Dr. Lukas Hilbert | Diplom-Kaufmann, M.I.Tax, Bonn | Herausgeber des Stichwort-Fachkommentars Hilbert/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer | www.lhilbert.de
In der Systematik der Einkommensteuer kommt den außergewöhnlichen Belastungen eine Sonderstellung zu, handelt es sich doch um im persönlichen Bereich fußende Aufwendungen, deren Berücksichtigung gleichwohl geboten ist, da sie die Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen berühren. Die spezielle Situation wird bereits in der (Legal-)Definition des § 33 Abs. 1 EStG deutlich. Eine der Abzugsvoraussetzungen ist, dass die Kosten zwangsläufig erwachsen müssen, was erfüllt wird, wenn sich der Steuerpflichtige „ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.“ (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Daran scheiterte die Klage im BFH-Fall VI R 1/23 nach Urteil vom 21.11.2024. Zur Behandlung zunehmend schmerzhafter Bewegungseinschränkungen sowie zur funktionellen Verbesserung und Schmerzreduktion wurde der körperlich beeinträchtigten Klägerin ein Funktionstraining in Form von Wassergymnastik ärztlich verordnet. Hierfür übernahm die Krankenkasse die Kosten. Nach zunächst Training in einem Kneipp Verein wechselte die Steuerpflichtige später in ein näher gelegenes Fitnessstudio mit zeitgünstigeren Trainingsangeboten, in dem die Kurse von qualifizierten Übungsleitern mit entsprechender Lizenz für Rehabilitationssport geleitet wurden. Dabei war allerdings eine Mitgliedschaft sowohl in einem Reha-Verein als auch im Fitnessstudio Voraussetzung für die Teilnahme an den Kursen. Im Studio musste zudem der Baustein „Wasserwelt“ (Modul Wellness und Spa) gebucht werden, der etwa die Nutzung des Schwimmbads für Aqua-Fitnesskurse sowie des Saunabereichs ermöglichte. Die Klägerin machte als außergewöhnliche Belastungen die nicht von der Krankenkasse übernommenen Mitgliedsbeiträge, die Kosten für das gebuchte Modul sowie Fahrtaufwendungen zu den Kursen geltend. Zwangsläufigkeit der Beträge für das Fitnessstudio sahen FG und BFH nicht. Das mit der Mitgliedschaft einhergehende Leistungsangebot werde auch von nicht erkrankten Menschen in Anspruch genommen, um die Gesundheit zu erhalten, das Wohlbefinden zu steigern oder die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die Notwendigkeit der Mitgliedschaft zur Kursteilnahme begründe nach Auffassung des BFH ebenso keine steuerlich erhebliche Zwangsläufigkeit, denn die Entscheidung, das Funktionstraining in dem Studio zu absolvieren, sei in erster Linie Folge eines frei gewählten Konsumverhaltens. Der Abzugsfähigkeit stehe zudem der Umstand entgegen, dass die Klägerin hierdurch die Möglichkeit erhielt, auch weitere Leistungsangebote jenseits des medizinisch indizierten Funktionstrainings zu nutzen, selbst wenn sie davon – wie von ihr vorgetragen – keinen Gebrauch machte.