BFH Urteil v. - IX R 9/05

Festsetzung von Verspätungszuschlägen; Androhung eines Zwangsgeldes; wiederholt verspätete Abgabe der Steuererklärung

Leitsatz

Die Androhung eines Zwangsgelds schließt die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nicht aus. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist nicht deshalb treu- und ermessenswidrig, weil das Finanzamt in den Steuerbescheiden der Vorjahre, die aufgrund verspäteter Steuererklärungen erlassen wurden, nicht auf die Möglichkeit der Verhängung von Verspätungszuschlägen hingewiesen hat. Das Finanzamt kann schon bei erstmaliger Fristversäumnis und erst recht bei wiederholtem Verstoß gegen die Erklärungspflicht einen Verspätungszuschlag festsetzen. Wiederholte Fristversäumnisse können sich - umgekehrt - nur erschwerend auswirken. Arbeitsüberlastung und Erkrankung von Familienangehörigen vermögen eine Fristversäumnis nur in Ausnahmefällen zu entschuldigen.

Gesetze: AO § 152; AO § 5

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) gewährte den Klägern für die Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 eine Fristverlängerung bis zum . Die Steuererklärung ging am beim FA ein. Mit Einkommensteuerbescheid vom setzte das FA neben der Einkommensteuer in Höhe von 62 012 DM (Abschlusszahlung: 10 011 DM) einen Verspätungszuschlag nach § 152 der Abgabenordnung (AO) von 5 000 DM fest.

Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1997 am beim FA ein. Mit Einkommensteuerbescheid vom setzte das FA neben der Einkommensteuer von 64 540 DM (Abschlusszahlung: 12 099 DM) einen Verspätungszuschlag von 3 540 DM fest.

Auf die Einsprüche der Kläger gegen die Festsetzungen der Verspätungszuschläge setzte das FA den Verspätungszuschlag für 1996 auf 3 180 DM und den Verspätungszuschlag für 1997 auf 3 400 DM herab; im Übrigen wies es die Einsprüche als unbegründet zurück.

Der hiergegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt. Zur Begründung führte es aus, das FA habe die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO aufgezählten Kriterien zwar größtenteils, nicht jedoch in vollem Umfang beachtet. Es habe die von den Klägern vorgebrachten Entschuldigungsgründe (außergewöhnliche familiäre Belastungen durch die Krebserkrankung und den Tod der Mutter der Klägerin) nicht genügend beachtet. Diese besonderen persönlichen Umstände könnten zwar nicht zur vollständigen Aufhebung der Verspätungszuschläge führen, es sei aber eine Minderung um 50 v.H. angezeigt. Demgemäß setzte das FG im Tenor seines Urteils die Verspätungszuschläge auf entsprechend niedrigere Beträge fest und wies im Übrigen die Klage ab.

Hiergegen hat das FA Revision, die Kläger haben Anschlussrevision eingelegt.

Das FA macht mit seiner Revision geltend, das FG habe seine Prüfungs- und Entscheidungskompetenz überschritten und deshalb gegen § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen. Es habe die sachlich richtigen Ermessenserwägungen des FA durch eigene ersetzt. Es hätte die Verspätungszuschläge auch nicht selbst mindern dürfen.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussrevision beantragen sie, die Bescheide des FA vom über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen zur Einkommensteuer 1996 und 1997 in der Fassung, die sie durch die Einspruchsentscheidungen des FA vom und das angefochtene Urteil erhalten haben, aufzuheben.

Zur Begründung tragen sie vor, die Verspätungszuschläge seien nicht erforderlich und damit nicht verhältnismäßig, so dass die vollständige Aufhebung der Verspätungszuschläge geboten sei. Die verspätete Abgabe der Steuererklärungen sei wegen der persönlichen und beruflichen Belastungen der Kläger zu entschuldigen. Überdies sei die Festsetzung der Zuschläge nicht erforderlich gewesen, um die Kläger zur rechtzeitigen Abgabe von Steuererklärungen anzuhalten; hierzu hätte bereits die Androhung eines Zwangsgeldes ausgereicht. Als das FA die Kläger erstmals unter Androhen eines Zwangsgeldes aufgefordert habe, die Steuererklärungen abzugeben, habe es den Eindruck vermittelt, daran keine weitere Folge zu knüpfen. Aus dem Gebot der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen folge, dass auch bei den Klägern in der gleichen Weise, wie wenn sie steuerlich beraten gewesen wären, nur der Zeitraum nach dem 28. Februar des zweiten dem Veranlagungszeitraum folgenden Jahres zu berücksichtigen gewesen wäre.

