Kalenderjahr, für das aufgrund der Steuererklärungsfrist die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO hinausgeschoben wird („Domino-Effekt”). Damit wird ein kontinuierlicher Ablauf der Festsetzungsfrist innerhalb des Hauptveranlagungszeitraums erreicht. Eine entsprechende Regelung enthält § 181 Abs. 3 Satz 3 AO für Einheitswertfeststellungen.
f) Anlaufhemmung bei der Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer
Die dreijährige Begrenzung der Anlaufhemmung bei Erklärungs-/Anzeigepflicht reicht bei Erbschaften/Schenkungen häufig nicht aus. Deshalb dehnt § 170 Abs. 5 AO die Anlaufhemmung ggf. unbefristet aus. Ist aber die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO weitergehend (z. B. bei aufschiebend bedingten Erwerben von Todes wegen), geht sie der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 5 AO vor.
Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO soll u. a. einen frühzeitigen Ablauf der Festsetzungsfrist verhindern, wenn dem Erben der Erbfall erst spät bekannt wird. Abzustellen ist dabei grds. auf den Zeitpunkt der Testamentseröffnung, es sei denn, es bestehen nach erkennbaren objektiven Umständen Zweifel am Bestand der letztwilligen Verfügung.
Die Anlaufhemmungen nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 und 3 AO sollen die schenkungsteuerliche Erfassung von Sachverhalten gewährleisten, von denen die Finanzbehörde häufig erst nach vielen Jahren erfährt. Dabei führt nur die positive Kenntnis der Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung zum Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 5 Nr. 2, 2. Alternative AO. Nicht ausreichend ist die Kenntnis von Umständen, die erst aufgrund weiterer Ermittlungen eine Prüfung der Frage ermöglichen, ob ein schenkungspflichtiger Vorgang vorliegt (vgl. , BStBl 1998 II S. 647).
Tz. 198 Ablaufhemmung
a) Allgemeines zum Ablauf der Festsetzungsfrist
Die Ablaufhemmung schiebt das Ende der Festsetzungsfrist hinaus. Die Festsetzungsfrist endet in diesen Fällen meist nicht – wie im Normalfall – am Ende, sondern im Laufe eines Kalenderjahrs. Zur Fristberechnung s. § 108 AO.
Die Tatbestände für eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist sind in § 171 AO nicht abschließend geregelt. Weitere Ablaufhemmungen enthalten insbesondere § 174 AO für den Fall widerstreitender Steuerfestsetzungen, § 10d Abs. 1 EStG für den Fall des Verlustrücktrags sowie § 239 Abs. 1 Satz 3 AO für Zinsen nach § 233a AO.
b) Ablaufhemmung bei höherer Gewalt
Solange die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufs nicht erfolgen kann, läuft die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 1 AO nicht ab. Höhere Gewalt sind dabei alle von außen kommenden Ereignisse, die es auch bei Anwendung der äußersten den Umständen nach zu erwartenden Sorgfalt nicht zulassen, dass die Finanzbehörde ihren Anspruch durch Festsetzung der Steuer geltend macht. Dies gilt nicht nur für erstmalige Steuerbescheide, die Ablaufhemmung wirkt auch hinsichtlich der Korrektur einer Steuerfestsetzung. Beispiele für höhere Gewalt sind Krieg, Naturkatastrophen und Feuer.
Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO ist aber nur dann einschlägig, wenn das fragliche Ereignis innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufs eintritt oder seine Folgen unmittelbar in die letzten sechs Monate des Fristlaufs hineinwirken. Die Festsetzungsfrist verlängert sich dann um den Zeitraum, während dessen die Steuer innerhalb der letzten sechs Monate der Festsetzungsfrist wegen des als höhere Gewalt zu beurteilenden Ereignisses nicht festgesetzt werden konnte. Ist das fragliche Ereignis hingegen bereits vor den letzten sechs Monaten eingetreten und wurden seine Folgen ebenfalls vor diesem Zeitraum beseitigt, tritt auch dann keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO ein, wenn das Finanzamt aufgrund des schädigenden Ereignisses die Steuerunterlagen verloren hat. Die hierauf beruhende Unkenntnis der Finanzbehörde vom Bestehen des Steueranspruchs ist selbst keine höhere Gewalt.
c) Ablaufhemmung wegen offenbarer Unrichtigkeiten
Nach § 171 Abs. 2 AO endet die Festsetzungsfrist für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten i. S. des § 129 AO nicht vor Ablauf eines Jahrs nach Bekanntgabe des Bescheids, bei dessen Erlass eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist. Die Ablaufhemmung gilt aber nur für die auf der offenbaren Unrichtigkeit beruhende Mehr- oder Mindersteuer.
Für die Beurteilung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 2 AO bleibt der Bescheid, bei dessen Erlass die offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist, auch dann alleiniger Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Jahresfrist, wenn sich das Versehen in mehreren nachfolgenden Änderungsbescheiden (durch Übernahme) wiederholt hat. Ist die Unrichtigkeit in einem Steuerbescheid unterlaufen, der mehr als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist, kann die Wiederholung der Unrichtigkeit in einem innerhalb des letzten Jahrs der Festsetzungsfrist erlassenen Änderungsbescheid daher keine Ablaufhemmung auslösen.
d) Ablaufhemmung bei Antrag auf Steuerfestsetzung oder Korrektur der Steuerfestsetzung außerhalb des Einspruchs- oder Klageverfahrens
Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO setzt voraus, dass der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist (außerhalb des außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens) einen Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Korrektur einer Steuerfestsetzung stellt. Ziel ist es, der Finanzbehörde ausreichend Zeit zur Entscheidung über den gestellten Antrag einzuräumen.
Als Antrag auf Steuerfestsetzung sind nur solche (Willens-)Erklärungen des Steuerpflichtigen anzusehen, die ein Tätigwerden des Finanzamts außerhalb der sog. Amtsmaxime nach sich ziehen. Dabei handelt es sich um solche Steuerfestsetzungen, die ausschließlich auf entsprechenden Antrag festgesetzt werden (z. B. die Antragsveranlagung zur Einkommensteuer nach § 46 Abs. 2 EStG ). Hat der Steuerpflichtige bereits aufgrund allgemeiner gesetzlicher Regelung und nach entsprechender Aufforderung des Finanzamtes eine Steuererklärung abzugeben, löst die Abgabe der Steuererklärung keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO aus.
Antrag auf Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung i. S. des § 171 Abs. 3 AO ist nicht der Einspruch i. S. der §§ 347 ff. AO, wohl aber der Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder der Antrag auf Änderung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO. In Betracht kommen auch Änderungsanträge in den Fällen des § 165 und der §§ 173–175 AO. Allerdings gelten bei vorläufigen Steuerfestsetzungen und bei Folgebescheiden daneben auch die Ablaufhemmungen des § 171 Abs. 8 und 10 AO. Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 oder 227 AO hemmen den Fristablauf nicht nach § 171 Abs. 3 AO; eine Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO bewirkt aber als Grundlagenbescheid eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO (vgl. dazu , BStBl 2001 II S. 178).
Der Umfang der Ablaufhemmung richtet sich nach dem Inhalt des Antrags. Die Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, wie die Steuer nach dem Antrag festgesetzt werden soll bzw. wie die Steuerfestsetzung korrigiert werden soll. Bei einem Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung umfasst die Ablaufhemmung zwangsläufig den Steueranspruch in der gesamten bisher festgesetzten Höhe.
e) Ablaufhemmung bei Anfechtung einer Steuerfestsetzung im Einspruchs- oder Klageverfahren
Wird ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Unanfechtbarkeit liegt vor, wenn die Einspruchsentscheidung bzw. die Entscheidung des Finanzgerichts nicht oder nicht mehr mit den Rechtsbehelfen nach der FGO angefochten werden kann. Sie liegt deshalb insbesondere vor, wenn die Klagefrist verstrichen ist oder nach der FGO kein Rechtsmittel mehr möglich ist. Unanfechtbarkeit kann auch dann vorliegen, wenn ihrer ungeachtet eine anderweitige Änderung der Steuerfestsetzung nach den Korrekturvorschriften der AO von Amts wegen möglich ist. Nimmt der Steuerpflichtige seinen Antrag zurück oder verzichtet er ausdrücklich auf einen Rechtsbehelf, tritt mit Zugang dieser Erklärung Unanfechtbarkeit ein, so dass zugleich auch die Festsetzungsfrist endet. Erklären die Beteiligten eines finanzgerichtlichen Rechtsstreits übereinstimmend die Hauptsache für erledigt, tritt ebenfalls Unanfechtbarkeit ein. Soweit die Finanzbehörde dabei eine bestimmte Änderung des angefochtenen Bescheids zugesagt hat, ist sie hieran gebunden und darf die Änderung nicht mit dem Einwand des Verjährungseintritts verweigern. In den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, § 101 FGO ist über den Rechtsbehelf erst dann unanfechtbar entschieden, wenn ein aufgrund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist.
Nach § 171 Abs. 3a Satz 1 zweiter Halbsatz AO reicht auch die Anfechtung nach Ablauf der Festsetzungsfrist aus, um die Ablaufhemmung herbeizuführen, wenn der angefochtene Steuerbescheid selbst vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wurde. Damit bleibt dem Steuerpflichtigen selbst dann die einmonatige Einspruchsfrist erhalten, wenn der Steuerbescheid innerhalb des letzten Monats der Festsetzungsfrist erlassen wurde. Gleiches gilt bei einer Anfechtung im finanzgerichtlichen Verfahren (Klage, Revision).
Nach § 171 Abs. 3a Satz 2 erster Halbsatz AO umfasst die Ablaufhemmung ausdrücklich die Möglichkeit der Verböserung, weil der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des gesamten Steueranspruchs gehemmt ist, solange über den zulässigen Einspruch oder die zulässige Klage noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist. Dies gilt allerdings nicht, soweit der Rechtsbehelf unzulässig ist und deshalb keine Sachentscheidung getroffen werden kann (§ 171 Abs. 3a Satz 2 zweiter Halbsatz AO ). Daneben ist die Ablaufhemmung ausgeschlossen, soweit ein Änderungsbescheid oder ein Folgebescheid unzulässigerweise angefochten wird (vgl. § 351 AO ). In letzterem Fall ist ggf. die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO zu beachten.
f) Ablaufhemmung bei Durchführung einer Außenprüfung
Wird vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, läuft gem. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung i. S. von § 202 Abs. 1 Satz 3 AO drei Monate verstrichen sind. Das Gleiche gilt, wenn der rechtzeitige Beginn einer Außenprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird. Die Festsetzung endet bei Vorliegen der in § 171 Abs. 4 Satz 3 AO geregelten Voraussetzungen spätestens, wenn die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind. Die Vorschrift stellt sicher, dass nach Abschluss einer Außenprüfung noch Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden können. Auf Personen, die nicht Adressaten der Prüfungsanordnung sind (d. h. Dritte, z. B. der Ehegatte), erstreckt sich diese Wirkung nicht.
Der Eintritt der Ablaufhemmung setzt zunächst voraus, dass dem Steuerpflichtigen eine wirksame Prüfungsanordnung bekanntgegeben wurde. Die Ablaufhemmung tritt nicht ein, wenn eine zugrunde liegende Prüfungsanordnung unwirksam ist (vgl. , BStBl 1988 II S. 165). Ist die Prüfungsanordnung wirksam, aber rechtswidrig, begründet die hierauf durchgeführte Außenprüfung gleichwohl die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO. Nur eine erfolgreiche Anfechtung der rechtswidrigen Prüfungsanordnung kann den Eintritt der Ablaufhemmung verhindern. Eine Außenprüfung hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist nur für Steuern, auf die sich die Prüfungsanordnung erstreckt. Wird die Außenprüfung später auf bisher nicht einbezogene Steuern ausgedehnt, ist die Ablaufhemmung nur wirksam, soweit vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Prüfungsanordnung erlassen und mit der Außenprüfung auch insoweit ernsthaft begonnen wird (vgl. , BStBl 1994 II S. 377).
Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird auch gehemmt, wenn die Prüfungsanordnung entweder angefochten und die Vollziehung ausgesetzt oder auf Antrag des Steuerpflichtigen der Beginn der Außenprüfung verschoben wurde (Nr. 3 AEAO zu § 171).
Für die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO reicht es nicht aus, dass dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist lediglich eine wirksame Prüfungsanordnung i. S. des § 196 AO oder eine Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn bekannt gegeben wurden. Vielmehr muss die zuständige Finanzbehörde ernsthaft mit der Prüfung begonnen haben. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Prüfer beim Steuerpflichtigen zur Prüfung erschienen ist und die Prüfung vor Ort tatsächlich aufnimmt. Dabei reichen schon Anfangsbesprechungen mit dem Steuerpflichtigen oder seinem steuerlichen Berater aus, wenn sie unmittelbar der Durchführung der Prüfungsmaßnahmen dienen. Bloße Scheinhandlungen reichen nicht aus, die Ablaufhemmung herbeizuführen.
Die durch eine Außenprüfung begründete Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO entfällt rückwirkend, wenn diese Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus von der Finanzbehörde zu vertretenden Gründen unterbrochen wird (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO). Damit soll verhindert werden, dass die Finanzbehörde Außenprüfungen nur „pro forma” beginnen, um den Ablauf der Festsetzungsfrist zu verhindern. Die Frage, wann eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen wird, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Eine Unterbrechung der Außenprüfung auf Wunsch des Steuerpflichtigen oder von bis zu sechs Monaten lassen die Ablaufhemmung ebenso unberührt wie eine Unterbrechung im Laufe der Prüfung.
Die Festsetzungsfrist für die im Rahmen der Außenprüfung geprüften Steuern endet nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung oder die letzten Prüfungshandlungen stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen (d. h. regelmäßig vier Jahre) verstrichen sind. Damit ist es der Finanzbehörde verwehrt, mit der Durchführung der Schlussbesprechung und der Auswertung der Prüfungsfeststellungen unangemessen lange Zeit zu warten. Ablaufhemmungen nach anderen Vorschriften bleiben hierdurch aber unberührt.
g) Ablaufhemmung bei Ermittlungen der Fahndungsstellen
Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO werden die Ermittlungen der Steuer- und Zollfahndung hinsichtlich der ablaufhemmenden Wirkung grds. der Durchführung einer Außenprüfung gleichgestellt. Bei der Tätigkeit der Fahndungsstellen kann es sich um die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten handeln oder auch um die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (vgl. § 208 AO ).
Die Ablaufhemmung tritt ein, wenn der Fahndungsdienst vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beim Steuerpflichtigen begonnen hat. Dabei ist aber im Gegensatz zu Prüfungshandlungen der Außenprüfer zur Hemmung der Festsetzungsfrist keine förmliche Anordnung der Ermittlungen erforderlich. Der Steuerpflichtige muss aber erkennen können, dass die Fahndungsstelle in seinen Angelegenheiten ermittelt.
Der Umfang der Ablaufhemmung richtet sich – anders als bei der Außenprüfung – nach den tatsächlich durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen. Die Ablaufhemmung endet, wenn die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
Auch die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens kann zu einer Ablaufhemmung führen. Dies setzt aber voraus, dass dem Steuerpflichtigen die Einleitung eines solchen Verfahrens vor Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO). Allerdings reicht es aus, wenn die Mitteilung rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgesandt und – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe – tatsächlich wirksam wurde. Hinsichtlich des Umfangs und der Dauer der Ablaufhemmung gelten die Regelungen bei Durchführung von Ermittlungen durch Fahndungsstellen nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO entsprechend.
h) Ablaufhemmung bei sonstigen Ermittlungen
Wenn der Steuerpflichtige sich im Ausland aufhält, die Bücher im Ausland geführt werden oder sonst tatsächliche Verhältnisse im Ausland zu prüfen sind, können die Besteuerungsgrundlagen im Geltungsbereich der AO nicht durch eine Außenprüfung i. S. der §§ 193 ff. AO ermittelt werden. In diesen Fällen wird durch sonstige Ermittlungsmaßnahmen i. S. des § 92 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit der auf diesen Ermittlungen beruhenden Steuerbescheide gehemmt. In Betracht kommen hierbei z. B. die Einholung von Auskünften von Beteiligten oder Dritten, die Zuziehung von Sachverständigen, die Beiziehung von Urkunden und Akten sowie die Einnahme des Augenscheins oder die Ermittlung durch zwischenstaatliche Amtshilfe. Die Ablaufhemmung tritt allerdings nur ein, wenn der Steuerpflichtige über die Ermittlungsmaßnahmen unterrichtet wurde und die entsprechende Mitteilung vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgesandt und – unabhängig vom Zeitpunkt ihres Zugangs – auch wirksam geworden ist. Die Mitteilung muss auch den zeitlichen und sachlichen Umfang der Ermittlungen beschreiben. Nur insoweit wird die Ablaufhemmung wirksam. Eine spätere Erweiterung des Ermittlungsrahmens ist nur dann zulässig, wenn dies dem Steuerpflichtigen noch vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist mitgeteilt wird. Führen die Ermittlungen zu keinen (Mehr- oder Minder-)Ergebnissen, endet die Ablaufhemmung bereits mit Bekanntgabe einer entsprechenden Mitteilung der Finanzbehörden gegenüber dem Steuerpflichtigen; insoweit gilt nicht die Drei-Monats-Frist nach § 171 Abs. 4 AO.
i) Ablaufhemmung bei Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten
Die Vorschrift hat an praktischer Bedeutung verloren, seit sich der , BStBl 1995 II S. 575 der BGH-Rechtsprechung angeschlossen und für den Bereich der Steuerhinterziehung die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs für nicht mehr anwendbar erklärt hat.
j) Ablaufhemmung bei vorläufiger oder ausgesetzter Steuerfestsetzung
Bei einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres bzw. in den Fällen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren, nachdem die Finanzbehörde von der Beseitigung der Ungewissheit Kenntnis erhalten hat. Eine Ungewissheit, die Anlass für eine vorläufige Steuerfestsetzung war, ist beseitigt, wenn die Tatbestandsmerkmale für die endgültige Steuerfestsetzung feststellbar sind. „Kenntnis” i. S. des § 171 Abs. 8 AO verlangt deshalb positive Kenntnis der Finanzbehörde von der Beseitigung der Ungewissheit, ein „Kennen-müssen” von Tatsachen steht der Kenntnis nicht gleich (vgl. Nr. 5 AEAO zu § 171).
Auslöser der Ablaufhemmung ist die wirksame Bekanntgabe des vorläufigen Steuerbescheids oder des Bescheids über die („vorläufige”) Aussetzung der Steuerfestsetzung. Ist dieser Bescheid nichtig oder wurde er nicht wirksam bekanntgegeben, tritt keine Ablaufhemmung ein. Die Ablaufhemmung bezieht sich nur auf den Teil des Steueranspruchs, der vorläufig festgesetzt wurde. Bei einer Aussetzung der Steuerfestsetzung umfasst die Ablaufhemmung hingegen den gesamten Steueranspruch.
Wird die Vorläufigkeitserklärung oder der Bescheid über die Aussetzung der Steuerfestsetzung aufgehoben, entfällt die Ablaufhemmung bereits ab Wirksamkeit dieses Verwaltungsakts. Dies gilt nicht nur, wenn die Endgültigkeitserklärung isoliert erfolgt, sondern auch, wenn die Aufhebung der Vorläufigkeit mit einer Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung verbunden oder wenn die ausgesetzte Steuerfestsetzung durch Erlass eines endgültigen Steuerbescheids nachgeholt wird (vgl. § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ).
k) Ablaufhemmung bei Berichtigung der Steuererklärung oder Selbstanzeige
Erstattet der Steuerpflichtige eine Selbstanzeige nach § 371 AO oder berichtigt er die Steuererklärung oder andere Erklärungen nach §§ 153 oder 378 Abs. 3 AO, löst dies die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO aus. Die Festsetzungsfrist endet in diesem Fall erst mit Ablauf von einem Jahr nach Eingang der Berichtigung bzw. der Selbstanzeige. Diese Jahresfrist beginnt mit Ablauf des Tags, an dem die Anzeige/Berichtigung bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen ist. Die Ablaufhemmung umfasst den gesamten Steueranspruch. Andere gesetzlich vorgeschriebene Anzeigen lösen keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO, ggf. aber die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO aus.
l) Ablaufhemmung bei Erlass oder Korrektur von Grundlagenbescheiden
Soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid als sog. Grundlagenbescheid bindend ist, endet nach § 171 Abs. 10 AO die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides. Zweck dieser Regelung ist es, den Finanzbehörden ausreichend Zeit für die Auswertung eines Grundlagenbescheids einzuräumen. § 171 Abs. 10 AO ist die verjährungsrechtliche Ergänzung zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
Grundlagenbescheide sind nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO alle Verwaltungsakte, die für einen Steuerbescheid bindend sind, d. h. sind alle steuerlichen und außersteuerlichen Verwaltungsakte, denen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung Bindungswirkung für den Steuerbescheid zukommt. Hierzu gehören in erster Linie Feststellungsbescheide i. S. des § 179 AO (vgl. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO ). Grundlagenbescheide können aber auch außersteuerliche Verwaltungsakte sein.
Die Vorschrift gewährt eine maximale Anpassungsfrist von zwei Jahren nach Bekanntgabe eines Grundlagenbescheids (vgl. , BStBl 2005 II S. 242). Diese Frist beginnt mit Ablauf des Tags, an dem der Grundlagenbescheid wirksam bekannt gegeben worden ist. Der Zeitpunkt des Zugangs der verwaltungsinternen Mitteilung über den Grundlagenbescheid bei der für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzbehörde ist für die Fristbestimmung ebenso unbeachtlich wie der Zeitpunkt, an dem der Grundlagenbescheid unanfechtbar geworden ist. Eine Anfechtung des Grundlagenbescheids führt lediglich zur Hemmung der Feststellungsfrist (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. mit § 171 Abs. 3a AO), nicht aber zur Hemmung der Festsetzungsfrist der Folgebescheide.
Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO umfasst nur den Teil des Steueranspruchs, der auf den im Grundlagenbescheid gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen beruht (Teilverjährung); die Verjährung des „übrigen” Teils des Steueranspruchs wird nicht von der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO erfasst. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Grundlagenbescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Nur wegen Nichtigkeit oder fehlerhafter Bekanntgabe unwirksame Grundlagenbescheide lösen keine Ablaufhemmung aus.
Andere Ablaufhemmungen, die für nicht gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlagen maßgeblich sind, haben grds. keine Relevanz für die Auswertung des Grundlagenbescheids. Die bei einem Steuerpflichtigen unmittelbar durchgeführte Außenprüfung darf sich nach der Aufgabenverteilung zwischen Feststellungs- und Veranlagungsverfahren nicht auf solche Besteuerungsgrundlagen erstrecken, die Gegenstand der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids sind. Da aber Außenprüfungen bei Großbetrieben und Konzernen nicht selten länger als zwei Jahre dauern, konnte die Auswertung der Mitteilungen der Feststellungsfinanzämter über die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen früher wegen ansonsten drohender Verjährung nicht bis zur Auswertung des Prüfungsberichts zurückgestellt werden. Deshalb wurde eine Anknüpfung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO an die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO eingeführt. Ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des Teils der Steuer, für den der Grundlagenbescheid nicht bindend ist, nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt, endet die Festsetzungsfrist für den Teil der Steuer, für den der Grundlagenbescheid bindend ist, nach § 171 Abs. 10 Satz 2 AO nicht vor Ablauf der nach § 171 Abs. 4 AO gehemmten Frist. Von besonderer praktischer Bedeutung ist diese Regelung insbesondere, wenn die Beteiligung an einer Personengesellschaft zum Betriebsvermögen gehört und der Grundlagenbescheid deshalb unmittelbar im Rahmen der Bilanz und der Gewinnermittlung zu berücksichtigen ist. Die Anknüpfung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO an das Schicksal der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO hat allerdings nur Bedeutung für die Fristberechnung. Auch weiterhin darf sich eine Außenprüfung beim Gesellschafter einer Personengesellschaft nicht auf Besteuerungsgrundlagen erstrecken, die der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids unterliegen.
m) Ablaufhemmung bei Geschäftsunfähigkeit, beschränkter Geschäftsfähigkeit und Betreuung
Bei geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Personen ohne gesetzlichen Vertreter endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von sechs Monaten, nachdem die Person unbeschränkt geschäftsfähig geworden ist oder der Vertretungsmangel beseitigt wurde. Denn die Finanzbehörde kann gegenüber einer solchen Person den Steueranspruch nicht geltend machen. Ist ein gesetzlicher Vertreter zwar vorhanden, aber tatsächlich verhindert, löst dies keine Ablaufhemmung aus. Soweit eine beschränkt geschäftsfähige Person aber handlungsfähig ist (vgl. § 79 Abs. 1 AO ), gilt die Ablaufhemmung nicht. Die gleiche Ablaufhemmung kommt zum Tragen, soweit für eine Person ein Betreuer bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB angeordnet ist, der Betreuer aber weggefallen (z. B. verstorben) oder aus rechtlichen Gründen an der Vertretung des Betreuten verhindert ist ( § 171 Abs. 11 Satz 2 AO ).
n) Ablaufhemmung bei Steuerfestsetzung gegen einen Nachlass
Entsprechend der Regelung in § 211 BGB tritt nach § 171 Abs. 12 AO eine Ablaufhemmung ein, wenn sich die Steuerfestsetzung gegen einen Nachlass richtet, für den niemand auftreten kann. Die Finanzbehörde kann den Steueranspruch nicht geltend machen, solange die Erben die Erbschaft nicht angenommen haben, kein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet worden ist oder die Erben nicht durch einen legitimierten Vertreter vertreten sind. Die Ablaufhemmung erstreckt sich auf alle Steuern, die in der Person des Erblassers entstanden sind und gegen die Erben geltend zu machen sind, sowie für alle Steuern, die zu den Erbfallschulden gehören (z. B. Erbschaftsteuer).
o) Ablaufhemmung bei Insolvenzverfahren
Um die Anmeldung – und damit ggf. die zumindest partielle Erfüllung – von Steuerforderungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Steuerpflichtigen unabhängig vom regulären Ablauf der Festsetzungsfrist zu ermöglichen, wird nach § 171 Abs. 13 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich der im Insolvenzverfahren angemeldeten Steuer gehemmt. Die Festsetzungsfrist läuft nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ab. Die Finanzbehörde kann dann – ungeachtet des regulären Ablaufs der Festsetzungsfrist – innerhalb der Drei-Monats-Frist noch einen Steuerbescheid gegen den Steuerschuldner erlassen, wenn der Steueranspruch nicht im Insolvenzverfahren erloschen ist. Die Drei-Monats-Frist beginnt, wenn ein Beschluss über die Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens wirksam wird, d. h. wenn der Beschluss öffentlich bekannt gemacht wird.
p) Ablaufhemmung bei Erstattungsansprüchen nach § 37 Abs. 2 AO
§ 171 Abs. 14 AO verlängert die Festsetzungsfrist bis zum Ablauf der Zahlungsverjährung für die Erstattung von rechtsgrundlos gezahlten Steuern i. S. des § 37 Abs. 2 AO. Die Finanzbehörde kann Steuerfestsetzungen, die wegen Bekanntgabemängeln unwirksam waren oder deren wirksame Bekanntgabe sie nicht nachweisen kann, noch nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist nachholen, soweit die Zahlungsverjährungsfrist für die bisher geleisteten Zahlungen noch nicht abgelaufen ist (vgl. Nr. 7 AEAO zu § 171).
Bedeutsam ist die Ablaufhemmung insbesondere, wenn ein Steuerpflichtiger aufgrund entsprechender Festsetzungen Einkommensteuer-Vorauszahlungen geleistet hat und der Steuerbescheid für die Einkommensteuer mangels erfolgreicher Bekanntgabe oder aufgrund Nichtigkeit unwirksam ist. Der Steuerpflichtige kann in diesem Fall bis zum Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist eine Erstattung seiner Vorauszahlungen als rechtsgrundlos geleistete Zahlungen i. S. des § 37 Abs. 2 AO verlangen, wenn innerhalb der Festsetzungsfrist keine Festsetzung der Jahres-Einkommensteuer wirksam geworden ist. Nach § 171 Abs. 14 AO kann die Finanzbehörde jedoch die Steuerfestsetzung noch bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung nachholen und damit einen rechtlichen Grund für die Leistung schaffen. Die Ablaufhemmung ist aber auf den Steueranspruch beschränkt, der dem Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO nach Steuerart, Besteuerungszeitraum und betragsmäßig entspricht. Eine darüber hinaus gehende Steuerfestsetzung ist nicht zulässig.
VII. Bestandskraft; Aufhebung/Änderung von Steuerbescheiden
Tz. 199 Bestandskraft
Hoheitliches Handeln ist nach dem GG an Gesetz und Recht gebunden. Die Änderbarkeit von Verwaltungsakten ist daher nicht in das Belieben der Verwaltung gestellt. Im Steuerrecht sind die Finanzbehörden nach Art. 3 und 20 Abs. 3 GG sowie § 85 AO gehalten, die Steuern inhaltlich richtig und gleichmäßig festzusetzen, was den Grundsätzen von Steuergerechtigkeit und Rechtsrichtigkeit Rechnung trägt. Eine jederzeitige Abänderbarkeit hoheitlicher Maßnahmen zugunsten der materiellen Rechtsrichtigkeit stößt sich jedoch am Prinzip der Rechtssicherheit. Neben den Bestimmungen zur Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO) hat die vom Gesetzgeber vorzunehmende Abwägung der Verfassungsprinzipien Rechtssicherheit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in den ausdifferenzierten Regelungen der §§ 172 ff. AO ihren Niederschlag gefunden (s. , HFR 1992 S. 423). Hiernach ist die Durchbrechung der grds. bestehenden Unabänderlichkeit bestandskräftiger Steuerbescheide zugunsten der materiellen Richtigkeit nur unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen zugelassen; in allen anderen Fällen ist die Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsakts hinzunehmen.
Eine Steuerfestsetzung, die nicht mit einem form- und fristgerecht erhobenen Rechtsbehelf angefochten wird, erwächst in Bestandskraft. Dabei erwachsen nicht die einzelnen Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft, sondern die Festsetzung der Steuer als solche. Mit Eintritt der Bestandskraft sind die Behörden und der Betroffene an den Verwaltungsakt gebunden. Die Steuerfestsetzung kann nur noch aufgehoben, geändert oder berichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer der Korrekturvorschriften der AO oder eines anderen Steuergesetzes erfüllt sind und noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. In allen anderen Fällen scheidet eine Änderung zugunsten des Rechtsfriedens und des Vertrauensschutzes aus. Dem Bürger wird dadurch die Sicherheit gegeben, dass die Änderbarkeit von Verwaltungsakten nicht in das Belieben der Beteiligten gestellt ist und jeder Bürger grds. auf die jeweiligen Regelungen vertrauen darf.
Der gleiche Gedanke liegt auch der Regelung des § 79 Abs. 2 des BVerfGG zugrunde. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung zum Ausdruck gebracht, dass bestandskräftige Verwaltungsakte selbst von einer späteren Nichtigerklärung der Rechtsvorschriften, auf denen sie ganz oder teilweise beruhen, nicht berührt werden. Da es sich insoweit um rechtlich abgeschlossene Vorgänge handelt, hat der Gesetzgeber der Rechtssicherheit Vorrang vor der Einzelfallgerechtigkeit eingeräumt. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und der anderen obersten Bundesgerichte. Danach sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Fall der zu einem späteren Zeitpunkt durch das BVerfG erkannten Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm keine erneute Wiederaufrollung z. B. von Steuerfestsetzungen vor (vgl. , BStBl 1994 II S. 389).
Die §§ 172 ff. AO regeln die Durchbrechung der materiellen Bestandskraft, also der inhaltlichen Verbindlichkeit des Steuerverwaltungsakts, die mit der wirksamen Bekanntgabe gegenüber dem Steuerpflichtigen eintritt. Dieser kann auf den Inhalt des Verwaltungsakts vertrauen. Die Behörde kann den Steuerverwaltungsakt nur noch unter „erschwerten” Voraussetzungen, d. h. soweit das Gesetz es zulässt, korrigieren, also aufheben, ändern oder berichtigen. Die Zulässigkeit der Korrektur ergibt sich dabei nicht nur aus der AO selbst (z. B. §§ 164, 165, 172–175a AO), sondern auch aus anderen Steuergesetzen (z. B. § 10d Abs. 1 EStG; § 35b GewStG; §§ 24 und 24a BewG; § 20 GrStG). Die Vorschriften über die materielle Bestandskraft gelten für Steuerfestsetzungen i. S. des § 155 AO sowie für alle Festsetzungen, für die die Vorschriften über das Steuerfestsetzungsverfahren anzuwenden sind. Bei der Rücknahme (§ 130 AO) und dem Widerruf eines sonstigen Verwaltungsakts (§ 131 AO) finden sie hingegen keine Anwendung.
Die materielle Bestandskraft ist von der formellen Bestandskraft, der sog. Unanfechtbarkeit, zu unterscheiden. Unanfechtbarkeit einer Steuerfestsetzung liegt vor, wenn diese nicht oder nicht mehr mit den ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (§§ 347 ff. AO) oder mit den Rechtsbehelfen des Steuerprozesses (§§ 40 ff. und 115 ff. FGO) angefochten werden kann. Die Unanfechtbarkeit ist unabhängig vom Vorhandensein materieller Bestandskraft. So können z. B. auch Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) unanfechtbar werden. Unanfechtbarkeit bedeutet daher keineswegs Unabänderbarkeit; für die Unanfechtbarkeit ist es nicht von Bedeutung, ob die Festsetzung aufgrund anderer Vorschriften (§§ 164, 165, 172 ff. AO) geändert werden darf. So sind die bereits erwähnten Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung unabhängig von der formellen Bestandskraft nach § 164 Abs. 2 AO dem Umfang nach uneingeschränkt änderbar, solange der Vorbehalt nicht aufgehoben worden oder entfallen ist (d. h. es liegt keine materielle Bestandskraft vor).
Die Korrektur nach einer nicht einschlägigen Korrekturnorm ist unschädlich, wenn sie durch eine andere Korrekturnorm gestützt wird (z. B. eine fälschlicherweise auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützte Änderung, die aber durch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gedeckt ist). Für die Rechtmäßigkeit eines Bescheids ist nämlich nicht die zur Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend; es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm gedeckt ist (vgl. u.a. , BStBl 1995 II S. 2).
Zur Ausübung von steuerlichen Wahlrechten, insbesondere nach Eintritt der Unanfechtbarkeit, s. Nr. 8 AEAO vor §§ 172–177. Wegen der Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten Hinweis auf § 129 AO.
Tz. 200 Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden
a) Allgemeines
§ 172 AO findet Anwendung auf Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide, insbesondere Feststellungsbescheide (§ 179 AO), Steuermessbescheide (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO) und Zerlegungsbescheide (§ 185 AO; aber vorrangige Sonderregelung des § 189 AO). Sie gilt nicht für Haftungs- und Duldungsbescheide (§ 191 AO), Aufteilungsbescheide, Abrechnungsbescheide (§ 218 Abs. 2 AO) und Bescheide über Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO).
Ein Steuerbescheid darf, soweit er nicht vorläufig (§ 165 AO) oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ergangen ist, nur in den § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgezählten Fällen aufgehoben oder geändert werden. § 172 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt, dass auch ein durch Einspruchsentscheidung bestätigter oder geänderter Verwaltungsakt nach den Vorschriften der §§ 129, 164, 165, 172 ff. AO sowie nach entsprechenden Korrekturnormen in den Einzelsteuergesetzen (vgl. Nr. 3 AEAO vor §§ 172–177) korrigiert werden darf. Gleiches gilt für einen im Einspruchsverfahren ergehenden Abhilfebescheid (z. B. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO).
Aus dem Einleitungssatz des § 172 Abs. 1 AO kann nicht geschlossen werden, dass die §§ 172 ff. AO nicht gelten, soweit ein Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig ergangen ist. Diese Vorschriften können dann ergänzend eingreifen, wenn die Korrekturvorschriften nach § 164 Abs. 2 bzw. § 165 Abs. 2 AO im Einzelfall aus verfahrensrechtlichen Gründen (z. B. wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 AO) nicht anwendbar sind. Wenn es im Einleitungssatz heißt, „ein Steuerbescheid darf, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden”, so enthält dieser Satz keine Aussage zu Steuerfestsetzungen nach §§ 164,165 AO, sondern regelt nur die Korrekturbefugnis bei Steuerbescheiden, soweit sie nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind. Derartige Verwaltungsakte können dann lediglich aufgrund der §§ 172 ff. AO geändert werden (vgl. , BStBl 2007 II S. 807).
b) Änderung von Verbrauchsteuerbescheiden
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO darf die Verwaltungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) Steuerbescheide über Verbrauchsteuern – innerhalb der einjährigen Festsetzungsfrist – uneingeschränkt aufheben oder ändern. Ein Antrag des Steuerpflichtigen ist nicht erforderlich. Soweit die Verbrauchsteuergesetze allerdings den Zollkodex für anwendbar erklären, ist die AO nicht anwendbar. Für die Einfuhrumsatzsteuer erklärt § 21 Abs. 2 UStG den Zollkodex für entsprechend anwendbar, so dass eine Anwendung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch hier ausscheidet.
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO will jedoch nicht die Vorschriften der AO über das Rechtsbehelfsverfahren für Verbrauchsteuern durch eine großzügigere Regelung grds. überflüssig machen. Es ist nicht Zweck der Vorschrift, dem Steuerpflichtigen einen zweiten, an keine Rechtsbehelfsfrist gebundenen Rechtsanspruch auf Nachprüfung der Verbrauchsteuerbescheide einzuräumen. Diesem Zweck der Vorschrift entsprechend ist nach § 5 AO der der Verwaltung eingeräumte Ermessensrahmen zu ziehen. Die Ablehnung der Aufhebung oder Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen ist daher nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage gewesen wäre, innerhalb der Einspruchsfrist die Fehlerhaftigkeit des Bescheids geltend zu machen, und Wiedereinsetzungsgründe (§ 110 AO) nicht vorlagen (vgl. , BStBl 1981 II S. 507).
c) Änderung anderer Steuerbescheide
Steuerbescheide, die andere Steuern als Zölle und Verbrauchsteuern betreffen, dürfen nur unter den Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a–d AO korrigiert werden.
aa) Zustimmung, Antrag auf schlichte Änderung
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft.
Die Norm setzt also die Zustimmung des Steuerpflichtigen zur Änderung voraus oder einen der Änderung sachlich entsprechenden Antrag. Antrag oder Zustimmung können sowohl eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen als auch zu seinen Ungunsten betreffen. Dabei ist der Antrag meist auf eine Herabsetzung der Steuer gerichtet, während die Zustimmung des Steuerpflichtigen in aller Regel für eine Steuererhöhung eingeholt wird.
Die Vorschrift bietet die Möglichkeit der schlichten Änderung. Der Sinn des „schlichten” Änderungsverfahrens ist – anders als das Einspruchsverfahren – darauf gerichtet, zügig, einfach und ohne strengen Formzwang zu einer punktuellen Korrektur des Ausgangsbescheids zu gelangen. Der Antrag auf „schlichte” Änderung berechtigt die Finanzbehörde daher nicht zur Gesamtaufrollung des Steuerfalls. Die punktuelle Korrektur setzt den Bezug des Änderungsantrags zu einem konkreten Sachverhalt voraus. Denn die Änderung ist nur zulässig, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen „der Sache nach entsprochen wird”. Darunter ist der Lebenssachverhalt zu verstehen, der nach Ansicht des Steuerpflichtigen in dem ursprünglichen Steuerbescheid nicht zutreffend gewürdigt worden ist und daher nunmehr bei der beantragten Änderung abweichend berücksichtigt werden soll. Es muss sich das vom Steuerpflichtigen verfolgte Änderungsbegehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag auf „schlichte” Änderung selbst ergeben. Angaben zur rein betragsmäßigen Auswirkung der Änderung auf die Steuerfestsetzung sind für die Bestimmtheit des Antrags weder erforderlich noch (für sich genommen) ausreichend. Daraus folgt, dass ein Antrag nicht hinreichend bestimmt ist, wenn er lediglich auf die Herabsetzung der Steuer auf „Null” oder auf einen beliebigen anderen, näher bezeichneten Betrag gerichtet ist. Das gilt auch dann, wenn der Antrag hinsichtlich der Korrekturpunkte im Einzelnen auf eine zu einem späteren Zeitpunkt (außerhalb der Einspruchsfrist) nachzureichende Steuererklärung verweist. Es genügt nicht, einen allgemein auf Änderung des Steuerbescheids gerichteten Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zu konkretisieren und zu begründen. Ein solcher Antrag ist unwirksam und eine auf ihn gestützte Änderung des Steuerbescheids daher unzulässig (vgl. , BStBl 2000 II S. 283).
Auch eine Erweiterung des Änderungsbegehrens ist nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr möglich (zur Erweiterung eines Einspruchsantrags s. Nr. 3 AEAO zu § 367). Der Antragsteller kann allenfalls nach Ablauf der Einspruchsfrist Argumente oder Nachweise zur Begründung eines rechtzeitig gestellten, hinreichend konkreten Änderungsantrags nachreichen oder ergänzen, soweit hierdurch der durch den ursprünglichen Änderungsantrag (Lebenssachverhalt) festgelegte Änderungsrahmen nicht überschritten wird. Eine Antragserweiterung oder erneute Antragstellung ist nur innerhalb der Einspruchsfrist möglich.
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO kann ein Steuerbescheid auch zuungunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werden, wenn dieser der Aufhebung oder Änderung zustimmt oder er diese Korrektur beantragt hat. Die Anzeige eines Steuerpflichtigen nach § 153 AO stellt noch keine solche Zustimmung dar; ggf. kommt aber eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht.
Der Antrag auf schlichte Änderung und die Zustimmung des Steuerpflichtigen bedürfen keiner Form. Änderungsbegehren des Steuerpflichtigen, die vor Ablauf der Einspruchsfrist schriftlich oder elektronisch vorgetragen werden und nicht ausdrücklich als Einspruch bezeichnet sind, werden von den Finanzbehörden regelmäßig als schlichte Änderungsanträge behandelt, wenn der Antragsteller eine genau bestimmte Änderung des Steuerbescheids beantragt und das Finanzamt dem Begehren entsprechen will. Andernfalls wird ein Einspruch anzunehmen sein, da der Einspruch die Rechte des Steuerpflichtigen umfassender und wirkungsvoller wahrt als der bloße Änderungsantrag. Zum Verhältnis des Einspruchs zu einem daneben gestellten Antrag auf schlichte Änderung des Steuerbescheids s. , BStBl 1995 II S. 353.
Mit der beantragten Änderung nicht in sachlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehende materielle Fehler der Steuerfestsetzung können ggf. über § 177 AO berichtigt werden. Anders als beim Einspruch ist eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) aufgrund eines schlichten Änderungsantrags nicht zulässig, hier ist allenfalls eine Stundung (§ 222 AO) möglich.
bb) Änderung wegen Erlasses durch eine sachlich unzuständigen Behörde
Ein Steuerbescheid, der von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde, kann insoweit aufgehoben oder geändert werden. Zur sachlichen Zuständigkeit s. die Erläuterungen zu § 16 AO (Tz. 20).
cc) Änderung wegen Erwirkung durch unlautere Mittel
Der Gesetzgeber hat in den §§ 172 ff. AO Regeln darüber aufgestellt, wie der Prinzipienwiderspruch zwischen Steuergerechtigkeit bzw. materieller Richtigkeit einerseits und Rechtssicherheit bzw. Vertrauensschutz andererseits bei bestandskräftigen Steuerbescheiden zu lösen ist. Dabei hat er sich für den Sonderfall, dass die Unrichtigkeit des Steuerbescheids durch unlautere Mittel erwirkt worden ist, bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung grds. für den Vorrang der materiellen Richtigkeit entschieden. Sinn dieser Bestimmung ist, dass der Adressat Vorteile nicht behalten soll, die er erzielen konnte, weil unlautere Mittel die Unrichtigkeit des Bescheides bewirkt haben.
Gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO darf ein Steuerbescheid, der andere Steuern als Zölle oder Verbrauchsteuern betrifft, geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel erwirkt worden ist. Unlautere Mittel sind u. a. arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung. Ein Steuerbescheid ist auch dann durch unlautere Mittel „erwirkt” ist, wenn dies durch eine andere Person als den Adressaten des Bescheides geschieht.
dd) Änderung in sonstigen gesetzlich zugelassenen Fällen
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO stellt – obwohl sie selbst keine originäre Änderungsnorm ist – die Grundnorm für die Korrektur von Steuerbescheiden dar, indem sie auf die einzelnen Korrekturvorschriften Bezug nimmt. Eine Aufhebung oder Änderung ist danach nur zulässig, soweit sie sonst gesetzlich zugelassen ist. Dies meint nicht nur die jeweiligen Vorschriften der AO – wobei §§130, 131 AO ausdrücklich ausgeschlossen sind –, sondern auch die Regelungen der Einzelsteuergesetze. Die Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass wegen der Bedeutung, die dem Institut der Bestandskraft für die Rechtssicherheit zukommt, bei Steuerbescheiden für ein in sich geschlossenes überschaubares Korrektursystem gesorgt werden muss.
„Sonst gesetzlich zugelassen” ist die Aufhebung oder Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids nur, soweit eine gesetzgeberische Wertentscheidung zugunsten der Durchbrechung der Bestandskraft klar erkennbar ist (vgl. , BStBl 1991 II S. 55).
d) Ablehnungsentscheidung zum Antrag auf Erlass, Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides
§ 172 Abs. 1 AO gilt auch für Verwaltungsakte, durch die ein Antrag auf Erlass, Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids ganz oder teilweise abgelehnt wird.
e) Allgemeinverfügungen
§ 172 Abs. 3 AO dient der rationellen Erledigung von Massenanträgen. Die Regelung erfasst außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung, die eine vom EuGH, BVerfG oder BFH entschiedene Rechtsfrage betreffen und denen nach dem Ausgang des Verfahrens nicht entsprochen werden kann. Die Finanzbehörde braucht diese Anträge nicht mehr einzeln abzulehnen, sondern kann sie insoweit durch Allgemeinverfügung zurückweisen. Das Verfahren richtet sich dabei nach § 367 Abs. 2b Satz 2–6 AO, welche entsprechend zur Anwendung kommen.
Tz. 201 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel
a) Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung
§ 173 AO enthält die wichtigste Änderungsmöglichkeit, mit deren Hilfe das Finanzamt endgültige Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide zuungunsten aber auch zugunsten des Steuerpflichtigen ändern kann. Die Bescheide sind unter bestimmten Voraussetzungen beim nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel aufzuheben oder zu ändern. Die Begriffe Tatsache und Beweismittel sowie deren nachträgliches Bekanntwerden sind in Nr. 1 und 2 AEAO zu § 173 ausführlich und anschaulich erläutert.
Bei der Korrekturnorm des § 173 Abs. 1 AO sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
Eine Korrektur zuungunsten des Steuerpflichtigen erfolgt unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO,
eine Korrektur zugunsten des Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Neue Tatsachen oder Beweismittel können die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO nur rechtfertigen, wenn sie rechtserheblich sind. Die Rechtserheblichkeit ist zu bejahen, wenn das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre. § 173 AO hat nicht den Sinn, dem Steuerpflichtigen das Risiko eines Rechtsbehelfsverfahrens dadurch abzunehmen, dass ihm gestattet wird, sich auf Tatsachen gegenüber dem Finanzamt erst dann zu berufen, wenn etwa durch eine spätere Änderung der Rechtsprechung eine Rechtslage eintritt, die eine bisher nicht vorgetragene Tatsache nunmehr als relevant erscheinen lässt. Detaillierte Ausführungen zur Rechtserheblichkeit enthält Nr. 3 AEAO zu § 173.
Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann das Finanzamt – auch wenn es von einer rechtserheblichen Tatsache oder einem rechtserheblichen Beweismittel nachträglich Kenntnis erhält – daran gehindert sein, einen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern (, BStBl 1986 II S. 241). Hat der Steuerpflichtige die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt, kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht, wenn die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels auf einer Verletzung der dem Finanzamt obliegenden Ermittlungspflicht beruht. Zum Umfang der Ermittlungspflicht des Finanzamts vgl. AEAO zu § 88. Weitere Ausführungen zu Ermittlungsfehlern des Finanzamtes enthält Nr. 4 AEAO zu § 173.
Bei neuen Tatsachen, die nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eine Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen rechtfertigen, ist zu prüfen, ob den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen trifft. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn er die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass ihn kein grobes Verschulden trifft, liegt beim Steuerpflichtigen. Offensichtliche Versehen und alltägliche Irrtümer, die sich nie ganz vermeiden lassen, wie z. B. Verwechslungen, Schreib-, Rechen- oder Übertragungsfehler, rechtfertigen nicht den Vorwurf des groben Verschuldens; es kann aber vorliegen, wenn das Versehen auf einer vorangegangenen Verletzung steuerlicher Pflichten beruht. Ein grobes Verschulden kann im Allgemeinen angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige
trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hat,
allgemeine Grundsätze der Buchführung verletzt oder
ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen des Finanzamts nicht beachtet.
Für weitere Einzelheiten zum groben Verschulden, insbesondere auch bei Zusammenveranlagung, bei Inanspruchnahme der Hilfe eines Bevollmächtigten oder steuerlichen Beraters, s. Nr. 5 AEAO zu § 173.
Das Verschulden des Steuerpflichtigen ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigeren Steuer führen, in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen. Stehen die steuermindernden Tatsachen mit steuererhöhenden Tatsachen im Zusammenhang, sind die steuermindernden Tatsachen nicht nur bis zur steuerlichen Auswirkung der steuererhöhenden Tatsachen, sondern uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl. , BStBl 1984 II S. 4). Ein solcher Zusammenhang ist gegeben, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zur Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, so dass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist. Ein rein zeitliches Zusammentreffen von steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen reicht nicht aus (vgl. auch Nr. 6 AEAO zu § 173).
Zur Änderung von Schätzungsveranlagungen s. Nr. 7.1 ff. AEAO zu § 173.
b) Änderungssperre
Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, können wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 Abs. 1 AO nur geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt (Änderungssperre). Dadurch wird solchen Steuerbescheiden eine erhöhte Bestandskraft zugemessen, weil durch die Außenprüfung die steuerlich erheblichen Sachverhalte ausgiebig hätten geprüft werden können. Die Änderungssperre wirkt auch dann, wenn nach einer Außenprüfung Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen würden. Die Änderungssperre bezieht sich nur auf Änderungen i. S. von § 173 Abs. 1 AO, nicht aber auf Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen. Zum Umfang der Änderungssperre s. Nr. 8.2 AEAO zu § 173.
Außenprüfung i. S. des § 173 Abs. 2 AO ist jede Prüfung nach §§ 193–203 AO (vgl. auch Nr. 8.4 ff. AEAO zu § 173).
Tz. 202 Widerstreitende Steuerfestsetzungen
a) Allgemeines zur Vorschrift
Im Steuerrecht können Fälle auftreten, bei denen aus einem Sachverhalt steuerlich unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden, die sich denkgesetzlich gegenseitig ausschließen. So wäre es möglich, dass Steuerpflichtige z. B. wegen desselben Sachverhalts sowohl zur Einkommensteuer als auch zur Schenkungsteuer herangezogen werden, etwa weil das für die eine Steuer zuständige Finanzamt von der Steuerfestsetzung des anderen Finanzamtes keine Kenntnis erlangt oder eine andere Rechtsansicht vertritt. Ebenso ist der umgekehrte Fall denkbar, dass ein steuerpflichtiger Vorgang überhaupt nicht steuerlich berücksichtigt wird, weil die betroffenen Finanzämter jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich eine Steuerpflicht verneinen, obwohl feststeht, dass der Sachverhalt unter eine der in Betracht kommenden Steuerarten fällt. Ähnliche Fragen tauchen auf, wenn die Zuordnung eines Sachverhaltes zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum zweifelhaft ist.
§ 174 AO eröffnet hier die Möglichkeit, Vorteile und Nachteile auszugleichen, die sich durch Steuerfestsetzungen ergeben haben, die inhaltlich einander widersprechen. Sie bietet insoweit die gesetzliche Grundlage für die Änderung einer oder beider Festsetzungen.
b) Mehrfachberücksichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen
§ 174 Abs. 1 Satz 1 AO setzt voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen (positiver Widerstreit). „Widerstreiten” in diesem Sinne bedeutet, dass die in den (kollidierenden) Bescheiden getroffenen Regelungen (Steuerfestsetzungen oder Feststellungen) aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar und daher widersprüchlich sind, weil nur eine der festgesetzten oder angeordneten Rechtsfolgen zutreffen kann. Die in der mehrfachen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts liegenden Unrichtigkeiten müssen einander nach materiellem Recht zwingend (denknotwendig) ausschließen. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen z. B. eine Einnahme verschiedenen Steuerpflichtigen, verschiedenen Steuern oder verschiedenen Besteuerungszeiträumen zugeordnet worden ist. In diesen Fällen ist auf Antrag der fehlerhafte Bescheid aufzuheben oder zu ändern. Die Vorschrift hat vor allem dann Bedeutung, wenn beide Steuerfestsetzungen unanfechtbar sind.
Die besondere Antragsfrist soll sicherstellen, dass bei doppelter Berücksichtigung belastender Tatsachen ggf. auch eine Steuerfestsetzung aufgehoben werden kann, für die die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist. Die Antragsfrist ist eine gesetzliche Frist i. S. des § 110 AO, d. h. es kann Wiedereinsetzung gewährt werden.
c) Mehrfachberücksichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen
Gem. § 174 Abs. 2 Satz 1 AO ist ein fehlerhafter Bescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist (positiver Widerstreit). Die Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids ist – anders als in den Fällen zuungunsten des/der Steuerpflichtigen – nicht von einem Antrag abhängig, sondern von Amts wegen vorzunehmen. Der fehlerhafte Bescheid darf jedoch aus Vertrauensschutzgründen nach § 174 Abs. 2 Satz 2 AO nur dann geändert werden, wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist. Unter den Begriff des Antrags oder einer Erklärung des Steuerpflichtigen im Sinne dieser Vorschrift fallen auch formlose Mitteilungen und Auskünfte außerhalb des Steuererklärungsvordrucks (vgl. , BStBl 1997 II S. 170) sowie für den Beteiligten von Dritten abgegebene Erklärungen.
Eine Änderung nach § 174 Abs. 2 AO ist nicht auf den Fall der irrtümlichen Doppelberücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes beschränkt, sie kommt auch bei bewusst herbeigeführten widerstreitenden Steuerfestsetzungen in Betracht (vgl. , BStBl 1996 II S. 148).
d) Mehrfache Nichtberücksichtigung
Die Vorschrift regelt den negativen Widerstreit, d. h. die miteinander unvereinbare mehrfache Nichtberücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts. Nach § 174 Abs. 3 Satz 1 AO kann ein Steuerbescheid berichtigt werden, wenn in ihm ein bestimmter Sachverhalt in der erkennbaren Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, diese Annahme sich aber nachträglich als unrichtig herausstellt. Die Bestimmung hat besondere Bedeutung für die Einkommensbesteuerung, weil diese dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung folgt und sich hierbei ergeben kann, dass ein steuererheblicher Sachverhalt richtigerweise in einem anderen Veranlagungszeitraum hätte berücksichtigt werden müssen. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder Vorgang bei der Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird.
§ 174 Abs. 3 AO erfasst die Fälle, in denen bei einer Steuerfestsetzung ein bestimmter Sachverhalt in der erkennbaren Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass der Sachverhalt nur Bedeutung habe für
eine andere Steuer (Objektkollision),
einen anderen Besteuerungszeitraum (Periodenkollision) oder
einen anderen Steuerpflichtigen (Subjektkollision).
Dieser andere Bescheid muss nicht notwendigerweise schon erlassen worden sein oder später erlassen werden. Der Anwendung des § 174 Abs. 3 AO steht auch nicht entgegen, dass die Finanzbehörde in der (erkennbaren) Annahme, ein bestimmter Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, zunächst überhaupt keinen Steuerbescheid erlässt. Erkennbarkeit ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige die (später als fehlerhaft erkannte) Annahme des Finanzamts auch ohne entsprechenden Hinweis aus dem gesamten Sachverhaltsablauf allein aufgrund verständiger Würdigung des fehlerhaften Bescheids erkennen konnte (vgl. Nr. 4 AEAO zu § 174).
Die Vorschrift stellt die Änderung nicht in das Ermessen der Finanzbehörde. Das Wort „kann” in § 174 Abs. 3 AO ist als ein rechtliches Können und im Hinblick darauf, dass das Finanzamt auf die Erfüllung des Steueranspruchs nicht verzichten darf, als ein Müssen zu verstehen. Dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes wird bereits durch das Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit der (unrichtigen) Annahme des Finanzamts Rechnung getragen (vgl. , BStBl 1986 II S. 241).
e) Folgeänderung aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags
§ 174 Abs. 4 AO ergänzt § 174 Abs. 3 AO um die Fälle, in denen eine Steuerfestsetzung auf Antrag oder im Rechtsbehelfsverfahren zugunsten des Steuerpflichtigen geändert worden ist. Sie kommt auch zur Anwendung, wenn der Steuerbescheid durch Gericht aufgehoben oder geändert wird. Nachträglich können durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung ein Bescheid ergangen war, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert worden ist.
Irrige Beurteilung eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist. Sachverhalt i. S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat (vgl. , BStBl 2001 II S. 562, m. w. N.). Für Beispiele s. Nr. 5 AEAO zu § 174.
§ 174 Abs. 4 AO bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung. Derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen. Die Vorschrift lässt es hingegen nicht zu, dass die zugunsten erwirkte Änderung auf bestandskräftige andere Bescheide übertragen wird (vgl. , BStBl 1999 II S. 475).
§ 174 Abs. 4 AO ist nicht anzuwenden, wenn der aufgrund irriger Beurteilung eines Sachverhalts ergangene und vom Finanzamt aufgehobene Steuerbescheid nichtig war. Der Wortlaut der Vorschrift lässt diese Einschränkung zwar nicht erkennen. Sie ergibt sich aber aus der Tatsache, dass die Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO einen Bescheid voraussetzen, der bestandskräftig werden kann (vgl. , BStBl 1994 II S. 327, m. w. N.).
f) Folgeänderung gegenüber Dritten
Die Befugnis gem. § 174 Abs. 4 AO besteht auch Dritten gegenüber, wenn diese an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren.
Dritter ist in diesem Zusammenhang jeder, der in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegeben war (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Dritte war an dem zur Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheids führenden Verfahren nicht nur dann beteiligt, wenn er Verfahrensbeteiligter i. S. des § 359 AO oder § 57 FGO war, sondern auch dann, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheids hingewirkt hat, z. B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte. Zur Frage der Hinzuziehung s. Nr. 6 AEAO zu § 174.
Tz. 203 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden in sonstigen Fällen
a) Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid
§ 175 AO beinhaltet zwei eigenständige Korrekturtatbestände. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Diese spezielle Berichtigungsnorm dient zum einen dazu, die vom Grundlagenbescheid ausgehende Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO) verfahrensrechtlich zur Geltung zu bringen; zum anderen trägt sie der von der Bindungswirkung ausgehenden Kompetenzverteilung im Verwaltungsverfahren Rechnung (vgl. , BStBl 1993 II S. 820, m. w. N.).
Grundlagenbescheide sind nach der Legaldefinition des § 171 Abs. 10 AO
Steuermessbescheide (§ 184 AO) oder
sonstige für eine Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte.
Auch Verwaltungsakte anderer Behörden, die keine Finanzbehörden sind, können Grundlagenbescheide sein (z. B. Verwaltungsakte der zuständigen Behörden, die den Grad einer Behinderung i. S. des § 33b EStG feststellen). Diese außersteuerlichen Grundlagenbescheide sind auch dann bindend, wenn sie aufgrund der für sie maßgebenden Verfahrensvorschriften nach Ablauf der für steuerliche Grundlagenbescheide geltenden Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO) ergehen.
Beispiele Grundlagen- und Folgescheide:
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Grundlagenbescheid | Folgebescheid |
Gesonderte (und einheitliche) Feststellung der
Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO | - Einkommensteuerbescheid (beim Gewerbesteuer-Messbescheid erfolgt die Anpassung nach § 35b GewStG, keine Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) |
Einheitswertbescheid | Grundsteuer-Messbescheid |
Steuermessbescheid (§ 184 AO) | Zerlegungsbescheid (§ 188 AO) |
Zerlegungsbescheid | Steuerbescheid |
Stundungsverfügung | Bescheid
über Stundungszinsen |
Feststellungen der Versorgungsämter nach § 4
SchwBG | Einkommensteuerbescheid (§ 33b
EStG) |
Bescheinigungen der
Qualifizierung eines Gebäudes als Baudenkmal |
Keine Grundlagenbescheide sind:
Lohnsteuerbescheinigung,
Erbschein,
Steuerbescheid für den Haftungsbescheid,
Einkommensteuerbescheid für die Kindergeldfestsetzung durch die Familienkasse.
Folgebescheide sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO an die Grundlagenbescheide anzupassen, denn diese sind im Umfang der in ihnen getroffenen Feststellungen für Folgebescheide bindend (§ 182 Abs. 1 AO). Die Anpassung des Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde (, 1999 II S. 545). Eine Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid ist auch dann vorzunehmen, wenn der Grundlagenbescheid
erst nach Erlass des Folgebescheids ergangen ist (s. § 155 Abs. 2 und § 162 Abs. 5 AO),
bei Erlass des Folgebescheids übersehen wurde,
bei Erlass des Folgebescheids bereits vorlag, die im Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen aber fehlerhaft berücksichtigt worden sind.
Wurden also die in einem Grundlagenbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen in einem Folgebescheid nicht zutreffend berücksichtigt (sog. Anpassungsfehler), ist der Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Es liegt jedoch kein Anpassungsfehler vor, wenn Besteuerungsgrundlagen, die nicht Gegenstand des Grundlagenbescheids sind, anlässlich der Auswertung einer Mitteilung irrtümlich verändert oder weggelassen werden.
Wird eine Feststellung abgelehnt und ergeht ein negativer Feststellungsbescheid, liegt ebenfalls ein Grundlagenbescheid vor, der für den Folgebescheid bindend ist. Das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt hat die entsprechenden Folgerungen zu ziehen (z. B. Ermittlung des Sachverhalts, der bisher Gegenstand des Grundlagenbescheids war) und erforderlichenfalls den Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (vgl. , BStBl 1991 II S. 821).
Durch § 171 Abs. 10 AO wird die Änderungsbefugnis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO über die normale Festsetzungsfrist hinaus erweitert (Hemmung der Verjährung). Danach endet die Festsetzungsfrist beim Folgebescheid nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides, soweit dieser für die Festsetzung der Folgesteuer bindend ist (s. im Einzelnen die Erläuterungen zu § 171 Abs. 10 AO; Tz. 198, l).
Die Verpflichtung zur Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid besteht auch dann noch, wenn der zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewertete Grundlagenbescheid später geändert wird. In diesem Fall ist die Änderung des Folgebescheids zur Herbeiführung eines materiell richtigen Ergebnisses selbst dann geboten, wenn sie dazu dient, eine zuvor versäumte Anpassung des Folgebescheids nachzuholen. Dass u. U. die Frist des § 171 Abs. 10 AO, bezogen auf den zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteten Grundlagenbescheid, bereits abgelaufen ist, ist unerheblich; ein „Verbrauch” der Möglichkeit, den Folgebescheid an den geänderten Grundlagenbescheid anzupassen, tritt dadurch nicht ein. Die Anpassung muss allerdings nunmehr innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe des zuletzt geänderten Grundlagenbescheids erfolgen.
b) Rückwirkendes Ereignis
Gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist eine Änderungsvorschrift, die es ermöglicht, Ereignisse, die bei Erlass des Bescheids noch nicht vorgelegen haben, nachträglich steuerlich zu berücksichtigen, wenn sie in die Vergangenheit zurückwirken. Ein zunächst fehlerfreier Bescheid wird durch den Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses rechtswidrig und muss daher korrigiert werden. Bei der Änderungsmöglichkeit des § 173 Abs. 1 AO liegt die Tatsache dagegen bereits beim Erlass des Bescheids vor, sie ist der Finanzbehörde nur nicht bekannt. Der Bescheid ist damit von Anfang an fehlerhaft und wird deswegen korrigiert. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und § 173 Abs. 1 AO schließen sich somit gegenseitig aus (vgl. , BStBl 1988 II S. 863).
Spezialvorschriften in den Einzelsteuergesetzen gehen der Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor, z. B. § 10 d Abs. 1 Satz 1 EStG (Verlustrücktrag).
Ereignis im Sinne der Vorschrift ist jeder tatsächliche oder rechtliche Umstand, der nach dem Gesetz den Steueranspruch dem Grunde oder der Höhe nach beeinflusst. Ein Ereignis liegt folglich z. B. vor, wenn der dem Steuerbescheid zugrundeliegende Sachverhalt oder ein Teil dieses Sachverhalts nachträglich wegfällt oder ein neuer Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit eintritt. Dagegen ist eine andere rechtliche Beurteilung eines im Übrigen unverändert gebliebenen Sachverhalts grds. kein Ereignis im Sinne dieser Vorschrift.
Dem Ereignis muss steuerliche Wirkung für die Vergangenheit zukommen, d. h. die steuerlichen Folgen müssen sich mit Wirkung für die Vergangenheit ändern. Ob einem Ereignis steuerliche Rückwirkung für die Vergangenheit zuzumessen ist, kann nur den materiellen Steuergesetzen entnommen werden. Bei einmaligen Steuern (z. B. Grunderwerbsteuer oder Erbschaftsteuer) stellt ein nachträglich eingetretener Sachverhalt i. d. R. ein rückwirkendes Ereignis dar, weil nur der eine Steuerbescheid aufgehoben oder geändert werden kann. Bei laufend veranlagten Steuern wirken sich Ereignisse, die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums eintreten, regelmäßig nicht rückwirkend aus, sondern betreffen den neuen Veranlagungszeitraum. Dies gilt insbesondere für Vorgänge, die an den Zu- und Abfluss von Zahlungen knüpfen.
Der Fall eines rückwirkenden Ereignisses liegt vor allem dann vor, wenn die Besteuerung nach dem maßgeblichen Einzelsteuergesetz nicht an Lebensvorgänge, sondern unmittelbar oder mittelbar an Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse oder Verwaltungsakte anknüpft und diese Umstände nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit gestaltet werden (vgl. , BStBl 1988 II S. 863). Anwendungsbeispiele für das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses finden sich in Nr. 2.4 AEAO zu § 175.
Kein rückwirkendes Ereignis liegt u. a. vor bei der
Änderung steuerrechtlicher Normen,
Änderung der Rechtsprechung,
Nichtigerklärung einer Norm durch das BVerfG (§ 78 BVerfGG, Hinweis auf § 79 BVerfGG).
Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, sind auch dann kein rückwirkendes Ereignis, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können; ggf. kommt hier aber § 173 AO zur Anwendung.
Der (Anpassungs-) Bescheid hat lediglich die Auswirkungen des eingetretenen Ereignisses zu berücksichtigen (punktuelle Änderung). Eine Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalls ist unzulässig. § 177 AO ist zu beachten. Für den Erlass, die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt. Die besondere Verjährungsfrist ist auf den Umfang der durch den Eintritt des rückwirkenden Ereignisses sich ergebenden steuerlichen Auswirkung beschränkt. Für den Fristbeginn kommt es nicht darauf an, wann das Ereignis dem Finanzamt bekannt wird.
c) Wegfall einer Voraussetzung für Steuervergünstigungen (Abs. 2 Satz 1)
Die Regelung des § 175 Abs. 2 Satz 1 AO fingiert die Rückwirkung eines Ereignisses. Danach gilt als rückwirkendes Ereignis auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Von der Vorschrift werden Fälle erfasst, in denen zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung die – an einen bestimmten Zeitraum anknüpfenden – Voraussetzungen für die Gewährung einer Vergünstigung vorgelegen haben, die jedoch später wegfallen. § 175 Abs. 2 Satz 1 AO ist vornehmlich anzuwenden, wenn Wirtschaftsgüter eine bestimmte Zeit im Betriebsvermögen verbleiben müssen oder wenn Steuervergünstigungen zur Erfüllung eines bestimmten gesetzgeberischen Zwecks gewährt werden und die Voraussetzungen entweder im Gesetz selbst benannt sind oder durch besonderen Verwaltungsakt festgestellt wird, dass sie eine Voraussetzung für die Steuervergünstigung darstellen. Beispiele sind u. a. bestimmte Mindest- Verbleibens- oder Verwendungsvoraussetzungen (beweglicher) Wirtschaftsgüter für Sonderabschreibungen.
d) Nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung
Nach § 175 Abs. 2 AO gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis.
Die nachträgliche Vorlage einer Bescheinigung der anrechenbaren Körperschaftsteuer bei verdeckten Gewinnausschüttungen im Anrechnungsverfahren fällt nicht unter die Regelung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO. Die Körperschaftsteuer kann in diesen Fällen wie bisher rückwirkend als Einnahme bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst und gem. § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG (a. F.) i. V. mit § 130 Abs. 1 AO auf die Einkommensteuerschuld angerechnet werden.
Tz. 204 Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen
Die Vorschrift ist Rechtsgrundlage für die Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung oder eines Schiedsspruchs nach einer völkerrechtlichen Vereinbarung i. S. des § 2 AO. Die Verständigungsvereinbarung kann nach § 175a AO ungeachtet der Bestandskraft deutscher Bescheide umgesetzt werden. Die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung.
Zum internationalen Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren in Steuersachen vgl. Merkblatt v. , BStBl 2006 I S. 461. Der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens bei einer inländischen Finanzbehörde hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 171 Abs. 3 AO, wenn damit gleichzeitig die Änderung des Steuerbescheids beantragt wird.
Tz. 205 Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden
a) Allgemeines zur Vorschrift
Die Vorschrift ist keine selbständige Korrekturvorschrift, sondern soll das Vertrauen des Steuerpflichtigen in eine ihm günstige Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift schützen, wenn eine Steuerfestsetzung auf diesen Faktoren beruht. Die Vorschrift ist bei Erstbescheiden nicht anwendbar (vgl. , BStBl 1996 II S. 219). Denn § 176 AO schützt nicht das Vertrauen in die Gesetzgebung, die höchstrichterliche Rechtsprechung oder in allgemeine Verwaltungsvorschriften oberster Behörden, sondern das Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung; die Vorschrift setzt also eine Steuerfestsetzung – ggf. Freistellung – voraus.
Der Steuerpflichtige wird durch § 176 AO praktisch so gestellt, als sei die frühere Steuerfestsetzung unabänderlich, soweit sie aus der früheren Rechtsauffassung erwächst. Soweit eine Änderung der bisherigen Steuerfestsetzung zulässig ist, hat der Steuerpflichtige unter den Voraussetzungen des § 176 AO also einen Anspruch darauf, dass hierbei keine ungünstigere Rechtsauffassung vertreten wird als bei der bisherigen Steuerfestsetzung.
Die Vorschrift ist besonders wichtig für die Fälle der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Sie schränkt deren grds. unbegrenzte Möglichkeit der Änderung ein. Ist z. B. eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt, muss eine dem Steuerpflichtigen günstige gefestigte Rechtsprechung des BFH auch dann weiter angewendet werden, wenn der BFH seine Rechtsprechung (nach der Vorbehaltsfestsetzung) zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert hat.
§ 176 AO findet bei jeder Korrektur einer Steuerfestsetzung nach §§ 164, 165, 172 ff. AO oder nach den Einzelsteuergesetzen Anwendung (vgl. Nr. 3 AEAO vor §§ 172 bis 177), jedoch nicht bei einer Berichtigung nach § 129 AO. Wie der Eingangssatz der Vorschrift zeigt, handelt es sich bei den Voraussetzungen um solche, die bereits bei Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids gegeben sein müssen, so dass sie schon zu diesem Zeitpunkt vom Finanzamt zu berücksichtigen sind. Der Wortlaut der Vorschrift erfasst hingegen z. B. nicht den Fall, dass erst im Revisionsverfahren über die angefochtenen Änderungsbescheide eine Norm, deren Voraussetzungen im einzelnen streitig sind, vom BFH als einem obersten Gerichtshof für verfassungswidrig gehalten und nicht angewendet wird.
Auch die Gerichte müssen im Rahmen des § 176 AO Vertrauensschutz gewähren, wenn ein Änderungsbescheid Verfahrensgegenstand ist (vgl. , BStBl 2002 II S. 840).
b) Später festgestellte Nichtigkeit eines Gesetzes
Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das BVerfG die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht. Die Vorschrift entspringt dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, wonach bestandskräftige Verwaltungsakte selbst von einer späteren Nichtigerklärung der Rechtsvorschriften, auf denen sie ganz oder teilweise beruhen, nicht berührt werden.
c) Spätere Nichtanwendung einer Norm
Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf gem. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Norm (Gesetz oder Rechtsverordnung), auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält.
Voraussetzung ist, dass bereits bei Aufhebung und Änderung eines Steuerbescheids die Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, von einem obersten Gerichtshof des Bundes nicht angewendet wird, weil er sie für verfassungswidrig hält. Dem Steuerpflichtigen, in dessen Anfechtungsverfahren der BFH erstmals die Norm, auf der die Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, kann Schutz seines Vertrauens in die Gültigkeit der Norm lediglich durch Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung gewährt werden (vgl. , BStBl 1990 II S. 599).
d) Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO enthält eine Regelung für den Fall, dass sich die gefestigte Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat. Der Steuerpflichtige soll durch diese Änderung keinen Nachteil erfahren. Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf deshalb nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
Eine Änderung der Rechtsprechung i. S. des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO liegt dann vor, wenn ein im Wesentlichen gleicher Sachverhalt abweichend von einer früheren höchstrichterlichen Entscheidung beurteilt worden ist. Stimmte ein Steuerbescheid im Zeitpunkt seines Erlasses mit der in diesem Zeitpunkt maßgebenden, aber später geänderten Rechtsprechung des BFH überein, ist zu vermuten, dass diese Rechtsprechung von der Finanzbehörde angewendet worden ist; diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden (vgl. , BStBl 1995 II S. 764, m. w. N.).
Hat der Steuerpflichtige die bisherige Rechtsprechung seinen Steuererklärungen stillschweigend und für das Finanzamt nicht erkennbar zugrunde gelegt, gilt der Vertrauensschutz nur, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Finanzbehörde mit der Anwendung der Rechtsprechung einverstanden gewesen wäre. Das Einverständnis ist immer dann zu unterstellen, wenn die Entscheidung im BStBl veröffentlicht worden war und keine Verwaltungsanweisung vorlag, die Rechtsprechung des BFH über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden (Nr. 3 AEAO zu § 176).
Die Anwendung des § 176 AO darf dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zuwiderlaufen. Es verstößt gegen Treu und Glauben („venire contra factum proprium”), wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Rechtsprechungsänderung die Aufhebung eines ihn belastenden Bescheids fordert und erreicht und später geltend macht, er habe auf die Anwendung der früheren Rechtsprechung vertraut und sei nicht bereit, die für ihn negativen Folgen der Rechtsprechungsänderung hinzunehmen. S. auch Nr. 4 AEAO zu § 176.
e) Spätere Nichtanwendung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift
Nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Korrektur eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Wird also z. B. in den EStR eine für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten und wird diese von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet, darf dies bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. Der Erlass ein OFD ist keine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Bundes-oder Landesbehörde i. S. des § 176 Abs. 2 AO (vgl. , BStBl 1993 II S. 261).
Es ist nicht erforderlich, dass eine höchstrichterliche Entscheidung eine allgemeine Verwaltungsvorschrift ausdrücklich als mit dem geltenden Recht nicht übereinstimmend bezeichnet; es genügt vielmehr, dass dies sinngemäß zum Ausdruck gebracht wird (vgl. , BStBl 1988 II S. 40).
Tz. 206 Berichtigung von materiellen Fehlern
§ 177 AO ist keine eigenständige Korrekturvorschrift, sondern nur zusammen mit Vorschriften, die die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zur Folge haben (Vorschriften der AO und Einzelsteuergesetze), anwendbar. Die Möglichkeit der Berichtigung materieller Fehler ist bei jeder Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids oder eines gleichgestellten Bescheids zu prüfen. Wenn die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung vorliegen, sind, soweit die Änderung reicht, zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen solche materiellen Fehler zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind. Auf diese Weise wird das Prinzip der Bestandskraft zurückgedrängt, um eine materiell möglichst „rechtsrichtige” Festsetzung zu erreichen.
Bei der Anwendung der Vorschrift ist zu beachten, dass § 177 Abs. 1 AO (Aufhebung und Änderung des Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen) und § 177 Abs. 2 AO (Aufhebung und Änderung des Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen) getrennte Vorschriften mit eigenen Voraussetzungen sind. Allerdings können die Voraussetzungen auch nebeneinander vorliegen. Entscheidend ist, dass materielle Fehler, deren Korrektur sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde, nur mit Berichtigungen zuungunsten verrechnet werden können, und materielle Fehler, deren Korrektur sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde, nur mit Berichtigungen zugunsten verrechnet werden können.
Materieller Fehler i. S. des § 177 AO ist jede objektive Unrichtigkeit eines Steuerbescheids im weitesten Sinne. Materiell fehlerhaft ist ein Bescheid nicht nur, wenn bei Erlass des Steuerbescheids geltendes Recht unrichtig angewendet wurde, sondern auch dann, wenn der Steuerfestsetzung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden ist, der sich nachträglich als unrichtig erweist. Materielle Fehler können sein
falsche Rechtsnorm angewandt,
zutreffende Rechtsnorm falsch angewandt,
Sachverhalt falsch oder nicht berücksichtigt,
nachträglich bekannt gewordene Tatsache i. S. des § 173 AO, die nicht selbständig berücksichtigungsfähig ist (z. B. wegen groben Verschuldens),
Rechtsfehler, die wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr zu einer Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids nach den §§ 172 ff. AO oder zu einer Berichtigung nach § 129 AO führen können.
Materielle Fehler können nicht unbeschränkt, sondern nur begrenzt, nämlich „…soweit die Änderung reicht…” berichtigt werden. Es muss also zunächst eine Aufhebung oder Änderung nach einer andern Vorschrift möglich sein. Ist dies der Fall, ist in den Grenzen des § 177 AO mit den Fehlern zu kompensieren, die selbst nicht korrekturfähig sind. Liegen die Voraussetzungen für Änderungen sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen vor, sind bei der Ermittlung des für eine Kompensation zur Verfügung stehenden Änderungsrahmens die oberen und unteren Änderungsgrenzen jeweils getrennt voneinander zu ermitteln (Saldierungsverbot). Änderungsobergrenze ist der Steuerbetrag, der sich als Summe der bisherigen Steuerfestsetzung und der steuerlichen Auswirkung aller selbständigen steuererhöhenden Änderungstatbestände ergibt. Änderungsuntergrenze ist der Steuerbetrag, der sich nach Abzug der steuerlichen Auswirkung aller selbständigen steuermindernden Änderungstatbestände von der bisherigen Steuerfestsetzung ergibt.
Bei der Ermittlung des materiellen Fehlers sind sämtliche Fehler, die nicht unter eine eigenständige Korrekturnorm fallen, miteinander zu verrechnen (Saldierungsgebot). Das Ergebnis der Fehlersaldierung ist mit den Änderungsvorschriften gegenläufiger Auswirkung zu verrechnen, aber nur soweit die Änderung reicht. Soweit eine Kompensation gem. § 177 AO nicht möglich ist, bleibt der Bescheid fehlerhaft. Der nicht kompensierbare Fehler bleibt aber für eine erneute Änderung in „Reserve”.
Ein Berechnungsbeispiel enthält Nr.4 AEAO zu § 177.
VIII. Kosten der Finanzbehörden
Amtshandlungen der Finanzbehörden sind grds. kostenfrei. Ausnahmen sind neben den Gebühren für verbindliche Auskünfte (§ 89 AO) und den Kosten der Vollstreckung (§§ 337 ff. AO) die Kosten für die besondere Inanspruchnahme der Zollbehörden und des Bundeszentralamts für Steuern nach §§ 178, 178a AO.
Tz. 207 Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Zollbehörden
Behörden der Bundeszollverwaltung sowie Behörden, denen die Wahrnehmung von Aufgaben der Bundeszollverwaltung übertragen worden ist, können für kostenpflichtige Amtshandlungen (besondere Inanspruchnahme oder Leistung) Gebühren erheben und die Erstattung von Auslagen verlangen.
§ 178 Abs. 2 AO zählt die kostenpflichtigen Amtshandlungen auf. Näheres regelt die vom BMF erlassene Zollkostenverordnung (ZKostV).
Von der Erhebung der Kosten ist abzusehen, wenn diese im Einzelfall weniger als 5 € betragen (§ 14 ZKostV). Bei den Kosten nach § 178 AO und der ZKostV handelt es sich um steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO). Auf die Festsetzung der Kosten sind die für Verbrauchsteuern geltenden Vorschriften (insbesondere §§ 155 ff. AO) entsprechend anzuwenden. Die Regelungen des Verwaltungskostengesetzes über Säumniszuschläge, Stundung, Niederschlagung und Erlass, Verjährung, Erstattung und Rechtsbehelf (§§ 18–22 VwKostG) gelten für die Kosten nach ausdrücklicher Regelung in § 178 Abs. 4 Satz 2 AO nicht; auch hier gehen die Regelungen der AO vor.
Tz. 208 Kosten bei besonderer Inanspruchnahme der Finanzbehörden
Das Bundeszentralamt für Steuern erhebt nach § 178a Abs. 1 AO Gebühren für die Bearbeitung eines Antrags auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens
zur einvernehmlichen Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschäften eines Steuerpflichtigen mit nahe stehenden Personen i. S. des § 1 AStG,
zur zukünftigen einvernehmlichen Gewinnaufteilung zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder
zur zukünftigen einvernehmlichen Gewinnermittlung einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens.
Diese Gebührenregelung soll neben der teilweisen Kostenerstattung vor allem dem Schutz der Finanzbehörden gegenüber nicht relevanten oder schlecht vorbereiteten Anträgen dienen. Die Bereitschaft zur Erteilung von Vorabzusagen zu Verrechnungspreisen („Advance Pricing Agreement” – APA) ist inzwischen international üblich, wobei mehrere Staaten für APAs ebenfalls Gebühren erheben (so auch die USA). Für die Gebührenpflicht ist es unerheblich, welche Kosten im Einzelfall tatsächlich anfallen oder wie hoch die steuerliche Bedeutung des Vorabverständigungsverfahrens für den Antragsteller ist.
Die Gebühren sind schon vor Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens festzusetzen. Das Vorabverständigungsverfahren wird zudem erst eröffnet, wenn die Gebührenfestsetzung unanfechtbar geworden und die Gebühr entrichtet oder über einen Herabsetzungsantrag unanfechtbar entschieden wurde. Damit soll vermieden werden, dass ein Vorabverständigungsverfahren durch Streitigkeiten über Gebühren belastet wird. Wird die Gebührenfestsetzung vom Antragsteller angefochten, kann das Vorabverständigungsverfahren noch nicht eröffnet werden. Für die Gebührenpflicht ist es unerheblich, ob das Verfahren mit dem anderen Staat erfolgreich durchgeführt werden kann oder abgebrochen wird. Zielt ein Antrag darauf, Vorabverständigungsverfahren mit mehreren Staaten einzuleiten, entsteht für jedes Verfahren eine eigenständige Gebühr.
Die Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens erfolgt durch die Versendung des ersten Schriftsatzes des Bundeszentralamts für Steuern an den anderen Staat (§ 178a Abs. 1 Satz 2 AO). Die Gebühr nach § 178a AO kann daher nicht durch eine Antragstellung im anderen Staat umgangen werden.
§ 178a Abs. 2 und 3 AO legt die Höhe der Gebühren für Vorabverständigungsverfahren wie folgt fest:
Die Grundgebühr für jeden Antrag i. S. des § 178a Abs. 1 AO beträgt 20.000 €. Der Antrag eines Organträgers i. S. des § 14 Abs. 1 KStG, der entsprechende Geschäfte seiner Organgesellschaften mit umfasst, gilt dabei als ein Antrag.
Stellt der Antragsteller einer bereits abgeschlossenen Verständigungsvereinbarung einen Antrag auf Verlängerung der Geltungsdauer der Verständigungsvereinbarung, beträgt die Gebühr 15.000 € (Verlängerungsgebühr). Ein Antrag auf Verlängerung der Geltungsdauer kann auch schon vor deren Ablauf gestellt werden, dessen ungeachtet entsteht in diesem Fall eine Verlängerungsgebühr.
Ändert der Antragsteller seinen Antrag vor der Entscheidung über den ursprünglichen Antrag oder stellt er während der Laufzeit der Verständigungsvereinbarung einen Antrag auf Änderung der Verständigungsvereinbarung, wird eine zusätzliche Gebühr von 10.000 € für jeden Änderungsantrag erhoben (Änderungsgebühr). Wurde die Änderung allerdings vom Bundeszentralamt für Steuern oder vom anderen Staat veranlasst, entsteht keine Änderungsgebühr (§ 178a Abs. 2 Satz 3 zweiter Halbsatz AO).
§ 178a Abs. 3 AO enthält eine Gebührenermäßigung für kleinere Unternehmen. Unterschreitet die Summe der Geschäftsvorfälle, die voraussichtlich Gegenstand eines APA sind, die Grenzen des § 6 Abs. 2 GAufzV (Entgelt in Höhe von 5 Mio € für Lieferungen, 500.000 € für Leistungen), werden die regulären Gebühren halbiert, um der geringeren Bedeutung zugunsten vor allem kleiner Unternehmen typisierend Rechnung zu tragen.
Das Bundeszentralamt für Steuern kann nach § 178a Abs. 4 AO die Gebühr zudem auf Antrag herabsetzen, wenn ihre Entrichtung für den Steuerpflichtigen eine unbillige Härte bedeutet und das Bundeszentralamt für Steuern ein besonderes Interesse der Finanzbehörden an der Durchführung des Vorabverständigungsverfahrens feststellt. Diese Regelung ermöglicht eine flexiblere Handhabung der Gebührenregelung. Die Finanzbehörden können nämlich ein eigenes Interesse an einem APA haben, wenn hierdurch streitige Betriebsprüfungen und zeit- und kostenaufwendige Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren vermieden werden können. Der Ermäßigungsantrag ist vor Eröffnung des Vorabverständigungsverfahrens zu stellen; ein später gestellter Antrag ist unzulässig.
Die Regelung des § 178a Abs. 5 AO (die unanfechtbar festgesetzte Gebühr wird nicht erstattet) soll Streit über eine Erstattung der unanfechtbar festgesetzten Gebühr vermeiden, wenn der Antrag auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens zurückgenommen oder abgelehnt wird oder wenn das Vorabverständigungsverfahren scheitert. Unerheblich ist, worauf dies im Einzelfall zurückzuführen ist.
IX. Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Festsetzung von Steuermessbeträgen
Tz. 209 Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
a) Bedeutung des Feststellungsverfahrens im Besteuerungsverfahren
Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, d.h. der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, an die die Besteuerung anknüpft, bildet grds. einen unselbständigen Teil der Steuerfestsetzung, der lediglich der Begründung des Steuerbescheides dient und nicht eigenständig anfechtbar ist (§ 157 Abs. 2 AO). Diese Einheit zwischen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und der Festsetzung der Steuer wird durchbrochen, soweit der Gesetzgeber ausdrücklich eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen – entweder in der AO selbst oder sonst in den Steuergesetzen – angeordnet hat (§ 179 Abs. 1 AO).
Feststellungsverfahren sind nur zulässig, wenn sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Eine gesonderte Feststellung ist nicht zulässig, wenn die festzustellenden Einkünfte oder Besteuerungsgrundlagen für die Festsetzung der Steuer der Beteiligten nicht von Bedeutung sind (vgl. , BStBl 1992 II S. 185). Der Feststellungsbescheid soll im Interesse der Verfahrensökonomie, der Rechtssicherheit und einer gleichmäßigen Besteuerung die steuerrechtliche Bedeutung bestimmter Besteuerungsgrundlagen mit Bindungswirkung für den Steuerbescheid regeln. Eine gesonderte Feststellung erfolgt deshalb insbesondere dann, wenn einzelne Besteuerungsgrundlagen für mehrere Steuerfestsetzungen desselben Steuerpflichtigen von Bedeutung sein können. Die gesonderte Feststellung erfolgt zugleich einheitlich, wenn ein bestimmter Sachverhalt für mehrere Steuerpflichtige gleich (einheitlich) der Besteuerung zugrunde gelegt werden soll. Dies ist insbesondere der Fall, wenn mehrere Steuerpflichtige gemeinschaftlich einen Steuertatbestand verwirklichen (z. B. gemeinsam erzielte Einkünfte). Eine gesonderte und einheitliche Feststellung ist aber auch dann durchzuführen, wenn mehrere Steuerpflichtige einen Steuertatbestand individuell, aber gleichartig verwirklichen (z. B. bei einem Gesamtobjekt).
Innerhalb der AO sind gesonderte – und ggf. auch einheitliche – Feststellungen in den Fällen der §§ 180 ff. AO und außerhalb der AO u. a. in folgenden Fällen vorgeschrieben:
§ 151 BewG: Gesondert festzustellen sind Grundbesitzwerte (§ 138 BewG), der Wert des Betriebsvermögens (§§ 95, 96 BewG) oder des Anteils am Betriebsvermögen (§ 97 Abs. 1a BewG), der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften i. S. des § 11 Abs. 2 BewG und der Wert von anderen Vermögensgegenständen und von Schulden, die mehreren Personen zustehen (§ 3 BewG), wenn die Werte für die Erbschaftsteuer oder eine andere Feststellung i. S. des BewG von Bedeutung sind.
§ 2a Abs. 1 Satz 5 EStG: Die am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden negativen ausländischen Einkünfte sind gesondert festzustellen.
§ 5a EStG: Zum Schluss des Wirtschaftsjahrs, das der erstmaligen Anwendung der sogen. Tonnagebesteuerung vorangeht (Übergangsjahr), ist für jedes Wirtschaftsgut, das unmittelbar dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr dient, der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und Teilwert in ein besonderes Verzeichnis aufzunehmen. Dieser Unterschiedsbetrag ist gesondert und bei Gesellschaften i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG einheitlich festzustellen.
§ 10a Abs. 4 EStG: Im Fall des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG stellt das Finanzamt die über den Zulageanspruch nach Abschnitt XI des EStG hinausgehende Steuerermäßigung gesondert fest und teilt diese der zentralen Stelle (§ 81 EStG) mit.
§ 10d Abs. 4 EStG: Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag ist gesondert festzustellen. Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogenen und die nach § 10d Abs. 2 EStG abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.
§ 15a Abs. 4 EStG: Der nach § 15a Abs. 1 EStG nicht ausgleichs- oder abzugsfähige Verlust eines Kommanditisten, vermindert um die nach § 15a Abs. 2 EStG abzuziehenden und vermehrt um die nach § 15a Abs. 3 EStG hinzuzurechnenden Beträge (verrechenbarer Verlust), ist jährlich gesondert festzustellen. Der Bescheid über die Feststellung des verrechenbaren Verlusts ist dabei Grundlagenbescheid für die Feststellung des Gewinns bzw. des ausgleichs- und abzugsfähigen Verlusts eines Kommanditisten gem. § 179 Abs. 1 und 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO (, BStBl 2007 II S. 687).
§ 34a EStG: Der Begünstigungsbetrag des Veranlagungszeitraums, vermindert um die darauf entfallende Steuerbelastung und den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag, vermehrt um den nachversteuerungspflichtigen Betrag des Vorjahrs und den auf diesen Betrieb oder Mitunternehmeranteil übertragenen nachversteuerungspflichtigen Betrag, vermindert um den Nachversteuerungsbetrag und den auf einen anderen Betrieb oder Mitunternehmeranteil übertragenen nachversteuerungspflichtigen Betrag, ist für jeden Betrieb oder Mitunternehmeranteil jährlich gesondert festzustellen.
§ 35 EStG: Bei Mitunternehmerschaften i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG oder bei Kommanditgesellschaften auf Aktien i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist der Betrag des Gewerbesteuer-Messbetrags, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die einzelnen Mitunternehmer oder auf die persönlich haftenden Gesellschafter entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen.
§ 10a GewStG: Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen. Vortragsfähige Fehlbeträge sind die nach der Kürzung des maßgebenden Gewerbeertrags nach § 10a Satz 1 und 2 GewStG zum Schluss des Erhebungszeitraums verbleibenden Fehlbeträge.
§ 17 GrEStG: Liegt das Grundstück in den Bezirken von Finanzämtern verschiedener Länder, ist jedes dieser Finanzämter für die Besteuerung des Erwerbs insoweit zuständig, als der Grundstücksteil in seinem Bezirk liegt. In diesen Fällen sowie in Fällen, in denen sich ein Rechtsvorgang auf mehrere Grundstücke bezieht, die in den Bezirken verschiedener Finanzämter liegen, stellt das Finanzamt, in dessen Bezirk der wertvollste Grundstücksteil oder das wertvollste Grundstück oder der wertvollste Bestand an Grundstücksteilen oder Grundstücken liegt, die Besteuerungsgrundlagen gesondert fest.
