Voraussetzungen für die Begründung ernstlicher Zweifel
Gesetze: FGO § 69 Abs. 2, 3
Gründe
I. Der Antragsteller unterhielt bis zum Jahr 1991 ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen in der ...branche. Im Jahr 1990 dehnte er seinen Handel auf die neuen Bundesländer aus. Den Großhandel betrieb er in der Rechtsform einer GmbH, den Einzelhandel in der Form eines Einzelunternehmens.
Wegen ungünstiger Geschäftsentwicklung erlitt der Antragsteller mit seinem Einzelunternehmen bis zum Frühjahr 1991 einen Verlust in Höhe von über 1 Mio. DM. Er war daher außerstande, die aus Warenlieferungen der Großhandels-GmbH an sein Einzelunternehmen resultierenden Verbindlichkeiten gegenüber der GmbH in Höhe von rd. 650 000 DM zu erfüllen. Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 1991 das Konkursverfahren eröffnet. Zum 1. Oktober des Streitjahres 1993 erklärte der Antragsteller die Betriebsaufgabe bezüglich seines Einzelunternehmens.
Im Rahmen eines zwischen dem Konkursverwalter und dem Antragsteller geführten Zivilrechtsstreits über die vom Konkursverwalter geltend gemachten Forderungen schlossen die Parteien in der Berufungsinstanz einen Vergleich, in welchem sich der Antragsteller verpflichtete, an den Konkursverwalter bis zum 40 000 DM und bis zum weitere 30 000 DM zu zahlen. Im Gegenzug verzichtete der Konkursverwalter auf die restlichen Forderungen gegen den Antragsteller.
Im Hauptsacheverfahren ist vor allem streitig, ob die durch diesen Verzicht ausgelöste Betriebsvermögensmehrung gemäß § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes 1993 (EStG a.F.) steuerfrei zu belassen war.
Der Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) verneinte dies. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab.
Gegen dieses Urteil hat der Antragsteller Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Mit Beschluss vom heutigen Tag X B 42/03 hat der beschließende Senat auf diese Beschwerde hin die Revision zugelassen. Das Beschwerdeverfahren wird deshalb als Revisionsverfahren fortgesetzt.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller nach vorausgehendem erfolglosen Antrag beim FA, die Vollziehung des im Hauptsacheverfahren angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1993 mit Rücksicht auf die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde auszusetzen.
Er trägt u.a. vor, dass er nicht in der Lage sei, Zahlungen auf die streitige Einkommensteuerschuld zu leisten. Sollte das FA Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn einleiten, würde dadurch die seinerzeit erreichte und bisher erfolgreiche Sanierung zunichte gemacht. Er habe sein Einzelunternehmen im Streitjahr 1993 aufgeben können, ohne durch die damals noch verbliebenen (Bank-) Schulden beeinträchtigt zu werden.
Die X-KG, an welcher er als Komplementär beteiligt gewesen sei, habe aus ihrem laufenden Gewinn die damals vereinbarte Summe (70 000 DM) an den Konkursverwalter zahlen können. Die KG bestehe heute noch. Allerdings sei er (Antragsteller) nicht mehr Gesellschafter der KG, sondern stehe zu ihr in einem Arbeitsverhältnis. Bei einer Vollstreckung durch das FA würde dieses Arbeitsverhältnis enden. Ferner würde er das zugunsten der Bank G belastete Untererbbaurecht verlieren; denn bei seinem Ruin oder auch nur bei Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn könne und werde der Haupterbbauberechtigte den Heimfall geltend machen. Er sei fast 65 Jahre alt und krank.
Das FA beantragt, den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) als unbegründet zurückzuweisen.
II. Der Antrag auf AdV ist begründet.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache —hier wegen der anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde der beschließende Senat— die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn die in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genannten Voraussetzungen vorliegen. Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die AdV rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—; vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 314, unter II. 2. der Gründe; vgl. ferner die Nachweise bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rz. 86).
2. Im vorliegenden Streitfall sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1993 insoweit zu bejahen, als das FA die Steuerfreiheit der durch den Forderungsverzicht des Konkursverwalters der GmbH verursachten Betriebsvermögensmehrung gemäß § 3 Nr. 66 EStG a.F. abgelehnt hat.
In dem angefochtenen, zur Hauptsache ergangenen klageabweisenden Urteil hat das FG —dem FA folgend— die Steuerfreiheit der streitigen Betriebsvermögensmehrung gemäß § 3 Nr. 66 EStG a.F. verneint, weil der durch den Konkursverwalter ausgesprochene Forderungsverzicht weder in der gebotenen Sanierungsabsicht geschehen noch geeignet gewesen sei, den Antragsteller zu sanieren.
Sowohl die Verneinung der Sanierungsabsicht des Konkursverwalters als auch der Sanierungseignung des durch den Konkursverwalter ausgesprochenen Forderungsverzichts unterliegt ernstlichen Zweifeln. Für die Begründung solcher Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO genügt es, dass die nach Aktenlage nicht fernliegende —ernstliche— Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegt (ähnlich BFH-Beschlüsse vom I S 4/68, BFHE 92, 326, BStBl II 1968, 540, 541, linke Spalte; vom X S 28/96, BFH/NV 1997, 510, unter 2. a, und vom III S 10/96, BFH/NV 1998, 178, unter 2; vgl. ferner auch BFH-Beschlüsse vom I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99, unter 2., und vom V S 9/85, BStBl II 1988, 702, unter II. 1.: wahrscheinlicher Ausgang des Klageverfahrens entscheidend; vgl. ferner auch BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2001, 314, unter II. 2., und vom VII S 29/96, BFH/NV 1997, 588, 589, linke Spalte, wonach es genügt, dass sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht absehen lässt, ob die Klage letztlich Erfolg haben wird oder nicht).
Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Zur näheren Begründung verweist der Senat auf seinen Beschluss vom heutigen Tag X B 42/03, in welchem die Revision gegen die im Hauptsacheverfahren angefochtene Vorentscheidung zugelassen wurde.
3. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller nach eigenem glaubhaften und vom FA unwidersprochen gebliebenen Bekunden nicht in der Lage ist, ”irgendeine Zahlung zu leisten”, wird von der Anordnung einer Sicherheitsleistung durch den Antragsteller abgesehen (vgl. , BFH/NV 1993, 488).
4. Die Übertragung der Berechnung der von der Vollziehung auszusetzenden Beträge auf das FA beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1217
BFH/NV 2003 S. 1217 Nr. 9
XAAAA-69676