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Grundlagen vom

Steuerstrafrecht und strafbefreiende Selbstanzeige

Dr. Karsten Webel

A. Problemanalyse

I. Strafbare Steuerhinterziehung

1Das Steuerstrafrecht und damit auch die Steuerhinterziehung stellt entgegen des ersten Eindrucks kein „Sonderstrafrecht“ dar, das losgelöst „nur für sich“ zu betrachten wäre. Das Steuerstrafrecht weist zwar in rechtlicher wie auch praktischer Hinsicht zahlreiche Eigenheiten auf, z. B. gesetzliche Besonderheiten u. a. im Hinblick auf Selbstanzeige und Verjährungsfristen, eine durch das Steuerrecht geprägte Anwendung der Strafnormen, die Beteiligung der Finanzbehörde am Strafverfahren und die (federführende) Beteiligung des BMF bei der Gesetzgebung. Trotzdem wird durch § 369 Abs. 2 AO klargestellt, dass das Steuerstrafrecht in das „normale“ Strafrecht eingebettet ist und die allgemeinen Gesetze des Strafrechts prinzipiell auch im Steuerstrafrecht maßgeblich sind. Da es sich insoweit um eine dynamische Verweisung handelt, gilt folglich auch im Steuerstrafrecht die jeweils aktuelle Fassung der allgemeinen Gesetze des Strafrechts.

2 Der Tatbestand der Steuerhinterziehung schützt das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen aus jeder einzelnen Steuerart. Folglich handelt es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Delikt gegen das Vermögen des Staates und damit der Allgemeinheit. Durch das in der Verletzung der Wahrheitspflicht (siehe Rn. 32) liegende „betrügerische“ Verhalten (zur Tathandlung siehe Rn. 33 ff.) ist die Steuerhinterziehung eine spezielle Form des Betrugs gem. § 263 StGB in Bezug auf steuerliche Ansprüche, ein sog. „Steuerbetrug“.

3 Der Straftatbestand des § 370 AO ist nur erfüllt, wenn der in der Verkürzung von Steuern oder Erlangung von steuerlichen Vorteilen liegende Taterfolg (vgl. Rn. 54 ff.) eingetreten ist. Die Steuerhinterziehung ist unter diesem Gesichtspunkt grundsätzlich ein Erfolgsdelikt. Aus der Qualifizierung als Erfolgsdelikt kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass es sich bei der Steuerhinterziehung in jedem Fall um ein Verletzungsdelikt handelt. Der tatbestandliche Erfolg der „Steuerverkürzung“ kann u. a. auch darin liegen, dass die Steuerfestsetzung verspätet erfolgt. Dadurch wird deutlich, dass die Steuerhinterziehung nicht die wirkliche Verletzung des Steuerfiskus durch den endgültigen Untergang des staatlichen Steueranspruchs zwingend voraussetzt (§ 370 Abs. 4 AO). Folglich handelt es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Gefährdungsdelikt. Der tatbestandsmäßige Erfolg des § 370 AO ist somit nicht der (endgültige) Untergang des staatlichen Steueranspruchs, sondern eine nicht ordnungsgemäße Festsetzung. Der Steueranspruch bleibt hingegen bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung bestehen, wobei die konkrete Gefährdung des Steueranspruchs keine Tatbestandsvoraussetzung ist.

4 Der Tatbestand des § 370 AO ist gegliedert in den Grundtatbestand in Absatz 1, die Versuchsstrafbarkeit in Absatz 2, im Hinblick auf die Strafzumessung relevante besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung in Absatz 3 sowie weitere Ergänzungen in den Absätzen 4 bis 7.

5§ 370 AO erfasst ausschließlich die Hinterziehung von Steuern i. S. von § 3 Abs. 1 bis 3 AO und die Erschleichung von Steuervorteilen (Erlass, Stundung usw.), so dass Manipulationen von steuerlichen Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 4 AO nicht den Tatbestand erfüllen. Insoweit handelt es sich auch nicht um einen strafbaren Betrug (§ 263 StGB). Das Erschleichen von Subventionen oder Investitionszulagen erfüllt einen eigenen Straftatbestand (§ 264 StGB).

6§ 370 AO ist darüber hinaus – wie sich aus § 1 Abs. 1 AO i. V. mit § 3 AO ergibt – nur anwendbar auf Steuern, die durch Bundes- oder EU-Recht geregelt sind und durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Daraus ergibt sich, dass § 370 AO nicht unmittelbar auf Kirchensteuer, Landes- und Gemeindesteuern anwendbar ist. Deshalb verweisen die Landesgesetze zum Schutz der Landes- und Gemeindesteuern in der Regel auf die §§ 369 ff. AO. Im Hinblick auf die Kirchensteuer wurde hingegen in allen Bundesländern auf entsprechende Verweise verzichtet.

§ 370 Abs. 6 AO erweitert darüber hinaus den Anwendungsbereich des § 370 AO auf bestimmte ausländische Steuern, die sonst aufgrund der Formulierung des § 1 Abs. 1 AO nicht von § 370 AO erfasst würden.