Das Feststellungsverfahren dient dazu, den jeweiligen Folgebescheiden (Steuer-, Feststellungs- und Messbescheide) bestimmte Besteuerungsgrundlagen verbindlich zuzuführen. Der Feststellungsbescheid ist deshalb Grundlagenbescheid i. S. der § 171 Abs. 10 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und entfaltet insoweit Bindungswirkung. Die gesonderte Feststellung ist selbständig anfechtbar und kann bestandskräftig werden. Der Steuerpflichtige kann die in ihr getroffenen Feststellungen nur mit Rechtsbehelfen gegen die gesonderte Feststellung selbst, nicht aber gegen den Steuerbescheid, dem die gesonderte Feststellung zugrunde gelegt wird, angreifen (§ 351 Abs. 2 AO).
b) Inhaltsadressat des Feststellungsbescheids
Nach § 179 Abs. 2 Satz 1 AO richtet sich der Feststellungsbescheid gegen den Steuerpflichtigen, dem der Gegenstand der Feststellung bei der Besteuerung zuzurechnen ist. Er ist jedem bekannt zu geben, der von ihm – positiv oder negativ – betroffen ist. Der oder die Adressaten des Feststellungsbescheids müssen im Bescheid konkret und zweifelsfrei bezeichnet werden. Die für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzbehörde ist nicht Adressat des Feststellungsbescheids und deshalb auch nicht anfechtungsbefugt. Sie erhält lediglich eine Mitteilung über die gesonderte Feststellung zwecks Anpassung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
Soweit sich die gesonderte Feststellung nur an einen Steuerpflichtigen richtet, ist er auch alleiniger Adressat des Feststellungsbescheids. In Betracht kommen hier Fälle, in denen eine Besteuerungsgrundlage für mehrere Steuerarten oder bei einer Steuerart für mehrere Besteuerungszeiträume einheitlich beurteilt werden soll oder wenn aus Zweckmäßigkeitsgründen eine sach- oder zeitnahe Entscheidung geboten ist.
Wenn mehrere Steuerpflichtige gemeinsam einen bestimmten Steuertatbestand oder wenn sie unabhängig voneinander einen gleichartigen Steuertatbestand verwirklichen, kann im Interesse der Besteuerungsgerechtigkeit eine gesonderte und einheitliche Feststellung erfolgen. Die gesonderte Feststellung ist zugleich einheitlich vorzunehmen, wenn die AO oder ein Einzelsteuergesetz (z. B. § 15a Abs. 4 Satz 6 EStG) dies besonders vorschreiben oder wenn der Gegenstand der Feststellung bei der Besteuerung mehreren Personen zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AO). „Einheitlich” bedeutet, dass ein und dieselbe Entscheidung inhaltsgleich gegenüber allen Feststellungsbeteiligten getroffen wird und für sie gleichermaßen Bindungswirkung entfalten soll. Der einheitliche Feststellungsbescheid enthält daher kein Bündel mehrerer voneinander unabhängiger Verwaltungsakte, sondern – hinsichtlich der einzelnen Besteuerungsgrundlagen – für alle Adressaten nur einen gemeinsam wirksamen Verwaltungsakt. Als Adressaten der gesonderten und einheitlichen Feststellung sind alle Steuerpflichtigen zu bezeichnen, denen der Gegenstand der Feststellung anteilig zugerechnet wird, nicht hingegen die Personengesellschaft oder Personengemeinschaft (vgl. , BStBl 1987 II S. 764). Dabei reicht es aus, dass sich aus dem gesamten Bescheid, nicht nur aus dessen Anschriftenfeld, ergibt, für welche Personen die Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden (vgl. , BStBl 1988 II S. 1003, m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn die Feststellungsbeteiligten einen Vertreter zum Empfang des Bescheids ermächtigt haben.
Ist eine der Personen an dem Gegenstand der Feststellung nur über eine andere Person beteiligt, kann insoweit eine besondere gesonderte Feststellung vorgenommen werden (§ 179 Abs. 2 Satz 3 AO). Von dieser Möglichkeit ist z. B. wegen des Geheimhaltungsbedürfnisses der Betroffenen in den Fällen der atypischen stillen Unterbeteiligung am Anteil des Gesellschafters einer Personengesellschaft regelmäßig Gebrauch zu machen. Die Regelung gilt entsprechend für Treuhandverhältnisse, in denen der Treugeber über den Treuhänder Hauptgesellschafter der Personengesellschaft ist. Die örtliche Zuständigkeit für die besondere gesonderte Feststellung richtet sich i. d. R. nach der Zuständigkeit für die Hauptgesellschaft.
Die besondere gesonderte Feststellung findet keine Anwendung auf typisch stille Unterbeteiligungen. Die Gewinnanteile des Unterbeteiligten bei einer typischen stillen Unterbeteiligung sind als Sonderbetriebsausgaben des Hauptbeteiligten im Feststellungsverfahren zu berücksichtigen.
c) Ergänzungsbescheid
Ist in einem Feststellungsbescheid eine notwendige Feststellung unterblieben, ist sie durch Erlass eines Ergänzungsbescheids nach § 179 Abs. 3 AO nachzuholen. Nachholbar sind nur solche Feststellungen, die in dem vorausgegangenen Feststellungsbescheid „unterblieben” sind (vgl. , BStBl 1978 II S. 152, m. w. N.). Unterblieben sind sie, wenn sie im Feststellungsbescheid hätten getroffen werden müssen, tatsächlich aber nicht getroffen worden sind. Der Erlass eines Ergänzungsbescheids steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde.
Ein Ergänzungsbescheid durchbricht nicht die Bestandskraft des bereits ergangenen Feststellungsbescheids. Er vervollständigt lediglich einen wirksamen, aber lückenhaften Feststellungsbescheid (vgl. , BStBl 1988 II S. 683). Inhaltliche Fehler in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht können daher nicht in einem Ergänzungsbescheid korrigiert werden (, BStBl 1994 I, S. 819). Der Ergänzungsbescheid ist zwar inhaltlich ein „Teil” der ersten Feststellung, verfahrensrechtlich ist er aber ein selbständiger Verwaltungsakt, der selbständig angefochten oder geändert werden kann und auch selbständig die Änderung der Folgebescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auslöst.
Ein Ergänzungsbescheid setzt einen wirksamen, wenn auch unvollständigen bzw. lückenhaften Feststellungsbescheid voraus. War der bisher ergangene Feststellungsbescheid wegen erheblicher Defizite nichtig oder wurde er nach Anfechtung aufgehoben, kann kein Ergänzungsbescheid, sondern nur ein vollständig „neuer” Feststellungsbescheid ergehen. Eine Feststellung ist nicht „unterblieben”, wenn sie abgelehnt wurde oder eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht falsche Feststellung getroffen wurde. In diesem Fall ist der Feststellungsbescheid ggf. unter den Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO zu korrigieren.
Ein Ergänzungsbescheid kann z. B. ergehen, wenn bei der Gewinnfeststellung zwar ein Veräusserungsgewinn berücksichtigt wurde, die Feststellung zur Höhe des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG aber unterblieben ist (vgl. , BStBl 1974 II S. 459). Auch der Hinweis auf die Reichweite der Bekanntgabe nach § 183 Abs. 1 Satz 5 AO kann in einem Ergänzungsbescheid nachgeholt werden (vgl. , BStBl 1994 II S. 885). Zu weiteren Beispielen s. Nr. 2 AEAO zu § 179.
Die „Nachholung” oder Ergänzung eines fehlenden oder unklaren Hinweises nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO durch einen Ergänzungsbescheid i. S. von § 179 Abs. 3 AO ist nicht möglich (, BStBl 1998 II S. 426).
d) Rechtsbehelfe
Gegen Feststellungsbescheide ist nach § 347 AO der Einspruch gegeben. Dabei ist jede einzelne Feststellung isoliert anfechtbar. So können bei einer Einheitswertfeststellung die Feststellungen zum Wert, zur Art und zur Zurechnung des Feststellungsgegenstands selbständig angefochten werden (vgl. , BStBl 1987 II S. 292). Bei Gewinnfeststellungen sind u. a. die Feststellung des gemeinschaftlich erzielten Gewinns, dessen Aufteilung und Zurechnung und die Berücksichtigung von Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben gesondert anfechtbar.
Zur Einspruchsbefugnis bei einheitlichen Feststellungen s. Tz. 375.
Tz. 210 Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
a) Allgemeines zur Vorschrift
Der Gesetzgeber hat die Hauptanwendungsfälle der gesonderten sowie der gesonderten und einheitlichen Feststellung in § 180 AO beispielhaft geregelt. Darüber hinaus enthält auch die Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 AO (V zu § 180 Abs. 2 AO) zahlreiche Regelungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.
b) Feststellung von Einheitswerten
Nach § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO werden nach Maßgabe des BewG Einheitswerte festgestellt. Dies bedeutet, dass sich die materiellen Regelungen der Einheitswertfeststellung nach dem BewG, die verfahrensrechtlichen Regelungen aber – soweit im BewG nichts Besonderes bestimmt ist – nach der AO richten. Gegenstand der Feststellung sind die wirtschaftlichen Einheiten nach § 2 BewG.
Der Einheitswertbescheid muss dabei insbesondere die Art des Bewertungsgegenstands, seinen steuerlich maßgeblichen Wert und seine – ggf. anteilige – Zurechnung feststellen. Die Feststellungen über Art, Wert und Zurechnung sind voneinander unabhängig und können deshalb auch selbständig bestandskräftig bzw. angefochten werden. Zurechnungsfortschreibungen müssen aber gegenüber dem bisherigen Zurechnungsträger und dem neuen Zurechnungsträger einheitlich erfolgen (, BStBl 1988 II S. 760).
c) Gemeinschaftlich erzielte Einkünfte mehrerer Personen
Sind mehrere Personen an der Erzielung einkommensteuerpflichtiger oder körperschaftsteuerpflichtiger Einkünfte beteiligt und sind ihnen diese Einkünfte auch anteilig steuerlich zuzurechnen, werden diese gemeinschaftlich erzielten Einkünfte gesondert und einheitlich festgestellt (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO). Im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung und zur Verwaltungsvereinfachung sollen diese gemeinschaftlichen Einkünfte durch nur eine Finanzbehörde mit Wirkung für und gegen alle (namentlich bezeichneten) Beteiligten ermittelt und verbindlich beurteilt (d. h. gesondert festgestellt) werden. Eine mehrfache Ermittlung und Würdigung des einheitlichen Sachverhalts durch mehrere Wohnsitzfinanzämter nebeneinander und insbesondere darin begründete divergierende Entscheidungen sollen durch das Feststellungsverfahren vermieden werden. Dies gilt umso mehr, wenn zweifelhaft ist, ob mehrere Personen an den Einkünften beteiligt sind und wem die Einkünfte anteilig zuzurechnen sind (vgl. , BStBl 1986 II S. 239).
Die Voraussetzungen für eine gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO liegen nur vor, wenn die fraglichen Einkünfte den Beteiligten auch steuerlich zuzurechnen sind. Bei Personengesellschaften und Personengemeinschaften i. S. des BGB und HGB liegen die Voraussetzungen vor, da diese Personenmehrheiten nicht selbst Schuldner der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer sind. Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist hingegen kein Anlass für eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte, da diese Gesellschaft als juristische Person selbst Schuldner der Körperschaftsteuer ist. Andererseits spielt es für die Anwendung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO keine Rolle, ob einer oder mehrere der Feststellungsbeteiligten als Kapitalgesellschaft oder sonstige juristische Person der Körperschaftsteuer unterliegt. Ebenso ist es möglich, dass Gesellschafter einer Personengesellschaft wiederum eine Personengesellschaft oder Personengemeinschaft ist (doppelstöckige Personengesellschaft).
Die bestandskräftige Feststellung zum Vorliegen einer Mitunternehmerschaft entfaltet als selbständiger Regelungsgegenstand eines Gewinnfeststellungsbescheids Bindungswirkung für die rechtlich nachrangigen Feststellungen und damit auch für die Frage der Erzielung eines Veräußerungsgewinns nach den §§ 16, 34 EStG (, BStBl 2003 II S. 335).
Die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist nicht auf Gewinneinkünfte beschränkt, sie ist auch bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, Einkünften aus Kapitalvermögen oder sonstigen Einkünfte durchzuführen. Dies gilt auch, wenn es sich um eine im Ausland ansässige Personengesellschaft handelt und mindestens zwei Beteiligte mit ihren anteiligen Einkünften der deutschen Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer unterliegen.
Bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 23 EStG erfolgt nur dann eine gesonderte und einheitliche Feststellung, wenn die Beteiligten das Geschäft gemeinsam verwirklicht haben (d. h. auf der Ebene der Personengesellschaft). Gewinne aus dem Erwerb und der Veräußerung von Anteilen an einer Personengesellschaft sind hingegen als individuelle Einkünfte vom Beteiligten im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer zu erfassen (, BStBl 1994 II S. 86).
Erzielen die Beteiligten einer Personengesellschaft gemeinsam Einkünfte aus mehreren Einkunftsarten nebeneinander, werden die entsprechenden Einkunftsarten jeweils durch eigenständige, voneinander unabhängige Verwaltungsakte festgestellt (vgl. , BStBl II S. 840). Diese Feststellungen können in einem Bescheid (Sammelbescheid) zusammengefasst werden.
Gegenstand der Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist die Entscheidung darüber, dass mehrere Steuerpflichtige aus einer bestimmten Einkunftsquelle gemeinsame Einkünfte erzielt haben, wie hoch diese Einkünfte waren und wie der Gesamtbetrag auf die einzelnen Beteiligten aufzuteilen ist.
Die gesonderte Feststellung umfasst in erster Linie die von den Feststellungsbeteiligten gemeinschaftlich erzielten Einkünfte. Die Feststellung ist jedoch nicht auf die gemeinschaftlich erzielten Einkünfte (im strengen Sinne) beschränkt. Der Gesetzgeber hat die Feststellung ausdrücklich auf alle Besteuerungsgrundlagen ausgedehnt, die in einem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit den gemeinschaftlich erzielten Einkünften stehen (vgl. Nr. 1 Abs. 2 AEAO zu § 180). Über die steuerliche Behandlung dieser Besteuerungsgrundlagen kann nur im Feststellungsverfahren, nicht mehr im Veranlagungsverfahren entschieden werden. Neben den gemeinschaftlich erzielten Einkünften gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen sind z. B.
Sonderbetriebsausgaben und -einnahmen der Feststellungsbeteiligte;
Aufwendungen, die aus Mitteln der Gesellschaft oder Gemeinschaft geleistet werden und für die Besteuerung der Beteiligten, z. B. als Sonderausgaben, von Bedeutung sind. Dies sind z. B. Spenden, Versicherungsbeiträge oder Bausparbeiträge, die eine Personengesellschaft zugunsten ihrer Gesellschafter entrichtet hat;
steuerfreie Zuflüsse i. S. des § 3 EStG;
steuerfreie, aber bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte des Beteiligten abzuziehende ausländischer Verluste i. S. des § 2a EStG;
ausländische Ertragsteuer i. S. des § 34c EStG.
Zu den notwendigen Feststellungen im Rahmen des Feststellungsverfahrens für eine Grundstücksgemeinschaft gehört auch die Feststellung, in welchem Umfang die gemeinschaftlich erzielten gewerblichen Einkünfte der Tarifbegrenzung nach § 32c EStG a. F. unterliegen (, BStBl 2008 II S. 4).
d) Unterschiedliche Zuständigkeit für Betrieb und Wohnsitz
Fallen Wohnort und Betriebs- bzw. Tätigkeitsort auseinander und liegen diese Orte im Bereich verschiedener Finanzämter, sind die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder freiberuflicher Tätigkeit gesondert festzustellen (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO). Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit i. S. der Vorschrift sind nur die Einkünfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, nicht die übrigen Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Maßgebend sind die Verhältnisse zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums; bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr oder einem Rumpf-Wirtschaftsjahr ist auf die Verhältnisse zum Schluss dieses Gewinnermittlungszeitraums abzustellen (vgl. Nr. 2.1 AEAO zu § 180). Spätere Änderungen der für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit relevanten Verhältnisse sind nicht von Bedeutung.
Das dem Betrieb räumlich und ggf. sachlich näherstehende Finanzamt des Betriebs-/Tätigkeitsorts hat verbindlich über die steuerliche Behandlung der Gewinneinkünfte zu entscheiden. Diese gesonderte Feststellung dient insbesondere der Zweckmäßigkeit und der Verwaltungsvereinfachung, da anderenfalls das Wohnsitzfinanzamt bei Ermittlung und Würdigung der Gewinneinkünfte auf die (unverbindliche) Amtshilfe des Feststellungsfinanzamts zurückgreifen müsste.
Übt ein Steuerpflichtiger seine freiberufliche Tätigkeit in mehreren Gemeinden aus, ist für die dadurch erzielten Einkünfte nur eine gesonderte Feststellung durchzuführen. Bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Gewerbebetrieb gilt dies für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder den Gewerbebetrieb entsprechend (Nr. 2.3 AEAO zu § 180). In diesen Fällen ist die Zuständigkeit nach § 25 AO zu bestimmen.
Die örtliche Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO richtet sich nach § 18 AO. Besonderheiten sind zu beachten, wenn die Wohnung und der Betrieb in einer Gemeinde (Großstadt) mit mehreren Finanzämtern liegen. Nach § 19 Abs. 3 AO ist das Lage-, Betriebs- oder Tätigkeitsfinanzamt auch für die persönlichen Steuern vom Einkommen und Vermögen zuständig, wenn ein Steuerpflichtiger in einer Gemeinde (Stadt) mit mehreren Finanzämtern einen land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb unterhält bzw. eine freiberufliche Tätigkeit ausübt. In diesen Fällen ist daher keine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO durchzuführen (Nr. 2 AEAO zu § 19).
e) Feststellungen nach der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO
aa) Labor- und Maschinengemeinschaften
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der V zu § 180 Abs. 2 AO erfolgt eine gesonderte und einheitliche Feststellung, wenn der Einkunftserzielung dienende Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen von mehreren Personen betrieben, genutzt oder gehalten werden. Diese Voraussetzungen liegen insbesondere bei Labor- und Maschinengemeinschaften vor. Insoweit liegt keine Gesellschaft oder Gemeinschaft i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO vor, da die Feststellungsbeteiligten nicht gemeinsam Einkünfte erzielen. Es liegt keine gemeinsame Einkunftsquelle vor. Die Feststellung beschränkt sich deshalb auf die durch den Betrieb, die Nutzung oder die Haltung der Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen veranlassten Betriebseinnahmen und -ausgaben. Eine Feststellung für Zwecke der Umsatzsteuer ist nicht möglich (Umkehrschluss aus § 1 Abs. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO).
bb) Gesamtobjekte
§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und Abs. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO ermöglichen eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bei Gesamtobjekten für die Steuern vom Einkommen (Einkommensteuer/Körperschaftsteuer) und die Umsatzsteuer. Ein Gesamtobjekt liegt vor, wenn Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen mehreren Personen getrennt zuzurechnen sind und diese Personen bei der Planung, Herstellung, Erhaltung oder dem Erwerb dieser Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen gleichartige Rechtsbeziehungen zu Dritten hergestellt oder unterhalten haben. Typische Anwendungsfälle sind Bauherren- und Erwerbergemeinschaften, bei denen die Feststellungsbeteiligten keine gemeinsame, sondern jeweils eine individuelle Einkunftsquelle haben. Voraussetzung für eine Feststellung für Zwecke der Umsatzsteuer ist darüber hinaus, dass mehrere Unternehmer im Rahmen des Gesamtobjektes (nebeneinander) steuerbare Umsätze ausführen oder empfangen.
Die gesonderte Feststellung bei Gesamtobjekten ist im Gegensatz zu Feststellungen nach § 180 Abs. 1 AO in sachlicher und zeitlicher Hinsicht beschränkt. Die ertragsteuerliche Feststellung umfasst nicht bestimmte Einkünfte, sondern grds. nur einen Teil der Besteuerungsgrundlagen (z. B. Werbungskosten während der Bauphase, Bemessungsgrundlage der AfA). Die gesonderte Feststellung erfolgt nur insoweit, wie die Besteuerungsgrundlagen der Beteiligten auf den gleichartigen Rechtsbeziehungen (z. B. gleichartiger Treuhand- oder Baubetreuungsvertrag) beruhen. Deshalb beschränkt die Finanzverwaltung die gesonderte Feststellung grds. auf den sog. vertraglichen Gesamtaufwand (vgl. 0361, BStBl 2001 I S. 256). Soweit einzelne Beteiligte individuelle Vereinbarungen mit dem gemeinsamen Vertragspartner (Treuhänder, Baubetreuer usw.) unterhalten, sind die hierauf entfallenden Besteuerungsgrundlagen nicht in die gesonderte Feststellung einzubeziehen.
Gehören die fraglichen Wirtschaftsgüter, Anlagen oder Einrichtungen bei einzelnen Beteiligten zum Betriebsvermögen, erfolgt die gesonderte Feststellung insoweit – anders als in den Fällen des § 180 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO bei sog. Zebragesellschaften – nach den für die fragliche Einkunftsart maßgeblichen Grundsätzen. Hat ein Beteiligter eine Eigentumswohnung innerhalb eines Bauherrenmodells seinem Betriebsvermögen zugeordnet (z. B. gewerbliche Vermietung als Ferienwohnung), sind die Besteuerungsgrundlagen daher insoweit nach Gewinnermittlungsgrundsätzen zu ermitteln. Soweit sich dabei Unterschiede zwischen den verschiedenen Gewinnermittlungsmethoden (§ 4 Abs. 1, § 5 oder § 4 Abs. 3 EStG) ergeben, ist die gesonderte Feststellung auf die für alle Gewinnermittlungsmethoden gleichen Bemessungsgrundlagen zu beschränken.
Die gesonderte Feststellung bei Gesamtobjekten für Zwecke der Umsatzsteuer erfolgt grds. nach den gleichen Grundsätzen wie die Feststellung für ertragsteuerliche Zwecke. Allerdings wird die gesonderte Feststellung darauf beschränkt, inwieweit die dem Unternehmer im Rahmen des vertraglichen Gesamtaufwands in Rechnung gestellten Vorsteuern die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 oder § 15a UStG erfüllen. Die Frage, ob und inwieweit der Unternehmer das Objekt zur Ausführung von Umsätzen verwendet, die den Vorsteuerabzug ermöglichen oder ausschließen, kann erst im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung selbst entschieden werden.
Der Feststellungsbescheid muss im Hinblick auf seine Bindungswirkung für den Folgebescheid auch eine klare Aussage darüber enthalten, in welchem sachlichen und zeitlichen Umfang die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden. Besteuerungsgrundlagen, die hiernach nicht in den Regelungsumfang der gesonderten Feststellung einzuordnen sind, sind vom Wohnsitzfinanzamt in eigener Zuständigkeit zu ermitteln und zu beurteilen.
cc) Besondere Verfahrensvorschriften
Die Durchführung eines Feststellungsverfahrens liegt im Ermessen des Finanzamts (§ 4 der V zu § 180 Abs. 2 AO). Ein Feststellungsverfahren ist grds. nur durchzuführen, wenn dies der einheitlichen Rechtsanwendung und der Verfahrenserleichterung dient. In Fällen von geringer Bedeutung kann daher auf ein Feststellungsverfahren verzichtet werden.
Das Feststellungsverfahren wird regelmäßig dadurch eingeleitet, dass das Feststellungsfinanzamt die Beteiligten zur Abgabe einer Feststellungserklärung auffordert. Die Erklärungspflicht setzt in jedem Fall eine entsprechende amtliche Aufforderung voraus. Dies hat zur Folge, dass die Anlaufhemmung der Feststellungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nur bei entsprechender Aufforderung wirksam wird.
Geben die Beteiligten unaufgefordert eine Feststellungserklärung ab, muss das Finanzamt entweder das Feststellungsverfahren einleiten oder einen negativen Feststellungsbescheid erteilen. In letzterem Fall obliegt die Ermittlung und Beurteilung der Besteuerungsgrundlagen allein den Wohnsitzfinanzämtern der Beteiligten. Die Feststellungsfrist beginnt in diesen Fällen bereits mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die auf die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen entfallende Steuer entsteht (§ 170 Abs. 1 AO). Allerdings gilt die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO entsprechend (§ 181 Abs. 1 Satz 3 AO).
Alle Ermittlungen und Verfahrenshandlungen bei Gesamtobjekten sollen nur gegenüber den besonderen Verfahrensbeteiligten i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere für Außenprüfungen (§ 7 der V zu § 180 Abs. 2 AO). Eine Außenprüfung soll nur dann bei einem Feststellungsbeteiligten vorgenommen werden, wenn eine Prüfung bei einem der besonderen Verfahrensbeteiligten i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 der V zu § 180 Abs. 2 AO keine hinreichende Sachaufklärung verspricht oder ergeben hat.
dd) Gesonderte Feststellung beim Übergang zur Liebhaberei
Wird ein gewerblicher Betrieb, ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder eine selbständige Tätigkeit ab einem gewissen Zeitpunkt als sog. Liebhaberei nicht mehr steuerlich berücksichtigt, hat dies noch keine Aufgabe dieser Tätigkeit zur Folge. Die stillen Reserven des Betriebsvermögens können deshalb nicht bereits zum Zeitpunkt des „Übergangs” zur Liebhaberei aufgelöst werden, sondern erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufgabe der Tätigkeit, der Veräußerung des Betriebs oder der Entnahme oder Veräußerung einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens. Ebenso wie Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der als Liebhaberei eingestuften Tätigkeit sind Wertänderungen der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nach dem Zeitpunkt des Übergangs zur Liebhaberei steuerlich unbeachtlich. Um die spätere zutreffende Erfassung der stillen Reserven des Betriebsvermögens zum Zeitpunkt des Übergangs zur Liebhaberei sicherzustellen, sind diese nach § 8 der V zu § 180 Abs. 2 AO gesondert – und bei mehreren Beteiligten auch einheitlich – festzustellen. Diese Feststellung ist auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens beschränkt.
Das Feststellungsverfahren richtet sich nach den §§ 179 ff. AO, nicht nach den §§ 1 - 7 der V zu § 180 Abs. 2 AO. Die Durchführung des Feststellungsverfahrens steht nicht im Ermessen des Finanzamts. Die Feststellungsfrist beginnt erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die auf die stillen Reserven entfallende Steuer (z. B. durch Geschäftsaufgabe oder -veräußerung) entsteht (§ 170 Abs. 1 AO). Eine Feststellungserklärung ist nur auf Aufforderung des Finanzamts abzugeben (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO).
f) Absehen von einer gesonderten Feststellung
Der Gesetzgeber betrachtet die Durchführung von Feststellungsverfahren nicht als Selbstzweck. Soweit eine gesonderte Feststellung für die Rechtssicherheit und eine gleichmäßige Besteuerung nicht erforderlich und auch nicht zweckmäßig ist, soll nach § 180 Abs. 3 AO auf sie verzichtet werden können. Hiernach ist keine gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO durchzuführen, wenn nur einer der Feststellungsbeteiligten mit den ihm zugerechneten Einkünften und Besteuerungsgrundlagen im Geltungsbereich der AO einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtig ist (§ 180 Abs. 3 Nr. 1 AO) oder wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt (§ 180 Abs. 3 Nr. 2 AO).
In den Fällen des § 180 Abs. 3 Nr. 1 AO erfolgt die Ermittlung und Beurteilung der anteiligen Einkünfte und Besteuerungsgrundlagen im Veranlagungsverfahren des Beteiligten, der im Inland besteuert wird. Die Einkünfte und Besteuerungsgrundlagen der übrigen (im Inland nicht steuerpflichtigen) Beteiligten sind von den für sie zuständigen ausländischen Finanzbehörden selbständig zu ermitteln. Es erfolgt keine grenzüberschreitende gesonderte und einheitliche Feststellung.
Eine gesonderte und einheitliche Feststellung soll nach § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO in Fällen von geringer Bedeutung unterbleiben. Dabei ist nicht auf die Höhe der Einkünfte oder Besteuerungsgrundlagen abzustellen, sondern darauf, ob und inwieweit eine ungleichmäßige Besteuerung oder aufwendige Ermittlungen in den Steuerfestsetzungsverfahren drohen. Ein Feststellungsverfahren soll danach insbesondere unterbleiben, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt und die Feststellung der Höhe und die Aufteilung der Einkünfte und Besteuerungsgrundlagen unter keinen Gesichtspunkten Zweifel hervorrufen kann und auch keine späteren Änderungen, z. B. durch eine Außenprüfung, zu erwarten sind (vgl. , BStBl 1986 II S. 239).
Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen muss nahezu ausgeschlossen sein. Ist aber zweifelhaft, ob bestimmte Einkünfte nur einer oder mehreren Personen zuzurechnen sind, ist immer ein Feststellungsverfahren durchzuführen. Dieses Feststellungsverfahren kann ggf. mit einer negativen Feststellung gegenüber den Beteiligten verbunden werden, denen keine Anteile an den Einkünften oder Besteuerungsgrundlagen zugerechnet werden.
Die Voraussetzungen für ein Absehen von einer gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 3 AO sind nicht bereits erfüllt, wenn die Beteiligten als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Insbesondere muss die Frage, ob die Ehegatten Mitunternehmer i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind, immer im Feststellungsverfahren entschieden werden (vgl. , BStBl 1970 II S. 730). Andererseits ist ein Fall von geringer Bedeutung anzunehmen, wenn die zusammenveranlagten Ehegatten gemeinsam Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen und der Sachverhalt keine besonderen Schwierigkeiten oder Abgrenzungsfragen aufwirft (, BStBl 1976 II S. 305).
Zur Klärung von Zweifeln, ob im Einzelfall ein Feststellungsverfahren durchgeführt wird oder ob die Sachverhaltsermittlung und -würdigung unmittelbar im Veranlagungsverfahren der Beteiligten erfolgt, kann das für eine gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt einen sog. negativen Feststellungsbescheid erlassen (§ 180 Abs. 3 Satz 2 AO). Dieser Bescheid steht einem Steuerbescheid gleich.
g) Feststellungsverfahren bei Arbeitsgemeinschaften
Arbeitsgemeinschaften sind regelmäßig als GbR auch Mitunternehmerschaften i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, so dass die Gewinne nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festzustellen wären. Da ihre Existenz aber regelmäßig auf ein Bauvorhaben o. ä. Maßnahmen beschränkt ist, ist ein Feststellungsverfahren regelmäßig unverhältnismäßig aufwendig. Deshalb soll nach § 180 Abs. 4 AO aus Vereinfachungsgründen auf die Durchführung eines Feststellungsverfahrens verzichtet werden, wenn ihr alleiniger Zweck in der Erfüllung eines einzigen Werkvertrags oder Werklieferungsvertrags besteht. Die Dauer der Ausführung des Werkvertrags ist nicht von Bedeutung.
h) Feststellung steuerfreier Einkünfte für den Progressionsvorbehalt
§ 180 Abs. 5 Nr. 1 AO sieht eine gesonderte und einheitliche Feststellung auch für den Fall vor, dass die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreien Einkünfte bei der Festsetzung der Steuern der beteiligten Personen von Bedeutung sind. Voraussetzung hierfür ist, dass – abgesehen von der Steuerfreiheit der Einkünfte bzw. Besteuerungsgrundlagen – eine gesonderte und ggf. auch einheitliche Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 2 AO durchzuführen wäre. Eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO kann in Fällen von geringer Bedeutung (§ 180 Abs. 3 AO) unterbleiben.
Die steuerliche Bedeutung der steuerfreien Einkünfte besteht regelmäßig darin, dass sie bei der Steuerfestsetzung im Wege des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind (§ 32b EStG). Ein weiterer Anwendungsfall des § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO liegt vor, wenn mehrere Personen gemeinschaftlich Verluste aus einer ausländischen Betriebsstätte erzielt haben und diese bei der Einkommensteuerfestsetzung nach § 2a Abs. 3 und 4 EStG berücksichtigt werden.
i) Feststellung von anzurechnenden Steuerbeträgen
§ 180 Abs. 5 Nr. 2 AO sieht eine gesonderte – und ggf. auch einheitliche – Feststellung von Steuerabzugsbeträgen und Körperschaftsteuer vor, die auf die festgesetzte Steuer des oder der Beteiligten anzurechnen sind. Soweit diese Steuern Abgeltungswirkung haben oder bereits bei der Ermittlung der Einkünfte (z. B. nach § 34c Abs. 2, 3 EStG) berücksichtigt wurden und daher eine Anrechnung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Beteiligten ausgeschlossen ist, unterbleibt eine Feststellung.
Weil das Feststellungsfinanzamt die anzurechnenden Steuerbeträge für alle Beteiligten verbindlich feststellt, müssen die Steuerbescheinigungen nur noch im Feststellungsverfahren vorgelegt werden (vgl. Nr. 6 AEAO zu § 180). Die Wohnsitzfinanzämter sind bei der Abrechnung des Folgebescheids an die Feststellung der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge bzw. anzurechnender Körperschaftsteuer gebunden. Andererseits kann in den Fällen des § 180 Abs. 3 AO auf die Feststellung der anzurechnenden Steuerbeträge verzichtet werden, die Ermittlungskompetenz geht dann auf die Wohnsitzfinanzämter über.
Tz. 211 Verfahrensvorschriften für die gesonderte Feststellung, Feststellungsfrist, Erklärungspflicht
a) Sinngemäße Anwendung der allgemeinen Verfahrensvorschriften
Für Feststellungsbescheide gelten gem. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit insbesondere die Vorschriften über Steuerbescheide sinngemäß. Sinngemäß bedeutet, dass die in Bezug genommenen Regelungen unter Beachtung der Besonderheiten des Feststellungsverfahrens zweckgerichtet anzuwenden sind (vgl. , BStBl 1992 II S. 869).
Der Feststellungsbescheid ist – wie ein Steuerbescheid – schriftlich zu erteilen und allen Personen bekannt zu geben, für die er bestimmt ist oder die von ihm betroffen sind (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 122 Abs. 1 Satz 1 und § 157 Abs. 1 Satz 1 AO). Er richtet sich an die Feststellungsbeteiligten selbst, nicht an die Gesellschaft oder Gemeinschaft. Daher muss sich aus dem Bescheid ergeben, für welche Personen welche Anteile an welchen Besteuerungsgrundlagen verbindlich festgestellt werden (vgl. , BStBl 1992 II S. 585). Er kann auch nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder nach § 165 AO vorläufig ergehen und muss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.
Für die gesonderte und einheitliche Feststellung gelten die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß und damit auch, soweit nicht § 181 Abs. 3–5 AO Sonderregelungen enthalten, die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO). Die reguläre Feststellungsfrist für gesonderte bzw. gesonderte und einheitliche Feststellungen beträgt demnach vier Jahre (§ 181 Abs. 1 i. V. mit § 169 Abs. 2 AO). Bei leichtfertiger Steuerverkürzung beträgt die Feststellungsfrist fünf Jahre, bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, soweit die Steuerverkürzung sich auf die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen erstreckt. Sie beginnt, sofern nicht kraft allgemeiner gesetzlicher Regelung oder nach Aufforderung des Finanzamts eine Feststellungserklärung abzugeben ist, nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahrs, in dem die auf die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen entfallende Steuer entstanden ist. Bei Erklärungspflicht gilt die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Die Feststellungsfrist beginnt danach mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Feststellungserklärung eingereicht wird, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Kalenderjahr, in dem die Steuer entstanden ist.
b) Erklärungspflicht
Nach § 181 Abs. 2 Satz 1 AO hat jeder eine Feststellungserklärung abzugeben, dem der Gegenstand der Feststellung ganz oder teilweise zuzurechnen ist. Besondere Erklärungspflichten nach den Einzelsteuergesetzen bleiben unberührt. Im Interesse der Klarstellung enthält § 181 Abs. 2 Satz 2 AO eine ausdrückliche Aufzählung der wichtigsten Fälle:
Bei Personengesellschaften und Gemeinschaften i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind alle Feststellungsbeteiligten, denen ein Anteil an den Einkünften zuzurechnen ist, sowie die gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter i. S. des § 34 AO erklärungspflichtig.
Bei der gesonderten Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO ist der land- und forstwirtschaftliche, gewerbliche oder freiberufliche Einzelunternehmer erklärungspflichtig.
Bei der gesonderten und einheitlichen Vermögensfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO sind alle Feststellungsbeteiligten, denen ein Anteil an den Wirtschaftsgütern, Schulden oder sonstigen Abzügen zuzurechnen ist, sowie die gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter i. S. des § 34 AO erklärungspflichtig.
Die Feststellungserklärungen sind in diesen Fällen kraft Gesetzes abzugeben, es bedarf keiner besonderen Aufforderung durch das Finanzamt. Hat ein Erklärungspflichtiger eine (vollständige) Erklärung abgegeben, sind die übrigen von der Erklärungspflicht befreit. Soweit die Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, bleibt die Verpflichtung aller Beteiligter bestehen.
c) Feststellungsfrist für die Einheitsbewertung
§ 181 Abs. 3 und 4 AO trifft gegenüber § 170 AO vorrangige Sonderregelungen über den Beginn der Feststellungsfrist bei der gesonderten Feststellung von Einheitswerten. Die Feststellungsfrist beginnt nach § 181 Abs. 3 AO jeweils mit Ablauf des Kalenderjahrs, auf dessen Beginn die Hauptfeststellung, Fortschreibung, Nachfeststellung oder die Aufhebung der Feststellung vorzunehmen ist. Bei Erklärungspflicht gilt eine dem § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nachgebildete Anlaufhemmung (§ 181 Abs. 3 Satz 2 AO). Diese Anlaufhemmung bezieht sich aber nur auf den ersten Feststellungszeitpunkt, für den der Einheitswert festgestellt oder aufgehoben wird. Dabei kann es sich aber nicht nur um den Hauptfeststellungszeitpunkt handeln, es kann sich auch um Fälle handeln, in denen eine Erklärung auf einen Nachfeststellungs- oder Fortschreibungszeitpunkt abzugeben ist.
Nach § 181 Abs. 3 Satz 3 AO wird der Anlauf der Feststellungsfrist für die folgenden Feststellungszeitpunkte des Hauptfeststellungszeitraums im gleichen Maße hinausgeschoben wie die Feststellungsfrist für die Feststellung auf den Zeitpunkt, hinsichtlich dessen aufgrund der Erklärungspflicht die Anlaufhemmung nach § 183 Abs. 3 Satz 2 AO hinausgeschoben wird (Domino-Effekt). Die Anlaufhemmung nach § 181 Abs. 3 Satz 3 AO ist auch dann maßgeblich, wenn zugleich die Voraussetzungen der Anlaufhemmung nach § 181 Abs. 3 Satz 2 AO erfüllt sind (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 181). Die Feststellungsfrist beginnt aber nach § 181 Abs. 4 AO in allen diesen Fällen nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Feststellung vorzunehmen ist.
d) Gesonderten Feststellung nach Ablauf der Feststellungsfrist
Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie maßgeblichen Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als sie für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids noch nicht abgelaufen ist. Hierauf ist im Feststellungsbescheid ausdrücklich hinzuweisen (§ 181 Abs. 5 Satz 2 AO). Der Hinweis muss erkennen lassen, auf welche Steuerabschnitte (Veranlagungszeiträume) und auf welche (konkret bezeichneten) Steuerarten sich die Wirkungen der gesonderten Feststellung erstrecken sollen (vgl. , BStBl 1995 II S. 302). Der Hinweis soll dem für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzamt und dem Steuerpflichtigen deutlich machen, dass es sich um einen Feststellungsbescheid handelt, der nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen und deshalb nur noch für solche Steuerfestsetzungen bedeutsam ist, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist
Der , BStBl 2007 II S. 919, und v. - XI R 65/05, BStBl 2007 II S. 921) hatte entschieden, dass der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG nicht entgegensteht, dass für den Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung kein Einkommensteuerbescheid ergangen war und auch nicht mehr ergehen konnte. Danach können Verluste aufgrund des § 181 Abs. 5 AO noch gesondert festgestellt werden, soweit die Feststellung für eine Steuerfestsetzung oder eine andere Feststellung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Dies ist bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags wegen der Auswirkungen auf Einkommensteuerfestsetzungen künftiger Veranlagungszeiträume der Fall. Durch das Jahressteuergesetz 2007 ist der Lauf der für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG geltenden Feststellungsfristen neu geordnet worden. Die Verlustfeststellungsfrist endet nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 AO ist auf die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nicht (mehr) anwendbar, es sei denn, die zuständige Finanzbehörde hat die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. , BStBl 2007 I S. 825.
Tz. 212 Wirkungen der gesonderten Feststellung
a) Bindungswirkung des Feststellungsbescheides
Gem. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO sind Feststellungsbescheide als Grundlagenbescheide (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) für Folgebescheide bindend, soweit die getroffenen Feststellungen für die Folgebescheide von Bedeutung sind. Die Bindungswirkung der Regelungen eines Feststellungsbescheids wird durch den Feststellungsbereich begrenzt. Dies gilt gleichermaßen für die rechtlichen Erwägungen, die als sog. vorgreifliche Umstände den Regelungen (Verfügungssätzen) des Feststellungsbescheids zugrunde liegen.
Die Bindungswirkung hat zur Folge, dass die für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzbehörde insoweit von der steuerrechtlichen Ermittlung und Beurteilung der jeweiligen Besteuerungsgrundlage entbunden ist und diese vollinhaltlich in den Folgebescheid übernehmen muss. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids beschränkt sich jedoch nicht auf die bloße mechanische Übernahme seines Inhalts in den Folgebescheid. Sie steht vielmehr jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheids widersprechen würde (vgl. , BStBl 2007 II S. 687, m. w. N.).
Das Wohnsitzfinanzamt muss den Folgebescheid selbst dann an den Feststellungsbescheid anpassen, wenn das Feststellungsfinanzamt seine Kompetenzen überschritten hat. Solange der – insoweit rechtswidrige – Feststellungsbescheid wirksam ist, entfaltet er auch uneingeschränkte Bindungswirkung für den Folgebescheid. Maßgebend für das Ausmaß der Bindungswirkung sind aber nicht die behördeninternen Mitteilungen über die gesonderte Feststellung, sondern allein der Inhalt des Feststellungsbescheids, wie er den Adressaten bekannt gegeben wurde.
Durch einen negativen Feststellungsbescheid wird entschieden, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Feststellungsverfahrens nicht gegeben sind. Auch ein negativer Feststellungsbescheid entfaltet als Grundlagenbescheid Bindungswirkung gegenüber dem Folgebescheid. Dabei ist aber zu unterscheiden, warum das Feststellungsfinanzamt die gesonderte und ggf. einheitliche Feststellung unterlassen hat. Erkennt das Finanzamt die Erklärung mehrerer Personen, gemeinschaftlich steuerpflichtige Einkünfte erzielt zu haben, nicht an, weil es die Einkünfte nur einer Person zurechnet, erlässt es gegenüber den übrigen Beteiligten einen negativen Feststellungsbescheid. In diesem Fall darf auch das Wohnsitzfinanzamt im Folgebescheid keine andere Entscheidung treffen. Gegenüber der Person, der die Einkünfte allein zuzurechnen sind, unterbleibt – abgesehen vom Fall des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO – eine (positive) Feststellung; in seinem Fall geht die Ermittlungskompetenz nach Erlass des ihn betreffenden negativen Feststellungsbescheids auf das Wohnsitzfinanzamt über. Der Folgebescheid ist ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (vgl. , BStBl 1993 II S. 820). Wird ein als Grundlagenbescheid wirkender Feststellungsbescheid aufgehoben, ohne dass damit der Erlass eines negativen Feststellungsbescheids verbunden ist, muss eine vom Feststellungsbescheid ausgelöste Änderung des Folgebescheids rückgängig gemacht werden. Die Aufhebung eines Feststellungsbescheids (Grundlagenbescheid) führt nur dann dazu, dass der bisher in diesem Bescheid beurteilte Sachverhalt nunmehr unmittelbar im Folgebescheid beurteilt werden kann, wenn sie als Erlass eines negativen Feststellungsbescheids zu werten ist. Anderenfalls bleibt der betreffende Sachverhalt einer Überprüfung im Folgebescheidverfahren entzogen (, BStBl 2007 II S. 76).
Bei gesonderten und einheitlichen Feststellungen können dem Finanzamt bei Erlass des Feststellungsbescheids dadurch (unbewusst) Fehler unterlaufen, dass hinsichtlich eines Beteiligten vor Bekanntgabe des Feststellungsbescheids Rechtsnachfolge eingetreten ist. Die unrichtige Bezeichnung eines Beteiligten führt nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Feststellungsbescheids (, BStBl 1992 II S. 865). In einem vereinfachten Verfahren kann durch einen Richtigstellungsbescheid nach § 182 Abs. 3 AO eine Berichtigung gegenüber dem Rechtsnachfolger erfolgen.
Die gesonderte Feststellung anrechenbarer Steuerabzugsbeträge und Körperschaftsteuer nach § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO hat Folgewirkungen nur für das Erhebungsverfahren, denn die Anrechnung erfolgt in einem gesonderten Abrechnungsteil (Anrechnungsverfügung). Dadurch, dass § 182 Abs. 1 Satz 3 AO die entsprechende Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anordnet, ermöglicht er die erforderlichen Folgeänderungen der Anrechungsverfügung bei Erlass oder Änderung der gesonderten Feststellungen nach § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO.
b) Wirkung der Einheitswertbescheide und der Bescheide nach der V zu § 180 Abs. 2 AO gegenüber dem Rechtsnachfolger
§182 Abs. 2 AO regelt die sog. dingliche Wirkung der Einheitswertbescheide. Danach wirken die Bescheide auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Steuerpflichtigen, dem der Feststellungsgegenstand zuzurechnen ist, wenn die Rechtsnachfolge nach dem Feststellungszeitpunkt eintritt. Einer Bekanntgabe an den Rechtsnachfolger bedarf es in diesem Falle nur, wenn die Rechtsnachfolge eintritt, bevor der Feststellungsbescheid über den Einheitswert dem Rechtsvorgänger bekannt gegeben worden ist.
War der Einheitswertbescheid im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge bereits bekanntgegeben, muss der Rechtsnachfolger die etwa eingetretene Unanfechtbarkeit dieses Bescheids hinnehmen. Läuft die Rechtsbehelfsfrist im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge noch, kann der Rechtsnachfolger selbständig einen Rechtsbehelf innerhalb der für den Rechtsvorgänger maßgebenden Einspruchsfrist einlegen.
§ 182 Abs. 2 AO gilt nicht für Gewerbesteuer-Messbescheide (§ 184 Abs. 1 AO), wohl aber für Grundsteuer-Messbescheide (Nr. 2 des AEAO zu § 182).
§ 182 Abs. 2 Satz 3 AO erweitert den Anwendungsbereich der dinglichen Wirkung auf Feststellungsbescheide, die auf Grundlage der V zu § 180 Abs. 2 AO ergehen, soweit sich diese Feststellungen erst später auswirken (§§ 8 und 9 der V zu § 180 Abs. 2 AO).
c) Richtigstellungsbescheid bei wegen Rechtsnachfolge fehlerhafter Bekanntgabe
§ 182 Abs. 3 AO soll die Probleme beseitigen, die entstehen, wenn dem Finanzamt Änderungen in der personellen Zusammensetzung der Beteiligten nicht bekannt werden. Der Gesetzgeber dachte hier insbesondere an Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl von Gesellschaftern, bei denen häufig Fälle von Rechtsnachfolge eintreten, ohne dass die Finanzbehörde davon erfährt. Die wegen Rechtsnachfolge fehlerhafte Bezeichnung eines Beteiligten kann daher durch einen besonderen Bescheid richtig gestellt werden (Richtigstellungsbescheid). Der Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheids bleibt im Übrigen unberührt. §182 Abs. 3 AO gilt allerdings nicht für Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b AO (vgl. , BStBl 1994 II S. 5).
Tz. 213 Empfangsbevollmächtigte bei der einheitlichen Feststellung
a) Bekanntgabe an den gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten
§ 183 AO regelt die Bekanntgabe bei Feststellungsbescheiden, die sich gegen mehrere Personen richten, die an dem Gegenstand der gesonderten Feststellung beteiligt sind (Feststellungsbeteiligte). Müsste sich die Finanzbehörde bei einheitlichen Feststellungen mit möglicherweise zahlreichen Beteiligten an alle Beteiligten wenden, würde dadurch eine außerordentliche Verkomplizierung des Verfahrens eintreten. § 183 Abs. 1 AO normiert daher ein dreistufiges Verfahren zur Bestimmung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten:
aa) Bestellung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten
Zur Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwands sollen die Feststellungsbeteiligten nach § 183 Abs. 1 Satz 1 AO einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellen. Dieser Empfangsbevollmächtigte soll die Feststellungsbeteiligten im Feststellungsverfahren sowie im außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vertreten. Die Empfangsvollmacht bedarf keiner Form, sie kann auch konkludent erteilt werden. Die Bestellung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten i. S. des § 183 Abs. 1 Satz 1 AO durch die Feststellungsbeteiligten wirkt regelmäßig auch für künftige Bescheide in Feststellungsverfahren, und zwar auch soweit diese zurückliegende Feststellungszeiträume betreffen (, BStBl 2007 I S. 369).
bb) Fingierte Bestimmung eines Empfangsbevollmächtigten
Sofern kein Empfangsbevollmächtigter bestellt wurde, gilt nach § 183 Abs. 1 Satz 2 AO kraft Gesetzes ein zur Vertretung der Gesellschaft oder der Feststellungsbeteiligten oder ein zur Verwaltung des Feststellungsgegenstands Berechtigter als Empfangsbevollmächtigter. Maßgebend hierfür sind die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen sowie abweichende gesellschaftsvertragliche Regelungen, soweit diese dem Finanzamt bekannt sind oder bekannt sein müssten. Bei Personenhandelsgesellschaften ist der Feststellungsbescheid daher dem vertraglich bestellten Geschäftsführer als Empfangsbevollmächtigtem bekannt zu geben, soweit die Gesellschafter keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt haben. Hat eine Gesellschaft mehrere gemeinsam Vertretungsberechtigte (z. B. alle Gesellschafter einer GbR), reicht es aus, wenn der Feststellungsbescheid einem Gesellschafter allein als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten bekannt gegeben wird.
cc) Aufforderung zur Benennung eines Empfangsbevollmächtigten
Wenn die Feststellungsbeteiligten von sich aus keinen Empfangsbevollmächtigten bestellt haben und auch kein gesetzlich fingierter Empfangsbevollmächtigter i. S. des § 183 Abs. 1 Satz 2 AO existiert, soll das Finanzamt die Beteiligten zur Benennung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten auffordern. Dabei soll es bereits einen Beteiligten vorschlagen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass dieser von ihm vorgeschlagenen Person alle Verwaltungsakte und Mitteilungen im Feststellungsverfahren mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten bekannt werden. Die Beteiligten können diese Rechtsfolge nur verhindern, wenn sie innerhalb der vom Finanzamt gesetzten Frist einen anderen Empfangsbevollmächtigten benennen.
Wird ein Feststellungsbescheid einem Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen die Feststellungsbeteiligten bekannt gegeben, muss hierauf im Bescheid ausdrücklich hingewiesen werden (§ 183 Abs. 1 Satz 5 AO). Ein fehlender Hinweis kann durch Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 AO nachgeholt werden.
b) Notwendigkeit einer Einzelbekanntgabe
Das Finanzamt darf Feststellungsbescheide nach § 183 Abs. 2 Satz 1 AO nicht allein dem gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bekannt geben, soweit ihm bekannt ist, dass
die Gesellschaft oder Gemeinschaft nicht mehr existiert,
ein Beteiligter aus der Gesellschaft oder Gemeinschaft ausgeschieden ist oder
zwischen den Beteiligten ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Insoweit ist der Feststellungsbescheid den betroffenen Beteiligten einzeln, aber grds. auf bestimmte Besteuerungsgrundlagen beschränkt, bekannt zu geben (§ 183 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO). So soll der Feststellungsbescheid im Fall der Einzelbekanntgabe i. d. R. nur den Gegenstand der Feststellung, die alle Beteiligten betreffenden Besteuerungsgrundlagen, die Zahl der Beteiligten und die den einzelnen Adressaten persönlich betreffenden Besteuerungsgrundlagen beinhalten. Dies gilt auch bei Gesellschaften mit weniger als 100 Beteiligten. Zum besseren Verständnis des Feststellungsbescheids sollen dem Beteiligten aber bei Einzelbekanntgabe alle Grundlagen der Feststellung, d. h. insbesondere die Wertermittlung und die Aufteilungsgrundlagen, mitgeteilt werden (Nr. 2 AEAO zu § 183).
c) Ausnahme von der Einzelbekanntgabe
§ 183 Abs. 3 AO bestimmt, dass auch in Fällen, in denen grds. eine Einzelbekanntgabe erforderlich wäre, eine erteilte Empfangsvollmacht nach § 183 Abs. 1 Satz 1 AO, solange sie nicht widerrufen wurde, zu beachten ist. Ein von den Feststellungsbeteiligten rechtsgeschäftlich bestellter Empfangsbevollmächtigter vertritt die Beteiligten i. S. des § 183 Abs. 2 Satz 1 AO danach soweit und solange, als die betroffenen Beteiligten dem nicht ausdrücklich widersprochen haben. Dies gilt auch, wenn dem Finanzamt bereits bekannt ist, dass ein Beteiligter aus der Gesellschaft oder Gemeinschaft ausgeschieden ist oder dass zwischen den Beteiligten ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Der Widerruf der Empfangsvollmacht wird erst mit seinem Eingang bei der Finanzbehörde wirksam, interne Vereinbarungen der Gesellschafter oder Gemeinschafter sind deshalb gegenüber dem Finanzamt unwirksam. Der Widerruf bedarf keiner Form, er sollte aber aus Beweisgründen regelmäßig schriftlich erfolgen.
d) Vereinfachte Bekanntgabe von Feststellungsbescheiden über den Einheitswert
Bei der Zurechnung wirtschaftlicher Einheiten (z. B. Grundstücke) an Ehegatten, Ehegatten mit Kindern oder Alleinstehenden mit Kindern erklärt § 183 Abs. 4 AO die für zusammengefasste Bescheide geltenden Bekanntgaberegelungen des § 122 Abs. 7 AO aus Vereinfachungsgründen auch auf Feststellungsbescheide über den Einheitswert für anwendbar, wenn die Feststellungsbeteiligten keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten nach § 183 Abs. 1 AO bestellt haben.
Tz. 214 Festsetzung von Steuermessbeträgen
a) Festsetzung der Steuermessbeträge
Der Steuermessbetrag stellt die Grundlage für die Festsetzung von Realsteuern dar. Realsteuern sind die Grundsteuer und die Gewerbesteuer. In diesen Fällen werden die Steuermessbeträge durch Steuermessbescheid festgesetzt. Die Ermittlung der festzusetzenden Steuermessbeträge ist nicht in § 184 AO geregelt, sondern in den Einzelsteuergesetzen (§ 11 GewStG; §§ 13 ff. GrStG).
Die Festsetzung von Steuermessbeträgen dient der Vereinfachung der Steuerfestsetzung. Da den Finanzbehörden die erforderlichen Daten der gewerblichen Gewinnermittlung wegen der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerfestsetzung sowieso vorliegen, ist es relativ einfach, durch Hinzu- und Abrechnungen den Gewerbeertrag und damit auch den Gewerbesteuer-Messbetrag zu ermitteln. Ebenso ist es für die Finanzbehörde einfach, einen Grundsteuer-Messbescheid zu erlassen, da sie auch für den Erlass der Einheitswertbescheide zuständig ist.
Mit dem Steuermessbescheid wird auch über die die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Die persönliche Steuerpflicht ergibt sich aus § 5 GewStG und § 10 GrStG. Die sachliche Steuerpflicht betrifft die Frage des Steuergegenstandes, welche in den §§ 2, 35a GewStG und § 2 GrStG geregelt ist.
Für den Steuermessbescheid gelten die allgemeinen Vorschriften über Verwaltungsakte nach §§ 118 ff. AO. Verfahrensrechtlich sind Steuermessbescheide den Steuerbescheiden gleichgestellt; nach § 184 Abs. 1 Satz 3 AO sind die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß anzuwenden (u. a. Abgabe von Steuererklärungen, Verjährung, Aufhebung und Änderung). Der Messbescheid kann entsprechend § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder gem. § 165 AO vorläufig ergehen.
Die Festsetzung der Steuermessbeträge ist verbindlich für den Steuerpflichtigen und die Behörden, die auf Grundlage des Messbetrags die Grundsteuer und die Gewerbesteuer durch gesonderten Steuerbescheid festsetzen (§ 184 Abs. 1 Satz 4 i. V. mit § 182 Abs. 1 AO). Der Steuermessbescheid ist Grundlagenbescheid i. S. von § 171 Abs. 10 AO für den Gewerbesteuer- oder Grundsteuerbescheid. Im Fall der Zerlegung (§§ 185 ff. AO) ist der Messbescheid auch für den Zerlegungsbescheid bindend (vgl. , BStBl 1999 II S. 542). Dies bedeutet, dass Einwendungen gegen die Höhe der Gewerbe- oder Grundsteuer verfahrensrechtlich nur durch Anfechtung der Steuermessbescheide möglich sind.
Für Grundsteuer-Messbescheide (nicht für Gewerbesteuer-Messbescheide) sind nach § 184 Abs. 1 Satz 4 AO die Regelungen des § 182 Abs. 2 und des § 183 AO sinngemäß anzuwenden. Das heißt, dass sie auch gegenüber dem Rechtsnachfolger wirksam sind, auf den der Grundbesitz übergegangen ist (dingliche Wirkung) und dass sie an einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bekannt gegeben werden können, wenn ein Grundstück im Eigentum mehrerer Personen steht.
b) Befugnis zur abweichende Festsetzung
Die Befugnis, Realsteuermessbeträge festzusetzen, schließt die Befugnis zu Maßnahmen nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO nur insoweit ein, als für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind (sog. Gruppenunbilligkeit). In allen übrigen Fällen sind für die Gewährung entsprechender Billigkeitsmaßnahmen die Gemeinden als steuerfestsetzende Behörden zuständig.
Nach § 163 Abs. 1 Satz 2 AO kann mit Zustimmung des Steuerpflichtigen bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden. Soweit eine solche Maßnahme die gewerblichen Einkünfte als Grundlage für die Festsetzung der Steuer vom Einkommen beeinflusst, wirkt sie nach § 184 Abs. 2 Satz 2 AO auch für den Gewerbeertrag als Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags.
c) Information der Gemeinden
Die Festsetzung der Steuermessbeträge obliegt den Finanzbehörden, die den Inhalt des Steuermessbescheids sowie die evtl. getroffenen Billigkeitsmaßnahmen der steuerberechtigten Gemeinde als bindende Grundlage (vgl. § 171 Abs. 10 AO) mitteilen, damit diese ihrer Verpflichtung nachkommen kann, Grund- bzw. Gewerbesteuerbescheide als Folgebescheide zu erlassen.
X. Zerlegung und Zuteilung
Tz. 215 Geltung der allgemeinen Vorschriften
Die Vorschrift verweist für das Zerlegungsverfahren auf die für die Ermittlung und Festsetzung der Steuermessbeträge geltenden Vorschriften (s. § 184 AO), soweit keine speziellen Regelungen für die Zerlegung getroffen sind. Danach sind auf die Zerlegung grds. die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die für Steuerbescheide geltenden Vorschriften über Verwaltungsakte (§§ 118 ff. AO), aber auch diejenigen über die Aufhebung und Änderung von Steuerfestsetzungen (§§ 172 ff. AO) anzuwenden.
Zerlegungsbescheide sind Folgebescheide in Bezug auf den jeweiligen Steuermessbescheid und zugleich Grundlagenbescheide im Verhältnis zum Realsteuerbescheid (vgl. , BStBl 1993 II S. 828).
Tz. 216 Beteiligte
Die Vorschrift regelt in Abweichung zu § 78 AO die Verfahrensbeteiligten im Zerlegungsverfahren. Beteiligt sind der Steuerpflichtige (§ 33 AO) und die Steuerberechtigten (Gemeinden), denen ein Anteil an dem Steuermessbetrag zugeteilt worden ist oder die einen Anteil beanspruchen. In den Stadtstaaten, in denen die Festsetzung der Realsteuern nicht dem Steuerberechtigten, sondern den Finanzämtern obliegt, ist Beteiligter nicht die Gemeinde, sondern das Finanzamt (§ 186 Nr. 2 Satz 2 AO).
Mit der Beteiligtenstellung sind Rechte und Pflichten verbunden. So haben z. B. die beteiligten Steuerberechtigten gem. § 187 AO das Recht auf Akteneinsicht. Ferner ist nach § 188 Abs. 1 AO der Zerlegungsbescheid den betroffenen Beteiligten bekannt zu geben; diese sind auch rechtsbehelfsbefugt (§ 350 AO).
Tz. 217 Akteneinsicht
Die am Zerlegungsverfahren beteiligten Steuerberechtigten können von der zuständigen Finanzbehörde Auskunft über die Zerlegungsgrundlagen verlangen und durch ihre Amtsträger Einsicht in die Zerlegungsunterlagen nehmen. Dieses Recht steht ausschließlich den beteiligten Steuerberechtigten und nicht dem Steuerpflichtigen zu.
Das Einsichtsrecht in die Zerlegungsunterlagen der Finanzbehörden ist nicht vorbehaltlos und allgemein, vielmehr besteht es immer nur im Rahmen eines konkreten Zerlegungsverfahrens, das mit einem Zerlegungsbescheid endet. Ist ein derartiger Bescheid – bezogen auf den jeweiligen Erhebungszeitraum – nicht ergangen oder ist ein solcher ergangen, aber bereits bestandskräftig, besteht für einen gem. § 186 Nr. 2 AO beteiligten Steuerberechtigten zwar noch die Möglichkeit, gem. § 189 AO eine Nachholung oder die Änderung des Bescheids zu beantragen. Das setzt jedoch voraus, dass sein Anspruch auf einen positiven Anteil am Steuermessbetrag nicht berücksichtigt worden ist. Lautet die Festsetzung des Messbetrags ohnehin auf 0 €, ist eine solche Nichtberücksichtigung aber von vornherein ausgeschlossen. Die Zuweisung eines Zerlegungsanteils würde dann die Änderung des betreffenden Steuermessbescheids erfordern. Die steuerberechtigte Gemeinde ist indes nicht berechtigt, eine derartige Änderung zu erwirken, auch dann nicht, wenn dieser Bescheid rechtswidrig sein sollte. Die Festsetzung des Messbetrags obliegt allein den Finanzbehörden; sie ist der steuerberechtigten Gemeinde lediglich als bindende Grundlage (vgl. § 171 Abs. 10 AO) mitzuteilen, damit diese ihrer Verpflichtung nachkommen kann, den jeweiligen Folgebescheid zu erlassen. Ein Akteneinsichtsrecht besteht daher in diesen Fällen nicht.
Tz. 218 Zerlegungsbescheid
a) Form und Bekanntgabe des Zerlegungsbescheids
Nach § 188 Abs. 1 AO ergeht über die Zerlegung ein schriftlicher Bescheid (Zerlegungsbescheid), der den Beteiligten (§ 186 AO) – soweit sie betroffen sind – bekannt zu geben ist. Auf den Zerlegungsbescheid sind die Vorschriften über Steuerbescheide (§§ 155 ff. AO) anzuwenden. Die Bekanntgabe richtet sich nach § 122 AO.
Von dem Zerlegungsbescheid sind sämtliche Beteiligte unmittelbar betroffen, da sowohl das Verhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und den Steuerberechtigten als auch das Verhältnis der Steuerberechtigten zueinander geregelt wird. Der Zerlegungsbescheid ist folglich allen Beteiligten bekannt zu geben. Dem Steuerpflichtigen ist der vollständige Zerlegungsbescheid bekannt zu geben, während die Gemeinden nur einen kurz gefassten Bescheid mit den sie betreffenden Daten erhalten. Da der Steuerpflichtige hinsichtlich sämtlicher Anteile und der einzelne Steuerberechtigte nur hinsichtlich seines Anteils betroffen ist, soll nach § 188 Abs. 1 AO dem Steuerberechtigten nur der ihn betreffende Anteil mitgeteilt werden (vgl. AEAO zu § 188).
Ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ist als Nebenbestimmung eines Zerlegungsbescheids allen am Zerlegungsverfahren Beteiligten bekanntzugeben. Allerdings steht der Änderungsbefugnis nach § 164 Abs. 2 AO eine gegenüber den Steuerberechtigten unterbliebene Vorbehaltskennzeichnung nicht entgegen, wenn sie gem. § 129 AO nachgeholt werden kann (vgl. , BStBl 1996 II S. 509).
Weitere Bekanntgabebestimmungen, insbesondere eine vereinfachte Bekanntgabe im Sinne des § 183 Abs. 1 AO, sind nicht vorgesehen.
b) Inhalt des Zerlegungsbescheids
In materieller Hinsicht muss der Zerlegungsbescheid die Höhe des zu zerlegenden Steuermessbetrags sowie die Höhe des auf die beteiligten Steuerberechtigten entfallenden Zerlegungsanteiles enthalten. Die Höhe des zu zerlegenden Steuermessbetrags richtet sich nach dem Steuermessbescheid (§ 184 AO), der Grundlagenbescheid für den Zerlegungsbescheid ist (s. die Erläuterungen zu § 185 AO; Tz. 215). Der Zerlegungsbescheid muss ferner die Zerlegungsgrundlagen (Besteuerungsgrundlagen und Zerlegungsmaßstäbe) als Begründung des Verwaltungsakts angeben. Die Begründung kann auch nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO nachgeholt werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss der Zerlegungsbescheid einen verfügenden Teil (Entscheidungssatz) enthalten, dazu gehören auch Nebenbestimmungen zum Steuerbescheid wie der Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) oder der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO).
Dem Zerlegungsbescheid ist außerdem eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen (§§ 185, 184 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 157 Abs. 1 Satz 3 AO). Ist eine Belehrung unterblieben oder wurde sie unrichtig erteilt, gilt hinsichtlich der Rechtsbehelfsfrist § 356 Abs. 2 AO.
c) Korrektur von Zerlegungsbescheiden
Auf die Zerlegung sind gem. § 185 i. V. mit § 184 Abs. 1 Satz 3 AO grds. die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerfestsetzungen (§ 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2, § 172 ff. AO) sinngemäß anzuwenden. § 189 AO ist eine Spezialvorschrift, die ausschließlich den Fall regelt, dass eine berechtigte Gemeinde überhaupt nicht bei der Zerlegung berücksichtigt wurde. Andere Korrekturvorschriften der AO werden dadurch nicht verdrängt.
Die Besonderheiten des Zerlegungsverfahrens erfordern, bei der sinngemäßen Anwendung des § 173 Abs. 1 AO auf den einzelnen Zerlegungsanteil abzustellen und von der Unterscheidung zwischen der Änderung zuungunsten (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) bzw. zugunsten (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) des Steuerpflichtigen abzusehen. Die nachträglich bekannt werdende Tatsache wirkt sich auf die an dem Zerlegungsverfahren Beteiligten, nämlich den Steuerpflichtigen einerseits und die Gemeinden andererseits, unterschiedlich, häufig gegenläufig, aus. Da die einzelne Gemeinde von den Regelungen in einem Zerlegungsbescheid unmittelbar betroffen wird, kann bei einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO nicht allein auf den Steuerpflichtigen abgestellt werden. Die vom Gesetzgeber grds. gewollte sinngemäße Anwendung der Änderungsvorschrift auf Zerlegungsfälle gebietet vielmehr, im Wege der teleologischen Reduktion bestandskräftige Zerlegungsbescheide bereits dann zu ändern, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, die zu einer Änderung der Zerlegungsanteile führen, sofern die Bagatellgrenze (§ 34 Abs. 3 GewStG) überschritten wird. Auch etwaige Ermittlungsfehler des Finanzamts und eine Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen sind unbeachtlich.
Tz. 219 Änderung der Zerlegung
Ist der Anspruch eines Steuerberechtigten auf einen Anteil am Steuermessbetrag nicht berücksichtigt und auch nicht zurückgewiesen worden, wird die Zerlegung von Amts wegen oder auf Antrag geändert oder nachgeholt. Ist der bisherige Zerlegungsbescheid gegenüber denjenigen Steuerberechtigten, die an dem Zerlegungsverfahren bereits beteiligt waren, unanfechtbar geworden, dürfen bei der Änderung der Zerlegung nur solche Änderungen vorgenommen werden, die sich aus der nachträglichen Berücksichtigung der bisher übergangenen Steuerberechtigten ergeben. Zum Umfang der Änderungssperre des § 189 Satz 2 AO s. , EFG 1992 S. 550.
§ 189 AO regelt nach seinem Wortlaut ausschließlich den Fall, dass eine gewerbesteuerberechtigte Gemeinde bei der Gewerbesteuerzerlegung überhaupt nicht berücksichtigt wurde, nicht aber den Fall, dass eine Gemeinde zwar berücksichtigt wurde, aber mit einem zu hohen oder zu niedrigen Anteil. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Zweck der auf § 189 Satz 1 und 2 AO bezogenen Zerlegungssperre des § 189 Satz 3 AO, der darin besteht, innerhalb eines Jahrs nach Bestandskraft des Steuermessbescheids Klarheit darüber zu erlangen, ob noch weitere Steuerberechtigte einen Zerlegungsanteil beanspruchen.
Gem. § 189 Satz 3 AO beginnt die Jahresfrist mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des der Zerlegung zugrunde zu legenden Steuermessbescheids. Die Vorschrift differenziert nicht zwischen Erst- und Änderungsbescheiden und auch nicht nach dem Rechtsgrund oder dem Umfang der Änderung. Daher beginnt die Jahresfrist jeweils erneut zu laufen, sobald ein Steuermessbescheid geändert, ein den Steuermessbetrag betreffender Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben oder die vorläufige Festsetzung eines Steuermessbetrags für endgültig erklärt und der Bescheid unanfechtbar wird.
Auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung schließt die Änderung nach § 189 AO nicht aus. § 189 AO ist eine spezielle Änderungsvorschrift für Zerlegungsbescheide. Diese Änderungsmöglichkeit wird durch die Zerlegungssperre des § 189 Satz 3 AO zeitlich begrenzt. Die zeitliche Begrenzung ist unabhängig von der Festsetzungsverjährung. § 189 Satz 3 AO schließt seinem Wortlaut nach nicht aus, dass die Zerlegungssperre wirksam wird, obwohl für die Änderung oder den Erlass des Zerlegungsbescheids noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Er enthält auch nicht die Einschränkung, dass die Änderung oder Nachholung der Zerlegung trotz noch nicht abgelaufener Jahresfrist oder eines fristgerecht gestellten Antrags des übergangenen Steuerberechtigten zu unterbleiben habe, sobald Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Vgl. , BStBl 2001 II S. 3.
Die Frist des § 189 Satz 3 AO ist im Vergleich zur regulären Festsetzungsfrist kurz bemessen, da die nachträgliche Berücksichtigung eines Zerlegungsanspruchs in besonders schwerwiegender Weise auf den Steueranspruch anderer Steuerberechtigter einwirken kann und diese daher ein erhebliches Interesse an einem baldigen Bestandsschutz haben (vgl. , BStBl 1992 II S. 869). Der Eintritt der Zerlegungssperre lässt sich nur durch den eigenen Antrag des übergangenen Steuerberechtigten auf Änderung oder Nachholung der Zerlegung vermeiden. Ein Antrag des Steuerpflichtigen genügt nicht. Ein solcher kann auch nicht über die Grundsätze der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag als für den Steuerberechtigten gestellt behandelt werden (, BStBl 2001 II S. 769).
Tz. 220 Zuteilungsverfahren
Bei Streit darüber, welchem Steuerberechtigten der Steuermessbetrag in voller Höhe zusteht, entscheidet die Finanzbehörde im Rahmen des Zuteilungsverfahrens auf Antrag eines (beliebigen) Verfahrensbeteiligten durch Zuteilungsbescheid. § 190 AO betrifft folglich nur Fälle, in denen keine Zerlegung des Steuermessbetrags auf mehrere steuerberechtigte Gemeinden nach den Bestimmungen der §§ 185–189 AO stattgefunden hat und der Steuermessbescheid vielmehr nur einem Steuerberechtigten zuzuteilen ist.
Bei dem Verfahren zur Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuer-Messbetrags und dem Zuteilungsverfahren nach § 190 Satz 1 AO handelt es sich um jeweils selbständige Verwaltungsverfahren, die sich strukturell zwar ähneln, aber dennoch voneinander unterscheiden. Besteht zwischen mehreren Gemeinden oder auch zwischen dem Steuerpflichtigen und derjenigen Gemeinde, die auf den Steuermessbetrag Ansprüche erhebt, Streit über die Steuerberechtigung, kann die Finanzbehörde – anders als im Zerlegungsverfahren – nicht von Amts wegen tätig werden. § 190 AO zielt ersichtlich darauf ab, durch das eigene Antragsrecht des Steuerpflichtigen insoweit etwaigen Verfahrensnachteilen vorzubeugen.
Antragsberechtigt sind neben dem Steuerpflichtige die Steuerberechtigten (Gemeinden). Über den Antrag entscheidet die Finanzbehörde durch Zuteilungsbescheid. Die Zuständigkeit ergibt sich durch sinngemäße Anwendung des § 22 AO. Auf den Zuteilungsbescheid sind die für die Zerlegung geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden (§ 190 Satz 2 AO). Über die Verweisungen in § 185 i. V. mit § 184 Abs. 1 Satz 3 AO sind damit auch die Vorschriften über das Besteuerungsverfahren sinngemäß anzuwenden. Analog § 189 Satz 3 AO muss der Antrag auf Erlass eines Zuteilungsbescheids spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuermessbescheids gestellt werden.
Der Zuteilungsbescheid enthält keine Regelung über die Höhe des Steuermessbetrags, sondern regelt nur die Steuerberechtigung aus einem bereits festgesetzten Steuermessbetrag. Allein bezüglich dieser Entscheidung kann der Zuteilungsbescheid mit dem Einspruch (§ 347 AO) und ggf. der Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) angefochten werden. Der Steuerpflichtige ist nur dann einspruchs- bzw. klagebefugt, wenn er durch den Zuteilungsbescheid beschwert ist (§ 350 AO; § 40 Abs. 2 FGO). Daher fehlt dem Steuerpflichtigen die Rechtsbehelfsbefugnis, wenn im maßgeblichen Erhebungszeitraum der Hebesatz der vom Zuteilungsbescheid begünstigten, aber nach Auffassung des Steuerpflichtigen unzuständigen Gemeinde niedriger ist als derjenige, der nach seiner Auffassung zuständigen Gemeinde (vgl. , BStBl 2004 II S. 751).
XI. Haftung
Tz. 221 Haftungsbescheide, Duldungsbescheide
a) Allgemeines zu Haftungs- und Duldungsbescheiden
§ 191 AO regelt den Erlass von Haftungsbescheiden und Duldungsbescheiden gegen diejenigen, die kraft Gesetzes für eine Steuer haften oder die Vollstreckung zu dulden haben. Sie setzen das Bestehen materiell-rechtlicher Haftungs- und Duldungsvorschriften voraus, unabhängig davon, ob diese sich aus öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Vorschriften ergeben. S. hierzu §§ 69–77 AO, aber auch die Haftungsvorschriften in den Einzelsteuergesetzen, sowie den zivilrechtlichen Vorschriften des BGB und des HGB, soweit sie auch auf Steuerschulden anwendbar sind, wie z. B. § 128 HGB.
Der Haftungsbescheid konkretisiert den bereits entstandenen Haftungsanspruch und bildet die Grundlage für die Verwirklichung dieses Anspruchs. Der Haftungsbescheid hat für die Entstehung eines Haftungsanspruchs keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung.
Durch den Haftungsbescheid wird festgestellt, wer und in welcher Höhe jemand für die Steuerschulden eines Dritten haftet. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Haftungsschuldner in Anspruch genommen, d. h. wann er zur Zahlung der Haftungsschuld aufgefordert werden kann, beantwortet § 219 AO. Die Zahlungsaufforderung kann, wenn die Voraussetzungen des § 219 AO vorliegen, mit dem Haftungsbescheid verbunden werden, muss es aber nicht. Haftungs- und Duldungsbescheide sind schriftlich zu erteilen. Gegen Haftungs- und Duldungsbescheide ist der Rechtsbehelf des Einspruchs (§ 347 AO) gegeben.
b) Haftungsbescheid gegen einen Angehörigen der beratenden Berufe
Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten als Vertreter (§ 69 AO) ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Die Abgabe einer Stellungnahme der zuständigen Berufskammer ist an keine Frist gebunden, allerdings soll sie im Allgemeinen zwei Monate betragen (s. Nr. 7 AEAO zu § 191). Danach kann die Stellungnahme in dringenden Fällen auch fernmündlich eingeholt und eine versehentlich unterlassene Anhörung nachgeholt werden. Der Erlass eines Haftungsbescheids ist jedoch nicht vom Eingang einer Stellungnahme abhängig. Wird innerhalb der von der Finanzbehörde zu setzenden Frist keine Stellungnahme abgegeben, kann gleichwohl ein Haftungsbescheid ergehen.
Vor Erlass des Haftungsbescheids ist der zuständigen Berufskammer keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn ein Angehöriger der in dieser Vorschrift genannten Berufe bei einer GmbH als ständiger Geschäftsführer angestellt ist und somit bei Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten dieser Gesellschaft keine für seinen Beruf i. S. der Vorschrift spezifischen Pflichten erfüllt. Das gilt auch für Steuerberater als Geschäftsführer einer Steuerberatungs-GmbH. Soweit der Steuerberater die eigenen steuerlichen Pflichten seiner Gesellschaft zu erfüllen hat, handelt er nicht in Ausübung seines Steuerberaterberufs.
c) Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid
Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach §§ 191 und 192 AO steht im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Für die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner kommt es nur auf das Bestehen der Schuld an, nicht aber auf die vorherige (Steuer-)Festsetzung, deren Vorläufigkeit, einen Vorbehalt der Nachprüfung oder deren Bestandskraft. Die Befugnis zum Erlass eines Haftungs- oder Duldungsbescheids besteht auch, soweit die Haftung und Duldung sich auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) erstreckt.
Gem. § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden die Vorschriften über die Festsetzungsfrist (§§ 169–171 AO) entsprechend anzuwenden. Gemeint damit ist der erstmalige Erlass eines Haftungsbescheids; nicht erfasst wird dessen Änderung oder Aufhebung. Eine Korrektur zugunsten des Haftungsschuldners kann auch noch nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen (vgl. , BStBl 1998 II S. 131). Der Gesetzgeber hat Haftungsbescheide Steuerbescheiden nicht gleichgestellt. Für die Aufhebung und Änderung von Haftungsbescheiden finden nicht die für Steuerbescheide geltenden Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO, sondern die allgemeinen Vorschriften über die Berichtigung, die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (§§ 129–131 AO) Anwendung. Diese gegenüber Steuerbescheiden teilweise erweiterten Korrekturmöglichkeiten, die auch den Widerruf eines rechtmäßigen Haftungsbescheids zulassen, tragen dem Umstand Rechnung, dass der Behörde beim Erlass eines Haftungsbescheids ein Auswahl- und Entschließungsermessen zusteht. Demgegenüber erfassen die Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO Verwaltungsakte, zu deren Erlass die Behörde verpflichtet ist.
Die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt seines Erlasses bzw. der entsprechenden Einspruchsentscheidung. Anders als bei der Änderung der Steuerfestsetzung berühren Minderungen der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuerschuld durch Zahlungen des Steuerschuldners nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nicht. Ein rechtmäßiger Haftungsbescheid ist aber zugunsten des Haftungsschuldners zu widerrufen, soweit die ihm zugrunde liegende Steuerschuld später gemindert worden ist (s. Nr. 3 AEAO zu §191).
Dem nach § 191 Abs. 3 Satz 4 AO auf Haftungsbescheide sinngemäß anzuwendenden § 171 Abs. 10 AO kann nicht entnommen werden, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid gehemmt ist, soweit und solange in offener Festsetzungsfrist der Steuerbescheid hinsichtlich der Steuer, für die gehaftet wird, noch zulässig ergehen kann. Steuer- und Haftungsbescheid stehen nicht in dem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid zueinander (, BStBl 2006 II S. 343).
d) Ausschluss der Inanspruchnahme
Der Haftungsanspruch ist grds. vom zugrunde liegenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis abhängig, d. h. es besteht Akzessorietät. Haften i. S. des § 191 AO bedeutet einstehen müssen für eine fremde Schuld. Daher setzt die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners durch Haftungsbescheid u. a. voraus, dass die Steuerschuld, für die gehaftet wird, im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids materiell-rechtlich noch besteht. Ein Haftungsanspruch kann wegen der Akzessorietät der Haftung nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der zugrunde liegende Steueranspruch erloschen ist. Als Ausfluss der Akzessorietät ist grds. auch die Regelung des § 191 Abs. 5 AO anzusehen. Ein Haftungsbescheid kann danach nicht mehr ergehen,
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen (§§ 163, 227AO) worden ist.
Die Vorschrift erfasst dabei sowohl die Festsetzungs- als auch die Zahlungsverjährung. Ist ein Haftungsanspruch für eine gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer innerhalb der nach § 191 Abs. 3 AO für den Erlass des Haftungsbescheids geltenden Haftungsverjährungsfrist gegenüber dem Haftenden geltend gemacht worden, ergeben sich die Auswirkungen des Erlöschens des Steueranspruchs auf den Haftungsanspruch wegen des Gesamtschuldverhältnisses zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner nur mehr aus § 44 Abs. 2 AO. Der Eintritt der Zahlungsverjährung für den Steueranspruch (Primärschuld) berührt die Rechtmäßigkeit eines vor Ablauf der Zahlungsverjährung erlassenen Haftungsbescheides nicht (BFH, Urteil v. 11. 7 .2001 - VII R 28/99, BStBl 2002 II S. 267).
Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
Der vorstehend geschilderte Grundsatz der Akzessorietät der Haftung nach der AO gilt allerdings nur eingeschränkt. Eine Durchbrechung erfährt der Akzessorietätsgrundsatz z. B. für den Fall, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat (§ 191 Abs. 5 Satz 2 AO). Ein Haftungsbescheid kann in diesen Fällen ungeachtet des Erlasses oder der Verjährung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ergehen.
e) Duldungsbescheide
Der Duldungsanspruch darf – anders als der Haftungsanspruch – erst durch Duldungsbescheid geltend gemacht werden, wenn der zugrundeliegende Steueranspruch festgesetzt ist. Das folgt aus § 218 Abs. 1 AO, nach dem nur Steuerbescheide und Haftungsbescheide, nicht aber auch Duldungsbescheide Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis sein können. Während ein Haftungsbescheid ergehen kann, ohne dass zuvor ein Steuerbescheid gegenüber dem persönlichen Schuldner erlassen worden ist, bedarf es zur Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheides mithin der vorherigen Festsetzung des Steueranspruchs. Die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheids als Maßnahme der Verwirklichung eines Anspruchs aus dem Steuerverhältnis setzt ferner voraus, dass der Steueranspruch fällig und vollstreckbar ist.
Obwohl der Haftungs- wie auch der Duldungsbescheid in § 191 Abs.1 AO geregelt ist, rechtfertigen die Unterschiede zwischen Haftungs- und Duldungsbescheid auch Unterschiede bei der Zulassung von Einwendungen. Der Duldungsbescheid ist im Gegensatz zum Haftungsbescheid nicht Grundlage der Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 218 Abs. 1 AO). Da sich somit der Haftungsschuldner im Gegensatz zum Duldungsverpflichteten einer Inanspruchnahme ausgesetzt sehen kann, ohne dass der Steuerschuldner (Erstschuldner) sich vorher gegen eine Steuerfestsetzung hat wehren können, müssen dem Haftenden im Gegensatz zum Anfechtungsgegner grds. alle Einwendungen erhalten bleiben. Der durch Duldungsbescheid des Finanzamts in Anspruch genommene Gegner einer Anfechtung kann gegen den seiner Inanspruchnahme zugrunde liegenden Steuer- oder Haftungsbescheid keine Einwendungen erheben, die der Steuer- oder Haftungsschuldner bereits verloren hat. Mit Einwendungen gegen einen bestandskräftig gewordenen Steuer- oder Haftungsbescheid ist der duldungsverpflichtete Anfechtungsgegner mithin ausgeschlossen (vgl. , BStBl 1988 II S. 408).
Duldungsansprüche unterliegen nicht der Festsetzungsverjährung. Die Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen wird durch § 191 Abs. 3 AO zeitlich weder begrenzt noch ausgedehnt (Nr. 5 AEAO zu § 191).
Tz. 222 Vertragliche Haftung
Nach § 192 AO kann, wer sich aufgrund eines Vertrags verpflichtet hat, für die Steuer eines anderen einzustehen (vgl. zu § 48 AO), nur nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts in Anspruch genommen werden. Die Vorschrift stellt damit klar, dass eine vertragliche Haftung nicht zu einer Inanspruchnahme mittels Haftungsbescheid führt, sondern dass der aufgrund des Vertrags Verpflichtete im Zivilrechtswege in Anspruch zu nehmen ist. Eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme des vertraglich Haftenden besteht nicht; das Finanzamt entscheidet nach Ermessen (§ 5 AO).
XII. Außenprüfung
Tz. 223 Notwendigkeit von Außenprüfungen
Um die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleisten zu können, genügt eine Überprüfung der vom Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung gemachten Angaben an Amtsstelle allein nicht. Insbesondere bei Gewinneinkünften (§§ 13–18 EStG) und unternehmerischer Tätigkeit i. S. des UStG sind grds. umfassende Ermittlungen vor Ort und eine eingehende Überprüfung der Buchführung und der sonstigen steuerlichen Aufzeichnungen unerlässlich, um dem verfassungsrechtlichen Verifikationsgebot Rechnung tragen zu können. Diese Aufgaben übernimmt in erster Linie die steuerliche Außenprüfung.
Außenprüfung i. S. der §§ 193 ff. AO ist nicht allein die Betriebsprüfung (einschließlich der veranlagenden Betriebsprüfung), sondern auch die Umsatzsteuer-Sonderprüfung und die Lohnsteuer-Außenprüfung sowie weitere steuerartenspezifische Prüfungen (insbesondere §§ 44 und 50b EStG, § 73d EStDV, § 10 VersStG). Steuerliche Ermittlungen ermöglichen auch die Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, die Steueraufsicht (§§ 209–217 AO) sowie die Steuerfandung (§ 208 AO). Zum Übergang von einer Umsatzsteuer-Nachschau zu einer Außenprüfung s. , BStBl 2002 I S. 1447.
Auch wenn letztlich nicht alle Betriebe und Unternehmen flächendeckend und zeitlich lückenlos geprüft werden können, ist die Außenprüfung für die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung unerlässlich. Auch wenn bzw. solange im Einzelfall keine Prüfung durchgeführt wird, hat allein schon die jederzeitige Möglichkeit der Anordnung einer Außenprüfung erzieherische (letztlich sogar abschreckende) Wirkung, da ein unkalkulierbares Entdeckungsrisiko für steuerliche Unregelmäßigkeiten besteht.
Eine Außenprüfung muss im Einzelfall steuerlich erforderlich sein und darf den Steuerpflichtigen aufgrund des deutlichen Eingriffs in seine Handlungsfreiheit und Privatsphäre nicht unzumutbar belasten. Da die Außenprüfung allein zur Ermittlung und Bewertung der Besteuerungsgrundlagen zum Zwecke der Besteuerung zulässig ist, darf sie nicht angeordnet werden, wenn wegen Verjährungseintritt definitiv keine Steuer mehr festgesetzt werden darf.
Tz. 224 Zulässigkeit einer Außenprüfung
a) Außenprüfung bei Gewerbebetrieben, Land- und Forstwirtschaft oder Freiberuflern
Eine Außenprüfung ist nach § 193 Abs. 1 AO dem Grunde nach zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Dies ist auch der Regelfall der steuerlichen Außenprüfung. Eine Außenprüfung ist auch zulässig zur Klärung der Frage, ob der Steuerpflichtige tatsächlich einen Gewerbebetrieb unterhält, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Steuerpflicht bestehen (, BStBl 1994 II S. 936). Außenprüfungen dürfen auch bei Personen durchgeführt werden, denen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 AO zusteht.
Nach § 193 Abs. 1 AO kann eine Außenprüfung auch angeordnet werden, wenn der Steuerpflichtige nur geringe Gewinne erzielt hat und hierüber keine Unterlagen oder Aufzeichnungen besitzt. In die Prüfung können alle Steuerarten einbezogen werden, für die die betrieblichen Verhältnisse Bedeutung haben können (, BStBl 1982 II S. 208). Bei Personen, die Gewinneinkünfte nach § 18 EStG erzielen, ohne Freiberufler zu sein (z. B. Testamentsvollstrecker), ist eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO nicht zulässig; sie kann aber nach § 193 Abs. 2 AO zulässig sein. Eine Prüfungsanordnung ist auch gegenüber einer nach ausländischem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft mit statutarischem Sitz im Ausland zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für deren inländische Steuerpflicht bestehen.
Maßgebend dafür, ob ein Gewerbebetrieb oder ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb unterhalten oder eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt wird und wem deshalb die Einkünfte zuzurechnen sind, sind die Verhältnisse im jeweiligen Prüfungszeitraum. Die Verhältnisse im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung sind hingegen unbeachtlich. Eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO darf daher auch nach Einstellung oder Veräußerung des Unternehmens durchgeführt werden. Sie darf auch beim Erben eines Gewerbetreibenden durchgeführt werden, um die steuerlichen Verhältnisse des Erblassers zu überprüfen.
Auf keinen Fall zulässig ist es, eine Außenprüfung allein zu dem Zweck durchzuführen, die steuerlichen Verhältnisse dritter Personen auszuforschen (, BStBl 1997 II S. 499). Das gilt auch für Maßnahmen zur Erledigung zwischenstaatlicher Rechts- und Amtshilfeersuchen (vgl. § 117 AO). Zur Erledigung eines solchen Amtshilfeersuchens kann eine Außenprüfung unter den Voraussetzungen des § 193 AO nur bei einem am ausländischen Besteuerungsverfahren Beteiligten durchgeführt werden (z. B. der Wohnsitzstaat ersucht um Prüfung der deutschen Betriebsstätte eines ausländischen Steuerpflichtigen). Ermittlungen zur Erledigung eines Amtshilfeersuchens sind allerdings im Rahmen einer Außenprüfung möglich, die aus anderen Gründen durchgeführt wird (Nr. 3 Satz 2 AEAO zu § 194).
Die bei einem Unternehmer aufgrund von § 193 Abs. 1 AO angeordnete Betriebsprüfung kann sich auch auf nichtbetriebliche Sachverhalte erstrecken. Zur Begründung der Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO genügt allein der Hinweis auf diese Rechtsgrundlage.
b) Außenprüfung bei anderen Steuerpflichtigen
Bei anderen als den in § 193 Abs. 1 AO genannten Steuerpflichtigen ist eine Außenprüfung dem Grunde nach nur zulässig,
soweit sie die Verpflichtung des Steuerpflichtigen betrifft, Steuern für Rechnung eines anderen zu entrichten (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative AO),
soweit sie die Verpflichtung des Steuerpflichtigen betrifft, Steuern einzubehalten und abzuführen (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative AO), oder
wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhaltes nicht zweckmäßig ist (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO).
§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AO greift insbesondere bei Arbeitgebern, die keine Gewinneinkünfte erzielen (z. B. bei Privathaushalte mit angestellten Mitarbeitern), sowie bei Versicherungen hinsichtlich der Versicherungsteuer.
Eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO ist bereits dann zulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die es nach den Erfahrungen der Finanzverwaltung als möglich erscheinen lassen, dass ein Besteuerungstatbestand erfüllt ist (, BStBl 1993 II S. 146). § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO kann insbesondere bei Steuerpflichtigen mit umfangreichen und vielgestaltigen Überschusseinkünften zur Anwendung kommen. Das für eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO erforderliche Aufklärungsbedürfnis liegt auch dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum aufgrund außerordentlich hoher Einkünfte („Einkunftsmillionär”) erhebliche Beträge zu Anlagezwecken zur Verfügung standen und der Steuerpflichtige nur Kapitaleinkünfte in geringer Höhe erklärt sowie keine substantiierten und nachprüfbaren Angaben zur Verwendung der verfügbaren Geldmittel gemacht hat ( NWB YAAAC-52592). Eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO kann auch angeordnet werden, wenn eine Vielzahl von Belegen zu überprüfen und insoweit mit zahlreichen Rückfragen zu rechnen ist. Nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO kann auch eine Außenprüfung bei dem Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft durchgeführt werden.
Eine auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO gestützte Prüfungsanordnung muss besonders begründet werden. Die Begründung muss ergeben, dass die gewünschte Aufklärung durch Einzelermittlung an Amtsstelle nicht erreicht werden kann (, BStBl 1986 II S. 435). Der Hinweis, dass bei zusammenveranlagten Eheleuten mit einer Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse des einen Ehegatten zweckmäßigerweise auch die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten verbunden werde, genügt diesen Anforderungen nicht. Ein Begründungsmangel kann dadurch geheilt werden, dass der Prüfer dem Steuerpflichtigen die Gründe für die Anordnung der Prüfung mündlich mitteilt.
c) Konkrete Zulässigkeit
Von der so bestimmten abstrakten Zulässigkeit der Außenprüfung ist die konkrete Zulässigkeit im Einzelfall zu unterscheiden. Hierbei kommt insbesondere dem behördlichen Entscheidungs- und Auswahlermessen elementare Bedeutung zu. Dabei ist auch zwischen Routine- und Anlassprüfungen zu unterscheiden. Letztlich muss nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgrundsatz eine Wettbewerbsbeeinträchtigung durch übermäßige Ermittlungen im Einzelfall vermieden werden.
