Besitzen Sie diesen Inhalt bereits,
melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.
Selbstanzeige
I. Definition
Die Selbstanzeige (§ 371 AO für Fälle der Steuerhinterziehung, § 378 Abs. 3 AO für Fälle leichtfertiger Steuerverkürzung) ist ein Fall des nur ausnahmsweise strafbefreienden Rücktritts von der vollendeten Tat. Sie ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund und beseitigt rückwirkend den Strafanspruch des Staates. Sie dient steuerpolitischen Zwecken, indem durch die Selbstanzeige unbekannte Steuerquellen erschlossen werden sollen. Es soll aber auch dem Steuerhinterzieher ein Anreiz gegeben werden, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren.
1. Änderung durch das Gesetz zur Änderung der AO und des EGAO vom
Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom (BGBl. I 2014, 2415) wurden die Rahmenbedingungen für die Abgabe von strafbefreienden Selbstanzeigen mit Wirkung vom verschärfend, bei den Voranmeldesteuern aber auch erleichternd geändert; die Änderung gilt für Selbstanzeigen, die nach dem erstattet werden. Für vor dem eingereichte Selbstanzeigen, über deren Wirksamkeit erst nach dem entschieden wird, soll die jeweils mildere Regelung gelten (§ 2 Abs. 3 StGB).
2. Die noch anzuwendenden Regelungen
Der Link zu § 371 AO und § 378 AO öffnet die Fassung der Bestimmungen aufgrund des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom (s. I. 2). Die bisherigen Regelungen der § 371 Abs. 1 bis 3 AO (Abs. 4 ist nicht geändert worden) und § 378 Abs. 3 AO lauten:
a) Fassung vor dem :
(1) Wer in den Fällen des § 370 unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei.
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn
1. vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
b) dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist oder
2. die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.
(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für einen an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, soweit er die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.
(3) Eine Geldbuße wird nicht festgesetzt, soweit der Täter unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bevor ihm oder seinem Vertreter die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. § 371 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
b) Fassung vom bis :
(1)
„Selbstanzeige”„Steuerhinterziehung: Selbstanzeige”
„Strafbefreiende Selbstanzeige”
Wer gegenüber der
Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem
Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt
oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten
nicht nach § 370 bestraft.
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn
1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Straftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a) dem Täter oder seinem Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist oder
b) dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
c) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste oder
3. die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50.000 Euro je Tat übersteigt.
(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet
(4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend.
(3) Eine Geldbuße wird nicht festgesetzt, soweit der Täter gegenüber der Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, bevor ihm oder seinem Vertreter die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. § 371 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
Zugmaier/Nöcker/Kohler, § 371 AO, NWB
Zugmaier/Nöcker/Steinbeck, § 378 AO, NWB
v. Wedelstädt, Steuerhinterziehung, infoCenter
Webel, Steuerstrafrecht und strafbefreiende Selbstanzeige, Grundlagen
Tormöhlen, Selbstanzeige im Vorfeld einer steuerlichen Prüfung, AO-StB 2019 S. 372
Heuel/Beyer, Die neue Selbstanzeige zum , AO-StB 2015 S. 129
Talaska, Neues Selbstanzeigenrecht: Aktuelle Beratungsschwerpunkte, DB 2015 S. 944
Buse, Die Selbstanzeige ab dem , DB 2015 S. 89
Spatscheck, Fallstricke der Selbstanzeige, DB 2013 S. 1073
Heuel/Beyer, Rettung „verunglückter” Selbstanzeigen, AO-StB 2013 S. 140
Jesse, Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, DB 2013 S. 1803
Beyer, Neuregelung der Selbstanzeige, AO-StB 2011 S. 119
Wulf/Kamps, Berichtigung von Steuererklärungen und strafbefreiende Selbstanzeige im Unternehmen nach der Reform des § 371 AO, DB 2011 S. 1711
Kranenberg, Die Abgrenzung der berichtigenden Erklärung gem. § 153 AO von der Selbstanzeige gem. § 371 AO nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – in dubio pro reo?, AO-StB 2011 S. 344
Seer, Berichtigung nach § 153 AO oder Selbstanzeige nach §§ 371, 398a AO?, DB 2016 S. 2192
II. Selbstanzeige nach § 371 AO
1. Anwendungsbereich
§ 371 AO gilt nur bei Steuerhinterziehung i. S. des § 370 AO, nicht bei
Bannbruch (§ 372 AO),
gewerbsmäßigem, gewaltsamem und bandenmäßigem Schmuggel (§ 373 AO) und
Steuerhehlerei (§ 374 AO).
§ 371 AO ist kraft Verweisung anwendbar bei
Monopolhinterziehung (§ 128 Abs. 1 BranntwMonG),
Hinterziehung von Abgaben auf Marktordnungswaren (§ 12 Abs. 1 MOG , § 35 MOG) und Wasserabgaben (§ 14 WasserabgabenG),
Erschleichung von Wohnungsbauprämien (§ 8 Abs. 2 WoPG), Arbeitnehmerzulagen (§ 14 Abs. 3 5.VermBG).
§ 371 AO ist in den Fällen gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG ) nicht anwendbar.
Die Selbstanzeige nach § 371 AO hat auf die Strafbarkeit in Tateinheit mit Steuerstraftaten begangener nichtsteuerlicher Straftaten keine Auswirkung.
Zur Abgrenzung von der strafbefreienden Erklärung nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) wird auf das Stichwort „Strafbefreiende Erklärung” unter I. verwiesen. S. dazu Merkblatt Tz. 15. bis 15.3.
Zur Abgrenzung von der Berichtigung von Erklärungen nach § 153 AO, die keine Strafbefreiung nach sich zieht, wird auf Kranenberg, „Die Abgrenzung der berichtigenden Erklärung gem. § 153 AO von der Selbstanzeige gem. § 371 AO nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – in dubio pro reo?“, AO-StB 2011, 344, auf Bangert/Schwarz, „Die Anzeige- und Berichtigungserklärung nach § 153 AO“, NWB 2015, 3088, auf Esterer/Eisgruber, DB 2017 S. 986 sowie auf AEAO zu § 153, Nr. 2 verwiesen.
Das BZSt hat in der „Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG)“ Abschnitt S 6 Anweisungen an die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit erlassen . Dazu s. auch Beyer, NWB 2015, 3007.