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Going-concern-Bilanzierung und insolvenzrechtliche Hinweispflichten bei Krisenmandanten
Handlungsempfehlungen für Steuerberater bei der Jahresabschlusserstellung nach dem SanInsFoG
[i]Eggert, Beurteilung der Going Concern-Annahme in der Corona-Krise, BBK 10/2020 S. 467 NWB GAAAH-48154 Die Jahresabschlusserstellung für insolvenznahe Krisenmandanten zählt zu den anspruchsvollsten und haftungsträchtigsten Aufgaben eines Steuerberaters. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Beurteilung, wie Insolvenz-Indizien die Going-concern-Bilanzierung beeinflussen und inwieweit daraus insolvenzrechtliche Hinweispflichten gegenüber dem Mandanten resultieren. Bislang hatten sich Steuerberater hierbei nach den strengen Vorgaben des BGH zu richten. Diese haben sich nunmehr jedoch durch gesetzliche Neuregelungen im Zuge des SanInsFoG sowie die Unwägbarkeiten der Corona-Pandemie verkompliziert. Der Beitrag soll der dadurch entstandenen Rechtsunsicherheit entgegensteuern und illustriert, wie Steuerberater bei der Jahresabschlusserstellung für insolvenznahe Kapitalgesellschaften die Going-concern-Prämisse handhaben müssen und inwieweit insolvenzrechtliche [i]Ausführliches Musterschreiben in Abschnitt VHinweispflichten bestehen. Zudem enthält er ein Musterschreiben, mit dem der Berater seine Mandanten über ihre Pflichten aufklären kann.
Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .
I. Verschärfung der Beraterpflichten
Bei [i]Bisher: BGH-Vorgaben allein maßgeblichder Jahresabschlusserstellung für insolvenznahe Krisenmandanten sehen sich Steuerberater seit jeher mit der Problematik konfrontiert, inwieweit Insolvenz-Indizien noch eine Going-concern-Bilanzierung zulassen und ob daraus insolvenzrechtliche Hinweispflichten gegenüber dem Mandanten folgen. Bislang hatten sie sich hierbei im Wesentlichen nach den Vorgaben des BGH zu richten.
Dieser hatte zunächst relativ beraterfreundlich judiziert. So hat er insbesondere im allgemeinen steuerlichen Mandat eine insolvenzrechtliche Prüf- oder Hinweispflicht des Steuerberaters bei Insolvenz-Indizien verneint und keine (einschränkenden) Vorgaben S. 489zur insolvenzbezogenen Handhabung der handelsrechtlichen Going-concern-Prämisse (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) gemacht.
[i]BGH, Urteil v. 26.1.2017 - IX ZR 285/14 NWB JAAAG-37973 Im Jahr 2017 hat der BGH dann allerdings eine Wende vollzogen und die Beraterpflichten deutlich verschärft. Liegen Insolvenz-Indizien vor, hat der Steuerberater seither bei sonstiger Haftung nicht nur eine strenge Prüfpflicht zur Zulässigkeit einer Going-concern-Bilanzierung, sondern auch insolvenzrechtliche Warn- und Hinweispflichten gegenüber dem Mandanten.
In [i]Aktivere und problembewusstere Praxis als Folge der Jahresabschlusspraxis haben diese strengeren Anforderungen zu einem deutlich problembewussteren Umgang mit Insolvenz-Indizien geführt. So werden Going-concern-Zweifel seitdem offensiver mit dem Mandanten abgeklärt und auch insolvenzrechtliche Warnhinweise konsequenter als früher erteilt.
Diese [i]Verschärfung durch Corona-Krise und SanInsFoGanspruchsvollen Vorgaben haben sich nun in letzter Zeit weiter verschärft. So erschweren die mit der Corona-Krise verbundenen Unsicherheiten die Einschätzung der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung und damit vor allem die Prüfung der Zulässigkeit einer Going-concern-Bilanzierung erheblich.
Zudem hat der Gesetzgeber mit dem am in Kraft getretenen SanInsFoG im Rahmen einer erstmaligen gesetzlichen Regelung die insolvenzrechtlichen Hinweis- und Warnpflichten erweitert (§ 102 StaRUG). So gelten diese nun insbesondere auch im Hinblick auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Dies verbreitert nicht nur die Anwendungsfälle, sondern wirft vor allem im Zusammenspiel mit teilweise auch geänderten Geschäftsleiterpflichten neue Zweifelsfragen auf.