Eine Außenprüfung ist unabhängig davon zulässig, ob bereits eine Steuer festgesetzt wurde und ob der Steuerbescheid endgültig, vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist (, BStBl 1985 II S. 700). Eine Außenprüfung kann zur Ermittlung der Steuerschuld sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach durchgeführt werden. Der gesamte für die Entstehung und Ausgestaltung eines Steueranspruchs erhebliche Sachverhalt kann Prüfungsgegenstand sein (, BStBl 1992 II S. 595). Wesentliches Ziel der Außenprüfung müssen die steuerlichen Verhältnisse des geprüften Steuerpflichtigen selbst sein. Werden dabei steuerliche Verhältnisse Dritter bekannt, dürfen sie der für dessen Besteuerung zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden (§ 194 Abs. 3 i. V .mit § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Unzulässig ist aber eine Prüfungstätigkeit, die losgelöst von der konkret angeordneten Außenprüfung unmittelbar und ausschließlich auf die Feststellung der steuerlichen Verhältnisse Dritter und die Fertigung von Kontrollmitteilungen gerichtet ist (vgl. , BStBl 2001 II S. 665).
Eine Außenprüfung ist zulässig, solange nicht zweifelsfrei feststeht, dass der Steueranspruch verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann. Sie kann daher auch allein zu dem Zweck angeordnet werden, im konkreten Fall festzustellen, ob und inwieweit Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind. Denn in diesen Fällen gelten längere Festsetzungsfristen (vgl. § 169 AO).
d) Verhältnis Außenprüfung / Steuerfahndung
Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht (vgl. , BStBl 2002 II S. 4). Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens steht weiteren Ermittlungen durch die Außenprüfung unter Erweiterung des Prüfungszeitraums nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige erklärt, von seinem Recht auf Verweigerung der Mitwirkung Gebrauch zu machen (, BStBl 1999 II S. 7). Die Verletzung der Belehrungspflicht nach § 393 Abs. 1 AO führt auch nicht zu einem steuerlichen Verwertungsverbot (, BStBl 2002 II S. 328).
e) Kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Durchführung einer Außenprüfung
Dem Steuerpflichtigen steht grds. kein unmittelbarer Rechtsanspruch auf Durchführung einer Außenprüfung zu. Er kann von der Behörde lediglich verlangen, dass sie das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausübt. Ein bei der Ermessensausübung angemessen zu berücksichtigendes berechtigtes Interesse kann der Steuerpflichtige haben, wenn er eine gesellschaftsrechtliche (Um-)Gestaltung plant und es ihm darum geht, bereits im Vorfeld eine verbindliche Zusage (§ 204 AO) zu erhalten, oder wenn die endgültige Feststellung von Steuerforderungen Bedeutung für zivilrechtliche Auseinandersetzungen und Abwicklungen zwischen den beteiligten Steuerpflichtigen hat.
Tz. 225 Sachlicher Umfang einer Außenprüfung
Die Außenprüfung kann eine oder mehrere Steuerarten, einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen oder sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO). Im Rahmen einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO können – auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO – auch Besteuerungsmerkmale überprüft werden, die mit den betrieblichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen in keinem Zusammenhang stehen (, BStBl 1986 II S. 437).
a) Prüfungssubjekte
Die Außenprüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des geprüften Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 AO). Steuerliche Verhältnisse Dritter können im Rahmen einer Außenprüfung insoweit geprüft werden, als der geprüfte Steuerpflichtige verpflichtet war oder ist, für Rechnung dieser Personen Steuern zu entrichten oder Steuern einzubehalten und abzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob etwaige Steuernachforderungen gegenüber dem geprüften Steuerpflichtigen oder gegenüber den Dritten geltend zu machen sind (§ 194 Abs. 1 Satz 3 AO). Eine Außenprüfung darf dagegen nicht allein zu dem Zwecke durchgeführt werden, die steuerlichen Verhältnisse dritter Personen zu erforschen (, BStBl 1997 II S. 499).
Die steuerlichen Verhältnisse von Gesellschaftern und Mitgliedern sowie von Mitgliedern der Überwachungsorgane können in die bei einer Gesellschaft durchzuführende Außenprüfung einbezogen werden, wenn dies im Einzelfall zweckmäßig ist (§ 194 Abs. 2 AO). Die Außenprüfung bei einer Personengesellschaft umfasst daher die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter nur insoweit, als diese Verhältnisse für die zu überprüfenden einheitlichen Feststellungen von Bedeutung sind. Die Einbeziehung der steuerlichen Verhältnisse der in § 194 Abs. 2 AO bezeichneten Personen in die Außenprüfung bei einer Gesellschaft setzt allerdings die Zulässigkeit einer Außenprüfung (§ 193 AO) sowie eine eigene Prüfungsanordnung (§ 196 AO) voraus (, BStBl 1987 II S. 248).
b) Behandlung von steuerlichen Verhältnissen Dritter / Kontrollmitteilungen
Werden anlässlich einer Außenprüfung steuerrelevante Verhältnisse unbeteiligter Dritter (andere Personen als der geprüfte Steuerpflichtiger oder solche Personen, für deren Rechnung der geprüfte Steuerpflichtige Steuern zu entrichten oder Steuern einzubehalten und abzuführen hatte oder hat) festgestellt, ist die Auswertung der Feststellungen insoweit zulässig, als ihre Kenntnis für die Besteuerung dieser anderen Personen von Bedeutung ist oder die Feststellungen eine unerlaubte Hilfeleistung in Steuersachen betreffen (§ 194 Abs. 3 AO). Das Merkmal „anlässlich” in § 194 Abs. 3 AO verlangt neben einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Außenprüfung und der Feststellung steuerrelevanter Verhältnisse Dritter auch einen sachlichen Zusammenhang in der Art, dass bei einer konkreten und im Aufgabenbereich des Prüfers liegenden Tätigkeit ein Anlass auftaucht, der den Prüfer veranlasst, solche Feststellungen zu treffen. Als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips darf der Prüfer die Geschäftsunterlagen der Steuerpflichtigen nicht gezielt einerseits unter Anlegung eines vorgegebenen Rasters und andererseits nicht „ins Blaue hinein” nach steuererheblichen Verhältnissen Dritter durchforsten. § 194 Abs. 3 AO stellt eine zugunsten des geprüften Steuerpflichtigen bestehende Schutzvorschrift dar. Die Regelung soll verhindern, dass ein Steuerpflichtiger im Verlauf einer wegen seiner Besteuerung durchgeführten Prüfung auch noch unbeschränkt als Auskunftsperson über die Geschäfte weiterer Steuerpflichtiger herangezogen wird.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 194 Abs. 3 AO dürfen grds. entsprechende Kontrollmitteilungen gemacht werden. Die Entscheidung über die Anfertigung von Kontrollmitteilungen steht im Ermessen der Finanzbehörde. Kontrollmitteilungen sind auch dann zulässig, wenn unklar ist, ob ein steuerpflichtiger Vorganges vorliegt. Der Verdacht einer Steuerstraftat wird nicht vorausgesetzt. Kontrollmitteilungen dürfen auch nach dem Zufallsprinzip versendet werden, etwa um Stichproben zu machen.
Die mit Kontrollmitteilungen verbundene Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig. Umstritten ist allerdings, ob Kontrollmitteilungen auch dann zulässig sind, wenn der geprüfte Steuerpflichtige ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 AO hat.
§ 30a Abs. 3 AO steht der Fertigung und Auswertung von Kontrollmitteilungen anlässlich einer Außenprüfung bei Kreditinstituten nicht entgegen, da es sich um kein Auskunftsverweigerungsrecht handelt. Kontrollmitteilungen sind danach jedenfalls zulässig, wenn hierfür ein hinreichend begründeter Anlass besteht. S. hierzu Nr. 6 AEAO zu § 194.
c) Prüfungszeitraum
Bei Großbetrieben und Konzernen oder anderen zusammenhängenden Unternehmen soll der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen (Anschlussprüfung nach § 4 Abs. 2 BpO).
Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum nach § 4 Abs. 3 BpO i. d. R. nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Im Regelfall sind dabei die drei letzten Besteuerungszeiträume zu prüfen, für die vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben wurden. Bei einer Betriebsaufgabe endet der Prüfungszeitraum mit dem Jahr der Betriebseinstellung (, BStBl 1990 II S. 2).
Der Prüfungszeitraum kann in den Fällen des § 4 Abs. 3 BpO insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Der Prüfungszeitraum darf zur Überprüfung vortragsfähiger Verluste auch dann auf die Verlustentstehungsjahre ausgedehnt werden, wenn der aus diesen Zeiträumen verbleibende Verlustabzug gem. § 10d Abs. 4 EStG festgestellt worden ist (, BStBl 1995 II S. 496). Bei Verlängerung des Prüfungszeitraums muss die Begründung der Prüfungsanordnung die vom Finanzamt angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen (, BStBl 1988 II S. 413). Die Ausdehnung des Prüfungszeitraums kann dazu führen, dass sich für den geprüften Steuerpflichtigen eine Anschlussprüfung ergibt, obwohl er nicht zu den in § 4 Abs. 2 BpO genannten Personen gehört. Das Finanzamt muss die Prüfung im Erweiterungszeitraum auch nicht auf den Sachverhalt beschränken, der Grund für die Erweiterung des Prüfungszeitraums war.
Hält die Finanzbehörde eine umfassende Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse im Einzelfall nicht für erforderlich, kann sie nach § 4 Abs. 5 BpO eine abgekürzte Außenprüfung (vgl. § 203 AO) durchführen. Diese beschränkt sich auf die Prüfung einzelner Besteuerungsgrundlagen eines Besteuerungszeitraums oder mehrerer Besteuerungszeiträume.
Bei einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO ist § 4 Abs. 3 BpO allerdings nicht anwendbar. Für jeden Besteuerungszeitraum, für den eine Außenprüfung durchgeführt werden soll, müssen die besonderen Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegen (, BStBl 1995 II S. 291).
d) Verwertung der Prüfungsfeststellungen für andere Zeiträume
Dem Finanzamt ist es im Übrigen nicht verwehrt, aus der im Rahmen einer rechtmäßigen Außenprüfung erlangten Kenntnis bestimmter betrieblicher Verhältnisse eines Steuerpflichtigen in den Jahren des Prüfungszeitraums Schlussfolgerungen auf die tatsächlichen Gegebenheiten in anderen Jahren vor oder nach dem Prüfungszeitraum zu ziehen und demgemäß einen Steuerbescheid entsprechend zu ändern, sofern dies verfahrensrechtlich möglich ist (z. B. nach §§ 164 oder 173 AO).
e) Abgrenzung Außenprüfung/Einzelermittlung
Von der Außenprüfung zu unterscheiden sind Einzelermittlungen eines Außenprüfers nach § 88 AO, auch wenn sie am Ort des Betriebs durchgeführt werden. In diesen Fällen hat der Prüfer deutlich zu machen, dass Auskünfte oder sonstige Maßnahmen nicht im Zusammenhang mit der Außenprüfung stehen (, BStBl 1998 II S. 461).
Tz. 226 Zuständigkeit
Außenprüfungen werden von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt (§ 195 Satz 1 AO). Dies betrifft die sachliche, instanzielle und örtliche Zuständigkeit (vgl. §§ 16 ff. AO). Zu beachten ist dabei, dass in den Ländern durch Zuständigkeitsverordnungen zentrale Zuständigkeiten für die Außenprüfung eingerichtet sein können. Maßgebend für die Bestimmung der Zuständigkeit sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung, nicht die Verhältnisse im Prüfungszeitraum. Sofern eine Finanzbehörde nach § 195 AO für die Durchführung einer Außenprüfung zuständig ist, ist sie auch zu Prüfungsmaßnahmen außerhalb des Finanzamtsbezirks (auch in einem anderen Bundesland) befugt.
Die für die Außenprüfung originär zuständige Finanzbehörde kann eine andere Finanzbehörde mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). Diese Beauftragung ist nicht bloß Amtshilfe, sondern eine punktuelle Kompetenzübertragung. Die originär zuständige Finanzbehörde kann auch eine sachlich unzuständige Finanzbehörde beauftragen. Die beauftragte Finanzbehörde kann im Namen der zuständigen Finanzbehörde auch die Steuerfestsetzung vornehmen und verbindliche Zusagen (§§ 204–207 AO) erteilen (§ 195 Satz 3 AO).
Bei Beauftragung nach § 195 Satz 2 AO kann die beauftragende Finanzbehörde die Prüfungsanordnung selbst erlassen oder eine andere Finanzbehörde zum Erlass der Prüfungsanordnung ermächtigen. Mit der Ermächtigung bestimmt die beauftragende Finanzbehörde den sachlichen Umfang der Außenprüfung, insbesondere sind die zu prüfenden Steuerarten und der Prüfungszeitraum anzugeben. Aus der Prüfungsanordnung müssen sich die Gründe für die Beauftragung ergeben (, BStBl 1993 II S. 649).
Die Beauftragung ist ein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt, wenn sie dem Steuerpflichtigen von der beauftragenden Finanzbehörde bekannt gegeben wird. Erfolgt die Beauftragung nur verwaltungsintern, ist sie nur zusammen mit der von der beauftragten Finanzbehörde erlassenen Prüfungsanordnung anfechtbar.
Die Beauftragung steht im Ermessen der originär zuständigen Finanzbehörde. Anlass kann eine gebotene Mitprüfung der Verhältnisse der Gesellschafter einer Personengesellschaft sein (§ 194 Abs. 2 AO). Im Einzelfall kann auch die Steuerfahndung beauftragt werden, wenn sie bereits Vorfeldermittlungen angestellt hat (vgl. auch , BStBl 1992 II S. 595).
Tz. 227 Prüfungsanordnung
Die Prüfungsanordnung ist ein notwendiger, die Außenprüfung einleitender schriftlicher Verwaltungsakt, in dem der Umfang der Außenprüfung festgelegt wird. Dem Steuerpflichtigen wird mit der Prüfungsanordnung auferlegt, die Prüfung bei ihm zu dulden. Die Formalisierung des Prüfungsverfahrens dient dem Rechtsschutz der Steuerpflichtigen und hat verfahrenslenkende Wirkung. Zudem knüpfen die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO und die Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO an den Inhalt der Prüfungsanordnung.
In der Prüfungsanordnung ist zu bestimmten, wessen steuerliche Verhältnisse (Prüfungssubjekt), welche Steuern (Steuerarten) und welche Besteuerungszeiträume oder -zeitpunkte geprüft werden sollen. Bei einer nicht abschließenden Prüfung sind die zu prüfenden Sachverhalte genau zu bezeichnen. Sollen die steuerlichen Verhältnisse einer Personengesellschaft und ihrer Gesellschafter geprüft werden, ist die Personengesellschaft Prüfungssubjekt sowohl hinsichtlich der von ihr geschuldeten Steuern (z. B. Umsatz- und Gewerbesteuer) als auch hinsichtlich der nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festzustellenden Besteuerungsgrundlagen. Etwas anderes gilt nur für GbR, die nicht nach außen auftreten (Beispiel: GbR erzielt nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung). Wird die Prüfungsanordnung bei zusammenveranlagten Ehegatten nur an den unternehmerisch tätigen Ehegatten gerichtet, entfaltet sie gegenüber dem anderen Ehegatten keine (auch keine verjährungshemmende) Wirkung.
Die Prüfungsanordnung, die Festlegung des Prüfungsbeginns und des Prüfungsorts sind selbständig anfechtbare Verwaltungsakte i. S. des § 118 AO (, BStBl 1989 II S. 483). Darüber hinaus können mit der Prüfungsanordnung weitere nicht selbständig anfechtbare prüfungsleitende Bestimmungen (§ 5 Abs. 3 BpO) verbunden werden. Ein Einspruch gegen die Prüfungsanordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Vorläufiger Rechtsschutz kann nur durch Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO oder § 69 FGO gewährt werden.
Wurde eine Prüfungsanordnung aus formellen Gründen durch die Finanzbehörde oder das Finanzgericht aufgehoben oder für nichtig erklärt, kann innerhalb der Festsetzungsfrist und unter Vermeidung des Verfahrensfehlers eine erneute Prüfungsanordnung für eine „Wiederholungsprüfung” erlassen werden. Zur Durchführung der Wiederholungsprüfung soll regelmäßig ein anderer Prüfer mit der Prüfung beauftragt werden, der bei Durchführung der Prüfung in eigener Verantwortung ein selbständiges Urteil über die Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den Steuerpflichtigen gewinnt. Auch für einen bereits geprüften Zeitraum (Zweitprüfung) kann grds. eine Prüfungsanordnung erlassen werden.
Grds. dürfen auch rechtswidrig erlangte Außenprüfungsergebnisse bei der Besteuerung verwertet werden, solange die Anordnung der Betriebsprüfung nicht angefochten und für rechtswidrig erklärt worden ist. Sie dürfen nur dann nicht verwertet werden, wenn der Steuerpflichtige erfolgreich gegen die Prüfungsanordnung der betreffenden Prüfungsmaßnahme vorgegangen ist. Haben die Prüfungsfeststellungen aber bereits Eingang in Steuerbescheide gefunden, muss der Steuerpflichtige auch diese Bescheide anfechten, um ein steuerliches Verwertungsverbot zu erlangen.
Feststellungen, deren Anordnung rechtskräftig für rechtswidrig erklärt wurde, unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die bei der Prüfung ermittelten Tatsachen bei einer erstmaligen oder einer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung verwertet wurden und lediglich formelle Rechtsfehler vorliegen.
Vgl. auch AEAO zu § 196.
Tz. 228 Bekanntgabe der Prüfungsanordnung
Dem Steuerpflichtigen, bei dem die Außenprüfung durchgeführt werden soll (Prüfungssubjekt), sollen die Prüfungsanordnung sowie der voraussichtliche Prüfungsbeginn und die Namen der Prüfer bekannt gegeben werden. Für die Bekanntgabe gelten grds. die allgemeinen Vorschriften über die Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten (§ 122 AO). Bei Erlass einer Prüfungsanordnung ist daher festzulegen, an wen sie sich richtet (Inhaltsadressat = Prüfungssubjekt), wem sie bekannt gegeben werden soll (Bekanntgabeadressat) und ggf. welcher anderen Person sie zu übermitteln ist (Empfänger). Die Prüfungsanordnung und die Bestimmung des Prüfungsbeginns sind jeweils eigenständig anfechtbare Verwaltungsakte, sie können gleichwohl in einer Urkunde zusammengefasst werden.
Der Bekanntgabeadressat ist regelmäßig mit dem Prüfungssubjekt identisch; soweit eine Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an das Prüfungssubjekt nicht möglich oder nicht zulässig ist, kommen Dritte als Bekanntgabeadressaten in Betracht (z. B. gesetzliche Vertreter des Prüfungssubjekts). Ist der Empfänger (z. B. ein Bevollmächtigter i. S. des § 80 AO) nicht identisch mit dem Prüfungssubjekt, muss in der Prüfungsanordnung explizit darauf hingewiesen werden, „bei wem” die Prüfung stattfinden soll (d. h. namentliche Benennung des Prüfungssubjekts).
Bei zusammenveranlagten Ehegatten können gegen beide Ehegatten Prüfungsanordnungen ergehen. Nach Nr. 3 AEAO zu § 197 müssen die Prüfungen gesondert angeordnet werden, wenn beide Ehegatten unabhängig voneinander unternehmerisch tätig sind. In anderen Fällen können die beiden Prüfungsanordnungen in einer Verfügung zusammengefasst und den Ehegatten gemeinsam bekannt gegeben werden; in diesem Fall muss jedoch erläutert werden, bei welchem Prüfungssubjekt die Außenprüfung für welche Steuerarten und -zeiträume vorgesehen ist.
Bei einer Personenvereinigung (Personenhandelsgesellschaft oder nicht rechtsfähige Personenvereinigung) besteht die Besonderheit, dass sie für Betriebssteuern zwar selbst Steuerschuldnerin sein kann (z. B. für Umsatz- und Gewerbesteuer), hinsichtlich der von ihren Gesellschaftern gemeinschaftlich erzielten Einkünfte aber die Gesellschafter Schuldner der Einkommen- oder Körperschaftsteuer sind.
Soweit die Personengesellschaft Gewinneinkünfte erzielt, ist die Prüfungsanordnung an die Personenvereinigung als Prüfungssubjekt zu richten und nicht gegen deren Gesellschafter (, BStBl 1990 II S. 272). Soll die Prüfung nach § 194 Abs. 2 AO auf die steuerlichen Verhältnisse von Gesellschaftern und Mitgliedern sowie von Mitgliedern der Überwachungsorgane erstreckt werden, ist die Prüfungsanordnung insoweit auch diesen Personen bekannt zu geben (§ 197 Abs. 1 Satz 3 AO).
Erzielt die Personenvereinigung dagegen nur Überschusseinkünfte (insbes. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung), ist sie nur insoweit Prüfungssubjekt, als sie selbst Steuerschuldnerin ist. Eine Prüfungsanordnung für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ist dagegen an jeden Gesellschafter der Personenvereinigung zu richten und diesem auch bekannt zu geben. Im Fall des § 194 Abs. 2 AO ist die Prüfungsanordnung insoweit auch den Gesellschaftern und Mitgliedern sowie von Mitgliedern der Überwachungsorgane bekannt zu geben (§ 197 Abs. 1 Satz 3 AO).
Bei der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an die Personenvereinigung ist zudem zu beachten:
Handelt es sich bei dem Prüfungssubjekt um eine Personenhandelsgesellschaft, ist die Prüfungsanordnung der Gesellschaft unter ihrer Firma bekannt zu geben. Angaben über Vertretungsbefugnisse (z. B. Geschäftsführer) sind entbehrlich.
Andere nicht rechtsfähige Personenvereinigungen (z. B. GbR) haben i. d. R. formal keinen eigenen Namen und müssen daher als Prüfungssubjekt durch die Angabe aller Gesellschafter charakterisiert werden. Die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung hat an die vertretungsberechtigten Gesellschafter als Vertreter zu erfolgen. Grds. wären das alle Gesellschafter (z. B. bei einer GbR nach §§ 709, 714 BGB), es sei denn, es läge eine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung vor. Die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an einen Gesellschafter als Vertreter der Personenvereinigung reicht allerdings aus (vgl. , BStBl 1990 II 272).
Die Prüfungsanordnung soll dem Prüfungssubjekt grds. angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt gegeben werden. Unter „angemessener Zeit” ist der Zeitraum zu verstehen, der im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Verhältnisse des zu prüfenden Steuerpflichtigen für dessen Vorbereitungsmaßnahmen (Freimachung eines Raums, Freihalten von Terminen etc.) erforderlich ist. Nach § 5 Abs. 4 BpO sind bei Großbetrieben grds. vier Wochen und in anderen Fällen zwei Wochen angemessen. Im Einzelfall kann auch eine Woche angemessen sein. Wird eine Außenprüfung während ihrer Durchführung erweitert, kann der Prüfungsbeginn sogar mit dem Beginn dieser Erweiterungsprüfung zusammenfallen.
Die Finanzbehörde kann von der Einhaltung einer Frist absehen, wenn anderenfalls der Prüfungszweck gefährdet würde (z. B. bei Verdunkelungsgefahr) oder wenn das Prüfungssubjekt ausdrücklich auf die Einhaltung der Frist verzichtet hat. Drohender Ablauf der Festsetzungsfrist allein kann die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist nicht rechtfertigen.
Das Prüfungssubjekt kann die Nichteinhaltung der angemessenen Frist i. S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO unabhängig von einem Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns nach § 197 Abs. 2 AO geltend machen. Nach dieser Vorschrift kann der Beginn der Außenprüfung auf Antrag des Prüfungssubjekts auf einen anderen (als den angekündigten) Zeitpunkt verlegt werden, wenn dafür wichtige, in der Person des Steuerpflichtigen liegende Gründe glaubhaft gemacht werden (z. B. Erkrankung des Steuerpflichtigen, seines für die Auskünfte erforderlichen Beraters oder maßgeblichen Mitarbeiters, beträchtliche Betriebsstörungen durch Umbau). Ein Antrag nach § 197 Abs. 2 AO hat allerdings zur Folge, dass die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO allein aufgrund des gestellten Verlegungsantrags eintritt. Diese Ablaufhemmung tritt aber nicht ein, wenn die Finanzbehörde die Ablaufhemmung mit einem nicht angemessene Zeit vorher angekündigten Prüfungsbeginn einzuleiten versucht hat, gegen den sich der Steuerpflichtige erfolgreich gewendet hat, ohne zugleich eine Verschiebung des Prüfungsbeginns zu beantragen. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) erreicht, dass die Festlegung des Prüfungsbeginns nachträglich als rechtswidrig festgestellt wird. Beantragt der Steuerpflichtige aber ausdrücklich, den Beginn der Außenprüfung hinauszuschieben, tritt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO auch dann ein, wenn der voraussichtliche Prüfungsbeginn rechtswidrig nicht angemessene Zeit vor Beginn bekannt gegeben worden ist.
Tz. 229 Ausweispflicht, Beginn der Außenprüfung
Sobald der Prüfer beim Prüfungssubjekt zum Beginn der Außenprüfung erscheint, hat er sich unverzüglich (d. h. ohne schuldhaftes Zögern) auszuweisen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist allerdings rechtlich folgenlos, d. h. ein Verstoß gegen die Ausweispflicht begründet kein Verwertungsverbot.
Da der Zeitpunkt des Beginns der Außenprüfung für die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO von elementarer Bedeutung ist, ordnet § 198 Satz 2 AO ausdrücklich an, dass der Prüfungsbeginn unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen ist.
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung hat eine Außenprüfung dann begonnen, wenn der Prüfer die Prüfungsanordnung dem Prüfungssubjekt übergeben hat und konkrete Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls aufnimmt (vgl. z. B. , BStBl 2003 II S. 739). Der Prüfer muss ernsthaft mit der sachlichen Prüfung des Steuerfalls begonnen haben, ohne dass es darauf ankommt, ob die ersten Prüfungshandlungen zu verwertbaren Ergebnissen geführt haben. Es genügt, wenn der Prüfer beginnt, allgemeine Informationen über den zu prüfenden Steuerfall zu sammeln; dies kann ggf. auch durch das Studium der Steuerakten erfolgen. Äußeres Anzeichen für den Beginn der Prüfung kann das Verlangen des Prüfers gegenüber dem Steuerpflichtigen sein, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere oder andere Unterlagen vorzulegen. Bei der Überlassung von Datenträgern nach § 147 Abs. 6 AO beginnt die Außenprüfung spätestens mit der Auswertung der Daten (Nr. 1 AEAO zu § 198).
Tz. 230 Prüfungsgrundsätze
Prüfungsgegenstand sind nach § 199 Abs. 1 AO die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgeblich sind (Besteuerungsgrundlagen). Der Prüfer hat diese Besteuerungsgrundlagen zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen. Das Gesetz ordnet dies ausdrücklich an, obwohl dies schon nach § 88 Abs. 2 AO Teil des auch im Rahmen der Außenprüfung geltenden Untersuchungsgrundsatzes ist.
Nach § 7 BpO ist die Außenprüfung auf das Wesentliche abzustellen, ihre Dauer ist auf das notwendige Maß zu beschränken. Die Außenprüfung hat sich in erster Linie auf solche Sachverhalte zu erstrecken, die zu endgültigen Steuerausfällen, Steuererstattungen oder -vergütungen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen können.
Das Prüfungssubjekt (bzw. seine gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter) ist schon im Lauf der Außenprüfung über die vom Prüfer festgestellten Sachverhalte und deren mögliche steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten, wenn dadurch Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden. Damit soll dem Prüfungssubjekt zeitnah rechtliches Gehör gewährt werden. Bei dieser zeitnahen Information ist allerdings noch keine abschließende steuerrechtliche Bewertung geboten. Die Information des Prüfungssubjekts nach § 199 Abs. 2 AO ist kein Verwaltungsakt, anfechtbar ist nur die Ablehnung der Information. Art und Weise der Information stehen im Ermessen des Prüfers.
Tz. 231 Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen
§ 200 AO bekräftigt und ergänzt die nach §§ 90, 146 ff. AO geltenden Mitwirkungspflichten im Hinblick auf die Außenprüfung. So hat der Steuerpflichtige bei der Feststellung der steuererheblichen Sachverhalte insbesondere dadurch mitzuwirken, dass er Auskünfte erteilt, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorlegt, die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen gibt und die Finanzbehörde bei Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO (Datenzugriff) unterstützt. Bei den besonderen Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung gelten die Einschränkungen nach § 93 Abs. 2 Satz 2 und § 97 Abs. 2 AO nicht (§ 200 Abs. 1 Satz 4 AO). Daher bedürfen Auskunftsersuchen im Rahmen der Außenprüfung nicht der Schriftform. Der Steuerpflichtige ist zu Beginn der Prüfung auch darauf hinzuweisen, dass er Dritte als Auskunftsperson benennen kann (§ 8 Abs. 1 BpO). Die eigenen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen werden durch die Benennung von Auskunftspersonen allerdings nicht vermindert.
Die Finanzbehörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Form unter Beachtung von Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit, Erfüllbarkeit und Zumutbarkeit sie die Mitwirkung des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt. Die Anforderung von Unterlagen usw. bedarf im Regelfall keiner Begründung (vgl. Nr. 1 AEAO zu § 200). Bei Auslandssachverhalten trägt der Steuerpflichtige eine erhöhte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO).
Die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Unterlagen, kann zunächst einmal nur gefordert werden, soweit sich dies im Rahmen der Prüfungsanordnung bewegt; ggf. ist die Prüfung entsprechend zu erweitern. Betreffen vorzulegende Unterlagen nicht unmittelbar den Prüfungszeitraum, können sie ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums nur verlangt werden, wenn dies zur Feststellung von Sachverhalten des Prüfungszeitraums erforderlich ist (vgl. § 8 Abs. 3 BpO) oder wenn der Prüfer deutlich macht, dass dies nicht Gegenstand der Außenprüfung, sondern selbständiger Einzelermittlungen nach §§ 88 ff. AO ist (vgl. , BStBl 1984 II S. 790).
Die Mitwirkung kann nach §§ 328, 329 AO erzwungen werden, die Finanzbehörde kann im Hinblick auf die Pflichtverletzung aber auch ggf. eine Schätzung nach § 162 AO vornehmen. Bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten ist allerdings danach zu unterscheiden, ob sich die Pflicht auf eine Tatbestandsvoraussetzung oder die Rechtsfolge eines Besteuerungstatbestands bezieht. Bezieht sie sich auf eine Tatbestandsvoraussetzung, löst die Pflichtverletzung eine Reduzierung des Beweismaßes für die Ermittlung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen aus. Bezieht sie sich auf eine Rechtsfolge, rechtfertigt sie regelmäßig die Schätzung der Besteuerungsgrundlage (, BStBl 2004 II S. 171).
Können der Steuerpflichtige oder die von ihm benannten Personen keine Auskünfte erteilen, sind ihre Auskünfte zur Klärung des Sachverhalts unzureichend oder versprechen Auskünfte des Steuerpflichtigen keinen Erfolg, kann der Außenprüfer auch andere Betriebsangehörige um Auskunft ersuchen.
Der Steuerpflichtige hat die für die Außenprüfung erforderlichen Unterlagen grds. in seinen Geschäftsräumen vorzulegen. Ein zur Durchführung der Außenprüfung geeigneter Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel sind unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Sind geeignete Geschäftsräume vorhanden, kommen andere Prüfungsorte nur ausnahmsweise und nur auf Antrag in Betracht, wenn schützenswerte Interessen des Steuerpflichtigen von besonders großem Gewicht das Interesse der Finanzbehörde an einem effizienten Prüfungsablauf in den Geschäftsräumen verdrängen (Nr. 2 AEAO zu § 200).
Ist kein geeigneter Geschäftsraum vorhanden und kann die Außenprüfung nicht in den Wohnräumen des Steuerpflichtigen stattfinden, ist grds. an Amtsstelle zu prüfen (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 200 und § 6 BpO). Beantragt der Steuerpflichtige, die Außenprüfung statt an Amtsstelle im Büro des Steuerberaters durchzuführen, ist dem Antrag unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit jedes Verwaltungshandelns zu entsprechen, wenn der Prüfung im Büro des Steuerberaters keine zumindest gleichwertigen Verwaltungsinteressen entgegenstehen (, BStBl 1989 II S. 265).
Die Festlegung des Prüfungsorts erfolgt durch selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt kann mit der Prüfungsanordnung verbunden werden. Die Anordnung einer Außenprüfung „beim Steuerpflichtigen” enthält allein noch keine Regelung zu Prüfungsort.
Die Außenprüfung findet während der üblichen Geschäfts- oder Arbeitszeit statt. Im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen können aber auch andere Zeiten vereinbart werden.
Der Prüfer ist berechtigt, Grundstücke und Betriebsräume – unter Hinzuziehung des Betriebsinhabers oder eines Beauftragten – zu betreten und zu besichtigen. Das Betretungsrecht ist keine Rechtsgrundlage für eine Durchsuchung der Betriebsräume. Eine Außenprüfung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen verstößt nicht gegen Art. 13 GG (, BStBl 1989 II S. 180).
Tz. 232 Schlussbesprechung
Nach Abschluss der Prüfungshandlungen ist über das Ergebnis der Außenprüfung eine Schlussbesprechung abzuhalten, in der die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern sind. Eine Schlussbesprechung soll insbesondere erfolgen, wenn Sachverhalte strittig sind. Die Besprechungspunkte und der Termin der Schlussbesprechung sind dem Steuerpflichtigen angemessene Zeit vor der Besprechung bekannt zu geben, damit er sich in geeigneter Weise vorbereiten kann.
Die Durchführung einer Schlussbesprechung ist nicht geboten, wenn sich nach dem Ergebnis der Außenprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt oder wenn der Steuerpflichtige auf die Besprechung verzichtet. Der Steuerpflichtige kann den Verzicht auf die Abhaltung einer Schlussbesprechung formlos erklären. Kommt eine Terminabsprache zur Abhaltung der Schlussbesprechung nicht zustande, hat die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen schriftlich zur Schlussbesprechung an Amtsstelle einzuladen und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Nichtwahrnehmung des Termins ohne Angabe von Gründen als Verzicht i. S. des § 201 Abs. 1 Satz 1 AO zu werten ist (Nr. 3 AEAO zu § 201).
Dem Steuerpflichtigen wird durch die Schlussbesprechung noch vor Fertigung des Prüfungsberichts (§ 202 AO) und der Änderung der Steuerfestsetzungen rechtliches Gehör gewährt. Darüber hinaus kann im Rahmen einer Schlussbesprechung ggf. auch Einvernehmen über die Behandlung zuvor strittiger Themen erzielt werden.
Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch auf Durchführung einer Schlussbesprechung. Dieser Anspruch ist auch gerichtlich einklagbar, solange die Prüfungsfeststellungen noch nicht in geänderten Steuerfestsetzungen umgesetzt wurden. Das Unterlassen einer Schlussbesprechung allein führt aber gleichwohl nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der aufgrund des Berichts über die Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide.
Die Ergebnisse einer Schlussbesprechung entfalten grds. keine Bindungswirkung. Hat die Finanzbehörde nach der Schlussbesprechung Rechtsirrtümer erkannt, können diese bei der Auswertung der Prüfungsfeststellungen deshalb auch dann richtig gestellt werden, wenn an der Schlussbesprechung der für die Steuerfestsetzung zuständige Beamte teilgenommen hat. „Zusagen” im Rahmen einer Schlussbesprechung, die im Betriebsprüfungsbericht nicht aufrechterhalten werden, erzeugen ebenfalls keine Bindung der Finanzbehörde nach Treu und Glauben (, BStBl 1977 II S. 623). Umgekehrt stellt die Zustimmung des Steuerpflichtigen zu den Beurteilungen des Prüfers auch keinen Einspruchsverzicht dar.
Eine Schlussbesprechung kann aber auch dazu dienen, eine tatsächliche Verständigung über den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Sachverhalt zu treffen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z. B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur mit einem nicht mehr vertretbaren Arbeits- oder Zeitaufwand ermitteln lassen (vgl. im Einzelnen , BStBl 2008 I S. 831). Eine tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen, über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften oder wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Eine tatsächliche Verständigung ist aber insoweit möglich, als im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung über eine Vorfrage zum Sachverhalt zu entscheiden ist (, BStBl 2001 II S. 520). Im Gegensatz zu einer verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) bezieht sich die tatsächliche Verständigung grds. nur auf abgeschlossene Sachverhalte. Im Rahmen der Schlussbesprechung kann zudem auch eine verbindliche Zusage nach § 204 AO beantragt werden. Bei einem erst nach der Schlussbesprechung gestellten Antrag wird regelmäßig keine verbindliche Zusage mehr erteilt, wenn hierzu umfangreiche Prüfungshandlungen erforderlich sind (Nr. 3 AEAO zu § 204).
Besteht nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Schlussbesprechung die Möglichkeit, dass aufgrund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen den Steuerpflichtigen durchgeführt werden muss, soll er nach § 201 Abs. 2 AO ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung der festgestellten Sachverhalte einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt. Dieser Hinweis ist zu erteilen, wenn es möglich erscheint, dass ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss. Ein Hinweis ist nicht zu erteilen, wenn eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit deshalb nicht in Betracht kommt, weil kein schuldhaftes oder vorwerfbares Verhalten vorliegt oder offensichtlich ist, dass objektive oder subjektive Tatbestandsmerkmale mit der im Straf- oder Bußgeldverfahren erforderlichen Gewissheit nicht nachzuweisen sind (Nr. 114 Abs. 2 AStBV). Der Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO bedeutet noch nicht, dass ein Straf- und Bußgeldverfahren i. S. der §§ 397, 410 Abs. 1 Nr. 6 AO eröffnet wurde, und ist kein Verwaltungsakt.
Tz. 233 Inhalt und Bekanntgabe des Prüfungsberichts
Die Außenprüfung findet regelmäßig ihren Abschluss mit Übersendung des Prüfungsberichts. Im schriftlich zu erteilenden Prüfungsbericht sind die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen. Es reicht nicht aus, nur die nach den Prüfungsfeststellungen voraussichtlich zu erwartenden Mehrsteuern darzustellen. Der Steuerpflichtige muss in die Lage versetzt werden, die Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu können. Insbesondere wenn zu einem Sachverhalt mit einem Rechtsbehelf oder mit einem Antrag auf verbindliche Zusage nach § 204 AO zu rechnen ist, soll der Sachverhalt umfassend im Prüfungsbericht dargestellt werden (§ 12 Abs. 1 BpO). Für den Innendienst bestimmte oder spätere Besteuerungszeiträume betreffende Mitteilungen des Außenprüfers sind nicht in den Prüfungsbericht aufzunehmen (, BStBl 1961 III S. 290).
Der Steuerpflichtige hat grds. einen Rechtsanspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts vor dessen Auswertung. Auch ist ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit zum Prüfungsbericht Stellung zu nehmen. Ein Prüfungsbericht ist allerdings entbehrlich, wenn die Außenprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat. In diesem Fall reicht eine entsprechende (schriftliche) Erklärung der Finanzbehörde aus. Eine solche Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO hindert unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 Satz 2 AO zwar die Änderung eines Steuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 AO, sie steht der Änderung des Bescheids aufgrund einer anderen Vorschrift (z. B. § 164 Abs. 2 AO) jedoch nicht entgegen (, BStBl 1988 II S. 168). In der Übersendung des Prüfungsberichts, der keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthält, dass die Außenprüfung nicht zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat, kann keine konkludente Mitteilung i. S. des § 202 Abs. 1 Satz 3 AO gesehen werden (, BStBl 1990 II S. 283).
Der Prüfungsbericht ist kein Verwaltungsakt, da die Finanzbehörde an die Beurteilung des Prüfers grds. nicht gebunden ist und damit keine unmittelbaren Rechtsfolgen eintreten. Nach herrschender Auffassung ist auch die Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO kein Verwaltungsakt. Sie ist allerdings für die Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO bedeutsam.
Tz. 234 Abgekürzte Außenprüfung
Die Finanzbehörde kann bei Steuerpflichtigen, bei denen sie eine Außenprüfung in regelmäßigen Zeitabständen nach den Umständen des Falls nicht für erforderlich hält, nach eine abgekürzte Außenprüfung durchführen. § 203 AO ermöglicht eine auch im Interesse des Steuerpflichtigen liegende rasche Durchführung einer Außenprüfung. Eine abgekürzte Außenprüfung ist bei allen unter § 193 AO fallenden Steuerpflichtigen zulässig und hat dieselben Rechtsfolgen wie eine reguläre, nicht abgekürzte Außenprüfung.
Bereits in der Prüfungsanordnung ist die Außenprüfung ausdrücklich als abgekürzte Außenprüfung i. S. des §§ 193, 203 AO zu bezeichnen. Ein Wechsel von der abgekürzten zur nicht abgekürzten Außenprüfung und umgekehrt ist jederzeit zulässig. Hierzu bedarf es allerdings einer ergänzenden Prüfungsanordnung. Bei einer abgekürzten Außenprüfung finden die Vorschriften über die Außenprüfung (§§ 193 ff. AO) Anwendung; gesetzlich ausgenommen sind lediglich § 201 Abs. 1 AO (Durchführung Schlussbesprechung) und § 202 Abs. 2 AO (Gelegenheit zur Stellungnahme zum Prüfungsbericht vor dessen Auswertung).
Die abgekürzte Außenprüfung hat sich auf die wesentlichen Besteuerungsgrundlagen zu beschränken. Die abgekürzte Außenprüfung unterscheidet sich von einer im Prüfungsstoff eingeschränkten regulären Außenprüfung, indem sie darüber hinaus auf die Prüfung einzelner Besteuerungsgrundlagen eines Besteuerungszeitraums oder mehrerer Besteuerungszeiträume beschränkt wird (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BpO).
Tz. 235 Verbindliche Zusage aufgrund einer Außenprüfung
Von der verbindlichen Zusage nach §§ 204 AO ff. sind zu unterscheiden
die tatsächliche Verständigung über den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Sachverhalt (vgl. , BStBl 2008 I S. 831),
die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO und
die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft (§ 42e EStG).
a) Voraussetzungen
Die Finanzbehörde soll dem Steuerpflichtigen im Anschluss an eine Außenprüfung auf Antrag verbindlich zusagen, wie ein für die Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in Zukunft steuerrechtlich behandelt wird. Die Kenntnis der künftigen steuerrechtlichen Behandlung muss für die geschäftlichen Maßnahmen des Steuerpflichtigen von Bedeutung sein (§ 204 AO).
Der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage sollte schriftlich bzw. elektronisch gestellt werden. Unklarheiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen.
Über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage entscheidet die für die Auswertung der Prüfungsfeststellungen zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei einem nach der Schlussbesprechung gestellten Antrag ist i. d. R. keine verbindliche Zusage mehr zu erteilen, wenn hierzu umfangreiche Prüfungshandlungen erforderlich sind (Nr. 3 AEAO zu § 204). Der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage kann auch abgelehnt werden, wenn sich der Sachverhalt nicht für eine verbindliche Zusage eignet oder wenn zu dem betreffenden Sachverhalt die Herausgabe von allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder eine Grundsatzentscheidung des BFH nahe bevorsteht (Nr. 5 AEAO zu § 204).
b) Form und Inhalt der verbindlichen Zusage
Die verbindliche Zusage aufgrund einer Außenprüfung ist ein Verwaltungsakt und daher anfechtbar. § 205 AO enthält Form- und Inhaltsvorschriften für verbindliche Zusagen. Die verbindliche Zusage ist danach schriftlich zu erteilen und ausdrücklich als verbindlich zu kennzeichnen. Die Zusage muss zudem folgende Inhalte enthalten:
eine Beschreibung des ihr zugrunde gelegten Sachverhalts; dabei kann auf den im Prüfungsbericht dargestellten Sachverhalt Bezug genommen werden,
die Entscheidung über den Antrag und die dafür maßgebenden Gründe,
eine Angabe darüber, für welche Steuern und für welchen Zeitraum die verbindliche Zusage gilt.
Wegen § 207 Abs. 1 AO bedarf es auch der Bezeichnung der Rechtsvorschriften, auf die die Zusage gestützt wird.
Die Beurteilung eines Sachverhalts im Prüfungsbericht oder in einem aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheid allein steht einer verbindlichen Zusage nach § 204 AO nicht gleich. Auch die Tatsache, dass eine bestimmte Gestaltung von vorangegangenen Außenprüfungen nicht beanstandet wurde, schafft für sich allein keine Bindungswirkung nach Treu und Glauben.
c) Bindungswirkung der verbindlichen Zusage
Die verbindliche Zusage ist nach § 206 Abs. 1 AO für die Besteuerung (nur dann) bindend, wenn sich der später verwirklichte Sachverhalt mit dem der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt deckt. Trifft die Finanzbehörde in einer Steuerfestsetzung eine andere Entscheidung als bei der Erteilung der verbindlichen Zusage, kann der Steuerpflichtige im Rechtsbehelfsverfahren gegen den betreffenden Bescheid die Bindungswirkung geltend machen. Erkennt die Finanzbehörde die Fehlerhaftigkeit einer von ihr erteilten verbindlichen Zusage, hat sie aufgrund ihrer Gesetzesbindung allerdings zu prüfen, ob und inwieweit eine Korrektur nach § 207 Abs. 2 und 3 AO in Betracht kommt.
Entspricht der nach Erteilung der verbindlichen Zusage festgestellte und steuerlich zu beurteilende Sachverhalt dagegen nicht dem der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt, ist die Finanzbehörde an die erteilte Zusage nicht gebunden. Eines ausdrücklichen Widerrufs der Zusage bedarf es insoweit nicht.
Der Steuerpflichtige ist an die verbindliche Zusage allerdings nicht gebunden, wenn die verbindliche Zusage zu seinen Ungunsten dem geltenden Recht widerspricht (§ 206 Abs. 2 AO). Er kann daher den Steuerbescheid, dem eine verbindliche Zusage zugrunde liegt, anfechten, um eine günstigere Regelung zu erreichen. Unerheblich ist dabei, ob die Fehlerhaftigkeit der verbindlichen Zusage bereits bei ihrer Erteilung erkennbar war oder erst später erkennbar geworden ist.
d) Außerkrafttreten und Korrektur einer verbindlichen Zusage
Die Finanzverwaltung darf durch verbindliche Zusagen den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht einschränken; dies gilt auch für mögliche Übergangs- oder Anwendungsregelungen. Eine verbindliche Zusage tritt daher nach § 207 Abs. 1 AO außer Kraft, wenn die Rechtsvorschriften, auf denen die Entscheidung maßgeblich beruht, geändert werden. Hierzu ist es unerlässlich, in der verbindlichen Zusage die für die Entscheidung bedeutsamen Rechtsvorschriften zu bezeichnen. Im Fall einer Rechtsänderung entfällt die Bindungswirkung automatisch, eines Zutuns der Finanzbehörde bedarf es nicht. Rechtsvorschriften i. S. des § 207 Abs. 1 AO sind nur Gesetze und Rechtsverordnungen, hingegen nicht Verwaltungsanweisungen.
Nach § 207 Abs. 2 AO kann die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die verbindliche Zusage mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern. Eine derartige Korrektur darf nicht willkürlich erfolgen. Sie kommt vielmehr nur in Betracht, wenn sich die steuerrechtliche Beurteilung des der Zusage zugrunde liegenden Sachverhalts durch Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschriften geändert hat. Aber auch in einem derartigen Fall kann es im Einzelfall aus im Hinblick auf die vom Steuerpflichtigen getroffenen Dispositionen gleichwohl geboten sein, auf eine Korrektur – zumindest für eine Übergangszeit – zu verzichten. S. auch Nr. 2 AEAO zu § 207.
Eine rückwirkende Aufhebung oder Änderung der verbindlichen Zusage ist nach § 207 Abs. 3 AO mit Zustimmung des Steuerpflichtigen oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AO zulässig. Auf der verbindlichen Zusage beruhende Steuerbescheide können in diesem Fall nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO korrigiert werden.
XIII. Steuerfahndung (Zollfahndung) / Steueraufsicht in besonderen Fällen
Tz. 236 Steuerfahndung und Zollfahndung
§ 208 AO weist den mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden (Steuerfahndung) und den Zollfahndungsämtern (Zollfahndung) drei verschiedene Aufgaben zu und verleiht ihnen dazu auch besondere Befugnisse.
a) Aufgaben
Der Steuer- und Zollfahndung sind nach § 208 Abs. 1 Satz 1 AO folgende Aufgaben zugewiesen:
die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten;
die Ermittlung des steuerlich erheblichen Sachverhalts und dessen rechtlicher Würdigung bei Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten;
Vorfeldermittlungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen (§ 85 Satz 2 AO), die auf die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle gerichtet sind.
Die Steuer-/Zollfahndung wird nur dann nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO tätig, wenn ihre Ermittlungen in den Rahmen der Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit fallen. Dies setzt voraus, dass vor Beginn der Ermittlungen bereits ein entsprechendes Verfahren gegen die Person eingeleitet wurde, gegen die sich die Maßnahmen der Steuer-/Zollfahndung richten oder richten sollen.
Solange gegen einen Steuerpflichtigen aber noch kein förmliches Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit anhängig ist, beruhen Ermittlungen der Steuer-/Zollfahndung auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Dies gilt auch dann, wenn später ein entsprechendes Verfahren eingeleitet wird und die Ergebnisse aus dem steuerlichen Verfahren in dieses Verfahren eingehen oder wenn die Steuer-/Zollfahndung gegen Dritte ermittelt, gegen die sich das eingeleitete Straf- oder Bußgeldverfahren nicht richtet. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) gehört auch dann zu den Aufgaben der Steuer-/Zollfahndung, wenn hinsichtlich dieser Delikte bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Voraussetzung ist allerdings, dass hinsichtlich der zu ermittelnden Steueransprüche noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. §§ 169 ff. AO).
Die Steuer-/Zollfahndung darf Vorfeldermittlungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) nur bei hinreichendem Anlass aufnehmen. Ein strafprozessualer Anfangsverdacht ist nicht erforderlich. Ein hinreichender Anlass liegt bereits vor, wenn aufgrund konkreter Momente oder allgemeiner Erfahrung eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist. Ist ein hinreichender Anlass für Ermittlungsmaßnahmen der Steuer-/Zollfahndung gegeben, liegt auch dann keine (unzulässige) Rasterfahndung oder Ermittlung ins Blaue vor, wenn gegen eine große Zahl von Personen ermittelt wird. Ein hinreichender Anlass für Ermittlungen der Steuer-/Zollfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle kann auch dann vorliegen, wenn bei Betriebsprüfungen Steuerverkürzungen aufgedeckt worden sind, die durch bestimmte für die Berufsgruppe typische Geschäftsabläufe begünstigt worden sind. Eine nur geringe Anzahl bereits festgestellter Steuerverkürzungen allein steht dann der Aufnahme von Vorfeldermittlungen nicht entgegen.
Darüber hinaus sind Steuer- und Zollfahndung zuständig für steuerliche Ermittlungen einschließlich der Außenprüfung auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde sowie für die ihnen sonst im Rahmen der Zuständigkeit der Finanzbehörden übertragenen Aufgaben (§ 208 Abs. 2 AO).
b) Befugnisse
In der Praxis ist es nicht immer einfach abzugrenzen, ob die Steuer-/Zollfahndung noch im Rahmen des Besteuerungsverfahrens oder schon im Rahmen steuerstrafrechtlicher Ermittlungen tätig ist. Dies hat aber Bedeutung für ihre Befugnisse und die Mitwirkungspflichten des betroffenen Steuerpflichtigen. Maßgebend ist, in welcher Funktion und in welchem Verfahren die Steuer-/Zollfahndung nach außen objektiv und eindeutig erkennbar tätig geworden ist oder tätig werden will.
Wird die Steuer-/Zollfahndung auf dem Gebiet der Verfolgung bekannt gewordener Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) tätig, haben die Fahndungsstellen und ihre Beamten dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der StPO (§ 404 AO). Sie haben die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO (erster Zugriff, Durchsuchung, Beschlagnahme) sowie die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (§ 110 Abs. 1 StPO); ihre Beamten sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Zudem haben sie die Befugnisse, die den Finanzämtern bzw. den Hauptzollämtern im Besteuerungsverfahren zustehen (§§ 85 ff. AO).
Der Steuerpflichtige ist im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht mitwirkungspflichtig (§ 136 StPO). Daher sind Zwangsmittel auch unzulässig. Erkenntnisse, die eine Finanzbehörde oder Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen auch im Besteuerungsverfahren verwendet werden (§ 393 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies gilt auch für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen (z. B. durch Telefonüberwachung nach § 100a StPO) gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der StPO Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf.
Wird die Steuer-/Zollfahndung auf dem Gebiet der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bei Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) oder auf dem Gebiet der steuerlichen Vorfeldermittlungen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) tätig, hat sie zunächst einmal die üblichen Befugnisse aller Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren. Zu Maßnahmen im Besteuerungsverfahren ist die Steuer-/Zollfahndung selbst dann berechtigt, wenn bereits ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist (vgl. , BStBl 1987 II S. 440).
Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, die sich aus den Vorschriften über die Außenprüfung ergeben, gelten auch bei steuerrechtlichen Ermittlungen der Steuer-/Zollfahndung (§ 208 Abs. 1 Satz 3 AO). Der Steuerpflichtige ist zur Mitwirkung bei der Ermittlung seiner steuerlichen Verhältnisse verpflichtet und hat die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen zu legen sowie Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. Diese Mitwirkung kann auch grds. erzwungen werden (z. B. durch Festsetzung eines Zwangsgelds). Steuerliche Zwangsmittel sind jedoch dann nicht zulässig, wenn der Steuerpflichtige dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwangsmittel sind in jedem Fall unzulässig, soweit gegen den Steuerpflichtigen wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit bereits ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO). Ergibt sich während der Ermittlungen der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit, ist dem Steuerpflichtigen unverzüglich die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens mitzuteilen. Wirkt der Steuerpflichtige nicht mit, können daraus allerdings im Besteuerungsverfahren für den Steuerpflichtigen nachteilige Folgerungen gezogen und die Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden (§ 162, §§ 88, 90 AO).
Zudem gelten nach § 208 Abs. 1 Satz 3 AO für die Steuer-/Zollfahndung bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und bei Vorfeldermittlungen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 AO) folgende Verfahrenserleichterungen:
Dritte können sofort um Auskunft ersucht werden (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). Die Befragung Dritter, auch wenn sie mit den möglichen Steuerverkürzern in keiner unmittelbaren Beziehung stehen, ist – ohne dass es eines Anlasses in ihrer Person oder Sphäre bedürfte – gerechtfertigt, wenn die Steuer-/Zollfahndung aufgrund ihrer Vorerkenntnisse nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag.
Auskunftsersuchen bedürfen entgegen § 93 Abs. 2 Satz 2 AO nicht der Schriftform.
Die Vorlage von Urkunden kann ohne vorherige Befragung des Vorlagepflichtigen verlangt und die Einsichtnahme in diese Urkunden unabhängig von dessen Einverständnis erwirkt werden (§ 97 Abs. 2 und 3 AO).
Die Mitwirkungspflichten von Kreditinstituten (als Dritte) sind nach § 30a Abs. 5 Satz 2 AO allerdings eingeschränkt: Ist die Person des Steuerpflichtigen bekannt und gegen ihn (noch) kein Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit eingeleitet worden, soll ein Kreditinstitut erst um Auskunft und um Vorlage von Urkunden gebeten werden, wenn ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziele führt oder keinen Erfolg verspricht. Umgekehrt gilt aber auch: Ist die Person des Steuerpflichtigen noch nicht bekannt (und daher zwangsläufig auch noch kein Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit eingeleitet worden), darf ein Kreditinstitut bei hinreichendem Anlass uneingeschränkt um Auskunft und um Vorlage von Urkunden gebeten werden, auch in Form sog. Sammelauskunftsersuchen.
c) Wirkung einer Fahndungsprüfung
Außer in den Ausnahmefällen des § 208 Abs. 2 AO steht die Fahndungsprüfung einer Außenprüfung nicht gleich. Sie löst daher keine Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO aus. Die Festsetzungsfrist wird auch nicht nach § 171 Abs. 4 AO, stattdessen greift aber die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO. Sie löst auch eine Unterbrechung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung aus (§ 78c StGB).
d) Rechtsweg gegen Maßnahmen der Steuer-/Zollfahndung
Für Einwendungen gegen Maßnahmen der Steuer-/Zollfahndung im Besteuerungsverfahren ist der Finanzrechtsweg (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO), für Einwendungen gegen Maßnahmen im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten der ordentliche Rechtsweg gegeben (§ 304 StPO, § 23 EGGVG).
Tz. 237 Steueraufsicht in besonderen Fällen
a) Allgemeines / Anwendungsbereich
In den §§ 209–217 AO sind Regelungen zusammengefasst, die unmittelbar oder mittelbar die Vorbereitung, Sicherung und Nachprüfung der Besteuerung auf dem Gebiet der Zölle (Einfuhr- und Ausfuhrabgaben) und Verbrauchsteuern betreffen. Diese Regelungen tragen den Besonderheiten der Erhebung der Zölle und Verbrauchsteuern in besonderer Weise Rechnung, da hier die allgemeinen Verfahrensregelungen (§§ 85 ff. und §§ 193 - 203 AO) zur Sicherung einer gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung nicht ausreichen. Für den Bereich der Zölle verdrängt allerdings der Zollkodex die entsprechenden Regelungen der AO (vgl. §§ 37 und 166 ff. Zollkodex). Hinzu kommen die besonderen Vorschriften des Zollverwaltungsgesetzes. Auf dem Gebiet der Besitz- und Verkehrsteuern enthält § 27b UStG eine besondere Form der Steueraufsicht in Gestalt der unangekündigten Umsatzsteuer-Nachschau.
b) Steueraufsicht
Nach § 209 AO unterliegen die Gewinnung und Herstellung, Lagerung, Beförderung und gewerbliche Verwendung verbrauchsteuerpflichtiger Waren und der Handel mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren der zollamtlichen Überwachung (Steueraufsicht). Der Steueraufsicht unterliegen darüber hinaus der Versand, die Ausfuhr, Lagerung, Verwendung, Vernichtung, Veredelung, Umwandlung und sonstige Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren in einem Verbrauchsteuerverfahren, sowie die Herstellung und Ausfuhr von Waren, für die ein Erlass, eine Erstattung oder Vergütung von Verbrauchsteuer beansprucht wird.
c) Nachschau
Im Rahmen der Steueraufsicht sind die beauftragten Amtsträger berechtigt, eine Nachschau durchzuführen. Dabei dürfen Grundstücke und Räume von Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausüben und denen ein der Steueraufsicht unterliegender Sachverhalt zuzurechnen ist, während der Geschäfts- und Arbeitszeiten betreten werden, um Prüfungen vorzunehmen oder sonst Feststellungen zu treffen, die für die Besteuerung erheblich sein können (§ 210 Abs. 1 AO). Die richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung im Rahmen einer verbrauchsteuerrechtlichen Verdachtsnachschau setzt allerdings voraus, dass konkrete, auf die zu durchsuchenden Räumlichkeiten bezogene Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen Verstoß gegen Vorschriften oder Anordnungen hindeuten, deren Einhaltung durch die Steueraufsicht gesichert werden soll. Ein bloßer, auf allgemeinen Erfahrungen der Behörde beruhender Verdacht reicht nicht aus.
Bei Personen, denen ein der Steueraufsicht unterliegender Sachverhalt zuzurechnen ist, ist eine Nachschau auch ohne zeitliche Einschränkung zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Schmuggelwaren oder nicht ordnungsgemäß versteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren befinden oder dort sonst gegen Vorschriften oder Anordnungen verstoßen wird, deren Einhaltung durch die Steueraufsicht gesichert werden soll (§ 210 Abs. 2 AO). In diesen Fällen ist bei Gefahr im Verzug eine Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen auch ohne richterliche Anordnung zulässig.
Im Rahmen der Steueraufsicht dürfen die beauftragten Amtsträger im Rahmen von zeitlich und örtlich begrenzten Kontrollen Schiffe und andere Fahrzeuge, die nach ihrer äußeren Erscheinung gewerblichen Zwecken dienen, anhalten. Die von der Steueraufsicht Betroffenen haben sich auszuweisen und Auskunft über die mitgeführten Waren zu geben und insbesondere Beförderungspapiere vorzulegen. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren mitgeführt werden, können die mitgeführten Waren überprüft und alle steuerrelevanten Feststellungen getroffen werden. Betroffene müssen die Herkunft der verbrauchsteuerpflichtigen Waren angeben, die Entnahme von unentgeltlichen Proben dulden und die bei Durchführung der Steueraufsicht ggf. erforderliche Hilfe leisten.
Von der Steueraufsicht kann auch ohne vorherige Prüfungsanordnung (§ 196 AO) und ohne zeitlichen Verzug zu einer Außenprüfung nach § 193 AO übergegangen werden. Hierauf ist allerdings schriftlich hinzuweisen (§ 210 Abs. 4 AO).
d) Pflichten des von der Steueraufsicht Betroffenen
Die von einer Maßnahme der Steueraufsicht Betroffenen haben nach § 211 AO erhöhte Mitwirkungspflichten. Sie haben auf Verlangen Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden über die der Steueraufsicht unterliegenden Sachverhalte und über den Bezug und den Absatz verbrauchsteuerpflichtiger Waren vorzulegen, Auskünfte zu erteilen und die zur Durchführung der Steueraufsicht sonst erforderlichen Hilfsdienste zu leisten. Zudem sind ein zur Durchführung der Nachschau geeigneter Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Vorkehrungen, die die Ausübung der Steueraufsicht hindern oder erschweren, sind unzulässig. Nach § 212 AO kann das BMF durch Rechtsverordnung darüber hinausgehende Regelungen zur näheren Bestimmung der im Rahmen der Steueraufsicht zu erfüllenden Pflichten treffen. Die Bestellung eines Beauftragten bedarf der Zustimmung der Finanzbehörde (§ 214 AO).
e) Besondere Aufsichtsmaßnahmen und Steuerhilfspersonen
Nach § 213 AO dürfen Betriebe oder Unternehmen, deren Inhaber oder deren leitende Angehörige wegen Steuerhinterziehung, versuchter Steuerhinterziehung oder wegen der Teilnahme an einer solchen Tat rechtskräftig bestraft worden sind, besonderen Aufsichtsmaßnahmen unterworfen werden, wenn dies zur Gewährleistung einer wirksamen Steueraufsicht erforderlich ist. Die mit den besonderen Aufsichtsmaßnahmen verbunden Kosten haben die Betroffenen zu tragen.
Zur Feststellung von zoll- oder verbrauchsteuerrechtlich relevanter Tatsachen kann die Finanzbehörde im Rahmen der Steueraufsicht Dritte als Steuerhilfspersonen bestellen, wenn diese Personen vom Ergebnis der Feststellung nicht selbst betroffen werden (§ 217 AO).
f) Sicherstellung und Überführung des Eigentums
Im Rahmen der Steueraufsicht können die Finanzbehörden nach § 215 AO – über die strafrechtlichen Regelungen über die Beschlagnahme und Einziehung hinaus – verbrauchsteuer- oder zollpflichtige Waren und andere Gegenstände (Umschließungen entsprechender Waren und Geräte zur Herstellung verbrauchsteuerpflichtiger Waren) durch Wegnahme, Anbringen eines Siegels oder durch ein Verfügungsverbot sicherstellen. Die Sicherstellung ist auch zulässig, wenn die Sachen nach der Beschlagnahme in einem Strafverfahren der Finanzbehörde zur Verfügung gestellt worden sind. Über die Sicherstellung ist eine Niederschrift aufzunehmen. Die Sicherstellung ist den betroffenen Personen (Eigentümer, Besitzer) mitzuteilen, soweit sie bekannt sind.
Nach § 215 AO sichergestellte Sachen sind gem. § 216 AO in das Eigentum des Bundes zu überzuführen, es sei denn, sie wurden im Steuerstrafverfahren nach § 375 Abs. 2 AO eingezogen. Die Überführung ist den betroffenen Personen mitzuteilen; diese Mitteilung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Der Eigentumsübergang wird mit Eintritt der Unanfechtbarkeit dieses Verwaltungsakts wirksam.
Rechte Dritter an einer sichergestellten Sache bleiben bestehen. Jedoch kann das Erlöschen dieser Rechte angeordnet werden, wenn der Dritte leichtfertig dazu beigetragen hat, dass die fragliche Sache sichergestellt wurde oder er sein Recht an der Sache in Kenntnis der Umstände erwarb, welche die Sicherstellung veranlasst haben (§ 216 Abs. 3 AO).
Sichergestellte Sachen können vorab veräußert werden, wenn ihr Verderb oder eine wesentliche Minderung ihres Werts droht oder ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßig großen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist (§ 216 Abs. 4 AO). In diesem Fall tritt der Erlös an die Stelle der sichergestellten Sachen.
Sichergestellte oder bereits in das Eigentum des Bundes überführte Sachen sind allerdings zurückzugeben, wenn die für die Sicherstellung maßgeblichen Umstände dem Eigentümer nicht zuzurechnen sind oder wenn die Überführung in das Eigentum des Bundes als eine unbillige Härte für die Betroffenen erscheint (§ 216 Abs. 5 AO). Gutgläubige Dritte, deren Rechte durch die Überführung in das Eigentum des Bundes erloschen oder beeinträchtigt sind, werden aus dem Erlös der Sachen angemessen entschädigt.
5. Teil: Erhebungsverfahren
I. Verwirklichung, Fälligkeit und Erlöschen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
Tz. 238 Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
a) Grundlagen des Erhebungsverfahrens
Gem. § 218 Abs. 1 Satz 1 AO sind Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO)
Steuerbescheide,
Steuervergütungsbescheide,
Haftungsbescheide und
Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden.
Durch die genannten Verwaltungsakte wird der zunächst abstrakte Anspruch konkretisiert und damit realisierbar. Keiner Konkretisierung durch eine Festsetzung bedürfen allerdings Säumniszuschläge, hier genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands des § 240 AO, d. h. die Nichtzahlung bei Fälligkeit. Der Verwaltungsakt legt – solange er besteht – fest, ob und in welcher Höhe ein Anspruch durchgesetzt werden kann. Dies gilt auch für materiell-rechtlich unrichtige Verwaltungsakte.
Der Steuerbescheid ist seinem Wesen nach ein rechtsfeststellender (deklaratorischer) Verwaltungsakt, der gegenüber dem Steuerschuldner die nach den Steuergesetzen entstandene Steuerschuld betragsmäßig konkretisiert. Er kann jedoch auch rechtsbegründend (konstitutiv) wirken, soweit er eine höhere als die tatsächlich kraft Gesetzes entstandene Steuerschuld festsetzt. Konstitutiv wirkt auch ein Verwaltungsakt, wenn es sich um steuerliche Nebenleistungen handelt, deren Festsetzung in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist, wie z. B. beim Verspätungszuschlag (§ 152 AO).
b) Streitigkeiten über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
Nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch einen Verwaltungsakt, der in Anlehnung an die frühere Regelung in § 125 der RAO allgemein als Abrechnungsbescheid bezeichnet wird. Danach erfolgt die Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis rechtlich grds. in zwei Stufen: Der abstrakte, durch Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands entstehende Anspruch wird als erste Stufe regelmäßig durch Verwaltungsakt festgesetzt, während die Erfüllung dieses Anspruchs, d. h. seine Verwirklichung sodann auf der zweiten Stufe den Gegenstand des Erhebungsverfahrens bildet. Kommt es dabei auf der zweiten Stufe zu Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche betreffen, entscheidet darüber nach der ausdrücklichen Anordnung des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt. Der danach zu erteilende Verwaltungsakt ergeht dementsprechend erst im Anschluss an das Festsetzungsverfahren im Erhebungsverfahren (5. Teil der AO), das zur Realisierung des festgesetzten Anspruchs führt. Abrechnungsbescheide entscheiden damit – wie der Zusammenhang zwischen § 218 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO verdeutlicht – nicht wie Steuerbescheide, Haftungsbescheide und Festsetzungen von steuerlichen Nebenleistungen über die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Grund und Höhe und nicht über die Rechtmäßigkeit der zur Verwirklichung ergangenen Festsetzungen, sondern nur über solche Streitigkeiten, die erst bei Verwirklichung der durch die Festsetzung konkretisierten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen. Der Abrechnungsbescheid hat danach nur die für die Beteiligten verbindliche Feststellung zum Inhalt, ob und inwieweit der festgesetzte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verwirklicht (= erfüllt) oder noch zu verwirklichen ist; d. h. er entscheidet darüber, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung durch Zahlung, Aufrechnung, Verrechnung, Erlass, Eintritt der Zahlungsverjährung oder ob eine Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht oder infolge von Vollstreckungsmaßnahmen erloschen ist.
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Abrechnungsbescheide nur über die Verwirklichung festgesetzter Ansprüche entscheiden, gilt bei einem Streit über die Frage, ob Säumniszuschläge angefordert werden können. Die Rechtsprechung lässt es bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zu, dass das Finanzamt in dem Abrechnungsbescheid nicht nur über den Fortbestand der Zahlungsverpflichtung – z. B. nach zwischenzeitlicher Zahlung durch den Steuerpflichtigen oder Aufrechnung –, sondern auch darüber entscheidet, ob Säumniszuschläge überhaupt und ggf. in welcher Höhe entstanden sind. Diese Ausnahme für die Säumniszuschläge gilt deshalb, weil nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO zur Verwirklichung des Anspruchs eine Festsetzung nicht notwendig ist, sondern die Tatbestandsverwirklichung des § 240 AO genügt. Aus der Formulierung des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche i. S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO betreffen, durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat, ist zu entnehmen, dass dieser Verwaltungsakt nicht nur auf eine Aussage über die Abrechnung, d. h. über die Verwirklichung von Erlöschensgründen beschränkt sein muss, sondern auch eine sonstige Regelung i. S. des § 118 Abs. 1 AO enthalten kann. Der Abrechnungsbescheid erlangt danach für Säumniszuschläge eine doppelte Funktion: Er hat die Wirkung einer Festsetzung und dokumentiert damit die Anspruchsentstehung i. S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz i. V. mit § 240 AO und er enthält gleichzeitig eine Entscheidung über die Verwirklichung, d. h. über die Erlöschensgründe des Anspruchs.
c) Verhältnis zur Anrechnungsverfügung
Die mit einer Steuerfestsetzung verbundene Verfügung über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen ist ein eigenständiger Verwaltungsakt, für den Bestandskraft eintritt und der nur unter den Voraussetzungen der §§ 129–131 AO geändert werden kann. Die Anrechnungsverfügung entfaltet gegenüber einem späteren Abrechnungsbescheid i. S. des § 218 Abs. 2 AO Bindungswirkung. Diese Bindungswirkung muss deshalb beim Erlass eines Abrechnungsbescheids beachtet werden. Im Rahmen eines Abrechnungsbescheids kann die Steueranrechnung nur dann geändert werden, wenn die Vorschriften der §§ 129–131 AO dies zulassen. Die Änderung bzw. Berichtigung einer Anrechnungsverfügung ist, abgesehen von der in § 130 Abs. 3 AO vorgesehenen Frist, ohne Bindung an eine Verjährungsfrist möglich (vgl. , BStBl II 2001 S. 133).
Gegen eine Anrechnungsverfügung, die zusammen mit einer Steuerfestsetzung ergeht, ist der Einspruch gegeben, da es sich um einen Verwaltungsakt im Erhebungsverfahren handelt. Allerdings hat die Erteilung eines Abrechnungsbescheids Vorrang gegenüber der Durchführung eines Einspruchsverfahrens gegen eine Anrechnungsverfügung. Als gesetzlich geregeltes spezielles Verfahren dient der Erlass eines Abrechnungsbescheids dazu, über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, endgültig zu entscheiden.
d) Verfahren
Für die Erteilung eines Abrechnungsbescheids bedarf es keines Antrages des Steuerpflichtigen; denn der Gesetzgeber hat bei Einführung des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO – anders als bei der Vorgängernorm des § 125 RAO – auf das Antragserfordernis verzichtet. Die Finanzbehörde kann damit auch von sich aus einen Streit über die Verwirklichung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Abrechnungsbescheid beenden, ohne dass es hierzu konkreter Angaben des Steuerpflichtigen bedürfte.
Der Anspruch auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entfällt allerdings bei missbräuchlicher Antragstellung des Steuerpflichtigen. Missbrauch ist z. B. anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige bei einem übersichtlichen Sachverhalt selbst dann, wenn Entstehung und Fortbestehen des Säumniszuschlags aufgrund einer Mahnung oder Kassenmitteilung des Finanzamts leicht und einwandfrei nachvollziehbar sind, einen Bescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO verlangt.
Als Rechtsbehelf gegen den Abrechungsbescheid ist der Einspruch (§ 347 AO) gegeben. Die Korrekturmöglichkeiten richten sich nach den §§ 129–131 AO.
Tz. 239 Zahlungsaufforderung bei Haftungsbescheiden
Beim Thema „Haftung” ist zu unterscheiden zwischen
der gesetzlichen Entstehung der Haftungsschuld (z. B. §§ 69 ff. AO),
dem Erlass des Haftungsbescheids (§ 191 AO) und
der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners durch Zahlungsaufforderung.
§ 219 AO regelt nur die Zahlungsaufforderung. Die Zahlungsaufforderung bei Haftungsbescheiden ist mit dem Leistungsgebot i. S. des § 254 Abs. 1 AO identisch. Die Regelung ist Ausdruck des Grundsatzes, dass der Haftungsschuldner nur nach dem Steuerschuldner (subsidiär) für die Steuerschuld einzustehen hat. Danach darf ein Haftungsschuldner, sofern nichts anderes bestimmt ist, auf Zahlung grds. nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde (§ 219 Satz1 AO). Der Erlass des Haftungsbescheids selbst wird durch diese Einschränkung jedoch nicht gehindert. Allerdings darf eine Verbindung von Haftungsbescheid und Zahlungsaufforderung nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 219 AO vorliegen.
Die Einschränkung des § 219 Satz 1 AO gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten (§ 219 Satz 2 AO). Aber auch in diesen Fällen, in denen das Gesetz eine unmittelbare Inanspruchnahme des Haftungsschuldners erlaubt, kann es der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) entsprechen, sich zunächst an den Steuerschuldner zu halten.
Die Zahlungsaufforderung ist mit dem Einspruch (§ 347 AO) anfechtbar.
Zum Eintritt der Fälligkeit einer Haftungsschuld s. Tz. 240.
Tz. 240 Fälligkeit
Mit Fälligkeit wird der Zeitpunkt bezeichnet, von dem ab ein Gläubiger einen Anspruch geltend machen kann und der Schuldner ihn erfüllen muss. Wann Ansprüche im Steuerrecht fällig werden, beantwortet § 220 AO. Die Vorschrift verzichtet aber auf eine ins Einzelne gehende Regelung der Fälligkeit.
§ 220 Abs. 1 AO verweist vorrangig auf die Regelungen der jeweiligen Einzelsteuergesetze. Die Fälligkeit von Vorauszahlungen oder Zahlungen aufgrund von Anmeldungen oder Voranmeldungen ist grds. an im Gesetz fix geregelte Termine gebunden (z. B. § 37 Abs. 1 EStG, § 19 Abs. 1 GewStG, § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Im Gegensatz dazu tritt die Fälligkeit bei Nachzahlungen des Steuerpflichtigen aufgrund von Steuerbescheiden oder Steueranmeldungen einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids bzw. Abgabe der Steueranmeldung ein (z. B. § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG, § 20 Abs. 2 GewStG, § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG).
Die Fälligkeit richtet sich nach § 220 Abs. 2 AO, wenn es an solchen speziellen Regelungen fehlt. Danach werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Anlehnung an die Regelungen des BGB mit ihrer Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem Leistungsgebot – wie allgemein üblich – eine Zahlungsfrist eingeräumt worden ist. Ergibt sich der Zahlungsanspruch aus einer Festsetzung, tritt die Fälligkeit jedoch nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung ein. Danach ist eine angemeldete Steuervergütung bzw. ein angemeldetes Mindersoll erst fällig, sobald dem Steuerpflichtigen die Zustimmung der Finanzbehörde bekannt wird. Wird der Steuerpflichtige schriftlich bzw. elektronisch über die Zustimmung unterrichtet (z. B. zusammen mit einer Abrechnungsmitteilung), ist grds. davon auszugehen, dass ihm die Zustimmung erst am dritten Tage nach Aufgabe zur Post bzw. nach der Absendung bekannt geworden ist. Ergeht keine Mitteilung, wird die Zustimmung dem Steuerpflichtigen grds. mit der Zahlung (§ 224 Abs. 3 AO) der Steuervergütung bzw. des Mindersolls bekannt (vgl. AEAO zu § 220).
Auch der Eintritt der Fälligkeit einer Haftungsschuld richtet sich nach § 220 Abs. 2 AO, da eine besondere gesetzliche Fälligkeitsbestimmung für Haftungsschulden fehlt. Im Regelfall erlässt das Finanzamt mit der Festsetzung der Haftungsschuld im Haftungsbescheid zugleich eine Zahlungsaufforderung (Leistungsgebot), so dass die Haftungsschuld nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO mit Ablauf der Zahlungsfrist fällig wird. Enthält der Haftungsbescheid allerdings kein Leistungsgebot, tritt die Fälligkeit nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO mit Bekanntgabe des Haftungsbescheids ein.
Die Fälligkeit kann durch Stundung (§ 222 AO) und Zahlungsaufschub (§ 223 AO) hinausgeschoben werden. Hingegen schiebt nach Auffassung der Rechtsprechung (vgl. , BStBl 1996 II S. 55) die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) die Fälligkeit nicht hinaus, sondern beseitigt nur die Wirkungen der Fälligkeit, d. h. es entstehen keine Säumniszuschläge (§ 240 AO) und eine Aufrechnung ist ausgeschlossen (§ 226 AO). Ein mitgeteilter Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO (vgl. , BStBl 1991 II S. 864) und eine bekannt gegebene Niederschlagung nach § 261 AO haben keinen Einfluss auf die Fälligkeit.
Tz. 241 Abweichende Fälligkeitsbestimmung
a) Vorverlegung der Fälligkeit bei mehrfach verspäteter Entrichtung
Hat ein Steuerpflichtiger eine Verbrauchsteuer oder die Umsatzsteuer mehrfach nicht rechtzeitig entrichtet, kann die Finanzbehörde verlangen, dass die Steuer jeweils zu einem von der Finanzbehörde zu bestimmenden, vor der gesetzlichen Fälligkeit, aber nach Entstehung der Steuer liegenden Zeitpunkt entrichtet wird. Diese Vorverlegung der Fälligkeit ist jedoch nur zulässig, wenn sie dem Steuerpflichtigen für den Fall erneuter nicht rechtzeitiger Entrichtung angekündigt worden ist (§ 221 Satz 3 AO).
b) Vorverlegung der Fälligkeit oder Sicherheitsleistung bei Gefährdung des Steuereingangs
Die Fälligkeit kann ebenso vorverlegt werden, wenn die Annahme begründet ist, dass der Eingang einer Verbrauchsteuer oder der Umsatzsteuer gefährdet ist.
An Stelle der Vorverlegung der Fälligkeit kann in diesen Fällen auch Sicherheitsleistung verlangt werden. Der Wortlaut des § 221 Satz 2 AO lässt allerdings nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Finanzamt eine Sicherheit auch für eine erst künftig entstehende Umsatzsteuerschuld verlangen darf. Der BFH hat die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden. Im Schrifttum wird sowohl die Ansicht vertreten, dass die Finanzbehörde die Sicherheitsleistung auch schon vor Entstehung des Steueranspruchs verlangen dürfe, weil § 221 Satz 2 zweiter Halbsatz AO die Sicherheitsleistung als eigenständige, von der Vorverlegung der Fälligkeit abhängige Rechtsfolge anordne. Demgegenüber meinen andere, eine Sicherheitsleistung für gefährdete Steuern dürfe erst ab Entstehung des Steueranspruchs gefordert werden, weil sich § 221 Satz 2 AO insgesamt auf die Voraussetzungen des Satzes 1 beziehe, der von der Entstehung des Steueranspruchs ausgehe (vgl. , BStBl 1987 II S. 830).
Tz. 242 Stundung
a) Allgemeines
Die Stundung ist eine Billigkeitsmaßnahme, die es den Finanzbehörden ermöglicht, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) die gesetzlich festgelegte Fälligkeit eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis hinauszuschieben. Die Stundung bewirkt, dass in der betreffenden Zeit keine Säumniszuschläge (§ 240 AO) entstehen, ferner wird insoweit gem. § 231 Abs. 1 AO die Zahlungsverjährung unterbrochen
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind in § 37 Abs. 1 AO abschließend aufgezählt (s. Tz. 49). Der Anspruch auf Abführung der für Rechnung Dritter einbehaltenen Abzugsteuern fällt mangels Erwähnung nicht darunter.
Neben § 222 AO finden sich spezielle Stundungsvorschriften in den Einzelsteuergesetzen, z. B. § 28 ErbStG.
b) Ausschluss der Stundung
Gem. § 222 Satz 3 AO können Steueransprüche gegen den Steuerschuldner nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Eine Stundung im Verhältnis zum Entrichtungspflichtigen ist ohnehin schon nach § 222 Satz 1 AO unzulässig, denn es handelt sich beim Anspruch auf Abführung der für Rechnung Dritter einbehaltenen Abzugsteuern weder um einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch ist der Entrichtungspflichtige Schuldner. Es wäre auch nicht folgerichtig, dem Steuerschuldner gegenüber eine Stundung trotz erheblicher Härte zu versagen, sie aber demjenigen gegenüber ggf. auszusprechen, für den die einbehaltene Steuer nur fremdes Vermögen darstellt.
Gem. § 222 Satz 4 AO ist die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ausgeschlossen, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat. Steuerabzugsbeträge (z. B. die einbehaltene Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) können hiernach weder zugunsten des Steuerschuldners noch zugunsten des Entrichtungspflichtigen gestundet werden. Dies gilt auch, wenn ansonsten die Voraussetzungen für eine Verrechnungsstundung vorliegen (vgl. zur Kapitalertragsteuer , BStBl 1999 II S. 3, und v. - I R 107/98, BStBl 2001 II S. 742).
Für den Bereich der Lohnsteuer bedeutet die Vorschrift des § 222 Satz 3 AO, dass eine Stundung des Steuerabzugsbetrags für den Arbeitnehmer im Interesse der Funktionsfähigkeit des Abzugsverfahrensverfahrens nicht in Betracht kommt. Für den Arbeitgeber bleibt die Stundung – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 222 AO – nur möglich, wenn er selbst Schuldner der Lohnsteuer ist, wie bei der Pauschalierung der Lohnsteuer, oder wenn er im Haftungswege für nicht einbehaltene Lohnsteuer in Anspruch genommen wird und er die Steuerzahlung aus seinem eigenen Vermögen zu leisten hat. Hat der Entrichtungspflichtige Steuerabzugsbeträge allerdings schon einbehalten, z. B. den Nettolohn ausgezahlt, oder Beträge, die eine Steuer enthalten (Versicherungsteuer), bereits eingenommen, ist insoweit die Stundung ebenfalls ausgeschlossen (§ 222 Satz 4 AO).
c) Voraussetzungen der Stundung
Voraussetzung für eine Stundung nach § 222 AO ist, dass
die Einziehung bei Fälligkeit für den Schuldner eine erhebliche Härte bedeuten würde und
der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.
I. d. R. soll die Stundung nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden.
Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Stundung muss der Steuerpflichtige gegenüber seinem Finanzamt nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Dies erfolgt u. a. durch eine vollständige Darlegung der aktuellen und voraussichtlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Zu den zu berücksichtigenden Verhältnissen gehört auch, welche Mittel dem die Stundung beantragenden Steuerpflichtigen zur Verfügung gestanden haben sowie ob der Steuerpflichtige bei der Verwendung diese Mittel seine Pflichten gegenüber der Allgemeinheit angemessen berücksichtigt hat.
Die Einziehung der Steueransprüche bei Fälligkeit muss für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte bedeuten; die mit jeder Steuereinziehung verbundene allgemeine Härte reicht nicht aus. Ob die Einziehung von Steuern eine erhebliche Härte darstellt, muss im Einzelfall durch eine Abwägung zwischen dem Interesse des Steuergläubigers an einer zügigen, vollständigen und gleichmäßigen Steuererhebung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit der Steuerzahlung festgestellt werden. Eine erhebliche Härte kann sich aus sachlichen oder persönlichen Gründen ergeben.
Sachliche Gründe liegen vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Zahlung der Steuern objektiv unzumutbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn abgesehen werden kann, dass der zu zahlende Betrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald wieder zu erstatten sein wird (, BStBl 1982 II S. 307) oder wenn dem Anspruch des Finanzamts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze ein Gegenanspruch des Steuerpflichtigen gegenübersteht (vgl. , BStBl 1983 II S. 397). Dies ist die sog. technische Stundung oder Verrechnungsstundung. Ist der Gegenanspruch jedoch vom Ausgang eines Rechtsbehelfsverfahrens abhängig, liegt grds. kein sachlicher Stundungsgrund vor. Auch kann die Stundung von Einkommensteuervorauszahlungen nicht verlangt werden, wenn zur Begründung des Stundungsantrags lediglich vorgebracht wird, dem Steuerpflichtigen stehe ein – vom Finanzamt bisher nicht anerkannter – Vorsteuerüberschuss zu (, BStBl 1985 II S. 449).
Ein sachlicher Stundungsgrund kann neben eigenen Gegenansprüchen auch bei abgetretenen, konkretisierten und unbestrittenen Erstattungsansprüchen Dritter gegeben sein, sofern die Voraussetzungen des § 46 AO erfüllt sind und das Bestehen des durch Abtretung erworbenen Gegenanspruchs geklärt ist. Ansprüche gegen andere Behörden auf Zahlungen nach anderen Gesetzen als Steuergesetzen rechtfertigen keine sachliche Stundung; für besonders gelagerte Ausnahmefälle s. , BStBl 1965 III S. 466.
Eine Stundung aus persönlichen (wirtschaftlichen) Härtegründen setzt sowohl Stundungsbedürftigkeit als auch Stundungswürdigkeit des Antragstellers voraus.
Stundungsbedürftigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige zum Fälligkeitszeitpunkt über die erforderlichen Mittel nicht verfügt und auch nicht in der Lage ist, sich diese Mittel auf zumutbare Weise zu beschaffen (, BStBl 1974 II S. 307). Dabei ist dem Steuerpflichtigen grds. zuzumuten, zur Tilgung von Steuerschulden vorhandene Kreditmöglichkeiten auszuschöpfen und notfalls leicht verkäufliche Vermögensgegenstände (z. B. Wertpapiere) zu veräußern.
Stundungswürdigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige seine mangelnde Leistungsfähigkeit nicht selbst herbeigeführt oder wenn er durch sein Verhalten nicht in eindeutiger Weise gegen die steuerlichen Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat (z. B. Verletzung der steuerlichen Erklärungspflicht, selbstverursachte mangelnde Leistungsfähigkeit wegen anderweitiger nicht unbedingt erforderlicher Mittelverwendung, ungleichmäßige Gläubigerbefriedigung, sog. Selbststundung). Der Steuerpflichtige hat sich rechtzeitig auf die Erfüllung der Steuerschuld einzurichten und die erforderlichen Geldmittel bereitzuhalten. Er muss vorhersehbare Steuerzahlungen bei seinen finanziellen Dispositionen berücksichtigen und ist gehalten, betriebliche und private Investitionen nur in dem Rahmen vorzunehmen, der unter Beachtung der steuerlichen Zahlungspflichten durch Eigenmittel und Kreditaufnahmemöglichkeiten gesetzt ist. Bei der Beurteilung der Stundungswürdigkeit ist das Verschulden eines in steuerlichen Angelegenheiten bestellten Vertreters grds. dem Steuerpflichtigen zuzurechnen. Nicht schon jede in der Vergangenheit einmal vorkommende Säumnis bei Steuerzahlungen führt zur Stundungsunwürdigkeit für alle Zukunft bei späteren Steuerforderungen. Es muss vielmehr eine gewisse zusammenhängende Häufung von Säumnissen vorliegen und die Feststellung hinzukommen, dass sich der Steuerpflichtige um die Abdeckung der Rückstände nicht rechtzeitig bemüht hat.
Eine Anspruchsgefährdung ist anzunehmen, wenn der zu stundende Anspruch zum späteren Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr oder nur mit Schwierigkeiten realisiert werden kann (z. B. bei hohen Rückständen). Die Gefährdung kann sich auch aus der Dauer der Stundung ergeben, so z. B. wenn der Steueranspruch langfristig aus der Vollstreckung genommen werden soll (, BStBl 1988 II S. 514).
Nach § 222 Satz 2 AO soll i. d. R. nur gegen Sicherheitsleistung gestundet werden. Bei ausreichender Sicherheitsleistung wird die Gefährdung des Anspruchs grds. beseitigt. Entgegen den Voraussetzungen bei der Aussetzung der Vollziehung kann eine Sicherheitsleistung aber auch gefordert werden, wenn der Anspruch nicht gefährdet ist (, BStBl 1977 II S. 587). Die Sicherheit soll neben den Steuern auch die Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 4 AO (insbesondere Säumniszuschläge, Zinsen, Kosten der Verwaltung) decken. Art und Verfahren der Sicherheitsleistung regeln §§ 241 ff. AO sowie der AEAO zu §§ 241–248. S. hierzu Tz. 263 ff.
d) Widerruf einer Stundung
Die Stundung als begünstigender Verwaltungsakt kann nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zurückgenommen oder nach § 131 Abs. 2 AO (mit Wirkung für die Zukunft) widerrufen werden. Der Widerruf einer Stundung ist nur bei einem sachlich zu rechtfertigenden Grund zulässig, z. B. wenn sich herausstellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Stundung nicht mehr gegeben sind. Ändert dagegen das Finanzamt nur seine Ansicht über die Zweckmäßigkeit der Stundung oder würdigt es nachträglich den Sachverhalt anders, ohne dass der Steuerpflichtige unzutreffende Angaben gemacht hat, ist ein Widerruf nicht gerechtfertigt. Hat das Finanzamt den Widerruf der Stundung vorbehalten, berechtigt eine Aufrechnungslage zum Widerruf. Die Aufrechnung mit einer gestundeten Steuerforderung setzt jedoch voraus, dass der Aufrechnungserklärung ein wirksamer Widerruf der Stundung vorangegangen ist (, BStBl 1973 II S. 513).
e) Rechtsbehelfe
Der Einspruch ist zulässig. Die Aussetzung der Vollziehung einer Stundungsablehnung ist nicht möglich, weil sie keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt (Nr. 2.3.2 AEAO zu § 361). Dagegen ist der Widerruf einer Stundung vollziehbar (Nr. 2.3.1 AEAO zu § 361).
Tz. 243 Zahlungsaufschub
Die Vorschrift dient ähnlich der Stundung (§ 222 AO) dem Hinausschieben der Fälligkeit (§ 220 AO). So kann bei Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern die Zahlung fälliger Beträge auf Antrag des Steuerschuldners gegen Sicherheitsleistung hinausgeschoben werden, soweit die Steuergesetze dies bestimmen. Der Zahlungsaufschub ist folglich ein Rechtsinstitut des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts. § 223 AO erwähnt dieses Rechtsinstitut, überlässt die Einzelregelungen den Steuergesetzen. Durch die heutzutage auf dem Gebiet der Zölle geltenden Reglungen des Zollkodexes wird die Anwendung des § 223 AO auf Zölle allerdings ausgeschlossen. Dies gilt auch für einen Großteil der Verbrauchsteuern, da die entsprechenden Vorschriften für die Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren auf die Zollvorschriften verweisen.
Tz. 244 Leistungsort, Tag der Zahlung
a) Allgemeines zur Vorschrift
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere mit Zahlung (§ 47 AO). Die Zahlung in diesem Sinn ist ein im Wesentlichen nach privatrechtlichen Vorschriften zu beurteilender Vorgang, der aus öffentlich-rechtlichem Grund und mit öffentlich-rechtlicher Wirkung erfolgt (vgl. , NJW 1984 S. 2114). § 224 AO gibt Antwort auf die Fragen, wo Zahlungen geleistet werden müssen, wie sie geleistet werden können und wann sie als wirksam geleistet gelten. Zahlung i. S. der Vorschrift sind Barzahlungen, Giroüberweisungen und die Einziehung im Lastschriftverkehr sowie die Scheckzahlung.
b) Zahlungen an die zuständige Kasse
Alle Zahlungen an Finanzbehörden sind an die zuständige Kasse zu entrichten. Zuständige Kasse ist die Kasse der zuständigen Finanzbehörde, dabei kann eine Finanzkasse auch für mehrere Finanzämter zuständig sein. Barzahlungen können mit schuldbefreiender Wirkung außerhalb des Kassenraums nur an einem Amtsträger übergeben werden, der zur Annahme von Zahlungsmitteln außerhalb des Kassenraums besonders ermächtigt worden ist und sich hierüber ausweisen kann.
c) Zahlungszeitpunkt bei Zahlungen an die Finanzbehörde
Die Regelungen in § 224 Abs. 2 und 3 AO fingieren einen bestimmten Zahlungszeitpunkt, um die Berechnung von Zinsen und Säumniszuschlägen zu erleichtern. Eine wirksam geleistete Zahlung gilt danach als entrichtet:
bei Übergabe oder Übersendung von (inländischem) Bargeld am Tag des Eingangs,
bei Hingabe oder Übersendung von Schecks drei Tage nach dem Tag des Eingangs,
bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein oder Postanweisung an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird,
bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung am Fälligkeitstag.