Ferner wird durch § 370 Abs. 7 AO die Strafbarkeit nach § 370 AO unabhängig vom Recht des Tatorts auf Straftaten erweitert, die außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen wurden. Insoweit ist es unerheblich, wo der Täter oder Teilnehmer gehandelt hat und wo der Erfolg eingetreten ist.

7Strukturell ist bei § 370 Abs. 1 AO wie bei anderen Straftatbeständen zu unterscheiden zwischen

  • Tatbestand = Der Tatbestand ist die gesetzliche Zusammenfassung der Merkmale, die die Voraussetzungen der Strafbarkeit umschreiben. Der Tatbestand wird wiederum gegliedert in den objektiven Tatbestand (= äußere Tatbestandmerkmale, die das äußere Bild der Tat bestimmen; insbesondere Handlung, Erfolg und Kausalität) und den subjektiven Tatbestand (= innere Tatbestandsmerkmale, die der Vorstellungswelt des Täters angehören; insbesondere der Vorsatz).

  • Rechtswidrigkeit = Der Verwirklichung des Tatbestands ist rechtswidrig, wenn sie der Rechtsordnung widerspricht; Rechtfertigungsgründe können dies ausschließen und das Unrecht der Tat beseitigen.

  • Schuld: Bei der Schuld handelt es sich um die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat.

Hinweis

Die Struktur des § 370 Abs. 1 AO ergibt sich im Einzelnen aus der Arbeitshilfe in 240 ff.

8-14 Einstweilen frei

II. Strafbefreiende Selbstanzeige

15 Einer der größten Unterschiede zwischen dem allgemeinen Strafrecht und dem Steuerstrafrecht liegt in § 371 AO. Im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht, in dem mit der Vollendung der Tat die Strafe verwirkt ist und eine Strafbefreiung nur in Ausnahmefällen vorgesehen ist, gibt das Steuerstrafrecht dem Täter die Möglichkeit, auch nach Vollendung bzw. Beendigung der Tat Straffreiheit zu erlangen. Er kann sich Straffreiheit „erkaufen“, indem er unrichtige Angaben berichtigt oder vollständige Angaben nachholt und den verursachten Schaden wieder gut macht. Dadurch werden dem Fiskus bisher unbekannte Steuerquellen erschlossen, was den Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch begründet. Darüber hinaus soll die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit honoriert werden.

16 Die Erstattung einer Selbstanzeige erfordert jedoch keine Freiwilligkeit. Sie kann somit auch aufgrund von Zwangslagen oder der Gefahr der Entdeckung erfolgen. Aus diesem Grunde ist die Regelung des § 371 AO auch moralisch umstritten, was im Rahmen der politischen Diskussion in den Jahren 2011 und 2014 zu der Forderung führte, die Selbstanzeige völlig abzuschaffen.

17 Es handelt sich bei § 371 AO um eine Ausnahmevorschrift, die dementsprechend nicht weit, sondern restriktiv auszulegen ist. Für die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO folgt daraus, dass diese wiederum nicht eng, sondern weit auszulegen sind.

18 Ausgehend vom , in dem er überraschend die Möglichkeit der Teilselbstanzeige abschaffte, verschärfte der Gesetzgeber die Anforderungen an eine gültige Selbstanzeige mit der am verkündeten Fassung des § 371 AO. Aufgrund einiger durch die neue Fassung des § 371 AO entstandener Probleme und des politischen Willens, die Abgabe einer Selbstanzeige weiter zu erschweren, kam es bereits zum zu einer erneuten Neuregelung. Auch mit dieser Neuregelung sind allerdings noch zahlreiche Probleme und offene Fragen verbunden.

19 Strafbefreiender Rücktritt

Neben der Möglichkeit, eine Selbstanzeige gem. § 371 AO abzugeben, besteht auch die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts nach § 24 StGB, der allerdings nur im Versuchsstadium möglich ist. Der Rücktritt erfordert objektiv keine Selbstanzeige, subjektiv ist die Straffreiheit jedoch an die einschränkende Voraussetzung der Freiwilligkeit gebunden. Der Täter muss gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB freiwillig die Ausführung der Tat aufgeben oder deren Vollendung verhindern. Im Falle der Verletzung von Steuererklärungspflichten durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung führt das bloße Nicht-weiter-Handeln nicht zur Verhinderung der Tatvollendung, so dass Straffreiheit nur gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative StGB durch aktive Berichtigung (= Verhinderung der Vollendung) erlangt werden kann. In Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 371 AO nicht erfüllt sind, weil dem Täter z. B. die Verfahrenseinleitung bekannt gegeben wurde (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO) oder eine Tatentdeckung i. S. des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt, wird der Rücktritt in der Regel nicht freiwillig sein.

20-30 Einstweilen frei

B. Problemlösungen

I. Steuerhinterziehung

1. Objektiver Tatbestand der Steuerhinterziehung

31 Entsprechend dem Prüfungsschema (vgl. Rn. 241) ist im objektiven Tatbestand zu unterscheiden zwischen der Tathandlung (vgl. Rn. 32 ff.), dem Taterfolg (vgl. Rn. 54 ff.) und der Kausalität zwischen Tathandlung und Taterfolg (vgl. Rn. 82 ff.).

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