[i]Haftungsrisiken für Steuerberater!Insgesamt ergibt sich daraus eine sehr diffuse Rechtslage, die vor allem im Hinblick auf die i. d. R. hohen Haftungssummen bei Insolvenzverschleppungsfällen erhebliche Haftungsrisiken in sich birgt. Umso wichtiger ist, dass Steuerberater ab sofort neben den BGH-Vorgaben auch die neuen gesetzlichen Regelungen exakt einhalten. Nur so können sie sich künftig haftungsfrei halten.
II. Vorgaben des BGH
[i]Schmittmann, BGH verschärft seine Rechtsprechung zur Steuerberaterhaftung in der Krise, StuB 6/2017 S. 241 NWB PAAAG-40264 Mit der Entscheidung IX ZR 285/14 hat der BGH strenge Vorgaben für Steuerberater bei der Jahresabschlusserstellung für insolvenznahe Krisenmandanten gemacht. Demnach hat der Steuerberater bei sonstiger Haftung:
bei zweifelhafter Unternehmensfortführung die Fortführungsfähigkeit selbst oder durch Einforderung einer Going-concern-Prognose bei der Geschäftsleitung fundiert zu überprüfen;
insolvenzrechtliche Warn- und Hinweispflichten zu erfüllen, wenn für ihn ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist.S. 490
1. Prüfpflicht zur Zulässigkeit einer Going-concern-Bilanzierung
[i]Voraussetzungen der FortführungsannahmeGrundsätzlich habe der Steuerberater den Jahresabschluss auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm bekannten Umstände aufzustellen. Hierbei könne er selbst bei Zweifeln an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens noch von der Fortführungsannahme ausgehen. Erst dann, wenn die Einstellung der Unternehmenstätigkeit unvermeidbar oder beabsichtigt ist, entfalle diese.
Selbst ein vorliegender Insolvenzgrund schließe somit eine Going-concern-Bilanzierung noch nicht aus, wenn anzunehmen ist, dass die Unternehmenstätigkeit auch nach einer Insolvenzverfahrenseröffnung jedenfalls innerhalb des Prognosezeitraums fortgeführt werden wird.
[i]Prüfungspflicht bei ernsthaften Zweifeln an der FortführungIn diesem Sinne sei bei Vorliegen von ernsthaften Indizien, die eine Fortführung zweifelhaft erscheinen lassen, die Fortführungsfähigkeit näher zu überprüfen:
Entweder müsse der Steuerberater dabei selbst anhand konkreter Umstände ausschließen, dass diese Indizien einer Fortführungsfähigkeit entgegenstehen, oder
dafür sorgen, dass die Gesellschaft eine Going-concern-Prognose erstellt. Auf diese Prognose dürfe sich der Berater dann stützen, wenn sie nicht evident untauglich ist.
Bei [i]Explizite Anforderung einer Going-concern-Prognoseder Einforderung einer Prognose müsse der Steuerberater den Mandanten deutlich darauf hinweisen, dass er die handelsrechtliche Bilanz nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unter Fortführungsannahme erstellen darf, aufgrund der Indizien konkrete Fortführungszweifel bestehen und deshalb eine Going-concern-Prognose erforderlich ist.
Wird [i]Reichweite der Steuerberaterhaftungder Jahresabschluss trotz entgegenstehender tatsächlicher oder rechtlicher Gegebenheiten (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) zu Unrecht nach Fortführungswerten erstellt und ist dies ursächlich für einen unterlassenen Insolvenzantrag, hafte der Steuerberater werkvertraglich für den Insolvenzverschleppungsschaden.
[i]Voraussetzungen der HinweispflichtenEine Haftung bestehe jedoch nicht, wenn der Steuerberater die Gesellschaft auf die konkreten Zweifel und deren notwendige Überprüfung hingewiesen hat, die Gesellschaft ihn aber nichtsdestotrotz angewiesen hat, den Jahresabschluss unter Going-concern-Prämisse zu erstellen.