Diese Regelungen zum Tag der Zahlung gelten nur bei wirksam geleisteten Zahlungen, d. h. wenn der geleistete Betrag den Empfänger erreicht hat. Während § 224 Abs. 2 Nr. 3 AO sicherstellt, dass Verzögerungen bei der Einziehung aufgrund einer Einzugsermächtigung nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, wird bei Zahlungen nach § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO die Verzögerungsgefahr voll dem Schuldner auferlegt. Hier schützt jedoch § 240 Abs. 3 AO den Schuldner durch seine Schonfrist, wenn dieser die Zahlungsfrist wegen längerer Banklaufzeiten kurzfristig überschreitet.
d) Zahlungszeitpunkt bei Zahlungen durch die Finanzbehörde
Zahlungen der Finanzbehörden müssen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität unbar geleistet werden. Allerdings können das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden für ihre Geschäftsbereiche Ausnahmen zulassen (z. B. für Fälle, in denen der Gläubiger kein Girokonto unterhält).
Als Tag der Zahlung gilt bei Überweisung oder Zahlungsanweisung der dritte Tag nach der Hingabe oder Absendung des Auftrags an das Kreditinstitut oder, wenn der Betrag nicht sofort abgebucht werden soll, der dritte Tag nach der Abbuchung. Auch diese Regelungen gelten nur bei wirksam geleisteten Zahlungen, d. h. wenn der geleistete Betrag den Empfänger auch erreicht hat. Allerdings trägt der Steuerpflichtige die Verlustgefahr für einen Steuererstattungsbetrag, den das Finanzamt auf ein Konto überwiesen hat, das vom Steuerpflichtigen in der Steuererklärung als das seine bezeichnet, von ihm aber schon vorher aufgelöst und von der Bank sodann auf eine andere Person umgeschrieben worden ist.
e) Schließung der Finanzkasse für die Übergabe von Zahlungsmitteln
Auf Grundlage des § 224 Abs. 4 Satz 1 AO sind die Kassen für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung grds. geschlossen worden. Dies diente der Rationalisierung des Kassenwesens. Allerdings gibt es auch noch heute Ausnahmefälle, in denen Barzahlungen akzeptiert werden, z. B. wenn ein Vollstreckungsschuldner in der Finanzbehörde mit Bargeld erscheint.
Nach der Schließung der Finanzkassen für den Barzahlungsverkehr wurde eine Zweiganstalt der Deutschen Bundesbank oder, falls eine solche vor Ort nicht besteht, mindestens ein Kreditinstitut ermächtigt, für die Finanzkasse Zahlungsmitteln gegen Quittung entgegenzunehmen. Die Kosten der Einzahlung, die das ermächtigte Kreditinstitut verlangt, hat der Steuerpflichtige zu tragen. Für den Zeitpunkt der Zahlung des Steuerpflichtigen gilt § 224 Abs. 2 Nr. 1 AO entsprechend.
Tz. 245 Hingabe von Kunstgegenständen an Zahlungs Statt
§ 224a AO hatte bisher nahezu keine praktische Relevanz. Die Vorschrift eröffnet Steuerpflichtigen, die Erbschaft- oder Vermögensteuer schulden, unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, das Eigentum an bestimmten wissenschaftlich oder kulturell bedeutsamen Gütern durch öffentlich-rechtlichen Vertrag an Zahlungs Statt auf das Land zu übertragen.
Durch öffentlich-rechtlichen Vertrag kann zugelassen werden, dass an Zahlungs Statt das Eigentum an Kunstgegenständen, Kunstsammlungen, wissenschaftlichen Sammlungen, Bibliotheken, Handschriften und Archiven dem Land, dem das Steueraufkommen zusteht, übertragen wird, wenn an deren Erwerb wegen ihrer Bedeutung für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft ein öffentliches Interesse besteht. Der Vertrag bedarf der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen. Der Steuerpflichtige hat das Vertragsangebot an die örtlich zuständige Finanzbehörde zu richten; das ist die oberste Finanzbehörde des Landes, dem das Steueraufkommen zusteht. Der Vertrag wird erst mit der Zustimmung der für kulturelle Angelegenheiten zuständigen obersten Landesbehörde wirksam; diese Zustimmung wird von der obersten Finanzbehörde eingeholt. Solange nicht feststeht, ob ein Vertrag zustande kommt, kann der Steueranspruch nach § 222 AO gestundet werden. Kommt ein Vertrag zustande, erlischt die Steuerschuld am Tag der Übertragung des Eigentums, für die Dauer der Stundung ist auf die Erhebung von Stundungszinsen zu verzichten.
Tz. 246 Reihenfolge der Tilgung
Die Festlegung der Tilgungsreihenfolge durch § 225 AO unterscheidet zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Zahlung. Bei freiwilliger Zahlung kann der Steuerpflichtige die Tilgungsreihenfolge bestehender Steuerrückstände bestimmen. Macht er von seinem Bestimmungsrecht keinen Gebrauch, muss sich das Finanzamt an die gesetzliche Tilgungsreihenfolge halten. Wird die Zahlung dagegen unfreiwillig geleistet, d. h. im Vollstreckungswege zwangsweise durchgesetzt, bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung.
In Übereinstimmung mit § 366 Abs. 1 BGB kann der Steuerschuldner gem. § 225 Abs. 1 AO bei freiwilliger Zahlung die Reihenfolge der Tilgung selbst bestimmen. Im Gegensatz zur zivilrechtlichen Regelung des § 367 BGB kann er auch bestimmen, dass die Hauptschulden vor Kosten, Zinsen und anderen Nebenleistungen vorrangig getilgt werden. Das ist für ihn deshalb von Vorteil, weil bei steuerlichen Nebenleistungen weder Zinsen noch Säumniszuschläge anfallen (§ 233 Satz 2, § 240 Abs. 2 AO).
Auch wenn der Steuerpflichtige keine Tilgungsbestimmung trifft, geht § 225 Abs. 2 AO – mit gewissen Ausnahmen – davon aus, dass die Hauptschulden vor den Nebenleistungen getilgt werden. Trifft der Steuerpflichtige keine Bestimmung, wird mit einer freiwilligen Zahlung, die nicht sämtliche Schulden deckt, nach der gesetzlich vorgegebenen Reihenfolge wie folgt getilgt:
Geldbußen,
Zwangsgelder,
Steuerabzugsbeträge,
übrige Steuern,
Kosten,
Verspätungszuschläge,
Zinsen,
Säumniszuschläge.
Innerhalb dieser Reihenfolge sind die einzelnen Schulden nach ihrer Fälligkeit zu ordnen. Bei gleichzeitig fällig gewordenen Beträgen und bei den Säumniszuschlägen bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung.
§ 225 Abs. 3 AO regelt, dass im Falle der zwangsweisen Beitreibung nicht der Schuldner das Bestimmungsrecht hat. Denn im Falle der Vollstreckung erfolgt die Befriedigung des Gläubigers nicht durch Leistung des Schuldners, sondern dadurch, dass sich der Gläubiger selbst im Wege der Zwangsvollstreckung befriedigt. Wird also die Zahlung im Verwaltungswege erzwungen (§ 249 AO) und reicht der verfügbare Betrag nicht zur Tilgung aller Schulden aus, derentwegen die Vollstreckung oder die Verwertung der Sicherheiten erfolgt ist, bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung. Die Befugnis des Finanzamts, die Tilgungsreihenfolge nach billigem Ermessen zu bestimmen, beruht offenbar auf Praktikabilitätserwägungen. Sie ist keine Sanktion dafür, dass der Steuerpflichtige es zum Vollstreckungsverfahren hat kommen lassen, sondern eine Rechtsfolge, die mit der Natur der Befriedigung aus Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zusammenhängt. Der Gesetzeswortlaut trägt dem dadurch Rechnung, dass das Recht des Finanzamts, die Tilgungsreihenfolge zu bestimmen, sich nicht auf alle Zahlungen erstreckt, die nach Einleitung des Vollstreckungsverfahrens eingehen, sondern nur auf solche, die ,,erzwungen'' werden. Namentlich sind dies u. a. Erlöse aus Versteigerungen und freihändigen Verkäufen, Zahlungen von Drittschuldnern, die aufgrund von Einziehungsverfügungen verbunden mit Pfändungsverfügungen geleistet werden. Nicht darunter sollen Zahlungen fallen, die zur Abwendung einer Sachpfändung geleistet werden, wohingegen die ,,Freiwilligkeit'' von Zahlungen, die der Steuerpflichtige zur Abwendung von unmittelbar bevorstehenden Versteigerungen (also nach der Sachpfändung) leistet, umstritten ist.
Tz. 247 Aufrechnung
a) Voraussetzungen der Aufrechnung
Aufrechnung ist die Verrechnung einander gegenüberstehender Forderungen durch einseitige Erklärung eines Beteiligten. Die Aufrechnung bewirkt die gleichzeitige Tilgung beider Forderungen. Die Aufrechnung führt wie Zahlung (§§ 224, 224a, 225 AO), Erlass (§§ 163, 227 AO) und Verjährung (§§ 169-171, §§ 228-232 AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO).
Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten gem. § 226 Abs. 1 AO sinngemäß die Vorschriften des BGB (§§ 387–396 BGB), soweit nichts anderes bestimmt ist. Das Gesetz stellt damit – abgesehen von einigen in § 226 Abs. 2–4 AO geregelten Besonderheiten – den Steuergläubiger und den Steuerpflichtigen hinsichtlich der Aufrechnungsbefugnis, wie die Parteien eines privatrechtlichen Schuldverhältnisses, rechtlich grds. gleich. Nach § 226 Abs. 1 AO i. V. mit § 387 BGB setzt die Aufrechnung neben der
Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der geschuldeten Leistungen
sowie der Erfüllbarkeit der Hauptforderung
die Fälligkeit der Gegenforderung des Aufrechnenden voraus.
Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen spricht man auch von der sog. Aufrechnungslage.
Gleichartigkeit der Forderungen liegt vor, wenn der Gegenstand der Leistung bei beiden Forderungen derselbe ist. Dies setzt jedoch nicht etwa voraus, dass sie die gleiche Steuer betreffen, sondern lediglich, dass beide auf Geld gleicher Währungseinheit lauten. Dabei ist es auch unerheblich, ob der auf Zahlung gerichtete Anspruch privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist (z. B. kann der Steuerpflichtige eine Einkommensteuernachforderung mit einem privatrechtlichen Zahlungsanspruch gegen einen Dritten aufrechnen).
Gegenseitigkeit der Forderungen ist gegeben, wenn der Gläubiger der Gegenforderung gleichzeitig Schuldner der Hauptforderung ist. Auf Seiten der Finanzverwaltung ist Gläubiger/Schuldner grds. die Körperschaft, der die Ertragshoheit zusteht (Art. 106 GG). Die Gegenseitigkeit ist allerdings auch gewahrt, wenn die Abgabe von derselben Körperschaft verwaltet wird (§ 226 Abs. 4 AO). Das Finanzamt kann daher von einem Steuerpflichtigen geforderte Kraftfahrzeugsteuer (dem Land allein zustehende Abgabe) gegen an diesen Steuerpflichtigen zu erstattenden Solidaritätszuschlag (dem Bund allein zustehende Abgabe) aufrechnen. Soweit sich die Aufrechnungslage weder aufgrund der Ertragsberechtigung noch aus § 226 Abs. 4 AO aufgrund der Verwaltungshoheit ergibt, kann in geeigneten Fällen die erforderliche Gegenseitigkeit seitens der Finanzverwaltung dadurch hergestellt werden, dass zwecks Einziehung der zu erhebende (ggf. anteilige) Anspruch an die Körperschaft, die den anderen Anspruch zu erfüllen hat, abgetreten und damit die Gläubiger-/Schuldneridentität i. S. des § 226 Abs. 1 AO herbeigeführt wird (vgl. , BStBl 1989 II S. 1004). Die Gegenseitigkeit bezieht sich nicht auf das Erfordernis der Kassenidentität gem. § 395 BGB. Bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen findet § 395 BGB keine Anwendung.
Erfüllbarkeit der Hauptforderung liegt vor, wenn die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll, entstanden ist. Denn erst wenn eine Schuld entstanden ist, lässt sich davon sprechen, dass dem Aufrechnenden eine Leistung ,„obliegt”. Sie muss aber noch nicht fällig sein.
Von Fälligkeit der Gegenforderung spricht man, wenn der Aufrechnende im Zeitpunkt der Aufrechnung die Zahlung verlangen kann. Der Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen richtet sich nach den Einzelsteuergesetzen (§ 220 AO), der Zeitpunkt der Fälligkeit von privatrechtlichen Forderungen nach dem BGB (§ 271 BGB). Bei Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen muss darüber hinaus die Gegenforderung unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sein (§ 226 Abs. 3 AO). Das Finanzamt ist an der Aufrechnung gehindert, wenn die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung durch Aussetzung der Vollziehung oder Stundung ausgeschlossen ist.
Mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis kann nicht aufgerechnet werden, wenn sie durch Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist erloschen sind (§ 226 Abs. 2 AO). Dagegen kann mit verjährten privatrechtlichen Forderungen aufgerechnet werden, wenn die Forderung in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte (§ 215 BGB).
b) Aufrechnungserklärung
Die Aufrechnung erfolgt durch eine einseitige Erklärung des Aufrechnenden gegenüber dem anderen Teil (§ 388 Abs. 1 BGB). Für die Aufrechnungserklärung ist keine besondere Form vorgeschrieben; sie kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige – dem Erklärungsempfänger erkennbare – Handlung erfolgen. In der Praxis werden jedoch Steuerpflichtige sowie Finanzbehörde die Aufrechnung regelmäßig schriftlich erklären. Da die Aufrechnungserklärung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, die ohne Zutun des Erklärungsempfängers rechtsgestaltend auf dessen Rechtsstellung einwirkt, muss sich der Wille zur Tilgung und Verrechnung klar und unzweideutig aus der Aufrechnungserklärung ergeben. Bestehen mehrere Forderungen, führt die Nichtbenennung der Gegenforderung nicht zur Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung, wie sich aus § 396 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt. Es genügt, wenn die Gegenforderung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung konkretisiert wird (, BStBl 1984 II S. 184).
Für die Erklärung der Aufrechnung ist grds. die Behörde zuständig, die den Anspruch, gegen den aufgerechnet werden soll, zu erfüllen hat. Die Aufrechnungserklärung des Finanzamtes mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt.
Bei mehreren zur Aufrechnung geeigneten Forderungen gibt § 396 Abs. 1 Satz 1 BGB dem aufrechnenden Teil die Befugnis, die Forderungen zu bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Das Bestimmungsrecht des Aufrechnenden über die durch Aufrechnung zu tilgenden Forderungen entspricht der Regelung des § 366 Abs. 1 BGB, wonach bei mehreren Schulden und für sämtliche Schulden nicht ausreichender Tilgungsleistung diejenige Schuld getilgt wird, welche der Schuldner bei der Leistung bestimmt. Dieser Rechtsgrundsatz gilt nach § 225 Abs. 1 AO auch bei der freiwilligen Zahlung eines Steuerpflichtigen, der mehrere Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zu erfüllen hat. Es ist deshalb gerechtfertigt, auch bei der Aufrechnung mit und gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dem Aufrechnenden gem. § 226 Abs. 1 AO i. V. mit § 396 Abs. 1 Satz 1 BGB das Bestimmungsrecht hinsichtlich der zu tilgenden Forderungen zuzubilligen.
c) Wirkung der Aufrechnung
Eine Aufrechnung bewirkt nach § 226 Abs. 1 AO i. V. mit § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüberstehen. Dabei ist nicht auf die Festsetzung oder die Fälligkeit eines Steueranspruchs bzw. eines Steuererstattungsanspruchs abzustellen, sondern auf dessen abstrakte materiell-rechtliche Entstehung. Materiell-rechtlich entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bereits mit Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands, z. B. die veranlagte Einkommensteuer bereits mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Auf die Kenntnis des Finanzamts oder des Steuerpflichtigen über Grund und Höhe der abstrakt entstandenen Ansprüche kommt es nicht an.
Das Steuererhebungsverfahren knüpft aber – anders als das Zivilrecht – nicht an die abstrakte Entstehung, sondern an die Konkretisierung des Steueranspruchs bzw. Steuererstattungsanspruchs durch dessen Festsetzung im Steuerbescheid und seine hieran anschließende Fälligkeit an (vgl. § 218 Abs. 1 AO). Deshalb geht die Rückwirkung einer Aufrechnung bei der Berechnung von Zinsen und Säumniszuschlägen nicht über den Zeitpunkt der Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden hinaus (vgl. § 238 Abs. 1 Satz 3 und § 240 Abs. 1 Satz 5 AO). Rechnet das Finanzamt mit einer Steuerforderung gegen eine später als die Steuerforderung fällig gewordene Erstattungsforderung auf, bleiben deshalb Säumniszuschläge hinsichtlich der zur Aufrechnung gestellten Steuerforderung für die Zeit vor der Fälligkeit der Erstattungsforderung bestehen.
d) Verfahren
Bei Streitigkeiten zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem, ob eine Aufrechnungserklärung dem Grunde und / oder der Höhe nach wirksam ist, hat der Steuerpflichtige das Recht, von der Finanzbehörde den Erlass eines Abrechnungsbescheids zu verlangen (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO).
Hat das Finanzamt unzulässigerweise die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt erlassen, ist dieser auf Anfechtung hin aufzuheben. Die Frage der Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Aufrechnungserklärung als solche wird hierdurch aber nicht berührt.
Tz. 248 Erlass
a) Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift
Während § 163 AO die Möglichkeit eröffnet, bereits im Festsetzungsverfahren Steuern aus Billigkeitsgründen niedriger festzusetzen, kann nach § 227 AO eine bereits festgesetzte Steuer erlassen werden. Nach § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder persönlichen (wirtschaftlichen) Gründen unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Es können nur Zahlungsansprüche der Finanzverwaltung gegen den Steuerschuldner erlassen werden. Hierzu zählen:
der Steueranspruch,
der Haftungsanspruch,
der Anspruch auf steuerliche Nebenleistung,
Rückforderungsansprüche für Steuervergütungen und Steuererstattungen.
Hinsichtlich eines Verzichts auf Stundungs- und Aussetzungszinsen beinhalten die Vorschriften der § 234 Abs. 2 AO, § 237 Abs. 4 AO Spezialregelungen.
b) Sachliche Billigkeitsgründe
Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht zu rechtfertigen istund dessen Wertungen zuwiderläuft, wenn also nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führt, und der Gesetzgeber die im Billigkeitsweg zu entscheidende Frage, hätte er sie entschieden, im Sinne der Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Sachliche Billigkeitsmaßnahmen sollen ein vom Gesetz gedecktes, aber vom Gesetzgeber nicht gewolltes Ergebnis vermeiden.
Eine niedrigere Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen setzt voraus, dass die Einziehung der Steuer im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Besteuerung, nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hierzu bedarf es einer Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind. Da die Wertungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestands und bei der Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen sind, kommen als sachliche Billigkeitsgründe nur solche Umstände in Betracht, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestands nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können einen Billigkeitserlass nicht rechtfertigen. Die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden.
Ein Erlass-(Erstattungs-)Antrag wegen sachlicher Unbilligkeit kann nicht allein darauf gestützt werden, dass die bestandskräftige Steuerfestsetzung falsch sei. Vielmehr muss erwartet werden, dass ein Steuerpflichtiger sich gegen unrichtige Steuerfestsetzungen im Rahmen der hierfür gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren zur Wehr setzt. Der Billigkeitserlass (bzw. die Billigkeitserstattung) ist grds. nicht dazu bestimmt, die Folgen schuldhafter Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist auszugleichen. Deshalb wird von der Rechtsprechung des BFH eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren lediglich dann zugelassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. , BStBl 1981 II S. 611, m. w. N.). Mangelnde Zumutbarkeit in diesem Sinn liegt auch dann nicht vor, wenn die Einlegung von Rechtsbehelfen im Hinblick auf eine – später geänderte – höchstrichterliche Rechtsprechung oder wegen entschuldbarer Rechtsunkenntnis unterblieben ist (, BStBl 1988 II S. 512).
Abweichend von dem Grundsatz, dass im Billigkeitsverfahren i. d. R. keine Einwendungen mehr erhoben werden können, die in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen den Steuerbescheid hätten vorgebracht werden müssen, kann die Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben auch im Billigkeitsverfahren geltend gemacht werden (, BStBl 1975 II S. 789). Die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes kann hingegen einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen (BVerfG, Entscheidung v. - 1 BvR 623/86, HFR 1988 S. 177; , BStBl 1995 II S. 8).
Sachliche Billigkeitsgründe können insbesondere gegeben sein,
wenn bei einem eindeutigen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nach § 89 Abs. Satz 1 AO dem Steuerpflichtigen nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) oder durch Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geholfen werden kann (Nr. 1.2 AEAO zu § 89);
wenn ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, soweit dieser Umstand nicht bereits bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt werden konnte;
wenn Nachweise für die Bewilligung einer Steuervergünstigung aufgrund höherer Gewalt verlorengegangen sind (vgl. , BStBl II 1978 S. 169).
Zum Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen s. Nr. 5 AEAO zu § 240.
Zum Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen bei Sanierungsgewinnen s. , BStBl 2003 I S. 240.
c) Persönliche (wirtschaftliche) Billigkeitsgründe
Ein Erlass/eine Erstattung aus persönlichen (wirtschaftlichen) Billigkeitsgründen setzt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit des Betroffenen voraus. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Einziehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unbillig.
Für den Fall, dass die geschuldeten Steuern bereits entrichtet sind, kommt es für die Billigkeitsprüfung auf die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuern an. Für die Erstattung aus Billigkeitsgründen ist sonach erforderlich und ausreichend, dass die Einziehung im Zeitpunkt der Zahlung unbillig war (vgl. , BStBl 1987 II S. 612). Bei der Frage des Erlasses nicht entrichteter Steuern kommt es dagegen auf die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung an.
aa) Erlassbdürftigkeit
Erlassbedürftigkeit liegt vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Die wirtschaftliche und persönliche Existenz eines Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Angehörigen ist gefährdet, wenn durch die Steuererhebung der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. , BStBl 1987 II S. 612). Zum notwendigen Lebensunterhalt gehören die Mittel für Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Behandlung und für die sonst erforderlichen Ausgaben des täglichen Lebens. Auch Unterhaltsleistungen für die mit dem Steuerpflichtigen in Hausgemeinschaft lebenden Angehörigen, soweit sie von ihm unterhalten werden müssen, rechnen dazu.
Für die Frage, ob die Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet ist, spielt außer seinen Einkommensverhältnissen auch seine Vermögenslage eine entscheidende Rolle. Grds. ist der Steuerpflichtige gehalten, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Das gilt allerdings nicht in den Fällen, in denen die Verwertung der Vermögenssubstanz den Ruin des Steuerpflichtigen bedeuten würde. So ist alten, nicht mehr erwerbsfähigen Steuerpflichtigen wenigstens so viel von ihrem Vermögen zu belassen, dass sie damit für den Rest ihres Lebens eine bescheidene Lebensführung bestreiten können (vgl. , BStBl 1981 II S. 726). Bei der Höhe der den Steuerpflichtigen zu belassenden Mittel sind auch die mit dem Steuerpflichtigen in Hausgemeinschaft lebenden Angehörigen zu berücksichtigen, soweit sie vermögenslos und wegen Alters oder Krankheit von der Versorgung durch den Steuerpflichtigen abhängig sind.
Ein Erlass ist nicht gerechtfertigt, wenn die Existenzgefährdung durch andere Maßnahmen, z. B. durch Stundung, beseitigt werden kann (Subsidiarität des Erlasses).
Ein Billigkeitserlass aus persönlichen Billigkeitsgründen kommt grds. nur in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer eine wesentliche Ursache für die Existenzgefährdung darstellen würde. Aus diesen Gründen kann ein Billigkeitserlass nicht gewährt werden, wenn der Steuergläubiger nur einer von mehreren Gläubigern des Steuerpflichtigen und nicht derjenige ist, dessen Forderungen für die wirtschaftliche Notlage des Steuerpflichtigen maßgeblich sind (, BStBl 1972 II S. 649). Ausnahmsweise kann jedoch auch in solchen Fällen ein Erlass gewährt werden, wenn auch die anderen Gläubiger auf Forderungen verzichten und damit zur Rettung der wirtschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen beitragen.
Ein Erlass scheidet aus, wenn die Einziehung der in Frage stehenden Steueransprüche in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen ausgeschlossen ist und der Erlass sich infolgedessen auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen nicht konkret auswirken kann. Lebt der Steuerpflichtige unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen in wirtschaftlichen Verhältnissen, die – weil Einkünfte und Vermögen gering sind und im Übrigen dem Pfändungsschutz unterliegen – eine Durchsetzung der Steueransprüche ausschließen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern, er wäre nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden. Bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit kommt deshalb ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen grds. nicht in Betracht. Ein Erlass kommt des Weiteren nicht in Betracht, wenn er im wirtschaftlichen Ergebnis lediglich dritten Gläubigern des Steuerpflichtigen zugute kommen würde.
In den Fällen, in denen der Erlass der Steuerschulden keine geeignete Maßnahme darstellt, um die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen tatsächlich nachhaltig zu verbessern, verbleibt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, sich mit Maßnahmen des Vollstreckungsschutzes gegen eine die persönliche finanzielle Leistungsfähigkeit überfordernde Inanspruchnahme zur Wehr zu setzen.
bb) Erlasswürdigkeit
Die neben der Erlassbedürftigkeit als Voraussetzung für einen Billigkeitserlass geforderte Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen ist nicht gegeben, wenn dieser die mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat.
So kann z. B. die schuldhafte Herbeiführung einer wirtschaftlichen Notlage (durch zu hohen Verbrauch) einem Erlass entgegenstehen. Die Rechtsprechung lässt allerdings erkennen, dass nicht jeder überhöhte Aufwand zur Erlassunwürdigkeit führen kann. Die Entscheidung hierüber soll vielmehr von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Auch eine grob fahrlässige Vernachlässigung der steuerlichen Verpflichtungen kann die Erlasswürdigkeit ausschließen. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Steuerpflichtige sich überhaupt nicht um die steuerlichen Verpflichtungen, mit denen er nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten rechnen musste, gekümmert und vorhandene Mittel anderweitig verwendet hat.
Erlasswürdigkeit ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige in der Vergangenheit seinen steuerlichen Pflichten insgesamt ordnungsgemäß und gewissenhaft nachgekommen ist und alles unternommen hat, das Entstehen von Steuerrückständen zu verhindern bzw. sie zu vermindern. Bei der Beurteilung der Erlasswürdigkeit ist das Verschulden eines in steuerlichen Angelegenheiten bestellten Vertreters grds. dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.
„Verlorengegangene” Erlasswürdigkeit kann wiederhergestellt werden, wenn der Steuerpflichtige sich über einen längeren Zeitraum nach besten Kräften bemüht hat, sein früheres Fehlverhalten wiedergutzumachen. Wenn z. B. ein wegen Steuerhinterziehung bestrafter Steuerpflichtiger unter Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Mittel alles getan hat, um die Folgen seines steuerunehrlichen Verhaltens zu beseitigen, kann ihm die Erlasswürdigkeit im Allgemeinen nicht abgesprochen werden, wenn sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Bestrafung erheblich verschlechtert haben und der Erlass auch aus diesem Grunde beantragt wird (vgl. , BStBl 1961 III S. 288).
d) Verfahren
Billigkeitsentscheidungen nach § 227 AO können – wie Entscheidungen nach § 163 AO – auch ohne Antrag getroffen werden; in der Praxis wird indessen regelmäßig ein Antrag vorausgesetzt.
Die Billigkeitsentscheidungen sind nach pflichtgemäßem Ermessen der Verwaltungsbehörden zu treffen (§ 5 AO). Billigkeitsmaßnahmen nach §227 AO bewirken einen endgültigen Verzicht, d. h. die Steuerschuld erlischt (§ 47 AO).
Der Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AO) gilt auch im Billigkeitsverfahren nach § 227 AO. Die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde wird jedoch durch die dem Steuerpflichtigen nach § 90 AO auferlegten Mitwirkungspflichten begrenzt. Es obliegt dem Steuerpflichtigen, die Tatsachen, die den beantragten Erlass rechtfertigen sollen, offen zu legen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Tatsachen, aus denen sich eine Erlassbedürftigkeit ergeben soll. Er hat hierzu seine aktuellen Einkommensverhältnisse darzulegen und eine zeitnahe Übersicht über Vermögen und Schulden (mit Bezeichnung der verschiedenen Gläubiger und der einzelnen Gläubigerforderungen) vorzulegen. Kommt der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht nach, gehen Unklarheiten zu seinen Lasten, was zur Ablehnung des Erlassbegehrens führen kann.
Im Rahmen der Billigkeitsprüfung haben die Finanzbehörden auch der Frage nachzugehen, ob dritte Personen für die rückständigen Steuern als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden können. Ein Erlass gegenüber dem Steuerschuldner kann erst in Betracht gezogen werden, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nicht vorliegen.
Ein rechtmäßig gewährter Erlass kann nicht widerrufen werden, da § 131 AO einen Widerruf nur für die Zukunft vorsieht, der erlassene Steueranspruch gem. § 47 AO jedoch erloschen ist. Der einen Erlass aussprechende Verwaltungsakt kann – im Fall der Rechtswidrigkeit – nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zurückgenommen werden.
Gegen die Erlassentscheidungen nach § 227 AO ist der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO statthaft. Die Aussetzung der Vollziehung einer Erlassablehnung ist jedoch nicht möglich, weil sie keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt (vgl. Nr. 2.3.2 AEAO zu § 361).
Tz. 249 Gegenstand der Verjährung, Verjährungsfrist
Die Ansprüche des Staats und des Steuerpflichtigen auf Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung unterliegen der Festsetzungsverjährung (§§ 169–171 AO). Die sich aus den Festsetzungen ergebenden Zahlungsansprüche und die sonstigen im Erhebungsverfahren entstehenden Zahlungsansprüche, unterliegen der Zahlungsverjährung, die in den §§ 228–232 AO geregelt ist. Die Zahlungsverjährung erstreckt sich auch auf Ansprüche des Steuerpflichtigen. Die Unterscheidung zwischen Festsetzungs- und Zahlungsverjährung folgt aus der in der AO praktizierten Trennung zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren. Die Zahlungsverjährung und führt ebenso wie die Festsetzungsverjährung zum Erlöschen der Ansprüche (§§ 47, 232 AO).
Die Verjährungsfrist bei der Zahlungsverjährung beträgt einheitlich fünf Jahre. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187 ff. BGB i. V. mit § 108 AO. Der Beginn der Verjährung ist in § 229 AO, ihre Hemmung und Unterbrechung in den §§ 230 und 231 AO geregelt. Hinsichtlich des Fristendes ist § 108 Abs. 3 AO zu beachten. Wie auch im Festsetzungsverfahren ist der Eintritt der Verjährung ist von Amts wegen zu prüfen, seine Geltendmachung steht nicht zur Disposition der Behörde.
Besteht zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde Streit darüber, ob für einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis die Zahlungsverjährung eingetreten ist, muss dies in einem Abrechnungsverfahren (§ 218 Abs. 2 AO) geklärt werden.
Tz. 250 Beginn der Verjährung
Die Zahlungsverjährung beginnt grds. mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Zur Fälligkeit s. Tz. 240.
Wird durch eine Steueranmeldung oder Steuerfestsetzung erst die Voraussetzung für die Durchsetzung des Anspruchs geschaffen, beginnt die Verjährung auch bei früherer Fälligkeit des Anspruchs (z. B. bei den sog. Fälligkeitssteuern) nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung oder die Festsetzung, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO wirksam geworden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Bescheid angefochten wird oder nicht.
Ist ein Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist (§ 229 Abs. 2 AO).
Tz. 251 Hemmung der Verjährung
Ähnlich wie bei der Festsetzungsverjährung kann auch hier der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt werden. Für die Zahlungsverjährung ist allerdings nur ein einziger Hemmungsgrund anerkannt: höhere Gewalt. Die Zahlungsverjährung ist gehemmt, solange der Anspruch wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist nicht verfolgt werden kann, d. h. wenn sich das betreffende unvermeidbare Vorkommnis entweder innerhalb der letzten sechs Monate der Festsetzungsfrist ereignet hat oder seine Folgen unmittelbar in die letzten sechs Monate des Fristlaufes hineinwirken. Die Festsetzungsfrist verlängert sich dann um den Zeitraum, während dessen die Steuer innerhalb der letzten sechs Monate der Frist wegen des als höhere Gewalt zu qualifizierenden Ereignisses nicht festgesetzt werden konnte, mithin um höchstens sechs Monate.
Unter höherer Gewalt sind alle von außen kommenden Ereignisse zu verstehen, die es bei Anwendung der äußersten den Umständen nach zu erwartenden Sorgfalt nicht zulassen, dass der Anspruch verfolgt wird; z. B. Krieg, Naturkatastrophen und andere unabwendbare Zufälle. Geringstes Verschulden schließt höhere Gewalt aus.
Tz. 252 Unterbrechung der Verjährung
Durch die Unterbrechung einer (Verjährungs-) Frist beginnt diese neu zu laufen. Die Zahlungsverjährung kann durch folgende, in § 231 AO abschließend aufgezählte Handlungen unterbrochen werden:
schriftliche Geltendmachung des Anspruches (hierzu gehört auch die schriftliche bzw. elektronische Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs durch den Steuerpflichtigen),
Zahlungsaufschub,
Stundung,
Aussetzung der Vollziehung,
Aussetzung der Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung,
Sicherheitsleistung,
Vollstreckungsaufschub,
Vollstreckungsmaßnahmen,
Anmeldung im Insolvenzverfahren,
Aufnahme in einen Insolvenzplan oder einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan,
Einbeziehung in ein Verfahren, das die Restschuldbefreiung für den Schuldner zum Ziel hat,
Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen.
Voraussetzung für die verjährungsunterbrechende Wirkung ist, dass die Handlung vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt. Die Unterbrechung hat zur Folge, dass die Verjährungsfrist wieder gänzlich neu und von vorn, also in voller Länge, zu laufen beginnt. Die neue Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung geendet hat. Bezieht sich die Unterbrechungshandlung nur auf einen Teil des Betrags, wirkt die Unterbrechung nur für diesen Teilbetrag.
Das Ende der Unterbrechung wird in § 231 Abs. 2 AO besonders für die Unterbrechungsmaßnahmen geregelt, die auf eine bestimmte Zeitdauer angelegt sind. Die Unterbrechung endet, wenn die einzelnen Maßnahmen ihre Wirkung verlieren. Dies ist z. B. bei Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung, Vollstreckungsaufschub im Zeitpunkt des Ablaufs, der entweder durch Zeitablauf, durch Eintritt einer auflösenden Bedingung oder durch Widerruf oder Rücknahme der jeweiligen Maßnahme eintreten kann. Bei einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit entfällt auch deren Unterbrechungswirkung. Die Verjährungsunterbrechung dauert fort bei Sicherheit, Pfändungspfandrecht, Zwangshypothek oder sonstigen Vorzugsrechten auf Befriedigung, bis die Rechte erloschen sind. Eine Sicherheit erlischt mit Verwertung oder Rückgabe, ein Pfandrecht mit Verwertung des Pfandgegenstands oder Aufhebung des Rechts, eine Zwangshypothek mit Beendigung der Zwangsversteigerung des Grundstücks oder deren Löschung im Grundbuch.
Tz. 253 Wirkung der Verjährung
Durch die Verjährung erlischt der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis; § 232 AO wiederholt insoweit die Regelung des § 47 AO. Die Regelung unterscheidet sich von der zivilrechtlichen Wirkung der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB, die nur die Einrede der Verjährung (Leistungsverweigerungsrecht) vorsieht. Hingegen ist der Eintritt der Verjährung im Steuerrecht von Amts wegen zu prüfen.
Nach § 232 AO erlöschen mit dem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis auch die von ihm abhängenden Zinsen (§§ 233–237 AO). Alle anderen steuerlichen Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO, wie z. B. Säumniszuschläge und Verspätungszuschläge, sind von der Verjährung des „Hauptanspruchs” allerdings nicht betroffen. Für sie laufen selbständige Verjährungsfristen.
Teilzahlungsverjährung ist möglich, z. B. wenn Unterbrechungsmaßnahmen (§ 231 AO) nur einen Teil des Anspruchs betreffen.
II. Verzinsung, Säumniszuschläge
Tz. 254 Verzinsung – Grundsatz
Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen werden nach § 233 Satz 1 AO nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit). Danach kann von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger Staatsleistungen nicht ausgegangen werden; das geltende Recht kennt nur die Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände. Nach § 233 Satz 2 AO sind Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) und die entsprechenden Erstattungsansprüche ausdrücklich von der Verzinsung ausgenommen. Steuerliche Nebenleistungen sind Verspätungszuschläge, Zinsen, Säumniszuschläge, Zwangsgelder und Kosten.
Tz. 255 Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen
a) Allgemeines zur Vollverzinsung
Die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO ergänzt die Zins- und Säumnisregelungen der AO. Sie soll einen Ausgleich für die zeitlich ungleichmäßige Heranziehung zur Steuer schaffen und damit ein Mehr an Steuergerechtigkeit bewirken. Sie betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und der Fälligkeit der Steuernachforderung bzw. der Steuererstattung. Während der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis für alle Steuerpflichtigen kraft Gesetzes zu demselben Zeitpunkt entsteht, tritt die Fälligkeit bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, weil sie eine Konkretisierung des Anspruchs durch einen Steuerbescheid oder durch eine als Steuerfestsetzung wirkende Steueranmeldung voraussetzt.
Zinsen nach § 233a AO sind weder Sanktions- noch Druckmittel oder Strafe, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. Die Verzinsung ist gesetzlich vorgeschrieben; die Zinsfestsetzung steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Die Zinsfestsetzung wird regelmäßig mit dem Steuerbescheid oder der Abrechnungsmitteilung verbunden.
Die Verzinsung ist beschränkt auf die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Von der Verzinsung ausgenommen sind die übrigen Steuern und Abgaben sowie Steuervorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge (§ 233a Abs. 1 AO). Auch bei der Nachforderung von Abzugsteuern gegenüber dem Steuerschuldner, der Festsetzung der vom Arbeitgeber übernommenen Lohnsteuer sowie der Festsetzung der Umsatzsteuer im Abzugsverfahren erfolgt keine Verzinsung nach § 233a AO. Kirchensteuern werden nur verzinst, soweit die Landeskirchensteuergesetze dies vorsehen.
Bei der Verzinsung von Steuernachzahlungen ist der Steuerschuldner auch Zinsschuldner. Schulden mehrere Personen die Steuer als Gesamtschuldner, sind sie auch Gesamtschuldner der Zinsen. Bei der Verzinsung von Erstattungsansprüchen ist grds. der Gläubiger des Erstattungsanspruchs Zinsgläubiger.
b) Zinslauf
Der Zinslauf beginnt im Regelfall 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (Karenzzeit). Er endet mit Ablauf des Tags, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Der Zeitpunkt der Zahlung oder der Fälligkeit der Steuernachforderung oder der Steuererstattung ist grds. unbeachtlich. Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer beträgt die Karenzzeit 21 Monate, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das jeweilige Jahr überwiegen. Vgl. § 233a Abs. 2 AO. Eine über die Karenzzeit hinaus gewährte Frist zur Abgabe der Steuererklärung ist für die Verzinsung unbeachtlich.
Bei Steuerfestsetzungen durch Steuerbescheid endet der Zinslauf am Tag der Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 124 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 122 AO). Bei Umsatzsteuererklärungen mit einem Unterschiedsbetrag zuungunsten des Steuerpflichtigen endet der Zinslauf grds. am Tag des Eingangs der Steueranmeldung (§ 168 Satz 1 AO). Bei zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuererklärungen mit einem Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen endet der Zinslauf grds. mit Ablauf des Tags, an dem dem Steuerpflichtigen die Zustimmung der Finanzbehörde bekannt wird. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Zustimmung allgemein erteilt wird (vgl. AEAO zu § 168).
c) Zinslaufbeginn bei rückwirkenden Ereignissen und Verlustrückträgen
Soweit die Steuerfestsetzung auf der erstmaligen Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses oder eines Verlustrücktrags beruht, beginnt der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist. Die steuerlichen Auswirkungen eines Verlustrücktrags bzw. eines rückwirkenden Ereignisses werden daher bei der Berechnung von Zinsen nach § 233a AO erst ab einem vom Regelfall abweichenden späteren Zinslaufbeginn berücksichtigt. Soweit § 10d Abs. 1 EStG entsprechend gilt bzw. Verluste nach Maßgabe des § 10d Abs. 1 EStG rücktragsfähig sind, ist § 233a Abs. 2a AO entsprechend anzuwenden (vgl. z. B. § 10b Abs. 1 Satz 4 und 5 und § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG). § 233a Abs. 2a AO ist auch dann anzuwenden, wenn ein rückwirkendes Ereignis bereits bei der erstmaligen Steuerfestsetzung berücksichtigt wird.
Ob ein Ereignis steuerliche Rückwirkung hat, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden Steuergesetz. Beispiele finden sich in Nr. 2.4 AEAO zu § 175.
§ 233a Abs. 2a AO ist auch dann anzuwenden, wenn das rückwirkende Ereignis in einem für den Steuerbescheid verbindlichen Grundlagenbescheid berücksichtigt wurde. Im Grundlagenbescheid sind deshalb auch entsprechende Feststellungen über die Auswirkungen eines erstmals berücksichtigten rückwirkenden Ereignisses auf die festgestellten Besteuerungsgrundlagen und den Zeitpunkt des Eintritts des rückwirkenden Ereignisses zu treffen. Wegen weiterer Einzelheiten s. Nr. 74 AEAO zu § 233a.
Kein abweichender Zinslaufbeginn wird ausgelöst durch
den erstmaligen Beschluss über eine offene Gewinnausschüttung für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr (vgl. Nr. 10.3.1 AEAO zu § 233a),
die Korrektur eines für das Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahrs maßgebenden Wertansatzes, der sich auf die Höhe des Gewinns der Folgejahre auswirkt (vgl. Nr. 10.3.2 AEAO zu § 233a).
Der besondere Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO endet mit Ablauf des Tags, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird.
d) Grundsätze der Zinsberechnung
Für die Zinsberechnung gelten die Grundsätze der sog. Sollverzinsung. Berechnungsgrundlage ist der Unterschied zwischen dem festgesetzten Soll und dem vorher festgesetzten Soll (Vorsoll). Bei der Berechnung von Erstattungszinsen gelten allerdings Besonderheiten, wenn Steuerbeträge nicht oder nicht fristgerecht gezahlt wurden (§ 233a Abs. 3 Satz 3 AO). Es ist grds. unerheblich, ob das Vorsoll bei Fälligkeit getilgt worden ist. Ggf. treten insoweit besondere Zins- und Säumnisfolgen (z. B. Stundungszinsen, Säumniszuschläge) ein.
Nachzahlungszinsen nach § 233a AO sind auch dann festzusetzen, wenn das Finanzamt vor Festsetzung der Steuer freiwillige Leistungen auf die Steuerschuld angenommen hat und hierdurch die festgesetzte Steuerschuld insgesamt erfüllt wird. Voraussetzung für die Verzinsung ist lediglich, dass die Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag nach § 233a Abs. 3 führt (§ 233a Abs. 1 Satz 1 AO). Wegen des zeitanteiligen Erlasses von Nachzahlungszinsen in diesen Fällen vgl. Nr. 70 AEAO zu § 233a.
Ist eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht durchzuführen, weil die Voraussetzungen des § 46 EStG (sog. NV-Fälle) nicht erfüllt sind, sind festgesetzte und geleistete Vorauszahlungen zu erstatten. Die Erstattungszinsen sind so zu berechnen, als sei eine Steuerfestsetzung über Null Euro erfolgt. Wird eine Einkommensteuerfestsetzung, die zu einer Erstattung geführt hat, aufgehoben und die Abrechnung geändert, so dass die bisher angerechneten Steuerabzugsbeträge zurückgefordert werden, ist diese Steuernachforderung zu verzinsen. Eine bisher durchgeführte Zinsfestsetzung (Erstattungszinsen) ist nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO zu ändern.
Zur Höhe und Berechnung der Zinsen s. Erläuterungen zu § 238 AO (Tz. 260), zur Festsetzung, insbesondere Rundung von Zinsbeträgen, die Erläuterungen zu § 239 AO (Tz. 261).
Zahlreiche Beispiele zur Zinsberechnung finden sich im umfangreichen AEAO zu § 233a.
e) Zinsen und Säumniszuschläge
Die Erhebung von Säumniszuschlägen (§ 240 AO) bleibt durch die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO unberührt, da die Vollverzinsung nur den Zeitraum bis zur Festsetzung der Steuer betrifft. Sollten sich in Fällen, in denen die Steuerfestsetzung zunächst zugunsten und sodann wieder zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert wird, Überschneidungen ergeben, sind insoweit die Säumniszuschläge zur Hälfte zu erlassen.
f) Überschneidungen mit anderen Zinsarten
Überschneidungen von Stundungszinsen und Nachzahlungszinsen nach § 233a AO können sich ergeben, wenn die Steuerfestsetzung nach Ablauf der Stundung zunächst zugunsten und später wieder zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Zur Vermeidung einer Doppelverzinsung werden Nachzahlungszinsen, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, im Rahmen der Zinsfestsetzung auf Stundungszinsen angerechnet (§ 234 Abs. 3 AO). Erfolgt die Zinsfestsetzung nach § 233a AO aber erst nach Festsetzung der Stundungszinsen, sind Nachzahlungszinsen insoweit nach § 227 AO zu erlassen, als sie für denselben Zeitraum wie die bereits erhobenen Stundungszinsen festgesetzt wurden.
Überschneidungen mit Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) sind möglich, etwa weil der Zinslauf mit Eintritt der Verkürzung und damit vor Festsetzung der Steuer beginnt. Zinsen nach § 233 a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind im Rahmen der Zinsfestsetzung auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen (§ 235 Abs. 4 AO). Dies gilt ungeachtet der unterschiedlichen ertragsteuerlichen Behandlung beider Zinsarten. Zur Berechnung vgl. Nr. 4 des AEAO zu § 235.
Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) werden ab Rechtshängigkeit bzw. ab dem Zahlungstag berechnet. Überschneidungen mit Erstattungszinsen nach § 233a AO sind daher möglich. Zur Vermeidung einer Doppelverzinsung werden Zinsen nach § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, im Rahmen der Zinsfestsetzung auf die Prozesszinsen angerechnet (§ 236 Abs. 4 AO).
Überschneidungen mit Aussetzungszinsen (§ 237 AO) können sich ausnahmsweise ergeben, wenn Aussetzungszinsen erhoben wurden, weil die Anfechtung einer Steuerfestsetzung erfolglos blieb, und die Steuerfestsetzung nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens (s. § 237 Abs. 5 AO) zunächst zugunsten und sodann zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Zur Vermeidung einer Doppelverzinsung werden Nachzahlungszinsen, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, im Rahmen der Zinsfestsetzung auf Aussetzungszinsen angerechnet (§ 237 Abs. 4 i. V. mit § 234 Abs. 3 AO). Wegen weiterer Einzelheiten s. Nr. 68 AEAO zu § 233a.
g) Billigkeitsmaßnahmen
Auch bei Zinsen nach § 233a AO sind Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 und 227 AO möglich, obwohl die Vorschrift keine ausdrückliche Regelung – wie etwa § 234 Abs. 2 AO – enthält. § 163 AO ist anwendbar, da für die Festsetzung von Zinsen nach § 239 Abs. 1 AO die Vorschriften über die Festsetzung von Steuern entsprechend gelten. § 227 AO ist bereits deshalb anwendbar, weil die Zinsen zu den in dieser Vorschrift genannten Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zählen. Das Fehlen einer Regelung i. S. des § 234 Abs. 2 AO bedeutet, dass das Finanzamt grds. zur Festsetzung der nach dem Gesetz entstandenen Zinsen verpflichtet ist.
Billigkeitsmaßnahmen hinsichtlich der Zinsen kommen in Betracht, wenn solche auch hinsichtlich der zugrunde liegenden Steuer zu treffen sind. Daneben sind auch zinsspezifische Billigkeitsmaßnahmen möglich. Beim Erlass von Zinsen nach § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen i. S. der §§ 163, 227 AO ist zu berücksichtigen, dass die Entstehung des Zinsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach gemäß Wortsinn, Zusammenhang und Zweck des Gesetzes, den Liquiditätsvorteil des Steuerschuldners und den Liquiditätsnachteil des Steuergläubigers auszugleichen, eindeutig unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation geregelt ist und, rein objektiv, ergebnisbezogen allein vom Eintritt bestimmter Ereignisse (Fristablauf i. S. des § 233a Abs. 2 oder 2a AO, Unterschiedsbetrag i. S. des § 233a Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 233a Abs. 3 oder 5 AO) abhängt.
Als sachlicher Billigkeitsgrund i. S. der §§ 163, 227 AO reicht daher nicht allein der Umstand aus, dass der Steuerpflichtige auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung keinen Einfluss hatte oder dass eine Verzögerung der Steuerfestsetzung vom Finanzamt zu vertreten ist (vgl. , BStBl 1994 II S. 81). Die Verzinsung ist als Ausgleich für mögliche Zinsvorteile des Schuldners bzw. Zinsnachteile des Gläubigers auch in diesen Fällen gewollt. Die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall sind unbeachtlich. Die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrages reicht aus. Ein Verschulden ist prinzipiell irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses. Es ist unerheblich, ob der – typisierend vom Gesetz unterstellte – Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruht.
Eine gegenüber der Regelung in § 233a AO höhere Festsetzung von Erstattungszinsen aus Billigkeitsgründen ist nicht zulässig.
Zinsen sind auch dann festzusetzen, wenn vor Festsetzung der Steuer freiwillige Leistungen erbracht werden. Nachzahlungszinsen sind aber aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das Finanzamt diese Leistungen angenommen und behalten hat. Nachzahlungszinsen sind daher nur für den Zeitraum bis zum Eingang der freiwilligen Leistung zu erheben. Wurde die freiwillige Leistung erst nach Beginn des Zinslaufs erbracht oder war sie geringer als der zu verzinsende Unterschiedsbetrag, sind Nachzahlungszinsen aus Vereinfachungsgründen insoweit zu erlassen, wie die auf volle 50 € abgerundete freiwillige Leistung für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung erbracht worden ist (fiktive Erstattungszinsen). Ein Zinserlass scheidet dabei aus, wenn der zu erlassende Betrag weniger als 10 € beträgt (§ 239 Abs. 2 Satz 2 AO). Sofern sich bei der Abrechnung der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung der freiwilligen Leistungen eine Rückzahlung ergibt, sind hierfür keine Erstattungszinsen festzusetzen.
Weitere Beispiele zur Gewährung und Versagung von Billigkeitsmaßnahmen bei der Zinsfestsetzung enthält die Nr. 70.2 f. AEAO zu §233a.
h) Rechtsbehelfe
Gegen die Zinsfestsetzung ist der Einspruch (§ 347 AO) gegeben. Einwendungen gegen die zugrunde liegende Steuerfestsetzung oder Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Körperschaftsteuer können jedoch nicht mit dem Einspruch gegen den Zinsbescheid geltend gemacht werden. Wird die Steuerfestsetzung oder die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Körperschaftsteuer geändert, sind etwaige Folgerungen für die Zinsfestsetzung nach 233a Abs. 5 AO zu ziehen. Wird der Zinsbescheid als solcher angefochten, kommt unter den Voraussetzungen des § 361 bzw. des § 69 FGO die Aussetzung der Vollziehung in Betracht. Soweit die Vollziehung des zugrunde liegenden Steuerbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung des Zinsbescheids auszusetzen.
Gegen die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist ein gesonderter Einspruch gegeben, und zwar auch dann, wenn die Finanzbehörde die Billigkeitsentscheidung im Rahmen der Zinsfestsetzung getroffen hat (vgl. Nr. 4 AEAO zu § 347).
Tz. 256 Stundungszinsen
a) Voraussetzungen der Verzinsung
Nach § 234 Abs. 1 AO werden für die Dauer einer gewährten Stundung (§ 222 AO) eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) Zinsen erhoben. Dabei ist es unerheblich, ob die Stundung auf Antrag des Steuerpflichtigen oder entgegen der Regel des § 222 Satz 2 AO ohne Antrag gewährt wurde. § 234 Abs. 1 AO stellt nur auf eine gewährte Stundung, nicht jedoch auf deren Tatbestandsvoraussetzungen ab. Entsprechend setzt die Rechtsfolge des § 234 Abs. 1 AO immer dann ein, wenn die Fälligkeit eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verwaltungsakt hinausgeschoben wird. Deshalb ist sie grds. auch auf die Fälle anzuwenden, in denen ein Rechtsanspruch auf Stundung besteht, z. B. Stundung gem. § 6 Abs. 4 AStG. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Rechtsfolge des § 234 Abs. 1 AO gesetzlich ausgeschlossen ist, z. B. Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG.
Die Zinspflicht entsteht bei Stundungen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO). Hierzu zählt neben dem Steueranspruch u. a. auch der Haftungsanspruch. Wird ein Anspruch auf Rückforderung von Arbeitnehmer-Sparzulage, Eigenheimzulage, Investitionszulage oder Wohnungsbau-Prämie gestundet, sind – da die Vorschriften über die Steuervergütung entsprechend gelten – ebenfalls Stundungszinsen zu erheben.
Der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung ist zwar auch ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, allerdings ist er gem. § 233 Satz 2 AO nicht zu verzinsen.
b) Berechnung der Zinsen
Der Zinslauf beginnt bei Stundungszinsen am ersten Tag, für den die Stundung wirksam wird (§ 238 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 234 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei einer Stundung ab Fälligkeit beginnt der Zinslauf am Tag nach Ablauf der ggf. nach § 108 Abs. 3 AO verlängerten Zahlungsfrist. Der Zinslauf endet mit Ablauf des letzten Tags, für den die Stundung ausgesprochen worden ist. Auch hier gilt in Anwendung des §108 Abs. 3 AO: Ist dieser Tag ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, endet der Zinslauf erst am nächstfolgenden Werktag.
Die Zinsen sind für jeden Anspruch (Einzelforderung) besonders zu berechnen. Bei der Zinsberechnung sind die Ansprüche zu trennen, wenn Steuerart, Zeitraum (Teilzeitraum) oder der Tag des Beginns des Zinslaufs voneinander abweichen.
Zu Berechnung von Stundungszinsen bei der Gewährung von Ratenzahlungen s. Nr. 9 und 10 AEAO zu § 234.
Die Höhe der Stundungszinsen ändert sich nicht, wenn der Steuerpflichtige vor oder nach dem Zahlungstermin zahlt, der in der Stundungsverfügung festgelegt ist; es gilt das Prinzip der Sollverzinsung. Eine vorzeitige Tilgung führt daher nicht automatisch zu einer Ermäßigung der Stundungszinsen.
c) Verzicht auf Stundungszinsen
Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann gem. § 234 Abs. 2 AO im Einzelfall aus Billigkeitsgründen verzichtet werden; dies umfasst die Befugnis, von vornherein zinslos zu stunden oder auf bereits festgesetzte Zinsen zu verzichten. Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung von Stundungszinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 und § 227 AO, so dass auch hier persönliche und sachliche Gründe zum Verzicht aus Billigkeitsgründen führen können. Es handelt sich um einheitliche Ermessensvorschriften, bei denen der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt. Hierbei ist zu beachten, dass bereits im Rahmen der Prüfung der Stundungsvoraussetzungen (§ 222 Satz 1 AO) sachliche und persönliche Billigkeitsgründe berücksichtigt werden. Wird durch die Stundung eine vorübergehende Zahlungsschwierigkeit des Steuerschuldners überwunden und kann dieser die Steuerschuld später begleichen, ist es grds. ermessensgerecht, Stundungszinsen zu erheben.
Gegenüber der Entstehung des Zinsanspruchs kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass die Erhebung der Zinsen wegen des Fehlens von Geldmitteln für die Steuerzahlung unbillig sei (vgl. , BStBl 1992 II S. 321). Auf Stundungszinsen muss auch nicht bereits deshalb verzichtet werden, weil der Steuerschuldner aufgrund der verspäteten Zahlung keinen Zinsvorteil erzielen konnte. Denn Stundungszinsen dienen in erster Linie dem Ausgleich des ,,Zinsnachteils'' des Abgabengläubigers, der nicht zum Fälligkeitszeitpunkt über die geschuldeten Beträge verfügen konnte.
Fälle, in denen ein Verzicht auf Stundungszinsen in Betracht kommen kann, enthält Nr. 11 AEAO zu § 234.
Eine vorzeitige Tilgung der gestundeten Beträge führt nicht automatisch zu einer Ermäßigung der Stundungszinsen. Soweit der gestundete Anspruch allerdings mehr als ein Monat vor Fälligkeit getilgt wird, kann auf bereits festgesetzte Stundungszinsen für den Zeitraum ab Eingang der Leistung auf Antrag verzichtet werden.
Ein Zinsverzicht kann z. B. auch in Betracht kommen, wenn zu Beginn der Stundung eine Aufrechnungslage i. S. des § 226 AO gegeben war.
Zum Rechtsbehelfsverfahren gegen die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme vgl. Nr. 4 AEAO zu § 347.
d) Verfahren
Stundungszinsen werden regelmäßig zusammen mit der Stundungsverfügung durch Zinsbescheid festgesetzt. Die Formvorschriften für Steuerbescheide (§ 157 Abs. 1, ggf. § 87a Abs. 4 AO) gelten dabei entsprechend. Sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Regelung erfordern, sind die Stundungszinsen zusammen mit der letzten Stundungsrate zu erheben.
Bei einer Aufhebung der Stundungsverfügung (Rücknahme oder Widerruf) sind auch die auf ihr beruhenden Zinsbescheide aufzuheben oder zu ändern; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10 AO gelten gem. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO entsprechend.
Tz. 257 Verzinsung von hinterzogenen Steuern
a) Zweck und Voraussetzungen der Verzinsung
Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen, um dem Nutznießer einer Steuerhinterziehung den steuerlichen Vorteil der verspäteten Zahlung oder der Gewährung/Belassung von Steuervorteilen zu nehmen. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen hat keinen Strafcharakter.
Die Zinspflicht tritt nur ein, wenn der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 erfüllt und die Tat i. S. des § 370 Abs. 4 AO vollendet ist. Entsprechendes gilt, wenn der Tatbestand der §§ 263, 264 StGB erfüllt ist, soweit sich die Tat auf Prämien und Zulagen bezieht, für die die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO entsprechend anzuwenden sind. Der Versuch einer Steuerhinterziehung, die leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder die übrigen Steuerordnungswidrigkeiten (§§ 379 ff. AO) reichen zur Begründung einer Zinspflicht nicht aus.
Die Zinspflicht ist unabhängig von einem Steuerstrafverfahren im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu prüfen und setzt keine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung voraus. Hinterziehungszinsen sind demnach auch festzusetzen, wenn
wirksam Selbstanzeige nach § 371 AO erstattet worden ist,
der Strafverfolgung Verfahrenshindernisse entgegenstehen (z. B. Tod des Täters oder Strafverfolgungsverjährung),
das Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist oder
in anderen Fällen die Strafverfolgung beschränkt oder von der Strafverfolgung abgesehen wird (z. B. nach §§ 154, 154a StPO).
An Entscheidungen im strafgerichtlichen Verfahren ist die Finanzbehörde nicht gebunden. S. auch Nr. 1.3 AEAO zu § 235.
b) Gegenstand der Verzinsung
Hinterziehungszinsen sind festzusetzen (s. Nr. 2.1 AEAO zu § 235) für
verkürzte Steuern, auch keine oder zu geringe Steuervorauszahlungen und Solidaritätszuschlag,
ungerechtfertigt erlangte Steuervorteile,
zu Unrecht erlangte Steuervergünstigungen,
ungerechtfertigt erlangte Prämien und Zulagen, auf die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind (z. B. Investitionszulage, Eigenheimzulage, Wohnungsbauprämie, Arbeitnehmer-Sparzulage, Altersvorsorgezulage).
Hinterziehungszinsen sind für jeden Besteuerungszeitraum (Veranlagungszeitraum, Voranmeldungszeitraum) oder Besteuerungszeitpunkt gesondert zu berechnen. Einzelne, aufeinander folgende Steuerhinterziehungen sind nicht als eine Tat zu würdigen, sondern als selbständige Taten zu behandeln.
Wenn die Steuerhinterziehung zu keiner Nachforderung führt, erfolgt keine Zinsfestsetzung. Das strafrechtliche Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht.
c) Zinsschuldner
Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Es soll ausschließlich der steuerliche Vorteil des Steuerschuldners abgeschöpft werden, der darin liegt, dass die geschuldete Steuer erst verspätet gezahlt wird. Allein der Steuerschuldner kann daher Zinsschuldner für hinterzogene Steuern sein, und zwar unabhängig davon, ob er an der Steuerhinterziehung beteiligt war.
Sind Steuerschuldner Gesamtschuldner (§ 44 AO), ist jeder Gesamtschuldner auch Zinsschuldner. Dies gilt auch dann, wenn bei zusammenveranlagten Ehegatten der Tatbestand der Steuerhinterziehung nur in der Person eines der Ehegatten erfüllt ist.
In Fällen, in denen der Steuerschuldner nicht Zinsschuldner ist, weil die Steuern nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden sind, ist der Entrichtungspflichtige Zinsschuldner. Hinsichtlich hinterzogener Steuerabzugsbeträge ist daher der Entrichtungspflichtige Zinsschuldner, wenn dieser die Steuer zwar einbehalten, aber nicht an das Finanzamt abgeführt hat. Dagegen ist der Steuerschuldner Zinsschuldner, wenn der Entrichtungspflichtige die hinterzogene Abzugsteuer (zum Vorteil des Steuerschuldners) nicht einbehalten hat.
Die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten sind nicht Entrichtungspflichtige und nicht Schuldner der Hinterziehungszinsen. Dieser Personenkreis kann aber sowohl für hinterzogene Steuern als auch für Hinterziehungszinsen haften.
d) Zinslaufbeginn
Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, d. h. sobald die Tat im strafrechtlichen Sinn vollendet ist. Wären die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden, z. B. bei einer Abschlusszahlung, beginnt die Verzinsung erst mit Ablauf des Fälligkeitstags.
Bei Fälligkeitssteuern (z. B. Umsatzsteuer-Vorauszahlungen, Lohnsteuer) tritt die Verkürzung im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit ein. Dies gilt auch dann, wenn keine (Vor-)Anmeldung abgegeben wurde. Bei Abgabe einer unrichtigen zustimmungsbedürftigen Steueranmeldung tritt die Verkürzung erst dann ein, wenn die Zustimmung dem Steuerpflichtigen bekannt geworden ist. S. Nr. 4.1.2 AEAO zu § 235.
Bei Veranlagungssteuern tritt die Verkürzung im Fall der Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung mit dem Tag der Bekanntgabe des auf dieser Erklärung beruhenden Steuerbescheids ein; der Beginn des Zinslaufs verschiebt sich dabei i. d. R. auf den Ablauf des Fälligkeitstags. Hat der Steuerpflichtige keine Steuererklärung abgegeben und ist deshalb die Steuerfestsetzung unterblieben, ist die Steuer zu dem Zeitpunkt verkürzt, zu dem die Veranlagungsarbeiten für das betreffende Kalenderjahr im Wesentlichen abgeschlossen waren. Dieser Zeitpunkt ist zugleich Zinslaufbeginn. S. auch Nr. 4.1.3 AEAO zu § 235.
e) Zinslaufende
Der Zinslauf endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuer. Erlischt der zu verzinsende Anspruch durch Aufrechnung, gilt der Tag, an dem die Schuld des Aufrechnenden fällig wird, als Tag der Zahlung (§ 238 Abs. 1 Satz 3 AO).
Hinterziehungszinsen werden nicht für Zeiten festgesetzt, für die ein Säumniszuschlag entsteht, die Zahlung gestundet oder die Vollziehung ausgesetzt ist (§ 235 Abs. 3 Satz 2 AO), ohne dass es dabei auf die tatsächliche Erhebung von Säumniszuschlägen oder die Zahlung von Stundungs- und/oder Aussetzungszinsen ankommt.
Wird der Steuerbescheid nach Ende des Zinslaufs aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt, bleiben die bis dahin entstandenen Zinsen unberührt.
f) Höhe der Hinterziehungszinsen
Die Hinterziehungszinsen betragen für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 % (§ 238 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag abgerundet (§ 238 Abs. 2 AO). Abzurunden ist jeweils der Gesamtbetrag einer Steuerart, soweit Besteuerungszeitraum und Beginn des Zinslaufs übereinstimmen (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 238).
Zur Vermeidung einer Doppelverzinsung im Hinterziehungsfall sind Zinsen nach § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, anzurechnen. Dies gilt bei einem Investitionszulage-Rückforderungsanspruch aus sachlichen Billigkeitsgründen entsprechend.
g) Verjährung
Die Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen beträgt ein Jahr (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar geworden ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem ein eingeleitetes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Ein Strafverfahren hat nur dann Einfluss auf die für die Hinterziehungszinsen geltende Festsetzungsfrist, wenn es bis zum Ablauf des Jahrs eingeleitet wird, in dem die hinterzogenen Steuern unanfechtbar festgesetzt wurden.
Tz. 258 Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge
a) Allgemeines zu Prozesszinsen
§ 236 AO regelt die Festsetzung von Zinsen für Beträge, die in einem Verfahren vor den Steuergerichten streitig waren und nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreits dem Kläger zu erstatten oder nachträglich zu vergüten sind. Dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten wird zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung gewährt.
Voraussetzung für die Zahlung von Erstattungszinsen an den Steuerpflichtigen ist, dass eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt oder erhöht wird. Die Steuerherabsetzung oder die Gewährung (Erhöhung) der Steuervergütung muss erfolgt sein:
durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung;
aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, z. B. in den Fällen, in denen das Gericht nach § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und 3 oder Abs. 3 FGO den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt und das Finanzamt die Steuer niedriger festsetzt oder eine (höhere) Steuervergütung gewährt;
durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts sowie durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts, wenn sich der Rechtsstreit bei Gericht dadurch rechtskräftig erledigt;
durch einen sog. Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO oder § 35b GewStG in den Fällen, in denen sich der Rechtsstreit bei Gericht gegen den Grundlagenbescheid (z. B. Feststellungsbescheid, Steuermessbescheid) durch oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung bzw. durch einen Verwaltungsakt rechtskräftig erledigt.
Aus welchen Gründen die Steuerherabsetzung oder die Gewährung (Erhöhung) der Steuervergütung erfolgt ist, ist ohne Bedeutung, doch muss das abgeschlossene gerichtliche Verfahren hierfür ursächlich gewesen sein.
b) Zu verzinsende Ansprüche
Erstattungszinsen sind zu zahlen für
Steuererstattungsansprüche oder wenn ein Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer zunächst abgelehnt und danach ein Erstattungsbetrag erfolgreich eingeklagt worden ist,
Steuervergütungsansprüche (z. B. aus Vorsteuerüberschüssen),
Ansprüche auf Geldleistungen, auf die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind (z. B. Investitionszulage, Wohnungsbauprämie, Arbeitnehmer-Sparzulage).
Zu verzinsen ist nur der zu viel entrichtete Steuerbetrag oder die zu wenig gewährte Steuervergütung. Eine Verzinsung kommt nicht in Betracht, wenn der Rechtsbehelf zwar zu einer Herabsetzung der Steuer oder zu einer Gewährung (Erhöhung) der Steuervergütung führt, nicht aber oder nicht in gleichem Umfang zu einer Steuererstattung oder Auszahlung einer Steuervergütung.
c) Nicht zu verzinsende Ansprüche
Die Herabsetzung von Haftungsansprüchen und steuerlichen Nebenleistungen fällt nicht unter die Zinsregelung. Außerdem ist die Zinsregelung nicht anwendbar, wenn im Erhebungsverfahren ein Verwaltungsakt, z. B. ein Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO, aufgehoben oder geändert wird. Denn hierdurch wird die Festsetzung der Steuer nicht berührt. Der Erlass einer Steuer nach § 227 AO im Erhebungsverfahren ist keine Herabsetzung i. S. des § 236 AO.
d) Entstehung des Zinsanspruchs
Der Anspruch auf Erstattungszinsen entsteht mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder der Unanfechtbarkeit des geänderten Verwaltungsaktes. Ein Gerichtsbescheid wirkt als Urteil. Er gilt aber als nicht ergangen, wenn gegen ihn die Revision nicht zugelassen wurde und rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt worden ist (Nr. 4 AEAO zu § 236).
e) Rechtshängigkeit
Erstattungszinsen sind für die Zeit vom Tag der Rechtshängigkeit, frühestens jedoch vom Tag der Zahlung des Steuerbetrages an bis zum Tag der Auszahlung des zu verzinsenden Steuer- oder Steuervergütungsbetrags zu berechnen und zu zahlen. Rechtshängig ist die Streitsache erst mit dem Tag, an dem die Klage bei Gericht erhoben wird (§ 66 Abs. 1 i. V. mit § 64 Abs. 1 FGO). Wegen weiterer Einzelheiten s. Nr. 5 AEAO zu § 236.
Mit Ausnahme der Fälle der Folgeänderung i. S. des § 236 Abs. 2 Nr. 2 AO muss die Rechtshängigkeit für den zu verzinsenden Betrag unmittelbar gegeben sein.
Keine Zinspflicht besteht für Beträge, die dem Steuerpflichtigen aufgrund eines erfolgreichen Einspruchs erstattet werden oder wenn er wegen Aussetzung (§ 363 Abs. 1 AO) oder Ruhens des Einspruchsverfahrens (§ 363 Abs. 2 AO) keine gerichtliche Entscheidung erlangen konnte.
f) Ausschluss der Verzinsung bei verspätetem Vorbringen
Ein zu erstattender oder zu vergütender Betrag wird nicht verzinst, soweit einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens nach § 137 FGO auferlegt worden sind, weil die Herabsetzung der Steuer oder die Gewährung (Erhöhung) der Steuervergütung auf Tatsachen beruht, die dieser früher hätte geltend machen oder beweisen können und müssen.
g) Gläubiger des Zinsanspruchs
Gläubiger des Zinsanspruchs ist
jeder am Rechtsstreit Beteiligte, denn der Zinsanspruch knüpft an die Beteiligtenstellung im finanzgerichtlichen Verfahren an,
in den Fällen der Folgewirkung nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 AO jeder von der Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheides Betroffene, soweit die gegen ihn festgesetzten Steuern herabgesetzt werden und er die Steuer gezahlt hat.
h) Verfahren
Die Verzinsung ist von Amts wegen durchzuführen. Der Erstattungsberechtigte braucht deshalb die Festsetzung der Zinsen nicht zu beantragen. Ein solcher Antrag hat allerdings die Wirkung, dass die Festsetzungsfrist nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist (vgl. § 171 Abs. 3, § 239 Abs. 1 AO).
Bei den Realsteuern obliegt die Festsetzung und Zahlung von Erstattungszinsen den Gemeinden.
Bei der Festsetzung der Erstattungszinsen sind Zinsen nach § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, anzurechnen.
i) Rechtsbehelfe gegen die Festsetzung der Erstattungszinsen
Gegen die Zinsfestsetzung ist der Einspruch gegeben (§ 347 AO). In diesem Verfahren können Einwendungen gegen die Höhe der Erstattungs- und Vergütungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden. Insoweit sind die geänderten Bescheide als Grundlagenbescheide für die Zinsfestsetzung bindend.
Tz. 259 Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung
a) Allgemeines
Ein Einspruch hemmt grds. nicht die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Daher muss auch nach einem Einspruch gegen einen Steuerbescheid die strittige Steuer zum Fälligkeitstermin gezahlt werden. Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann aber gem. § 361 AO die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen bzw. aufheben (wegen Einzelheiten s. Tz. 384). Die Vollziehung kann auch durch das Finanzgericht ausgesetzt werden (§ 69 FGO). Soweit der Einspruch oder die Anfechtungsklage dann aber endgültig keinen Erfolg haben, ist der ausgesetzte Betrag nach § 237 AO zu verzinsen.
Die Verzinszung soll den wirtschaftlichen Vorteil, den ein Steuerpflichtiger deswegen gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuern vorerst freigestellt war, und den entsprechenden Nachteil des Steuergläubigers ausgleichen. Dies gilt auch dann, wenn das Verfahren über die streitige Steuerfestsetzung nicht innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen worden ist. Aussetzungszinsen werden unabhängig davon festgesetzt, ob der durch eine Aussetzung der Vollziehung Begünstigte den ausgesetzten Betrag zwischenzeitlich zinsbringend angelegt hat. Sie sind nicht zu erheben, wenn die Fälligkeit des streitigen Steueranspruchs, z. B. aufgrund einer Stundung (§ 222 AO), hinausgeschoben war oder Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) gewährt wurde.
b) Voraussetzungen für Aussetzungszinsen
Voraussetzungen für das Entstehen eines Zinsanspruchs sind
die Anhängigkeit eines außergerichtlichen bzw. finanzgerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte, das auf die Überprüfung eines angefochtenen Verwaltungsakts gerichtet ist,
die Gewährung der Vollziehungsaussetzung und
die endgültige Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs.
Entsprechendes gilt, wenn nach Einlegung eines Einspruchs oder gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) oder eine Einspruchsentscheidung über einen Grundlagenbescheid die Vollziehung eines Folgebescheids ausgesetzt wurde oder wenn nach Aussetzung eines Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- oder Feststellungsbescheids die Vollziehung eines Gewerbesteuer-Messbescheids oder Gewerbesteuerbescheids ausgesetzt wird. Auch wenn ein Grundlagenbescheid nicht auf den Vorschriften der §§ 179 ff. AO beruht oder wenn die Anfechtung des Grundlagenbescheids die Vollziehungsaussetzung eines anderen Grundlagenbescheids und der hierauf beruhenden Folgebescheide gem. § 361 Abs. 3 Satz 1 AO oder § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO auslöst, tritt die Verzinsung ein (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 237).
Zu den Steuerbescheiden, deren Aussetzung der Vollziehung bei erfolgloser Anfechtung zinspflichtig ist, gehören auch Bescheide über Steuervorauszahlungen. Dagegen ist die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids (§ 191 AO) nicht zinspflichtig. Der Haftungsbescheid fällt nicht unter § 237 AO, weil auf ihn die Vorschriften über die Steuerfestsetzung nicht anwendbar sind.
Bei teilweiser Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts bezieht sich die Zinspflicht nur auf den ausgesetzten Steuerbetrag.
Aussetzungszinsen sind zu erheben für
Steueransprüche,
Ansprüche auf Rückforderung ( § 37 Abs. 2 AO) von Steuererstattungen und -vergütungen (z. B. Vorsteuerüberschüsse),
Ansprüche auf Rückforderung von Geldleistungen, auf die die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden sind (z. B. Investitionszulage, Eigenheimzulage, Wohnungsbauprämie, Sparprämie, Arbeitnehmer-Sparzulage),
soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist. Auf die Gründe, aus denen der Rechtsbehelf keinen Erfolg hatte, kommt es für die Zinspflicht nicht an; entscheidend ist allein das zahlenmäßige Ergebnis. Aussetzungszinsen sind deshalb auch dann zu erheben, wenn das Vorbringen des Steuerpflichtigen zwar sachlich berechtigt war, die festgesetzte Steuer sich gleichwohl nicht ändert, weil die begehrte Steuerminderung durch andere steuererhöhende Feststellungen wieder ausgeglichen wurde. Maßgebend für die Zinspflicht ist das endgültige Ergebnis des Verfahrens.
Der Zinsanspruch entsteht nicht bereits mit der Einlegung des Rechtsbehelfs, sondern erst mit dessen endgültiger Erfolglosigkeit (§ 38 AO). Endgültige Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Anfechtungsklage liegen vor (Nr. 4 AEAO zu § 237),
wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer bestandskräftigen Einspruchsentscheidung oder aufgrund eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils ganz oder teilweise unterlegen ist,
wenn das Einspruchsverfahren oder gerichtliche Verfahren nach der Rücknahme des Einspruchs, der Klage oder der Revision rechtskräftig abgeschlossen wird,
wenn der angefochtene Verwaltungsakt – ohne dem Rechtsbehelfsantrag voll zu entsprechen – geändert wird und sich der Rechtsstreit endgültig erledigt,
soweit der Rechtsbehelf aufgrund einer unanfechtbar gewordenen Teil-Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) oder Allgemeinverfügung (§ 367 Abs. 2b AO) oder aufgrund eines unanfechtbar gewordenen Teilurteils (§ 98 FGO) endgültig keinen Erfolg hatte, unabhängig davon, inwieweit das Rechtsbehelfsverfahren im Übrigen wegen weiterer Streitpunkte anhängig bleibt.
Wird ein ändernder oder ersetzender Verwaltungsakt nach § 365 Abs. 3 AO oder nach § 68 FGO Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens, ist für die Verzinsung das Ergebnis des gegen den neuen Verwaltungsakt fortgeführten Einspruchs- bzw. Klageverfahrens maßgebend. Dies gilt auch, wenn ein angefochtener Vorauszahlungsbescheid durch die Jahressteuerfestsetzung ersetzt wird (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 365).
c) Zinslauf
Dem eingangs beschriebenen Zweck der Erhebung von Aussetzungszinsen wird allein ein Zinslauf gerecht, der sich entsprechend dem Wortlaut des § 237 Abs. 2 AO vom Zeitpunkt der erstmals gewährten Aussetzung der Vollziehung bis zur Tilgung der Steuerschuld erstreckt.
Der Zinslauf beginnt mit dem Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird (frühestens am Tage der Fälligkeit), oder dem Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach der Rechtshängigkeit ausgesetzt worden, beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung beginnt. Bei Anfechtung und Aussetzung eines Grundlagenbescheids ist für den Beginn des Zinslaufs die Folgeaussetzung des Steuerbescheids maßgebend.
Der Zinslauf endet an dem Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet, im Regelfall an dem im Aussetzungsbescheid bestimmten Zeitpunkt. Erfüllt der Steuerpflichtige den Anspruch vorher (durch Zahlung oder Aufrechnung gem. § 387 BGB i. V. mit § 226 Abs. 1 AO), endet der Zinslauf bereits mit der Erfüllung.
d) Berechnung und Festsetzung der Zinsen
Bemessungsgrundlage für die Aussetzungszinsen ist nach § 237 Abs. 1 AO der ausgesetzte Betrag, soweit er wegen endgültiger Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs geschuldet bleibt.
Aussetzungszinsen werden berechnet
bei vollständigem Unterliegen des Steuerpflichtigen von dem Betrag, dessen Vollziehung ausgesetzt war;
bei teilweisem Unterliegen des Steuerpflichtigen von dem Teil des ausgesetzten Betrages, der nach dem endgültigen Ergebnis des Rechtsbehelfs zu zahlen ist.
Zinsen sind nach § 238 Abs. 1 Satz 2 AO von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben unberücksichtigt. Wegen weiterer Einzelheiten zur Zinsberechnung s. Tz. 260.
Gem. § 239 Abs. 1 AO beträgt die Frist für die Festsetzung von Aussetzungszinsen ein Jahr. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem ein außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist. Soweit der Rechtsbehelf durch eine Teil-Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO), eine Allgemeinverfügung (§ 367 Abs. 2b AO) oder ein Teilurteil (§ 98 FGO) zurückgewiesen wurde, beginnt die Festsetzungsfrist bereits mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung.
Bei den Realsteuern obliegt die Festsetzung und Erhebung der Aussetzungszinsen den Gemeinden.
e) Verzicht auf Aussetzungszinsen
Gem. § 237 Abs. 4 i. V. mit § 234 Abs. 2 AO kann auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen ganz oder zum Teil verzichtet werden, wenn deren Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung der Zinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 und § 227 Abs. 1 AO (vgl. , BStBl 1988 II S. 402). Wegen Einzelheiten s. Tz. 248.
Tz. 260 Höhe und Berechnung der Zinsen
Die Zinshöhe beträgt einheitlich bei allen Zinsarten der AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %. In Abweichung dazu entstehen Säumniszuschläge für jeden angefangenen Monat (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Für die Fristberechnung gilt § 108 AO i. V. mit §§ 187 ff. BGB. Danach ist ein voller Zinsmonat erreicht, wenn der Tag, an dem der Zinslauf, ggf. unter Berücksichtigung des § 108 Abs. 3 AO, endet, hinsichtlich seiner Zahl dem Tag entspricht, der dem Tag vorhergeht, an dem die Frist begann. Begann der Zinslauf z. B. am 1. 4. und wurde die Steuerfestsetzung am 30. 4. bekannt gegeben, ist bereits ein voller Zinsmonat gegeben.
Für die Berechnung wird der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag abgerundet (§ 238 Abs. 2 AO). Dabei sind die zu verzinsenden Ansprüche zu trennen, wenn Steuerart, Zeitraum oder der Tag des Beginns des Zinslaufs voneinander abweichen (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 238). Abzurunden ist jeweils der einzelne zu verzinsende Anspruch.
Tz. 261 Festsetzung der Zinsen
Zinsen werden durch Zinsbescheid festgesetzt; dabei gelten die Formvorschriften für Steuerbescheide (§ 157 Abs. 1 AO, ggf. § 87a Abs. 4 AO) entsprechend. Der Mindestinhalt des Zinsbescheids richtet sich nach § 157 Abs. 1 Satz 2 und 3 und § 119 Abs. 3 AO.
Die Festsetzungsfrist beträgt ein Jahr. Zum Beginn der Festsetzungsfrist bei den verschiedenen Zinsarten s. § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–5 AO. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist können Zinsen nicht mehr festgesetzt werden. Der Anspruch auf festgesetzte Zinsen erlischt durch Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO), ggf. aber auch schon früher mit dem Erlöschen des Hauptanspruchs (§ 232 AO).
Bei der Zinsfestsetzung ist die Rundung zugunsten des Steuerpflichtigen zu beachten (§ 239 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Kleinbetragsregelung des § 239 Abs. 2 Satz 2 AO (Zinsen unter 10 € werden nicht festgesetzt) ist auf die für eine Einzelforderung berechneten Zinsen anzuwenden (vgl. Nr. 2 AEAO zu § 238).
Der Zinsbescheid kann nach § 129 AO berichtigt oder nach §§ 172 ff. AO aufgehoben oder geändert werden. Als Rechtsbehelf gegen den Zinsbescheid sowie gegen die Ablehnung, Erstattungszinsen nach §§ 233a, 236 AO zu zahlen, ist der Einspruch gegeben. Zum Rechtsbehelfsverfahren gegen die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme vgl. Nr. 4 AEAO zu § 347.
Tz. 262 Säumniszuschläge
a) Allgemeines
Säumniszuschläge sind zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Sie sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen.
§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO knüpft die Entstehung von Säumniszuschlägen an die Nichtentrichtung einer Steuer bei Fälligkeit. Zum Begriff der Steuer s. § 3 Abs. 1 AO (Tz. 3). Der Begriff ,,Steuer'' erfasst nicht Geldbeträge, die in einem Haftungsbescheid gegen den Haftungsschuldner festgesetzt sind. Demgemäß entstehen bei Nichtentrichtung des Haftungsbetrags bei Fälligkeit keine Säumniszuschläge. Säumniszuschläge sind ferner nicht zu entrichten, wenn Verspätungszuschläge, Zinsen, Säumniszuschläge, Zwangsgelder und Kosten (steuerliche Nebenleistungen) nicht rechtzeitig gezahlt werden (vgl. § 240 Abs. 2 AO).
b) Säumnis
Säumnis tritt ein, wenn die Steuer oder die zurückzuzahlende Steuervergütung nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird. Sofern – wie bei den Fälligkeitssteuern – die Steuer ohne Rücksicht auf die erforderliche Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung fällig wird, tritt die Säumnis nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder die Steueranmeldung abgegeben worden ist. Bei Fälligkeitssteuern ist daher wie folgt zu verfahren (s. auch Nr. 1 AEAO zu § 240):
Gibt der Steuerpflichtige seine Voranmeldung oder Anmeldung erst nach Ablauf des Fälligkeitstags ab, sind Säumniszuschläge bei verspätet geleisteter Zahlung nicht vom Ablauf des im Einzelsteuergesetz bestimmten Fälligkeitstags an, sondern erst von dem auf den Tag des Eingangs der Voranmeldung oder Anmeldung folgenden Tag an (ggf. unter Gewährung der Zahlungs-Schonfrist nach § 240 Abs. 3 AO) zu berechnen. Entsprechendes gilt für den Mehrbetrag, der sich ergibt, wenn der Steuerpflichtige seine Voranmeldung oder Anmeldung nachträglich berichtigt und sich dadurch die Steuer erhöht.
Setzt das Finanzamt eine Steuer wegen Nichtabgabe der Voranmeldung oder Anmeldung fest, sind Säumniszuschläge für verspätet geleistete Zahlung nicht vom Ablauf des im Einzelsteuergesetz bestimmten Fälligkeitstags an, sondern erst von dem Tag an (ggf. unter Gewährung der Zahlungs-Schonfrist nach § 240 Abs. 3 AO) zu erheben, der auf den letzten Tag der vom Finanzamt gesetzten Zahlungsfrist folgt. Dieser Tag bleibt für die Berechnung der Säumniszuschläge auch dann maßgebend, wenn der Steuerpflichtige nach Ablauf der vom Finanzamt gesetzten Zahlungsfrist seine Voranmeldung oder Anmeldung abgibt. Entsprechendes gilt, wenn das Finanzamt eine auf einer Voranmeldung oder Anmeldung beruhende Steuerschuld höher festsetzt, als sie sich aus der Voranmeldung oder Anmeldung ergibt oder eine von ihm festgesetzte Steuer durch Korrektur höher festsetzt.
c) Berechnung des Säumniszuschlags
Für jeden angefangenen Monat der Säumnis ist ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrages zu entrichten. Dies unterscheidet Säumniszuschläge von den Zinsen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO), die nur für volle Monate entstehen. Auf die Berechnung der Monatsfrist findet § 108 AO i. V. mit §§ 187 ff. BGB Anwendung. Bei einer Säumnis bis zu drei Tagen wird kein Säumniszuschlag erhoben; dies gilt allerdings nicht bei Bar- oder Scheckzahlungen (§240 Abs. 3 AO). Für die Berechnung der Säumniszuschläge ist diese Schonfrist jedoch nicht maßgebend.
Obwohl der Säumniszuschlag eine steuerliche Nebenleistung ist, bleiben Änderungen der Bemessungsgrundlage unberücksichtigt. Säumniszuschläge besitzen von Gesetzes wegen nicht die Akzessorietät, die z. B. Zinsen wesenseigen ist. Im Falle der Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO bleiben folglich die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge bestehen (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Das gilt auch, wenn die ursprüngliche, für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer in einem Rechtsbehelfsverfahren herabgesetzt wird. Nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage bleiben genauso unberücksichtigt wie deren nachträgliche Ermäßigung. Maßgebend ist allein die Höhe der festgesetzten (bzw. angemeldeten) Steuer, die bei Fälligkeit nicht erfüllt worden ist. Denn für den Säumniszuschlag ist entscheidender Anknüpfungspunkt nicht das (materiell-rechtliche) Bestehen einer Steuerschuld, sondern der in der Missachtung vollziehbarer Steuerbescheide zum Ausdruck kommende „Steuerungehorsam”. Der Gesetzgeber hat mit der ausdrücklichen Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist. Das BVerfG hat diese Regelung vor allem deswegen bestätigt, weil dem Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Steuerfestsetzung selbst hinreichend Genüge getan ist (vgl. ).
d) Verfahren
Säumniszuschläge entstehen kraft Gesetzes und werden mit ihrer Entstehung fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 1 AO). Sie unterliegen nur der fünfjährigen Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO).
Ergeben sich zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde Streitigkeiten über die Entstehung und Verwirklichung von Säumniszuschlägen, hat die Finanzbehörde darüber nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO durch Verwaltungsakt (Abrechnungsbescheid) zu entscheiden. Ein diesbezügliches Vorbringen des Steuerpflichtigen ist auch dann als Antrag auf Erteilung eines Bescheids nach § 218 Abs. 2 AO anzusehen, wenn es z. B. als „Erlassantrag” bezeichnet ist, da nur in diesem Verfahren entschieden werden kann, ob und inwieweit Säumniszuschläge entstanden sind. Das Vorbringen des Steuerpflichtigen ist hingegen als Erlassantrag zu werten, wenn sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe geltend gemacht werden. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht die Entstehung der Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach, sondern wendet er sich gegen deren Anforderung im engeren Sinne (Leistungsgebot, § 254 AO), ist sein Vorbringen als Einspruch (§ 347 AO) anzusehen.
e) Erlass von Säumniszuschlägen
Säumniszuschläge können als Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gem. § 227 AO ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig wäre. Zum Erlass aus persönlichen Gründen s. Tz. 248.
Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer steuerrechtlichen Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, keinen Erlass aus Billigkeitsgründen. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt daher nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt worden ist oder möglicherweise geändert werden wird (vgl. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO).
Fehlen verfügbare Mittel, können Säumniszuschläge nicht Druckmittel sein. Ihre Erhebung ist dann sachlich unbillig, so dass sie nach § 227 AO ganz oder teilweise erlassen werden können. Der entfallende Zweck „Druckmittel” wird durch den Erlass der Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge ermessensgerecht berücksichtigt (vgl. , BStBl 1996 II S. 561).
Zu Einzelfällen, in denen ein Erlass in Betracht kommt, s. Nr. 5 AEAO zu § 240. Zum Erlass von Säumniszuschlägen bei einer Überschneidung mit Nachzahlungszinsen vgl. Nr. 64 AEAO zu § 233a.
III. Sicherheitsleistung im Besteuerungsverfahren
§§ 241–248 AO regeln nur die Art und Weise der Sicherheitsleistung im Besteuerungsverfahren. Wann und in welcher Höhe Sicherheit zu leisten ist, richtet sich nach anderen Vorschriften. S. AEAO zu §§ 241–248
Tz. 263 Art der Sicherheitsleistung
§ 241 AO bestimmt, wie Sicherheit geleistet werden kann:
durch Hinterlegung von im Inland umlaufenden Zahlungsmitteln (Euro in Scheinen und Münzen; bei Hingabe von Schecks wird die Sicherheitsleistung erst mit deren Einlösung und Gutschrift erbracht);
durch Verpfändung (vgl. §§ 1292, 1293 i. V. mit § 1203 BGB) von bestimmten in § 241 Abs. 2 AO aufgezählten Wertpapieren;
durch eine mit der Übergabe des Sparbuchs verbundene Verpfändung von Spareinlagen bei einem Kreditinstitut (vgl. §§ 1274, 1280 BGB), das im Inland zum Einlagengeschäft zugelassen ist, wenn dem Pfandrecht keine anderen Rechte vorgehen;
durch Verpfändung von Forderungen, die in einem Schuldbuch des Bundes, eines Sondervermögens des Bundes oder eines Landes eingetragen sind, wenn dem Pfandrecht keine anderen Rechte vorgehen;
durch Bestellung von erstrangigen Hypotheken, Grund- oder Rentenschulden an Grundstücken oder Erbbaurechten, die im Inland belegen sind, erstrangigen Schiffshypotheken an Schiffen, Schiffsbauwerken oder Schwimmdocks, die in einem im Inland geführten Schiffsregister oder Schiffsbauregister eingetragen sind;
durch Verpfändung von Forderungen, für die eine erstrangige Verkehrshypothek an einem im Inland belegenen Grundstück oder Erbbaurecht besteht, oder durch Verpfändung von erstrangigen Grundschulden oder Rentenschulden an im Inland belegenen Grundstücken oder Erbbaurechten, wenn an den Forderungen, Grundschulden oder Rentenschulden keine vorgehenden Rechte bestehen;
durch Schuldversprechen, Bürgschaft oder Wechselverpflichtungen eines tauglichen Steuerbürgen (vgl. dazu § 244 AO).
Ein unter Steuerverschluss befindliches Lager steuerpflichtiger Waren gilt als ausreichende Sicherheit für die darauf lastende Steuer (§ 241 Abs. 3 AO).
Tz. 264 Wirkung der Hinterlegung von Zahlungsmitteln
Nach § 241 AO hinterlegte, im Inland umlaufende Zahlungsmittel gehen mit der Hinterlegung in das Eigentum der Körperschaft über, der die Finanzbehörde angehört, bei der sie hinterlegt worden sind. Der hinterlegte Betrag ist zurückzuzahlen, wenn der Anlass für die Sicherheitsleistung weggefallen ist. Die Rückzahlung wird aber nicht verzinst (§ 242 Satz 2 AO).