Das FA beantragt, die Anschlussrevision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Anschlussrevision der Kläger ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Revision des FA

a) Das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben, weil das FG die Verspätungszuschläge wegen eines von ihm angenommenen Ermessensfehlers selbst reduziert hat.

Nach § 152 Abs. 1 AO kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (Satz 1), von einer solchen Festsetzung ist abzusehen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (Satz 2). Ob die Voraussetzungen vorliegen, ist von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar. Sind sie erfüllt, muss die zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob und inwieweit im Einzelfall ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird. Diesen Teil der Entscheidung darf das FG gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechender Weise Gebrauch gemacht hat (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 192, 213, BStBl II 2001, 60, unter II. 2. a., m.w.N.). Das FG darf in der Regel nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Auch wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null), darf das Gericht den Verspätungszuschlag nicht —wie hier geschehen— selbst aufheben oder herabsetzen, sondern ist darauf beschränkt, eine entsprechende Verpflichtung nach § 101 Satz 1 FGO auszusprechen (vgl. , BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, unter B. I. 2. a, m.w.N.).

b) Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Verspätungszuschläge seien unter richtiger Gewichtung der Verschuldenskriterien zu reduzieren gewesen. Das FA könnte deshalb auch nicht zur Herabsetzung der Verspätungszuschläge verpflichtet werden.

aa) Das FG hat mit dem Verschulden der Kläger das Tatbestandsmerkmal des § 152 Abs. 1 AO in Übereinstimmung mit dem FA bejaht. Auch wenn es bei der Bemessung der Verspätungszuschläge für angezeigt hält, das Verschulden der Kläger abweichend vom FA nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO zu würdigen, kommt eine Verpflichtung des FA zur Herabsetzung der Verspätungszuschläge im entschiedenen Umfang (§ 101 Satz 1 FGO) nicht in Betracht.

Nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei um Kriterien, an denen sich das FA beim Ausüben des Ermessens zu orientieren hat (vgl. eingehend dazu BFH-Urteil in BFHE 192, 213, BStBl II 2001, 60, m.w.N.). Wegen der bei Ermessensentscheidungen nach § 102 FGO eingeschränkten Prüfungs- und Entscheidungskompetenz darf das FG das FA nur dann nach § 101 Satz 1 FGO verpflichten, wenn lediglich eine Entscheidung ermessensgerecht ist. Eine solche Ermessensreduktion auf Null ist in Bezug auf das Verschuldenskriterium aber ersichtlich nicht gegeben. Davon geht auch das FG nicht aus. Es hat lediglich die persönlichen Verhältnisse der Kläger anders als das FA gewichtet. Es hat damit im Kern selbst Ermessen ausgeübt und § 102 FGO verletzt.

bb) Das FA kann auch nicht zur Herabsetzung der Verspätungszuschläge im entschiedenen Umfang aus den Gründen verpflichtet werden, welche die Kläger hervorgehoben haben.

Soweit sie vortragen, der Tatbestand des § 152 Abs. 1 AO sei mangels Verschulden nicht erfüllt, ist zu berücksichtigen, dass Erkrankungen von Familienangehörigen eine Fristversäumnis nur in Ausnahmefällen zu entschuldigen vermögen (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 110 AO Rz 147, a.E.), ein derartiger Ausnahmefall (z.B. plötzliche Krankheit am Ende der Frist) aber hier nicht vorliegt. Dasselbe gilt für die behauptete Arbeitsüberlastung, weil die Fristvorschriften voraussehbare Arbeitsüberlastungen bereits (typisierend) mitberücksichtigen und für eine „unvorhersehbare und unabwendbare” Arbeitsüberlastung nichts ersichtlich ist (vgl. dazu z.B. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Rz 21; Söhn in HHSp, § 110 AO Rz 74).

