BFH Urteil v. - XI R 58/04

Gewinnerzielungsabsicht bei Betrieb eines Heilfasten-Hauses durch einen Arzt; Gründsätze zur Abziehbarkeit Schuldzinsen für betrieblich veranlasste Verbindlichkeiten

Leitsatz

An der steuerlichen Gewinnerzielungsabsicht fehlt es, wenn die Prognose des zu erwirtschaftenden Totalgewinns negativ ist und der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen und Neigungen ausübt. Liegen verschiedene, wirtschaftlich eigenständige Betätigungen vor, ist die Gewinnerzielungsabsicht nicht einheitlich für die gesamte Tätigkeit, sondern gesondert für die jeweilige Betätigung zu prüfen (sog. Segmentierung). Eine gesonderte Prüfung ist vorzunehmen, wenn der Betrieb einer Heilfasten-Klinik und einer Allgemeinarztpraxis durch einen Arzt nach der Verkehrsauffassung ohne Schwierigkeiten von einander getrennt werden können.

Gesetze: EStG § 2; EStG § 4 Abs. 4; EStG § 15; EStG § 16; EStG § 24 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arzt.

Er betrieb bis 1980 eine große Allgemeinarztpraxis in A. Im gleichen Jahr erwarb er ein Grundstück in U, auf dem ein „Wohn-/Heilfastenhaus” gebaut werden sollte. Im darauf folgenden Jahr 1981 gründete er außerdem eine kleine Allgemeinarztpraxis in W.

Ab 1982 errichtete der Kläger überwiegend mit Fremdmitteln auf dem Grundstück in U ein Gebäude mit einer Nutzfläche von insgesamt 544,91 qm. Es wurde in der Folgezeit zu 47,55 v.H. zu eigenen Wohnzwecken und zu 52,45 v.H. zur Beherbergung von Gästen sowie als häusliches Arbeitszimmer genutzt.

Der Kläger erklärte ab 1983 —neben seinen umsatzsteuerfreien Umsätzen aus seiner Arztpraxis— Umsätze aus dem „Gästehaus” in U („Heilfasten und andere Kursangebote”). Ertragsteuerlich erklärte er die diesbezüglichen Einnahmen und Ausgaben bis einschließlich 1985 im Rahmen seiner Einnahme-Überschuss-Rechnungen für seine Arztpraxis. Ab 1986 erstellte er insoweit jeweils gesonderte Ertragsberechnungen. Nach den Angaben des Klägers ergaben sich —im Wesentlichen bedingt durch Schuldzinsen und Absetzung für Abnutzung (AfA)— von Anfang an nur Verluste, die sich für die Jahre 1984 bis 1987 auf insgesamt rund 200 000 DM beliefen. Die Verluste wurden in den Einkommensteuerbescheiden 1984 bis 1987 als solche aus Gewerbebetrieb jeweils in der erklärten Höhe berücksichtigt.

Für die Jahre 1988 bis 1997 erklärte der Kläger weiterhin nur Verluste aus dem „Gästehaus” einschließlich der dort abgehaltenen Kurse. Sie betrugen für die Streitjahre 1990 bis 1997 insgesamt 304 802 DM und beruhten im Wesentlichen darauf, dass den weiterhin hohen Aufwendungen für Schuldzinsen und AfA nur noch geringe Einnahmen gegenüberstanden. Diese betrugen in den Streitjahren 1990 bis 1997 insgesamt lediglich 4 790 DM und bestanden im Wesentlichen aus Zahlungen, die Angehörige bzw. Mitglieder eines Meditationskreises für die zeitweilige Nutzung einzelner Räume geleistet hatten. Aus der Beherbergung von Gästen und der Durchführung von Kursen wurden keine Einnahmen mehr erzielt.

Die veranlagten Gewinne aus der Arztpraxis in W betrugen in den Streitjahren 1990 bis 1997 insgesamt rund 1,3 Mio. DM.

In einer im Jahr 1993 durchgeführten Betriebsprüfung, die sich auf die Jahre 1990 bis 1992 erstreckte, vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Erzielung eines Totalgewinns nicht möglich sei und der Kläger das Gästehaus nur aus persönlichen Motiven und Neigungen, nämlich aus einer esoterisch-religiösen Einstellung heraus, weiter betreibe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte der Auffassung des Prüfers und erließ gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1988 bis 1992 sowie erstmalige Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1997, in denen die vom Kläger für das Gästehaus erklärten Verluste unberücksichtigt blieben.