Mit der Hinterlegung erwirbt die Körperschaft, deren Forderung durch die Hinterlegung gesichert werden soll, zugleich ein Pfandrecht an der Forderung auf Rückerstattung der hinterlegten Zahlungsmittel (§ 242 Satz 3 AO). Dies sichert die Körperschaft gegen eine vorzeitige Rückforderung der Sicherheit, auch wenn der Rückzahlungsanspruch an einen Dritten abgetreten wurde.
Tz. 265 Verpfändung von Wertpapieren
Werden Wertpapiere als Sicherheit verpfändet, muss der Verwahrer der Wertpapiere die Gewähr für ihre Umlauffähigkeit und Verwertbarkeit übernehmen. Der Verwahrer muss dazu u. a. auch die Haftung dafür übernehmen, dass das Rückforderungsrecht des Hinterlegers unbeschränkt ist, dass die Wertpapiere nicht als gestohlen oder als verloren gemeldet und dass die Wertpapiere nicht gesperrt sind. Der Verwahrer der Wertpapiere ist der Finanzbehörde zum Schadensersatz verpflichtet, wenn die in § 243 Satz 2 AO genannten Bedingungen nicht erfüllt sind.
Tz. 266 Taugliche Steuerbürgen
Die Bürgschaftserklärung, das Schuldversprechen oder die Wechselverpflichtung (§ 244 Abs. 1 AO) hat eine Doppelwirkung: Während zwischen dem Einzel-Steuerbürgen und der Finanzbehörde ein zivilrechtlicher Vertrag zustande kommt, wirkt die Annahme des Steuerbürgen als Sicherheit (wie auch dessen Ablehnung ) gegenüber dem Steuerschuldner als Verwaltungsakt; anfechtungsbefugt ist nur der Steuerschuldner, nicht der Steuerbürge. Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer dürfen nicht wechselseitig füreinander Sicherheit leisten und auch nicht wirtschaftlich miteinander verflochten sein.
Die zuständige Bundesfinanzdirektion kann Kreditinstitute und geschäftsmäßig für andere Sicherheit leistende Versicherungsunternehmen nach § 244 Abs. 2 AO allgemein als Steuerbürge zulassen, wenn sie im Inland zum Geschäftsbetrieb befugt sind. Bei der Zulassung ist ein Höchstbetrag festzusetzen (Bürgschaftssumme). Die Zulassung erfolgt gegenüber dem Steuerbürgen durch Verwaltungsakt. Die Summe aller Verbindlichkeiten aus Schuldversprechen, Bürgschaften und Wechselverpflichtungen, die ein Steuerbürge gegenüber der Finanzverwaltung übernommen hat, darf nicht über die Bürgschaftssumme hinausgehen.
Tz. 267 Sicherheitsleistung durch andere Werte
Die Finanzbehörde kann nach ihrem Ermessen auch andere als die in § 241 AO bezeichneten Sicherheiten annehmen. Damit kann individuellen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden. Kann der Steuerschuldner allerdings eine Sicherheit nach § 241 AO leisten, ist die Finanzbehörde nicht verpflichtet, andere Sicherheiten nach § 245 AO anzunehmen. Bei der Annahme als Sicherheit nach § 245 AO sind Vermögensgegenstände vorzuziehen, die größere Sicherheiten bieten oder bei Eintritt auch außerordentlicher Verhältnisse ohne erhebliche Schwierigkeit und innerhalb angemessener Frist verwertet werden können.
Tz. 268 Annahmewerte
Die Finanzbehörde bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, zu welchen Werten Gegenstände als Sicherheit anzunehmen sind. Obergrenze ist dabei der bei einer Verwertung der Sicherheit zu erwartende Erlös abzüglich der Kosten der Verwertung. Untergrenze ist bei Wertpapieren und Schuldbuchforderungen 3/4 des Kurswerts (§ 234 Abs. 3 BGB), bei beweglichen Sachen, die nach § 245 AO als Sicherheit angenommen werden, 2/3 des Schätzwerts (§ 237 BGB).
Tz. 269 Austausch von Sicherheiten
Wer nach §§ 241–245 AO Sicherheit geleistet hat, darf die Sicherheit oder einen Teil davon durch eine andere nach §§ 241–244 AO geeignete Sicherheit ersetzen. Eine Sicherheit darf mit Zustimmung der Finanzbehörde aber auch durch eine Sicherheit i. S. des § 245 AO ersetzt werden.
Tz. 270 Nachschusspflicht
Ist eine Sicherheit unzureichend geworden (z. B. weil sich die zu sichernde Forderung erhöht hat oder weil der Wert der Sicherheit gesunken ist), ist sie auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen oder es ist anderweitige Sicherheit zu leisten. War die Sicherheitsleistung allerdings von vornherein unzureichend, kann der Verwaltungsakt, mit dem die Sicherheit angenommen worden ist, nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zurückgenommen und anderweitige Sicherheit verlangt werden, wobei die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO zu beachten ist.
6. Teil: Vollstreckung
I. Allgemeine Vollstreckungsregelungen
Tz. 271 Grundsätzliches
Die Vorschriften des Sechsten Teils der AO gelten nur für die Vollstreckung folgender Ansprüche der Finanzbehörden gegen den Steuerpflichtigen oder andere Personen:
Steuern einschließlich Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sowie Steuervergütungen und ihnen gleichgestellte Ansprüche,
steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO),
vom Vollstreckungsschuldner zurückzuzahlende Beträge, die ihm ohne rechtlichen Grund erstattet oder vergütet worden sind (§ 37 Abs. 2 AO),
Kosten des Bußgeldverfahrens (§ 412 Abs. 2 AO).
Der Steuerpflichtige oder andere Personen können Ansprüche gegen die Finanzbehörden (bzw. gegen die Körperschaft, der die Finanzbehörde angehört) nur aufgrund gerichtlicher Entscheidung vollstrecken (vgl. §§ 151–154 FGO).
Die Vollstreckungsnormen der AO stehen unabhängig neben den entsprechenden Regelungen der ZPO. Regelungen der ZPO gelten, soweit die §§ 249 ff. AO sie für anwendbar erklären. Die bei der Vollstreckung zu beachtenden Regelungen der AO sind zwar grds. abschließend normiert. Allerdings können sich weitere Möglichkeiten zur Durchsetzung offener Steuerforderungen auch aus anderen Rechtsnormen ergeben (z. B. Anregung zur Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens nach § 35 GewO oder Antrag auf Passentziehung nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 i. V. mit § 8 Passgesetz). Zudem geht die InsO den Regelungen der AO vor; die Finanzbehörde kann zur Durchsetzung offener Steuerforderungen z. B. auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Das Insolvenzrecht unterscheidet dabei zwischen dem Regelinsolvenzverfahren (§§ 1–285 InsO), dem Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304–314 InsO) und besonderen Arten des Insolvenzverfahrens (§§ 315–334 InsO; z. B. Nachlassinsolvenz). Im Übrigen ist eine Aufrechnung nach § 226 AO auch im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens möglich.
Die Finanzbehörde hat zwar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zwangsweise durchzusetzen, allerdings ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Finanzbehörde ist danach verpflichtet, gegenüber dem Vollstreckungsschuldner so schonend wie möglich vorzugehen. Soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung auch einstweilen einstellen, beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sollen zudem letztlich niedergeschlagen werden, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu dem Betrag stehen (vgl. § 261 AO).
Die Vollstreckungsregelungen der AO gelten grds. auch bei der Amtshilfe hinsichtlich ausländischer Steuerforderungen. Voraussetzung dafür ist, dass dies im EG-Beitreibungsgesetz oder in einem entsprechenden Amtshilfeabkommen geregelt ist. Vgl. auch das Merkblatt des BMF über die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung/Beitreibung v. , BStBl 2004 I S. 66.
Tz. 272 Vollstreckungsbehörden
Die Finanzbehörden können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird, nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AO im Verwaltungsweg vollstrecken. Dies gilt auch für Steueranmeldungen, denn diese stehen – ggf. nach Zustimmung der Finanzbehörde – einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO). Bußgeldbescheide der Finanzbehörden können ebenfalls nach §§ 249 ff. AO vollstreckt werden (vgl. § 412 Abs. 2 AO).
Der zu vollstreckende Verwaltungsakt muss wirksam geworden sein und auch im Zeitpunkt der Vollstreckung noch wirksam sein. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hindert seine Vollstreckung nicht (bei außergerichtlicher oder gerichtlicher Anfechtung kann allerdings die Vollziehung des Verwaltungsakts ausgesetzt oder aufgehoben worden sein). Ein nichtiger Verwaltungsakt darf nicht vollstreckt werden.
Die Vollstreckung von Geldforderungen obliegt den Finanzämtern und Hauptzollämtern (§ 249 Abs. 1 Satz 3 AO). Die Vollstreckung eines Verwaltungsakts, der auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, obliegt allerdings der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat (§ 328 Abs. 1 Satz 3 AO).
Zur Vorbereitung der Vollstreckung können die Finanzbehörden die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners ermitteln (§ 249 Abs. 2 Satz 1 AO); dabei gelten die Regelungen der §§ 85–107 und §§ 111–117 AO. Unter den Voraussetzungen des § 93 AO können auch Dritte und Vorlagepflichtige zur Auskunft herangezogen werden. Die Finanzbehörde kann sich ggf. die Richtigkeit der vom Schuldner zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemachten Angaben ggf. auch an Eides statt versichern lassen, wenn andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind, fruchtlos waren oder unverhältnismäßig wären (§ 95 AO). Zur Ermittlung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse kann die Vollstreckungsstelle auch die Durchführung einer Außenprüfung anregen (§§ 193–203 AO) oder gegebenenfalls die Steuerfahndung oder Zollfahndung um Mitwirkung ersuchen (§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO). Mit Aufnahme der Ermittlungen nach § 249 Abs. 2 Satz 1 AO wird noch kein Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Die Steuerangelegenheit befindet sich noch im Vorstadium der Vollstreckung.
Werden nichtsteuerliche Geldleistungen vollstreckt, darf die Finanzbehörde alle ihr im Besteuerungsverfahren bekannt gewordenen Daten auch hierbei verwenden. § 249 Abs. 2 Satz 2 AO gestattet insoweit eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses nach § 30 AO.
Tz. 273 Vollstreckungsersuchen
Grds. darf eine Vollstreckungsbehörde Vollstreckungsmaßnahmen nur innerhalb ihres Amtsbezirks durchführen; ist die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen im Amtsbezirk einer anderen Vollstreckungsbehörde erforderlich, kann die originär zuständige Vollstreckungsbehörde aber nach §§ 111 ff. AO die örtlich zuständige Vollstreckungsbehörde um Amtshilfe ersuchen. In diesem Fall tritt die örtlich zuständige Vollstreckungsbehörde im Vollstreckungsverfahren an die Stelle der ersuchenden Vollstreckungsbehörde. Die ersuchte Vollstreckungsbehörde betreibt daher die Vollstreckung im eigenen Namen. Pfändungspfandrechte werden von der Körperschaft erworben, der die ersuchte Vollstreckungsbehörde angehört. Ungeachtet der Amtshilfe bleibt die ersuchende Vollstreckungsbehörde weiterhin für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs verantwortlich.
Hält sich die um Amtshilfe ersuchte Vollstreckungsbehörde für unzuständig oder hält sie die Handlung, um die sie ersucht worden ist, für unzulässig, teilt sie ihre Bedenken der ersuchenden Vollstreckungsbehörde mit. Gleiches gilt, wenn die ersuchte Vollstreckungsbehörde die erbetene Handlung für unzweckmäßig hält. Besteht die ersuchende Vollstreckungsbehörde dennoch auf der Ausführung des Ersuchens und lehnt die ersuchte Vollstreckungsbehörde die Ausführung gleichwohl ab, entscheidet die Aufsichtsbehörde der ersuchten Vollstreckungsbehörde über das weitere Vorgehen (s. § 250 Abs. 2 AO).
Das Ersuchen um Vornahme von Vollstreckungshandlungen durch andere Behörden ist kein Verwaltungsakt und daher vom Vollstreckungsschuldner nicht anfechtbar. Allerdings kann gegen Vollstreckungsersuchen nach § 250 Abs. 1 AO eine einstweilige Anordnung auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO beantragt werden.
Tz. 274 Vollstreckbare Verwaltungsakte
Verwaltungsakte können vollstreckt werden, soweit ihre Vollziehung nicht aufgehoben oder ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (§ 361 AO; § 69 FGO). Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbescheide können zudem nur vollstreckt werden, soweit die Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung nicht ausgesetzt ist (Art. 222 Abs. 2 Zollkodex).
Die Vollstreckung aus einem unanfechtbaren Verwaltungsakt ist allerdings unzulässig, soweit er auf einer vom BVerfG für nichtig erklärten Norm beruht (§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO i. V. mit § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Aus einer Entscheidung des BVerfG kann allerdings kein Vollstreckungsverbot abgeleitet werden, solange die darin für verfassungswidrig erklärten Regelungen der Besteuerung für eine Übergangszeit weiter anwendbar bleiben (vgl. NWB PAAAB-37477).
Tz. 275 Steuerliche Vollstreckung im Insolvenzverfahren
In Insolvenzfällen gehen die Regelungen der InsO den Regelungen der AO vor (§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Finanzbehörde ist allerdings berechtigt, in den Fällen des § 201 Abs. 2, §§ 257 und 308 Abs. 1 InsO gegen den Schuldner im Verwaltungsweg zu vollstrecken (§ 251 Abs. 2 Satz 2 AO).
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 InsO). Gleichzeitig können die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig (§ 89 InsO).
Vor der Insolvenzeröffnung begründete Abgabenansprüche können nicht mehr durch Festsetzung oder (Vor-)Anmeldung rechtswirksam werden. Die zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Abgabenforderungen sind vielmehr innerhalb der im Eröffnungsbeschluss genannten Frist schriftlich beim Verwalter anzumelden, soweit nicht die Möglichkeit einer Aufrechnung (§ 226 AO) besteht. Die Anmeldung soll die Forderungen nach Grund und Betrag bezeichnen. Sie soll auch einen Hinweise darauf enthalten, welche Forderungen bereits vor Eröffnung des Verfahrens festgesetzt worden waren und bei welchen Bestandskraft eingetreten ist.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darf die Finanzbehörde bis zum Prüfungstermin nicht nur keine Steuern mehr festsetzen, die zur Insolvenztabelle anzumelden sind; sie darf auch keine Feststellungsbescheide mehr erlassen, in denen Besteuerungsgrundlagen mit Auswirkung für das Vermögen des Gemeinschuldners festgestellt werden. Das gilt auch für Besteuerungsgrundlagen, die einheitlich und gesondert festzustellen sind (, BStBl 2005 II S. 246). Bescheide, die einen Erstattungsanspruch zugunsten der Insolvenzmasse festsetzen, können aber weiterhin bekannt gegeben werden.
Nach § 176 InsO werden im Prüfungstermin die beim Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldeten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach geprüft. Eine Forderung gilt nach § 178 InsO als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren nach § 177 InsO weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger ein Widerspruch erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung allerdings nicht entgegen. Für jede angemeldete Forderung trägt das Insolvenzgericht in die Tabelle ein, inwieweit die Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach festgestellt ist oder wer der Feststellung widersprochen hat. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern.
Ist eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben (§ 179 Abs. 1 InsO). Liegt für eine solche Forderung aber ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, ist sie also „tituliert”, obliegt es dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen (§ 179 Abs. 2 InsO).
Bei Abgabenansprüchen ist von einer derartigen „Titulierung” auszugehen, wenn vor Insolvenzeröffnung ein Bescheid bekannt gegeben oder eine Steueranmeldung abgegeben worden ist. Arrestanordnungen sind dagegen keine Titel i. S. des § 179 InsO. Wird eine nicht titulierte Abgabenforderung bestritten, stellt die Finanzbehörde das Bestehen der Abgabenforderung durch Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO fest. Adressat dieses besonderen Feststellungsbescheides ist der Bestreitende (d.h. der Insolvenzverwalter oder ein anderer Insolvenzgläubiger). Gegen den Feststellungsbescheid ist der Einspruch gegeben (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Der Insolvenzschuldner ist allerdings nicht zur Anfechtung berechtigt.
Werden in einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO Steuerforderungen aufgenommen, die auf unterschiedlichen materiell-rechtlichen Entstehungsgründen beruhen, handelt es sich nicht um unselbständige Besteuerungsgrundlagen im Sinne von Teilen des Steuerbescheides, sondern um jeweils selbständig zu beurteilende Feststellungsakte. Werden sowohl eigene Steuerschulden des Gemeinschuldners als auch Haftungsansprüche festgestellt, muss der unterschiedliche Charakter beider Forderungen klar zum Ausdruck kommen.
Besonderheiten gelten, wenn Abgabenansprüche nicht bloß Insolvenzforderungen, sondern Masseverbindlichkeiten sind. Denn nach § 53 InsO sind die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Abgabenansprüche sind Masseverbindlichkeiten, soweit sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden. In Betracht kommen hier insbesondere
Umsatzsteuer auf Umsätze nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
Einkommensteuer/Körperschaftsteuer, die sich auf Einkünfte aus der Verwaltung oder der Verwertung der Masse gründet,
Gewerbesteuer bei Weiterführung des Gewerbebetriebs durch den Verwalter,
Lohnsteuer auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgezahlte Arbeitslöhne,
Kraftfahrzeugsteuer für den laufenden Entrichtungszeitraum ab der Verfahrenseröffnung und für alle danach beginnenden Entrichtungszeiträume.
Die als Masseverbindlichkeiten entstehenden Abgabenansprüche sind durch Steuerbescheid geltend zu machen. Die Masse betreffende Verwaltungsakte können allerdings nicht durch die Bekanntgabe an den Insolvenzschuldner wirksam werden, Bekanntgabeadressat ist in diesen Fällen vielmehr der Insolvenzverwalter.
Tz. 276 Vollstreckungsgläubiger
Im steuerlichen Vollstreckungsverfahren nach §§ 249 ff. AO gilt nach § 252 AO die Körperschaft als Gläubigerin der zu vollstreckenden Ansprüche, der die Vollstreckungsbehörde angehört. Damit wird das Vollstreckungsverfahren in den Fällen erleichtert, in denen der zu vollstreckende Anspruch mehreren Körperschaften zusteht (Gemeinschaftssteuern) oder in denen die um Vollstreckung ersuchte Vollstreckungsbehörde einer anderen Körperschaft angehört als die ersuchende Vollstreckungsbehörde (vgl. § 250 AO). Die Ertragshoheit des zu vollstreckenden Steueranspruchs ist daher im Vollstreckungsverfahren unerheblich. § 252 AO gilt allerdings nicht bei einer Aufrechnung nach § 226 AO.
Tz. 277Vollstreckungsschuldner
Als Vollstreckungsschuldner gilt derjenige, gegen den sich das Vollstreckungsverfahren tatsächlich richtet, unabhängig davon, ob seine Inanspruchnahme zu Recht erfolgt oder nicht. Der Vollstreckungsschuldner ist damit nicht zwangsläufig mit dem Steuerschuldner identisch. Das Vollstreckungsverfahren kann sich nämlich auch gegen denjenigen richten, der kraft Gesetzes, z. B. nach den §§ 69–75 AO, nach § 2382 BGB, nach §§ 25, 128 HGB oder nach den Einzelsteuergesetzen, für eine Steuer haftet und durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden ist (§ 191 Abs. 1 AO). Vollstreckungsschuldner ist auch derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden und durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen worden ist (§§ 77, 191 Abs. 1 AO).
Tz. 278 Voraussetzungen für den Beginn der Vollstreckung
Die Vollstreckung darf grds. erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung mindestens eine Woche verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO). Das Leistungsgebot ist kein Verwaltungsakt des Vollstreckungsverfahrens, sondern lediglich eine Voraussetzung der Vollstreckung. Grundlage der Vollstreckung ist nicht das Leistungsgebot als solches, sondern der Verwaltungsakt, der die Leistungspflicht begründet hat. Wird ohne erforderliches Leistungsgebot oder vor Ablauf der Wochenfrist vollstreckt, sind die getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig und anfechtbar, aber nicht nichtig.
Das Leistungsgebot wird regelmäßig mit dem zu vollstreckenden Verwaltungsakt (z. B. Steuerbescheid) verbunden. Entspricht dieses Leistungsgebot nicht mehr dem aktuellen Saldenstand, ist dies gem. § 257 AO von Amts wegen zu berücksichtigen; eines jeweils aktualisierten Leistungsgebots bedarf es nicht.
Bei Haftungsbescheiden ist die Zahlungsaufforderung nach § 219 AO mit dem Leistungsgebot nach § 254 Abs. 1 AO identisch. Ein besonderes Leistungsgebot ist allerdings erforderlich, wenn der zu vollstreckende Verwaltungsakt gegen den Rechtsnachfolger wirkt, ohne ihm bekannt gegeben worden zu sein (§ 254 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 45 AO).
Beruht die offene Steuerforderung auf einer vom Vollstreckungsschuldner abgegebenen Steueranmeldung, ist weder ein Leistungsgebot noch die Einhaltung der Wochenfrist erforderlich. Ein Leistungsgebot wegen der Säumniszuschläge, Zinsen und Vollstreckungskosten ist auch nicht erforderlich, wenn sie zusammen mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden (§ 254 Abs. 2 AO).
Tz. 279 Vollstreckung gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts
Gegen den Bund oder ein Land ist die Vollstreckung nicht zulässig. Dieses Vollstreckungsverbot gilt gegenüber allen unmittelbaren Bundes- oder Landesbehörden. Gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Staatsaufsicht unterliegen, z. B. Gemeinden, Gemeindeverbände, Handels- und Handwerkskammern und Sozialversicherungsträger, ist die Vollstreckung nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde des Vollstreckungsschuldners zulässig. Die Aufsichtsbehörde bestimmt in diesem Fall den Zeitpunkt der Vollstreckung und die Vermögensgegenstände, in die vollstreckt werden kann. Die Beschränkungen gelten allerdings nicht bei der Vollstreckung gegenüber öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten.
Tz. 280 Einwendungen gegen die Vollstreckung
a) Einwendungen gegen den zugrunde liegenden Verwaltungsakt
Die AO unterscheidet zwischen der Tenorierung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, z. B. dem Erlass eines Steuer- oder Haftungsbescheids, und dessen Verwirklichung, sei es „freiwillig” im Erhebungsverfahren oder „unfreiwillig” im Vollstreckungsverfahren. Folgerichtig wird die Durchführung der Vollstreckung nicht dadurch gehindert, dass der Vollstreckungsschuldner Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt, etwa gegen die zu vollstreckende Steuerfestsetzung, erhebt. Einwendungen gegen den zugrunde liegenden Verwaltungsakt sind außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen (z. B. bei Steuerbescheiden mit dem Einspruch) zu verfolgen. Liegt einem zu vollstreckenden Verwaltungsakt allerdings eine vom BVerfG für verfassungswidrig erklärte Rechtsnorm zugrunde, ist dessen Vollstreckung nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG selbst dann unzulässig, wenn der fragliche Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist.
b) Einwendungen gegen die Vollstreckung
Gegen Vollstreckungsverwaltungsakte der Vollstreckungsbehörde ist der Einspruch gegeben (§ 347 AO). Dies gilt auch dann, wenn die Vollstreckungsbehörde im Wege der Amtshilfe oder auf Ersuchen (§ 250 AO) tätig wird. Mit einem Einspruch gegen eine Vollstreckungsmaßnahme kann u. a. geltend gemacht werden: die Unzulässigkeit der Vollstreckung überhaupt, das Fehlen der Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 254 AO; die Nichtbeachtung der Vollstreckungshemmnisse nach § 251 AO sowie die Unzuständigkeit der Vollstreckungsbehörde.
Mit dem Einspruch anfechtbar sind z. B.
Feststellungsbescheide nach § 251 Abs. 3 AO,
Ablehnung der Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 257 AO),
Aufteilungsbescheide (§ 279 AO),
Anordnung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 284 AO),
Versteigerungsanordnung (§ 296 AO),
Pfändungsmaßnahmen einschließlich der Einziehungsverfügung (§ 314 AO),
Anordnung des dinglichen Arrests (§ 324 AO),
Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO).
Nicht mit dem Einspruch anfechtbar sind Mitteilungen ohne Regelungscharakter sowie interne Maßnahmen der Finanzbehörden, z. B. ein Vollstreckungsersuchen an eine andere Finanzbehörde, die Rückstandsanzeige, die innerdienstliche Vollstreckungsanordnung, der Vollstreckungsauftrag an den Vollziehungsbeamten, die Ankündigung von Vollstreckungsmaßnahmen, die Androhung der Pfandverwertung oder die Niederschlagung.
Sind die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung selbst begründet, ist die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken. Der Vollstreckungsschuldner kann bei Ablehnung einer Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung ggf. außerhalb des Vollstreckungsverfahrens den Erlass eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO beantragen.
Ein Einspruch gegen Vollstreckungsverwaltungsakte ist unzulässig vor Beginn der Vollstreckungsmaßnahme, gegen die er sich richtet. Der Vollstreckungsschuldner kann allerdings einen Antrag auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 258 AO) stellen; ggf. kann er auch eine vorbeugende Unterlassungs- oder Feststellungsklage erheben. Nach Beginn der Vollstreckung kann der Vollstreckungsschuldner im Einspruchsverfahren ggf. auch Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) beantragen.
Es ist umstritten, inwieweit nach Beendigung einer Vollstreckungsmaßnahme ein Einspruch zulässig ist. In jedem Fall ist aber zumindest die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 41 FGO zulässig. Stellt daraufhin das Finanzgericht die Rechtswidrigkeit der Vollstreckungsmaßnahme fest, sind die vereinnahmten Beträge zu erstatten und andere Vollstreckungsmaßnahmen – soweit möglich – rückgängig zu machen.
Tz. 281 Einstellung und Beschränkung der Vollstreckung
Die Vollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken, sobald (und ggf. soweit)
der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wurde (§§ 129, 130, 131, 164, 165, 172 ff. AO),
der Anspruch auf die Leistung erloschen ist, z. B. durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung (§ 47 AO),
die Vollziehung des Verwaltungsakts, aus dem vollstreckt wird, ausgesetzt oder aufgehoben wurde (§ 251 Abs. 1 i. V. mit § 361 AO) oder
die Leistung gestundet wurde (§ 222 AO).
Bei Aufhebung des zugrunde liegenden Verwaltungsakts oder Erlöschen des zu vollstreckenden Anspruchs sind bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Wurde der maßgebende Verwaltungsakt durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben, gilt dies nur, soweit die Entscheidung unanfechtbar geworden ist und nicht aufgrund der Entscheidung ein neuer Verwaltungsakt zu erlassen ist (§ 257 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Ablösung zu vollstreckender Vorauszahlungsbescheide durch einen Jahressteuerbescheid führt nicht dazu, dass aufgrund des Vorauszahlungsbescheids getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben wären. Der Jahressteuerbescheid löst den Vorauszahlungsbescheid lediglich als Grundlage der Vollstreckung ab. Ergibt sich aus der Abrechnung des Jahressteuerbescheids eine über die rückständigen Vorauszahlungen hinausgehende Abschlusszahlung, darf diese erst nach Erlass eines entsprechenden Leistungsgebots (§ 254 AO) vollstreckt werden.
Ist die zu vollstreckende Leistung gestundet oder die Vollziehung des Verwaltungsakts ausgesetzt worden, bleiben die Vollstreckungsmaßnahmen bestehen, soweit nicht ihre Aufhebung ausdrücklich angeordnet oder die Rückwirkung der Aufhebung der Vollziehung verfügt worden ist. Bleiben Vollstreckungsmaßnahmen bestehen, haben für die Dauer einer Stundung oder Aussetzung der Vollziehung weitere Maßnahmen zur Durchführung der Vollstreckung zu unterbleiben, wie z. B. die Verwertung gepfändeter Sachen.
Soweit nach § 257 AO bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind, gilt Folgendes:
Pfändungen (Sachpfändungen, Pfändungen von Forderungen und anderen Vermögensrechten) sind aufzuheben.
Ist dem Vollziehungsbeamten bereits ein Vollstreckungsauftrag erteilt worden, ist er anzuweisen, keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen mehr zu ergreifen.
Der Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek (vgl. § 322 AO) ist durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt zurückzunehmen, wenn die Sicherungshypothek noch nicht eingetragen ist (§§ 29, 31 GBO).
Wurde die Sicherungshypothek zugunsten der Vollstreckungsbehörde bereits eingetragen, bleibt es dem Grundstückseigentümer überlassen, das Grundbuch berichtigen zu lassen. Dem Vollstreckungsschuldner oder einem anderen Berechtigten ist eine Zahlungsbestätigung und löschungsfähige Quittung oder Löschungsbewilligung zu erteilen.
Ein Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung (§ 322 Abs. 4 AO) ist durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Vollstreckungsgericht, durch mündliche Erklärung im Versteigerungstermin (zur Aufnahme in die Sitzungsniederschrift) oder zu Protokoll des Urkundsbeamten des Vollstreckungsgerichts zurückzunehmen.
Ein Insolvenzantrag ist schriftlich gegenüber dem Insolvenzgericht für erledigt zu erklären. Der Insolvenzantrag kann nicht mehr für erledigt erklärt werden, wenn das Gericht den Beschluss über die Eröffnung verkündet, einem Beteiligten zugestellt oder öffentlich bekannt gemacht hat.
Die volle oder teilweise Ablehnung der Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung kann mit dem Einspruch angefochten werden. Daneben kann der Vollstreckungsschuldner auch den Erlass eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO beantragen, der seinerseits mit dem Einspruch angefochten werden kann. Eine Vollstreckungsgegenklage entsprechend § 767 ZPO ist im steuerlichen Vollstreckungsverfahren unzulässig. Auch § 775 Nr. 5 ZPO ist nicht anwendbar.
Tz. 282 Einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung
Soweit und solange im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen, beschränken oder eine bereits vollzogene Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Die Entscheidung hierüber ist von der Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) zu treffen.
Die Einstellung oder Beschränkung ist nicht von einem Antrag des Vollstreckungsschuldners abhängig. Begehrt der Antragsteller, die Vollstreckung einstweilen einzustellen, zu beschränken oder eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben, ist die einstweilige Anordnung der richtige Rechtsbehelf. Der Antragsteller hat dabei einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Anordnungsanspruch kann der Anspruch nach § 258 AO auf Vollstreckungsaufschub wegen Unbilligkeit sein.
Billigkeitsmaßnahmen nach § 258 AO betreffen nicht den Bestand, sondern lediglich die Art und Weise oder den Zeitpunkt der Geltendmachung der Steuerforderung. Eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung oder die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme lässt daher auch die zugrunde liegende Säumnis unberührt, weshalb Säumniszuschläge nach § 240 AO weiterhin entstehen. Im Einzelfall kann aber ein Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit geboten sein.
Maßnahmen nach § 258 AO sind grds. nur vorläufiger Natur. Sie dürfen keinen Dauerzustand schaffen. Ist die Vollstreckung schlechthin und dauerhaft unbillig, ist regelmäßig ein Erlass der zu vollstreckenden Forderung nach § 227 AO geboten.
Unbilligkeit der Vollstreckung ist anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte. Nachteile, die üblicherweise mit der Vollstreckung oder der einzelnen Vollstreckungsmaßnahme verbunden sind, begründen keine Unbilligkeit. Auch der Umstand, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt noch nicht unanfechtbar ist, begründet keine Unbilligkeit der Vollstreckung.
Hat der Vollstreckungsschuldner wegen der zu vollstreckender Rückstände Stundung (§ 222 AO), Erlass (§ 227 AO) oder Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Abs. 2 FGO) beantragt, hat die Vollstreckungsbehörde zu entscheiden, ob und ggf. inwieweit Vollstreckungsmaßnahmen begonnen oder bereits begonnene Vollstreckungsverfahren eingestellt, beschränkt oder fortgeführt werden sollen. Das Vollstreckungsverfahren ist zu beginnen oder fortzuführen, wenn die Anträge aussichtslos erscheinen, wenn sie offensichtlich nur den Zweck verfolgen, das Vollstreckungsverfahren hinauszuschieben, oder wenn Gefahr im Verzug besteht. Bietet der Vollstreckungsschuldner Ratenzahlungen an, müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Steuerschulden in einen absehbaren Zeitraum zurückgeführt werden können. Davon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Tilgung einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren in Anspruch nehmen würde.
Nach positiver Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde über die Stundung, den Erlass oder die Aussetzung der Vollziehung ist die Vollstreckung nach § 257 AO einzustellen oder zu beschränken.
II. Vollstreckung wegen Geldforderungen
Die AO enthält unterschiedliche Regelungen für die Vollstreckung wegen Geldforderungen (d.h. insbesondere für Steuer- und Haftungsansprüche) und für die Vollstreckung wegen anderer Leistungen (insbesondere Durchsetzung wegen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen). Die §§ 259 - 327 AO enthalten die Regelungen über die Vollstreckung wegen Geldforderungen. Dabei gilt folgende Gliederung:
Aufteilung einer Gesamtschuld (§§ 268–280 AO; s. Tz. 292 ff.),
Vollstreckung in das bewegliche Vermögen (§§ 281–321 AO; s. Tz. 305 ff.),
Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen (§§ 322, 323 AO; s. Tz. 346 f.),
Verwertung von Sicherheiten (§ 327 AO; s. Tz. 351).
Tz. 283 Mahnung
Der Vollstreckungsschuldner soll nach § 259 Satz 1 AO vor Beginn der Vollstreckung grds. mit einer Zahlungsfrist von einer Woche gemahnt werden. Gemahnt werden kann in schriftlicher oder mündlicher Form, durch Postnachnahmeauftrag oder durch allgemeine Zahlungsaufforderung. Steuerliche Nebenleistungen (insbes. Zinsen und Säumniszuschläge) müssen nicht gesondert angemahnt werden, wenn wegen der Hauptleistung nach entsprechender Mahnung vollstreckt wird.
Mit dem Gebot zur Mahnung soll ein säumiger Steuerzahler vor „unliebsamen Überraschungen” durch unerwartete Vollstreckungsmaßnahmen bewahrt werden. Die Regelung dient aber auch der Verwaltungsvereinfachung, da Zwangsvollstreckungsmaßnahmen entbehrlich sind, wenn der säumige Zahlungspflichtige innerhalb der gesetzten Frist seine Schuld erfüllt.
Eine Mahnung ist die nochmalige (nach Steuerbescheid mit Leistungsgebot) empfangsbedürftige Aufforderung an den (künftigen) Vollstreckungsschuldner, einen geschuldeten, nach Rechtsgrund und Höhe bestimmten Betrag binnen einer bestimmten Frist an die Kasse der Finanzbehörde zu bezahlen. Sie ist kein (anfechtbarer) Verwaltungsakt, soweit sie lediglich die im Leistungsgebot (§ 254 AO) ausgesprochene Zahlungsaufforderung wiederholt. Die Mahnung ist dann Verwaltungsakt, wenn sie eine neue selbständige Entscheidung enthält, z. B. die erstmalige Aufforderung zur Zahlung von Säumniszuschlägen. Ging der Mahnung kein Leistungsgebot voraus, kann die Mahnung ggf. in ein Leistungsgebot umgedeutet werden.
Die Mahnung ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme (, BStBl 1984 II S. 167). Vollstreckungsmaßnahmen sind daher auch dann zulässig, wenn zuvor keine Mahnung ergangen ist. Denn bei § 259 Satz 1 AO handelt es sich nur um eine Sollvorschrift. Die Unterlassung einer Mahnung ist z. B. sachgerecht, wenn der Vollstreckungsschuldner bereits wiederholt säumig war oder wenn durch eine Mahnung der Erfolg der Vollstreckungsmaßnahmen gefährdet würde.
Einer Mahnung bedarf es nach § 259 Satz 3 AO allerdings nicht, wenn der Schuldner vor Eintritt der Fälligkeit an die Zahlung erinnert wird. Eine derartige Zahlungserinnerung ist zwar keine Mahnung, sie übernimmt aber im Ergebnis deren Funktion. Eine Zahlungserinnerung i. S. des § 259 Satz 3 AO liegt z. B. vor, wenn die Finanzbehörde vor Fälligkeit einer Geldforderung vorbereitete Überweisungs- oder Zahlungsvordrucke zusendet.
Die Mahnung hat keine Auswirkungen auf die Fälligkeit der gemahnten Geldforderung, daher entstehen auch in der Wochenfrist weiterhin Säumniszuschläge. Auch kann innerhalb der Wochenfrist aufgerechnet werden. Die schriftliche Mahnung unterbricht die Zahlungsverjährung (§ 231 Abs. 1 Satz 1 AO).
Für das Mahnverfahren werden keine Kosten erhoben (§ 337 Abs. 2 Satz 1 AO). Jedoch hat der Vollstreckungsschuldner die Kosten zu tragen, die durch einen Postnachnahmeauftrag nach § 259 Satz 2 AO entstehen (§ 337 Abs. 2 Satz 2 AO).
Tz. 284 Angabe des Schuldgrundes
Im Vollstreckungsauftrag (§ 285 Abs. 2 AO) oder in der Pfändungsverfügung (§ 309 AO) ist für die beizutreibenden Geldbeträge der Schuldgrund anzugeben. Dabei sind Abgabenart, Entstehung der Zahlungsverpflichtung sowie Höhe und Fälligkeit des beizutreibenden Betrags anzugeben (vgl. , BStBl 1983 II S. 435). Besteht der beizutreibende Betrag aus verschiedenen Zahlungsverpflichtungen, sind diese entsprechend aufzugliedern. In der dem Drittschuldner zuzustellenden Pfändungsverfügung ist anstelle der Bezeichnung des Schuldgrunds zumindest die Summe des beizutreibenden Geldbetrages anzugeben; das Steuergeheimnis steht dem nicht entgegen (, BStBl 2001 II S. 5).
Tz. 285 Niederschlagung
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO) dürfen nach § 261 AO niedergeschlagen werden, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu dem Betrag stehen. Dies gilt auch für Ordnungsgelder sowie für Kosten aufgrund von Bescheiden der Finanzbehörden im Bußgeldverfahren (§ 412 Abs. 2 und 3 AO).
Es steht fest, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, wenn Vollstreckungsversuche erfolglos waren und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Vermögen verborgen gehalten wird. Nicht ausreichend sind bloße Existenzgefährdung, Zahlungsunfähigkeit, ferne Gründe, die eine Stundung rechtfertigen könnten. Eine Niederschlagung ist erst zu verfügen, wenn feststeht, dass die rückständigen Beträge weder vom Vollstreckungsschuldner noch von einem Dritten (als Gesamt- oder Haftungsschuldner) eingezogen werden können. Die Vollstreckungsbehörde hat – insbesondere bei größeren Rückständen – stichprobenweise vor dem Eintritt der Verjährung die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners zu prüfen, ggf. ist die Verjährung durch Maßnahmen nach § 231 AO zu unterbrechen und die Vollstreckung fortzusetzen. Auf eine Überwachung kann allerdings verzichtet werden, sobald feststeht, dass mit einer künftigen Realisierung der Ansprüche mit Sicherheit nicht mehr zu rechnen ist.
Ob die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zum niederzuschlagenden Betrag stehen, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Nach Abschn. 15 der Vollstreckungsanweisung kann grds. davon ausgegangen werden, dass die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu dem geschuldeten Betrag stehen, wenn
die Summe der rückständigen Beträge weniger als 25 € beträgt, es sei denn, der Vollstreckungsauftrag kann zusammen mit Vollstreckungsaufträgen gegen andere Vollstreckungsschuldner ohne übermäßigen Zeitaufwand ausgeführt werden;
die Summe der rückständigen Beträge weniger als 250 € beträgt, die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen durch den Vollziehungsbeamten erfolglos verlaufen ist und andere Vollstreckungsmöglichkeiten, zum Beispiel Lohn- oder Kontenpfändungen, auch nach Auswertung der Steuerakten, nicht ersichtlich sind;
die Summe der rückständigen Beträge weniger als 250 € beträgt, der Vollstreckungsschuldner aber unbekannt verzogen ist, Aufenthaltsermittlungen bei den zuständigen Behörden erfolglos verlaufen sind und im Übrigen keine Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen.
Die Niederschlagung ist eine verwaltungsinterne Maßnahme der Vollstreckungsbehörde. Durch eine Niederschlagung wird der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis weder hinsichtlich seines Bestehens noch hinsichtlich seiner Fälligkeit noch hinsichtlich seiner Durchsetzbarkeit berührt. Bis zu seinem Erlöschen (vgl. § 47 AO) kann der Anspruch daher trotz Niederschlagung weiterhin jederzeit geltend gemacht werden.
Die Niederschlagung soll dem Vollstreckungsschuldner grds. nicht mitgeteilt werden. Wird sie dennoch mitgeteilt, muss zum Ausdruck gebracht werden, dass die Niederschlagung nicht die Wirkung einer Stundung (§ 220 AO) oder eines Erlasses (§ 227 AO) hat. Unterbleibt ein derartiger Hinweis, kann die dem Steuerpflichtigen mitgeteilte Niederschlagung allerdings Rechtswirkungen entfalten, die über ein unverbindliches Verwaltungsinternum hinausgehen (vgl. , BStBl 1991 II S. 742).
Tz. 286 Rechte Dritter
§ 262 AO schützt die Rechte Dritter, die diese am Gegenstand der Vollstreckung haben und die durch die Vollstreckungsmaßnahmen beeinträchtigt werden könnten. Behauptet ein Dritter, dass ihm am Gegenstand der Vollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, oder werden Einwendungen nach §§ 772–774 ZPO erhoben, ist der Widerspruch gegen die Vollstreckung durch Klage vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, sofern die Vollstreckungsbehörde dem Widerspruch nicht abhilft. Dritte i. S. des § 262 AO sind Personen, die weder Vollstreckungsgläubiger noch Vollstreckungsschuldner sind. Als Dritter gilt auch, wer zur Duldung der Vollstreckung in ein Vermögen, das von ihm verwaltet wird, verpflichtet ist, wenn er geltend macht, dass ihm gehörende Gegenstände von der Vollstreckung betroffen seien.
Ein die Veräußerung hinderndes Recht i. S. des § 262 Abs. 1 Satz 1 AO ist dabei jedes materielle Recht, das ein Dritter der Vollstreckung entgegensetzen kann (, BStBl 1981 II S. 348). Die Pfändung einer Forderung ist hiernach z. B. nicht zulässig, wenn die Forderung nicht dem Vollstreckungsschuldner zusteht. Das Recht des Dritten an der Forderung steht nämlich der Vollstreckung entgegen. Besteht das Recht des Dritten in einem Pfand- oder Vorzugsrecht an einer Sache, die nicht in seinem Besitz ist, kann er der Pfändung nicht nach § 262 AO widersprechen, sondern nur vorzugsweise Befriedigung verlangen (§ 293 AO).
Über Einwendungen Dritter nach § 262 AO hat die Vollstreckungsbehörde unverzüglich zu entscheiden. Gibt sie den Einwendungen nicht statt, hat sie den Dritten auf die Möglichkeit der Klage hinweisen. Zuständig für Drittwiderspruchsklagen sind aber nicht die Finanzgerichte, sondern die ordentlichen Gerichte. Damit trägt § 262 AO dem Aspekt Rechnung, dass es sich aus Sicht des Dritten nicht um eine Abgabenangelegenheit handelt, sondern um einen Eingriff in sein privates Vermögen.
Die Klage ist nach § 262 Abs. 3 Satz 1 AO ausschließlich bei dem Gericht zu erheben, in dessen Bezirk die Vollstreckung erfolgt. Bei der Pfändung einer Forderung oder eines sonstigen Vermögensrechts richtet sich die Zuständigkeit nach dem Sitz der pfändenden Vollstreckungsbehörde. Bei der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen ist das Gericht der belegenen Sache zuständig. Richtet der Dritte seine Klage zugleich gegen die Körperschaft, der die Vollstreckungsbehörde angehört, und gegen den Vollstreckungsschuldner, sind sie Streitgenossen.
Die Vollstreckung wird durch Einwendungen und durch Klage nach § 261 Abs. 1 AO nicht gehemmt. Das Prozessgericht kann aber die Einstellung der Vollstreckung und die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen nach §§ 769, 770 ZPO einstweilig anordnen (§ 262 Abs. 2 AO).
Tz. 287 Vollstreckung gegen Ehegatten
Für die Vollstreckung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gegen Ehegatten sind die §§ 739, 740, 741, 743, 744a und 745 ZPO entsprechend anzuwenden. Die Konsequenzen für die Vollstreckung zeigt Abschn. 27 VollstrA auf.
Die Drittwiderspruchsklage nach § 262 AO ist möglich, wenn der Ehegatte, der nicht Vollstreckungsschuldner ist, die Eigentumsvermutung des § 1362 BGB i. V. mit § 739 ZPO widerlegt, wenn er bei einer Vollstreckung in das Gesamtgut einer Gütergemeinschaft geltend macht, dass das Gesamtgut nicht haftet, oder wenn er eine Verletzung des § 741 ZPO geltend macht. Zur Widerlegung der Vermutung des § 1362 Abs. 1 Satz 1 BGB braucht der nicht schuldende Ehegatte lediglich seinen Eigentumserwerb, dagegen nicht den Fortbestand seines Eigentums zu beweisen.
Tz. 288 Vollstreckung gegen Nießbraucher
Für die Vollstreckung in Gegenstände, die dem Nießbrauch an einem Vermögen unterliegen, ist § 737 ZPO entsprechend anzuwenden. Aus Leistungsgeboten wegen Forderungen, die vor der Bestellung eines Nießbrauchs an einem Vermögen (§ 1085 BGB) gegen den Besteller entstanden sind, kann daher in Gegenstände des dem Nießbrauch unterliegenden Vermögens nur vollstreckt werden, wenn gegen den Nießbraucher ein vollstreckbares Leistungsgebot auf Duldung der Vollstreckung ergangen ist (§ 737 Abs. 1 ZPO; § 1086 BGB). Entsprechendes gilt bei dem Nießbrauch an einer Erbschaft für die Nachlassverbindlichkeiten.
Tz. 289 Vollstreckung gegen Erben
Für die Vollstreckung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gegen Erben sind §§ 1958, 1960 Abs. 3, § 1961 BGB sowie §§ 747, 748, 778, 779, 781–784 ZPO anzuwenden. Damit wird sichergestellt, dass bei einer Verwaltungsvollstreckung nach der AO nicht anders verfahren wird als bei einer Vollstreckung nach der ZPO. Einzelheiten enthalten Abschn. 30, 31 VollstrA.
Tz. 290 Sonstige Fälle beschränkter Haftung
§§ 781–784 ZPO sind auf die nach § 1489 BGB eintretende beschränkte Haftung, § 781 ZPO ist auf die nach den §§ 1480, 1504 und 2187 BGB eintretende beschränkte Haftung entsprechend anzuwenden. Dies betrifft insbesondere folgende Fallgestaltungen:
Beschränkung der Haftung eines überlebenden Ehegatten bei fortgesetzter Gütergemeinschaft (§ 1489 BGB);
Beschränkung der Haftung eines Vermögensübernehmers (§ 419 BGB);
Beschränkung der Haftung der Ehegatten und Abkömmlinge wegen Gesamtgutsverbindlichkeiten nach Teilung des Gesamtguts (§§ 1480, 1504 BGB);
Beschränkung der Haftung eines Vermächtnisnehmers (§ 2187 BGB).
Ein Vermächtnisnehmer haftet bei geltend gemachter Erschöpfungseinrede (§ 2187 Abs. 3, § 1992 BGB) nur mit dem Wert des ihm vermachten Gegenstands.
Tz. 291 Vollstreckung gegen nicht rechtsfähige Personenvereinigungen
Zur Vollstreckung in das Vermögen einer nichtrechtsfähigen Personenvereinigung (z. B. GbR, OHG, KG), die selbst steuerpflichtig ist, ist ein vollstreckbarer Verwaltungsakt nebst Leistungsgebot gegen diese Personenvereinigung erforderlich und ausreichend (zur Bekanntgabe vgl. § 122 AO). Das gleiche gilt für Zweckvermögen (z. B. Stiftung) und sonstige einer juristischen Person ähnliche steuerpflichtige Gebilde (z. B. Betrieb gewerblicher Art).
Die Vollstreckung in das Vermögen eines Gesellschafters oder eines Mitglieds einer Vereinigung ist nur aufgrund eines gegen den einzelnen Gesellschafter oder das einzelne Mitglied gerichteten Haftungsbescheids und Leistungsgebots möglich (§ 191 Abs. 1 und 4, § 249 Abs. 1 und § 254 Abs. 1 AO).
Tz. 292 Aufteilung einer Gesamtschuld
Das BVerfG hat die durch die Zusammenveranlagung herbeigeführte Gesamtschuldnerschaft der Ehegatten nur unter der Voraussetzung gebilligt, dass ein Weg zur Aufteilung der Gesamtschuld eröffnet wird, so dass die Gesamthaftung gegen den Willen der Ehegatten nicht verwirklicht werden kann (, 1 BvL 20/60, BStBl 1961 I S. 55). Nur unter dieser Voraussetzung ist ein Art. 6 Abs. 1 GG widersprechende Benachteiligung von Ehegatten gegenüber unverheirateten Steuerpflichtigen ausgeschlossen.
Die Regelungen über die (antragsgebundene) Aufteilung einer Gesamtschuld in §§ 268 – 280 AO ermöglichen folgerichtig Ehegatten die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer, ohne den Preis gesamtschuldnerischer Haftung zahlen zu müssen. Der Vorteil des Splittingtarifs muss nicht durch Nachteile bei der Vollstreckung „erkauft” werden. Die Regelungen über die Aufteilung gelten nur für Ansprüche des Fiskus gegen die Gesamtschuldner; sie gelten nicht für Erstattungsansprüche der zusammenveranlagten Ehegatten (vgl. dazu die Erläuterungen zu § 37 AO; Tz. 49).
Sind Personen Gesamtschuldner, weil sie zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden sind, kann jeder Gesamtschuldner nach § 268 AO beantragen, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern allen Gesamtschuldnern gegenüber auf den Betrag beschränkt wird, der sich bei einer Aufteilung der Steuern nach §§ 269–278 AO ergibt. Nach dem Tod eines Gesamtschuldners können dessen Gesamtrechtsnachfolger (Erben) die Aufteilung der Gesamtschuld beantragen.
Da die Vermögensteuer für Zeiträume nach 1997 nicht mehr erhoben wird, hat die Regelung des § 271 AO keine praktische Bedeutung mehr.
Tz. 293 Aufteilungsantrag
Der Aufteilungantrag ist bei dem im Zeitpunkt der Antragstellung für die Besteuerung nach § 19 AO örtlich zuständigen Finanzamt schriftlich zu stellen oder zur Niederschrift zu erklären (§ 269 Abs. 1 AO). Dies gilt auch dann, wenn das für die Einkommensbesteuerung zuständige Finanzamt eine andere Finanzbehörde um Vornahme der Vollstreckung ersucht hat.
Solange keiner der Gesamtschuldner einen Aufteilungsantrag stellt, kann die Finanzbehörde von jedem der Gesamtschuldner die volle Leistung fordern (vgl. § 44 AO). Wird ein Aufteilungsantrag (rechtzeitig) gestellt, muss die Finanzbehörde die Aufteilung der Gesamtschuld vornehmen, sie hat also keinen Ermessensspielraum.
Die Gesamtschuld als solche wird durch die Aufteilung nicht berührt. Die Befugnis zusammenveranlagter Ehegatten, die Aufteilung ihrer Gesamtschuld zu beantragen, begründet nämlich keine Einrede, die der (rechtzeitigen) Aufrechnung der Finanzbehörde mit der Gesamtschuld entgegensteht (, BStBl 1991 II S. 493).
Der Aufteilungsantrag kann erst nach der Bekanntgabe des Leistungsgebots gestellt werden. Ein vorher gestellter Antrag ist unzulässig; dieser Mangel wird durch die spätere Bekanntgabe des Leistungsgebots nicht geheilt. Wurde die rückständige Steuer bereits vollständig getilgt, ist ein Aufteilungsantrag nicht mehr zulässig (§ 269 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies gilt auch dann, wenn die Tilgung der Gesamtschuld im Wege der Aufrechnung durch die Finanzbehörde erfolgt ist.
Tz. 294 Allgemeiner Aufteilungsmaßstab bei der Einkommensteuer-Veranlagung
Die Aufteilung rückständiger Einkommensteuer zusammenveranlagter Ehegatten erfolgt durch eine fiktive getrennte Veranlagung, bei der die Besteuerungsgrundlagen aus dem Zusammenveranlagungsbescheid allerdings unverändert zu übernehmen sind. Die fiktive getrennte Veranlagung führt damit nicht zu einer Neuberechnung der Steuer. Die Summe der Teilschulden muss nach der Aufteilung vielmehr die Gesamtschuld der ursprünglichen Veranlagung ergeben (§ 270 AO). Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die rückständige Steuerschuld nach dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten aufzuteilen, weil dieses Verfahren den Gesamtschuldner mit dem niedrigeren Einkommen benachteiligt hätte.
Tz. 295 Aufteilungsmaßstab für Vorauszahlungen
Rückständige Einkommensteuer-Vorauszahlungen sind im Verhältnis der Beträge aufzuteilen, die sich bei einer getrennten Festsetzung der Vorauszahlungen ergeben würden. Ein Aufteilungsantrag über Vorauszahlungen gilt zugleich als Aufteilungsantrag über weitere im gleichen Veranlagungszeitraum fällig werdende Vorauszahlungen und eine etwaige Abschlusszahlung. Nach Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung ist eine abschließende Aufteilung vorzunehmen; aufzuteilen ist dabei die gesamte Steuer abzüglich der Beträge, die nicht in die Aufteilung der Vorauszahlungen einbezogen worden sind. Jedem Gesamtschuldner sind die von ihm auf die aufgeteilten Vorauszahlungen entrichteten Beträge auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen. Ergibt sich eine Überzahlung gegenüber dem Aufteilungsbetrag, ist der überzahlte Betrag zu erstatten. Werden Vorauszahlungen erst nach der Veranlagung aufgeteilt, wird der für die veranlagte Steuer geltende Aufteilungsmaßstab angewendet.
Tz. 296 Aufteilung von Steuernachforderungen
§ 273 AO enthält eine Sonderregelung bei der späteren Korrektur einer Steuerfestsetzung. Ergibt sich aufgrund der Änderung (§§ 164, 165, 172 ff. AO) oder Berichtigung (§ 129 AO) einer Steuerfestsetzung eine Steuernachforderung, ist die aus der Nachforderung herrührende rückständige Steuer im Verhältnis der Mehrbeträge aufzuteilen, die sich bei einem Vergleich der berichtigten getrennten Veranlagungen mit den früheren getrennten Veranlagungen ergeben. Dies gilt allerdings nicht, wenn die bisher festgesetzte Steuer noch nicht getilgt ist.
Tz. 297 Besonderer Aufteilungsmaßstab
Nach § 274 AO kann die rückständige Steuer – abweichend von §§ 270–273 AO – auch nach einem von den Gesamtschuldnern gemeinschaftlich vorgeschlagenen Maßstab aufgeteilt werden, wenn die Tilgung sichergestellt ist. Der gemeinschaftliche Vorschlag muss schriftlich eingereicht oder zur Niederschrift erklärt und muss von allen Gesamtschuldnern unterschrieben werden. Die Gesamtschuldner haben allerdings keinen Rechtsanspruch auf Anwendung des besonderen Aufteilungsmaßstabs, die Annahme des Antrags steht im Ermessen des Finanzamts.
Tz. 298 Abrundung des aufzuteilenden Betrags
Der aufzuteilende Betrag ist auf volle Euro abzurunden. Die errechneten aufgeteilten Beträge sind so auf den nächsten durch 10 Cent teilbaren Betrag auf- oder abzurunden, dass ihre Summe mit dem der Aufteilung zugrunde liegenden Betrag übereinstimmt.
Tz. 299 Rückständige Steuer, Einleitung der Vollstreckung
§ 276 AO enthält nähere Bestimmungen zur Höhe des aufzuteilenden Betrags.
Bei der Aufteilung sind die Rückstände im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend, wenn der Antrag nach Bekanntgabe des Leistungsgebots und vor Einleitung der Vollstreckung bei der Finanzbehörde eingegangen ist (§ 276 Abs. 1 AO). Zahlungen, die nach Antragstellung von einem Gesamtschuldner geleistet worden sind, oder Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen werden demjenigen angerechnet, der sie geleistet hat oder für den sie geleistet worden sind (§ 276 Abs. 6 AO). Ergibt sich dabei eine Überzahlung gegenüber dem Aufteilungsbetrag, ist der überzahlte Betrag zu erstatten.
Ist der Antrag dagegen erst nach Einleitung der Vollstreckung bei der Finanzbehörde eingegangen, ist die im Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung geschuldete (und zu vollstreckende) Steuer aufzuteilen (§ 276 Abs. 2 AO). Die Vollstreckung gilt nach § 276 Abs. 5 AO bereits mit der Ausfertigung der Rückstandsanzeige als eingeleitet. Zahlungen, die nach Einleitung der Vollstreckung von einem Gesamtschuldner geleistet worden sind, oder Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen werden demjenigen angerechnet, der sie geleistet hat oder für den sie geleistet worden sind (§ 276 Abs. 6 AO). Ergibt sich dabei eine Überzahlung gegenüber dem Aufteilungsbetrag, ist der überzahlte Betrag zu erstatten.
Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen sind nach § 276 Abs. 3 AO auch dann in die Aufteilung einzubeziehen, wenn sie vor der Stellung des Aufteilungsantrags entrichtet worden sind. Zur rückständigen Steuer gehören auch Säumniszuschläge, Zinsen und Verspätungszuschläge (§ 276 Abs. 4 AO).
Tz. 300 Vorläufige Einschränkung der Vollstreckung bis zur Entscheidung über einen Aufteilungsantrag
Wurde die Aufteilung einer Gesamtschuld vor Tilgung der Schuld beantragt, dürfen Vollstreckungsmaßnahmen, solange über den Antrag durch die für die Steuerfestsetzung zuständige Stelle nicht unanfechtbar entschieden worden ist, nur insoweit durchgeführt werden, als dies zur Sicherung des Anspruchs erforderlich ist. Der nach § 268 AO gestellte Aufteilungsantrag ist identisch mit dem in § 277 AO genannten Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung. Unerheblich ist, welcher der beiden Gesamtschuldner den Antrag auf Aufteilung gestellt hat.
Der Aufteilungsantrag eines der Gesamtschuldner zieht die Rechtsfolge des § 277 AO für beide Gesamtschuldner nach sich, und das auch unabhängig davon, welches das voraussichtliche Ergebnis der Aufteilung durch die Finanzbehörde sein wird. § 277 AO entfaltet daher seine Schutzwirkung für jeden der Gesamtschuldner, solange über einen Aufteilungsantrag noch nicht unanfechtbar entschieden ist. Verwertungsmaßnahmen (wie z. B. die Einziehung einer Forderung) sind daher erst nach Bestandskraft des Aufteilungsbescheids zulässig, unabhängig davon, ob der betreffende Gesamtschuldner diesen Schutz auch verdient (, BStBl 2004 II S. 566).
Tz. 301 Endgültige Beschränkung der Vollstreckung nach unanfechtbarer Entscheidung über einen Aufteilungsantrag
Vollstreckungsmaßnahmen, die über Maßnahmen zur Sicherung des Steueranspruchs hinausgehen, dürfen erst dann durchgeführt werden, wenn die Aufteilung bestandskräftig ist. Erst dann kommt die volle Wirkung der Vollstreckung, und zwar nach Maßgabe der auf die einzelnen Gesamtschuldner entfallenden Beträge, zum Zuge (§ 278 Abs. 1 AO). Jeder Gesamtschuldner (Ehegatte) trägt nunmehr „seine” Steuerschuld allein (vgl. , BStBl 2002 II S. 214). Ein neues Leistungsgebot aufgrund des Aufteilungsbescheids ist nicht erforderlich. Hat ein Ehegatte auf „seine” Steuerschuld Überzahlungen geleistet, sind sie ihm zu erstatten; entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben. Nach einer Aufteilung der Steuerschulden kann das Finanzamt folglich auch nicht mehr gegenüber dem Ehegatten aufrechnen, auf den nach der Aufteilung kein Rückstand mehr entfällt.
Tz. 302 Anfechtung missbräuchlicher Vermögensübertragungen
Vom Grundprinzip der endgültigen Aufteilung der Gesamtschuld sieht § 278 Abs. 2 AO eine Ausnahme für missbräuchliche Vermögensübertragungen vor. Werden einem Steuerschuldner von einer mit ihm zusammen veranlagten Person in oder nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände bestehen, unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet, kann der Empfänger über den sich § 278 Abs. 1 AO ergebenden Betrag hinaus bis zur Höhe des gemeinen Werts dieser Zuwendung für die Steuer in Anspruch genommen werden. Zum Schutz des Gläubigers soll missbräuchlichen Vermögensverschiebungen des Schuldners entgegengewirkt werden, die geeignet sind, die Vollstreckung wegen der Steuerforderung zu vereiteln. Damit soll dem Gläubiger der Zugriff auf die zugewendeten Vermögensgegenstände bzw. auf deren Wert erhalten bleiben. Ausgenommen von der Anfechtungsmöglichkeit sind gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke. Zuwendungen unter Ehegatten, die nicht ausdrücklich als Schenkung bezeichnet werden, sind nicht allein deswegen bereits als entgeltliche Zuwendungen anzusehen.
§ 278 Abs. 2 AO begründet eine gesetzliche Duldungspflicht des Zuwendungsempfängers für den auf den Zuwendenden entfallenden Anteil an der Steuerschuld (, BStBl 2002 II S. 214). Der Bescheid nach § 278 Abs. 2 AO entspricht inhaltlich einem Duldungsbescheid i. S. des § 191 AO. Die Regelung dieses Verwaltungsakts liegt in der Anfechtung der Vermögensübertragung und in der Bestimmung des Betrags, bis zu dessen Höhe der Zuwendungsempfänger die Vollstreckung dulden muss.
Die Anfechtungsmöglichkeit ist allerdings zeitlich begrenzt. Nach § 278 Abs. 2 Satz 1 AO können nur Zuwendungen angefochten werden, die bis zum Ablauf des zehnten Kalenderjahrs nach dem Zeitpunkt des Ergehens des Aufteilungsbescheids erfolgen. Maßgebend für den Fristbeginn ist nicht die Bekanntgabe des Aufteilungsbescheids (§ 122 AO) oder sein Zugang beim Empfänger, sondern sein Ergehen (Versendung durch die Finanzbehörde).
Tz. 303 Form und Inhalt des Aufteilungsbescheids
Über den Aufteilungsantrag ist nach Einleitung der Vollstreckung durch schriftlichen Verwaltungsakt (Aufteilungsbescheid) gegenüber den Beteiligten einheitlich zu entscheiden. Der Aufteilungsbescheid ist jedem Gesamtschuldner nach Maßgabe des § 122 AO bekannt zu geben. Gegen den Aufteilungsbescheid ist der Einspruch gegeben; dabei sind Einwendungen gegen die zugrundeliegende Steuerfestsetzung selbst unzulässig. Der Erlass eines Aufteilungsbescheids ist allerdings nicht erforderlich, wenn keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen oder bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen wieder aufgehoben werden.
Der Aufteilungsbescheid muss nach § 279 Abs. 2 AO folgende Angaben enthalten:
die Höhe der aufzuteilenden Steuer,
den für die Berechnung der rückständigen Steuer maßgebenden Zeitpunkt,
die Höhe der bei getrennter Veranlagung auf den einzelnen Gesamtschuldner entfallenden Steuer,
die Höhe der Besteuerungsgrundlagen, die den einzelnen Gesamtschuldnern zugerechnet worden sind, wenn von den Angaben der Gesamtschuldner abgewichen ist,
die Höhe der auf jeden Gesamtschuldner entfallenden anteiligen Steuer,
die Beträge, die auf die aufgeteilte Steuer des Gesamtschuldners anzurechnen sind sowie
eine Belehrung, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist.
Tz. 304 Änderung des Aufteilungsbescheids
Der Aufteilungsbescheid kann bei Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO berichtigt werden. Darüber hinaus kann er nach § 280 AO nur geändert werden, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Aufteilung auf unrichtigen Angaben beruht und die rückständige Steuer infolge falscher Aufteilung ganz oder teilweise nicht beigetrieben werden konnte, oder wenn sich die rückständige Steuer durch Korrektur der Steuerfestsetzung erhöht oder vermindert. Nach endgültiger Beendigung der Vollstreckung ist eine Änderung oder Berichtigung des Aufteilungsbescheids nicht mehr zulässig.
Tz.305 Vollstreckung in das bewegliche Vermögen
Die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen erfolgt durch Pfändung (§ 281 Abs. 1 AO). Zum beweglichen Vermögen i. S. des § 281 AO gehören alle beweglichen Sachen (körperliche Gegenstände) i. S. von § 90 BGB, soweit sie nicht als Grundstückszubehör der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen (§ 322 Abs. 1 AO i. V. mit § 865 ZPO), sowie Forderungen und andere Vermögensrechte. Durch die Pfändung wird eine Sache, Forderung oder ein anderes Vermögensrecht der Verfügungsmacht des Schuldners entzogen und für die Verwertung zugunsten der Vollstreckungsbehörde bereitgestellt.
Tz. 306 Pfändung
Die Pfändung ist ein (anfechtbarer) Verwaltungsakt (mit privatrechtlichen Wirkungen). Dies gilt unabhängig davon, ob sie in der Form der Wegnahme einer Sache (§ 286 Abs. 1 AO) bzw. der Anbringung von Pfandsiegeln (§ 286 Abs. 2 AO) oder in der Form einer Pfändungsverfügung bei Forderungen und anderen Vermögensrechten (§ 309 Abs. 1 AO) erfolgt.
Eine Pfändung darf nicht weiter ausgedehnt werden, als es zur Deckung der beizutreibenden Geldbeträge und der Kosten der Vollstreckung erforderlich ist (§ 281 Abs. 2 AO). Eine Pfändung verstößt nicht gegen das Verbot der Überpfändung, wenn
außer der Pfandsache keine weiteren Sachen vorhanden sind;
außer der Pfandsache nur Sachen vorhanden sind, deren Wert zur vollständigen Deckung der beizutreibenden Forderung nicht ausreichend sein wird;
der Vollstreckungsschuldner oder ein Dritter Einwendungen gegen die Pfändung bestimmter Sachen erhebt oder ankündigt und der Vollziehungsbeamte im Zweifel darüber ist, welche Pfandstücke zur Deckung der beizutreibenden Geldbeträge verwendbar bleiben werden;
die Pfändung anderer Vermögenswerte nicht ohne gewaltsame Öffnung von Türen und Behältnissen oder nur unter Brechung von Widerstand möglich ist;
eine Pfändung als Anschlusspfändung (§ 307 AO) ausgebracht wird, weil das erwirkte Pfandrecht erst nach Wegfall des vorrangigen Pfandrechts an dessen Stelle treten soll.
Dagegen verstößt die Finanzbehörde gegen § 281 Abs. 2 AO, wenn sie Vermögenswerte pfändet, obwohl ihr für ihre Forderung Sicherheiten der in §§ 241 ff. AO bezeichneten Art bestellt sind. Eine unzulässige Überpfändung macht die Pfändung rechtswidrig, aber nicht nichtig; sie kann daher lediglich mit Einspruch (§ 347 AO) angefochten werden.
Soweit der Wert der gepfändeten Sache oder Forderung erheblich höher ist als die zu vollstreckende Abgabenschuld, kann der Vollstreckungsschuldner die Überpfändung geltend machen. Hierzu muss er die realen Wertverhältnisse nachweisen. Erst danach kann darüber entschieden werden, ob eine andere Sache gepfändet und die gepfändete freigegeben oder das Pfandrecht an einer gepfändeten Forderung auf einen Teil der Forderung beschränkt werden soll.
Die Pfändung hat zu unterbleiben, wenn die Verwertung der pfändbaren Gegenstände einen Überschuss über die Kosten der Vollstreckung nicht erwarten lässt (§ 281 Abs. 3 AO). Dieses Verbot der zwecklosen Pfändung soll verhindern, dass durch eine Vollstreckungsmaßnahme allein für die entstehenden Kosten der Vollstreckung gepfändet wird. Der Umstand, dass nur ein geringer Überschuss zu erwarten ist, gebietet zwar noch nicht die Abstandnahme von der Pfändung; es ist aber von der Pfändung abzusehen, wenn der Gegenstand offenbar keinen Verkaufswert hat. Darüber hinaus kann es die angemessene Berücksichtigung der Belange des Vollstreckungsschuldners erfordern, einen Gegenstand nicht zu pfänden, wenn ohne Weiteres ersichtlich ist, dass dessen Verwertungserlös außer allem Verhältnis zu seinem Wert steht.
Tz. 307 Wirkung der Pfändung
Durch die Pfändung von Gegenständen des beweglichen Vermögens ändern sich die Rechtsverhältnisse an dem gepfändeten Gegenstand im Wesentlichen in zweierlei Weise. Der Gegenstand ist zum einen „verstrickt”. Darüber hinaus erwirbt die Körperschaft, der die Vollstreckungsbehörde angehört, ein Pfandrecht an dem Gegenstand (§ 282 Abs. 1 AO).
a) Verstrickung
Verstrickung ist eine Form der staatlichen Beschlagnahme. Sie ist die gegen künftige private Verfügungen rechtlich abgesicherte Bereitstellung des gepfändeten Gegenstands zu weiteren staatlichen Maßnahmen. Sie wird herbeigeführt und ihr Umfang bestimmt sich durch den Pfändungsakt.
Körperliche Gegenstände werden durch den Vollziehungsbeamten in der Weise gepfändet, dass er die Sachen in Besitz nimmt (§ 286 Abs. 1, § 312 AO). Dies geschieht dadurch, dass er Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere an sich nimmt und damit in den unmittelbaren Besitz der Finanzbehörde überführt. Andere Sachen sind mit einem Pfandzeichen zu versehen oder in anderer angemessener Weise als gepfändet kenntlich zu machen. Hierdurch werden die Eigentumsverhältnisse allerdings nicht berührt. Verstrickt ist der gesamte in Besitz genommene Gegenstand, auch wenn die zu vollstreckende Schuld geringer ist als der Wert oder der voraussichtlich zu erzielende Erlös der Sache. Eine Teilverstrickung ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.
Rechte werden gepfändet, indem die Vollstreckungsbehörde dem Drittschuldner verbietet, an den Vollstreckungsschuldner zu leisten und dem Vollstreckungsschuldner gebietet, sich jeder Verfügung über das gepfändete Recht zu enthalten. Hierbei tritt i. d. R. die Verstrickung bereits ein, wenn die Pfändungsverfügung dem Drittschuldner zugestellt ist (§§ 309, 321 Abs. 1 AO). Hierdurch wird der Verwaltungsakt wirksam. Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten für die Pfändung einer durch Hypothek, Grund- oder Rentenschuld gesicherten Geldforderung (vgl. §§ 310, § 311, 321 Abs. 6 AO).
Der Umfang der Verstrickung wird durch die Vollstreckungsbehörde bestimmt. Grds. wird dem Drittschuldner jegliche Leistung an den Vollstreckungsschuldner aus dem gepfändeten Recht verboten. Gepfändet und damit verstrickt wird das gesamte (ungeteilte) Recht. Soll ausnahmsweise lediglich ein Teil eines zu pfändenden Rechts verstrickt werden, ist dies ausdrücklich in der Pfändungsverfügung anzuordnen. Dies ist jedoch nur bei teilbaren Rechten, z. B. Geldforderungen, möglich.
Durch die Pfändung erlangt die Vollstreckungsbehörde Besitz an den gepfändeten Sachen. Damit steht ihr das Recht zu, verbotene Eigenmacht Dritter mit Gewalt abzuwehren, die Herausgabe einer entwendeten Pfandsache vom fehlerhaft Besitzenden sowie die Beseitigung einer Besitzstörung vom Störer zu verlangen und klageweise geltend zu machen (§§ 859–862 BGB). Zudem wird nach § 136 StGB bestraft, wer eine wirksam verstrickte Sache zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder in anderer Weise ganz oder zum Teil der Verstrickung entzieht. Ebenso ist die Beschädigung, das Ablösen und Unkenntlichmachen eines Pfandsiegels mit Strafe bedroht.
Bei der Pfändung einer Forderung verbietet die Vollstreckungsbehörde dem Drittschuldner, an den Vollstreckungsschuldner zu leisten. Verbotswidrige Leistungen sind dem Pfandgläubiger gegenüber danach unwirksam (§§ 136, 135 BGB). Der Drittschuldner kann nicht mehr mit schuldbefreiender Wirkung an den Vollstreckungsschuldner allein leisten. Zur Tilgung seiner Schuld und somit zur Erfüllung der gepfändeten Forderung ist er darauf verwiesen, an den Pfandgläubiger und den Vollstreckungsschuldner gemeinsam zu leisten. Bei Geldforderungen kann er dies nur, indem er an den Pfandgläubiger zahlt, nachdem die Einziehung der gepfändeten Forderung angeordnet worden ist, oder den der Forderung entsprechenden Betrag zugunsten des Pfandgläubigers hinterlegt.
Die Verstrickung des gepfändeten Gegenstands endet nicht schon deshalb, weil die Pfandsache fortgeschafft worden ist, die Pfandzeichen entfernt wurden oder die der Pfändung zugrundeliegenden Abgabenrückstände erloschen sind. Als behördliche Maßnahme kann die Verstrickung nur durch einen weiteren behördlichen Akt beseitigt werden. Dies geschieht in Form der Aufhebung der Pfändung oder der Verwertung der Sache oder des Rechts. Daneben endet die Verstrickung aber auch mit dem Untergang des Pfandgegenstands (z. B. durch Zerstörung der Pfandsache oder Erlöschen der gepfändeten Forderung).
b) Pfändungspfandrecht
Nach § 282 Abs. 1 AO erwirbt die Körperschaft, der die Vollstreckungsbehörde angehört, durch die Pfändung ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand. Es berechtigt den Gläubiger, sich durch die Verwertung des Pfandgegenstands aus dem Erlös zu befriedigen. Im Zwangsvollstreckungsverfahren verschafft es ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung (§ 293 AO) und in der Insolvenz auf abgesonderte Befriedigung (§§ 50, 51 InsO).
Das Pfändungspfandrecht gewährt der berechtigten Körperschaft im Verhältnis zu anderen Gläubigern des Vollstreckungsschuldners dieselben Rechte wie ein Pfandrecht i. S. des BGB (§ 282 Abs. 2 AO). Das Pfändungspfandrecht ist allerdings nicht mit den vertraglichen oder zivilrechtlichen Pfandrechten identisch, sondern übernimmt lediglich die Regelungen zu diesen Rechten für das Verhältnis der Gläubiger untereinander. Auf das Verhältnis des Vollstreckungsschuldners und des Drittschuldners (bei Forderungspfändungen) zum Vollstreckungsgläubiger finden die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften keine Anwendung. Die Rechte des Pfandgläubigers gegenüber dem Vollstreckungsschuldner und dem Drittschuldner werden durch den Umfang der Verstrickung geregelt. Ist der Pfandgegenstand in vollem Umfang verstrickt, besteht auch das Pfandrecht an dem gesamten Gegenstand.
Durch die Verstrickung ist das Pfändungspfandrecht unlöslich an den gepfändeten Gegenstand geknüpft. Es erlischt nicht durch den Wegfall der Steueransprüche, die der Pfändung zugrunde lagen, sondern erst mit der Entstrickung. Das Pfändungspfandrecht ist nicht akzessorisch, d. h. nicht abhängig von der zugrundeliegenden Abgabenforderung. Vermindert sich die der Pfändung zugrundeliegende Abgabenforderung durch Zahlung, Erlass oder Verjährung, besteht die Verstrickung und damit das Pfändungspfandrecht in vollem Umfang fort und kann bis zur Tilgung dieser Ansprüche oder bis zum Nachweis oder der Feststellung einer Überpfändung auch geltend gemacht werden. Ggf. ist eine Einschränkung der Pfändung auf die noch zugrundliegenden Forderungen zu prüfen (insbes. bei Forderungspfändungen).
Das Pfandrecht ist einzuschränken, wenn der Vollstreckungsschuldner eine Überpfändung nachgewiesen hat (§ 281 Abs. 2 AO). Darüber hinaus wird das Pfandrecht nur im Falle einer oder mehrerer Anschlusspfändungen oder späterer Pfändungen für andere Gläubiger eingeschränkt. Über die materielle Berechtigung der Pfändungsgläubiger wird ggf. im Verteilungsverfahren nach Hinterlegung durch den Drittschuldner oder des verwertenden Vollziehungsbeamten oder Gerichtsvollziehers entschieden (§§ 853, 872 ff. ZPO; § 320, 308 AO). Dabei ist auch zu berücksichtigen, welches Rangverhältnis bei mehreren Pfändungsgläubigern besteht. Bei mehrfacher Pfändung bestimmt sich der Rang eines Pfandrechts nach dem Prioritätenprinzip. Das früher begründete Pfandrecht geht demjenigen vor, das durch eine spätere Pfändung begründet wird (vgl. § 282 Abs. 3 AO und § 804 Abs. 3 ZPO). Gleichzeitig begründete Pfandrechte haben denselben Rang.
Tz. 308 Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen
Wer einen Pfandgegenstand ersteigert oder kauft, soll das Risiko eines Sach- oder Rechtsmangels tragen und es nicht auf den Pfändungsgläubiger oder auf den zur Veräußerung gezwungenen vormaligen Eigentümer (Vollstreckungsschuldner) abwälzen können. Daher bestimmt § 283 AO, dass dem Erwerber eines gepfändeten Gegenstands wegen eines Mangels im Recht oder wegen eines Mangels der veräußerten Sache kein Anspruch auf Gewährleistung zusteht. Dies gilt für die Veräußerung gepfändeter beweglicher Sachen, Forderungen und anderer Vermögensrechte durch öffentliche Versteigerung (§ 296 AO) oder durch freihändigen Verkauf (§§ 302, 305, 317 AO). Ausgeschlossen sind alle Gewährleistungsansprüche nach Maßgabe der §§ 434 ff., 459 ff. BGB, die kein Verschulden voraussetzen. Ansprüche aus schuldhafter Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) werden dagegen von § 283 AO nicht berührt.
Voraussetzung des Ausschlusses der Gewährleistungspflicht ist die Wirksamkeit der Pfändung. Denn bei nichtiger – und nicht bloß rechtswidriger und damit anfechtbarer – Pfändung kann auch der gutgläubige Ersteher kein Eigentum erwerben, da nur bei wirksamer Pfändung die Verstrickung eintritt.
Wird dem Erwerber ein anderer als der von ihm erworbene (ersteigerte) Gegenstand ausgehändigt (Falschlieferung), ist § 283 AO nicht anwendbar. In diesem Fall kann der Erwerber weiterhin die Lieferung der tatsächlich von ihm erstandenen Sache gegen Rückgabe der ausgehändigten Sache verlangen. Ist der Finanzbehörde die Herausgabe der Sache nicht mehr möglich, kann der Erwerber Ansprüche wegen Nichterfüllung geltend machen (§§ 325, 323 BGB).
Tz. 309 Eidesstattliche Versicherung
a) Allgemeines
Nach § 284 Abs. 1 AO kann die Vollstreckungsbehörde vom Vollstreckungsschuldner die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses verlangen und ihn zusätzlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorladen, wenn
die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht zur vollständigen Befriedigung geführt hat,
anzunehmen ist, dass durch die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird,
der Vollstreckungsschuldner die Durchsuchung (§ 287 AO) verweigert hat oder
der Vollziehungsbeamte den Vollstreckungsschuldner wiederholt in seinen Wohn- und Geschäftsräumen nicht angetroffen hat, nachdem er einmal die Vollstreckung mindestens zwei Wochen vorher angekündigt hatte; dies gilt nicht, wenn der Vollstreckungsschuldner seine Abwesenheit genügend entschuldigt und den Grund glaubhaft macht.
Die Vollstreckung hat dann zu keiner vollständigen Befriedigung geführt, wenn sie ganz oder teilweise erfolglos war. Die Vollstreckungsbehörde muss alle (inländischen) Vollstreckungsmöglichkeiten in das bewegliche Vermögen (nicht aber in das unbewegliche Vermögen) vermittelt und ausgeschöpft haben, es sei denn, deren Aussichtslosigkeit steht von vornherein fest. Selbst wenn von Anfang an feststeht, dass die Einziehung der Forderung etwa wegen Zahlungsunfähigkeit des Drittschuldners aussichtslos oder die volle Befriedigung durch die Forderung aus sonstigen Gründen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, kann die Vollstreckungsbehörde von einer Pfändung absehen, ohne deswegen an der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung gehindert zu sein.
b) Vermögensverzeichnis
Der Vollstreckungsschuldner hat im Vermögensverzeichnis sein gesamtes, zum Zeitpunkt des Vorlagetermins vorhandenes Aktivvermögen (bewegliche und unbewegliche Sachen, Forderungen und sonstige Rechte) anzugeben. Anzugeben sind sämtliche Vermögensgegenstände, auch wenn sie nicht der Pfändung unterliegen. Ausgenommen sind Sachen des persönlichen Gebrauchs und die für das tägliche Leben notwendigen Nahrungs- und Bekleidungsmittel (§ 284 Abs. 2 Satz 2 AO i. V. mit § 811 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO).
Die Sachen sind genau zu bezeichnen und es ist anzugeben, wo sie sich befinden und welche Rechte an ihnen bestehen (insbesondere Anwartschaftsrechte oder Rechte auf Rückübertragung bei Sicherheitsübereignung). Bei Forderungen sind der Grund und die Beweismittel anzugeben und insbesondere alle Angaben zu machen, die für eine Forderungspfändung erforderlich sind (Name und Anschrift des Drittschuldners, Schuldgrund). Aus dem Vermögensverzeichnis müssen nach § 284 Abs. 2 AO zudem ersichtlich sein:
die in den letzten zwei Jahren vor dem ersten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin vorgenommenen entgeltlichen Veräußerungen des Schuldners an eine nahe stehende Person (§ 138 InsO);
die in den letzten vier Jahren vor dem ersten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin von dem Schuldner vorgenommenen unentgeltlichen Leistungen, sofern sie sich nicht auf gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts richteten.
Gegen die Anordnung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses kann der Vollstreckungsschuldner Einspruch einlegen.
c) Eidesstattliche Versicherung
Der Vollstreckungsschuldner hat nach Aufforderung durch die Vollstreckungsbehörde zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er die von ihm im Vermögensverzeichnis verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe (§ 284 Abs. 3 Satz 1 AO). Ist der Vollstreckungsschuldner nicht selbst handlungsfähig (§ 79 AO), ist die eidesstattliche Versicherung vom Vertreter des Vollstreckungsschuldners abzugeben.
Die Vollstreckungsbehörde kann allerdings nach pflichtgemäßem Ermessen von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen (§ 284 Abs. 3 Satz 2 AO). Nach Abschn. 52 Abs. 2 VollStrA soll von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung Abstand genommen werden, wenn nach Überzeugung der Vollstreckungsstelle feststeht, dass das vom Vollstreckungsschuldner vorgelegte Vermögensverzeichnis vollständig und wahrheitsgemäß ist. Eine pflichtgemäße Ermessensausübung setzt dabei aber nicht voraus, dass die Vollstreckungsbehörde zuvor vergeblich versucht hat, eine eidesstattliche Versicherung nach § 249 Abs. 2, § 95 AO ohne die Folge der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis zu erhalten (vgl. , BStBl 1992 II S. 57). Nach ständiger Rechtsprechung muss sich die Finanzbehörde auch nicht mit einer freiwillig nach § 95 AO angebotenen Versicherung an Eides statt begnügen, statt nach § 284 AO vorzugehen. Umso weniger reichen die Angaben in einem Erlassantrag aus, um sicherzustellen, dass der Vollstreckungsschuldner sämtliche Vermögenswerte korrekt angegeben hat. Die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis ggf. verbundenen beruflichen Konsequenzen des Entzugs einer Berufszulassung führen grds. nicht zu einer Ermessensbeschränkung, weil der Gesetzgeber die Gefährdung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bei Abfassung des § 284 Abs. 3 AO gekannt und bewusst in Kauf genommen hat ( NWB TAAAB-92946). Das Schutzbedürfnis des Vollstreckungsschuldners ist durch die gesetzliche Regelung in § 284 Abs. 3 Satz 2 AO – mit der Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde, nach Abgabe des Vermögensverzeichnisses eine erneute Ermessensprüfung vorzunehmen, verbunden mit der Möglichkeit, auch in diesem Stadium trotz Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung noch von deren Abnahme abzusehen – hinreichend berücksichtigt.
Vor Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung hat die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen festzustellen, ob im Schuldnerverzeichnis eine Eintragung darüber besteht, dass der Vollstreckungsschuldner innerhalb der letzten drei Jahre eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat (§ 284 Abs. 4 Satz 3 AO).
Die Ladung zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist dem Vollstreckungsschuldner selbst zuzustellen (§ 284 Abs. 6 Satz 1 AO). Die Zustellung an einen Bevollmächtigten des Vollstreckungsschuldners reicht nicht aus. Gegen die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung kann der Vollstreckungsschuldner Einspruch einlegen. Der Einspruch hat aber nur dann aufschiebende Wirkung, wenn er auch begründet wurde (§ 284 Abs. 6 Satz 2 AO). Die Einspruchsfrist gegen die Anordnung der Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und der Versicherung seiner Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides statt (Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) beginnt auch dann mit Bekanntgabe an den Vollstreckungsschuldner, wenn dessen bestellter Verfahrensbevollmächtigter nicht von der Ladung zum Termin in Kenntnis gesetzt wurde.
Der Termin für die Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist auf einen Zeitpunkt nach Bestandskraft der Ladungsverfügung festzusetzen. Die Bestimmung des Termins zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung ist dabei ein unselbständiger Teil der Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung.
Die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung ist in folgenden Fällen unzulässig:
Die letzte Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch den Vollstreckungsschuldner ist im Schuldnerverzeichnis noch nicht gelöscht und liegt weniger als drei Jahre zurück; dies gilt allerdings nicht, wenn anzunehmen ist, dass der Vollstreckungsschuldner später Vermögen erworben hat oder dass ein bisher mit ihm bestehendes Arbeitsverhältnis aufgelöst worden ist (§ 284 Abs. 4 AO).
Über einen gegen die Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eingelegten und begründeten Rechtsbehelf ist noch nicht unanfechtbar entschieden; dies gilt allerdings nicht, wenn in gleicher Sache frühere Einwendungen derselben Art bereits unanfechtbar zurückgewiesen worden sind (§ 284 Abs. 6 Satz 2 und 3 AO).
Für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung ist nach § 284 Abs. 5 Satz 1 AO die Vollstreckungsbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Vollstreckungsschuldners befindet. Betreibt eine andere Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung, kann diese die eidesstattliche Versicherung nur abnehmen, wenn der Vollstreckungsschuldner zu ihrer Abgabe bereit ist (§ 284 Abs. 5 Satz 1 AO). Die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung darf daher nicht erzwungen werden, wenn der Vollstreckungsschuldner nicht bereit ist, die eidesstattliche Versicherung vor einer anderen als der für seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort örtlich zuständigen Vollstreckungsbehörde abzugeben. In diesem Fall hat die die Vollstreckung betreibende Vollstreckungsbehörde die örtlich zuständige Vollstreckungsbehörde um Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zu ersuchen.
Nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat die Vollstreckungsbehörde dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Vollstreckungsschuldner seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen Aufenthaltsort hat (§ 899 Abs. 1 ZPO), Namen, Vornamen, Geburtstag und Anschrift des Vollstreckungsschuldners sowie den Tag der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis mitzuteilen und eine beglaubigte Abschrift des Vermögensverzeichnisses zu übersenden (§ 284 Abs. 7 AO). Hat ein Vollstreckungsschuldner in einer auf Betreiben der Vollstreckungsbehörde abgelegten eidesstattlichen Versicherung vorsätzlich unvollständige oder falsche Angaben gemacht (§ 156 StGB), darf sie nach § 30 Abs. 5 AO bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde Strafanzeige gegen den Vollstreckungsschuldner erstatten.
d) Verbindung der Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung
Die Verpflichtungen des Vollstreckungsschuldners, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und die Richtigkeit desselben zu Protokoll an Eides statt zu versichern, sind trotz der gesetzlichen Regelung in unterschiedlichen Absätzen des § 284 AO als Einheit anzusehen. Die Aufforderungen hierzu können daher grds. in einem einheitlichen Vorgang erfolgen, d. h. zusammen in der Ladung zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Wenn die Vollstreckungsbehörde es im Einzelfall für geboten hält, kann sie aber auch abgestuft vorgehen und die den Vollstreckungsschuldner treffenden Verpflichtungen Schritt für Schritt einfordern. Auf welche Weise die Vollstreckungsbehörde letztendlich vorgeht, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Da der Gesetzgeber in § 284 Abs. 3 Satz 1 AO zum Ausdruck gebracht hat, dass die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zur Bekräftigung des abgegebenen Vermögensverzeichnisses den Regelfall darstellt und nach § 284 Abs. 3 Satz 2 AO das Ermessen der Vollstreckungsbehörde erst bei der Frage einsetzt, ob sie im konkreten Einzelfall von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen kann, muss die zusammengefasste Aufforderung zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung keinen Hinweis auf – nur im Ausnahmefall – noch anzustellende Ermessenserwägungen enthalten.
e) Verweigerung der Mitwirkung durch den Vollstreckungsschuldner
Verweigert der Vollstreckungsschuldner ohne Grund die Vorlage des Vermögensverzeichnisses oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung oder erscheint er ohne ausreichende Entschuldigung nicht zu dem anberaumten Termin vor der zuständigen Vollstreckungsbehörde, kann die die Vollstreckung betreibende Vollstreckungsbehörde das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Vollstreckungsschuldner seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen Aufenthaltsort hat (§ 899 Abs. 1 ZPO), um Anordnung der Erzwingungshaft ersuchen (§ 284 Abs. 8 AO). In dem Ersuchen ist zu bestätigen, dass der Vollstreckungsschuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist und die Voraussetzungen zur Anordnung der Haft vorliegen. Das Ersuchen ist dem Amtsgericht zuzustellen. Gleichzeitig ist dem Vollstreckungsschuldner eine Durchschrift des Ersuchens zu übersenden.
Für die Verhaftung des Vollstreckungsschuldners aufgrund der Haftanordnung des Amtsgerichts ist der Gerichtsvollzieher zuständig. Die Vollstreckungsbehörde hat dem Gerichtsvollzieher den geschuldeten Betrag sowie den Schuldgrund mitzuteilen und ihn zu ermächtigen, den geschuldeten Betrag anzunehmen und über den Empfang Quittung zu erteilen. Der Vollstreckungsschuldner kann die Verhaftung dadurch abwenden, dass er den geschuldeten Betrag in voller Höhe an den Gerichtsvollzieher zahlt oder nachweist, dass ihm eine Zahlungsfrist bewilligt worden oder die Schuld erloschen ist. Die Verhaftung kann auch dadurch abgewendet werden, dass der Vollstreckungsschuldner dem Gerichtsvollzieher eine Entscheidung vorlegt, aus der sich die Unzulässigkeit der Maßnahme ergibt, oder eine Bankquittung vorlegt, aus der sich ergibt, dass er den geschuldeten Betrag eingezahlt hat.
Ist der verhaftete Vollstreckungsschuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bereit (§ 902 ZPO), hat ihn der Gerichtsvollzieher grds. der die Vollstreckung betreibenden Vollstreckungsbehörde zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO vorzuführen. Die eidesstattliche Versicherung kann aber auch vom Gerichtsvollzieher abgenommen werden, wenn sich der Sitz der Vollstreckungsbehörde nicht im Bezirk des für den Gerichtsvollzieher zuständigen Amtsgerichts befindet oder die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung durch die Vollstreckungsbehörde nicht möglich ist (§ 284 Abs. 8 Satz 5 AO). Der Gerichtsvollzieher kann unter den gleichen Voraussetzungen wie die Vollstreckungsbehörde von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen.
Lehnt das Amtsgericht das Ersuchen der Vollstreckungsbehörde um Anordnung der Haft ab, ist gegen die Entscheidung die sofortige Beschwerde nach §§ 567–573 ZPO gegeben (§ 284 Abs. 9 AO); gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die sofortige Beschwerde ist die Rechtsbeschwerde gegeben, wenn sie im Beschluss zugelassen ist (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). §§ 901, 902, 904–906, 909 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, §§ 910 und 913–915h ZPO sind sinngemäß anzuwenden.
Tz. 310 Vollziehungsbeamte
Die Vollstreckungsbehörde führt die Vollstreckung in bewegliche Sachen nicht durch Gerichtsvollzieher, sondern durch eigene Vollziehungsbeamte aus, die grds. Beamte und nur im Ausnahmefall Angestellte sein sollen. Gesetzliche Aufgabe der Vollziehungsbeamten ist die Vollstreckung in bewegliche Sachen. Die Hinderung des Vollziehungsbeamten an der Ausübung seines Dienstes kann nach § 113 StGB strafrechtlich geahndet werden.