2. Insolvenzrechtliche Warn- und Hinweispflichten
Des Weiteren habe der Steuerberater (auch bei mangelfreiem Jahresabschluss) insolvenzrechtliche Warn- und Hinweispflichten. Solche bestünden immer dann, wenn
der Steuerberater einen Insolvenzgrund erkennt oder für ihn ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und
er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist.
In [i]Römermann/Günther, (Hinweis-)Pflichten im krisenbehafteten Mandat, NWB 13/2016 S. 958 NWB WAAAF-69323 diesem Fall habe der Berater den Mandanten auf die konkreten Insolvenz-Indizien sowie darauf, dass diese Anlass zur Prüfung einer möglichen Insolvenzreife geben, hinzuweisen. Ein genereller Hinweis zur Insolvenzprüfungspflicht genüge nicht.
Erfülle der Berater diese Warn- und Hinweispflicht nicht, hafte er für den Insolvenzverschleppungsschaden, wenn die Gesellschaft bei ordnungsgemäßer Hinweiserteilung früher Insolvenz angemeldet hätte.S. 491
III. Neue gesetzliche Vorgaben durch das SanInsFoG
[i]Bode, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz, StuB 4/2021 S. 165 NWB SAAAH-70976 Mit dem am in Kraft getretenen SanInsFoG hat der Gesetzgeber zahlreiche gesetzliche Neuregelungen vorgenommen, mit denen die insolvenzrechtlichen Warn- und Hinweispflichten des Steuerberaters erheblich modifiziert werden.
So hat er die Warn- und Hinweispflichten erstmals gesetzlich geregelt und in diesem Rahmen maßgeblich erweitert (§ 102 StaRUG). Zudem hat er die Regelungen, auf die sich die Warn- und Hinweispflichten beziehen, teilweise geändert oder überhaupt neue Bezugsregelungen geschaffen.
1. Gesetzliche Regelung der insolvenzrechtlichen Warn- und Hinweispflichten
Erstmals sind nun die insolvenzrechtlichen Warn- und Hinweispflichten von Steuerberatern bei der Jahresabschlusserstellung gesetzlich geregelt.
[i]Voraussetzungen und Inhalt Demnach haben diese den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 InsO und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist (§ 102 StaRUG).
[i]Verschärfung gegenüber BGH-VorgabenDiese Regelung übernimmt die Vorgaben des BGH, geht jedoch – entgegen der eigentlichen gesetzgeberischen Intention – in zweifacher Hinsicht darüber hinaus:
Die Warn- und Hinweispflichten gelten nicht nur im Hinblick auf die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO), sondern auch in Bezug auf den nur fakultativen Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Dies entspricht der Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer für die Jahresabschlusserstellung bei Krisenmandanten.
Die Warn- und Hinweispflichten haben nicht nur die Pflichten der Geschäftsleiter zum Gegenstand, sondern auch jene der Mitglieder der Überwachungsorgane.
Die [i]Geltung auch für weitere Berufsträgergesetzliche Regelung gilt nicht nur für Steuerberater, sondern auch für Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte. Damit sind sämtliche Berufsangehörige warn- und hinweispflichtig, die mit der Erstellung von Jahresabschlüssen im Rahmen von Mandatsbeziehungen betraut sein können (§ 3 Nr. 1 StBerG).
2. Konkrete Bezugspunkte der gesetzlichen Regelung
Auf welche Pflichten Steuerberater den Mandanten konkret hinweisen müssen, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien.
[i]Insolvenzantragspflicht und Zahlungsverbot ab InsolvenzreifeKlar ist zunächst, dass bei (möglichem) Vorliegen einer Überschuldung (§ 19 InsO) oder Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) auf die daran anknüpfende Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) hinzuweisen ist. Zudem ist im Sinne der Schadenverhütung davon auszugehen, dass in diesen Fällen auch auf das Zahlungsverbot ab Insolvenzreife (§ 15b InsO) hingewiesen werden muss. Das Zahlungsverbot knüpft ebenfalls unmittelbar an diese beiden Insolvenzgründe an, ist haftungsrechtlich mindestens ebenso gefährlich wie die Insolvenzantragspflicht und betrifft wie diese in Form einer Einwirkungspflicht auf die Geschäftsleiter auch die Überwachungsorgane. S. 492