Die eingelegten Einsprüche hatten nur hinsichtlich der Jahre 1988 und 1989, nicht jedoch auch für die Jahre 1990 bis 1997 Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) Nürnberg wies die Klage wegen Einkommensteuer 1990 bis 1997 als unbegründet ab. Das FG führte u.a. aus:

Die Arztpraxis in W und der Betrieb des Gästehauses in U seien vom FA zu Recht nicht als Einheit, aus der der Kläger insgesamt Gewinne erzielt habe, betrachtet worden. Auch habe jedenfalls in den Streitjahren 1990 bis 1997 eine Gewinnerzielungsabsicht nicht mehr vorgelegen. Der Kläger habe bislang mit dem Betrieb des Gästehauses nur Verluste erzielt. Dies gelte auch für die Zeit bis einschließlich 1989, in der die Ehefrau des Klägers noch maßgeblich beim Betrieb des Gästehauses mitgewirkt habe.

Mit seiner Revision begehrt der Kläger vorrangig die Berücksichtigung der entstandenen Verluste in voller Höhe, zumindest aber die Berücksichtigung der darin enthaltenen Schuldzinsen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie die Einkommensteuerbescheide 1990 bis 1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Aufwendungen und Einnahmen aus dem Gästehaus im Rahmen der Ermittlung seines steuerpflichtigen Einkommens zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Vorinstanz, dass der Kläger in den Streitjahren keine steuerlich beachtlichen Verluste aus Gewerbebetrieb erlitten hat. Er kann aber auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang Schuldzinsen als nachträgliche Betriebsausgaben i.S. von § 4 Abs. 4 i.V.m. §§ 15, 24 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind.

1. Die Vorinstanz hat rechtsfehlerfrei die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der geltend gemachten Verluste aus der vom Kläger in U ausgeübten Tätigkeit in den Streitjahren 1990 bis 1997 abgelehnt. Dies gilt unabhängig davon, ob man diese Tätigkeit —wie zunächst der Kläger selbst und auch die Vorinstanz— als Betrieb eines Gästehauses bezeichnet oder —wie der Kläger im vorliegenden Verfahren— als Betrieb einer Heilfasten-Klinik.

a) Steuerlich zu berücksichtigende Einkünfte i.S. von § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 EStG sind nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige mit der Tätigkeit beabsichtigt, auf Dauer einen Gewinn zu erzielen, also Gewinnerzielungsabsicht hat. Beim Fehlen einer solchen Absicht handelt es sich um eine steuerlich unbeachtliche private Tätigkeit, sog. Liebhaberei (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— seit Beschluss des Großen Senats vom GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; z.B. Senatsurteil vom XI R 6/02, BFHE 208, 557, BStBl II 2005, 392, m.w.N.).

Gewinnerzielungsabsicht ist das Streben nach Betriebsvermögensmehrung in Gestalt eines Totalgewinns; angestrebt werden muss ein positives Ergebnis zwischen Betriebsgründung und Betriebsbeendigung. An dieser Absicht fehlt es, wenn die Prognose des zu erwirtschaftenden Totalgewinns negativ ist und der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen und Neigungen ausübt (ständige Rechtsprechung des Großen Senats des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; z.B. Senatsurteil in BFHE 208, 557, BStBl II 2005, 392, m.w.N.).

Liegen verschiedene, wirtschaftlich eigenständige Betätigungen vor, ist die Gewinnerzielungsabsicht nicht einheitlich für die gesamte Tätigkeit, sondern gesondert für die jeweilige Betätigung zu prüfen, sog. Segmentierung (, BFHE 181, 133, BStBl II 1997, 202; vom X R 106/95, BFH/NV 1999, 1081). Eine wirtschaftlich eigenständige Betätigung ist anzunehmen bei einem selbständigen Tätigkeitsbereich, der keine bloße Hilfs- oder Nebentätigkeit zur Haupttätigkeit ist.

b) Zu Recht hat die Vorinstanz den Betrieb der Heilfasten-Klinik in U hinsichtlich der Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht als eigenständige Tätigkeit neben der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers als niedergelassener Arzt in W behandelt und insoweit eine Gewinnerzielungsabsicht verneint.

aa) Der Betrieb der Heilfasten-Klinik in U ist sachlich und wirtschaftlich von der Arztpraxis des Klägers in W abgrenzbar. Selbst wenn zufriedene Heilfasten-Gäste sich dem Kläger auch als niedergelassenem Arzt zwecks ambulanter ärztlicher Behandlung im Rahmen seiner Arztpraxis anvertraut haben sollten oder dies vom Kläger zwecks Steigerung des Gewinns seiner Arztpraxis zumindest erstrebt wurde, so handelte es sich dabei um vom stationären Heilfasten unter ärztlicher Aufsicht deutlich abgegrenzte Vorgänge, die auch gesondert abgerechnet werden konnten. Dass die beiden Tätigkeiten tatsächlich nicht als Haupt- und Nebentätigkeit in einem Förder- und Sachzusammenhang zueinander standen, zeigt sich zudem daran, dass der Kläger seine ärztliche Praxis in allen Streitjahren mit beträchtlichen Gewinnen weiterführen konnte, obwohl der Betrieb der Heilfasten-Klinik nach dem Wegzug seiner Ehefrau zum Erliegen gekommen war.