Bewegliche Sachen i. S. des § 285 AO sind körperliche Gegenstände (§ 90 BGB), Wertpapiere (vgl. § 286 Abs. 2 AO), Früchte, die noch nicht vom Boden getrennt sind, (§ 294 AO) sowie Zubehör von Grundstücken, Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen, soweit diese nicht der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen (vgl. § 322 AO).
Der Vollziehungsbeamte wird durch schriftlichen oder elektronischen Auftrag der Vollstreckungsbehörde zur Vollstreckung ermächtigt (§ 285 Abs. 2 AO). Der Vollstreckungsauftrag bestimmt die Art und den Umfang der Vollstreckung sowie die beteiligten Personen. Für die Auftragserteilung ist der Innendienst der Vollstreckungsbehörde verantwortlich. Der Innendienst allein beurteilt die Rechtsmäßigkeit der Zuschreibung und entscheidet folglich über Einwände des Vollstreckungsschuldners. Dem Vollziehungsbeamten steht kein Prüfungsrecht zu. Er hat nur auf offensichtliche Unrichtigkeiten oder auf Unzweckmäßigkeiten hinzuweisen.
Der Vollstreckungsbeamte muss den Auftrag dem Vollstreckungsschuldner und ggf. Dritten unaufgefordert vorzeigen. Eine Vollstreckungshandlung ist aber nicht allein deshalb unwirksam, wenn der Vollziehungsbeamte dies „vergessen” hat. Der Vollstreckungsauftrag ist innerdienstliche Maßnahme mit (begrenzter) Außenwirkung und daher kein Verwaltungsakt. Anfechtbar ist daher nicht der Vollstreckungsauftrag, sondern nur jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme.
Dritter i. S. von § 285 AO ist jede Person, die auf die Ausführung des Auftrags Einfluss nehmen kann (durch Erfüllung der Schuld, durch Gestattung einer Amtshandlung, durch Widerspruch usw.). Dies ist insbesondere
eine im Besitztum des Vollstreckungsschuldners angetroffene erwachsene Person, von der angenommen werden kann, dass sie befugt ist, über Geldmittel des Schuldners zu verfügen; erwachsen ist nicht gleichzusetzen mit volljährig. Die äußere Erscheinung der Person sowie der Eindruck des Vollziehungsbeamten, dass sie eine Vorstellung von der Bedeutung des Vorgangs hat, sind entscheidend;
ein Familienangehöriger i. S. von § 288 AO bzw. ein erwachsener Mitbewohner. Zu diesem Personenkreis zählt auch der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft;
eine beim Vollstreckungsschuldner beschäftigte Person i. S. von § 288 AO;
eine zur Herausgabe von Sachen bereite Person i. S. vom § 286 Abs. 4 AO.
Den zu einer Vollstreckungshandlung zugezogenen Zeugen (§ 288 AO) bzw. sonstigen Hilfskräften (Schlüsseldienst, Spediteur usw.) ist der Vollstreckungsauftrag nicht vorzuzeigen. Ihnen gegenüber legitimiert sich der Vollziehungsbeamte durch seinen Dienstausweis.
Tz. 311 Vollstreckung in Sachen
§ 286 AO regelt analog §§ 808, 809 ZPO die Einzelheiten einer Pfändung von Sachen durch den Vollziehungsbeamten. Sachen sind alle körperlichen Gegenstände, die nicht der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen.
Sachen, die im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners sind, pfändet der Vollziehungsbeamte grds. durch Inbesitznahme. Gleiches gilt für die Pfändung von Sachen im Gewahrsam eines Dritten, der zu ihrer Herausgabe bereit ist; ist der Dritte nicht zur Herausgabe bereit, kann nur der Anspruch auf Herausgabe der Sache gepfändet werden. Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere werden dadurch gepfändet, dass der Vollziehungsbeamte sie dem Vollstreckungsschuldner oder dem Dritten wegnimmt. Andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere sind dagegen im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners zu lassen, wenn hierdurch die Befriedigung der Abgabenrückstände nicht gefährdet wird. In diesem Fall ist die Pfändung nur wirksam, wenn sie durch Anlegung von Siegeln oder in sonstiger Weise ersichtlich gemacht ist. Das Siegel muss haltbar und so auffällig sein, dass es bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit zu erkennen ist. Der Vollziehungsbeamte hat dem Vollstreckungsschuldner die Pfändung mitzuteilen; dies kann auch mündlich erfolgen. Zudem ist über die Pfändung eine Niederschrift aufzunehmen (§ 291 AO).
Gewahrsam bedeutet die rein tatsächliche Sachherrschaft, d. h. der unmittelbare Eigen- oder Fremdbesitz. Mittelbarer Besitz oder sog. Erben-Besitz stellen dagegen kein Gewahrsam her. Die Frage, wer Gewahrsamsinhaber ist, ist nach den äußeren Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu beantworten. So hat der Wohnungsinhaber regelmäßig an allen Sachen in seiner Wohnung Gewahrsam. Familienangehörige haben alleinigen Gewahrsam an Sachen, die offensichtlich ihrem persönlichen Gebrauch dienen; im Übrigen besteht Gewahrsam des Haushaltsvorstands (das sind ggf. beide Ehegatten). Bei Ehegatten gilt für Sachen in der gemeinsamen Wohnung die Gewahrsamsfiktion nach § 739 ZPO. Danach gilt der Ehegatte, der Vollstreckungsschuldner ist, für die Durchführung der Vollstreckung als alleiniger Gewahrsamsinhaber, es sei denn, die Ehegatten leben getrennt und die Sachen befinden sich im Gewahrsam des anderen Ehegatten. Entsprechendes gilt für eingetragene Lebenspartnerschaften (§ 8 Abs. 1 LPartG, § 739 Abs. 2 ZPO), aber nicht für eheähnliche Lebensgemeinschaften. Bei Betriebs- und Geschäftsräumen besteht Gewahrsam des Betriebsinhabers.
Der Vollziehungsbeamte muss bei Durchführung der Pfändung grds. nicht ermitteln, ob die zu pfändenden Sachen im Eigentum des Vollstreckungsschuldners stehen oder anderweitige Rechte Dritter bestehen. Die Prüfung der Frage, ob Eigentum eines Dritten gegeben ist, obliegt der Vollstreckungsbehörde (d. h. dem Innendienst). Etwas anderes gilt allerdings, wenn auf der Hand liegt, dass Eigentum eines Dritten vorliegt; in diesem Fall darf nicht gepfändet werden. Der Dritte muss seine Rechte an der Sache ggf. nach §§ 262 oder 293 AO verfolgen.
Tz. 312 Befugnisse des Vollziehungsbeamten
§ 287 AO regelt in Anlehnung an § 758 ZPO die Befugnisse des Vollziehungsbeamten. So ist der Vollziehungsbeamte befugt, die Wohn- und Geschäftsräume sowie die Behältnisse des Vollstreckungsschuldners zu durchsuchen, soweit dies der Zweck der Vollstreckung erfordert. Wohnräume sind die zu Aufenthalts- und Arbeitszwecken bestimmten und genutzten Räume einschließlich von Nebenräumen und des angrenzenden umschlossenen freien Geländes.
Im Hinblick auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Wohnung (vgl. Art. 13 GG) ist eine Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Vollstreckungsschuldners ohne richterliche Anordnung nur zulässig, wenn der Vollstreckungsschuldner zustimmt oder wenn die Einholung der Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. In allen anderen Fällen bedarf eine Durchsuchung einer richterlichen Anordnung. Zuständig für die Anordnung ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Durchsuchung vorgenommen werden soll. Hat der Vollstreckungsschuldner in die Durchsuchung eingewilligt oder ist eine richterliche Durchsuchungsanordnung gegen ihn ergangen oder war diese nach § 287 Abs. 4 Satz 2 AO ausnahmsweise entbehrlich, haben andere Personen, die Mitgewahrsam an den Wohn- oder Geschäftsräumen des Vollstreckungsschuldners haben, die Durchsuchung zu dulden (§ 287 Abs. 5 AO).
Vor Erlass einer richterlichen Durchsuchungsermächtigung hat das Gericht zu prüfen, ob die formellen allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind. Maßgebend für das gerichtliche Verfahren sind die Vorschriften der ZPO, nicht die der FGO. Zudem ist die Durchsuchungsermächtigung grds. zu befristen. Die richterliche Durchsuchungsermächtigung ist dem Vollstreckungsschuldner nicht zuzustellen. Der Vollziehungsbeamte soll dem Vollstreckungsschuldner aber vor Durchführung der Durchsuchung die richterliche Anordnung vorzeigen und ihm eine Abschrift der richterlichen Anordnung übergeben.
Das bloße Betreten und Besichtigen von Geschäfts- oder Betriebsräumen des Vollstreckungsschuldners durch den Vollziehungsbeamten ist dagegen auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zulässig. Das gilt auch für das Verweilen in diesen Räumen mit der Absicht, nach erfolgloser Zahlungsaufforderung zu einer Sachpfändung zu schreiten (, BStBl 1989 II S. 55). Dabei stellt auch die Pfändung offen ausgelegter Waren oder Gegenstände, die für die Vollziehungsbeamten ohne weiteres Nachforschen zugänglich sind, noch keine Durchsuchungshandlung i. S. von Art. 13 Abs. 2 GG dar. Durchsuchungshandlungen, die nach § 287 Abs. 4 AO grds. einer richterlichen Anordnung bedürfen, liegen erst dann vor, wenn die zu pfändenden Gegenstände aus Schränken, Schubladen oder ähnlichen, den Vollziehungsbeamten nicht ohne Weiteres zugänglichen Behältnissen oder Orten entnommen werden.
Der Vollziehungsbeamte ist zudem befugt, verschlossene Türen und Behältnisse öffnen zu lassen. Behältnisse sind z. B. Schränke, Koffer, Handtaschen sowie Taschen der Kleidung. Hierfür bedarf es keiner richterlichen Anordnung. Das Öffnen muss so fachgerecht wie möglich vorgenommen werden, um Schäden so weit wie möglich zu vermeiden. Findet der Vollstreckungsbeamte bei seinen Vollstreckungsmaßnahmen Widerstand, kann er nach § 287 Abs. 3 AO auch Gewalt anwenden und hierzu um Unterstützung durch Polizeibeamte nachsuchen.
Tz. 313 Zuziehung von Zeugen
§ 288 AO entspricht weitgehend § 759 ZPO. Der Vollziehungsbeamte hat danach in folgenden Fällen zwei Erwachsene oder einen Gemeinde- oder Polizeibeamten als Zeugen zuzuziehen:
Bei einer Vollstreckungshandlung wird Widerstand geleistet. Widerstand ist gegeben, wenn die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme nicht ohne Gewalt möglich erscheint. Eine ernst zu nehmende Androhung von Gewalt gegen den Vollziehungsbeamten reicht aus.
Bei einer Vollstreckungshandlung in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Vollstreckungsschuldners ist weder der Vollstreckungsschuldner noch eine andere Person gegenwärtig, die zur Familie des Vollstreckungsschuldners gehört oder bei ihm beschäftigt ist. Familienangehörige i. S. des § 288 AO sind alle Familienmitglieder, die mit dem Vollstreckungsschuldner in einer Wohnung zusammenleben und wirtschaftlich von ihm abhängen. Ein Angehörigenverhältnis i. S. des § 15 AO muss nicht vorliegen.
Hat der Vollziehungsbeamte in derartigen Fällen die Hinzuziehung von Zeugen unterlassen, sind seine Vollstreckungsmaßnahmen anfechtbar, aber nicht nichtig.
Tz. 314 Zeit der Vollstreckung
Zur Nachtzeit sowie an Sonntagen und staatlich anerkannten allgemeinen Feiertagen darf der Vollziehungsbeamte eine Vollstreckungshandlung nur mit schriftlicher Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde vornehmen. Nachtzeit umfasst die Stunden von 21 Uhr bis 6 Uhr. Die Anordnung zur Vollstreckung steht im Ermessen der Vollstreckungsbehörde.
Tz. 315 Aufforderungen und Mitteilungen des Vollziehungsbeamten
§ 290 AO regelt analog zu § 763 ZPO die bei Vollstreckungshandlungen des Vollziehungsbeamten zu beachtenden Formvorschriften. So sind Aufforderungen und sonstige zu den Vollstreckungshandlungen gehörende Mitteilungen vom Vollziehungsbeamten mündlich zu erlassen und vollständig in die Niederschrift (vgl. § 291 AO) aufzunehmen. Können sie nicht mündlich erlassen werden, hat die Vollstreckungsbehörde demjenigen, an den die Aufforderung oder Mitteilung zu richten ist, eine Abschrift der Niederschrift zu senden.
Tz. 316 Niederschrift
Der Vollziehungsbeamte hat zum Zweck der Beweissicherung über jede Vollstreckungshandlung eine Niederschrift aufzunehmen. Diese Niederschrift muss Folgendes enthalten:
Ort und Zeit der Aufnahme der Niederschrift;
den Gegenstand der Vollstreckungshandlung (d.h. alle Handlungen, die der Vollziehungsbeamte zum Zweck der Zwangsvollstreckung vornimmt) unter kurzer Erwähnung der Vorgänge;
die Namen der Personen, mit denen verhandelt worden ist;
die Unterschriften der Personen und die Bemerkung, dass nach Vorlesung oder Vorlegung zur Durchsicht und nach Genehmigung unterzeichnet sei;
die Unterschrift des Vollziehungsbeamten.
Die Niederschrift ist eine öffentliche Urkunde i. S. des § 415 ZPO und des § 348 StGB. Eine Niederschrift ist auch aufzunehmen, wenn die Tätigkeit des Vollziehungsbeamten ganz oder teilweise erfolglos blieb. Mängel der Niederschrift machen die Vollstreckungshandlung nicht anfechtbar (Ausnahme: vereinfachte Anschlusspfändung nach § 307 AO). Die Niederschrift kann nach § 291 Abs. 4 AO auch elektronisch erstellt werden.
Tz. 317 Abwendung der Pfändung
Bevor der Vollziehungsbeamte pfändet oder Sachen wegnimmt, muss er den Vollstreckungsschuldner zur Leistung auffordern. Der Vollstreckungsschuldner kann die Pfändung nach § 292 AO allerdings nur abwenden, wenn er
den geschuldeten Betrag an den Vollziehungsbeamten zahlt;
nachweist, dass ihm eine Zahlungsfrist bewilligt worden ist (z. B. durch Stundung);
nachweist, dass die Schuld erloschen ist (z. B. durch Erlass);
eine Entscheidung vorlegt, aus der sich die Unzulässigkeit der vorzunehmenden Pfändung ergibt (z. B. Gewährung von Aussetzung der Vollziehung);
eine Post- oder Bankquittung vorlegt, aus der sich ergibt, dass er den geschuldeten Betrag eingezahlt hat.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 292 AO hat der Vollstreckungsschuldner einen Rechtsanspruch darauf, dass die Vollstreckungsmaßnahmen des Vollziehungsbeamten nicht fortgesetzt werden. Bestehen dagegen Zweifel an der behaupteten Bewilligung von Zahlungsaufschub oder Erlöschen der Schuld, hat der Vollziehungsbeamte die Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen.
Tz. 318 Pfand- und Vorzugsrechte Dritter
§ 293 AO stimmt weitgehend mit § 805 ZPO überein. Der Pfändung einer Sache durch den Vollziehungsbeamten kann ein Dritter aufgrund eines Pfand- oder Vorzugsrechts nur widersprechen, wenn er sich im Besitz der Sache befindet (vgl. § 262 AO). Pfand- und Vorzugsrechte sind die in §§ 50 und 51 InsO aufgeführten Rechte, also insbesondere alle Vertragspfandrechte, gesetzlichen Pfandrechte und Pfändungspfandrechte sowie das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht nach §§ 369, 370 HGB.
Befindet sich der Pfandgläubiger dagegen nicht im Besitz der Sache, kann er zwar der Pfändung nicht widersprechen (§ 293 Abs. 1 AO). Auch der Verwertung der gepfändeten Sache kann er nicht widersprechen. Er kann aber vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös verlangen.
Für die Klage des Pfandgläubigers auf vorzugsweise Befriedigung ist ausschließlich das ordentliche Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Sache gepfändet worden ist (§ 292 Abs. 2 AO). Wird die Klage gleichzeitig gegen die Körperschaft, der die Vollstreckungsbehörde angehört, und gegen den Vollstreckungsschuldner gerichtet, sind sie Streitgenossen.
Tz. 319 Ungetrennte Früchte
Ungetrennte Früchte (z. B. Ackerfrüchte, Obst, Schnittblumen) sind nach § 94 BGB an sich keine selbständigen Sachen, sondern Grundstücksbestandteile. Gleichwohl können sie nach § 294 AO wie beweglichen Sachen gepfändet werden (analog § 810 ZPO), solange sie nicht durch Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen (vgl. §§ 20, 21 und 148 ZVG) in Beschlag genommen worden sind. Sie dürfen nicht früher als einen Monat vor der gewöhnlichen Zeit der Reife gepfändet werden. Ungetrennte Früchte sind allerdings nach § 295 AO i. V. mit § 811 Nr. 4 ZPO bei Personen, die Landwirtschaft betreiben, unpfändbar, soweit sie zur Sicherung des Unterhalts des Vollstreckungsschuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer oder zur Fortführung der Wirtschaft bis zur nächsten Ernte gleicher oder ähnlicher Erzeugnisse erforderlich sind. Ein Gläubiger, der ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück hat (vgl. § 10 ZVG), kann der Pfändung nach § 262 AO widersprechen, wenn nicht für einen Anspruch gepfändet ist, der bei der Vollstreckung in das Grundstück vorgeht.
Tz. 320 Unpfändbarkeit von Sachen
Bei der Pfändung von Sachen durch Vollziehungsbeamte gelten §§ 811–812 und § 813 Abs. 1–3 ZPO sowie die Beschränkungen und Verbote, die nach anderen gesetzlichen Vorschriften für die Pfändung von Sachen bestehen, entsprechend. Bei Anwendung dieser Vorschriften tritt die Vollstreckungsbehörde an die Stelle des Vollstreckungsgerichts.
Die Unpfändbarkeit ist von Amts wegen zu beachten. Ein Verzicht des Vollstreckungsschuldners auf die Unpfändbarkeit ist unwirksam. Die Pfändung einer unpfändbaren Sache ist wirksam, aber anfechtbar.
Nach § 295 AO i. V. mit § 811 ZPO sind z. B. folgende Sachen nicht pfändbar:
die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Sachen, insbesondere Kleidungsstücke, Wäsche, Betten, Haus- und Küchengerät, soweit der Vollstreckungsschuldner ihrer zu einer seiner Berufstätigkeit und seiner Verschuldung angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung bedarf;
die für den Vollstreckungsschuldner, seine Familie und seine Hausangehörigen, die ihm im Haushalt helfen, auf vier Wochen erforderlichen Nahrungs-, Feuerungs- und Beleuchtungsmittel oder, soweit für diesen Zeitraum solche Vorräte nicht vorhanden und ihre Beschaffung auf anderem Wege nicht gesichert ist, der zur Beschaffung erforderliche Geldbetrag;
bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände;
bei Personen, die wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850–850b ZPO bezeichneten Art beziehen, ein Geldbetrag, der dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung bis zu dem nächsten Zahlungstermin entspricht;
künstliche Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel, soweit diese Gegenstände zum Gebrauch des Schuldners und seiner Familie bestimmt sind.
Gegenstände, die zum gewöhnlichen Hausrat gehören und im Haushalt des Vollstreckungsschuldners gebraucht werden, sollen zudem nicht gepfändet werden, wenn ohne Weiteres ersichtlich ist, dass durch ihre Verwertung nur ein Erlös erzielt werden würde, der zu dem Wert außer allem Verhältnis steht (§ 295 AO i. V. mit § 812 ZPO).
Tz. 321 Verwertung, Aussetzung der Verwertung
Die gepfändeten Sachen sind grds. auf schriftliche Anordnung der Vollstreckungsbehörde öffentlich zu versteigern (analog §§ 814 und 815 Abs. 3 ZPO). Die Versteigerung soll i. d. R. durch den Vollziehungsbeamten vorgenommen werden. Versteigerung bedeutet Zwangsübertragung des Eigentums an einer Sache kraft Hoheitsakts durch den Vollziehungsbeamten. Eine öffentliche Versteigerung setzt dabei voraus, dass grds. jedermann zugelassen ist, im gegenseitigen Wettbewerb ein Kaufgebot abzugeben (vgl. § 298 Abs. 2 AO). Alle Rechte, die an der Sache vor der (zulässigen) Versteigerung bestanden haben, erlöschen. Der Ersteher erwirbt das ersteigerte Eigentum ungeachtet guten oder bösen Glaubens. Der Ersteher erwirbt auch dann Eigentum, wenn die Pfändung der Sache unwirksam war und aufgehoben wurde, es sei denn, er kannte die fehlende Pfandverstrickung oder die Versteigerung fand unter wesentlichen Formverstößen oder unter Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit statt.
Ausnahmen von der Pflicht zur öffentlichen Versteigerung gelten in den Fällen des § 300 Abs. 3 Satz 2, § 302 und § 305 AO sowie bei der Pfändung von Geld (§ 296 Abs. 2 AO). Bei Pfändung von Geld gilt nämlich bereits die Wegnahme als Zahlung des Vollstreckungsschuldners. Bei ausländischem Geld richtet sich die Verwertung nach § 302 AO.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Versteigerung nur abwenden, wenn er
den geschuldeten Betrag an den Vollziehungsbeamten zahlt;
nachweist, dass ihm eine Zahlungsfrist bewilligt worden ist (z. B. durch Stundung);
nachweist, dass die Schuld erloschen ist (z. B. durch Erlass);
eine Entscheidung vorlegt, aus der sich die Unzulässigkeit der vorzunehmenden Pfändung ergibt (z. B. Gewährung von Aussetzung der Vollziehung);
eine Post- oder Bankquittung vorlegt, aus der sich ergibt, dass er den geschuldeten Betrag eingezahlt hat.
Die Vollstreckungsbehörde kann die Verwertung gepfändeter Sachen nach § 297 AO allerdings unter Anordnung von Zahlungsfristen zeitweilig aussetzen, wenn die alsbaldige Verwertung vorübergehend unbillig wäre. Ist die Verwertung aber nicht nur vorübergehend unbillig, ist die Pfändung nach § 258 AO aufzuheben.
Tz. 322 Versteigerung
Gepfändete Sachen dürfen grds. nicht vor Ablauf einer Woche seit dem Tag der Pfändung versteigert werden. Diese Wochenfrist dient dem Schutz des Vollstreckungsschuldners und Dritter, die nach §§ 262, 293 AO Rechte an der gepfändeten Sache geltend machen können. Eine frühere Versteigerung ist daher auch nur zulässig, wenn der Vollstreckungsschuldner sein Einverständnis mit einer früheren Versteigerung erklärt hat oder wenn sie erforderlich ist, um die Gefahr einer beträchtlichen Wertverringerung (z. B. durch Verderb) abzuwenden oder unverhältnismäßige Kosten (z. B. Aufbewahrungs- oder Fütterungskosten) längerer Aufbewahrung zu vermeiden. Im Fall des § 297 AO kann die Versteigerung auch noch weiter hinausgeschoben werden.
Zeit und Ort der Versteigerung sind unter allgemeiner Benennung der zu versteigernden Sachen öffentlich bekannt zu machen (§ 298 Abs. 2 AO). Damit soll – im Interesse des Gläubigers wie auch des Vollstreckungsschuldners – gewährleistet werden, dass möglichst viele Bieter erscheinen. Auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde soll ein Gemeindebediensteter oder ein Polizeibeamter der Versteigerung beiwohnen. Bei der Versteigerung können der Pfandgläubiger und der Eigentümer der Sache mitbieten (§ 298 Abs. 3 AO i. V. mit § 1239 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB). Ein Gebot des Eigentümers kann allerdings zurückgewiesen werden, wenn der gebotene Betrag nicht in bar hinterlegt wird.
Nach Eröffnung des Versteigerungstermins hat der Vollziehungsbeamte zunächst die Versteigerungsbedingungen bekannt zu geben. So soll insbesondere darauf hingewiesen werden, dass der Ersteher keinen Anspruch auf Gewährleistung wegen eines Rechts- oder Sachmangels hat. Danach hat der Vollziehungsbeamte die Sachen den zum Versteigerungstermin Erschienenen zur Besichtigung vorzuzeigen und die Anwesenden unter Nennung des gewöhnlichen Verkaufswerts und des Mindestgebots zum Bieten aufzufordern (Ausgebot); vgl. auch § 300 AO.
Tz. 323 Zuschlag
Bei der öffentlichen Versteigerung soll dem Zuschlag an den Meistbietenden ein dreimaliger Aufruf vorausgehen. Der Bieter ist an sein Gebot (Antrag auf Erteilung des Zuschlags) gebunden, bis es erlischt. Ein Gebot erlischt, wenn ein Übergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Erteilung des Zuschlags (z. B. wegen Nichterreichen des Mindestgebots) geschlossen wird. Der Zuschlag als Annahme des vom Bieter abgegebenen Gebots ist eine einseitige hoheitliche Maßnahme. Durch den Zuschlag kommt ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen dem Bieter und dem Staat (vertreten durch die Finanzbehörde als Vollstreckungsgläubiger) zustande (§ 299 Abs. 1 AO i. V. mit § 156 BGB).
Der Zuschlag allein führt noch nicht zum Eigentumsübergang an der versteigerten Sache. Der Eigentumsübergang tritt erst mit Aushändigung (körperliche Übergabe) der Sache oder ausnahmsweise der Verschaffung mittelbaren Besitzes durch Abtretung des Herausgabeanspruchs (vgl. § 931 BGB) ein. Eine zugeschlagene Sache darf dabei nur gegen bare Zahlung ausgehändigt werden (§ 299 Abs. 2 AO). Eine Ausnahme vom Barzahlungsgebot ist nur mit vorheriger Zustimmung der Vollstreckungsbehörde zulässig. Die Aushändigung der Sache ohne Empfang der Barzahlung führt zur Unwirksamkeit des Eigentumsübergangs.
Die bereits versteigerte Sache wird nach § 299 Abs. 3 AO anderweitig versteigert, wenn der Meistbietende die Aushändigung der Sache gegen Zahlung des Kaufgelds nicht zu der in den Versteigerungsbedingungen bestimmten Zeit bzw., wenn keine Zeit bestimmt war, nicht vor dem Schluss des Versteigerungstermins verlangt. Der Zuschlag an den Meistbietenden wird damit hinfällig. Der Meistbietende darf in der anderweitigen Versteigerung auch nicht mehr mitbieten. Er haftet für einen Ausfall bei Versteigerung zu einem geringeren Meistgebot, auf einen Mehrerlös hat er dagegen keinen Anspruch.
Tz. 324 Mindestgebot
Im Interesse sowohl des Vollstreckungsschuldners als auch des Gläubigers darf der Zuschlag nur auf ein Gebot erteilt werden, das mindestens die Hälfte des gewöhnlichen Verkaufswerts der Sache erreicht (Mindestgebot). Der gewöhnliche Verkaufswert und das Mindestgebot müssen vom Vollziehungsbeamten grds. bei dem Ausgebot bekannt gegeben werden. Der gewöhnliche Verkaufswert einer Sache ist schon bei der Pfändung zu schätzen (§ 295 AO i. V. mit § 813 ZPO). Ggf. ist ein Sachverständiger zur Bewertung hinzuzuziehen. Bei unzureichendem Mindestgebot darf der Zuschlag auch unterhalb der Hälfte des Verkaufswerts der Sache erteilt werden, wenn Vollstreckungsschuldner und (alle) Gläubiger zustimmen, wenn die Gefahr einer beträchtlichen Wertminderung der Sache besteht oder wenn eine längere Lagerung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden wäre.
Das Pfandrecht an der Sache bleibt bestehen, wenn mangels Erreichen des Mindestgebots kein Zuschlag erteilt wurde. In diesem Fall kann die Vollstreckungsbehörde jederzeit einen neuen Versteigerungstermin bestimmen oder eine anderweitige Verwertung der gepfändeten Sachen nach § 305 AO (z. B. Freihandverkauf) anordnen.
Gold- und Silbersachen dürfen darüber hinaus nicht unter ihrem Gold- oder Silberwert zugeschlagen werden. Wird kein den Zuschlag gestattendes Gebot (Mindestgebot) abgegeben, können Gold- und Silbersachen auf Anordnung der Vollstreckungsbehörde auch freihändig verkauft werden. In diesem Fall darf der Verkaufspreis den Gold- oder Silberwert und die Hälfte des gewöhnlichen Verkaufswerts nicht unterschreiten.
Tz. 325 Einstellung der Versteigerung
Die Versteigerung wird eingestellt, sobald der Erlös zur Deckung der beizutreibenden Beträge einschließlich der Kosten der Vollstreckung ausreicht. Der Erlös muss ggf. auch die Ansprüche von anderen Gläubigern decken, wenn eine Anschlusspfändung vorliegt. Die Entgegennahme des Erlöses durch den versteigernden Vollziehungsbeamten gilt als Zahlung des Vollstreckungsschuldners; dies gilt allerdings nicht, wenn der Erlös hinterlegt wird (§ 308 Abs. 4 AO). Bei der Verbuchung des Erlöses gilt § 225 Abs. 3 AO, da es sich nicht um eine freiwillige Zahlung des Schuldners handelt.
Tz. 326 Wertpapiere
Gepfändete Wertpapiere, die einen Börsen- oder Marktpreis haben und an der Börse amtlich notiert werden, sind nicht öffentlich zu versteigern, sondern nach § 302 AO aus freier Hand zum Tageskurs zu verkaufen. Alle anderen Wertpapiere sind öffentlich zu versteigern, sofern keine besondere Verwertung nach § 305 AO geboten erscheint. Wertpapiere i. S. des § 302 AO sind nur solche Papiere, bei denen das verbriefte Recht nur durch Vorlage der Urkunde ausgeübt werden kann (z. B. Aktien, Investmentanteile, Pfandbriefe). Keine Wertpapiere i. S. des § 302 AO sind z. B. Sparkassenbücher, Hypothekenbriefe, Schuldscheine, Wechsel.
Tz. 327 Namenspapiere
Lautet ein gepfändetes Wertpapier auf einen Namen, ist die Vollstreckungsbehörde nach Verkauf oder Versteigerung des Wertpapiers berechtigt, die Umschreibung auf den Namen des Käufers oder, wenn es sich um ein auf einen Namen umgeschriebenes Inhaberpapier handelt, die Rückverwandlung in ein Inhaberpapier zu erwirken und die hierzu erforderlichen Erklärungen an Stelle des Vollstreckungsschuldners abzugeben.
Tz. 328 Versteigerung ungetrennter Früchte
Gepfändete Früchte, die vom Boden noch nicht getrennt sind, dürfen zwar binnen eines Monats vor der gewöhnlichen Reifezeit gepfändet werden (vgl. § 294 Abs. 1 AO), sie dürfen aber erst nach der Reife versteigert werden. Die Versteigerung kann vor oder nach ihrer Trennung vom Boden erfolgen; entscheidend ist, auf welche Weise ein höherer Versteigerungserlös zu erwarten ist. Der Vollziehungsbeamte hat die Früchte abernten zu lassen, wenn er sie nicht vor der Trennung versteigert; die hiermit verbundenen Kosten hat der Vollstreckungsschuldner zu tragen.
Tz. 329 Besondere Verwertung
Die Vollstreckungsbehörde kann nach § 305 AO anordnen, dass eine gepfändete Sache in anderer Weise (z. B. durch freihändigen Verkauf) oder an einem anderen Ort als regulär verwertet oder durch eine andere Person als den Vollziehungsbeamten versteigert wird. Dies kann entweder auf Antrag des Vollstreckungsschuldners oder aus besonderen Zweckmäßigkeitsgründen erfolgen, damit ein höherer Erlös erzielt werden kann. Der Vollstreckungsschuldner hat aber keinen Rechtsanspruch auf besondere Verwertung, die Entscheidung steht im Ermessen der Vollstreckungsbehörde.
Tz. 330 Vollstreckung in Ersatzteile von Luftfahrzeugen
§ 306 AO berücksichtigt Sondervorschriften des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen. Luftfahrzeuge, die in die Luftfahrzeugrolle eingetragen sind, unterliegen nämlich der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen (vgl. §§ 322 ff. AO).
Tz. 331 Anschlusspfändung
Im Interesse der Verfahrensvereinfachung kann die Pfändung bereits gepfändeter Sachen nach § 307 AO auch dadurch erfolgen, dass der Vollziehungsbeamte in die Niederschrift die Erklärung aufnimmt, dass er die Sache für die zu bezeichnende Forderung pfändet. Dem Vollstreckungsschuldner ist die weitere Pfändung mitzuteilen.
Bei einer Anschlusspfändung bedarf es weder einer „erneuten” Inbesitznahme der Sache noch der Anbringung eines zusätzlichen Pfandsiegels. Bei einer Anschlusspfändung gilt das Verbot der Überpfändung nicht. Befindet sich die Sache im Gewahrsam eines Dritten, ist dessen Herausgabebereitschaft unerheblich, da sein Besitz an der Sache durch die Anschlusspfändung nicht berührt wird.
Von der Anschlusspfändung ist eine Nachpfändung zu unterscheiden. Während bei einer Anschlusspfändung für unterschiedliche Forderungen gepfändet wurde, wird bei einer Nachpfändung erneut gepfändet, weil die erste Pfändung wegen der nämlichen Forderung unwirksam oder unzureichend war.
Eine Anschlusspfändung ist unwirksam, wenn die vermeintliche Erstpfändung unwirksam war. Die Anschlusspfändung wird nachträglich unwirksam, wenn die Pfandverstrickung aus der Erstpfändung später entfällt. Wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Erstpfändung bestehen oder das Risiko des Wegfalls der Pfandverstrickung aufgrund der Erstpfändung vermieden werden soll, kann der Vollziehungsbeamte anstelle einer Anschlusspfändung auch eine „normale” Pfändung nach § 286 AO vornehmen.
Erfolgte die erste Pfändung für eine andere Vollstreckungsbehörde (§ 249 AO) oder durch einen Gerichtsvollzieher, ist der anderen Vollstreckungsbehörde oder dem Gerichtsvollzieher eine Abschrift der Niederschrift zu übersenden (§ 307 Abs. 2 AO). Die gleiche Pflicht zur Übersendung einer Abschrift seiner Niederschrift hat umgekehrt auch ein Gerichtsvollzieher, der eine Sache pfändet, die bereits im Auftrag einer Vollstreckungsbehörde nach der AO gepfändet worden ist.
Tz. 332 Verwertung bei mehrfacher Pfändung
Wird dieselbe Sache mehrfach durch Vollziehungsbeamte oder durch Vollziehungsbeamte und Gerichtsvollzieher gepfändet, richtet sich die Zuständigkeit zur Versteigerung nach der ersten Pfändung (§ 308 Abs. 1 AO). Dies gilt sowohl bei Anschlusspfändungen (§ 307 AO) als auch bei mehrfacher „selbständiger” Pfändung. Mit Zustimmung des Vollstreckungsschuldners und aller Gläubiger können die Vollziehungsbeamten und Gerichtsvollzieher aber auch eine abweichende Zuständigkeit vereinbaren.
Betreibt ein Gläubiger die Versteigerung der mehrfach gepfändeten Sache, erfolgt die Versteigerung nach § 308 Abs. 2 AO gleichzeitig für alle beteiligten Pfandgläubiger. Andere Gläubiger können ihre Rechte nur nach §§ 262, 293 AO oder §§ 771, 805 ZPO verfolgen.
Reicht der Erlös der Versteigerung zur Deckung aller Forderungen aus, wird er unter allen Pfandgläubigern nach ihren Forderungen verteilt (§ 308 Abs. 3 AO). Dabei sind die Kosten der Versteigerung vorweg abzuziehen, da sie von allen Gläubigern zu bestreiten sind.
Reicht der Erlös der Versteigerung dagegen nicht zur Deckung aller Forderungen aus, ist zwischen Anschlusspfändungen und Mehrfachpfändungen zu unterscheiden:
Bei Anschlusspfändungen wird der Erlös entweder nach der Reihenfolge der Pfändungen oder nach einer abweichenden Vereinbarung aller Pfandgläubiger verteilt (§ 308 Abs. 3 AO). Verlangt ein Pfandgläubiger, für den die zweite oder eine spätere Pfändung erfolgt ist, ohne Zustimmung der anderen Pfandgläubiger eine andere Verteilung als nach der Reihenfolge der Pfändungen, sind die Angelegenheit dem Amtsgericht, in dessen Bezirk gepfändet worden ist, anzuzeigen und der Erlös dort zu hinterlegen (§ 308 Abs. 4 Satz 1 AO). Für das Verteilungsverfahren gelten die §§ 873–882 ZPO.
Bei Mehrfachpfändungen wird der Erlös entweder nach dem Verhältnis der Forderungen oder nach einer abweichenden Vereinbarung aller Pfandgläubiger verteilt (§ 308 Abs. 5 AO). Verlangt ein Pfandgläubiger, für den die zweite oder eine spätere Pfändung erfolgt ist, ohne Zustimmung der anderen Pfandgläubiger eine andere Verteilung als nach dem Verhältnis der Forderungen, sind die Angelegenheit dem Amtsgericht, in dessen Bezirk gepfändet worden ist, anzuzeigen und der Erlös dort zu hinterlegen (§ 308 Abs. 5 i. V. mit Abs. 4 Satz 1 AO). Für das Verteilungsverfahren gelten auch hier die §§ 873–882 ZPO.
Tz. 333 Pfändung einer Geldforderung
Die Vollstreckung von Abgabenforderungen kann auch durch Pfändung von Geldforderungen des Vollstreckungsschuldners gegen Dritte (Drittschuldner) erfolgen. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollstreckungsbehörde, ob sie zur Durchsetzung der Abgabenforderungen bewegliche Sachen des Vollstreckungsschuldners oder Geldforderungen des Vollstreckungsschuldners gegen Dritte pfändet. Die Sachpfändung ist nicht stets als das mildere Mittel verglichen mit einer Kontenpfändung anzusehen, auch wenn sie zwangsläufig mit der Offenbarung von Steuerrückständen des Vollstreckungsschuldners gegenüber Dritten verbunden ist. Das Steuergeheimnis steht der Pfändung von Geldforderungen nicht entgegen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet es der Vollstreckungsbehörde jedoch, Forderungen zu pfänden, ohne dass ein hinreichender Anhalt dafür besteht, dass die Pfändung zu ihrer Befriedigung führen kann; dabei ist das Interesse des Vollstreckungsschuldners zu berücksichtigen, dass anderen seine Steuerschulden nicht bekannt werden (vgl. , BStBl 2001 II S. 5).
Pfändbar ist grds. jede bestehende Geldforderung, auch wenn sie noch bedingt, befristet oder von einer Gegenleistung abhängig ist. Zu beachten sind aber gesetzliche Pfändungsverbote (vgl. § 319 AO) oder anderweitige Unpfändbarkeit. Auch künftige Forderungen sind pfändbar, wenn und soweit sie bestimmt oder bestimmbar sind. Unerheblich ist, ob die Höhe der Forderung noch ungewiss ist oder ob noch unklar ist, ob die Forderung überhaupt entstehen wird. Allerdings muss zwischen dem Vollstreckungsschuldner und dem Dritten bereits eine Rechtsbeziehung bestehen, aus der die künftige Forderung nach Art und Person des Schuldners bestimmt werden kann. Bei der Pfändung künftiger Forderungen entsteht das Pfändungspfandrecht allerdings nicht bereits mit der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner, sondern erst mit der (späteren) Entstehung der Forderung.
Die Pfändungsverfügung darf nur schriftlich, aber nicht in elektronischer Form ergehen. § 309 Abs. 2 AO ordnet an, dass die Pfändungsverfügung dem Drittschuldner förmlich zuzustellen ist. Die Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner ist auch dem Vollstreckungsschuldner mitzuteilen; hierbei reicht Bekanntgabe durch einfachen Brief aus.
Die Pfändungsverfügung ist ein Verwaltungsakt und muss enthalten (s. auch Abschn. 41 VollstrA)
Familienname, Vornamen und Anschrift des Vollstreckungsschuldners;
den beizutreibenden Geldbetrag und die Feststellung, dass der Vollstreckungsschuldner diesen Betrag schuldet;
die Bezeichnung der Forderung, die dem Vollstreckungsschuldner gegen den Drittschuldner zusteht, sowie den Ausspruch, dass wegen der bezeichneten Beträge die Forderung gepfändet wird;
das an den Drittschuldner zu richtende Verbot, an den Vollstreckungsschuldner zu zahlen, sowie das an den Vollstreckungsschuldner zu richtende Gebot, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten;
die Unterschrift eines zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsstelle.
In der an den Drittschuldner zuzustellenden Pfändungsverfügung ist der beizutreibende Geldbetrag aus Datenschutzgründen nur in einer Summe, ohne Angabe der Steuerarten und der Zeiträume, für die er geschuldet wird, anzugeben (§ 309 Abs. 2 Satz 2 AO). Dagegen ist der Gesamtbetrag gegenüber dem Vollstreckungsschuldner näher aufzuschlüsseln. Die Forderung, die gepfändet wird, ist in der Pfändungsverfügung so eindeutig zu bezeichnen, dass kein Zweifel am Gegenstand der Pfändung möglich ist. Dazu gehört neben der Angabe des Drittschuldners auch die Angabe des Schuldgrunds, zum Beispiel Lohn, Darlehen, Mietzins, Pachtzins, Kaufpreis, Sparkasseneinlage. Die gepfändete Forderung ist in der Pfändungsverfügung hinreichend bezeichnet, wenn der Schuldgrund dieser Forderung in Umrissen derart gekennzeichnet ist, dass die Forderung damit identifizierbar gemacht worden ist.
Durch die Pfändung entsteht ein Dreiecksverhältnis, wobei nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Vollstreckungsschuldner und der Vollstreckungsbehörde öffentlich-rechtlicher Natur ist. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vollstreckungsschuldner und dem Drittschuldner behält seine zivilrechtliche Natur, auch wenn es nun durch die Pfändung öffentlich-rechtlich beeinflusst wird. Auch das Rechtsverhältnis zwischen der Vollstreckungsbehörde und dem Drittschuldner ist zivilrechtlicher Natur. Daher kann die Vollstreckungsbehörde ihre Forderung gegen den Drittschuldner nur durch den Gerichtsvollzieher vollstrecken lassen.
Leistet der Drittschuldner verbotswidrig an den Vollstreckungsschuldner, erlischt zwar die Forderung des Vollstreckungsschuldners gegen den Drittschuldner, der Drittschuldner wird jedoch gegenüber der Vollstreckungsbehörde nicht von seiner Schuld befreit (§§ 135. 136 BGB). Eine vor der Pfändung bestehende Aufrechnungsmöglichkeit des Drittschuldners gegenüber dem Vollstreckungsschuldner bleibt jedoch nach § 392 BGB erhalten.
Tz. 334 Pfändung einer durch Hypothek gesicherten Forderung
Auch Forderungen, für die eine Hypothek besteht, können von der Vollstreckungsbehörde gepfändet werden. In diesem Fall ist aber neben dem Erlass der Pfändungsverfügung (§ 309 AO) auch die Aushändigung des Hypothekenbriefs an die Vollstreckungsbehörde erforderlich. Die Übergabe gilt als erfolgt, wenn der Vollziehungsbeamte den Brief wegnimmt. Sofern die Erteilung eines Hypothekenbriefs ausgeschlossen ist, erfolgt die Pfändung durch Eintragung der Forderung in das Grundbuch. Wird die Pfändungsverfügung dem Drittschuldner vor Übergabe des Hypothekenbriefs oder Eintragung der Pfändung zugestellt, gilt die Pfändung ihm gegenüber bereits mit der Zustellung als bewirkt. Der Zeitpunkt der Entstehung des Pfandrechts wird damit gegenüber dem Drittschuldner auf den Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungsverfügung zurückbezogen.
Tz. 335 Pfändung einer durch Schiffshypothek oder Registerpfandrecht an einem Luftfahrzeug gesicherten Forderung
§ 311 AO enthält Sondervorschriften für Forderungen, für die eine Schiffshypothek oder ein Registerpfandrecht an einem Luftfahrzeug besteht. In diesem Fall kann die Forderung nur durch Eintragung in das Schiffsregister, in das Schiffsbauregister oder in das Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen gepfändet werden. Die Pfändung wird aufgrund der Pfändungsverfügung auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde eingetragen.
Wird die Pfändungsverfügung dem Drittschuldner vor Eintragung der Pfändung zugestellt, gilt die Pfändung ihm gegenüber bereits mit der Zustellung als bewirkt (§ 311 Abs. 3 Satz 2 i. V. mit § 310 Abs. 2 AO). Der Zeitpunkt der Entstehung des Pfandrechts wird damit gegenüber dem Drittschuldner auf den Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungsverfügung zurückbezogen.
Tz. 336 Pfändung einer Forderung aus indossablen Papieren
Forderungen aus Wechseln und anderen Papieren, die durch Indossament übertragen werden können (z. B. Schecks), werden wie bewegliche Sachen gepfändet, indem der Vollziehungsbeamte die Papiere in Besitz nimmt (vgl. auch § 286 und § 302 AO). Ihre Verwertung erfolgt aber nicht nach §§ 296 ff. AO, sondern nach §§ 314 ff. AO. Eine Pfändungsverfügung nach § 309 AO ist nicht erforderlich.
Tz. 337 Pfändung fortlaufender Bezüge
§ 313 AO befasst sich mit dem Umfang der Wirkung einer Pfändung fortlaufender Bezüge aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis (wie auch §§ 832 und 833 ZPO). Das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, erstreckt sich danach auch auf solche Beträge, die später fällig werden. Beispiele für fortlaufende Bezüge sind Lohn und Gehaltsansprüche aus Arbeitsverhältnissen, Ansprüche auf Bezüge und auf Ruhegehalt aus einem Dienstverhältnis, Provisionsansprüche eines Handelsvertreters, Zinsen, Miete, Pacht, Sozialleistungen. Endet das Arbeits- oder Dienstverhältnis und begründen Vollstreckungsschuldner und Drittschuldner innerhalb von neun Monaten ein solches neu, erstreckt sich die Pfändung auf die Forderung aus dem neuen Arbeits- und Dienstverhältnis.
Tz. 338 Einziehungsverfügung
Nach Pfändung einer Geldforderung (§ 309 AO) ordnet die Vollstreckungsbehörde auch die Einziehung der gepfändeten Forderung an. Die Einziehungsverfügung wird mit ihrer Zustellung an den Drittschuldner wirksam, wobei der beizutreibende Geldbetrag nur in einer Summe zu bezeichnen ist. Die Zustellung der Einziehungsverfügung an den Drittschuldner ist auch dem Vollstreckungsschuldner mitzuteilen.
Die Einziehungsverfügung kann mit der Pfändungsverfügung verbunden werden. Die Einziehungsverfügung ist allerdings gesondert zuzustellen, wenn
die Verwertung im Zeitpunkt der Pfändung noch nicht zulässig ist, weil die gepfändete Forderung oder das gepfändete Recht Sicherungszwecken dient (z. B. im Arrestverfahren nach den §§ 324 ff. AO) oder
wenn Forderungen aus Wechseln oder anderen Papieren, die durch Indossament übertragen werden können, vom Vollziehungsbeamten durch Wegnahme der Papiere gepfändet wurden (vgl. § 312 AO).
Die Einziehungsverfügung bewirkt keinen Vermögensübergang und steht auch einer Abtretung der Forderung nicht gleich. Der übliche Weg der Verwertung einer gepfändeten Geldforderung ist die („freiwillige”) Überweisung des gepfändeten Betrags auf ein Konto der Vollstreckungsbehörde. Leistet der Drittschuldner nicht „freiwillig”, kann die Vollstreckungsbehörde die Leistung vom Drittschuldner aber nicht nach der AO erzwingen. Sie kann die Leistung des Drittschuldners vielmehr nur vor den ordentlichen Gerichten einklagen. Andererseits kann die Vollstreckungsbehörde alle Rechte geltend machen, die im Recht des Vollstreckungsschuldners begründet sind (z. B. Kündigung, Aufrechnung mit eigenen Forderungen, Klage auf Feststellung oder auf Leistung). Zu anderen Maßnahmen bzw. Verfügungen, die keine Einziehungshandlungen darstellen, ist die Vollstreckungsbehörde nicht berechtigt. Sie kann daher mit Wirkung für den Vollstreckungsschuldner mit dem Drittschuldner keinen Vergleich schließen, keine Stundungsvereinbarung treffen, keinen Erlass der Forderung gewähren und keine Ratenzahlungen bewilligen.
Bei Einziehung eines bei einem Geldinstitut gepfändeten Guthabens eines Vollstreckungsschuldners, der eine natürliche Person ist, darf das Geldinstitut allerdings erst zwei Wochen nach Zustellung der Einziehungsverfügung leisten oder den Betrag hinterlegen (§ 314 Abs. 3 AO i. V. mit § 835 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Hierdurch soll dem Vollstreckungsschuldner die Möglichkeit gegeben werden, zum Schutz seines Arbeitseinkommens den Antrag nach § 850k ZPO i. V. mit § 319 AO zu stellen.
Tz. 339 Wirkung der Einziehungsverfügung
Die Einziehungsverfügung nach § 314 AO ersetzt die förmlichen Erklärungen des Vollstreckungsschuldners, von denen zivilrechtlich die Berechtigung zur Einziehung abhängt. Dies gilt auch bei Forderungen, für die eine Hypothek, Schiffshypothek oder ein Registerpfandrecht an einem Luftfahrzeug besteht.
Zugunsten des Drittschuldners gilt eine zu Unrecht ergangene Einziehungsverfügung dem Vollstreckungsschuldner gegenüber so lange als rechtmäßig, bis sie aufgehoben ist und der Drittschuldner hiervon erfährt (§ 315 Abs. 1 Satz 3 AO). Dies dient dem Schutz des Drittschuldners. Wenn ihm die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugestellt ist, darf er ohne weiteres der Gültigkeit dieser behördlichen Maßnahme vertrauen, auch wenn sie zu Unrecht erfolgt ist.
Der Vollstreckungsschuldner ist nach § 315 Abs. 2 Satz 1 AO verpflichtet, der Vollstreckungsbehörde die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen und die über die Forderung vorhandenen Urkunden herauszugeben. Bei juristischen Personen haben deren gesetzliche Vertreter diese Pflichten zu erfüllen. Entsprechendes gilt für gesetzliche Vertreter anderer Personen, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte (§§ 34, 35 AO).
Erteilt der Vollstreckungsschuldner die Auskunft nicht, muss er sie auf Verlangen der Vollstreckungsbehörde zu Protokoll geben und seine Angaben an Eides statt versichern (§ 315 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist dem Vollstreckungsschuldner selbst zuzustellen. Ist der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin nicht erschienen oder verweigert er ohne Grund die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, kann die Vollstreckungsbehörde das nach § 899 Abs. 1 ZPO zuständige Amtsgericht um Anordnung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung ersuchen.
Urkunden i. S. des § 315 Abs. 2 AO sind
Urkunden im engeren Sinne, wie z. B. Sparkassenbücher, Lebensversicherungspolicen, GmbH-Anteilsscheine, sonstige Versicherungsscheine, Schuldscheine, und
Beweisurkunden oder sonstige Schriftstücke, die für die Geltendmachung der Forderung gegen den Drittschuldner benötigt werden (z. B. Verträge, notarielle Urkunden, Quittungen, Schriftwechsel).
Zu diesen Urkunden gehören auch Lohn- und Gehaltsabrechnungen bzw. Verdienstbescheinigungen, soweit sie sich auf die Beträge beziehen, die von der Pfändung erfasst werden. Die Herausgabe eines Kraftfahrzeugbriefs (Zulassungsbescheinigung Teil II) kann ebenso wenig nach § 315 Abs. 2 AO erzwungen werden wie die Herausgabe von Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefen zur Pfändung von Grundpfandrechten.
Sollte es nicht möglich sein, die für die Geltendmachung der Forderung erforderlichen Urkunden in Form der Wegnahme durch den Vollziehungsbeamten zu beschaffen, ist der Vollstreckungsschuldner schriftlich zur Herausgabe der Urkunden aufzufordern. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, kann die Herausgabe nach den §§ 328–335 AO durch Festsetzung eines Zwangsgelds bis hin zur Anordnung der Ersatzzwanghaft erzwungen werden. Werden die Urkunden nicht vorgefunden, hat der Vollstreckungsschuldner auf Verlangen der Vollstreckungsbehörde zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er die Urkunden nicht besitze und auch nicht wisse, wo sie sich befinden.
Hat ein Dritter die Urkunde, ann die Vollstreckungsbehörde den Anspruch des Vollstreckungsschuldners auf Herausgabe geltend machen (§ 315 Abs. 4 AO). Einer Einziehungsverfügung bedarf es hierzu nicht. Verweigert der Dritte die Herausgabe der Urkunde, muss allerdings gegen den Dritten eine Klage auf Herausgabe erhoben werden.
Tz. 340 Erklärungspflicht des Drittschuldners
Der Drittschuldner hat der Vollstreckungsbehörde auf Verlangen innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung der Pfändungsverfügung zu erklären:
ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkennt und bereit ist zu zahlen,
ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung erheben,
ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet ist.
Die Beantwortung dieser Fragen soll den Pfändungsgläubiger in groben Zügen darüber informieren, ob die gepfändete Forderung als begründet anerkannt und erfüllt wird, ob sie Dritten zusteht oder ob sie bestritten und deshalb nicht oder nur im Klagewege durchzusetzen ist (vgl. , NJW 1984 S. 1901). Die Auskünfte sollen somit dem Gläubiger lediglich eine Basis für sein weiteres Vorgehen verschaffen. Die Erklärung, dass der Drittschuldner die Forderung als begründet anerkennt, ist nur eine Auskunft tatsächlicher Art, kein Schuldanerkenntnis. Im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den Drittschuldner hat sie allerdings eine gewisse Beweiskraft.
Die Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldner-Erklärung kann bereits in die Pfändungsverfügung (§ 309 AO) aufgenommen werden. Der Drittschuldner kann die Erklärung schriftlich oder mündlich zu Protokoll abgeben. Er kann zur Abgabe der Erklärung auch durch ein Zwangsgeld angehalten werden (§ 316 Abs. 2 Satz 2 AO).
Die Auskunftspflicht nach § 316 Abs. 1 AO durchbricht das zivilrechtliche „Bankgeheimnis”, weshalb auch Banken oder Sparkassen zur Beantwortung der Fragen verpflichtet sind. Auch Rechtsanwälte, Steuerberater, Ärzte und ähnliche Berufsgruppen können sich nicht auf die Verschwiegenheitspflicht des § 203 StGB berufen.
Der Drittschuldner haftet der Vollstreckungsbehörde für den Schaden, der aus der Nichterfüllung seiner Erklärungspflicht entsteht. Dies setzt aber ein Verschulden des Drittschuldners voraus. Die Beweispflicht für ein Nichtverschulden liegt beim Drittschuldner. Eine Nichterfüllung der Erklärungspflicht kann auch in verspäteter, unrichtiger oder unvollständiger Erklärung bestehen. Ein Schaden könnte z. B. entstehen, wenn über das Vermögen des Drittschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wird, wenn die Forderung verjährt oder wenn eine Lohnforderung nach Ablauf einer tariflichen Verfallfrist nicht mehr geltend gemacht werden kann. Im Übrigen gelten auch §§ 841 – 843 ZPO über die Pflicht zur Streitverkündung, zum Schadensersatz bei verzögerter Beitreibung und zum Verzicht des Pfandgläubigers auf seine durch Pfändung und Einziehungsverfügung erworbenen Rechte.
Tz. 341 Andere Art der Verwertung
Ist die gepfändete Forderung bedingt oder betagt oder ihre Einziehung schwierig, kann die Vollstreckungsbehörde anordnen, dass sie in anderer Weise als durch Einziehung (§ 314 AO) zu verwerten ist. Der Vollstreckungsschuldner ist vorher zu hören, sofern nicht eine Bekanntgabe im Ausland oder eine öffentliche Bekanntmachung erforderlich ist. Die Anordnung der anderweitigen Verwertung ist ein Verwaltungsakt und steht im Ermessen der Vollstreckungsbehörde. Andere Arten der Verwertung einer gepfändeten Forderung als deren Einziehung sind der freihändige Verkauf, die Versteigerung und die Aufhebung der Pfändungsverfügung gegen Entgelt.
Tz. 342 Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung von Sachen
Für die Vollstreckung in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung von Sachen gelten außer den Regelungen in §§ 309–317 AO folgende ergänzende Bestimmungen (analog §§ 846 ff. ZPO):
Bei der Pfändung eines Anspruchs, der eine bewegliche Sache betrifft, ordnet die Vollstreckungsbehörde an, dass die Sache vom Drittschuldner an den Vollziehungsbeamten herauszugeben ist; die Sache wird dann wie eine gepfändete Sache verwertet. Ist der Drittschuldner nicht zur Herausgabe der Sache bereit, kann der Vollziehungsbeamte die Sache nicht wegnehmen oder pfänden; vielmehr muss die Vollstreckungsbehörde den Herausgabeanspruch vor den zuständigen Gerichten verfolgen.
Bei Pfändung eines Herausgabeanspruchs, der eine unbewegliche Sache betrifft, ordnet die Vollstreckungsbehörde an, dass die Sache an einen Treuhänder herauszugeben ist, den das Amtsgericht der belegenen Sache auf Antrag der Vollstreckungsbehörde bestellt. Die Vollstreckung in die herausgegebene Sache wird nach den Vorschriften über die Vollstreckung in unbewegliche Sachen bewirkt (d.h. durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung). Entsprechendes gilt, wenn der Herausgabeanspruch ein im Schiffsregister eingetragenes Schiff, ein Schiffsbauwerk oder Schwimmdock, das im Schiffsbauregister eingetragen ist oder in dieses Register eingetragen werden kann, oder ein Luftfahrzeug betrifft, das in der Luftfahrzeugrolle eingetragen ist oder nach Löschung in der Luftfahrzeugrolle noch in dem Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen ist.
Richtet sich der Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einer unbeweglichen Sache, ist dem Treuhänder als Vertreter des Vollstreckungsschuldners aufzulassen. Mit dem Übergang des Eigentums auf den Vollstreckungsschuldner erlangt die Körperschaft, der die Vollstreckungsbehörde angehört, eine Sicherungshypothek für die Forderung. Entsprechendes gilt, wenn der Übertragungsanspruch ein im Schiffsregister eingetragenes Schiff, ein Schiffsbauwerk oder Schwimmdock, das im Schiffsbauregister eingetragen ist oder in dieses Register eingetragen werden kann, oder ein Luftfahrzeug betrifft, das in der Luftfahrzeugrolle eingetragen ist oder nach Löschung in der Luftfahrzeugrolle noch in dem Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen ist.
Tz. 343 Unpfändbarkeit von Forderungen
Beschränkungen und Verbote, die nach §§ 850–852 ZPO und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, gelten für die Vollstreckung nach der AO sinngemäß. Pfändungsverbote und Pfändungsbeschränkungen sind von Amts wegen zu beachten. Ob sie vorliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Pfändungsverfügung zu beurteilen; bei der Pfändung künftiger Forderungen ist der Zeitpunkt der Fälligkeit maßgebend.
§§ 850–852 ZPO regeln den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen (§§ 850, 850a ZPO), Renten und rentenähnliche Bezüge, die wie Arbeitseinkommen dem Lebensunterhalt des Schuldners dienen (§ 850 ZPO), für sonstige nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönliche Arbeiten oder Dienste (§ 850i ZPO), für Kontenguthaben aus Arbeitseinkommen oder Renten (§ 850k ZPO), für nicht übertragbare Forderungen (§ 851 ZPO i. V. mit §§ 399, 400 BGB), für Landwirte (§ 851a ZPO), für Miet- und Pachtzinsen (§ 851b ZPO) und für Pflichtteilsansprüche, den Zugewinnausgleich und den Anspruch des Schenkers auf die Herausgabe des Geschenks (§ 852 ZPO). Einnahmen aus Kapitalvermögen oder Miet- und Pachtverträgen werden durch die vorgenannten Vorschriften – mit Ausnahme von § 851b ZPO – nicht geschützt, auch wenn es die einzigen Vermögenswerte des Schuldners sind. Ein vertraglicher Ausschluss der Übertragbarkeit einer Forderung hindert deren Pfändung nicht, wenn der geschuldete Gegenstand der Pfändung unterworfen ist (§ 851 Abs. 2 ZPO). Das bedeutet, dass vertragliche Vereinbarungen über den Ausschluss der Abtretbarkeit einer Geldforderung nicht zur Unpfändbarkeit führen, weil Geld als solches stets pfändbar ist.
Arbeitseinkommen i. S. des § 850 ZPO sind alle Geldleistungen, die der Vollstreckungsschuldner aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Drittschuldner bezieht. Es kommt weder auf die Bezeichnung (Lohn, Gehalt usw.) noch auf die Unmittelbarkeit der Zahlung oder sonstigen Leistung an. Unmaßgeblich ist auch, ob das Arbeitsverhältnis noch besteht und ob der Arbeitsvertrag zivilrechtlich wirksam ist. Die in § 850a ZPO aufgeführten Einkommensteile sind der Pfändung entzogen, soweit das Gesetz die Unpfändbarkeit nicht auf bestimmte Anteile (§ 850a Nr. 1 ZPO) oder Beträge (§ 850a Nr. 4 ZPO) oder auf den Rahmen des üblichen (§ 850a Nr. 2 und 3 ZPO) beschränkt. Sie bleiben auch bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens unberücksichtigt (§ 850e Nr. 1 ZPO).
Bei Leistungen, die der Vollstreckungsschuldner neben seinem üblichen Arbeitslohn erhält, ist wie folgt zu differenzieren:
Abfindungen (§§ 9, 10 KSchG, §§ 112, 113 BetrVG) zählen zum Arbeitseinkommen und sind pfändbar (§ 850 Abs. 1 ZPO). Den besonderen Pfändungsschutz des Lohnanspruchs selbst (§§ 850a, 850c, 850d, 850f ZPO) genießt die Abfindung jedoch nicht. Pfändungsschutz kann allerdings auf Antrag gem. § 850i ZPO zu gewähren sein.
Der Anspruch auf Arbeitnehmersparzulage für vermögenswirksame Leistungen ist nicht übertragbar und somit auch nicht pfändbar.
Aufwendungsersatz ist unpfändbar, wenn dieser den Rahmen des Üblichen nicht überschreitet (§ 850a Nr. 3 ZPO). Hierzu gehören u. a. Reise- und Umzugskosten, Kilometergeld, Tagegeld, Auslösungen, Ersatz für selbstgestelltes Arbeitsmaterial und Gefahren-, Schmutz- und Erschwerniszulagen.
Beiträge des Arbeitgebers zur Direktversicherung des Arbeitnehmers sind bei Barlohnumwandlung nicht wie Arbeitseinkommen pfändbar. Als Leistungen aus einer Rentenversicherung sowie aus einer Lebensversicherung sind Bezüge aus Direktversicherungen Arbeitseinkommen nach § 850 Abs. 3 Buchst. b ZPO, bei Kapitalversicherungen ist die Leistung nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung (§ 850i ZPO).
Familienzuschläge sind pfändbar wie Arbeitseinkommen (§ 850 Abs. 1 ZPO).
Gewinnbeteiligungen sind pfändbar wie Arbeitseinkommen (§ 850 Abs. 1 ZPO).
Heirats- oder Geburtsbeihilfen sind unpfändbar (§ 850a Nr. 5 ZPO).
Jubiläumszahlungen sind unpfändbar, wenn sie den Rahmen des Üblichen nicht überschreiten (§ 850a Nr. 2 ZPO).
Karenzentschädigungen sind Entschädigungen, die einem früheren Arbeitnehmer zum Ausgleich von Wettbewerbsverboten für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden. Solche Entschädigungen sind gem. § 850 Abs. 3a ZPO dem Arbeitseinkommen gleichgestellt. Bei einer einmaligen Abfindung kann aber auf Antrag Pfändungsschutz gem. § 850i ZPO gewährt werden.
Krankenvergütung (Entgeltfortzahlung) ist wie Arbeitseinkommen pfändbar (§ 850 Abs. 1 ZPO).
Bezieht der Vollstreckungsschuldner neben Arbeitseinkommen in Geld auch Naturalleistungen (Sachbezüge), ist der pfändbare Betrag aus der Summe des Geldeinkommens und des Werts der Naturalbezüge zu berechnen (§ 850e Nr. 3 ZPO). Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist dem Geldeinkommen zu entnehmen.
Überstundenvergütung ist zur Hälfte (§ 850a Nr. 1 ZPO) unpfändbar.
Urlaubsentgelt ist das für die Dauer des Urlaubs gezahlte Arbeitseinkommen und ist, da es nicht zweckgebunden, wie Arbeitseinkommen pfändbar.
Unter Urlaubsgeld ist nur der Betrag zu verstehen, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aus Anlass des Urlaubs (für eventuelle Mehrausgaben im Urlaub) auszahlt. Dieser für den Urlaub über das Arbeitseinkommen hinaus gewährte Betrag ist unpfändbar, soweit er sich im Rahmen des üblichen hält (§ 850a Nr. 2 ZPO).
Einen Urlaubsabgeltungsanspruch erhält der Arbeitnehmer für nicht genommenen Urlaub. Er ist wie anderes Arbeitsentgelt pfändbar.
Vermögenswirksame Leistungen, die der Arbeitgeber nach dem 5. VermBG zusätzlich zu dem sonstigen Arbeitseinkommen erbringt, sind gem. § 13 5. VermBG unpfändbar. Werden die vermögenswirksamen Leistungen ohne zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers direkt von Teilen des Arbeitseinkommens des Vollstreckungsschuldners erbracht, sind diese ebenso unpfändbar.
Weihnachtsgeld ist bis zur Hälfte der monatlichen Arbeitsvergütung unpfändbar, höchstens jedoch bis zu einem Betrag von 500 € (§ 850a Nr. 4 ZPO). Der Rest ist dann pfändbar, wenn ein Rechtsanspruch darauf besteht. Ein pfändbarer Anspruch kann aber auch bestehen, wenn es als freiwillige Leistung zugesagt wurde.
§ 850c ZPO legt die bei einer Pfändung wegen einer gewöhnlichen Vollstreckungsforderung unpfändbaren Einkommensteile unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten des Schuldners fest. Die Vorschrift gilt für alle Arbeitseinkommen, die in Geld zahlbar sind. Die Umsetzung der Regelungen ist für den praktischen Gebrauch in der Lohnpfändungstabelle erfolgt (Anlage zu § 850c Abs. 3 ZPO), der zum maßgeblichen Nettolohn (§ 850e ZPO) die pfändbaren Beträge entnommen werden können. Die unpfändbaren Beträge werden alle zwei Jahre der Entwicklung des Grundfreibetrages gem. § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG angepasst.
Mit der Gutschrift auf dem Schuldnerkonto bei einem Geldinstitut erlischt der Anspruch auf Zahlung des Arbeitseinkommens. Damit endet der Pfändungsschutz auch gem. §§ 850 ff. ZPO, der für den Anspruch selbst bis zu seiner Erfüllung bestanden hat. Gegen das Geldinstitut ist mit der Kontogutschrift ein neuer, auf einem selbständigen Rechtsgrund beruhender Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens entstanden, der unabhängig vom Arbeitseinkommen gepfändet werden kann. § 850k Abs. 1 ZPO bestimmt allerdings, dass die Pfändung eines Guthabens auf einem Konto bei einem Geldinstitut, auf das wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850–850b ZPO bezeichneten Art überwiesen werden, auf Antrag des Vollstreckungsschuldners insoweit aufzuheben ist, als das Guthaben dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin entspricht. Damit erlangen die auf einem Bankkonto gutgeschriebenen wiederkehrenden Leistungen den gleichen Schutz, den sie gehabt hätten, wenn sie an der Quelle gepfändet worden wären. Der Pfändungsschutz nach § 850k ZPO gilt nur für natürliche Personen. Einmalige Leistungen, für die ein Pfändungsschutz nach den §§ 850 – 850b ZPO in Betracht gekommen wäre, werden durch § 850k ZPO nicht geschützt. Insoweit kann Vollstreckungsschutz nur im Rahmen des § 258 AO gewährt werden. Für Sozialleistungen gilt § 850k ZPO ebenfalls nicht, hier gilt § 55 SGB I. Werden Arbeitseinkommen und Sozialleistungen auf das Konto überweisen, greifen beide Bestimmungen nebeneinander jeweils für ihren Anwendungsbereich ein.
Die Pfändung unpfändbarer Forderungen und Rechte begründet sowohl die Pfandverstrickung als auch ein Pfandrecht. Die Pfändung unpfändbarer Forderungen und Rechte ist nicht nichtig, sondern nur anfechtbar und bleibt bis zu ihrer Aufhebung wirksam. Sowohl der Vollstreckungsschuldner als auch der Drittschuldner können sich allerdings im Einspruchsverfahren auf die Unpfändbarkeit berufen.
Tz. 344 Mehrfache Pfändung einer Forderung
Wurde eine Forderung durch mehrere Vollstreckungsbehörden oder durch eine Vollstreckungsbehörde und ein Gericht gepfändet, gelten die Regelungen in §§ 853–856 ZPO entsprechend. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Anspruch auf eine Geldleistung, ein Anspruch auf eine bewegliche Sache, ein Anspruch auf eine unbewegliche Sache oder ein Anspruch auf ein Schiff gepfändet wurde. Bei mehrfacher Pfändung eines Anspruchs auf ein Luftfahrzeug gilt § 99 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen entsprechend.
a) Pfändung einer Geldforderung
Wurde eine Geldforderung für mehrere Gläubiger gepfändet, ist der Drittschuldner nach § 853 ZPO berechtigt, unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zugestellten Beschlüsse an das Amtsgericht, dessen Beschluss ihm zuerst zugestellt ist, den Schuldbetrag zu hinterlegen. Auf Verlangen eines berechtigten Gläubigers ist der Drittschuldner zur Hinterlegung sogar verpflichtet. Hinterlegt wird zugunsten aller Pfandgläubiger, der Drittschuldner ist mit der Hinterlegung von seiner Schuld befreit. Sofern sich die Pfandgläubiger nicht auf eine Verteilung einigen, richtet sich das Aufteilungsverfahren nach §§ 873 ff. ZPO.
b) Mehrfache Pfändung eines Anspruchs auf bewegliche Sachen
Wurde ein Anspruch, der eine bewegliche körperliche Sache betrifft, für mehrere Gläubiger gepfändet, ist der Drittschuldner nach § 854 ZPO berechtigt, die Sache unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zugestellten Beschlüsse dem Vollziehungsbeamten oder dem Gerichtsvollzieher herauszugeben. Auf Verlangen eines berechtigten Gläubigers ist er zur Herausgabe verpflichtet. Herauszugeben ist dabei an den Vollziehungsbeamten, wenn dem Drittschuldner zuerst eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugestellt worden ist; wurde dem Drittschuldner zuerst ein gerichtlicher Beschluss über die Pfändung und zur Verpflichtung zur Herausgabe der Sache zugestellt, ist an den Gerichtsvollzieher herauszugeben.
c) Mehrfache Pfändung eines Anspruchs auf eine unbewegliche Sache
Betrifft der gepfändete Anspruch eine unbewegliche Sache, ist der Drittschuldner nach § 855 ZPO berechtigt, die Sache unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der ihm zugestellten Beschlüsse an den von dem Amtsgericht der belegenen Sache ernannten oder auf seinen Antrag zu ernennenden Sequester (Treuhänder) herauszugeben. Auf Verlangen eines berechtigten Gläubigers ist der Drittschuldner zur Herausgabe an den Sequester verpflichtet.
d) Mehrfache Pfändung eines Anspruchs auf ein Schiff
Betrifft der gepfändete Anspruch ein eingetragenes Schiff oder ein Schiffsbauwerk, das im Schiffsbauregister eingetragen ist oder in dieses Register eingetragen werden kann, ist der Drittschuldner nach § 855a ZPO berechtigt und auf Verlangen eines berechtigten Gläubigers verpflichtet, das Schiff unter Anzeige der Sachlage und unter Aushändigung der Beschlüsse dem bestellten Treuhänder herauszugeben.
e) Klage bei mehrfacher Pfändung
Die Vollstreckungsbehörde ist berechtigt, gegen den Drittschuldner Klage auf Erfüllung der ihm nach §§ 853–855 ZPO obliegenden Verpflichtungen zu erheben (vgl. § 856 ZPO). Jeder andere Gläubiger, für den der Anspruch gepfändet ist, kann sich der Klägerin (Vollstreckungsbehörde) in jeder Lage des Rechtsstreits als Streitgenosse anschließen. Umgekehrt kann sich auch die Vollstreckungsbehörde der Klage eines anderen Gläubigers als Streitgenossin anschließen. Die gerichtliche Entscheidung, die in dem Rechtsstreit über den in der Klage erhobenen Anspruch erlassen wird, ist für und gegen sämtliche Gläubiger wirksam.
Tz. 345 Vollstreckung in andere Vermögensrechte
Für die Vollstreckung in andere Vermögensrechte, die nicht Gegenstand der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, gelten die Regelungen der §§ 309–320 AO entsprechend. § 321 AO erfasst alle geldwerten Rechte (Rechte, deren Verwertung zu einem Erlös führt), die nicht nach den §§ 309 - 318 AO gepfändet werden können und nicht als grundstücksgleiche Rechte oder als Grundstücksbestandteile i. S. des § 96 BGB Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind. § 321 AO gilt damit z. B. für Anteilsrechte an einer Personengesellschaft, an einer GmbH, an einer Genossenschaft, am Nachlass, am Gesamtgut an Sachen und Rechten sowie Miteigentumsanteile an beweglichen Sachen und Rechten, Urheberrechte, Patentrechte oder Anwartschaftsrechte. Nicht pfändbar sind Rechte ohne eigenen Vermögenswert.
Die Vollstreckung erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen über die Pfändung von Geldforderungen nach § 309 ff. AO. Auch die Vorschriften über die Einziehung (§§ 314, 315 AO) gelten entsprechend. Als Drittschuldner gilt dabei jeder, der an dem zu pfändenden Vermögensrecht beteiligt ist (natürlich mit Ausnahme des Vollstreckungsschuldners). Daher können auch mehrere Drittschuldner – wie z. B. die einzelnen Miterben bei einer Erbengemeinschaft – vorliegen. Zu den anderen Vermögensrechten gehören auch sog. drittschuldnerlose Rechte (z. B. die Eigentümergrundschuld). Ist kein Drittschuldner vorhanden, ist die Pfändung durch Zustellung der Pfändungsverfügung an den Vollstreckungsschuldner zu bewirken. Für die Wirksamkeit der Pfändung ist das Gebot an den Vollstreckungsschuldner, sich jeder Verfügung über das Recht zu enthalten, unerlässlich. Für die Vollstreckung in eine Reallast, eine Grundschuld oder eine Rentenschuld gelten die Vorschriften über die Vollstreckung in eine Forderung, für die eine Hypothek besteht.
Ist die Veräußerung des Rechts zulässig, kann die Vollstreckungsbehörde seine Veräußerung anordnen. Ein unveräußerliches Recht ist dagegen, wenn nichts anderes bestimmt ist, nur insoweit pfändbar, als die Ausübung einem anderen überlassen werden kann. Dabei kann die Vollstreckungsbehörde aber besondere Anordnungen erlassen, z. B. bei der Vollstreckung in Nutzungsrechte eine Verwaltung anordnen; in diesem Fall wird die Pfändung durch Übergabe der zu benutzenden Sache an den Verwalter bewirkt, sofern sie nicht durch Zustellung der Pfändungsverfügung schon vorher bewirkt ist.
Für die Pfändung und Verwertung einer Schiffspart gilt § 858 ZPO sinngemäß. Bei der Pfändung von Gesamthandsanteilen (z. B. Anteile an einer Personengesellschaft oder an einer ungeteilten Erbengemeinschaft) ist § 859 ZPO sinngemäß anzuwenden. Bei einer Pfändung von Gesamtgutanteilen ist § 860 ZPO sinngemäß zu beachten. Bei Erbschaftsnutzungen gelten die Pfändungsbeschränkungen des § 863 ZPO sinngemäß.
Tz. 346 Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen
§§ 322 und 323 AO regeln unter prinzipieller Verweisung auf das Zivilrecht die steuerliche Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen.
a) Begriff „unbewegliches Vermögen”
§ 322 Abs. 1 AO definiert einen vom Zivilrecht abweichenden Begriff des unbeweglichen Vermögens. Der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen danach:
Grundstücke. Das sind abgegrenzte Teile der Erdoberfläche, die im Grundbuch als selbständige Grundstücke eingetragen sind.
Grundstückbruchteile. Ein Grundstücksbruchteil liegt vor, wenn ein Grundstück nicht mehreren zur gesamten Hand gehört, sondern einer Miteigentümergemeinschaft (§§ 1008 ff. BGB). Anteile an Gesamthandsgemeinschaften unterliegen der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen. Wie Grundstücksbruchteile behandelt werden dagegen das Wohnungs- und Teileigentumsrecht nach dem WEG.
Grundstücksbestandteile. Es handelt sich um Bestandteile eines Grundstücks, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (z. B. mit dem Grund und Boden fest verbundene Sachen, insbesondere Gebäude und Gebäudebestandteile, aber auch Grundstückserzeugnisse; bei „Früchten auf dem Halm” ist allerdings § 294 AO zu beachten).
Grundstückszubehör. Dies sind nach § 97 BGB bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache (Grundstück) zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis stehen. Eine Sache ist nicht Zubehör, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird. Z. B.: Einrichtung einer Gaststätte, Maschinen auf einem Fabrikgrundstück, Rohstoffvorräte (nicht aber Waren oder Fertigerzeugnisse einer Fabrik).
Grundstücksgleiche Rechte (z. B. Erbbaurechte, Bergwerkseigentum, Fischereigerechtigkeiten, Kohlenabbaugerechtigkeiten).
im Schiffsregister eingetragene Schiffe.
Schiffsbauwerke und Schwimmdocks, die im Schiffsbauregister eingetragen sind oder in dieses Register eingetragen werden können.
Luftfahrzeuge, die in der Luftfahrzeugrolle eingetragen sind oder nach Löschung in der Luftfahrzeugrolle noch in dem Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind.
b) Verfahren (§ 322 AO)
Die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen richtet sich grds. nach den Regelungen der ZPO, namentlich nach den §§ 864–871 ZPO, sowie nach dem ZVG. Anders als bei der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen obliegt die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahmen den Vollstreckungsorganen des gerichtlichen Verfahrens. Den Vollstreckungsbehörden obliegt es allein, die erforderlichen Anträge zu stellen und die Gläubigerrechte wahrzunehmen. Sie kann dazu insbesondere folgende Anträge stellen:
Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 867 ZPO),
Antrag auf Zwangsversteigerung (§ 15 ZVG) und
Antrag auf Zwangsverwaltung (§ 146 ZVG).
Die Vollstreckungsstelle hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Eintragung einer Sicherungshypothek, die Zwangsversteigerung, die Zwangsverwaltung oder mehrere dieser Vollstreckungsmaßnahmen nebeneinander beantragt werden sollen.
Die Eintragung einer Sicherungshypothek soll nach Abschn. 45 Abs. 3 VollStrA allerdings nur beantragt werden, wenn der rückständige Betrag 750 € übersteigt. Verschiedene Forderungen der Vollstreckungsbehörde sind bei der Berechnung der Wertgrenze zusammenzurechnen (§ 866 Abs. 3 ZPO).
Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung soll nur beantragt werden, wenn feststeht, dass der Geldbetrag durch Vollstreckung in das bewegliche Vermögen nicht beigetrieben werden kann (§ 322 Abs. 4 AO), oder wenn die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen die Belange des Vollstreckungsschuldners in nicht vertretbarer Weise beeinträchtigen würde (Abschn. 45 Abs. 4 VollStrA).
Bei der Antragstellung hat die Vollstreckungsbehörde ausdrücklich zu bestätigen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen. Diese Fragen unterliegen nach § 322 Abs. 3 Satz 3 AO allerdings nicht der Beurteilung des Vollstreckungsgerichts oder des Grundbuchamts.
Die genannten Vollstreckungsmaßnahmen der Vollstreckungsbehörde in das unbewegliche Vermögen des Vollstreckungsschuldners stellen anfechtbare und auch aussetzungsfähige Verwaltungsakte dar (, BStBl 1988 II S. 566). Sie sind dem Vollstreckungsschuldner auch bekannt zu geben. Wird auf Antrag der Vollstreckungsbehörde eine Sicherungshypothek im Grundbuch eingetragen, ist diese aber auch dann wirksam entstanden, wenn dem Vollstreckungsschuldner das Eintragungsersuchen nicht bekannt gegeben worden war. Der Mangel der Bekanntgabe des Eintragungsersuchens, der lediglich zu Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen der Vollstreckungsbehörde und dem Vollstreckungsschuldner führt, kann auch noch während des Klageverfahrens gegen den Eintragungsantrag behoben werden. Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz, die auf die Rechtswidrigkeit (Unzulässigkeit) der Vollstreckungsverfügungen gestützt werden, können nur im Verfahren nach § 361 AO oder § 69 Abs. 3 FGO (Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung), aber nicht mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden.
Wegen Einzelheiten s. Abschn. 46 ff. VollstrA.
Tz. 347 Vollstreckung gegen den Rechtsnachfolger
Mit der Eintragung einer Sicherungshypothek, einer Schiffshypothek oder eines Registerpfandrechts an einem Luftfahrzeug ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel, aufgrund dessen die Sicherungshypothek, die Schiffshypothek oder das Registerpfandrechts eingetragen worden ist, beendet, obwohl der Gläubiger noch nicht befriedigt ist. Denn eine solche Eintragung hat nur Sicherungscharakter.
Die Vollstreckungsbehörde müsste nun zur Realisierung ihrer Forderungen durch Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung den Vollstreckungsschuldner im Prinzip auf Duldung der Vollstreckung in Anspruch nehmen (vgl. § 1147 BGB). § 323 AO vereinfacht das Vollstreckungsverfahren allerdings dahingehend, dass ein Duldungstitel (Duldungsbescheid nach § 191 AO) nur dann erforderlich ist, wenn nach Eintragung der Sicherungshypothek oder des sonstigen Pfandrechts eine Einzelrechtsnachfolge eingetreten, das Grundstück, Schiff oder Luftfahrzeug also nach der Eintragung veräußert worden ist. In diesem Fall bleibt der Veräußerer weiterhin Steuerschuldner. Der Erwerber muss lediglich die Zwangsvollstreckung dulden und hat ein Recht auf Ablösung (§ 1150 i. V. mit § 268 BGB).
Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge ist ein Duldungsbescheid nicht erforderlich, wenn die Vollstreckung vor dem Tode des Vollstreckungsschuldners bereits begonnen hatte und in seinen Nachlass fortgesetzt wird. In diesem Fall bedarf es keines weiteren Leistungsgebots oder dessen erneuter Bekanntgabe gegen den Erben, Nachlasspfleger oder ähnliche Personen und folglich auch keines Duldungsbescheids.
Tz. 348 Dinglicher Arrest
Beim steuerlichen Arrestverfahren handelt es sich um ein dem eigentlichen Vollstreckungsverfahren vorgeschaltetes Sicherungsverfahren eigener Art. Der Arrest schafft lediglich eine Grundlage für Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Forderung, er dient also nicht der Befriedigung des Gläubigers, weshalb auch endgültige Maßnahmen (wie Verwertung oder Einziehung) ausgeschlossen sind.
Die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde kann zur Sicherung von Geldforderungen nach §§ 249–323 AO gegen den Steuerschuldner und den Haftungsschuldner sowie gegen den Duldungspflichtigen den dinglichen Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen (s. auch Abschn. 54 Abs. VollstrA):
Arrestanspruch. Es muss glaubhaft sein, dass der Finanzbehörde ein Anspruch auf eine Geldleistung gegen den Schuldner oder Duldungspflichtigen zusteht. Es ist nicht erforderlich, dass der Anspruch zahlenmäßig feststeht; es genügt, dass er begründet ist, auch wenn er bedingt oder betagt ist.
Arrestgrund. Es muss zu besorgen sein, dass ohne die Anordnung des Arrests die Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Die Tatsachen, die ihn auf den Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung belegen, können erweitert oder ersetzt werden. Liegt ein Leistungsgebot oder eine vollstreckbare Steueranmeldung vor, besteht kein Arrestgrund, vielmehr ist nach den allgemeinen Vorschriften zu vollstrecken.
Der dingliche Arrest wird durch schriftlichen Verwaltungsakt angeordnet (elektronische Form ist ausdrücklich ausgeschlossen). Die Arrestanordnung muss enthalten (s. auch Abschn. 54 Abs. 2 VollstrA):
Familienname, Vornamen, Anschrift des Arrestschuldners,
die Tatsachen, aus denen sich Bestehen und Höhe des Arrestanspruchs ergeben; umfasst eine Arrestanordnung mehrere Steueransprüche, sind die Beträge einzeln anzugeben,
die Tatsachen, aus denen sich der Arrestgrund ergibt,
den Ausspruch, dass zur Sicherung des Arrestanspruchs der dingliche Arrest in das Vermögen des Arrestschuldners angeordnet wird,
die Bezeichnung eines bestimmten Geldbetrags (Arrestsumme), bis zu dessen Höhe der Arrest vollzogen werden kann,
die Angabe des Geldbetrags, bei dessen Hinterlegung die Vollziehung des Arrests gehemmt und der vollzogene Arrest aufzuheben ist (Hinterlegungssumme),
eine Rechtsbehelfsbelehrung sowie
die Unterschrift eines zuständigen Bediensteten und den Abdruck des Dienststempels der Finanzbehörde.
§ 324 Abs. 1 Satz 1 AO soll nicht nur die Vollstreckungsmöglichkeiten als solche (den Vollstreckungserfolg), sondern gerade auch die Leichtigkeit der Vollstreckung, d. h. den schnellen und unmittelbaren Zugriff auf einzelne Vermögensgegenstände des Steuerpflichtigen, gewährleisten. Der dingliche Arrest gewährt der Vollstreckungsbehörde einen Vollstreckungstitel hinsichtlich der in der Anordnung bestimmten Steuerforderung. Ein „Austausch” des Arrestanspruches ist allerdings nicht möglich.
Die Arrestanordnung ist dem Arrestschuldner zuzustellen. Eine an Eheleute gemeinsam gerichtete Arrestanordnung ist rechtswidrig, wenn Schuldner der in ihr aufgelisteten Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerforderungen nur ein Ehegatte ist. Ein Arrest wegen Einkommensteuer zusammenveranlagter Ehegatten darf gegen jeden Ehegatten nur in Höhe des auf ihn bei Aufteilung der Gesamtschuld entfallenden Anteils angeordnet werden.
Als Rechtsbehelfe gegen die Arrestanordnung sind der Einspruch nach § 347 Abs. 1 AO und die Anfechtungsklage nach § 45 Abs. 4 FGO gegeben. Die Vollziehung des dinglichen Arrests wird nicht dadurch gehemmt, dass der Arrestschuldner gegen die Arrestanordnung Einspruch einlegt oder Anfechtungsklage erhebt.
Auf die Vollziehung des Arrests sind die §§ 930–932 ZPO sowie § 99 Abs. 2 und § 106 Abs. 1, 3 und 5 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen entsprechend anzuwenden; dabei tritt an die Stelle des Arrestgerichts und des Vollstreckungsgerichts die Vollstreckungsbehörde, an die Stelle des Gerichtsvollziehers tritt der Vollziehungsbeamte. Soweit auf die Vorschriften über die Pfändung verwiesen wird, sind die entsprechenden Vorschriften der AO anzuwenden. Die Vollziehung der Arrestanordnung ist auch schon vor der Zustellung an den Arrestschuldner zulässig. Die Vollziehung der Arrestanordnung ist in diesem Fall jedoch ohne Wirkung, wenn die Zustellung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und innerhalb eines Monats seit der Unterzeichnung erfolgt. Die Vollziehung jeder Arrestanordnung ist allerdings unzulässig, wenn seit dem Tag, an dem die Anordnung unterzeichnet worden ist, ein Monat verstrichen ist (§ 324 Abs. 3 AO).
Da es sich bei dem Arrest um eine reine Sicherungsmaßnahme handelt, dürfen im Arrestverfahren gepfändete bewegliche Sachen grds. nicht verwertet werden. Bei der „vorläufigen” Pfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten darf grds. keine Einziehung angeordnet werden. Die Vollstreckungsbehörde kann jedoch verlangen, dass die geschuldete Leistung bei Fälligkeit der Schuld hinterlegt wird. Soll der Arrest in ein Grundstück vollzogen werden, kann nur Eintragung einer Sicherungshypothek (Arresthypothek) beantragt werden; Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung sind nicht statthaft (§ 932 ZPO).
Der Arrestschuldner kann zur Leistung der eidesstattlichen Versicherung herangezogen werden, wenn ein Versuch erfolglos geblieben ist, den Arrest in das bewegliche Vermögen des Arrestschuldners zu vollziehen oder nach § 315 Abs. 2 Satz 2 AO eine Urkunde, zum Beispiel einen Hypotheken- oder Grundschuldbrief, zu erlangen.
Hat der Arrestschuldner oder ein Dritter den Betrag der Hinterlegungssumme in Geld hinterlegt, darf die Vollstreckungsbehörde keine Maßnahmen zur Vollziehung der Arrestanordnung zu treffen. Gleiches gilt, wenn mit Genehmigung der Vollstreckungsbehörde Sicherheit für den Betrag der Hinterlegungssumme in anderer Weise als durch Hinterlegung von Geld geleistet wird (§§ 241, 246, 247 AO).
Wird der Steueranspruch, zu dessen Sicherung der dingliche Arrest angeordnet worden ist, nicht erfüllt, hat die Vollstreckungsbehörde Sicherheiten, die der Arrestschuldner zur Abwendung der Arrestvollziehung bestellt oder die die Vollstreckungsbehörde durch Vollziehung des Arrests erlangt hat, zu verwerten sobald ein vollstreckbares Leistungsgebot vorliegt (vgl. § 327 AO).
Die Anordnung eines dinglichen Arrests zur Sicherung des Rückgewinnungsanspruchs des Steuerfiskus (§ 111b Abs. 2 und 5, §§ 111d, 111e Abs. 1 StPO i. V. mit § 73 Abs. 1, § 73a StGB) ist nach der ständigen Rechtsprechung der Zivilgerichte im Hinblick auf die Eigentumsrechte des Beschuldigten unverhältnismäßig, wenn der Steuerfiskus zur Sicherung seiner Forderung von der ihm zustehenden Möglichkeit, selbst einen dinglichen Arrest nach § 324 AO zu erlassen, ohne erkennbaren Grund keinen Gebrauch gemacht und dadurch ein fehlendes oder zumindest stark eingeschränktes Sicherungsbedürfnis gezeigt hat. Hierbei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren regelmäßig eine andere Finanzbehörde tätig wird als die für die spätere Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde und der damit verbundene Abstimmungsbedarf zu zeitlichen Verzögerungen und damit zum „Untergang” von Sicherheiten führen kann.
Tz. 349 Aufhebung des dinglichen Arrestes
Die Arrestanordnung ist aufzuheben, wenn nach ihrem Erlass Umstände bekannt werden, die die Arrestanordnung nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Aufhebung des dinglichen Arrests nach § 325 AO setzt keinen Antrag voraus. Die Finanzbehörde muss die Anordnung von Amts wegen aufheben, wenn die Voraussetzungen des § 325 AO erfüllt sind.
Bei der Entscheidung, ob eine Arrestanordnung – vollständig oder teilweise – gem. § 325 AO aufzuheben ist, muss die zuständige Finanzbehörde nur prüfen, ob und inwieweit die Arrestanordnung für die Zukunft aufrechtzuerhalten ist. Die Aufhebung nach § 325 AO wirkt nur für die Zukunft (ex nunc). Deshalb ist es für die Entscheidung unerheblich, ob die Arrestanordnung ursprünglich rechtmäßig war oder nicht; für die Aufhebung reicht es aus, dass sie nach den im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Umständen nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Wurde die Arrestanordnung allerdings form- und fristgerecht angefochten, ist im Einspruchsverfahren auch zu prüfen, ob die Anordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war. Stellt sich heraus, dass sie nicht rechtmäßig erlassen wurde, ist sie auf Antrag des Einspruchsführers – über § 325 AO hinaus – mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) aufzuheben.
Ist eine Arrestanordnung nicht innerhalb der in § 324 Abs. 3 Satz 1 AO bestimmten Monatsfrist vollzogen worden, ist sie nach Ablauf dieser Frist deshalb auch dann aufzuheben, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war. Eine rechtmäßig erlassene Arrestanordnung ist dagegen wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners nicht nach § 325 AO aufzuheben, wenn die Finanzbehörde die Arrestanordnung bereits vollzogen und dadurch ein Absonderungsrecht erlangt hat (, BStBl 2004 II S. 392).