Eine Verpflichtung des FA, die Verspätungszuschläge entsprechend der Vorinstanz herabzusetzen (§ 101 Satz 1 FGO), rechtfertigt sich auch nicht aus einer Ermessensreduktion auf Null. Wenn die Kläger geltend machen, die Festsetzung der Verspätungszuschläge sei nicht erforderlich gewesen, um sie zur rechtzeitigen Abgabe von Steuererklärungen anzuhalten, weil bereits die Androhung eines Zwangsgeldes hierfür ausgereicht hätte, so berücksichtigen sie nicht den Unterschied zwischen dem Verspätungszuschlag und den vollstreckungsrechtlichen Zwangsmitteln (§ 328 AO). Das Zwangsgeld zielt auf Pflichterfüllung, während der Verspätungszuschlag zugleich repressiven Charakter hat (vgl. dazu BTDrucks VI/1982, S. 129, zu § 97). Das eine Mittel (hier: Androhung des Zwangsgeldes) schließt das andere dementsprechend nicht aus (siehe auch Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO Rz 4). Das Ermessen des FA ist auch nicht auf eine mögliche Entscheidung eingeschränkt, weil es treuwidrig gehandelt hätte. Es hat bei seiner Aufforderung unter Androhung des Zwangsgeldes nicht den Eindruck erweckt, Verspätungszuschläge würden nicht erhoben.

c) Die Sache ist spruchreif: Die Klage ist abzuweisen. Die Ermessensentscheidung des FA ist nicht zu beanstanden. Das FA hat anhand der in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeführten Kriterien entschieden und dabei die Grundsätze beachtet, die der BFH in seiner Rechtsprechung (vgl. insbesondere die Darstellung im BFH-Urteil in BFHE 192, 213, BStBl II 2001, 60, unter II. 2. d, m.w.N.) aufgestellt hat. Entgegen der Auffassung der Kläger verhielt sich das FA nicht treu- und ermessenswidrig, wenn es in Steuerbescheiden der Vorjahre, die aufgrund verspäteter Steuererklärungen erlassen wurden, nicht darauf hingewiesen hatte, dass Verspätungszuschläge hätten verhängt werden können. Zu Recht macht das FA in seiner Anschlussrevisionserwiderung geltend, dass es bei einem Steuerpflichtigen, der seine Steuererklärungen —wie hier— Jahre lang mit erheblicher Verspätung abgegeben hat, den erneuten Wiederholungsfall zum Anlass nehmen kann, einen Verspätungszuschlag festzusetzen. Dies ergibt sich jedenfalls aus dem repressiven Charakter dieses Druckmittels. Wenn das FA schon bei erstmaliger Fristversäumnis einen Verspätungszuschlag festsetzen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1990, 615, und vom X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642), so erst recht bei wiederholtem Verstoß gegen die Erklärungspflicht. Wiederholte Fristversäumnisse können sich —umgekehrt— nur erschwerend auswirken (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 213, BStBl II 2001, 60).

Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn das FA für die Höhe des Verspätungszuschlags nicht lediglich den Zeitraum nach dem 28. Februar des zweiten dem Veranlagungszeitraum folgenden Jahres berücksichtigt hat. Abgesehen davon, dass die Fristverlängerung nach § 109 AO für das Jahr 1996 auf dem eigenen Antrag der Kläger beruhte und für das Jahr 1997 kein Antrag auf Fristverlängerung gestellt und beschieden wurde, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, bei der Entscheidung über die Fristverlängerung auch die Arbeitsbelastung der vom Steuerpflichtigen mit der Erstellung der Erklärung beauftragten Bevollmächtigten als Ermessenserwägung in die Entscheidung über die Fristverlängerung einfließen zu lassen (, BFHE 213, 268, BStBl II 2006, 642). Die Festsetzung der Verspätungszuschläge hängt entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht davon ab, ob und in welcher Höhe ein Zinsvorteil erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 615, unter 2. b, m.w.N.).

2. Anschlussrevision der Kläger

Aufgrund der Erwägungen unter II. 1. sind die festgesetzten Verspätungszuschläge nicht rechtswidrig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Insbesondere ist das Ermessen des FA nicht auf Null in der Weise reduziert, die festgesetzten Verspätungszuschläge in vollem Umfang aufzuheben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1617 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2007 S. 2721
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 4
HAAAC-50126