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Neuregelung der strafrechtlichen Verjährung der Steuerhinterziehung
Fallstricke für Unternehmen und deren Berater
Der [i]Webel, Steuerstrafrecht und strafbefreiende Selbstanzeige, Grundlagen NWB VAAAE-82580 Gesetzgeber hat im Jahr 2020 die steuerstrafrechtliche Verjährung deutlich ausgeweitet. Hierdurch ergeben sich insbesondere bei der Berichtigung umsatzsteuerlicher Sachverhalte bedeutsame Auswirkungen, welche die Steuerabteilungen in Unternehmen und deren Steuerberater kennen sollten.
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I. Bedeutung der strafrechtlichen Verjährung
Aufgrund [i]Heuel/Beyer, Fallstricke bei der Korrektur von Umsatz- und Lohnsteuer-Anmeldungen, BBK 16/2015 S. 740 NWB XAAAE-98685 der kurzen Erklärungsfristen und der Massensachverhalte ergibt sich im Unternehmensbereich nicht selten die Notwendigkeit, Umsatzsteuer-Voranmeldungen (UStVA) oder Umsatzsteuer-Jahreserklärungen (UStJE) zu berichtigen. In diesem Zusammenhang sollte beachtet werden, dass die gesetzliche Regelung der strafrechtlichen Verjährung der Steuerhinterziehung im Jahr 2020 in zwei Schritten erheblich ausgedehnt worden ist. Die besondere Bedeutung dieser Änderung ergibt sich z. B. bei der Abgabe einer Selbstanzeige wegen vorsätzlicher Hinterziehung, weil diese zur Strafbefreiung u. a. voraussetzt, dass vollständige Angaben zu allen strafrechtlich unverjährten Jahren (mindestens zu den letzten zehn Kalenderjahren) gemacht werden müssen.
Auch [i]von Wedelstädt, Selbstanzeige, infoCenter NWB FAAAB-22685 wenn bei unternehmensbezogenen Sachverhalten oft kein Vorsatz vorliegt, entspricht es dem Vorsichtsprinzip, bei der Abgabe einer steuerlichen Korrekturerklärung gleichzeitig die Voraussetzungen einer Selbstanzeige gem. § 371 AO einzuhalten. [i]
Für [i]Risiko Eventualvorsatzeine Hinterziehung genügt bereits Eventualvorsatz, so dass keine Absicht und auch kein Wissen nachgewiesen werden müssen. Eventualvorsatz kann im Einzelfall bereits dann vorliegen, wenn Angaben „ins Blaue“ hinein gemacht werden, also die Unrichtigkeit der Steuererklärung billigend in Kauf genommen wird. S. 94
Der [i]von Wedelstädt, Steuerhinterziehung, infoCenter NWB TAAAB-80024 Vorwurf einer Hinterziehung kann daher im Einzelfall schnell erhoben werden (eine andere Frage ist, ob dieser Vorwurf gerichtlich bestätigt wird).
Ein solcher Vorwurf hängt daher oftmals auch vom Verfolgungswillen der Ermittlungsbehörde ab. Die Praxis zeigt, dass Finanzbehörden bei der Prüfung etwaiger strafrechtlicher Sachverhalte aufmerksamer als früher vorgehen. Insbesondere sind Betriebsprüfungsstellen hierfür sensibilisiert und leiten bei Bedarf entsprechende Kontrollmitteilungen an die Strafsachenstellen der Finanzämter weiter.
Eine [i]Steuerliche Verjährungweitere Bedeutung der strafrechtlichen Verjährung ergibt sich daraus, dass der Ablauf der steuerlichen Festsetzungs- und Feststellungsverjährung an den Ablauf der strafrechtlichen Verjährung gekoppelt ist (Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO). Solange die strafrechtliche Verjährung nicht eingetreten ist, tritt auch keine steuerliche Verjährung ein. Damit drohen nun aufgrund der Gesetzesänderung Steuerfestsetzungen z. B. nach Betriebsprüfungen für noch weitere zurückliegende Besteuerungszeiträume als nach alter Rechtslage.
Die steuerlichen Unterlagen sollten dementsprechend im Einzelfall länger als bisher aufbewahrt werden.
II. Überblick über die frühere Rechtslage
Nach [i]Grundverjährung fünf Jahre, ausnahmsweise zehn Jahrealter und aktueller Rechtslage beträgt die strafrechtliche Verjährungsfrist für den Grundfall einer Hinterziehung fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Durch verjährungsunterbrechende Maßnahmen, wie z. B. die Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens, kann diese Grundverjährung bis maximal zur sog. absoluten Verjährung von zehn Jahren (das Doppelte der Verjährungsfrist für den Grundfall von fünf Jahren) ausgedehnt werden (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB). Erfüllt die Hinterziehung die Voraussetzungen einer besonders schweren Hinterziehung, so verlängerte sich bisher die Grundverjährung von fünf auf zehn Jahre (§ 376 Abs. 1 AO a. F.).