Tz. 350 Persönlicher Sicherheitsarrest
Anders als der dingliche Arrest (§§ 324, 325 AO), der in Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des Vermögens besteht, regelt § 326 AO den persönlichen Sicherheitsarrest durch Freiheitsentziehung. Wegen Art. 104 Abs. 2 GG kann Freiheitsentziehung nur durch einen Richter angeordnet werden. Der persönliche Arrest ist nur einzusetzen, wenn andere Mittel zur Sicherung des Arrestanspruchs, insbesondere der dingliche Arrest, nicht gegeben sind.
Auf Antrag der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde kann das örtlich zuständige Amtsgericht nach § 326 Abs. 1 AO einen persönlichen Sicherheitsarrest anordnen, wenn er erforderlich ist, um die gefährdete Vollstreckung in das Vermögen des Pflichtigen zu sichern. In ihrem Antrag hat die zuständige Finanzbehörde den Arrestanspruch nach Art und Höhe sowie die Tatsachen anzugeben, die den Arrestgrund ergeben. Die Entscheidung über die Anordnung des persönlichen Arrests obliegt allein dem Gericht, es ist nicht an den Vortrag und die Rechtsauffassung der Finanzbehörde gebunden. Für Zustellungen gelten die Vorschriften der ZPO. Für die gerichtliche Anordnung, die Vollziehung und die Aufhebung des persönlichen Sicherheitsarrests gelten § 128 Abs. 4 und §§ 922–925, 927, 929, 933, 934 Abs. 1, 3 und 4 ZPO sinngemäß. § 911 ZPO ist nicht anzuwenden.
Tz. 351 Verwertung von Sicherheiten
Im regulären Vollstreckungsverfahren gepfändete Sachen werden nach § 296 ff. AO verwertet. § 327 AO betrifft dagegen die Verwertung von Sicherheiten, die die Finanzbehörde zwecks Sicherung von Geldforderungen
durch Erbringung bzw. Hingabe nach §§ 241 ff. AO oder
kraft Gesetzes durch Sachhaftung (§ 76 AO) oder
aufgrund eines dinglichen Arrests nach § 324 AO erlangt oder
im Zusammenhang mit einem Verwaltungsakt gefordert (vgl. § 109 Abs. 2, § 165 Abs. 1 Satz 3, § 221 Satz 2, § 222 Satz 2, §§ 223, 361 Abs. 2 Satz 5 AO, § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO) oder
durch Erzwingung von Sicherheiten nach § 336 AO erlangt hat.
Nicht zur Sicherung von Geldforderungen erlangt sind Gegenstände, die im Wege der sog. Steueraufsicht von der Zollverwaltung nach § 215 AO sichergestellt und nach § 216 AO in Bundeseigentum überführt werden. Gleiches gilt für Gegenstände, welche von der Steuer- oder Zollfahndung nach §§ 94 ff. StPO zum Zweck der Beweissicherung beschlagnahmt oder sichergestellt worden sind.
Nach § 327 AO kann sich die Finanzbehörde aus diesen Sicherheiten befriedigen, wenn ihre Geldforderungen im Verwaltungsverfahren vollstreckbar sind und bei Fälligkeit nicht erfüllt worden sind. Da § 327 AO ausdrücklich auf § 251 AO verweist, muss die Geldforderung, für die die Sicherheit besteht, fällig (vgl. § 220 AO) und nicht erfüllt worden sein; zudem darf sie nicht gestundet und es darf keine Aussetzung der Vollziehung gewährt worden sein. Ein Leistungsgebot nach § 254 Abs. 1 Satz 1 AO muss aber nicht ergangen sein.
Die Sicherheiten werden nach §§ 259 ff. AO verwertet. Die Verwertung darf allerdings erst erfolgen, wenn die Finanzbehörde dem Vollstreckungsschuldner die Verwertungsabsicht bekannt gegeben hat und seit der Bekanntgabe mindestens eine Woche verstrichen ist. Die Ankündigung der Verwertungsabsicht ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt muss hinreichend bestimmt sein (§ 119 AO); daher ist zu bezeichnen, welche Sicherheiten für welche Geldforderungen die Finanzbehörde zu verwerten beabsichtigt.
Hat die Finanzbehörde eine Sicherheit durch rechtsgeschäftliche Verpflichtung (z. B. durch eine Bürgschaft nach §§ 765 ff. BGB oder durch ein Garantieversprechen nach § 311 Abs. 1 i. V. mit § 241 Abs. 1 BGB) seitens des Steuerpflichtigen erlangt, kann der Dritte nur zivilrechtlich in Anspruch genommen werden. § 327 AO findet in diesen Fällen keine Anwendung.
III. Vollstreckung wegen anderer Leistungen als Geldforderungen
Während sich die Regelungen in §§ 259–327 AO mit der Verwaltungsvollstreckung wegen Geldforderungen (insbesondere Steuerforderungen) befassen, regeln §§ 328–336 AO die Verwaltungsvollstreckung wegen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen, also Leistungen, die nicht in Geld erbracht werden können. Da die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen Teil des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens nach der AO ist, gelten die allgemeinen Regelungen in §§ 249–258 AO, soweit nichts anderes bestimmt ist. Von Bedeutung sind dabei insbesondere folgende Regelungen:
§ 249 AO (z. B. für die Bemessung des Zwangsgelds gem. § 329 AO),
§ 250 AO (Vollstreckungsersuchen),
§ 251 Abs. 1 AO (Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts),
§ 256 AO (Ausschluss von Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt),
§ 257 Abs. 1 Nr. 1 (Wegfall der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen) und Nr. 2 AO (Einstellung der Vollstreckung bei Aufhebung des der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakts) sowie des Folgenbeseitigungsanspruchs nach § 257 Abs. 2 Satz 1 AO,
§ 258 AO (Vollstreckungsaufschub aus Billigkeitsgründen).
Tz. 352 Vollstreckung wegen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen
Der Anwendungsbereich der §§ 328 ff. AO ist sehr weit. Er umfasst alle Verwaltungsakte, die unter die AO fallen und die ein aktives Handeln, passives Dulden oder Unterlassen zum Gegenstand haben. Ergibt sich eine Rechtspflicht zum Handeln, Dulden oder Unterlassen unmittelbar aus dem Gesetz, kann ein Zwangsverfahren erst eingeleitet werden, wenn der Steuerpflichtige – ggf. gleichzeitig – durch Verwaltungsakt zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht aufgefordert worden ist.
Der mit Zwangsmitteln zu vollziehende Verwaltungsakt muss wirksam sein, er darf also nicht nichtig sein. Auf seine Bestandskraft und Rechtmäßigkeit kommt es hingegen nicht an. Ist der Pflichtige der Auffassung, der zu vollstreckende Verwaltungsakt sei fehlerhaft, muss er sich hiergegen mit dem dafür vorgesehenen Rechtsbehelf zur Wehr setzen. Im Vollstreckungsverfahren ist der Pflichtige mit seinen Einwendungen wegen § 256 AO ausgeschlossen. Wird der zu vollstreckende Verwaltungsakt nach § 361 AO, § 69 FGO von der Vollziehung ausgesetzt, ist die bereits eingeleitete Vollstreckung einzustellen.
Mit Zwangsmitteln können insbesondere folgende Aufforderungen durchgesetzt werden:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Aufforderung | Rechtsgrundlage | |
zur Abgabe von
Steuererklärungen | § 149 Abs. 1 Satz
1 AO i. V. mit | |
- | Einkommensteuer-Erklärung | |
- | Körperschaftsteuer-Erklärung | § 31 Abs. 1 KStG i. V. mit § 25 Abs. 3
EStG |
- | Gewerbesteuer-Erklärung | |
- | Umsatzsteuer-Jahreserklärung | |
- | Erbschaftsteuer-Erklärung | |
zur Abgabe von Steueranmeldungen | § 149 Abs. 1 Satz 1, § 150 Abs. 1 Satz 3 AO i. V.
mit | |
- | Lohnsteuer-Anmeldung | |
- | Umsatzsteuer-Voranmeldung | |
- | Kapitalertragsteuer-Anmeldung | |
zur Vorlage der Abschlussunterlagen zur
Steuererklärung | ||
zur
Auskunftserteilung | ||
zur
Vorlage von Urkunden | ||
zur
Abgabe einer Drittschuldnererklärung | ||
zur Führung von Büchern |
Im Besteuerungsverfahren sind Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen allerdings unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Der Steuerpflichtige ist ggf. über sein Recht, sich nicht zur Sache äußern zu müssen, zu belehren (§ 393 Abs. 1 AO). Ist ein Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren gegen den Steuerpflichtigen eingeleitet, dürfen gegen ihn, soweit der Verdacht reicht, keine Zwangsmittel angewendet werden. Das Gleiche gilt für Personen, denen nach der AO bzw. der StPO ein Auskunfts- bzw. Aussageverweigerungsrecht zusteht.
Nicht mit Zwangsmitteln nach §§ 328 ff. AO erzwingbar sind Geldleistungen, die Einhaltung von Sollvorschriften (z. B. Begründung eines Rechtsbehelfs, Stellung eines Antrags auf eine Steuervergünstigung) und die Abgabe einer Versicherung an Eides statt (§ 95 Abs. 6 AO). Die Erzwingbarkeit einer Eidesleistung (§ 94 AO) richtet sich nach § 82 FGO i. V. mit § 390 Abs. 2 ZPO. Nicht erzwingbar ist auch die Aufforderung zur Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern gem. § 160 AO; die Weigerung des Steuerpflichtigen, dem Benennungsverlangen nachzukommen, hat vielmehr den grundsätzlichen Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs zur Folge. Die während einer Außenprüfung vom Prüfer gegenüber dem Steuerpflichtigen erlassene schriftliche Aufforderung, bestimmte Fragen zu beantworten sowie genau bezeichnete Belege, Verträge und Konten vorzulegen, ist i. d. R. kein Verwaltungsakt, sondern eine nicht selbständig anfechtbare Vorbereitungshandlung, wenn sie ausschließlich der Ermittlung steuermindernder Umstände dient und auch nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden soll (vgl. , BStBl 1999 II S. 199).
Tz. 353 Zwangsmittel
Nach § 328 Abs. 1 Satz 1 AO kann ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld, Ersatzvornahme, unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden. Zwangsmaßnahmen nach § 328 AO sind keine Strafen, sondern in die Zukunft wirkende Beugemittel. Es ist nicht ihr Zweck, in der Vergangenheit begangenes Unrecht zu sühnen. Zwangsmittel haben keinen Strafcharakter; sie setzen kein Verschulden des Steuerpflichtigen voraus. Bereits festgesetzte Zwangsgelder dürfen nicht mehr beigetrieben werden, wenn die Verpflichtung nach Festsetzung des Zwangsmittels erfüllt wird (vgl. , BStBl 1981 II S. 110).
Bei der Auswahl des einzusetzenden Zwangsmittel ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (§ 328 Abs. 2 Satz 1 AO). Es ist dasjenige Zwangsmittel auszuwählen, durch das der Pflichtige und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden. Daher ist das Zwangsgeld das häufigste Zwangsmittel.
Das Zwangsmittel muss in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen (§ 328 Abs. 2 Satz 2 AO). Ein Zwangsverfahren soll daher nur durchgeführt werden, wenn auf die Erfüllung der steuerlichen Pflicht (z. B. Abgabe einer Steuererklärung) im Einzelfall wegen ihrer Bedeutung nicht verzichtet werden kann. Ist kein oder nur ein geringer steuerlicher Erfolg zu erwarten, ist ein Zwangsverfahren regelmäßig nicht unverhältnismäßig. Anstelle von Zwangsmaßnahmen (insbesondere in Gestalt von Zwangsgeld) werden die Finanzbehörden regelmäßig die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege ermitteln (§ 162 AO). Zwangsmaßnahmen sollten zur Beugung des Widerstands auch nur dann ergriffen werden, wenn die Finanzbehörde entschlossen ist, die Befolgung ihrer Anordnung auch mit Nachdruck zu betreiben. Es ist allerdings zulässig, Zwangsgeld auch dann noch anzudrohen und festzusetzen, wenn die Besteuerungsgrundlagen bereits geschätzt worden sind, weil die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung bestehen bleibt (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).
Die zu erzwingenden Anordnungen und Zwangsmittel können sich sowohl gegen den Steuerpflichtigen als auch gegen andere Personen (z. B. auskunftspflichtige Dritte, Duldungspflichtige oder Drittschuldner, vgl. § 316 Abs. 2 Satz 3 AO) richten, die zu einem bestimmten Verhalten im Besteuerungsverfahren – Tun, Dulden oder Unterlassen – verpflichtet sind. Die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld kann auch gegenüber dem gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person oder gegenüber dem Geschäftsführer einer nichtrechtsfähigen Personenvereinigung erfolgen, weil diese Personen die steuerlichen Pflichten der juristischen Person oder der nichtrechtsfähigen Personenvereinigung zu erfüllen haben (§ 34 Abs. 1 AO). Gleiches gilt für die Gesellschafter einer Personengesellschaft, wenn ein Geschäftsführer nicht vorhanden ist (§ 34 Abs. 2 AO). Angehörige der steuerberatenden Berufe können allerdings nicht zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten ihrer Mandanten angehalten werden. Ein Zwangsverfahren zur Durchsetzung der Abgabe einer Steuererklärung oder zur Auskunftserteilung ist daher nicht zulässig.
Zuständige Vollstreckungsbehörde ist stets diejenige Behörde, die den durchzusetzenden Verwaltungsakt erlassen hat. Damit ist die sachliche, örtliche und funktionale (instantielle) Zuständigkeit umschrieben.
Tz. 354 Zwangsgeld
Zwangsgelder sind so zu bemessen, dass der mit ihnen verfolgte Zweck erreicht werden kann (§ 328 Abs. 2 Satz 2 AO). Dabei sind die persönlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sowie das bisherige Verhalten des Pflichtigen zu berücksichtigen. Das einzelne Zwangsgeld darf nach § 329 AO 25.000 € nicht übersteigen.
Zur Durchsetzung einer bestimmten Anordnung darf ein Zwangsgeld auch mehrfach festgesetzt werden. Dabei kann in der Summe der Zwangsgelder der Höchstbetrag überschritten werden. Ein weiteres Zwangsgeld darf auch schon dann festgesetzt werden, wenn ein vorheriges Zwangsgeld noch nicht beigetrieben ist.
Der Anspruch auf das Zwangsgeld ist ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO). Das Zwangsgeld zählt zu den steuerlichen Nebenleistungen gem. § 1 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AO.
Tz. 355 Ersatzvornahme
Wird die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, nicht erfüllt, kann die Vollstreckungsbehörde einen Dritten mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen (§ 330 AO). Die Ersatzvornahme ist – anders als das Zwangsgeld nach § 328 AO – ein Zwangsmittel, das die geforderte Handlung unmittelbar bewirkt. Eine Ersatzvornahme ist allerdings nur zulässig, wenn das verlangte Verhalten nicht ausschließlich vom Pflichtigen höchstpersönlich erbracht werden kann. Ein vertretbares Handeln kann nur ein aktives Tätig werden (Handlung), nicht jedoch ein Dulden oder Unterlassen sein; letztere sind stets unvertretbar. Beispiele für vertretbare Handlungen: Aufstellung der Bilanz oder Fertigung von sonstigen steuerrelevanten Aufzeichnungen durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Die Ersatzvornahme muss von einer Person ausgeführt werden, die nicht der Vollstreckungsbehörde angehört; anderenfalls läge unmittelbarer Zwang vor (vgl. § 331 AO). Die Beauftragung des Dritten durch die Vollstreckungsbehörde erfolgt nach den Regeln des Zivilrechts.
Tz. 356 Unmittelbarer Zwang
Führen das Zwangsgeld oder die Ersatzvornahme nicht zum Ziel oder sind sie untunlich (unmöglich, ungeeignet, unzweckmäßig oder unverhältnismäßig), kann die Finanzbehörde den Pflichtigen zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingen oder die Handlung selbst vornehmen. Unmittelbarer Zwang ist sowohl bei vertretbaren als auch bei nicht vertretbaren Leistungen möglich und besteht im Einsatz körperlicher Gewalt oder von Hilfsmitteln körperlicher Gewalt gegen Personen oder Sachen. Beispiele: Zwangsvorführung des Steuerpflichtigen, zwangsweise Öffnung von Behältnissen oder Räumen.
Tz. 357 Androhung der Zwangsmittel
Zwangsmittel nach § 328 AO müssen grds. schriftlich angedroht werden. Besteht allerdings die Gefahr, dass durch eine schriftliche Androhung der Vollzug des durchzusetzenden Verwaltungsakts vereitelt würde, dürfen die Zwangsmittel mündlich oder auf andere nach der Lage gebotene Weise angedroht werden. Die Androhung des Zwangsmittels ist ein selbständiger (anfechtbarer) Verwaltungsakt und kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch den die zu erzwingende Anordnung auferlegt wird.
Androhungen sind dem Pflichtigen grds. mit einfachem Brief bekannt zu geben (§ 122 Abs. 2 AO). Hat der Pflichtige einen Bevollmächtigten zur Vertretung in steuerlichen Angelegenheiten und u. a. zur Entgegennahme rechtsverbindlicher Erklärungen bestellt, kann die Finanzbehörde die Zwangsgeldandrohung auch durch Übersendung an den Bevollmächtigten bekannt geben (, BStBl 2001 II S. 463). Sind Schwierigkeiten wegen des Nachweises des Zugangs zu erwarten, ist eine förmliche Zustellung der Androhung sinnvoll (§ 122 Abs. 5 AO). Zur Erfüllung der Verpflichtung ist eine angemessene Frist zu bestimmen. Hierbei ist grds. von einer Mindestfrist von 2 Wochen zuzüglich 3 Tage für die Bekanntgabe auszugehen. Etwas anderes gilt natürlich, wenn ein sofortiger Vollzug geboten ist (z. B. im Grenzaufsichtsdienst).
Die Androhung muss sich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen und für jede einzelne Verpflichtung getrennt ergehen. Die Finanzbehörde kann also nicht offen lassen, welches Zwangsmittel sie ggf. einsetzen möchte. Sie kann auch nicht gleichzeitig mehrere unterschiedliche Zwangsmittel für die einzelne Verpflichtung androhen. Zwangsmittel für verschiedene Verpflichtungen dürfen nicht in einer Urkunde zusammen gefasst werden.
Zwangsgeld nach § 328 AO ist in bestimmter Höhe anzudrohen. Soll die Handlung durch Ersatzvornahme ausgeführt werden, ist in der Androhung der Kostenbetrag vorläufig zu veranschlagen.
Eine erneute Androhung eines Zwangsmittels wegen derselben Verpflichtung ist erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist. Hierbei kann das Zwangsmittel gewechselt werden oder die Höhe des angedrohten Zwangsgelds gesteigert werden. Nicht erforderlich ist, dass das zuvor angedrohte Zwangsmittel bereits festgesetzt oder sogar vollzogen worden ist. Wenn vom Pflichtigen ein Dulden oder Unterlassen gefordert wird, kann das Zwangsmittel auch für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht werden.
Tz. 358 Festsetzung der Zwangsmittel
Führt der Betroffene die geforderte Handlung nach der Androhung, aber vor der Festsetzung des Zwangsmittels aus, ist damit das Androhungsverfahren beendet. Wird die Verpflichtung aber innerhalb der in der Androhung bestimmten Frist nicht erfüllt oder handelt der Pflichtige der Verpflichtung zuwider, setzt die Finanzbehörde das angedrohte Zwangsmittel fest. Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts über die Androhung des Zwangsmittels muss nicht abgewartet werden. Wird die Festsetzung ohne erkennbaren Grund hinausgezögert, kann das nach Treu und Glauben als Abstandnahme von der Androhung gesehen werden, weshalb das Zwangsverfahren mit einer erneuten Androhung neu einzuleiten ist.
Die Zwangsmittelfestsetzung ist ein selbständiger (anfechtbarer) Verwaltungsakt. Daher gelten die allgemeinen Regelungen über Form und Inhalt sowie Bekanntgabe eines Verwaltungsakts. Zwangsmittelfestsetzungen können dem Pflichtigen grds. mit einfachem Brief bekannt gegeben werden (§ 122 Abs. 2 AO). Hat der Pflichtige einen Bevollmächtigten zur Vertretung in steuerlichen Angelegenheiten und u. a. zur Entgegennahme rechtsverbindlicher Erklärungen bestellt, kann die Finanzbehörde die Zwangsgeldfestsetzung auch durch Übersendung an den Bevollmächtigten bekannt geben (, BStBl 2001 II S. 463). Sind Schwierigkeiten wegen des Nachweises des Zugangs zu erwarten, ist eine förmliche Zustellung sinnvoll (§ 122 Abs. 5 AO). Die Festsetzung eines geringeren als des angedrohten Zwangsgeldbetrags ist zulässig. Dies ist besonders bei neueren Erkenntnissen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen angezeigt.
Bei einem auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder auf Unterlassung gerichteten Verwaltungsakt (z. B. einem Auskunftsverlangen), der mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden soll, und bei der nachfolgenden Festsetzung des angedrohten Zwangsmittels wegen Nichterfüllung der angeordneten Verpflichtung handelt es sich um jeweils selbständige, gesondert anfechtbare Verwaltungsentscheidungen. Im Verfahren gegen die Festsetzung von Zwangsgeldern ist daher grds. nicht zu prüfen, ob die dieser Festsetzung zugrunde liegende Anordnungsverfügung (der Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung, auf Duldung oder auf Unterlassung gerichtet ist) rechtmäßig war. Im Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Festsetzungsverfügung kann aber auch dann noch über die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Anordnungsverfügung entschieden werden, wenn diese noch nicht unanfechtbar geworden ist und Einwendungen gegen ihre Rechtmäßigkeit erhoben werden (vgl. , BStBl 1990 II S. 357, m. w. N.).
Tz. 359 Ersatzzwangshaft
§ 334 AO regelt die Umwandlung eines gegen eine natürliche Person festgesetzten und uneinbringlichen Zwangsgelds in Ersatzzwangshaft. Der Pflichtige muss bereits bei Androhung des Zwangsgelds auf die Möglichkeit der Umwandlung in Ersatzzwangshaft hingewiesen worden sein. Führt der Betroffene die geforderte Handlung nach der Festsetzung des Zwangsgelds, aber vor Vollstreckung des Haftbefehls aus, ist damit das Androhungsverfahren beendet.
Zuständig für die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Pflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Pflichtige ist vom Amtsgericht vor der Beschlussfassung anzuhören. Ordnet das Amtsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen Ersatzzwangshaft an, fertigt es einen Haftbefehl aus, in dem die antragstellende Behörde, der Pflichtige und der Grund der Verhaftung zu bezeichnen sind. Das Amtsgericht ist nicht befugt, die Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts zu überprüfen, dies obliegt allein den Finanzgerichten. Das Amtsgericht darf nur prüfen, ob der Pflichtige seinen Pflichten noch nicht nachgekommen ist und ob das Zwangsgeld uneinbringlich ist. An die Uneinbringlichkeit ist ein strenger Maßstab zu legen. Der Beschluss des Amtsgerichts unterliegt der sofortigen Beschwerde nach den §§ 567–577 ZPO.
Die Ersatzzwangshaft beträgt mindestens einen Tag, höchstens zwei Wochen (§ 334 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Vollziehung der Ersatzzwangshaft richtet sich nach §§ 904–906, 909, 910 ZPO und §§ 171–175 Strafvollzugsgesetz. Die Verhaftung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher. Ist der Anspruch auf das Zwangsgeld allerdings verjährt, darf die Haft nicht mehr vollstreckt werden (§ 334 Abs. 4 AO).
Tz. 360 Beendigung des Zwangsverfahrens
Wird die Verpflichtung nach Festsetzung des Zwangsmittels erfüllt, ist der Vollzug des Zwangsmittels einzustellen. Damit wird verdeutlicht, dass Zwangsmittel keine Strafen oder Bußgelder sind, sondern Beugemittel. Ab Erfüllung der Verpflichtung darf ein festgesetztes Zwangsgeld folglich in keiner denkbaren Weise vereinnahmt werden (d. h. also auch nicht durch Verrechnung oder Aufrechnung). Bereits (freiwillig oder unter Zwang) gezahlte Zwangsgelder werden nicht erstattet. Bereits entstandene Kosten für eine Ersatzvornahme schuldet der Pflichtige allerdings weiterhin.
Tz. 361 Erzwingung von Sicherheiten
Unter bestimmten Voraussetzungen besteht im Besteuerungsverfahren eine Pflicht zur Sicherheitsleistung (z. B. bei einer abweichenden Fälligkeitsbestimmung nach § 221 AO, dagegen nicht bei einer Stundung oder einer Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung). Wird eine solche Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nicht erfüllt, kann die Finanzbehörde nach § 336 AO geeignete Sicherheiten pfänden. Der Erzwingung muss allerdings eine schriftliche Androhung vorausgehen. Die Regelungen der §§ 262–323 AO (z. B. auch die Regelungen über die Vollstreckung in unbewegliches Vermögen) sind entsprechend anzuwenden. Androhung der Erzwingung wie die Erzwingung selbst sind anfechtbare Verwaltungsakte. Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Androhung kann allerdings nicht durch Aussetzung der Vollziehung, sondern nur durch einstweilige Anordnung nach § 114 FGO gewährt werden.
IV. Kosten im Vollstreckungsverfahren
Tz. 362 Kosten der Vollstreckung, Gebührenarten
Im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach der AO werden Kosten erhoben (§ 337 Abs. 1 AO). Kosten der Zwangsvollstreckung sind alle Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Einleitung und Durchführung der Zwangsvollstreckung entstehen. Die nach §§ 337 ff. AO zu erhebenden Kosten sind steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO), ihr Aufkommen steht den verwaltenden Körperschaften zu (§ 3 Abs. 5 AO). Schuldner dieser Kosten ist der Vollstreckungsschuldner.
Es ist zwischen Gebühren und Auslagen zu unterscheiden. Nach § 338 AO kommen als Gebühren in Betracht die Pfändungsgebühr (§ 339 Abs. 1 AO), die Wegnahmegebühr (§ 340 AO) sowie die Verwertungsgebühr (§ 341 AO). Die Erhebung der Auslagen richtet sich nach § 344 AO. Reisekosten des Vollziehungsbeamten und Auslagen, die durch Aufwandsentschädigungen abgegolten werden, sind vom Vollstreckungsschuldner nicht zu erstatten (§ 345 AO).
Für das Mahnverfahren werden nach § 337 Abs. 2 AO keine Kosten erhoben. Der Vollstreckungsschuldner hat allerdings die Kosten zu tragen, die durch einen Postnachnahmeauftrag (§ 259 Satz 2 AO) entstanden sind. Kosten, die durch unrichtige Sachbehandlung entstanden sind, sind nicht zu erheben (§ 346 Abs. 1 AO).
Tz. 363 Pfändungsgebühr
Für die Pfändung von beweglichen Sachen, von Tieren, von Früchten, die vom Boden noch nicht getrennt sind, von Forderungen und von anderen Vermögensrechten wird eine Pfändungsgebühr erhoben. Die Pfändungsgebühr entsteht, sobald der Vollziehungsbeamte Schritte zur Ausführung des Vollstreckungsauftrags unternommen hat oder mit der Zustellung der Verfügung, durch die eine Forderung oder ein anderes Vermögensrecht gepfändet werden soll. Sie beträgt in beiden Fällen unabhängig von der Höhe der zu vollstreckenden Forderung und vom Verwaltungsaufwand pauschal 20 €.
a) Entstehung der Gebühr bei Maßnahmen des Vollziehungsbeamten (§ 339 Abs. 2 Nr. 1 AO)
Zur Gebührenentstehung genügt es, dass der Vollziehungsbeamte nach außen wirkende Handlungen unternommen hat, die der unmittelbaren Ausführung des Vollstreckungsauftrags dienen, z. B. telefonische Ermittlungen beim Einwohnermeldeamt oder die Beauftragung von Hilfspersonen zur Unterstützung bei der Ausführung der Vollstreckungshandlungen. Innerdienstliche Maßnahmen (Rückfragen bei anderen Stellen des Finanzamts, Ordnen der Vollstreckungsaufträge usw.) lösen noch keine Gebührenpflicht aus.
Die Entstehung der Pfändungsgebühr ist unabhängig von der Art und Weise der späteren Erledigung des Vollstreckungsauftrags. Dabei entsteht für die Durchführung eines Vollstreckungsauftrags nur eine Gebühr. Verschiedene Vollstreckungshandlungen, die der Ausführung eines Vollstreckungsauftrags dienen, bilden gebührenrechtlich eine Einheit. Ergreift der Vollziehungsbeamte aufgrund desselben Auftrags verschiedene Maßnahmen zu dessen Ausführung, setzt er damit lediglich die Ausführung des Auftrags fort.
Werden wegen derselben Rückstände mehrere Vollstreckungsaufträge nacheinander erteilt, entsteht eine erneute Pfändungsgebühr nur dann, wenn der vorhergehende Vollstreckungsauftrag ordnungsgemäß erledigt wurde, da erst dann die Vollstreckungshandlung ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Eine ordnungsgemäße Erledigung eines Vollstreckungsauftrags ist nur dann anzunehmen, wenn
die Pfändung durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten abgewendet wurde (§ 292 AO); dies gilt auch dann, wenn ein dem Vollziehungsbeamten übergebener Scheck von dem bezogenen Kreditinstitut nicht eingelöst wurde (Rückscheck);
bei Nichtleistung gepfändet oder die Pfändung versucht wurde (bei Teilzahlung wegen des verbleibenden Rückstands). Dies gilt auch, wenn der Pfändungsversuch erfolglos verlief (fruchtlose Pfändung) oder unterbleiben musste, weil die Voraussetzungen für eine Durchsuchung nicht vorlagen;
der Vollstreckungsschuldner die Pfändung abgewendet hat;
von der Pfändung gem. § 281 Abs.3 AO abgesehen wurde oder
wenn der Vollstreckungsschuldner nicht angetroffen wurde und der Vollziehungsbeamte eine Zahlungsaufforderung hinterlassen hat.
b) Entstehung der Gebühr bei Maßnahmen des Innendienstes (§ 339 Abs. 2 Nr. 2 AO)
Die Gebühr entsteht mit der Zustellung der Verfügung, durch die eine Forderung oder ein anderes Vermögensrecht gepfändet werden soll. Die Gebühr fällt für jede zugestellte Pfändungsverfügung an.
c) Erhebung der Pfändungsgebühr
Die Gebühr wird auch erhoben, wenn
die Pfändung durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten abgewendet wird (§ 339 Abs. 4 Nr. 1, § 292 AO);
auf andere Weise Zahlung geleistet wird, nachdem der Vollziehungsbeamte sich an Ort und Stelle begeben hat (§ 339 Abs. 4 Nr. 2 AO), z. B. durch Überweisung nach dem Hinterlassen einer Zahlungsaufforderung;
ein Pfändungsversuch erfolglos geblieben ist, weil pfändbare Gegenstände nicht vorgefunden wurden (§ 339 Abs. 4 Nr. 3 AO), oder
die Pfändung in Fällen des § 281 Abs. 3 AO sowie der §§ 812 und 851b Abs. 1 ZPO unterbleibt.
Die entstandene Gebühr wird nicht erhoben, wenn die Pfändung auf andere Weise abgewendet wird (§ 339 Abs. 4 Satz 2 AO). In Betracht kommt hier zum Beispiel die Abwendung nach § 292 Abs. 2 AO oder die Überweisung des Betrags, bevor sich der Vollziehungsbeamte an Ort und Stelle begeben hat.
Tz. 364 Wegnahmegebühr
Die Wegnahmegebühr wird erhoben, wenn der Vollziehungsbeamte aufgrund eines Wegnahmeauftrags die Herausgabe beweglicher Sachen einschließlich Urkunden bewirkt. Die Gebühr beträgt 20 € je Auftrag. Die Anzahl oder der Wert der wegzunehmenden Sachen oder Urkunden hat keinen Einfluss auf die Höhe der Gebühr.
Eine Wegnahmegebühr kommt im Einzelnen in Betracht für die Wegnahme
eines zur Pfändung einer Hypothekenforderung erforderlichen Hypothekenbriefs nach § 310 Abs. 1 Satz 2 AO;
von Urkunden, die der Vollstreckungsschuldner nach § 315 AO herauszugeben hat;
von Urkunden, die einen gepfändeten Herausgabeanspruch betreffen (§ 318 Abs. 1 i. V. mit § 315 Abs. 2 Satz 1 AO);
von Urkunden oder Sachen nach § 331 AO;
von Urkunden oder Sachen im Rahmen der Erzwingung von Sicherheiten nach § 336 AO.
Die Gebühr entsteht nach § 340 Abs. 2 AO, sobald der Vollziehungsbeamte Schritte zur Ausführung des Wegnahmeauftrags unternommen hat. Nach einer Unterbrechung der Amtshandlung entsteht die Gebühr nicht erneut. Das ist nur dann der Fall, wenn der erste Auftrag ordnungsgemäß erledigt wurde. Eine Wegnahmegebühr entsteht auch, wenn Beweisurkunden im Wege der Hilfspfändung vorläufig in Besitz genommen werden, die Hilfspfändung durch die nachträgliche Pfändung der Forderung gerechtfertigt wird und ein Wegnahmeauftrag hätte erteilt werden müssen.
Die Gebühr wird auch dann erhoben, wenn dem Vollziehungsbeamten an Ort und Stelle die wegzunehmenden Sachen oder Urkunden freiwillig übergeben werden. Sie wird auch erhoben, wenn er die Sachen oder Urkunden nicht oder nur zum Teil vorfindet (§ 340 Abs. 3 AO).
Tz. 365 Verwertungsgebühr
Die Verwertungsgebühr wird nach § 341 Abs. 1 AO für die Versteigerung (§ 296 AO) und für die besondere Verwertung (§ 305 AO) von Gegenständen erhoben. Die Gebühr beträgt – unabhängig vom Erlös und der Zahl der zu verwertenden Sachen – 40 €. Wird die Verwertung abgewendet, ist allerdings nur eine ermäßigte Gebühr von 20 € zu erheben (§ 341 Abs. 4, § 296 Abs. 1 zweiter Halbsatz, § 292 AO).
Die Gebühr entsteht nach § 341 Abs. 2 AO, sobald der Vollziehungsbeamte oder ein anderer Beauftragter (z. B. Auktionator) Schritte zur Ausführung des Verwertungsauftrags unternommen hat. Hierzu zählen die nach außen wirkenden Handlungen zur Vorbereitung der Versteigerung, wie zum Beispiel die Inbesitznahme der im Gewahrsam der Finanzbehörde, des Vollstreckungsschuldners oder eines Dritten befindlichen Sachen, Aufgabe von Anzeigen, Bekanntmachung des Versteigerungstermins. Eine neue Gebühr kann erst nach ordnungsgemäßer Erledigung des ersten Verwertungsauftrags entstehen, also mit der Niederschrift über die Versteigerung oder den freihändigen Verkauf und der Rechenschaftsablegung. Konnten beispielsweise im ersten Versteigerungstermin einzelne Gegenstände nicht verwertet werden, ist die Verwertung lediglich unterbrochen. Bei einer erneuten Versteigerung derselben Gegenstände entsteht keine neue Gebührenschuld, auch wenn der erste Auftrag erneuert wurde.
Tz. 366 Mehrheit von Schuldnern
§ 342 Abs. 1 AO stellt klar, dass auch dann von jedem Vollstreckungsschuldner Gebühren in voller Höhe zu erheben sind, wenn der Vollziehungsbeamte bei derselben Gelegenheit Vollstreckungshandlungen gegen mehrere Vollstreckungsschuldner vornimmt (z. B. wenn er im Rahmen einer Versteigerung Sachen mehrerer Vollstreckungsschuldner verwertet). Das zeitliche und örtliche Zusammentreffen von Vollstreckungshandlungen gegen verschiedene Vollstreckungsschuldner führt nicht zu einer Gebührenteilung.
Eine Ausnahme gilt nach § 342 Abs. 2 AO bei der Vollstreckung gegen Gesamtschuldner. Bei der Vollstreckung gegen Gesamtschuldner wegen der Gesamtschuld werden Gebühren nur einmal erhoben, wenn bei derselben Gelegenheit vollstreckt wird. Das ist der Fall, wenn die Amtshandlungen wegen ihres zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs als eine äußere Einheit im Sinne einer natürlichen Betrachtung aufzufassen sind. Es handelt sich auch dann noch um eine Vollstreckung bei derselben Gelegenheit, wenn der Vollziehungsbeamte zunächst mit Wirkung gegen den Ehemann und nach einigen Tagen mit Wirkung gegen die Ehefrau oder gegen beide Eheleute Sachen pfändet, wenn der Vollstreckungsauftrag gegen beide Eheleute als Gesamtschuldner lautet und erst mit der letzten Pfändung erledigt wird. Die entstandenen Gebühren können von jedem Gesamtschuldner verlangt werden, gegen den vollstreckt wird. Die Gesamtschuldner sind auch hinsichtlich der Kosten Gesamtschuldner.
Tz. 367 Auslagen
Auslagen sind Aufwendungen und Kosten der Vollstreckungsbehörde und des Vollziehungsbeamten, die im Zusammenhang mit der Vollstreckung anfallen, soweit sie nicht mit Gebühren abgegolten sind. Die Auslagen sind in § 344 Abs. 1 Nr. 1 – 8 und Abs. 2 AO abschließend aufgezählt und fallen – sofern sie im Vollstreckungsverfahren entstanden sind – nach § 337 AO dem Vollstreckungsschuldner zur Last. Als Auslagen werden erhoben:
Schreibauslagen für nicht von Amts wegen zu erteilende oder per Telefax übermittelte Abschriften,
Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (ausgenommen die Entgelte für Telefondienstleistungen im Orts- und Nahbereich),
Entgelte für Zustellungen,
Kosten, die durch öffentliche Bekanntmachung entstehen,
an die zum Öffnen von Türen und Behältnissen sowie an die zur Durchsuchung von Vollstreckungsschuldnern zugezogenen Personen zu zahlende Beträge,
Kosten für die Beförderung, Verwahrung und Beaufsichtigung gepfändeter Sachen,
Kosten für die Aberntung gepfändeter Früchte,
Kosten für die Verwahrung, Fütterung, Pflege und Beförderung gepfändeter Tiere,
Beträge, die in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz an Auskunftspersonen und Sachverständige (§ 107 AO), sowie Beträge, die an Treuhänder (§ 318 Abs. 5 AO) zu zahlen sind,
Kosten, die von einem Kreditinstitut erhoben werden, weil ein Scheck des Vollstreckungsschuldners nicht eingelöst wurde,
Kosten für die Umschreibung eines auf einen Namen lautenden Wertpapiers oder für die Wiederinkurssetzung eines Inhaberpapiers,
- andere Beträge, die aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen an Dritte zu zahlen sind, insbesondere Beträge, die bei der Ersatzvornahme oder beim unmittelbaren Zwang an Beauftragte und an Hilfspersonen gezahlt werden und sonstige durch Ausführung des unmittelbaren Zwangs oder Anwendung der Ersatzzwangshaft entstandene Kosten. Hierunter fallen beispielsweise Auslagen für die Verwertung von Pfandsachen im Rahmen der Zollauktion, für Arbeitshilfen bei umfangreichen Vollstreckungshandlungen, bei Rechtsstreitigkeiten gegen Dritte, soweit die Kosten notwendig waren und nicht vom Finanzamt als Prozesskostenrisiko zu tragen sind, für Prämien und Ablösungsrechte i. S. des § 268 BGB, für die Hinterlegung bei mehrfacher Pfändung nach § 320 AO, für das Verteilungsverfahren nach § 308 AO, für das Aufgebotsverfahren wegen abhanden gekommener Urkunden (z. B. Lebensversicherungsschein, Sparbuch).
Steuern, die die Finanzbehörde aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen schuldet.
Auslagen, die bei der Vollstreckung gegen verschiedene Vollstreckungsschuldner angefallen sind (z. B. Insertionskosten, Kosten für die Abholung), sind nach § 344 Abs. 3 AO auf die beteiligten Vollstreckungsschuldner zu verteilen. Es besteht keine Gesamtschuldnerschaft i. S. des § 44 AO. Die Aufteilung kann allerdings erst erfolgen, wenn das einheitliche Verfahren gegenüber allen Schuldnern abgeschlossen ist. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen (z. B. bei der Abholung Umfang und Gewicht der Gegenstände sowie die Wegstrecke).
Tz. 368 Reisekosten und Aufwandsentschädigungen
Reisekosten des Vollziehungsbeamten und Auslagen, die durch Aufwandsentschädigungen abgegolten werden, sind vom Vollstreckungsschuldner nicht zu erstatten. Damit spielt es für den Vollstreckungsschuldner keine Rolle, wie weit der Weg des Vollziehungsbeamten zum Ort der Vollziehungsmaßnahmen war.
Tz. 369 Unrichtige Sachbehandlung, Festsetzungsfrist
Die Kosten sind i. d. R. mit dem Hauptanspruch beizutreiben. Eines Leistungsgebots bedarf es nur, wenn die Kosten nicht zusammen mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden (§ 254 Abs. 2 AO).
Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, sind allerdings nicht zu erheben. Eine unrichtige Sachbehandlung ist gegeben, wenn eine Vollstreckungsmaßnahme rechtlich unzulässig oder offensichtlich unnötig war.
Die Festsetzungsfrist für den Ansatz (Festsetzung) der Kosten und für die Aufhebung und Änderung des Kostenansatzes beträgt ein Jahr. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Kosten entstanden sind (Anlaufhemmung nach § 346 Abs. 2 Satz 2 AO). Einem Antrag auf Aufhebung oder Änderung kann auch nach Ablauf der Frist entsprochen werden, wenn er vor Ablauf der Frist gestellt worden ist (Ablaufhemmung nach § 346 Abs. 2 Satz 3 AO).
7. Teil: Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren
Tz. 370 Allgemeines
Das im Siebenten Teil der AO geregelte Einspruchsverfahren dient dem individuellen Rechtsschutz der Steuerpflichtigen, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte. Nur ca. 3 % der von den Finanzämtern erledigten Einsprüche führen zu einer Klage. Das Einspruchsverfahren hat somit eine außerordentlich hohe Filterwirkung.
Abweichend vom Verfahren in allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten und in sozialrechtlichen Angelegenheiten wird der außergerichtliche Rechtsbehelf als „Einspruch” und nicht als „Widerspruch” bezeichnet. Über den Rechtsbehelf entscheidet auch nicht die nächsthöhere Behörde, sondern die Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.
Soweit der Einspruch gegeben ist (s. hierzu §§ 347 und 348 AO), darf eine Klage grds. erst erhoben werden, wenn das Einspruchsverfahren für den Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO; zu den Ausnahmen s. §§ 45 und 46 FGO).
Das Einspruchsverfahren ist sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Finanzverwaltung grds. kostenfrei. Der Einspruchsführer muss daher seine eigenen Aufwendungen (z. B. die Kosten für die Vertretung durch einen Steuerberater) auch dann selbst tragen, wenn sein Einspruch erfolgreich war (, BStBl 1996 II S. 501; Ausnahme: Einspruchsverfahren in Kindergeldangelegenheiten, § 77 EStG). Andererseits hat die Finanzbehörde nach einem für den Steuerpflichtigen erfolglosen Einspruch keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen. War eine Klage erfolgreich, sind dem Kläger auch die im Einspruchsverfahren angefallenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 139 Abs. 1 FGO).
Ein zulässiger Einspruch hemmt den Eintritt der formellen und der materiellen Bestandskraft (s. hierzu Tz. 199), ermöglicht eine erneute umfassende Überprüfung des Falls und kann ggf. zu einer Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen führen (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Ein Einspruch hat insoweit andere Wirkungen als ein außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gestellter Antrag, einen Verwaltungsakt zu berichtigen (§ 129 AO), zurückzunehmen (§ 130 AO), zu widerrufen (§ 131 AO) oder nach den §§ 172 ff. AO bzw. nach Korrekturvorschriften anderer Steuergesetze aufzuheben oder zu ändern. Ferner ermöglicht ein Einspruch die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO).
Ob der Steuerpflichtige Einspruch eingelegt oder einen Antrag auf Korrektur eines Verwaltungsakts gestellt hat, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln (s. hierzu auch Tz. 380). Die Finanzämter sind gehalten, in Zweifelsfällen einen Einspruch anzunehmen (Nr. 1 AEAO vor § 347).
Nicht in der AO (und auch nicht in der FGO) geregelt sind die nichtförmlichen Rechtsbehelfe (Gegenvorstellung, Sachaufsichtsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde).
I. Zulässigkeit
Tz. 371 Statthaftigkeit des Einspruchs
a) Einspruch nur gegen Verwaltungsakte oder gegen Unterlassen eines Verwaltungsakts
Nicht gegen jede Maßnahme der Finanzbehörde ist der Einspruch gegeben. Das Einspruchsverfahren ist nur eröffnet, wenn der Steuerpflichtige sich gegen einen Verwaltungsakt wendet oder wenn er von der Finanzbehörde den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Steuerpflichtige aber nicht rechtsschutzlos. Er kann dann unmittelbar Klage (Leistungsklage bzw. Feststellungsklage) zum Finanzgericht erheben.
Zum Begriff des Verwaltungsakts s. § 118 AO. Für die Frage, ob der Einspruch gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem angefochtenen oder begehrten Verwaltungsakt um einen gebundenen Verwaltungsakt oder um einen Ermessensverwaltungsakt handelt. Entscheidend ist auch nicht, ob ein Steuerbescheid (bzw. ein dem Steuerbescheid gleichgestellter Verwaltungsakt; s. hierzu Tz. 182) oder ein sonstiger Steuerverwaltungsakt (z. B. Haftungsbescheid, Entscheidung über die Stundung oder den Erlass einer Steuer) angefochten werden soll. Das Einspruchsverfahren ist auch eröffnet, soweit eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt gleichsteht (Tz. 195).
Zur Statthaftigkeit eines Einspruchs in Fällen der Korrektur eines Verwaltungsakts, einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt sowie einer vorläufigen Steuerfestsetzung s. Nr. 2 und 3 AEAO zu § 347.
Verwaltungsakt ist auch die Ablehnung eines Verwaltungsakts, wie z. B. die Ablehnung eines Antrags auf Veranlagung zur Einkommensteuer gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, die Ablehnung der Festsetzung eines Kindergelds nach §§ 62 ff. EStG und die Ablehnung einer Steuervergütung nach den §§ 59–61 UStDV. Das Einspruchsverfahren ist auch eröffnet, wenn der Steuerpflichtige sich gegen einen nichtigen Verwaltungsakt (§ 125 AO) oder gegen einen Scheinverwaltungsakt wendet.
Die Ablehnung eines Realakts (z. B. die Ablehnung, Akteneinsicht zu gewähren oder eine mündliche Erörterung nach § 364a AO durchzuführen) ist ein Verwaltungsakt. Sie kann daher mit dem Einspruch angefochten werden, nicht aber der Realakt selbst (wie z. B. die Zuteilung der Identifikationsnummer nach § 139b AO).
b) Einspruch in Abgabenangelegenheiten
Nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist der Einspruch statthaft, wenn der Verwaltungsakt, der angefochten werden soll, eine Abgabenangelegenheit betrifft. Diese definiert § 347 Abs. 2 AO in einem weiten Sinn; auf die Abgabenangelegenheit muss aber die AO anwendbar sein (s. § 1 AO). Ferner muss die Abgabenangelegenheit durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden.
c) Einspruch gegen Vollstreckungsverwaltungsakte
Nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist der Einspruch auch gegeben, soweit Finanzbehörden aufgrund gesetzlicher Zuweisung oder im Wege der Amtshilfe (§ 250 AO) außersteuerliche Verwaltungsakte vollstrecken, z. B. wenn Hauptzollämter rückständige Sozialversicherungsbeiträge beitreiben (§ 4 VwVG i. V. mit § 66 SGB X). Mit dem Einspruch können aber nur Einwendungen gegen die Vollstreckungsmaßnahme, nicht jedoch gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt erhoben werden (§ 256 AO). Soweit Finanzbehörden ihre eigenen Verwaltungsakte vollstrecken (§§ 249 ff. AO), ist der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegeben.
d) Einspruch in Steuerberatungsangelegenheiten
§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO eröffnet das Einspruchsverfahren in bestimmten Angelegenheiten des Steuerberatungsgesetzes. § 348 Nr. 4 AO schließt aber in vielen Fällen den Einspruch wieder aus.
e) Einspruch in anderen durch die Finanzbehörden verwalteten Angelegenheiten
Nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AO ist der Einspruch auch in Angelegenheiten gegeben, die zwar keine Abgabenangelegenheiten sind, aber durch Finanzbehörden verwaltet werden. Voraussetzung ist, dass die Vorschriften über das Einspruchsverfahren durch Gesetz für anwendbar erklärt worden sind oder erklärt werden.
Soweit in Gesetzen die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO für anwendbar erklärt werden (z. B. EigZulG, InvZulG 2007, 5. VermBG und WoPG), ist das Einspruchsverfahren bereits nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eröffnet.
Auch für landesrechtlich geregelte Steuern und sonstige Abgaben (z. B. Kommunalabgaben), die vom Anwendungsbereich der AO nicht erfasst werden (§ 1 AO), kann der Landesgesetzgeber das Einspruchsverfahren eröffnen. Den Rechtsweg in Kirchensteuerangelegenheiten haben die Länder unterschiedlich bestimmt (Einspruchsverfahren nach der AO oder Widerspruchsverfahren nach der VwGO).
f) Untätigkeitseinspruch
Nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ist der Einspruch ferner gegeben, wenn geltend gemacht wird, dass über einen vom Steuerpflichtigen gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grunds binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Der beantragte Verwaltungsakt muss eine der in § 347 Abs. 1 Satz 1 AO angeführten Angelegenheiten betreffen. Welche Frist angemessen ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Bei beantragten Verwaltungsakten, die vorläufigen Rechtsschutz gewähren sollen (Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO oder § 69 Abs. 2 FGO) oder eine nur vorläufige Regelung treffen (z. B. Herabsetzung festgesetzter Vorauszahlungen, Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte), wird die angemessene Frist im Allgemeinen kürzer sein als bei Verwaltungsakten, die (wie z. B. ein vorbehaltloser Steuerbescheid) eine abschließende Regelung beinhalten. Sind umfangreiche Ermittlungen erforderlich, kann die Sechsmonatsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO ein Anhalt sein. Ein zureichender Grund für eine Nichtentscheidung über den Einspruch liegt vor, wenn das Verfahren ausgesetzt worden ist (§ 363 Abs. 1 AO) oder ruht (§ 363 Abs. 2 AO).
g) Ausschluss des Einspruchs
In Straf- und Bußgeldangelegenheiten ist das Einspruchsverfahren nach der AO ausgeschlossen (§ 347 Abs. 3 AO). Insoweit gelten die Rechtsbehelfsvorschriften der StPO, des OWiG und des EGGVG. Somit können beispielsweise die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, ein Bußgeldbescheid, die Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung nach § 396 AO, Entscheidungen im Zusammenhang oder anlässlich der Einstellung eines Steuerstrafverfahrens und die Fristsetzung nach Selbstanzeige (§ 371 Abs. 3 AO) nicht mit dem Einspruch angegriffen werden. § 347 Abs. 3 AO betrifft aber nicht den Fall, dass sich der Steuerpflichtige gegen einen Steuerbescheid wendet, der auf Erkenntnissen der Steuerfahndung beruht.
Auch in den Fällen des § 348 AO ist der Einspruch ausgeschlossen.
Wird ein Verwaltungsakt während eines anhängigen Einspruchsverfahrens korrigiert, dem Einspruch hierdurch nicht voll entsprochen und das Verfahren daher mit dem neuen Verwaltungsakt fortgesetzt (§ 365 Abs. 3 AO), ist ein erneuter Einspruch unzulässig. Dagegen ist es statthaft, gegen einen Verwaltungsakt, der einem Einspruch in vollem Umfang abhilft, erneut Einspruch einzulegen (, BStBl 2007 II S. 736); der Steuerpflichtige muss aber geltend machen, durch den neuen Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 350 AO).
Gegen die Ablehnung oder den Widerruf der Aussetzung oder des Ruhens eines Einspruchsverfahrens ist ein Einspruch nicht gegeben. Insoweit können Einwendungen nur im Klageverfahren geltend gemacht werden (§ 363 Abs. 3 AO).
Tz. 372 Ausschluss des Einspruchs
Nach § 348 Nr. 1 AO kann eine Einspruchsentscheidung (§§ 366, 367 AO) nicht mit einem (erneuten) Einspruch angefochten werden. Statthafter förmlicher Rechtsbehelf ist in diesem Fall die Anfechtungs- oder die Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO). Dies gilt auch, wenn in der Einspruchsentscheidung ein Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO) aufgehoben oder eine bisher vorläufige (§ 165 AO) Steuerfestsetzung für endgültig erklärt wird (, BStBl 1984 II S. 85). Auch gegen Teil-Einspruchsentscheidungen (§ 367 Abs. 2a AO) und gegen nach § 367 Abs. 2b AO ergehende Allgemeinverfügungen über die Zurückweisung von Einsprüchen ist der Einspruch ausgeschlossen (im letzgenannten Fall ergibt sich der Ausschluss des Einspruchs auch aus § 348 Nr. 3 AO). Ein Bescheid, der einem Einspruch in vollem Umfang abhilft, ist keine Einspruchsentscheidung.
§ 348 Nr. 1 AO ist daher auf ihn nicht anwendbar mit der Folge, dass der Vollabhilfebescheid mit einem erneuten Einspruch angefochten werden kann (, BStBl 2007 II S. 736).
§ 348 Nr. 2 AO bestimmt, dass wegen der Nichtentscheidung über einen Einspruch kein weiterer Einspruch – auch kein Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO – eingelegt werden kann. Bleibt die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren untätig, darf unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO Klage erhoben werden, ohne den Abschluss des Einspruchsverfahrens abzuwarten.
§ 348 Nr. 3 AO schließt den Einspruch gegen Verwaltungsakte der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder aus, es sei denn, das Gesetz schreibt die Durchführung eines Einspruchsverfahrens ausdrücklich vor. Für Verwaltungsakte der Oberbehörden (§ 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 FVG) ist der Einspruch nicht ausgeschlossen. Daher ist beispielsweise gegen die vom Bundeszentralamt für Steuern erlassenen Bescheide über eine Vorsteuervergütung nach den §§ 59–61 UStDV das Einspruchsverfahren eröffnet.
Nach § 348 Nr. 4 AO ist der Einspruch gegen Entscheidungen in bestimmten Steuerberatungsangelegenheiten ausgeschlossen.
§ 348 Nr. 6 AO schließt den Einspruch gegen nach § 172 Abs. 3 AO ergehende Allgemeinverfügungen über die Zurückweisung von Anträgen auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung aus. Die Regelung hat nur klarstellende Bedeutung, da derartige Allgemeinverfügungen von den obersten Finanzbehörden erlassen werden und der Ausschluss des Einspruchs sich somit bereits aus § 348 Nr. 3 AO ergibt.
Tz. 373 Beschwer
a) Persönliche Betroffenheit
Einen Einspruch soll nur einlegen dürfen, wer durch einen Verwaltungsakt oder durch das Unterlassen eines Verwaltungsakts (vgl. Tz.371) betroffen ist. Ein „Popularrechtsbehelf” soll nicht möglich sein. § 350 AO fordert daher, dass der Einspruchsführer geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassen beschwert zu sein.
Eine Beschwer kann nur derjenige geltend machen, der durch den Verwaltungsakt persönlich betroffen ist (, BStBl 1992 II S. 303). Dies ist in erster Linie der Inhaltsadressat des Verwaltungsakts (zum Begriff des Inhaltsadressaten vgl. Tz. 142), bei Steuerbescheiden somit der Steuerschuldner.
Richtet sich ein Verwaltungsakt an mehrere Personen, ist grds. jede betroffene Person einspruchsbefugt, soweit sie eine Beschwer geltend macht; eine Anfechtungsbeschränkung kann sich aber aus § 352 AO ergeben. In Fällen der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer ist jeder Ehegatte einspruchsbefugt. Dabei kann sich die Geltendmachung einer Beschwer bzw. die Begründung des Einspruchs (s. hierzu Tz. 380) auch ausschließlich auf Besteuerungsgrundlagen des Ehepartners beziehen (, BStBl 1987 II S. 852).
Auch ein Dritter kann u. U. geltend machen, durch einen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Beispielsweise kann ein Arbeitnehmer die im Zusammenhang mit dem Lohnsteuer-Anmeldungs- und -Abzugsverfahren gegen den Arbeitgeber ergehenden Verwaltungsakte mit dem Einspruch anfechten, soweit ihn betreffende Lohnsteuerbeträge strittig sind (, BStBl 1996 II S. 87). Entsprechendes gilt für andere Fälle einer Verpflichtung zum Steuerabzug (z. B. Kapitalertragsteuer, Steuerabzug nach § 50a EStG). In dem von einem Arbeitnehmer oder von einem Gläubiger von Kapitalerträgen bzw. einer Vergütung i. S. des § 50a EStG betriebenen Einspruchsverfahren gegen die vom Abzugsverpflichteten abgegebene Steueranmeldung kann aber nur darüber entschieden werden, ob die anmeldende Person berechtigt und verpflichtet war, die Steuerabzugsbeträge einzubehalten, anzumelden und abzuführen.
b) Beschwer durch Regelung des Verwaltungsakts
Die Beschwer muss sich aus dem regelnden Teil (Tenor) des Verwaltungsakts ergeben. Einzelne Besteuerungsgrundlagen beschweren daher grds. nicht (, BStBl 2001 II S. 338), es sei denn, sie werden gesondert festgestellt (§ 157 Abs. 2, §§ 179 ff. AO).
Die geltend gemachte Beschwer wird i. d. R. in einer zu hohen Steuerfestsetzung, in der gesonderten (und ggf. einheitlichen) Feststellung eines zu hohen Gewinns oder eines zu niedrigen Verlusts, in einer zu niedrig festgesetzten Steuervergütung oder in der Ablehnung der Feststellung eines Verlusts oder der Festsetzung einer Steuervergütung bestehen.
Eine zu niedrige Steuerfestsetzung beschwert grds. nicht. Eine Beschwer kann aber vorliegen, wenn die zu niedrige Steuerfestsetzung sich in anderen Besteuerungszeiträumen ungünstig auswirkt – z. B. aufgrund des Bilanzenzusammenhangs oder der Verringerung der AfA-Bemessungsgrundlage (, BStBl 2007 II S. 469) – oder wenn die zu niedrige Steuerfestsetzung die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen verhindert und dadurch eine höhere Zahllast bewirkt (, BStBl 1995 II S. 362).
Auch eine Steuerfestsetzung auf Null € beschwert grds. nicht. Eine Beschwer liegt aber in diesen Fällen vor, wenn der Steuerpflichtige die Festsetzung einer negativen Steuer (, BStBl 2009 II S.7) oder eine Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit (, BStBl 2000 II S. 325) begehrt oder wenn den bei der Nullfestsetzung berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen eine außersteuerliche Bindungswirkung zukommt (, BStBl 1995 II S. 537).
Ein Steuerpflichtiger ist durch eine Festsetzung der Einkommensteuer auch dann beschwert, wenn er nach Abzug des in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnenden Kindergelds im wirtschaftlichen Ergebnis nicht mit Einkommensteuer belastet ist (, BStBl 2006 II S. 291).
Eine Beschwer durch einen Steuerbescheid kann auch geltend machen, wer erklärungsgemäß veranlagt worden ist, z. B. wenn weitere steuermindernde Besteuerungsgrundlagen geltend gemacht werden. Auch zu einem im Einspruchsverfahren ergehenden Vollalbhilfebescheid kann eine Beschwer geltend werden (, BStBl 2007 II S. 736).
Wird ein Grundlagenbescheid angefochten, kommt es für die Frage, ob eine Beschwer geltend gemacht wird, nicht auf die Auswirkungen in den Folgebescheiden an (, BStBl 2005 II S. 431). Beschweren kann daher auch die Feststellung einer unzutreffenden Einkunftsart (, BStBl 2007 II S. 118).
Bei der Anfechtung einer Ermessensentscheidung (§ 5 AO) liegt das Geltendmachen einer Beschwer auch dann vor, wenn die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat, der Steuerpflichtige aber eine andere Entscheidung innerhalb des behördlichen Ermessensspielraums begehrt.
c) Geltendmachen der Beschwer bei Einspruchseinlegung
Die Beschwer muss bei Einlegung des Einspruchs geltend gemacht werden. Hierbei handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung (vgl. Tz. 381). I. d. R. kann bereits in der Einlegung eines Einspruchs gegen einen belastenden Verwaltungsakt ohne eine weitere Begründung die Geltendmachung einer Beschwer gesehen werden (, BStBl 1986 II S. 243), es sei denn, eine Beschwer ist schlechthin nicht erkennbar. Eine Beschwer ist auch dann geltend gemacht, wenn der Steuerpflichtige nach einer durchgeführten Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) die Steuererklärung einreicht und damit die Minderung geschätzter Einkünfte begehrt (, BStBl 1967 II S. 382).
Ob tatsächlich eine Beschwer vorliegt, ist für die Zulässigkeit des Einspruchs unerheblich, sondern erst bei der Prüfung der Begründetheit des Einspruchs zu entscheiden.
Da es für die Zulässigkeit eines Einspruchs nur darauf ankommt, dass der Einspruchsführer bei Einlegung seines Rechtsbehelfs eine Beschwer geltend macht, wird ein Einspruch nicht nachträglich unzulässig, wenn während des Einspruchsverfahrens die Beschwer entfällt.
d) Rechtsschutzbedürfnis
Eine weitere, in der AO aber nicht ausdrücklich genannte Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Einspruchs ist das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses, d. h. eines schutzwürdigen, berücksichtigungswerten Interesses an der begehrten Entscheidung im Einspruchsverfahren. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung einer Außenprüfungsanordnung entfällt mit Beendigung der Außenprüfung (, BStBl 1986 II S. 21), für die Anfechtung der Entscheidung über eine Eintragung auf der Lohnsteuerkarte mit Ablauf des Monats März des Folgejahres (, BStBl 2008 II S. 234) und für die Anfechtung der Ablehnung einer beantragten Akteneinsicht mit der Gewährung der Akteneinsicht ( NWB QAAAB-32397).
Wird mit einem Einspruch ausschließlich die Verfassungswidrigkeit einer von der Finanzbehörde angewandten Rechtsnorm geltend gemacht, fehlt grds. das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Finanzbehörde den angefochtenen Steuerbescheid hinsichtlich dieser strittigen Frage für vorläufig (§ 165 AO) erklärt hat. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist aber in diesen Fällen zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige vorträgt, in seiner Steuerangelegenheit eine Entscheidung des BVerfG herbeiführen zu wollen, oder wenn eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) in Betracht kommt.
Tz. 374 Bindungswirkung anderer Verwaltungsakte
a) Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts
Wird ein unanfechtbarer Verwaltungsakt geändert, darf in einem Einspruchsverfahren gegen den neuen Verwaltungsakt die bisher eingetretene Bestandskraft nicht unberücksichtigt bleiben. § 351 Abs. 1 AO bestimmt daher, dass der neue Verwaltungsakt grds. nur insoweit angefochten werden darf, als die Änderung reicht.
§ 351 Abs. 1 AO gilt nur für Verwaltungsakte, die den Änderungsvorschriften der AO (§§ 172 ff. AO) unterliegen, somit insbesondere für Steuerbescheide, Feststellungsbescheide und Steuermessbescheide. Die Anfechtungsbeschränkung gilt nicht für Verwaltungsakte, die zurückgenommen (§ 130 AO) oder widerrufen (§ 131 AO) werden, wie z. B. Haftungsbescheide und Verspätungszuschlagfestsetzungen (, BStBl 1984 II S. 791). § 351 Abs. 1 AO ist aber anwendbar, wenn ein den Änderungsvorschriften der AO unterliegender Verwaltungsakt wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO berichtigt worden ist.
Keine Anfechtungsbeschränkung besteht, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt noch nicht unanfechtbar geworden ist, beispielsweise weil er mit einem zulässigen Einspruch angefochten worden ist, über den im Zeitpunkt der Änderung noch nicht entschieden war. In diesem Fall wird das Einspruchsverfahren mit dem neuen Verwaltungsakt als Verfahrensgegenstand fortgesetzt (§ 365 Abs. 3 AO), falls der Änderungsbescheid dem Einspruch nicht in vollem Umfang abgeholfen hat.
Die Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO bezieht sich auf den Tenor des Verwaltungsakts (z. B. auf die Höhe der festgesetzten Steuer), nicht auf die Besteuerungsgrundlagen. Der Steuerpflichtige kann daher Einwendungen wiederholen, die er gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt erfolglos vorgetragen hat, oder neue Einwendungen erheben.
Die bisher unanfechtbar festgesetzte Steuer beträgt 5.000 €. Aufgrund der Anpassung an einen Grundlagenbescheid ergeht ein Änderungsbescheid, der die Steuer auf 6.000 € heraufsetzt. Der Steuerpflichtige begehrt mit dem Einspruch gegen den Änderungsbescheid die zusätzliche Berücksichtigung bisher nicht geltend gemachter Sonderausgaben mit einer steuerlichen Auswirkung von 2.000 €. Aufgrund des § 351 Abs. 1 AO kann der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren allenfalls eine Herabsetzung auf den ursprünglich festgesetzten Betrag (5.000 €) erreichen.
Die Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO besteht nicht, soweit sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas Anderes ergibt.
Die bisher unanfechtbar festgesetzte Steuer beträgt 5.000 €. Aufgrund der Anpassung an einen Grundlagenbescheid ergeht ein Änderungsbescheid, der die Steuer auf 6.000 € heraufsetzt. Der Steuerpflichtige kann mit einem Einspruch gegen den Änderungsbescheid geltend machen, dass die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu einer Herabsetzung der Steuer auf 4.000 € hätte führen müssen.
Keine Anfechtungsbeschränkung besteht in einem Einspruchsverfahren gegen eine Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO), ferner nicht, soweit eine vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO) geändert oder für endgültig erklärt wird (, BStBl 1992 II S. 588).
Soweit die Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO nicht beachtet wird, ist der Einspruch unzulässig.
b) Anfechtungsbeschränkung bei Folgebescheiden
Nach § 351 Abs. 2 AO können Grundlagenbescheide nur durch Anfechtung dieser Bescheide, nicht aber durch Anfechtung der Folgebescheide angegriffen werden. Zum Begriff des Grundlagenbescheids s. § 171 Abs. 10 AO; zur Verpflichtung, Folgebescheide an einen Grundlagenbescheid anzupassen, s. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. § 351 Abs. 2 AO hindert einen Steuerpflichtigen aber nicht daran, geltend zu machen, der Grundlagenbescheid sei – z. B. wegen eines Bekanntgabemangels – nicht wirksam geworden (, BStBl 2001 II S. 381).
Die Festsetzung einer Maßstabsteuer (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer) ist nach § 51a Abs. 5 EStG Grundlagenbescheid für die Festsetzung einer Annexsteuer (Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer). Dies gilt aber nicht für die Berechnung der „fiktiven” Einkommensteuer nach § 51a Abs. 2 EStG.
Ergeht vor Erlass eines Grundlagenbescheids ein Folgebescheid mit gem. § 162 Abs. 5 AO geschätzten Besteuerungsgrundlagen, besteht keine Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 2 AO. Diese greift aber ein, sobald der Grundlagenbescheid nachgeholt wird (, BStBl 1985 II S. 3).
Ein Einspruch gegen einen Folgebescheid, mit dem ausschließlich Einwendungen gegen einen wirksam ergangenen Grundlagenbescheid geltend gemacht werden, ist nach Auffassung des BFH und der Finanzverwaltung unbegründet, nicht unzulässig (Nr. 4 AEAO zu § 351; strittig). Der Einspruch kann aber u. U. als Einspruch gegen den Grundlagenbescheid ausgelegt bzw. in einen solchen umgedeutet werden.
Tz. 375 Einspruchsbefugnis bei der einheitlichen Feststellung
a) Grundsatz der Beschränkung der Einspruchsbefugnis auf eine Person
Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (z. B. nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder nach der V zu § 180 Abs. 2 AO) richten sich gegen diejenigen Steuerpflichtigen, denen der Gegenstand bei der Besteuerung zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 AO). Somit wäre grds. jeder Feststellungsbeteiligte einspruchsbefugt, der geltend macht, durch den Feststellungsbescheid beschwert zu sein (§ 350 AO). Da an einem Feststellungsverfahren u. U. viele Personen beteiligt sein können, beschränkt § 352 AO im Interesse der Verfahrensökonomie die Einspruchsbefugnis grds. auf eine Person, nämlich den Geschäftsführer oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, den Einspruchsbevollmächtigten (Empfangsbevollmächtigten).
§ 352 AO gilt nur für Einsprüche gegen gesonderte und einheitliche Feststellungen und somit nicht, soweit die Gesellschaft oder Gemeinschaft selbst Steuerschuldnerin ist, wie z. B. hinsichtlich der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer. Auch auf Außenprüfungsanordnungen ist § 352 AO nicht anwendbar. Auf Anträge auf „schlichte Änderung” (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO) ist § 352 AO ebenfalls nicht (auch nicht analog) anwendbar (strittig).
Ein Einspruch, der von einer Person eingelegt wird, die hierzu nach § 352 AO nicht befugt ist, ist unzulässig.
b) Einspruchsbefugnis des Geschäftsführers
Nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative AO können gegen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen die zur Vertretung berufenen Geschäftsführer Einspruch einlegen. Dies gilt unabhängig von der Art der festgestellten Besteuerungsgrundlagen, insbesondere unabhängig von der Einkunftsart (, BStBl 2008 II S. 817).
Wer zur Geschäftsführung und Vertretung berufen ist, richtet sich nach den zivilrechtlichen Vorschriften und den gesellschaftsvertraglichen Regelungen. Die aus § 352 AO sich ergebende Anfechtungsbeschränkung gilt unabhängig davon, ob die Gesellschafter nur gemeinschaftlich oder einzeln zur Vertretung befugt sind. Bei gemeinschaftlicher Vertretungsbefugnis mehrerer Geschäftsführer müssen alle vertretungsberechtigten Geschäftsführer der Einspruchseinlegung zustimmen. Liegt Einzelvertretungsbefugnis vor, kann jeder vertretungsberechtigte Geschäftsführer Einspruch einlegen (, BStBl 1972 II S. 672).
Der Geschäftsführer muss im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft vertreten. Nicht erforderlich ist, dass er in dem vom Feststellungsbescheid erfassten Zeitraum Geschäftsführer war oder dass er Gesellschafter oder Gemeinschafter ist (, BStBl 1991 II S. 882).
Der vom Geschäftsführer eingelegte Einspruch ist ein Einspruch der Gesellschaft bzw. der Gemeinschaft, die in einer Art „Prozessstandschaft” insoweit für die Feststellungsbeteiligten handelt (, BStBl 2007 II S. 704). Die Einspruchsbefugnis des Geschäftsführers ist unbeschränkt und erstreckt sich somit auch auf die Fälle der persönlichen Einspruchsbefugnis der Gesellschafter bzw. Gemeinschafter nach § 352 Abs. 1 Nrn. 3–5 AO.
Befindet sich eine Gesellschaft oder Gemeinschaft in Liquidation, bleibt sie weiterhin Beteiligte des Feststellungsverfahrens. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis geht aber auf die Liquidatoren über, die grds. gemeinschaftlich (§ 730 Abs. 2 Satz 2 BGB; § 150 Abs. 1 HGB) handeln und daher nur gemeinsam Einspruch einlegen dürfen. Mit Vollbeendigung der Gesellschaft geht die Einspruchsbefugnis auf alle Feststellungsbeteiligten über (, BStBl 2006 II S. 847). Dies gilt auch, wenn die Gesellschaft faktisch beendet ist, d. h. ihr Aktivvermögen verloren hat und Nachschüsse der Gesellschafter nicht zu erwarten sind (, BStBl 2009 II S. 15).
c) Einspruchsbefugnis des Empfangsbevollmächtigten
Ist ein vertretungsberechtigter Geschäftsführer nicht vorhanden (z. B. bei einer Erbengemeinschaft), ist nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 zweite Alternative i. V. mit Abs. 2 AO grds. nur der Empfangsbevollmächtigte einspruchsbefugt.
Haben die Feststellungsbeteiligten nach § 183 Abs. 1 Satz 1 AO bzw. nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der V zu § 180 Abs. 2 AO einvernehmlich einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt, steht diesem die Einspruchsbefugnis zu. Haben die Feststellungsbeteiligten keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt, ist der nach § 183 Abs. 1 Satz 2 AO gesetzlich fingierte Empfangsbevollmächtigte (Vertretungs- bzw. Verwaltungsberechtigter) einspruchsbefugt. Ist auch ein i. S. des § 183 Abs. 1 Satz 2 AO fingierter Empfangsbevollmächtigter nicht vorhanden, kann die Finanzbehörde einen Empfangsbevollmächtigten bestimmen (§ 183 Abs. 1 Satz 3–5 AO, § 6 Abs. 1 Satz 3–5 der V zu § 180 Abs. 2 AO). Nur dieser ist dann befugt, Einspruch einzulegen.
Jeder Feststellungsbeteiligte kann für seine Person der Einspruchsbefugnis des gesetzlich fingierten oder des von der Finanzbehörde bestimmten Empfangsbevollmächtigten widersprechen (§ 352 Abs. 2 Satz 2 AO). Hierdurch erlangt der Widersprechende die Berechtigung, persönlich Einspruch einzulegen. Der Widerspruch ist an die für das Feststellungsverfahren zuständige Finanzbehörde zu richten und muss dort bis zum Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen sein. Er ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Zu Nachweiszwecken dürfte es sich aber empfehlen, ihn schriftlich zu erklären. Kein Widerspruchsrecht besteht, wenn die Feststellungsbeteiligten nach § 183 Abs. 1 Satz 1 AO bzw. nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der V zu § 180 Abs. 2 AO einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt haben. Jeder Feststellungsbeteiligte kann aber die erteilte Empfangsvollmacht jederzeit widerrufen.
§ 352 Abs. 2 Satz 3 AO bestimmt, dass die Feststellungsbeteiligten in der Feststellungserklärung des betreffenden Jahres oder in der Aufforderung zur Benennung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten über die Einspruchsbefugnis des von den Beteiligten benannten, gesetzlich fingierten oder von der Finanzbehörde bestimmten Empfangsbevollmächtigten belehrt werden müssen.
d) Einspruchsbefugnis bei fehlendem Geschäftsführer bzw. Empfangsbevollmächtigten
Ist weder ein zur Vertretung berufener Geschäftsführer noch ein Empfangsbevollmächtigter i. S. des § 183 AO bzw. des § 6 der V zu § 180 Abs. 2 AO vorhanden, ist nach § 352 Abs. 1 Nr. 2 AO jeder Gesellschafter, Gemeinschafter oder Mitberechtigte, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte, einspruchsbefugt. Dies gilt auch, wenn die Finanzbehörde dem Belehrungsgebot nach § 352 Abs. 2 Satz 3 AO nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Der einspruchsführende Gesellschafter, Gemeinschafter oder Mitberechtigte muss aber eine persönliche Beschwer (§ 350 AO) geltend machen.
e) Sonderfälle der persönlichen Einspruchsbefugnis eines Feststellungsbeteiligten
Auch wenn ein Geschäftsführer bzw. ein Einspruchsbevollmächtigter (Empfangsbevollmächtigter) vorhanden ist, sind die Feststellungsbeteiligten in bestimmten Fällen persönlich einspruchsbefugt.
Ausgeschiedene Gesellschafter, Gemeinschafter oder Mitberechtigte sind stets persönlich einspruchsbefugt (§ 352 Abs. 1 Nr. 3 AO).
Feststellungsbeteiligte sind nach § 352 Abs. 1 Nr. 4 AO persönlich einspruchsbefugt, soweit es sich darum handelt, wer am festgestellten Betrag beteiligt ist und wie dieser sich auf die einzelnen Beteiligten verteilt, und wenn sie durch die darauf bezogenen Feststellungen betroffen sind. Dies ist z. B. der Fall, wenn strittig ist, welche Personen Mitunternehmer sind (, BStBl 1975 II S. 209), oder wenn die Finanzbehörde den Erlass eines Feststellungsbescheids abgelehnt hat (, BStBl 1994 II S. 403). Gegenstand des Einspruchs eines Feststellungsbeteiligten kann aber i. d. R. nicht die Höhe des festgestellten Gesamtbetrags sein. Insoweit verbleibt es dabei, dass grds. nur der vertretungsberechtigte Geschäftsführer bzw. der Empfangsbevollmächtigte einspruchsbefugt ist.
Nach § 352 Abs. 2 Nr. 5 AO ist ein Gesellschafter oder Gemeinschafter einspruchsbefugt, soweit eine ihn persönlich betreffende Frage strittig ist, z. B. die Feststellung zu seinen Sonderbetriebseinnahmen bzw. -ausgaben oder die Feststellung eines verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG (, BStBl 2007 II S. 261).
In den Fällen des § 352 Abs. 1 Nr. 3–5 AO ist zu beachten, dass die Einspruchsfrist (§ 355 AO) bereits durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe (§ 122 AO) des Feststellungsbescheids an den Geschäftsführer bzw. an den Empfangsbevollmächtigten in Lauf gesetzt worden sein kann. Unterlässt es der Geschäftsführer bzw. der Empfangsbevollmächtigte, die Gesellschafter bzw. Gemeinschafter von dem Ergehen und dem Inhalt des Feststellungsbescheid zu unterrichten, kann aber eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) in Betracht kommen. Für den Beginn der Einspruchsfrist kann aber auch § 183 Abs. 2 und 3 AO bedeutsam sein. Hat z. B. die Finanzbehörde den Empfangsbevollmächtigten nach § 183 Abs. 1 Satz 3–5 AO bestimmt und ist ihr bekannt, dass ein Gesellschafter ausgeschieden ist, muss der Feststellungsbescheid auch dem ausgeschiedenen Gesellschafter bekannt gegeben werden, um ihm gegenüber wirksam zu werden und die Einspruchsfrist in Lauf zu setzen. Der ausgeschiedene Gesellschafter ist jedoch auch dann einspruchsbefugt, wenn der Feststellungsbescheid nur dem Geschäftsführer bzw. dem Empfangsbevollmächtigten, nicht aber ihm bekannt gegeben worden ist (, BStBl 1988 II S. 855). Steht die Geschäftsführung mehren Personen nur gemeinschaftlich zu, ist die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an einen der Geschäftsführer ausreichend (, BStBl 1996 II S. 256).
f) Auswirkungen der Anfechtungsbeschränkung
Die Anfechtungsbeschränkung nach § 352 AO wirkt sich auch auf eine Verpflichtung zur notwendigen Hinzuziehung (§ 360 Abs. 3 AO) sowie auf die Antragsbefugnis im Vollziehungsaussetzungsverfahren (§ 361 AO) aus. Für das Klageverfahren enthält § 48 FGO eine dem § 352 AO entsprechende Regelung.
Tz. 376 Einspruchsbefugnis des Rechtsnachfolgers
Gem. § 182 Abs. 2 AO wirken Einheitswertbescheide grds. auch gegenüber einem Rechtsnachfolger, auf den der Gegenstand der Feststellung nach dem Feststellungszeitpunkt mit steuerlicher Wirkung übergeht. Gleiches gilt für Grundsteuer-Messbescheide (§ 184 Abs. 1 Satz 4 AO) und für Bescheide über die Zerlegung oder Zuteilung eines Grundsteuer-Messbetrags (§§ 185, 190 AO). § 353 AO bestimmt für diese „dinglich wirkenden Bescheide” sowie für nach der V zu § 180 Abs. 2 AO ergehende Bescheide über die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, die sich erst später auswirken, dass der Rechtsnachfolger nur innerhalb der für den Rechtsvorgänger maßgebenden Einspruchsfrist Einspruch einlegen kann. S. auch die Beispiele im AEAO zu § 353.
Tz. 377 Einspruchsverzicht
Auf die Einlegung eines Einspruchs kann verzichtet werden. Wird trotz einer wirksamen Verzichtserklärung Einspruch eingelegt, ist dieser unzulässig (§ 354 Abs. 1 Satz 3 AO). Auch die Möglichkeit, Klage zu erheben, ist dann ausgeschlossen.
Die Verzichtserklärung kann erst nach Erlass des Verwaltungsakts abgegeben werden (§ 354 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei Steueranmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) kann der Einspruchsverzicht bereits bei Abgabe der Steueranmeldung für den Fall ausgesprochen werden, dass die Steuer nicht abweichend von der Steueranmeldung festgesetzt wird (§ 354 Abs. 1 Satz 2 AO).
Ein Teilverzicht auf einen Einspruch ist nur möglich, soweit Besteuerungsgrundlagen für ein zwischenstaatliches Verständigungs- oder Schiedsverfahren von Bedeutung sein können (§ 354 Abs. 1a AO).
Der Verzicht ist gegenüber der zuständigen Finanzbehörde schriftlich oder zur Niederschrift zu erklären. Unter den Voraussetzungen des § 87a Abs. 1 und 3 AO kann er auch in elektronischer Form erklärt werden. Der Verzicht darf keine weiteren Erklärungen enthalten (§ 354 Abs. 2 Satz 1 AO) oder Bestandteil eines anderen Texts sein. Dies schließt aber nicht aus, den Verzicht mit anderen Erklärungen zu verbinden; der Einspruchsverzicht muss dann aber gesondert unterschrieben werden (, BStBl 1984 II S. 513).
Die Zustimmung zu einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO und eine im finanzgerichtlichen Verfahren abgegebene Erklärung, die Hauptsache sei erledigt (, BStBl 1981 II S. 5), sind nicht als ein Einspruchsverzicht anzusehen. Der Steuerpflichtige kann daher einen mit seiner Zustimmung ergangenen Änderungsbescheid anfechten, wenn er eine Beschwer geltend macht (§ 350 AO).
II. Verfahrensvorschriften
§§ 355–367
Tz. 378 Einspruchfrist
a) Dauer und Beginn der Einspruchsfrist
Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs beträgt einen Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Wegen der Fristberechnung s. § 108 AO (Tz. 132).
Die Einspruchsfrist beginnt mit der wirksamen Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 122 AO). Bei Übermittlung schriftlicher Verwaltungsakte durch die Post ist die in § 122 Abs. 2 AO aufgestellte Fiktion zum Tag der Bekanntgabe (Tz. 142) zu beachten. Geht ein schriftlicher Verwaltungsakt einem inländischen Empfänger tatsächlich später als drei Tage bzw. einem ausländischen Empfänger später als 1 Monat nach der Aufgabe zur Post zu, beginnt die Einspruchsfrist mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs (, BStBl 2006 II S. 219). Das Datum des Verwaltungsakts ist für den Beginn der Einspruchsfrist nicht maßgebend.
Wird ein Verwaltungsakt mehreren von ihm betroffenen Personen bekannt gegeben, kann die Einspruchsfrist u. U. zu verschiedenen Zeitpunkten in Lauf gesetzt werden. Zur Bekanntgabe in Fällen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen s. § 183 AO.
Vor wirksamer Bekanntgabe kann ein Einspruch grds. nicht einlegt werden (strittig). Ein von einem Verwaltungsakt betroffener und somit rechtsbehelfsbefugter Dritter (s. hierzu Tz. 373) darf aber auch dann Einspruch einlegen, wenn der Verwaltungsakt ihm nicht bekannt gegeben worden ist.
Zur Bedeutung der Rechtsbehelfsbelehrung für den Beginn der Einspruchsfrist s. § 356 AO.
b) Einspruchsfrist bei Steueranmeldungen
Ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) ist innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde einzulegen (§ 355 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Steueranmeldung muss aber wirksam sein. Dies ist nicht der Fall, wenn sie entgegen einer gesetzlichen Anordnung (wie z. B. § 18 Abs. 3 Satz 3 UStG zur Umsatzsteuer-Jahreserklärung) nicht eigenhändig unterschrieben ist (, BStBl 2007 II S. 857).
Bei zustimmungsbedürftigen Steueranmeldungen (§ 168 Satz 2 und 3 AO) ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung einzulegen. Wird die Zustimmung schriftlich oder elektronisch erteilt, gilt die Zustimmung grds. am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post bzw. Absendung als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 und 2a AO). Weicht die Finanzbehörde von der Steueranmeldung ab und ist somit eine Steuerfestsetzung erforderlich (§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO), beginnt die Einspruchsfrist mit der wirksamen Bekanntgabe des Steuerbescheids.
c) Fristwahrung
Die Einspruchsfrist ist gewahrt, wenn der Einspruch bei der Behörde, bei der er einzulegen ist oder fristwahrend angebracht werden kann (§ 357 Abs. 2 AO), bis 24 Uhr des letzten Tags der Frist eingegangen ist. Verfügt die Behörde über keinen Nachtbriefkasten, muss sie die bei der ersten Leerung eines Tags dem Briefkasten entnommenen Schriftstücke so behandeln, als seien sie vor Ablauf des Vortags eingeworfen worden (, BStBl 1988 II S. 111). Unterhält die Finanzbehörde ein Postfach, geht ihr der Einspruch nicht bereits im Zeitpunkt des Einsortierens in das Postfach, sondern erst im Zeitpunkt der Abholung des Schreibens durch einen Amtsträger der Finanzbehörde zu (, BStBl 2007 II S. 823).
Bei Einspruchseinlegung durch Telefax muss der Einspruch spätestens bis zum Ablauf der Einspruchsfrist (24 Uhr) vom Empfangsgerät der Behörde vollständig aufgezeichnet sein (, BStBl 2001 II S. 32). Ein elektronisch übermittelter Einspruch (Tz. 380) ist zugegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung ihn in für die Finanzbehörde bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat (§ 87a Abs. 1 Satz 2 AO).
Der Einspruchsführer trägt die Beweislast für den rechtzeitigen Zugang des Einspruchs. Zum Beweiswert eines Eingangsstempels s. , BStBl 2007 II S. 823.
d) Fristversäumnis
Die Einspruchsfrist ist eine gesetzliche Frist. Sie kann daher nicht nach § 109 AO verlängert werden. Bei unverschuldeter Fristversäumnis – z. B. aufgrund einer unvorhersehbaren Verzögerung bei der Beförderung durch die Post – kommt unter den Voraussetzungen des § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, ist ein verspätet eingelegter Einspruch unzulässig.
e) Ausnahmen von der Einspruchsfrist
Für den Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) gilt keine Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 2 AO). Auch für einen Einspruch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt (§ 125 AO) muss eine Frist nicht eingehalten werden (, BStBl 1986 II S. 834).
Tz. 379 Rechtsbehelfsbelehrung
Zu schriftlich oder elektronisch ergangenen Verwaltungsakten beginnt die Einspruchsfrist (§ 355 AO) nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Einspruch, die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist (§ 357 AO), deren Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Obwohl in § 356 Abs. 1 AO nicht erwähnt, dürfte auch darüber zu belehren sein, dass der Einspruch schriftlich oder durch Erklärung zur Niederschrift einzulegen ist, da ein nicht formgerecht erhobener Einspruch unzulässig ist.
Unmaßgeblich ist, ob für den Verwaltungsakt die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist (wie z. B. für Steuerbescheide; § 157 Abs. 1 Satz 1 AO) oder nicht (wie z. B. für Entscheidungen über eine Stundung nach § 222 AO oder einen Erlass nach § 227 AO). Zu mündlich oder in anderer Weise erlassenen Verwaltungsakten wird die Einspruchsfrist auch ohne Rechtsbehelfsbelehrung in Lauf gesetzt.
Die einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt gleichstehenden Steueranmeldungen (§ 168 AO) sind keine schriftlich ergehenden Verwaltungsakte (, BStBl 1998 II S. 649). Wird aber eine nach § 168 Satz 2 AO erforderliche Zustimmung zur Steueranmeldung schriftlich oder elektronisch erteilt, beginnt die Rechtsbehelfsfrist nur zu laufen, wenn der Zustimmung eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt wird (, BStBl 2003 II S. 904).
Ergeht der Verwaltungsakt schriftlich, muss auch die Rechtsbehelfsbelehrung schriftlich erteilt werden. Bei elektronisch erlassenen Verwaltungsakten muss das elektronische Dokument die Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.
Die Belehrung über die einzuhaltende Einspruchsfrist (§ 355 AO) erfordert auch eine verständliche Erläuterung zum Fristbeginn. Diese muss jedoch nicht den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen. Es genügt eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes. Ein Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO (Tz. 132) ist nicht erforderlich (, BStBl 2006 II S. 455).
Enthält die Rechtsbehelfsbelehrung Erläuterungen, die über die von § 356 AO geforderten Angaben hinausgehen, müssen auch diese zutreffend sein.
Da die Amtssprache Deutsch ist (§ 87 Abs. 1 AO), muss die Rechtsbehelfsbelehrung auch dann nur in deutscher Sprache abgefasst sein, wenn ein Ausländer Adressat des Verwaltungsakts ist (, BStBl 1976 II S. 440).
Fehlt zu einem schriftlich oder elektronisch ergehenden Verwaltungsakt die Rechtsbehelfsbelehrung oder wurde sie unrichtig oder nicht formgerecht oder unrichtig erteilt, kann der Einspruch nicht zeitlich unbegrenzt, sondern grds. nur innerhalb eines Jahrs nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden. Dies gilt nicht, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei (§ 356 Abs. 2 AO). Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende und diesem zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Höhere Gewalt kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige durch ein Verhalten der Finanzbehörde von der fristgerechten Einlegung des Einspruchs abgehalten wurde.
Für den Nachweis, dass einem Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, gelten die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises. Ein derartiges Indiz kann sein, dass maschinell erstellte Steuerbescheide aufgrund der Programmvorgaben stets mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden.
Tz. 380 Einlegung des Einspruchs
a) Form des Einspruchs
Ein Einspruch ist schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift an Amtsstelle zu erklären. Da es ausreicht, dass aus dem Schriftstück hervorgeht, wer den Einspruch eingelegt hat (§ 357 Abs. 1 Satz 2 AO), muss der Einspruch (abweichend vom Grundsatz des § 126 BGB) nicht unterschrieben sein (, EFG 1992 S. 712).
Unter der Voraussetzung der Zugangseröffnung durch die Finanzbehörde (§ 87a Abs. 1 Satz 1 AO) kann ein Einspruch auch elektronisch erhoben werden. Eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz ist nicht erforderlich. § 357 Abs. 1 Satz 2 AO rechtfertigt es, insoweit von § 87a Abs. 3 Satz 2 AO abzuweichen (so auch Nr. 1 AEAO zu § 357). Es ist auch zulässig, durch Telefax Einspruch einzulegen. Telefonisch kann ein Einspruch nicht wirksam eingelegt werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Finanzbehörde über den Inhalt des Gesprächs eine Niederschrift anfertigt ( NWB PAAAB-10046).
b) Einlegungsbehörde
Der Einspruch ist bei der Finanzbehörde anzubringen, deren Verwaltungsakt angefochten oder von der im Fall eines Untätigkeitseinspruchs (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) ein Verwaltungsakt begehrt wird (§ 357 Abs. 2 Satz 1 AO). Dies gilt auch, wenn nach Erlass des Verwaltungsakts eine andere Behörde zuständig geworden ist (diese hat dann aber über den Einspruch zu entscheiden; § 367 Abs. 1 Satz 2 AO).
Wird eine gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder die Festsetzung eines Steuermessbetrags angefochten, kann der Einspruch auch bei der für den Folgebescheid zuständigen Behörde angebracht werden (§ 357 Abs. 2 Satz 2 AO). Eine Regelung für den umgekehrten Fall besteht nicht. Ein Einspruch gegen einen Folgebescheid kann daher nicht bei der für den Grundlagenbescheid zuständigen Finanzbehörde eingelegt werden (strittig).
Ein Einspruch, der sich gegen einen Verwaltungsakt richtet, den eine andere Behörde für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat (s. hierzu Tz. 392), kann auch bei der zuständigen Finanzbehörde angebracht werden (§ 357 Abs. 2 Satz 3 AO).
Geht der Einspruch bis zum Ablauf der Einspruchsfrist bei einer der in § 357 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO angeführten „Hilfsadressen” ein, kommt es nicht darauf an, wann der Einspruch an die für die Bearbeitung des Rechtsbehelfs zuständige Finanzbehörde weitergeleitet wird.
Nach § 357 Abs. 2 Satz 4 AO genügt auch die Einlegung eines Einspruchs bei einer anderen (unzuständigen) Behörde, wenn diese den Einspruch bis zum Ablauf der Einspruchsfrist an die zuständige Finanzbehörde oder an eine Behörde, bei der er nach § 357 Abs. 2 Satz 2 oder 3 AO fristwahrend angebracht werden kann, weiterleitet. Das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung trägt der Einspruchsführer. Eventuell kommt aber eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht; s. hierzu Nr. 2 AEAO zu § 357.
c) Inhalt des Einspruchs
An den notwendigen Inhalt eines Einspruchs werden nur geringe Anforderungen gestellt. Es muss lediglich erkennbar sein, wer Einspruchsführer ist, dass eine Beschwer geltend gemacht wird (§ 350 AO) und ein Verwaltungsakt überprüft werden soll (, BStBl 1973 II S. 120). Das Wort „Einspruch” muss nicht verwendet werden. Auch eine unrichtige Bezeichnung des Rechtsbehelfs (z. B. als „Widerspruch” oder „Beschwerde”) ist unschädlich (§ 357 Abs. 1 Satz 4 AO).