Allein dadurch, dass das Heilfasten unter ärztlicher Aufsicht stattfinden sollte, stellte sich der Betrieb der Heilfasten-Klinik in U entgegen der Ansicht des Klägers nicht als eine mit der freiberuflichen Tätigkeit in der Arztpraxis in W einheitlich zu beurteilende Tätigkeit dar. Die Wahrnehmung der ärztlichen Aufsicht über die Heilfasten-Klinik in U war nicht derart mit der Tätigkeit in der Arztpraxis in W verflochten, dass sie sich gegenseitig bedingten. Vielmehr waren die beiden Tätigkeitsbereiche nach der Verkehrsauffassung voneinander ohne Schwierigkeiten trennbar.

bb) Ebenfalls zu Recht hat die Vorinstanz angenommen, dass der Betrieb der Heilfasten-Klinik bei objektiver Betrachtung nicht zur Erzielung eines Totalgewinns geeignet war und der Kläger bei der Erwirtschaftung der Verluste jedenfalls ab 1990 keine Gewinnerzielungsabsicht gehabt hat.

Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger trotz auf niedrigstem Niveau stagnierender Einnahmen und anhaltend hoher Verluste weder Maßnahmen zur Erzielung positiver Ergebnisse ergriffen noch den verlustbringenden Betrieb i.S. des § 16 EStG durch Überführung der Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen endgültig aufgegeben. Die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanz, dass die gelegentlichen Annoncen und die zeitweilige Überlassung einzelner Räume an Angehörige nicht geeignet waren, eine grundlegende Verbesserung der Gewinnsituation oder gar einen Totalgewinn herbeizuführen, und daher auch aus der damaligen Sicht des Klägers nicht als geeignete Umstrukturierungsmaßnahmen angesehen werden konnten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie verstößt weder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, noch beruht sie auf einem Verfahrensmangel (§ 118 Abs. 2 FGO).

Zu den persönlichen Gründen und Motiven des Klägers hat das FG festgestellt, dass der Kläger das in Rede stehende Objekt für die Aufnahme von Verwandten und die Zusammenkünfte eines spirituellen Kreises, dem er auch selbst angehörte, freihalten wollte. Diese Feststellungen sind vom Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und daher revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das FG auch den Umstand, dass dem Kläger beträchtliche andere Einkünfte für einen Verlustausgleich zur Verfügung standen und die Berücksichtigung der erwirtschafteten Verluste zu erheblichen Steuerersparnissen geführt hätte, als weitere Beweisanzeichen für die Fortführung des Verlustbetriebs aus persönlichen Gründen gewertet.

2. Es fehlen Feststellungen der Vorinstanz, die dem erkennenden Senat eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob und ggf. in welchem Umfang die in den streitigen Verlusten enthaltenen Schuldzinsen bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte des Klägers als nachträgliche Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 i.V.m. §§ 15, 24 Nr. 2 EStG anzusetzen sind.

Die Vorinstanz hat in dem angefochtenen Urteil offengelassen, ob der Kläger in den Jahren vor 1990 im Zusammenhang mit dem Betrieb der Heilfasten-Klinik bzw. des Gästehauses überhaupt eine Gewinnerzielungsabsicht hatte. Diese Frage ist aber entscheidungserheblich, weil die auf betriebliche Verbindlichkeiten entfallenden Schuldzinsen auch nach dem Übergang zur Liebhaberei noch steuerlich zu berücksichtigen sind. Schuldzinsen können nach den Grundsätzen des (BFHE 199, 241, BStBl II 2002, 809) auch nach dem Übergang zur Liebhaberei als nachträgliche Betriebsausgaben geltend gemacht werden, soweit sie im Falle einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe abziehbar gewesen wären. Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass ursprünglich eine Gewinnerzielungsabsicht vorgelegen hat, wird es feststellen müssen, in welchem Umfang der Zinsaufwand auf solche im Zeitpunkt des Übergangs zum Liebhabereibetrieb vorhandenen und ablösbaren betrieblichen Kreditverbindlichkeiten entfiel, die mit dem in diesem Zeitpunkt erzielbaren Erlös aus der Verwertung des gesamten Aktivvermögens —einschließlich des für den Betrieb der Heilfasten-Klinik bzw. des Gästehauses vorgehaltenen Gebäudeteils— nicht hätten getilgt werden können (vgl. auch , BFHE 200, 504, BStBl II 2003, 282, und vom X R 62/01, BFHE 208, 522, BStBl II 2005, 336).

Die nicht entscheidungsreife Sache wird zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückverwiesen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 434 Nr. 3
HFR 2007 S. 318 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2007 S. 10
RAAAC-35635