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Grundlagen - Stand: 06.11.2020

Steuerhinterziehung

Alexander v. Wedelstädt

I. Definition

Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist das Zentraldelikt des Steuerstrafrechts. Die Vorschrift schützt das „öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern” , aber auch das Vermögen des ehrlichen Steuerschuldners als Teil der (faktischen) Solidargemeinschaft der Steuerzahler (Seer in Tipke/Lang, § 23 Rz. 1 und 20 ).

Die Vorschrift setzt eine Tathandlung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AO ) voraus, nämlich dass

  • den zuständigen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden, oder

  • die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen wird, oder

  • pflichtwidrig Steuerzeichen oder Steuerstempler nicht verwendet werden.

Die Vorschrift setzt außerdem einen Taterfolg voraus: Durch die Tathandlung muss eine Steuerverkürzung oder eine ungerechtfertigte Vorteilserlangung eingetreten sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).

Die Steuerhinterziehung ist ein Erklärungsdelikt, anders als das Delikt des § 26c UStG (s. u. V.).

Die Vorschrift setzt ferner Vorsatz und Unrechtsbewusstsein voraus.

Die leichtfertige Begehung einer der Tathandlungen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AO ist als leichtfertige Steuerverkürzung eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO.

II. Steuerhinterziehung, § 370 AO

1. Allgemeines

§ 370 AO ist eine sog. Blankettnorm: Die Merkmale “steuerlich erhebliche Tatsachen”, „Steuerverkürzung” und „ungerechtfertigter Steuervorteil” werden nicht durch § 370 AO, sondern durch die Vorschriften der einschlägigen Einzelsteuergesetze ausgefüllt.

Täter einer Steuerhinterziehung kann sein

  • der Steuerschuldner,

  • Dritte, wie z.B. Personen nach § 34 AO, § 35 AO, der steuerliche Berater oder Angestellte des Steuerschuldners wie z.B. Buchhalter o.ä., nach §§ 93 ff. AO auskunftspflichtige Dritte, der im Rahmen seiner Zuständigkeit handelnde Finanzbeamte, der sich mittels fingierter Steuervorgänge bereichert oder der die ihm von einem Steuerpflichtigen vorgelegten Unterlagen sinnwidrig bzw. eigenmächtig verwendet, indem er durch die Eintragung falscher Angaben in die Eingabebögen bewirkt, dass die Steuer des Steuerpflichtigen nicht in der zutreffenden Höhe festgesetzt wird.

  • Für die Tatbestände der § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO kommt als Täter nur in Frage, wer zur Mitteilung der steuerlich erheblichen Tatsachen oder zur Verwendung der Steuerzeichen verpflichtet ist. Diese Verpflichtung kann sich aus Gesetzen, insbesondere den Steuergesetzen, oder auf Grund Auftrags ergeben.

Die Frage, ob eine Person als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) an einer Steuerhinterziehung strafbar ist, beantwortet sich nach den Vorschriften des StGB (§ 369 Abs. 2 AO), also nach § 26 StGB (Anstiftung) und § 27 StGB (Beihilfe).

  • Der Anstifter verursacht die Haupttat, indem er vorsätzlich den Haupttäter zur Tat bestimmt, d.h. dessen Tatentschluss hervorruft. Er wird wie der Täter bestraft.

  • Der Gehilfe leistet einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener Tat wissentlich Hilfe. Die Strafe richtet nach der Strafdrohung für den Täter, ist aber nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Zur Frage der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Berater s. Wenzel in NWB 2011 S. 3449.

  • Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten/Lebenspartnern im Einkommensteuerrecht liegt eine Beihilfe oder Mittäterschaft eines Ehegatten nicht schon dann vor, wenn ein Ehegatte/Lebenspartner die Einkommensteuererklärung mit unterzeichnet, obschon er weiß, dass die Angaben seines Gatten über dessen Einkünfte unzutreffend sind. Darin liegt auch keine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, weil für die Ehefrau keine Rechtspflicht besteht, eine entsprechende Erklärung abzugeben, ihr vielmehr nach § 101 Abs. 1 AO das Recht zusteht, Auskunft zu verweigern.

Die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs gilt nicht für den Bereich der Steuerhinterziehung.

2. Steuerhinterziehung durch unrichtige oder unvollständige Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO)

Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht sich strafbar, wer Steuern verkürzt oder ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt, indem er der Finanzbehörde oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Dies kann schriftlich z.B. in der Steuererklärung, mündlich oder durch schlüssiges Handeln geschehen.

Tatsachen sind dem Beweis zugängliche Umstände der realen Welt, also alle konkreten vergangenen oder gegenwärtigen Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens (Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO Rz. 73 m.w.N.). Dazu zählen auch die sog. “inneren” Tatsachen wie z.B. die Gewinnerzielungsabsicht, nicht aber Meinungen, Werturteile oder Rechtsansichten. Ihre steuerliche Erheblichkeit ergibt sich aus dem materiellen Steuerrecht, also dem EStG, UStG usw.

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfasst unrichtige oder unvollständige Angabe steuerlich erheblicher Tatsachen. Die gelungene Täuschung ist nicht erforderlich. Daher ist nicht auf die Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörde abzustellen. Es genügt die Herbeiführung einer konkreten Gefährdungslage.

Sein Tatbestand ist nicht erfüllt, wenn den Angaben eine Rechtsauffassung zu Grunde liegt, die von der höchstrichterlichen oder von der der Finanzverwaltung abweicht. Nach Ansicht des BGH macht der Steuerpflichtige dann keine unrichtigen Angaben i. S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er offen oder verdeckt eine ihm günstige unzutreffende Rechtsansicht vertritt, aber die steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollständig vorträgt und es der Finanzbehörde dadurch ermöglicht, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen (vgl. Blesinger in Kühn/von Wedelstädt, § 370 AO Rz. 8 ).

Kommt eine Steuerumgehung i.S. des § 42 AO in Betracht, gehören zu den richtig und vollständig anzugebenden steuerlich erheblichen Tatsachen alle Tatsachen, die für die Beurteilung erforderlich sind, ob die Voraussetzungen des § 42 AO erfüllt sind oder nicht (vgl. Blesinger in Kühn/von Wedelstädt, § 370 AO Rz. 11 m.w.N. ).

Zum erforderlichen Taterfolg s.u. II. 7.

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