Bei Einsprüchen von Eheleuten muss erkennbar sein, welcher Ehegatte den Einspruch eingelegt hat und ob er ggf. auch in Vollmacht des anderen Ehegatten handelt. Dies gilt insbesondere in Fällen der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer (, BStBl 2007 II S. 823).
Bei der Einlegung des Einspruchs soll der angefochtene Verwaltungsakt bezeichnet und angegeben werden, inwieweit er angegriffen und seine Aufhebung beantragt wird (§ 357 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO). Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn ein Schriftstück mehrere Verwaltungsakte enthält (z. B. Einkommensteuer mit Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer, ggf. auch mit Festsetzung eines Verspätungszuschlags bzw. von Zinsen nach § 233a AO; Änderungsbescheide für mehrere Veranlagungszeiträume). Ein Einspruch gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid sollte erkennen lassen, gegen welche Feststellungen er sich im Einzelnen richtet (, BStBl 1999 II S. 563).
Gem. § 357 Abs. 3 Satz 3 AO sollen die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden. Ein Zwang zur Begründung, insbesondere zu rechtlichen Ausführungen, besteht nicht. Eine fehlende Begründung hat jedoch Einfluss auf den Umfang der nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO bestehenden Pflicht der Finanzbehörde zur erneuten umfassenden Prüfung des Steuerfalls. Die Finanzbehörde darf sich dann i. d. R. darauf beschränken, den Verwaltungsakt anhand der Akten auf Fehler in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen (, BStBl 1973 II S. 120).
Das Einspruchsschreiben ist ggf. auszulegen. Hierbei ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen ( NWB LAAAC-87990). Ein Steuerpflichtiger, der einen „Bescheid über Einkommensteuer und Kirchensteuer” anficht, aber nur Einwendungen gegen die Festsetzung der Kirchensteuer erhebt, hat damit keinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt. Werden einem Steuerpflichtigen der Einkommensteuerbescheid und der Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) gleichzeitig bekannt gegeben und legt dieser Einspruch gegen den „Bescheid über Einkommensteuer u.a.” ein, ist davon auszugehen, dass auch gegen den Bescheid über den verbleibenden Verlustvortrags Einspruch eingelegt wurde, soweit sich aus diesem eine Beschwer ergibt.
Hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärung geschätzt (§ 162 AO) und geht innerhalb der Einspruchsfrist die Steuererklärung ohne eine weitere Erklärung ein, ist dies im Zweifel als Einlegung eines Einspruchs gegen den Schätzungsbescheid anzusehen (, BStBl 2003 II S. 505). Steht der Schätzungsbescheid unter Nachprüfungsvorbehalt, ist die „kommentarlose” Übersendung der Steuererklärung aber nicht als Einspruch, sondern als Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO auf Aufhebung oder Änderung des Schätzungsbescheids auszulegen ( NWB UAAAB-14058).
Ein Einspruch darf nicht unter einer Bedingung einlegt werden. Ein nur vorsorglich – z. B. zunächst zur Fristwahrung – eingelegter Einspruch ist aber nicht unter einer Bedingung erhoben.
d) Folgen von Verstößen gegen § 357 AO
Ein Einspruch, der nicht formgerecht erhoben wurde, ist unzulässig, ebenso ein Einspruch, der unter einer Bedingung eingelegt wurde oder der bis zum Ablauf der Einspruchsfrist nicht bei der zuständigen Finanzbehörde bzw. bei der Behörde, bei der er fristwahrend angebracht werden kann, eingegangen ist.
Tz. 381 Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die zur Entscheidung berufene Finanzbehörde (s. hierzu Tz. 392) hat zu prüfen, ob der Einspruch zulässig ist. Zu prüfen ist insbesondere, ob der Einspruch formgerecht (§ 357 AO) und fristgerecht (§ 355 AO) eingelegt wurde, ob er nach § 347 AO statthaft und nicht nach § 348 AO ausgeschlossen ist, ob er bei der zuständigen Behörde eingelegt wurde (§ 357 AO) und ob Anfechtungsbeschränkungen (z. B. nach § 351 Abs. 1 oder § 352 AO) bestehen.
Fehlt es an nur einer Zulässigkeitsvoraussetzung, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist daher vor seiner Begründetheit zu prüfen. Werden lediglich Sollvorschriften nicht eingehalten, wie z. B. in den Fällen einer unterlassenen Begründung (Tz. 380), führt dies für sich allein nicht zur Unzulässigkeit des Einspruchs.
Tz. 382 Beteiligte
Beteiligte am Einspruchsverfahren sind der Einspruchsführer und die nach § 360 AO Hinzugezogenen. Die Finanzbehörde ist nicht Beteiligte. Eine Beteiligtenstellung erlangt sie erst im finanzgerichtlichen Verfahren (§ 57 Nr. 2 FGO). Über den Wortlaut des § 359 AO hinausgehend ist auch der Gesamtrechtsnachfolger eines Einspruchsführers oder Hinzugezogenen Beteiligter, da er in die Rechtsstellung des Rechtsvorgängers eintritt (§ 45 Abs. 1 AO). Die Beteiligten können sich im Einspruchsverfahren durch Bevollmächtigte vertreten lassen (§ 80 i. V. mit § 365 Abs. 1 AO).
Tz. 383 Hinzuziehung zum Verfahren
a) Einfache Hinzuziehung
Nach § 360 Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde von Amts wegen oder auf Antrag Personen hinzuziehen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung über den Einspruch berührt werden. Rechtliche Interessen sind berührt, wenn das Unterliegen des Einspruchsführers die Rechtslage des Hinzuzuziehenden verbessert oder verschlechtert, eine ihm günstige Rechtslage aufrechterhält oder bei Ungewissheit die Rechtslage bestätigt. Die rechtlichen Interessen des Dritten müssen sich aus den Steuergesetzen ergeben. Wegen wirtschaftlicher oder privatrechtlicher Interessen ist daher eine Hinzuziehung nicht möglich (, BStBl 1984 II S. 348).
Hinzugezogen werden können insbesondere Personen, die neben dem Einspruchsführer Steuerschuldner sind oder die nach den Steuergesetzen als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden können. Daher kann beispielsweise ein Schenker zum Einspruchsverfahren des Beschenkten wegen der Schenkungsteuer, der Grundstücksveräußerer zum Einspruchsverfahren des Grundstückserwerbers wegen der Grunderwerbsteuer und ein Leistungsempfänger zu dem vom leistenden Unternehmen betriebenen Einspruchsverfahren, in dem um die Umsatzsteuerpflicht der erbrachten Leistung gestritten wird, hinzugezogen werden.
b) Notwendige Hinzuziehung
Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung über den Einspruch auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, sind nach § 360 Abs. 3 AO diese Personen hinzuziehen. Dies ist der Fall, wenn die im Einspruchsverfahren zu treffende Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (, BStBl 2008 II S. 536), insbesondere bei Anfechtung eines Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Nicht hinzuzuziehen sind aber Personen, die nach § 352 AO nicht befugt sind, Einspruch gegen den Feststellungsbescheid einzulegen.
In Feststellungsfällen notwendig hinzuziehen ist beispielsweise
der Geschäftsführer zum Einspruchsverfahren eines ausgeschiedenen Gesellschafters (, BStBl 1993 II S. 559) oder zum Verfahren eines einzelnen Gesellschafters, der zulässigerweise Einspruch erhoben hat, weil Fragen der Beteiligung am festgestellten Betrag oder der Verteilung oder den Gesellschafter persönlich angehende Fragen strittig sind;
der betroffene Gesellschafter zum Einspruchsverfahren des Geschäftsführers oder eines anderen Gesellschafters, wenn Fragen der Beteiligung am festgestellten Betrag oder der Verteilung oder den Gesellschafter persönlich angehende Fragen strittig sind;
der betroffene Kommanditist zu einem von der Gesellschaft betriebenen Einspruchsverfahren gegen die Feststellung des verrechenbaren Verlusts nach § 15a Abs. 4 EStG;
ein ausgeschiedener Gesellschafter zu einem vom Geschäftsführer betriebenen Einspruchsverfahren;
sämtliche Gesellschafter, die keinen Einspruch eingelegt haben, wenn die Aufteilung der festgestellten Besteuerungsgrundlagen strittig ist, wenn strittig ist, welche Personen als Mitunternehmer anzusehen sind, wenn das Finanzamt die Durchführung einer Feststellung abgelehnt hat oder wenn die Gesellschaft beendet ist.
Schulden mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner (z. B. Erben), sind zu dem Einspruchsverfahren eines der Gesamtschuldner die übrigen Gesamtschuldner nicht notwendig hinzuziehen (, BStBl 1999 II S. 638). Die Finanzbehörde kann aber von der Möglichkeit der einfachen Hinzuziehung Gebrauch machen.
Führt ein Elternteil ein Einspruchsverfahren mit dem Ziel, ihm Kindergeld zu gewähren, ist der andere Elternteil selbst dann nicht notwendig hinzuziehen, wenn er bei einer Stattgabe des Einspruchs das bisher zu seinen Gunsten festgesetzte Kindergeld verliert (, BStBl 2002 II S. 578). Erhebt ein Sozialleistungsträger Einspruch gegen einen die Kindergeldfestsetzung aufhebenden Bescheid, ist aber derjenige notwendig hinzuziehen, zu dessen Gunsten das Kindergeld bisher festgesetzt war (, BStBl 2001 II S. 246).
Die Frage, ob im Fall des Einspruchs gegen den Bescheid über eine Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer der nicht einspruchsführende Ehegatte notwendig hinzugezogen werden muss, wird vom BFH vereint (, BStBl 1994 II S. 405), ist aber umstritten. Nach Nr. 3 AEAO zu § 360 soll es sich regelmäßig empfehlen, insoweit von der Möglichkeit der einfachen Hinzuziehung Gebrauch zu machen. Eine notwendige Hinzuziehung ist aber grds. erforderlich, wenn über die Veranlagungsart (Zusammenveranlagung oder getrennte Veranlagung) gestritten wird (, BStBl 2000 II S. 354).
c) Keine Hinzuziehung des Steuergläubigers
§ 360 Abs. 2 AO schließt die Hinzuziehung eines Abgabenberechtigten aus, z. B. die Hinzuziehung der Gemeinde zum Einspruchsverfahren gegen einen Gewerbesteuer- oder Grundsteuer-Messbescheid.
d) Hinzuziehung in Massenverfahren
§ 360 Abs. 5 AO enthält Erleichterungen für den Fall, dass mehr als 50 Personen notwendig hinzuziehen sind.
e) Entscheidung über die Hinzuziehung
Die einfache Hinzuziehung (§ 360 Abs. 1 AO) steht im Ermessen der Finanzbehörde. Eine notwendige Hinzuziehung (§ 360 Abs. 3 AO) ist dagegen grds. stets vorzunehmen. Die Hinzuziehung kann aber unterbleiben, wenn der Einspruch offensichtlich unzulässig ist oder wenn der Hinzuzuziehende unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sein wird.
Die Hinzuziehung wird durch Verwaltungsakt (§ 118 AO) vorgenommen. Der Einspruchsführer ist zuvor anzuhören (§ 360 Abs. 1 Satz 2 AO; Nr. 2 AEAO zu § 360). Der Hinzugezogene erlangt die Rechtsstellung eines Beteiligten (§ 359 Nr. 2 AO) und kann dieselben Rechte geltend machen wie der Einspruchsführer (§ 360 Abs. 4 AO). Ihm ist Gelegenheit zu geben, sich zu äußern (, BStBl 1999 II S. 531). Der Hinzugezogene muss zumindest im Fall der notwendigen Hinzuziehung einer von der Finanzbehörde beabsichtigten Abhilfe zustimmen (Nr. 4 AEAO zu § 361). Der Hinzugezogene kann aber nicht das Verfahren gegen den Willen des Einspruchsführers fortführen und daher einer Einspruchsrücknahme (§ 362 AO) nicht widersprechen.
Eine Einspruchsentscheidung (§ 367 AO) ist auch dem Hinzugezogenen bekannt zu geben (§ 366 AO). Sie bindet auch den Hinzugezogenen, der deshalb befugt ist, Klage zu erheben, wenn er die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann (, BStBl 1989 II S. 87) und der Einspruch nicht als unzulässig verworfen worden ist (, BStBl 2001 II S. 747).
f) Folgen einer unterlassenen Hinzuziehung
Unterbleibt eine einfache Hinzuziehung, hat dies lediglich zur Folge, dass die im Einspruchsverfahren getroffene Entscheidung den nicht Hinzugezogenen nicht bindet. Weitere Wirkungen treten nicht ein.
Wird eine notwendige Hinzuziehung unterlassen, stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der grds. zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung in einem Klageverfahren führen müsste. Der Verfahrensmangel kann aber geheilt werden, wenn der Hinzuziehende im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 60 Abs. 3 FGO beigeladen wird (, BStBl 1987 II S. 302) oder wenn er selbst Klage erhebt.
Tz. 384 Aussetzung der Vollziehung
a) Vollziehungsaussetzung als Ausnahme vom Grundsatz des Sofortvollzugs
Ein Einspruch hemmt – abgesehen vom Sonderfall des § 361 Abs. 4 AO – nicht die Vollziehung des angefochtenen Steuerverwaltungsakts (§ 361 Abs. 1 AO). Daher muss z. B. nach einem Einspruch gegen einen Steuerbescheid die strittige Steuer zunächst gezahlt werden. Unter den Voraussetzungen des § 361 AO kann bzw. soll aber die Finanzbehörde die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen.
b) Anwendungsbereich des § 361 AO / Abgrenzung zu anderen Antragsmöglichkeiten
§ 361 AO regelt die Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde während eines Einspruchsverfahrens. Wurde Klage erhoben, ist § 69 Abs. 2 FGO die Rechtsgrundlage für eine Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde. Die Finanzgerichte und der BFH (wenn die Hauptsache bei ihm anhängig ist) können unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 und 4 FGO die Vollziehung aussetzen.
Die Aussetzung der Vollziehung ist nur bei vollziehbaren Verwaltungsakten möglich (s. unten). Richtet sich ein Rechtsbehelf nicht gegen einen Verwaltungsakt oder gegen einen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt, kommt als Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nur die einstweilige Anordnung durch das Finanzgericht in Betracht. Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung schließen sich gegenseitig aus (§ 114 Abs. 5 FGO).
Liegen nebeneinander sowohl die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung als auch für eine Stundung (§ 222 AO) vor, wird i. d. R. die Vollziehung auszusetzen sein (Nr. 1. 4 AEAO zu § 361). Dies dürfte für die Steuerpflichtigen günstiger sein, weil Aussetzungszinsen (§ 237 AO) nur anfallen, wenn der Rechtsbehelf endgültig ohne Erfolg geblieben ist, während nach einer Stundung grds. Stundungszinsen (§ 234 AO) zu erheben sind.
Den vorläufigen Rechtsschutz in Angelegenheiten der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben regelt Art. 244 des Zollkodexes.
c) Anhängigkeit eines Einspruchsverfahrens
Eine Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO setzt (abgesehen vom Fall der Vollziehungsaussetzung eines Folgebescheids) ein anhängiges Einspruchsverfahren voraus. Sie kommt daher z. B. nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige statt Einspruch einzulegen einen Antrag auf Änderung eines unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Bescheids (§ 164 Abs. 2 Satz 2 AO) oder auf „schlichte Änderung” (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO) stellt.
Auch ein unzulässiger Einspruch erfüllt die Voraussetzung der Anhängigkeit. Bei feststehender Unzulässigkeit werden aber keine „ernstlichen Zweifel” (s. unten) bestehen.
d) Vollziehbarer Verwaltungsakt
Nur Verwaltungsakte (§ 118 AO) können nach § 361 AO in der Vollziehung ausgesetzt werden. Nicht in der Vollziehung ausgesetzt werden können daher Realakte (z. B. die Zuteilung einer Identifikationsnummer nach § 139b AO).
Der Verwaltungsakt muss vollziehbar sein. Dies ist der Fall, wenn er bei seiner Verwirklichung in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift, indem er eine Geldleistung, ein Tun, Dulden oder Unterlassen fordert (, BStBl 1968 II S. 287). Vom Betroffenen muss etwas gefordert werden, was im Falle der Verweigerung im Wege von Vollziehungsmaßnahmen erzwungen werden könnte oder müsste (, BStBl 1975 II S. 240). Aussetzung der Vollziehung bedeutet, dass der materielle Regelungsinhalt des Verwaltungsakts vorläufig nicht mehr verwirklicht werden kann, sodass rechtliche und tatsächliche Folgerungen aus ihm nicht gezogen werden dürfen (BFH Großer Senat, Beschluss v. 3. 7. 1995 - GrS 3/93, BStBl 1995 II S. 730).
Eine Vollziehung ist begrifflich nicht möglich, wenn die Finanzbehörde einen Verwaltungsakt (z. B. den Erlass eines Änderungsbescheids) oder eine sonstige Leistung (z. B. die Auszahlung eines Erstattungsbetrags) ablehnt.
Beispiele vollziehbarer und nicht vollziehbarer Verwaltungsakte enthält Nr. 2.3 AEAO zu § 361.
e) Ernstliche Zweifel
Nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO soll die Finanzbehörde die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe müssen nicht überwiegen, d. h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen muss nicht wahrscheinlicher sein als ein Misserfolg (, BStBl 1967 III S. 182). Beispielsfälle zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen ernstlicher Zweifel enthalten Nr. 2.5.2 und 2.5.3 AEAO zu § 361.
Tritt nach § 365 Abs. 3 AO ein Änderungsbescheid an die Stelle des angefochtenen Verwaltungsakts, müssen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen Verwaltungsakts bestehen (, BStBl 1994 II S. 756). Dies gilt auch, wenn ein angefochtener Vorauszahlungsbescheid durch die Festsetzung der Jahressteuer abgelöst wird. Die Rechtmäßigkeit der von einem Steuerabzugsverpflichteten abgegebenen Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) kann nur nach den für die Einbehaltung, Anmeldung und Abführung geltenden Vorschriften beurteilt werden.
Auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer von der Finanzbehörde angewandten Rechtsnorm können zu einer Aussetzung der Vollziehung führen. Hierbei sind an die Zweifel keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle des Geltendmachens einer fehlerhaften Rechtsanwendung. Es sind somit nicht die Grundsätze heranzuziehen, die für eine einstweilige Anordnung durch das BVerfG (§ 32 BVerfGG) gelten (, BStBl 1984 II S. 454). Da bei einem formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetz zunächst dessen Verfassungsmäßigkeit zu vermuten ist, muss aber der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes haben. Die hier grds. vorzunehmende Abwägung des Interesses an einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung gegenüber dem Individualinteresse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann daher dazu führen, dass trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm eine Aussetzung der Vollziehung abzulehnen ist (, BStBl 1991 II S. 104). In neueren Entscheidungen hat der BFH es dahingestellt sein lassen, ob er hieran festhält (s. z. B. , BStBl 2007 II S. 799).
Eine Aussetzung der Vollziehung kommt auch in Betracht, wenn das BVerfG eine Norm für mit dem GG unvereinbar erklärt hat und noch ungewiss ist, in welcher Weise der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit beheben wird. Die Aussetzung der Vollziehung ist aber ausgeschlossen, soweit das BVerfG ausdrücklich angeordnet hat, dass eine von ihm beanstandete Norm für eine bestimmte Übergangszeit weiter anwendbar bleibt.
Auch Zweifel an der Vereinbarkeit einer deutschen Rechtsnorm mit Europäischem Gemeinschaftsrecht können zu einer Aussetzung der Vollziehung führen (, BStBl 2001 II S. 598).
f) Unbillige Härte
Nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO soll ein Verwaltungsakt auch dann auf Antrag in der Vollziehung ausgesetzt werden, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Im Gegensatz zu einer Stundung (§ 222 AO) muss die Vollziehung nicht aus allgemeinen Gründen unbillig sein. Vielmehr muss die unbillige Härte durch die Vollziehung vor Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts entstehen (, BStBl 1970 II S. 132).
Auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte dürfen die Erfolgsaussichten des Einspruchs nicht unberücksichtigt bleiben. Eine Vollziehungsaussetzung ist daher trotz Vorliegens einer unbilligen Härte zu versagen, wenn der Einspruch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, insbesondere wenn er unzulässig ist.
g) Rechtsschutzbedürfnis
Wie für einen Einspruch muss auch für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Es fehlt beispielsweise, wenn die Finanzbehörde zugesichert hat, von der Vollziehung bis zur Entscheidung über den Einspruch abzusehen (, BStBl 1978 II S. 69). Ein Rechtsschutzbedürfnis wird aber grds. nicht allein deshalb zu verneinen sein, weil die Finanzbehörde die strittige Steuer gestundet hat, da Stundung und Aussetzung der Vollziehung unterschiedliche Zinsfolgen auslösen (§§ 234, 237 AO).
h) Aufhebung der Vollziehung
Ist der angefochtene Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung bereits vollzogen (z. B. durch Zahlung der strittigen Steuer oder durch Anrechnung von Vorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträgen), tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 Satz 3 AO). Da bereits der Anfall von Säumniszuschlägen (§ 240 AO) eine Vollziehung darstellt (, BStBl 1987 II S. 389), liegt immer dann, wenn nach Fälligkeit der strittigen Steuer positiv über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschieden wird, eine Aufhebung der Vollziehung vor. Die Voraussetzungen und die Entscheidungsgrundsätze für eine Aufhebung der Vollziehung und für eine Aussetzung der Vollziehung sind aber identisch, sodass die unterschiedliche Terminologie letztlich ohne Bedeutung ist.
i) Vollziehungsaussetzungsbeschränkung bei Steuerbescheiden
Bei Steuerbescheiden ist die Aussetzung bzw. Aufhebung grds. beschränkt auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, die anzurechnende Körperschaftsteuer und die festgesetzten Vorauszahlungen (§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO). Einzelheiten, Ausnahmen sowie Berechnungsbeispiele sind in Nr. 4 AEAO zu § 361 dargestellt.
j) Vollziehungsaussetzung von Grundlagen- und von Folgebescheiden
Auch Grundlagenbescheide (zum Begriff s. § 171 Abs. 10 AO) können unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 361 AO in der Vollziehung ausgesetzt werden. Vollzogen wird ein Grundlagenbescheid dadurch, dass seine Regelungen ohne weitere Prüfung in den Folgebescheid übernommen werden (, BStBl 1989 II S. 792). In der Vollziehung aussetzbare Grundlagenbescheide sind auch Entscheidungen über die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte.
Wurde die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt, ist die Vollziehung der darauf beruhenden Folgebescheide von Amts wegen auszusetzen (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies gilt auch, wenn der Folgebescheid bestandskräftig ist, zumal mit einem Einspruch gegen den Folgebescheid keine Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid erhoben werden können (§ 351 Abs. 2 AO).
Ist der Folgebescheid vor Erlass des Grundlagenbescheids ergangen (§ 155 Abs. 2 AO) und berücksichtigt er nach Auffassung des Steuerpflichtigen die noch gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen nicht oder – bei einer Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO – in unzutreffender Höhe, richtet sich die Vollziehungsaussetzung des Grundlagenbescheids nicht nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO, sondern nach den allgemeinen Regeln für eine Aussetzung der Vollziehung nach Anfechtung eines Verwaltungsakts.
Ein Einkommensteuerbescheid ist Grundlagenbescheid für die Festsetzung von Annexsteuern (Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer). Nach Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids ist daher die Festsetzung der Annexsteuern in entsprechendem Umfang von Amts wegen in der Vollziehung auszusetzen. Entsprechendes gilt für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zur Körperschaftsteuer sowie für die an die Festsetzung der Einkommensteuer bzw. der Körperschaftsteuer anknüpfenden Zinsen.
Wegen weiterer Einzelheiten zur Aussetzung der Vollziehung von Grundlagenbescheiden und von Folgebescheiden s. Nr. 5 und 6 AEAO zu § 361.
k) Entscheidung über die Vollziehungsaussetzung
Die Entscheidung über eine Aussetzung der Vollziehung ist eine Ermessensentscheidung, wobei aber bei Vorliegen ernstlicher Zweifel bzw. einer unbilligen Härte der Ermessensspielraum der Finanzbehörde stark eingeschränkt ist. Es handelt sich um ein summarisches Verfahren. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung (z. B. Anhängigkeit eines Einspruchs, Vorliegen eines vollziehbaren Verwaltungsakts) sind aber eingehend und nicht nur summarisch zu prüfen (, BStBl 1971 II S. 702). Über die Vollziehungsaussetzung entscheidet die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat; die Regelung des § 367 Abs. 1 Satz 2 AO zum Zuständigkeitswechsel gilt sinngemäß (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO).
Die Finanzbehörde kann auch ohne Antrag des Einspruchsführers die Vollziehung aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO); s. hierzu Nr. 2. 1 AEAO zu § 361.
Wegen des Beginns und der Befristung der Vollziehungsaussetzung s. Nr. 8 AEAO zu § 361, wegen der Anforderung einer Sicherheitsleistung s. Nr. 9.2 AEAO zu § 361.
l) Anfechtung der Vollziehungsaussetzungsentscheidung
S. Nr. 11 AEAO zu § 361.
m) Hemmende Wirkung eines Einspruchs
Abweichend vom Grundsatz des Sofortvollzugs haben nach § 361 Abs. 4 AO Einsprüche gegen die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung aufschiebende Wirkung, z. B. in den Fällen der Untersagung der Fiskalvertretung (§ 22e UStG). Hemmende Wirkung hat auch der mit einer Begründung erhobene Einspruch gegen die im Vollstreckungsverfahren getroffene Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 284 Abs. 6 AO).
Kein Fall des § 361 Abs. 4 AO liegt vor, wenn die Finanzbehörde bei der Gewerbebehörde die Untersagung des Gewerbetriebs anregt, da es sich bei dieser Anregung nicht um einen Verwaltungsakt (§ 118 AO) handelt.
Tz. 385 Rücknahme des Einspruchs
Ein eingelegter Einspruch kann bis zur Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde (Abhilfebescheid oder förmliche Einspruchsentscheidung; § 367 AO) zurückgenommen werden. Eine Rücknahme kann beispielsweise zweckmäßig sein, wenn der Einspruchsführer eine Änderung zu seinem Nachteil („Verböserung”; § 367 Abs. 2 Satz 2 AO) oder eine Hinzuziehung Dritter (§ 360 AO) vermeiden will.
Für die Frage, in welcher Form und gegenüber welcher Behörde die Rücknahme zu erklären ist, gelten die für die Einlegung eines Einspruchs maßgebenden Vorschriften (§ 357 Abs. 1 und 2 AO) entsprechend (§ 362 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Steuerpflichtige kann den Einspruch auch dann selbst zurücknehmen, wenn er durch einen Bevollmächtigten (§ 80 AO) vertreten wird (, BStBl 1981 II S. 395). Wurde der Einspruch von einem Bevollmächtigten eingelegt, kann dieser die Rücknahme erklären, wenn die Befugnis zur Rücknahme nicht durch eine der Finanzbehörde bekannte Beschränkung der Vertretungsmacht ausgeschlossen ist (§ 80 Abs. 1 Satz 4 AO).
Eine Teilrücknahme des Einspruchs ist grds. nicht zulässig. Sie kann jedoch u. U. als Einschränkung des Einspruchsantrags gewertet werden mit der Folge, dass eine Abhilfe (s. hierzu Tz. 392) möglich wird Ein Einspruch kann aber teilweise zurückgenommen werden, soweit Besteuerungsgrundlagen für ein zwischenstaatliches Verständigungs- oder Schiedsverfahren von Bedeutung sein können (§ 362 Abs. 1a AO). Eine Teilrücknahme liegt nicht vor, wenn der Steuerpflichtige gegen mehrere Verwaltungsakte (z. B. Änderungsbescheide für mehrere Veranlagungszeiträume aufgrund einer Außenprüfung) Einspruch eingelegt hat und den Einspruch gegen einen dieser Bescheide zurücknimmt.
Wie der Einspruch darf auch die Einspruchsrücknahme nicht unter einer Bedingung erklärt werden. Die Rücknahmeerklärung kann aber ggf. ausgelegt werden (, BStBl 2001 II S. 162). Die unter einer Bedingung oder nicht formgerecht erklärte Einspruchsrücknahme ist unwirksam. Auch eine unzulässige Beeinflussung durch die Finanzbehörde (z. B. Täuschung, Drohung, Nötigung) führt zur Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme. Wird nachträglich die Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme geltend gemacht, muss dies innerhalb eines Jahrs nach Eingang der Rücknahmeerklärung bei der Finanzbehörde erfolgen, es sei denn, die Geltendmachung war innerhalb der Jahresfrist infolge höherer Gewalt nicht möglich (§ 362 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit § 110 Abs. 3 AO).
Die Einspruchsrücknahme kann widerrufen werden. Der Widerruf muss aber der Finanzbehörde spätestens zeitgleich mit der Rücknahmeerklärung zugehen (, BStBl 2007 II S. 823).
Die wirksam erklärte Einspruchsrücknahme hat den Verlust des eingelegten Einspruchs, im Gegensatz zur Klagerücknahme (§ 72 Abs. 2 Satz 1 FGO) aber nicht den Verlust der Einspruchsmöglichkeit schlechthin zur Folge (§ 362 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Einspruch kann daher erneut erhoben werden, falls die Einspruchsfrist (§ 355 AO) noch nicht abgelaufen ist. Haben mehrere Personen Einspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt und wird der Einspruch nur von einer dieser Personen zurückgenommen, bleibt das von den anderen Einspruchsführern betriebene Verfahren weiterhin anhängig. Ggf. kommt dann eine Hinzuziehung (§ 360 AO) der Person in Betracht, die ihren Einspruch zurückgenommen hat.
Eine wirksame und damit eine „Verböserung” hindernde Einspruchsrücknahme liegt auch vor, wenn die Rücknahmeerklärung vor Ablauf des dritten Tags nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) bei der zuständigen Finanzbehörde eingeht und der Steuerpflichtige die Einspruchsentscheidung tatsächlich vor Ablauf des dreitägigen Zeitraums erhält.
Tz. 386 Aussetzung und Ruhen des Verfahrens
a) Aussetzung des Verfahrens
Es kann u. U. zweckmäßig sein, über einen eingelegten Einspruch vorerst nicht zu entscheiden, sondern zunächst den Ausgang eines anderen Verfahrens abzuwarten. Nach § 363 Abs. 1 AO kann daher die Finanzbehörde die Entscheidung über den Einspruch aussetzen, wenn sie ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.
Die abzuwartende Entscheidung eines Gerichts oder einer Behörde muss vorgreiflich für die Entscheidung über den Einspruch, nicht aber bindend i. S. eines Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO) sein. Es genügt, dass sich die abzuwartende Entscheidung inhaltlich auf die im Einspruchsverfahren zu treffende Sachentscheidung auswirkt. Derartige Entscheidungen können z. B. sein:
Rechtsgestaltende Entscheidungen anderer Behörden oder Gerichte (z. B. Scheidungsurteil, Adoptionsentscheidung);
Entscheidungen im Veranlagungsverfahren über die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht, wenn hiervon die Erstattung von Kapitalertragsteuer aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen abhängt (, BStBl 1988 II S. 600);
Entscheidung des Strafgerichts über das Vorliegen einer Steuerstraftat, wenn im Einspruchsverfahren strittige Tatbestände (z. B. Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO) an eine Steuerstraftat anknüpfen;
Entscheidungen in einem Einspruchsverfahren gegen einen Grundlagenbescheid (, BStBl 2001 II S. 33; strittig wegen der Anfechtungsbeschränkung gem. § 351 Abs. 2 AO sowie im Hinblick auf die nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bestehende Anpassungspflicht).
Ein Musterprozess – auch ein vor dem BVerfG oder dem BFH anhängiger – ist kein vorgreifliches Rechtsverhältnis i. S. des § 363 Abs. 1 AO (, BStBl 1990 II S. 944). Er kann aber eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 AO rechtfertigen.
Die Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung steht im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Der Einspruch muss aber zulässig sein, weil im Fall der Unzulässigkeit eine andere Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichts nicht „vorgreiflich” sein kann. Der Einspruchsführer muss der Verfahrensaussetzung nicht zustimmen.
b) Ruhen des Verfahrens
Nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde das Einspruchsverfahren ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Im Gegensatz zur Verfahrensaussetzung (§ 363 Abs. 1 AO) ist die Verfahrensruhe nur mit Zustimmung des Einspruchsführers möglich. Ein wichtiger Grund kann z. B. vorliegen, wenn die Entscheidung in einem Musterprozess abgewartet werden soll oder wenn der Steuerpflichtige wegen der Steuerfestsetzung für einen anderen Veranlagungszeitraum bereits Klage erhoben hat und im Einspruchsverfahren dieselbe Rechtsfrage strittig ist. Die Entscheidung, das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen, steht im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde.
Gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruht ein Einspruchsverfahren kraft Gesetzes, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem obersten Bundesgericht (z. B. BFH) anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird („Zwangsruhe”). Dieses Gerichtsverfahren muss von präjudizieller Bedeutung sein und somit auch eine in dem Verfahren des Einspruchsführers entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffen (, BStBl 2007 II S. 222). Der Einspruchsführer muss dieses Gerichtsverfahren benennen. Um die „automatische” Verfahrensruhe eintreten zu lassen, reicht es somit nicht aus, sich „ins Blaue hinein” auf anhängige Musterverfahren zu berufen.
Eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO tritt nicht ein, soweit die Steuer nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 4 AO vorläufig festgesetzt wurde. Der Steuerfall wird dann bereits durch den Vorläufigkeitsvernerk „offen” gehalten.
Eine nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO eingetretene Verfahrensruhe endet, wenn das Gerichtsverfahren, auf das sich der Einspruchsführer berufen hat, abgeschlossen ist. Für die weitere Abwicklung des Einspruchsführers bedarf es keiner Fortsetzungsmitteilung nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO (, BStBl 2007 II S. 222). Bei der zu treffenden Entscheidung über den Einspruch ist die nunmehr maßgebliche Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen. Die Finanzbehörde muss daher auch eventuelle Rechtsänderungen berücksichtigen, die während der Verfahrensruhe eingetreten sind (, BStBl 2006 II S. 549).
Gem. § 363 Abs. 2 Satz 3 AO kann mit Zustimmung der obersten Finanzbehörde durch Allgemeinverfügung für bestimmte Gruppen gleich gelagerter Fälle angeordnet werden, dass Einspruchsverfahren auch in anderen Fällen ruhen. Eine praktische Bedeutung hat diese Vorschrift bisher nicht erlangt.
Nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO ist das Einspruchsverfahren fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt. S. hierzu Nr. 4 AEAO zu § 363.
Eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 AO scheidet aus, wenn der Einspruch unzulässig ist.
Zu den Wirkungen der Verfahrensaussetzung bzw. der Verfahrensruhe s. Nr. 3 AEAO zu § 363.
c) Ablehnung/Widerruf der Verfahrensaussetzung bzw. Verfahrensruhe
Wird ein Antrag auf Aussetzung oder Ruhen des Einspruchsverfahrens abgelehnt oder die Verfahrensaussetzung bzw. Verfahrensruhe widerrufen, kann die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend gemacht werden. Dies gilt auch, wenn die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO die Fortsetzung eines bisher ruhenden Einspruchsverfahrens mitteilt.
d) Verfahrensaussetzung oder Verfahrensunterbrechung nach ZPO
Neben den in der AO geregelten Fällen kann unter den Voraussetzungen der insoweit sinngemäß anwendbaren §§ 239 ff. ZPO aus weiteren Gründen eine Verfahrensaussetzung oder eine Verfahrensunterbrechung in Betracht kommen, z. B. bei Tod des Einspruchsführers (§ 239 ZPO) oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers (§ 240 ZPO).
Tz. 387 Mitteilung der Besteuerungsunterlagen
Soweit noch nicht geschehen, hat die Finanzbehörde den Beteiligten am Einspruchsverfahren (§ 359 AO) die Unterlagen der Besteuerung mitzuteilen, und zwar entweder auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs hierzu Anlass gibt, von Amts wegen.
Im Gegensatz zu § 91 AO handelt es sich bei § 364 AO um eine Mussvorschrift, die z. B. Informationspflichten gegenüber einem Hinzugezogenen (§ 360 AO), einem Gesamtrechtsnachfolger (, BStBl 1992 II S. 9) oder einem Haftungsschuldner (, BStBl 1978 II S. 402) begründet.
Ferner kann ein Anspruch auf Auskunft oder Akteneinsicht bestehen; s. hierzu , BStBl 2009 I S. 6.
Tz. 388 Erörterung des Sach- und Rechtsstands
Um eine einvernehmliche Erledigung von Einspruchsverfahren zu fördern, sieht § 364a AO vor, dass auf Antrag eines Einspruchsführers (nicht aber eines nach § 360 AO Hinzugezogenen) eine mündliche Erörterung des Sach- und Rechtsstands durchgeführt werden soll. Die Finanzbehörde kann auch ohne Antrag des Einspruchsführers diesen und weitere Beteiligte zu einer Erörterung laden.
Eine vom Einspruchsführer beantragte mündliche Erörterung darf abgelehnt werden, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen, z. B. wenn der Einspruchsführer offensichtlich nur eine Verfahrensverschleppung beabsichtigt, er seiner Steuererklärungspflicht bisher nicht nachgekommen ist, wenn die Finanzbehörde dem Einspruch abhelfen will oder wenn das Einspruchsverfahren nach § 363 AO ausgesetzt ist oder ruht. Die Finanzbehörde kann ferner von einer mündlichen Erörterung absehen, wenn diese mit mehr als zehn Beteiligten geführt werden müsste und die Beteiligten keinen gemeinsamen Vertreter bestellt haben (§ 364a Abs. 2 AO).
Die Erörterung kann ggf. auch telefonisch durchgeführt werden (Nr. 5 AEAO zu § 364a).
§ 364a Abs. 2 AO stellt klar, dass sich die Beteiligten auch bei der mündlichen Erörterung durch einen Bevollmächtigten (§ 80 AO) vertreten lassen können.
Um Informationen (insbesondere über Sachverhaltsfragen) aus erster Hand zu erlangen, kann es u. U. geboten sein, den Beteiligten persönlich zu laden. Das persönliche Erscheinen ist allerdings nicht erzwingbar.
Tz. 389 Fristsetzung
Nach § 364b Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde vom Einspruchsführer verlangen, die Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt (zur Beschwer vgl. § 350 AO), innerhalb einer bestimmten Frist anzugeben. Die Finanzbehörde kann den Einspruchsführer unter Fristsetzung auffordern, sich zu bestimmten klärungsbedürftigen Vorgängen zu äußern. Schließlich kann die Finanzbehörde verlangen, dass ihr innerhalb einer bestimmten Frist Beweismittel bezeichnet oder Urkunden vorgelegt werden, zu deren Vorlage der Einspruchsführer verpflichtet ist.
Eine Fristsetzung nach § 364b AO kann nur gegenüber dem Einspruchsführer, nicht aber gegenüber einem Hinzugezogenen (§ 360 AO) ergehen. Ob die Finanzbehörde von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch macht, steht in ihrem Ermessen (§ 5 AO). Die Finanzämter sind angewiesen, § 364b AO insbesondere in Einspruchsverfahren anzuwenden, die einen Schätzungsbescheid nach Nichtabgabe der Steuererklärung zum Gegenstand haben (Nr. 1 AEAO zu § 364b).
Nach pflichtgemäßem Ermessen ist auch über die Dauer der zu setzenden Frist zu entscheiden. Gem. Nr. 2 AEAO zu § 364b soll die Frist mindestens einen Monat betragen.
Hat die Finanzbehörde wirksam eine Frist nach § 364b AO gesetzt, bleiben Erklärungen und Beweismittel, die der Einspruchsführer erst nach Ablauf der Frist vorbringt, im Einspruchsverfahren unberücksichtigt. Die Finanzbehörde hat insoweit kein Ermessen (§ 364b Abs. 2 Satz 1 AO). Dies gilt auch für solche Erklärungen, die nach Fristablauf, aber noch vor Erlass der Einspruchsentscheidung der Finanzbehörde zugehen. Die verspätet vorgebrachten Erklärungen oder Beweismittel können aber im Rahmen einer „Verböserung” (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) berücksichtigt werden (§ 364b Abs. 2 Satz 2 AO). Ferner bleiben Korrekturmöglichkeiten aufgrund von Vorschriften außerhalb des Einspruchsverfahrens bestehen. Eine Änderung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen (§ 173 AO) wird aber i. d. R. nicht möglich sein, da ein die Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen ausschließendes grobes Verschulden vorliegen dürfte.
Der Einspruchsführer ist mit der Fristsetzung über die Rechtsfolgen der Fristsetzung zu belehren (§ 364b Abs. 3 AO). Belehrt werden muss nur über die Rechtsfolgen im Einspruchsverfahren, nicht aber auch über die Auswirkungen auf ein finanzgerichtliches Verfahren.
Gem. Nr. 4 AEAO zu § 364b kann die Frist aufgrund eines vor ihrem Ablauf gestellten Antrags verlängert werden. Nach Fristablauf kommt nur eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) in Betracht (§ 364b Abs. 2 Satz 3 AO).
Ob die Fristsetzung nach § 364b AO einen Verwaltungsakt (§ 118 AO) darstellt und sie bei Bejahung der Verwaltungseigenschaft mit dem Einspruch angefochten werden kann, ist umstritten. Nach Nr. 4 AEAO zu § 364b ist über Einwendungen gegen die Fristsetzung – soweit nicht abgeholfen wird – im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch gegen den Steuerbescheid zu entscheiden. Jedenfalls entfällt das Rechtsschutzbedürfnis (s. hierzu Tz. 373, d) für einen selbständigen Einspruch gegen die Fristsetzung, wenn in der Hauptsache eine Einspruchsentscheidung erlassen wird (, BStBl 1999 II S. 664).
Wird nach einer Einspruchsentscheidung, die verspätetes Vorbringen gem. § 364b AO nicht berücksichtigt, Klage erhoben, hat das Finanzgericht zunächst zu prüfen, ob die Fristsetzung ordnungsgemäß ergangen ist und ob Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegen. Ist das Gericht der Auffassung, dass die Fristsetzung nicht ordnungsgemäß ergangen oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, hat es die Einspruchsentscheidung nach einem entsprechenden Klageantrag aufzuheben. Andernfalls kann das Finanzgericht nach § 76 Abs. 3 FGO die verspätet vorgebrachten Erklärungen oder Beweismittel ebenfalls zurückweisen. Unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 79b Abs. 3 FGO kann es aber nach eigenem Ermessen das nachträgliche Vorbringen auch berücksichtigen (s. z. B. , BStBl 2000 II S. 354). Unabhängig von § 76 Abs. 3 FGO darf das Finanzgericht ggf. selbst nach § 79b FGO eine Ausschlussfrist setzen.
Trotz einer rechtmäßigen Fristsetzung kann die Finanzbehörde in einem nachfolgenden Klageverfahren einen Abhilfebescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO erlassen (, BStBl 2004 II S. 833).
Tz. 390 Anwendung von Verfahrensvorschriften
Soweit der 7. Teil der AO keine besonderen Regelungen enthält, gelten für das Einspruchsverfahren die für den Erlass des angefochtenen oder begehrten Verwaltungsakts einschlägigen Vorschriften sinngemäß (§ 365 Abs. 1 AO). So sind beispielsweise auch im Einspruchsverfahren die Regelungen über die Vertretung durch Bevollmächtigte (§ 80 AO), die Amtsermittlungspflicht der Behörde (§ 88 AO), die Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 90 AO), die Auskunftspflichten der Beteiligten und anderer Personen (§ 93 AO), die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) sowie über die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) anwendbar.
Bei Einholung mündliche Auskünfte (§ 93 Abs. 5 AO), bei der mündlichen Erstattung eines Gutachtens (§ 96 Abs. 7 Satz 2 AO) und bei Einnahme des Augenscheins (§§ 98–100 AO) ist den Beteiligten und ihren Bevollmächtigten Gelegenheit zu geben, an der Beweisaufnahme teilzunehmen (§ 365 Abs. 2 AO).
Die Finanzbehörde darf auch nach Einlegung eines Einspruchs den angefochtenen Verwaltungsakt zurücknehmen (§ 130 AO), widerrufen (§ 131 AO), aufheben oder ändern (§§ 172 ff. AO), wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift erfüllt sind (§ 132 Satz 1 AO). Nach einer Änderung oder Ersetzung wird gem. § 365 Abs. 3 Satz 1 AO der neue Verwaltungsakt „automatisch” Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Dies gilt entsprechend, wenn ein Verwaltungsakt wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO berichtigt wird oder wenn ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen, unwirksamen Verwaltungsakts tritt, z. B. wenn ein Bekanntgabemangel durch eine erneute und diesmal fehlerfreie Bekanntgabe geheilt wird (s. hierzu auch Tz. 142). Eine „Änderung” i. S. des § 365 Abs. 3 AO liegt auch dann vor, wenn während des Einspruchsverfahren dem angefochtenen Verwaltungsakt eine unselbständige Nebenbestimmung – wie z. B. ein Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO) oder ein Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) – beigefügt oder wenn eine derartige Nebenbestimmung aufgehoben wird (, BStBl 2003 II S. 112).
Ein Teilwiderruf nach § 130 AO oder eine Teilrücknahme nach § 131 AO ist zwar keine „Änderung” i. S. des § 365 Abs. 3 AO. Nach einem Teilwiderruf oder einer Teilrücknahme bleibt aber der Verwaltungsakt – wenn auch eingeschränkt – bestehen und das Einspruchsverfahren somit ebenfalls anhängig (, BStBl 1982 II S. 292).
Nach Auffassung des , BStBl 2000 II S. 454) und der Finanzverwaltung (Nr. 2 AEAO zu § 365) liegt ein Fall der „Ersetzung” auch dann vor, wenn sich ein mit dem Einspruch angefochtener Vorauszahlungsbescheid mit Wirksamwerden der Jahressteuerfestsetzung erledigt (strittig).
Die Wirkungen des § 365 Abs. 3 AO treten nur ein, wenn der Einspruch zulässig ist (, BStBl 2000 II S. 490). Kein Fall des § 365 Abs. 3 AO liegt vor, wenn durch die Änderung oder Ersetzung des Verwaltungsakts dem Einspruch voll abgeholfen wird; das Einspruchsverfahren ist dann abgeschlossen (, BStBl 2007 II S. 736). § 365 Abs. 3 AO ist auch nicht anwendbar, wenn der Verwaltungsakt innerhalb einer noch laufenden Einspruchsfrist geändert wird und der Steuerpflichtige gegen den ersten Verwaltungsakt noch keinen Einspruch eingelegt hatte.
Auf Änderungen außerhalb des Einspruchsverfahrens ist § 365 Abs. 3 AO nicht anwendbar (, BStBl 2007 II S. 236).
Für das finanzgerichtliche Verfahren enthält § 68 FGO eine dem § 365 Abs. 3 AO entsprechende Regelung.
Tz. 391 Form, Inhalt und Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
Wird eine Einspruchsentscheidung erforderlich (s. hierzu § 367 AO), ist diese schriftlich zu erteilen und mit einer Begründung zu versehen. Die Begründung muss auf den konkreten Fall abstellen und aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar sein, sodass der Betroffene die Erfolgsaussichten einer Klage abschätzen kann. Die Einspruchsentscheidung ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Eine unterlassene oder fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung hat zur Folge, dass die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt wird (§ 55 FGO).
Die Einspruchsentscheidung ist den Beteiligten (§ 359 AO) – somit dem Einspruchsführer und den ggf. hinzugezogenen Personen (§ 360 AO) – zu übermitteln. Sie kann durch einfachen Brief bekannt gegeben werden. Eine förmliche Zustellung ist nur erforderlich, wenn sie von der Finanzbehörde angeordnet wurde (§ 122 Abs. 5 Satz 1 AO). Zur Bekanntgabe und zur förmlichen Zustellung s. Tz. 142. Unter den Voraussetzungen des § 87a Abs. 1 und 4 AO kann die Einspruchsentscheidung auch in elektronischer Form übermittelt werden. Eine Bekanntgabe durch Telefax ist ebenfalls zulässig (, BStBl 1999 II S. 48).
Tz. 392 Entscheidung über den Einspruch
a) Zuständige Finanzbehörde
Über den Einspruch entscheidet die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 367 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies gilt unabhängig davon, ob ein gebundener Verwaltungsakt (z. B. Steuerbescheid) oder eine Ermessensentscheidung (z. B. Ablehnung einer Stundung nach § 222 AO) angefochten wurde. Innerhalb der zur Entscheidung berufenen Finanzbehörde können besondere Rechtsbehelfsstellen für die Einspruchsbearbeitung zuständig sein.
Ist nach Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts eine andere Finanzbehörde zuständig geworden, entscheidet die neu zuständige Behörde. Eine bisher örtlich zuständige Finanzbehörde (§§ 17 ff. AO) kann aber das Einspruchsverfahren fortführen und abschließen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt (§ 367 Abs. 1 Satz 2 AO). Bei einer Änderung der sachlichen Zuständigkeit (§ 16 AO) gilt dies nicht.
Richtet sich ein Einspruch gegen einen Verwaltungsakt, den eine Behörde („Hilfsstelle”) aufgrund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, entscheidet die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch. Die für die zuständige Finanzbehörde handelnde Behörde ist aber berechtigt, dem Einspruch abzuhelfen (§ 367 Abs. 3 AO). Dies gilt z. B. in den Fällen des § 16 Abs. 5 und des § 18 Abs. 5 UStG (Mitwirkung der Zollbehörden bei der Verwaltung der Umsatzsteuer), nicht aber für Einsprüche gegen Entscheidungen der Gemeinden über eine Eintragung auf der Lohnsteuerkarte (, BStBl 1983 II S. 520). Über Einsprüche in Kindergeldangelegenheiten sowie in Angelegenheiten der Altersvorsorgezulage entscheiden unbeschadet der fachlichen Weisungsbefugnis des Bundeszentralamtes für Steuern (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 und 18 FVG) die Familienkassen bzw. die Deutsche Rentenversicherung Bund in eigener sachlicher Zuständigkeit und nicht als „Hilfsstellen” des Bundeszentralamtes für Steuern.
b) Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs
Vor einer Sachentscheidung hat die Finanzbehörde zu prüfen, ob der Einspruch zulässig ist; s. hierzu § 358 AO (Tz. 381).
c) Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts / Verböserung
Ist der Einspruch zulässig, hat die Finanzbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Welche Prüfungsintensität im Einzelfall geboten ist, hängt insbesondere von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen und den jeweiligen Umständen ab. S. auch Tz. 380. Die Finanzbehörde ist weder an die bisher vertretene Auffassung noch an Anträge des Einspruchsführers oder eines eventuell Hinzugezogenen (§ 360 AO) gebunden, wohl aber weiterhin an Weisungen der vorgesetzten Behörden.
Der Prüfungsbefugnis und -pflicht der Finanzbehörde steht das Recht des Steuerpflichtigen gegenüber, sämtliche Tatsachen oder Begründungen vorzutragen, die eine Entscheidung in seinem Sinne bewirken können, z. B. auch bisher nicht geltend gemachte steuermindernde Sachverhalte (Ausnahme: verspätetes Vorbringen nach einer wirksamen Fristsetzung gem. § 364b AO).
Die Aufklärungspflicht der Finanzbehörde wird von der Zumutbarkeit begrenzt. Auch im Einspruchsverfahren kann eine „tatsächliche Verständigung” (s. hierzu Tz. 109) getroffen werden.
Stellt die Finanzbehörde bei der Überprüfung fest, dass ihr im angefochtenen Verwaltungsakt Fehler zugunsten des Einspruchsführers unterlaufen sind, darf sie den Verwaltungsakt im Einspruchsverfahren auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO; „Verböserung”), wenn der Einspruch zulässig ist ( NWB TAAAC-64343). Die Finanzbehörde muss dem Einspruchsführer vorher auf die Möglichkeit – nicht auf die Absicht – einer verbösernden Entscheidung hinweisen und ihm Gelegenheit geben, sich hierzu zu äußern. Der Einspruchsführer wird dadurch in die Lage versetzt, die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs (§ 362 AO) zu vermeiden. Nimmt der Steuerpflichtige seinen Einspruch zurück, ist eine Änderung zu seinem Nachteil gleichwohl möglich, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift (z. B. § 164 Abs. 2 oder § 173 AO) erfüllt sind. Ein unterbliebener Verböserungshinweis ist daher in derartigen Fällen unschädlich. Dies gilt aber nicht, wenn zweifelhaft ist, ob eine Änderungsmöglichkeit besteht (, BStBl 2006 II S. 576). Die Finanzbehörde ist auch dann berechtigt, eine verbösernde Einspruchsentscheidung zu erlassen, wenn sie zuvor dem Einspruch durch Erlass eines Änderungsbescheids teilweise abgeholfen hat (, BStBl 2007 II S. 83).
Ein dem angefochtenen Verwaltungsakt beigefügter Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 AO) kann auch in der Entscheidung über den Einspruch aufrechterhalten bleiben. Er ist jedoch aufzuheben, wenn im Einspruchsverfahren eine „abschließende Prüfung” i. S. des § 164 Abs. 1 AO durchgeführt wurde (Nr. 5 AEAO zu § 367). Es ist auch zulässig, einen Verwaltungsakt erstmals in der Einspruchsentscheidung mit einem Nachprüfungsvorbehalt oder einem Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) zu versehen; dies setzt aber einen vorherigen Verböserungshinweis voraus (, BStBl 1980 II S. 527).
Ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO) Gegenstand des Einspruchsverfahrens (z. B. die Ablehnung einer Stundung nach § 222 AO oder eines Erlasses nach § 227 AO), ist die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde zu einer eigenen Ermessensausübung verpflichtet. Sie darf sich nicht – wie ein Finanzgericht (vgl. § 102 FGO) – darauf beschränken zu überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Die eigene Ermessensausübung muss sich aus der Einspruchsentscheidung ergeben.
d) Abhilfe
Kommt die Finanzbehörde bei ihrer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass der Einspruch in vollem Umfang begründet ist, hat sie dem Einspruch durch Korrektur des angefochtenen oder Erlass des begehrten Verwaltungsakts abzuhelfen. Eine Vollabhilfe schließt das Einspruchsverfahren ab; einer Einspruchsentscheidung bedarf es dann nicht (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO; , BStBl 2007 II S. 736).
Ist dem Einspruch nur teilweise abzuhelfen, kann die Finanzbehörde die teilweise Abhilfe entweder in der Einspruchsentscheidung aussprechen oder durch Erlass eines entsprechend korrigierten Verwaltungsakts vornehmen, der dann neuer Gegenstand des weiterhin anhängig bleibenden Einspruchsverfahrens wird (§ 365 Abs. 3 AO).
e) Förmliche Einspruchsentscheidung
Ist der Einspruch unzulässig oder zulässig, aber ganz oder teilweise unbegründet, und wird er nicht zurückgenommen (§ 362 AO), hat die Finanzbehörde eine förmliche Einspruchsentscheidung zu erlassen. Zur Form, zum Inhalt und zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung s. § 366 AO (Tz. 391).
f) Teil-Einspruchsentscheidung
Soweit dies sachdienlich ist, kann die Finanzbehörde vorab über Teile des Einspruchs entscheiden (§ 367 Abs. 2a AO); s. hierzu Nr. 6 AEAO zu § 367.
g) Allgemeinverfügung zur Zurückweisung von Einsprüchen
Betreffen Einsprüche eine Rechtsfrage, die vom EuGH, vom BVerfG oder vom BFH entschieden worden ist, und kann den Einsprüchen nach dem Ausgang des Gerichtsverfahrens nicht abgeholfen werden, ermächtigt § 367 Abs. 2b AO die obersten Finanzbehörden, diese Einsprüche insoweit durch eine Allgemeinverfügung zurückzuweisen. S. hierzu Nr. 7 AEAO zu § 367.
Von der Möglichkeit, eine derartige Allgemeinverfügung zu erlassen, wurde bisher in zwei Fällen Gebrauch gemacht (Allgemeinverfügungen v. , BStBl 2008 I S. 746 und S. 747 zur Zurückweisung der wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und des SolZG erhobenen Einsprüche). Die am 30. 3. 2007 (BStBl 2007 I S. 274) erlassene die Grundsteuer betreffende Allgemeinverfügung betrifft lediglich außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gestellte Aufhebungs- und Änderungsanträge und wurde daher nur auf § 172 Abs. 3 AO gestützt.
Tz. 393 Exkurs: Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren
a) Verfahren vor den Finanzgerichten
Eine Klage zum Finanzgericht ist grds. erst möglich, wenn das Einspruchsverfahren für den Einspruchsführer ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Das Finanzgericht kann aber unmittelbar angerufen werden, wenn die Finanzbehörde zustimmt („Sprungklage”; § 45 FGO), wenn sie über einen Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grunds in angemessener Frist sachlich nicht entscheidet (§ 46 FGO) oder wenn das Einspruchsverfahren nicht eröffnet ist (vgl. Tz. 371).
Das Klageverfahren ist formstrenger als das Einspruchsverfahren. So muss eine Klage – wie ein Einspruch – schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden (§ 64 Abs. 1 FGO). Darüber hinaus muss sie aber auch eine Unterschrift und bestimmte Mindestangaben enthalten (Kläger, Beklagter, Gegenstand des Klagebegehrens, Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts und der Einspruchsentscheidung; § 65 Abs. 1 FGO). Unter den Voraussetzungen des § 52a FGO ist auch eine elektronische Klageerhebung möglich.
Das Finanzgericht entscheidet grds. nach einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO). Die Beteiligten können aber auf eine mündliche Verhandlung verzichten (§ 90 Abs. 2 FGO). Ferner können die Finanzgerichte in geeigneten Fällen durch einen Gerichtsbescheid im schriftlichen Verfahren entscheiden (§ 90a FGO).
Im Übrigen sind die Verfahrensregelungen weitgehend mit den Regelungen für das Einspruchsverfahren vergleichbar. Insbesondere gelten die folgenden Grundsätze:
Klage kann nur erheben, wer geltend macht, persönlich in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Auch im Klageverfahren ist somit ein „Popularrechtsbehelf” oder die abstrakte Klärung einer Rechtsfrage ausgeschlossen.
Die Klage ist grds. innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen (§ 47 FGO). Die Monatsfrist beginnt aber nur zu laufen, wenn die Einspruchsentscheidung eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthält (§ 55 FGO). Ist dies nicht der Fall, gilt eine Jahresfrist.
Aufgrund der Klage überprüft das Finanzgericht, ob der angefochtene Verwaltungsakt den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Das Finanzgericht ist hierbei an den Wortlaut der Anträge nicht gebunden. Es darf aber bei seiner Entscheidung nicht über das Klagebegehren hinausgehen (§ 96 Abs. 1 FGO), also z. B. die Steuer nicht niedriger als vom Kläger begehrt festsetzen. Es kann – im Gegensatz zur Finanzbehörde im Einspruchsverfahren – auch nicht den angefochtenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Klägers ändern; es darf also z. B. die bisher festgesetzte Steuer nicht erhöhen.
Das Klageverfahren wird abgeschlossen durch Rücknahme der Klage, Erlass eines abhelfenden Verwaltungsakts durch die beklagte Finanzbehörde oder durch Erlass eines Urteils.
Erkennt der Kläger – z. B. durch den Austausch von Schriftsätzen mit der beklagten Finanzbehörde oder in der mündlichen Verhandlung –, dass seine Klage keinen Erfolg haben wird, kann er die Klage zurücknehmen (§ 72 FGO).
Gelangt die Finanzbehörde zu der Ansicht, dass die Klage begründet ist und die Form- und Fristvorschriften beachtet worden sind, kann sie auch noch während des Klageverfahrens einen neuen Verwaltungsakt mit dem begehrten Inhalt erlassen, z. B. einen Steuerbescheid, der die Steuer jetzt in der vom Kläger beantragten Höhe festsetzt.
Ist das Finanzgericht der Auffassung, dass die Klage unzulässig (z. B., weil die Klage nicht innerhalb der Monatsfrist eingelegt oder weil sie nicht unterschrieben wurde) oder ganz oder teilweise unbegründet ist, und wird die Klage nicht zurückgenommen, muss das Finanzgericht ein Urteil erlassen (§§ 95, 100 FGO). Dieses ist schriftlich abzufassen, zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (§ 105 FGO).
b) Verfahren vor dem Bundesfinanzhof
Gegen die Urteile der Finanzgerichte ist die Revision an den BFH gegeben, wenn das Finanzgericht oder auf Nichtzulassungsbeschwerde der BFH sie zugelassen hat (§ 115 FGO). Die Revision ist zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (insbesondere wenn das Urteil des Finanzgerichts von einer Entscheidung des BFH abweicht) oder
dem Finanzgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.
Mit der Revision kann das finanzgerichtliche Urteil nur auf Rechts- und Verfahrensfehler überprüft werden. Die entscheidungserheblichen Tatsachen werden vom BFH nicht erneut ermittelt. Er ist an die vom Finanzgericht im Urteil festgestellten Tatsachen gebunden. Dies gilt nicht, wenn dem Finanzgericht bei der Tatsachenfeststellung Verfahrensfehler unterlaufen sind (§ 118 Abs. 2 FGO).
Für das Revisionsverfahren gelten grds. dieselben Vorschriften wie für das Klageverfahren. Im Gegensatz zum Verfahren vor dem Finanzgericht, in dem der Steuerpflichtige sich nicht vertreten lassen muss, besteht vor dem BFH Vertretungszwang (§ 62 Abs. 4 FGO). Ferner werden strenge Anforderung an die Begründung der Revision gestellt (§ 120 Abs. 2 und 3 FGO).
Gelangt der Revisionskläger zu der Auffassung, dass seine Revision keinen Erfolg haben wird, kann er die Revision zurücknehmen (§ 125 FGO).
Ist die Revision unzulässig – z. B., weil sie nicht zugelassen worden ist, nicht in der vorgeschriebenen Form und Frist oder nicht durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person eingelegt wurde –, wird sie durch Beschluss als unzulässig verworfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Ist die Revision nach Auffassung des BFH zwar zulässig, aber unbegründet, wird sie durch Urteil (§ 126 Abs. 2 FGO) oder durch einstimmigen Beschluss (§ 126a FGO) zurückgewiesen.
Ist die Revision nach Ansicht des BFH zulässig und begründet, kann er durch Urteil in der Sache selbst entscheiden oder die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverweisen (§ 126 Abs. 3 FGO).
c) Kostenpflicht
Das Verfahren vor den Finanzgerichten und vor dem BFH ist kostenpflichtig (§§ 135 ff. FGO).
Der Kläger hat im Falle seines Unterliegens Kosten an das Gericht zu zahlen, und zwar Gebühren (die sich nach der Höhe des Streitwerts richten) und Auslagen. Die Aufwendungen der Finanzbehörde werden nicht ersetzt (§ 139 Abs. 2 FGO).
Hatte die Klage Erfolg, werden dem Kläger grds. die ihm durch den Rechtsstreit entstanden Aufwendungen (z. B. Gebühren für die Vertretung durch einen Steuerberater oder einen Rechtsanwalt, Porto für die Übersendung der Klageschrift) erstattet. Ersetzt werden dann auch die im Einspruchsverfahren angefallenen Aufwendungen (§ 139 Abs. 1 FGO).
Mit Einreichen der Klage wird die Verfahrensgebühr fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG), die sich auf mindestens 220 € beläuft (§ 52 Abs. 4 GKG, Nr. 6110 des Kostenverzeichnisses zum GKG, Anlage 2 zu § 34 GKG). Hat die Klage Erfolg, wird die entrichtete Verfahrensgebühr dem Kläger wieder erstattet.
d) Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere wenn eine Grundrechtsverletzung behauptet wird) kann Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben werden. Die Verfassungsbeschwerde ist i. d. R. erst nach Erschöpfung des Rechtswegs (d. h. nach Vorliegen einer unanfechtbaren Entscheidung eines Finanzgerichts oder des BFH) zulässig.
Wird mit einer zulässigen Verfassungsbeschwerde geltend gemacht, dass eine gesetzliche Vorschrift verfassungswidrig ist, stellt das BVerfG in seiner Entscheidung fest, ob dies zutrifft. Es erklärt dann die gesetzliche Vorschrift entweder für mit dem GG vereinbar oder für unvereinbar bzw. für nichtig. Behauptet der Beschwerdeführer, dass die Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichts gegen die Verfassung verstößt, und teilt das BVerfG diese Auffassung, hebt es die beanstandete Entscheidung auf.
Das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist grds. kostenfrei. Das BVerfG kann dem Beschwerdeführer aber eine Gebühr auferlegen, wenn die Verfassungsbeschwerde missbräuchlich erhoben wurde.
8. Teil: Straf- und Bußgeldvorschriften, Straf- und Bußgeldverfahren
Tz. 394 Steuerstraftaten
Steuerstraftaten sind nach § 369 Abs. 1 AO
Taten, die nach den Steuergesetzen (AO und Einzelsteuergesetze, z. B. § 26c UStG, § 23 Rennwett- und Lotteriegesetz) strafbar sind. Steuerstraftaten nach der AO sind Steuerhinterziehung (§ 370 AO), Bannbruch (§ 372 AO), gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel (§ 373 AO) und Steuerhehlerei (§ 374 AO), sowohl bei Vollendung der Tat als auch bei ihrem Versuch;
Wertzeichenfälschung und deren Vorbereitung, soweit die Tat Steuerzeichen betrifft;
Begünstigung (§ 257 StGB) einer Person, die eine der vorstehend genannten Taten begangen hat. Unter den Begriff der Begünstigung fällt nur die sachliche Begünstigung, die darin besteht, dem Täter die Vorteile aus der Tat sichern zu helfen, nicht dagegen die persönliche Begünstigung, die den Zweck hat, den Täter der Strafverfolgung zu entziehen (Strafvereitelung nach § 258 StGB);
Anstiftung (§ 26 StGB) und die Beihilfe (§ 27 StGB) zu einer der vorstehenden Taten.
Für Steuerstraftaten gelten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht (StGB, StPO), soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze (insbesondere §§ 369 ff. AO) nichts anderes bestimmen (§ 369 Abs. 2 AO).
Den Steuerstraftaten gleichgestellte Straftaten sind
ungerechtfertigte Erlangung von Altersvorsorgezulagen, von Wohnungsbau-, Bergmannsprämien und von Arbeitnehmer-Sparzulagen durch Taten i. S. des § 370 AO (§ 96 Abs. 7 EStG, § 8 Abs. 2 WoPG, § 5a Abs. 2 BergPG, § 29a BerlinFG, § 14 Abs. 3 VermBG) sowie der Versuch dazu;
Betrug (§ 263 StGB) in Bezug auf Eigenheimzulage (§ 15 Abs. 2 EigZulG) und auf Investitionszulage (§ 14 InvZulG 2007);
Subventionsbetrug (§ 264 StGB) in Bezug auf Investitionszulagen (§ 14 InvZulG 2007; § 6 StahlInvZulG);
Begünstigung einer Person, die eine der vorstehend genannten Taten begangen hat (§ 257 StGB);
Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) zu einer der vorstehend genannten Taten.
Bei Straftaten, die Steuerstraftaten gleichgestellt sind, gelten die §§ 370–384 AO nicht (daher ist z. B. auch keine strafbefreiende Selbstanzeige möglich). Anwendbar sind lediglich die Verfahrensvorschriften der §§ 385 ff. AO (vgl. NWB AAAAC-48735).
Tz. 395 Steuerhinterziehung
Steuern hinterzieht, wer
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 1 AO). Steuerhinterziehung setzt Vorsatz voraus, im Falle eines Tatbestandsirrtums liegt aber kein Vorsatz vor.
Der Eintritt einer Steuerverkürzung ist Tatbestandsmerkmal des § 370 AO. Damit setzt auch die innere Tatseite der Steuerhinterziehung voraus, dass der Täter den angegriffenen Steueranspruch dem Grunde nach kennt und dessen Höhe zumindest für möglich hält. Einer genauen Kenntnis der steuerlichen Vorschriften bedarf es insoweit allerdings nicht.
Steuern sind insbesondere dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 AO). Dabei ist es unerheblich, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Auch eine unzutreffende gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO kann einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil i. S. von § 370 Abs. 1 AO darstellen. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen sowie Erstattungszinsen nach § 233a AO (vgl. NWB AAAAC-48735). Nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden.
Unerheblich ist dabei, ob die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO). Wegen des Kompensationsverbots hat es zwar keine tatbestandlichen Auswirkungen, wenn der Täter einer (Umsatz-)Steuerhinterziehung tatsächlich entstandene Vorsteuern nicht geltend gemacht hat. Ein nicht geltend gemachter Vorsteuerabzug kann aber zu einer Minderung der nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden verschuldeten Auswirkungen der Tat führen ( NWB DAAAC-69950).
Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO ist als solcher nicht nach § 370 AO strafbar, sondern nur dann, wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern (, BStBl 1983 II S. 534).
Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist grds. als selbständige Tat i. S. von § 53 StGB zu werten. Fällt die Abgabe mehrerer Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammen, kann ausnahmsweise dann Tateinheit vorliegen, wenn in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind.
Strafbar ist zunächst einmal die vollendete Steuerhinterziehung. In den Fällen, in denen eine Steuer festzusetzen ist, tritt Vollendung bei Abgabe einer Steuererklärung erst mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids ein (, HFR 1984 S. 392). Ist – wie bei der Umsatzsteuer – eine Fälligkeitssteuer anzumelden, kann allerdings schon eine falsche Steueranmeldung zur vollendeten Steuerverkürzung führen, weil sich eine besondere Steuerfestsetzung erübrigt; die Steueranmeldung steht dann mit Eingang bei der Finanzbehörde einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Wenn die Steueranmeldung allerdings zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung führen soll, gilt die Steueranmeldung erst dann als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Finanzbehörde nach § 168 AO zustimmt. Erst mit der Zustimmung der Finanzbehörde ist die Steuerhinterziehung vollendet (vgl. , HFR 1989 S. 685).
Aber auch der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar (§ 370 Abs. 2 AO). Nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung strafloser Vorbereitungshandlungen vom strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Gefährdungshandlungen vor, die nach der Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbar räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los” überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht. Dabei ist im Einzelfall bei der Abgrenzung in wertender Betrachtung auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen. Der Versuch der Steuerhinterziehung ist erst mit Bestandskraft des Steuerbescheids fehlgeschlagen (vgl. , wistra 1991 S. 300).
Bei der Abgrenzung von Versuch und Vollendung der Einkommensteuerhinterziehung im Fall der pflichtwidrigen Nichtabgabe der Steuererklärung bei steuerlicher Veranlagung aufgrund ist Folgendes zu beachten (vgl. III 2 Ss 139/04 - 6/05 III, wistra 2005 S. 353):
Schätzungsbescheid (§ 162 AO) nach Veranlagungsschluss. Bei der Einkommensteuer als Veranlagungssteuer ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassen bereits dann vollendet, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für den betreffenden Besteuerungszeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat und den Steuerpflichtigen bei pflichtgemäßer Abgabe der Steuererklärung somit spätestens zu diesem Zeitpunkt veranlagt hätte. Nach dem Inhalt eines Steuerbescheids entscheidet sich, ob die Steuer auf Dauer oder nur auf Zeit verkürzt wurde. Bei der Steuerverkürzung auf Zeit spielt der Inhalt des Steuerbescheids grds. keine Rolle. Ob eine Steuer „nicht rechtzeitig festgesetzt” wurde, ist ausschließlich eine Zeitfrage. Es kommt nur darauf an, ob eine Steuer vor oder nach einem bestimmten Zeitpunkt festgesetzt worden ist. Wurde sie bis zu dem maßgebenden Zeitpunkt nicht festgesetzt, ist dies der Verkürzungserfolg. Ob die Steuer dann später zu hoch oder zu niedrig festgesetzt wird, ist nur für die Frage von Bedeutung, ob zusätzlich zu der Verkürzung auf Zeit eine Verkürzung auf Dauer eintritt oder nicht. Der Eintritt des Erfolgs der Steuerverkürzung auf Zeit und damit die Qualifikation als vollendete Tat kann nicht nachträglich dadurch ungeschehen gemacht werden, dass das Finanzamt später einen auf einer Schätzung beruhenden Einkommensteuerbescheid erlässt, durch den die Steuer richtig oder zu hoch festgesetzt wird.
Schätzungsbescheid vor Veranlagungsschluss. Wird vor Veranlagungsschluss eine auf Schätzung beruhende Veranlagung des Steuerpflichtigen vorgenommen und ist diese Schätzung zu niedrig, ist die Tat damit bereits vollendet. Denn die Steuerhinterziehung ist ein Gefährdungsdelikt und nach § 370 Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz AO bereits dann gegeben, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird. Bei einer auf Schätzung beruhenden richtigen oder zu hohen Veranlagung des Steuerpflichtigen vor Veranlagungsschluss liegt jedoch lediglich Versuch vor. Denn der vom Steuerpflichtigen beabsichtigte Erfolg, sich seinen einkommensteuerlichen Pflichten zu entziehen, ist durch die erfolgte – gegenüber den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen richtige oder überhöhte – Veranlagung aufgrund von Schätzungen gerade vereitelt worden. Da kein Verkürzungserfolg mehr eintritt, kann sich die Tat nicht mehr vollenden.
Die Strafe für Steuerhinterziehung ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. In besonders schweren Fällen beträgt die Strafe allerdings Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO). Ein besonders schwerer Fall liegt nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO i. d. R. vor, wenn der Täter
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht,
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, oder
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer (vollendeten) Steuerhinterziehung verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchsteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile erlangt.
Das Vorliegen eines besonders schweren Falles i. S. von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO ist in einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen, wobei dem Umfang der Steuerverkürzung je nach den Umständen des Einzelfalls indizielle Bedeutung für die Schwere der Tat zukommt (vgl. , wistra 1993 S. 109). Der Steuerschaden bestimmt daher auch maßgeblich die Höhe der Strafe. Dabei kommt der gesetzlichen Vorgabe des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO indizielle Bedeutung zu, wonach bei einer Hinterziehung in „großem Ausmaß” i. d. R. nur eine Freiheitsstrafe, und zwar von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, angedroht ist. Der NWB WAAAD-03102 ausgeführt, dass ein großes Ausmaß dann vorliegt, wenn der Steuerschaden über 50.000 € liegt. Das bedeutet, dass jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein wird. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht. Bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag) wird auch eine Erledigung im Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen, da hier nur eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verhängt werden kann.
Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten – und erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden in Betracht, einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des BMF. Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Er darf Schätzungen der Finanzbehörden nur dann übernehmen, wenn er von ihrer Richtigkeit unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt ist ( NWB MAAAC-47921).
§ 370 AO gilt auch für Taten, die im Ausland begangen werden (§ 370 Abs. 7 AO).
Tz. 396 Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung
Wer im Fall einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit nach § 371 Abs. 1 AO straffrei. § 371 Abs. 2 AO enthält allerdings besondere Ausschlusstatbestände, während § 371 Abs. 3 AO bei vollendeter Steuerverkürzung den Eintritt der Straffreiheit an die kurzfristige Zahlung der hinterzogenen Steuer knüpft. § 371 AO schließt die Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB über den Rücktritt vom Versuch nicht aus.
Straffreiheit tritt nach § 371 Abs. 2 AO aber nicht ein, wenn
vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist oder
die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.
Durch das Erscheinen eines Amtsträgers der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung wird die Straffreiheit des Steuerpflichtigen durch Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung nur für diejenigen Steuerarten ausgeschlossen, auf welche sich die Prüfungsanordnung nach § 196 AO erstreckt. Die Sperrwirkung erfordert nicht auch den tatsächlichen Beginn von Ermittlungsmaßnahmen.
Die Tat ist noch nicht bei bloßem Verdacht, sondern erst dann „entdeckt”, wenn bei ihrer vorläufigen Bewertung die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung gegeben ist.
Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, tritt für einen an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, soweit er die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 3 AO).
Tz. 397 Bannbruch
Die Steuerstraftat des Bannbruchs begeht, wer Gegenstände entgegen einem Verbot einführt, ausführt oder durchführt. Der Täter wird nach § 370 Abs. 1, 2 AO bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften als Zuwiderhandlung gegen ein Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbot mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht ist. Der Tatbestand des Bannbruchs tritt daher z. B. hinter § 11 Abs. 4 Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz zurück.
Tz. 398 Gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel
Wer gewerbsmäßig Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzieht oder gewerbsmäßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften Bannbruch begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft (wie besonders schwere Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO). In minder schweren Fällen beträgt die Strafe aber nur Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe (wie „einfache” Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO). Auch der Versuch ist strafbar (§ 373 Abs. 3 AO). Strafbar sind auch Taten, die im Ausland begangen wurden (§ 373 Abs. 4 i. V. mit § 370 Abs. 7 AO).
Nach § 373 Abs. 2 AO wird ebenso bestraft, wer
eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich führt,
eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder des Bannbruchs verbunden hat, eine solche Tat begeht.
Im Regelfall beträgt die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; in minder schweren Fällen beträgt die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
Bei § 373 AO handelt es sich um eine unselbständige tatbestandliche Abwandlung des § 370 AO. Die strafschärfenden Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und Bandenzugehörigkeit in § 373 AO stellen besondere persönliche Merkmale i. S. des § 28 Abs. 2 StGB dar.
Die Hinterziehung deutscher Tabaksteuer stellt keinen Schmuggel (§ 373 AO) dar. § 373 AO erfasst diese Verbrauchsteuer als Einfuhrabgabe nur dann, wenn die Zigaretten unmittelbar aus einem Nicht-Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden. Das Überführen von vorschriftswidrig in einen anderen Mitgliedstaat eingeführten Zigaretten nach Deutschland (zum Zwecke der Veräußerung auf dem Schwarzmarkt) ohne Inanspruchnahme des innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens ist ein gewerbliches Verbringen. Mit der Missachtung der Pflicht zur unverzüglichen Abgabe einer Steuererklärung nach dem Verbringen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland wird die deutsche Tabaksteuer nach § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 AO verkürzt. Werden aus Asien stammende Zigaretten per Schiff versteckt unter zu verzollender Ware nach Deutschland transportiert und über die Freihäfen Hamburg und Bremerhaven eingeführt, stellt dies einen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggel i. S. von § 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. mit § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Darüber hinaus liegt wegen der unvollständigen Gestellung und Zollanmeldung eine Verkürzung der Einfuhrabgaben auf die Zigaretten nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO vor (vgl. NWB FAAAC-45197).
Tz. 399 Steuerhehlerei
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird wegen Steuerhehlerei bestraft, wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. des Art. 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 AO begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern. Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Steuerhehlerei verbunden hat, beträgt die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Auch der Versuch ist strafbar. Strafbar sind auch Taten, die im Ausland begangen wurden.
Tz. 400 Nebenfolgen
Das Gericht kann bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO, Bannbruchs nach § 372 Abs. 2 AO, gewerbsmäßigem, gewaltsamem oder bandenmäßigem Schmuggels nach § 373 AO, Steuerhehlerei (§ 374 AO) oder Begünstigung einer Person, die eine der vorgenannten Taten begangen hat, die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 StGB). Voraussetzung ist allerdings, dass eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt wurde.
Ist eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO, ein Bannbruch nach § 372 Abs. 2 AO, gewerbsmäßiger, gewaltsamer oder bandenmäßiger Schmuggel nach § 373 AO oder Steuerhehlerei (§ 374 AO) begangen worden, können nach § 375 Abs. 2 AO
Erzeugnisse, Waren und anderen Sachen, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. des Art. 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes, der Bannbruch oder die Steuerhehlerei bezieht, und
Beförderungsmittel, die zur Tat benutzt worden sind,
eingezogen werden. Dabei ist auch § 74a StGB anzuwenden.
Tz. 401 Verfolgungsverjährung
In den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–5 AO genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung beträgt die Verjährungsfrist nach § 376 Abs. 1 AO zehn Jahre. In allen anderen Fällen gelten die allgemeinen Regelungen der StPO, die Verjährungsfrist in diesen Fällen beträgt fünf Jahre.
Die Verjährung der Verfolgung einer Steuerstraftat wird auch dadurch unterbrochen, dass dem Beschuldigten die Einleitung des Bußgeldverfahrens bekannt gegeben oder diese Bekanntgabe angeordnet wird.
Tz. 402 Bußgeldvorschriften
Steuerordnungswidrigkeiten sind nach § 377 AO Zuwiderhandlungen, die nach den Steuergesetzen mit Geldbuße geahndet werden können. Steuerordnungswidrigkeiten sind insbesondere:
leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO),
Steuergefährdung (§ 379 AO),
Gefährdung der Abzugsteuern (§ 380 AO),
unzulässiger Erwerb von Steuererstattungs- und Vergütungsansprüchen (§ 383 AO),
die zweckwidrige Verwendung des Identifikationsmerkmals nach § 139a AO (§ 383a AO),
Ordnungswidrigkeiten nach § 50e Abs. 1, §§ 50f und 96 Abs. 7 EStG,
unbefugte Hilfeleistung in Steuersachen (§ 160 Abs. 1 StBerG),
unbefugte Benutzung der Bezeichnung Steuerberatungsgesellschaft usw. (§ 161 StBerG),
Verletzung der den Lohnsteuerhilfevereinen obliegenden Pflichten (§ 162 StBerG),
Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Verbindung mit einer Hilfeleistung in Lohnsteuersachen (§ 163 StBerG).
Die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten nach den §§ 378–380 AO verjährt in fünf Jahren (§ 384 AO).
Tz. 403 Strafverfahren
Für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten gelten, soweit die §§ 385 ff. AO nichts anderes bestimmen, die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich die StPO, das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und das Jugendgerichtsgesetz. Zu beachten sind auch die Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Befugnisse der Steuerfahndung ergeben sich aus den §§ 208 und 404 AO.
Die Finanzbehörde ist gem. § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit (vgl. § 386 ff. AO) wegen aller verfolgbaren Straftaten ohne Ansehen der Person einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Das Legalitätsprinzip ist Ausprägung des Rechtsstaatsgedankens und gewährleistet den auch im Strafverfahren geltenden Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Von der Verfolgung einer Straftat kann, wenn die Verfolgungsvoraussetzungen an sich gegeben sind, nur in gesetzlich bestimmten Fällen abgesehen werden. Bei tatsächlichen Zweifeln über die Schuld- und Straffrage gilt für die abschließenden Entscheidungen der Finanzbehörden der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten”.
Die Finanzbehörde hat auch Umstände, die sich zugunsten des Beschuldigten auswirken können, von Amts wegen zu ermitteln und zu berücksichtigen (§ 160 Abs. 2 StPO). Sie hat, auch zugunsten des Beschuldigten, für die Erhebung und Sicherung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu befürchten ist (§§ 399, 402 AO, § 160 Abs. 2, § 163 Abs. 1 StPO).
Das Finanzamt führt das Ermittlungsverfahren unbeschadet des Rechts der Staatsanwaltschaft gem. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO selbständig durch, wenn die Tat
ausschließlich eine Steuerstraftat (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO) oder eine dieser gleich gestellte Tat darstellt (vgl. § 369 AO),
zugleich andere Strafgesetze verletzt und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen (§ 386 Abs. 2 Nr. 2 AO), z. B. Beiträge an Industrie- und Handelskammern, deren Höhe sich nach dem Gewerbesteuermessbetrag richtet.
Soweit die Finanzbehörde das Strafverfahren selbständig durchführt, nimmt sie die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen (§ 399 Abs. 1 AO), z. B. Befugnis für Anträge auf richterliche Untersuchungshandlungen (§ 162 StPO), Anordnung von Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Gefahr im Verzuge (§ 98 Abs. 1, § 105 Abs. 1 StPO), Durchsicht von Papieren (§ 110 Abs. 1 StPO), Durchsetzung der Pflicht zum Erscheinen von Beschuldigten (§ 163a Abs. 3 StPO) sowie von Zeugen und Sachverständigen (§ 161a Abs. 1 und 2 StPO), Verlangen auf Vorlage und Auslieferung von Beweisgegenständen (§ 95 StPO).
Die selbständige Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde entfällt, sobald gegen einen Beschuldigten wegen der Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen ist (§ 386 Abs. 3 AO). Die Finanzbehörde hat in diesen Fällen nur die Rechte und die Pflichten der Behörden des Polizeidiensts sowie die Befugnis zu Maßnahmen nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO. Ergibt sich in einem Steuerstrafverfahren der Verdacht, dass innerhalb des einheitlichen Lebensvorgangs, der den Gegenstand der Untersuchung bildet (§ 264 StPO), Straftaten begangen wurden, auf die sich die selbständige Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörden nicht erstreckt, sind die Vorgänge der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Stellt die Finanzbehörde fest, dass ein Steuerstrafverfahren nicht einzuleiten ist, ergeben sich jedoch Tatsachen, die auf eine andere (nicht steuerliche) Straftat schließen lassen, ist der Vorgang unter Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) und unter Beachtung des Legalitätsprinzips an die Staatsanwaltschaft abzugeben.
Führt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in Strafsachen durch, hat die Finanzbehörde nach § 402 Abs. 1 AO nur dieselben Rechte und Pflichten wie die Behörden des Polizeidiensts nach der StPO, insbesondere nach § 161 und § 163 StPO sowie die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO. Beschuldigte, Zeugen und Sachverständige sind nicht verpflichtet, auf Ladung vor ihr zu erscheinen. Die Vorgänge sind ohne Verzug der Staatsanwaltschaft zu übersenden (§ 163 Abs. 2 StPO).
Die Entscheidung über die Abgabe an die Staatsanwaltschaft (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO) ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Die unverzügliche Abgabe kommt in Betracht, wenn besondere Umstände es angezeigt erscheinen lassen, dass das Ermittlungsverfahren unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft fortgeführt wird. Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn
die Anordnung der Untersuchungshaft (§§ 112, 113 StPO) geboten erscheint;
die Strafsache besondere strafverfahrensrechtliche Schwierigkeiten aufweist;
der Beschuldigte außer einer Steuerstraftat oder einer ihr gleichgestellten Tat noch eine andere – prozessual selbständige – Straftat begangen hat und die Taten in einem einheitlichen Ermittlungsverfahren verfolgt werden sollen;
Freiheitsstrafe zu erwarten ist, die nicht im Strafbefehlsverfahren geahndet werden kann;
gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages und der gesetzgebenden Körperschaften der Länder, Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen, Angehörige der Streitkräfte anderer Staaten, Jugendliche, Heranwachsende oder vermindert Schuldfähige ermittelt wird;
ein Amtsträger der Finanzverwaltung der Beteiligung verdächtig ist.
Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Werden die Besteuerungsgrundlagen im Rahmen des Strafverfahrens ermittelt, richten sich die Rechte und Pflichten grds. nach den strafprozessualen Vorschriften. Im Strafverfahren kann der Steuerpflichtige (Beschuldigte) seine Mitwirkung verweigern, ohne dass daraus für ihn nachteilige strafrechtliche Folgen entstehen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 163a Abs. 3, 4 StPO).
Nach Einleitung des Strafverfahrens bleibt der Steuerpflichtige zwar zur Mitwirkung verpflichtet, soweit für Zwecke der Besteuerung ermittelt wird; seine Mitwirkung darf aber nicht mehr mit Hilfe von Zwangsmitteln (§ 328 AO) durchgesetzt werden (§ 393 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit Satz 2 AO). Auch schon vor Einleitung eines Strafverfahrens sind im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel unzulässig, sofern der Steuerpflichtige dadurch gezwungen würde, sich wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Anwendung von Zwangsmitteln unzulässig sein könnte, ist der Steuerpflichtige über die Rechtslage zu belehren (§ 393 Abs. 1 Satz 4 AO). Die Belehrung hat spätestens zu erfolgen, wenn der Steuerpflichtige zur Mitwirkung aufgefordert wird oder, wenn er schon zur Mitwirkung aufgefordert worden war, seine Mitwirkung fortsetzt. Eine Verletzung der Belehrungspflicht gem. § 393 Abs. 1 Satz 4 AO führt im Besteuerungsverfahren zu keinem Verwertungsverbot (, BStBl 2002 II S. 328).
Ist gegen einen Steuerpflichtigen wegen der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen ein Steuerstrafverfahren anhängig, rechtfertigt das Zwangsmittelverbot für nachfolgende Besteuerungszeiträume weder die Nichtabgabe zutreffender noch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (vgl. NWB JAAAC-07337). Das Recht zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) bleibt unberührt (, BStBl 2002 II S. 4).
Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen auch im Besteuerungsverfahren verwendet werden (§ 393 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies gilt auch für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat (vgl. dazu § 100a Abs. 1 und 2 StPO) oder soweit nach den Vorschriften der StPO Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf.
Ergibt sich der Verdacht einer verfolgbaren Steuerstraftat, ist ein Strafverfahren einzuleiten (§ 152 Abs. 2 StPO; sog. Legalitätsprinzip). Ein Verdacht besteht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer schuldhaften Steuerverkürzung begründet noch keinen Verdacht. Liegen Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vor, reichen die Erkenntnisse jedoch nicht aus, um den erforderlichen Verdacht zu begründen, sind ggf. Vorermittlungen durchzuführen. Vorermittlungen sind allgemeine und informatorische Maßnahmen zur Gewinnung von Erkenntnissen, ob ein Verdacht gegeben und ein Ermittlungsverfahren durchzuführen ist.
Ein Strafverfahren wird mit jeder Maßnahme eingeleitet, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat i. S. des § 369 AO vorzugehen (§ 397 AO). Dient eine Maßnahme nur der Prüfung, ob ein Verdacht vorliegt, stellt sie noch keine Einleitung dar. Ein Strafverfahren wird spätestens eingeleitet durch die Vernehmung eines Beschuldigten oder Zeugen, durch eine Durchsuchung oder Beschlagnahme. Werden diese Maßnahmen aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt, liegt die Einleitung bereits in der Antragstellung.
Die Einleitung des Strafverfahrens ist dem Beschuldigten spätestens mitzuteilen, wenn er aufgefordert wird, Auskünfte zu geben oder Unterlagen vorzulegen, die mit der Straftat zusammenhängen, auf die sich der Verdacht erstreckt (§ 397 Abs. 3 AO). Erfordert es der Untersuchungszweck, vor der Vernehmung des Beschuldigten zunächst andere Ermittlungen vorzunehmen, z. B. Vernehmungen von Zeugen, braucht ihm die Einleitung erst bekannt gegeben zu werden, wenn er um Mitwirkung gebeten wird. Sofern nicht schon vorher ein Anlass besteht, den Steuerpflichtigen gem. § 393 Abs. 1 Satz 4 AO zu belehren, hat diese Belehrung spätestens mit der Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens zu erfolgen.
Tz. 404 Bußgeldverfahren
Im Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten gelten, soweit die §§ 409 - 412 AO und die in § 410 Abs. 1 Nr. 1–12 AO aufgeführten und entsprechend anwendbaren Vorschriften der AO über das Strafverfahren keine speziellere Regelung treffen, die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OWiG – (§ 410 Abs. 1 AO) und nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren. Bei Ordnungswidrigkeiten nach dem StBerG ist § 164 StBerG zu beachten.
Die Finanzbehörde hat im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten, soweit das OWiG nichts anderes bestimmt (§ 46 Abs. 2 OWiG), und somit grds. die gleichen Ermittlungsbefugnisse wie bei der Verfolgung von Steuerstraftaten im selbständigen Verfahren.
Die Finanzbehörde hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 47 Abs. 1 OWiG Ordnungswidrigkeiten nach pflichtgemäßem Ermessen zu verfolgen (Opportunitätsprinzip). Das Opportunitätsprinzip ermöglicht es der Finanzbehörde, von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit auch dann abzusehen, wenn die Verfolgungsvoraussetzungen an sich vorliegen. Auch bei Verdacht einer steuerlichen Ordnungswidrigkeit braucht sie daher ein Bußgeldverfahren nicht einzuleiten oder kann die Verfolgung, ggf. auch erst im späteren Verlauf des Verfahrens, in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht begrenzen oder ganz von ihr absehen.
Hält die Finanzbehörde aufgrund der Ermittlungen eine Ordnungswidrigkeit nicht für erwiesen oder besteht ein endgültiges Verfahrenshindernis, stellt sie das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO ein; erscheint die Verfolgung nicht geboten, stellt sie das Verfahren nach § 47 Abs. 1 OWiG ein. Hält die Finanzbehörde nach Abschluss der Ermittlungen die Ordnungswidrigkeit für erwiesen und die Ahndung mit einer Geldbuße für geboten, vermerkt sie den Abschluss der Ermittlungen in den Akten (§ 61 OWiG) und erlässt einen Bußgeldbescheid (§§ 65, 66 OWiG). Dem Betroffenen ist eine unterzeichnete und mit Dienstsiegel versehene Ausfertigung des Bußgeldbescheids zuzustellen (§ 412 Abs. 1 AO, § 51 Abs. 2 OWiG).
9. Teil: Schlussvorschriften
§ 413 AO trägt dem Zitiergebot des Grundgesetzes Rechnung. Es wird ausdrücklich angeordnet, dass die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), des Briefgeheimnisses sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nach Maßgabe der AO eingeschränkt werden.
§ 415 AO enthält Regelungen zum Inkrafttreten und zur Anwendung. Weitergehende Anwendungsregelungen enthalten Art. 97 und 97a EGAO.
Fundstelle(n):
NWB Online Beitrag 2009
HAAAD-16142