Das in der Unternehmenspraxis am ehesten denkbare Regelbeispiel für den Fall einer Hinterziehung in einem besonders schweren Fall dürfte das Regelbeispiel gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AO sein (Hinterziehung in einem großen Ausmaß). Die hierfür maßgebliche Wertgrenze ist 50.000 €, d. h. die hinterzogene Steuer (nicht: Besteuerungsgrundlagen) muss den Betrag von 50.000 € überschreiten.
Die [i]Absolute Verjährung maximal zwanzig Jahreabsolute Verjährung betrug in diesen Fällen der Hinterziehung in einem besonders schweren Fall dann zwanzig Jahre (das Doppelte von zehn Jahren).
Die absolute Verjährung bezeichnet die äußerste Verjährung und stellt somit die maximale Grenze der Verjährung dar. Die konkrete Verjährung muss jedoch jeweils im Einzelfall berechnet werden. Ob die Verjährung konkret ggf. bis zur Grenze der absoluten Verjährung verlängert ist, hängt davon ab, ob verjährungsunterbrechende Maßnahmen erfolgt sind, z. B. die Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens (§ 78c Abs. 1 Nr. 1 bis 12 StGB). Dies kann durch den Strafverteidiger mittels Akteneinsicht in die Strafakte überprüft werden.S. 95
III. Neuregelungen der Verjährung im Einzelnen
1. Zweites Corona-Steuerhilfegesetz
Die [i]Verlängerung der absoluten Verjährungerste Neuregelung durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz v. hat die absolute Verjährung in den Fällen der besonders schweren Hinterziehung vom Doppelten auf das Zweieinhalbfache ausgedehnt (§ 376 Abs. 3 AO n. F.). Bereits diese Regelung führte zunächst zu einer absoluten Verjährung von bis zu 25 Jahren. Außerdem wurde gleichzeitig eine weitere Verlängerung der absoluten Verjährung um weitere fünf Jahre für den Sonderfall eingeführt, dass bei einer Hinterziehung in einem besonders schweren Fall die Anklage vor dem Landgericht eröffnet wird (§ 376 Abs. 1 AO, § 78b Abs. 4 StGB).
Diese Neuregelungen gelten für alle Fälle, in denen zum noch keine strafrechtliche Verjährung eingetreten war. Ansonsten bleibt die Tat verjährt und die Verjährung lebt nicht wieder auf.
2. Jahressteuergesetz 2020
In [i]Neuregelung für besonders schweren Falleinem zweiten Schritt hat der Gesetzgeber dann durch das Jahressteuergesetz 2020 die Verjährung für den Fall einer Hinterziehung in einem besonders schweren Fall von zehn auf fünfzehn Jahre erhöht. Hierdurch ergibt sich eine absolute Verjährung von 37,5 Jahren (das Zweieinhalbfache von fünfzehn Jahren). Zudem kann im Einzelfall die o. g. weitere Verlängerung der absoluten Verjährung um fünf Jahre greifen (absolute Verjährung dann insgesamt 42,5 Jahre).
Die Verlängerung für den besonders schweren Fall der Hinterziehung gilt nur für die Fälle, in denen am noch keine strafrechtliche Verjährung eingetreten war.
3. Änderung der BGH-Rechtsprechung zum Kompensationsverbot
Die [i]Geißler, Kompensationsverbot, infoCenter NWB ZAAAB-85038 Schwelle von 50.000 € (großes Ausmaß) gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AO wirkt nur auf den ersten Blick hoch. Im Unternehmenskontext kann diese Grenze schnell überschritten sein, wenn z. B. das sog. Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO greift. Das Kompensationsverbot bedeutet, dass (allein) für die strafrechtliche Beurteilung, ob und in welcher Höhe eine Hinterziehung vorliegt, bestimmte steuerliche Rechenposten nicht miteinander saldiert werden dürfen. Das Kompensationsverbot gilt gemäß dem vorgenannten auch für die Anwendung der Wertgrenze von 50.000 €.
Im [i]Wenzel, Das Kompensationsverbot bei der Umsatzsteuerhinterziehung, NWB 13/2019 S. 879 NWB ZAAAH-09758 Einzelfall ist allerdings umstritten, in welchen Fallgruppen das sog. Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO tatsächlich zu berücksichtigen ist.