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Die Passivierung von Erfüllungsrückständen in der Steuerbilanz
Systematische Einordnung, Abgrenzung und Typisierung
Rückstellungen sind Teil des bilanziellen Fremdkapitals mit erheblicher finanzieller und fiskalischer Bedeutung. Oftmals sind sie Streitgegenstand im Rahmen steuerlicher Außenprüfungen mit unterschiedlicher Interessenlage der Beteiligten. Konflikte werden im Rahmen der elektronischen Übermittlung nach § 5b EStG und der nachfolgenden Veranlagung regelmäßig nicht erkannt, sondern mitunter erst Jahre später im besonderen Ermittlungsverfahren thematisiert. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen den abstrakten Normen des Bilanzrechts und den vielfältigen und häufig langfristigen Rückstellungssachverhalten der Unternehmensrealität. Der Beitrag widmet sich der bilanziellen Abbildung von Erfüllungsrückständen im Rahmen von Schuldverhältnissen und konzentriert sich dabei auf die oftmals konfliktträchtige Abbildung in der Steuerbilanz.
Bongaerts/Zimmermann, Rückstellungen, in: Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht, 4. Aufl. 2021, Rz. 5520, NWB BAAAH-92840
Welche Kriterien kennzeichnen bilanzielle Erfüllungsrückstände und wie sind sie gegenüber Drohverlusten abzugrenzen?
In welchen Sachverhaltskonstellationen sind Erfüllungsrückstände verstärkt festzustellen?
Können das Kriterium „Überlagerndes eigenbetriebliches Interesse“ und der Wesentlichkeitsgrundsatz die Passivierung in der Steuerbilanz begrenzen?
I. Einordnung in die bilanzrechtliche Systematik
[i]Bisle/Dönmez, in: Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG, 7. Aufl. 2022, § 5 Rz. 241, NWB QAAAH-96652 Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 13. Aufl. 2022, § 249, NWB HAAAH-90988 § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sieht Passivierungspflichten für zwei Rückstellungskategorien vor, nämlich für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Ungewisse Verbindlichkeiten sind einerseits Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach bestehen, deren Höhe aber noch ungewiss ist, andererseits Verbindlichkeiten, deren künftiges Entstehen, ggf. zusätzlich auch deren Höhe, noch ungewiss ist. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot gehört zu den GoB und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.
Während Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bilanztheoretisch mit dem Vorsichtsprinzip gerechtfertigt werden, sind Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften im Imparitätsprinzip verankert. Die Differenzierung ist steuerrechtlich aufgrund des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 4a EStG von besonderer Bedeutung. Ausgeklammert werden jedoch sog. Erfüllungsrückstände, also Konstellationen, in denen das Gleichgewicht der bestehenden Vertragsbeziehung am Bilanzstichtag gestört ist.
Mit Urteil vom hat der XI. Senat eine Rückstellung für die Lagerung sowie für die Wartung, Pflege und Reparatur von Werkzeugen, die im Eigentum der Auftraggeber stehen, anerkannt. Damit wurde die Entscheidung der Vorinstanz, des FG Münster, bestätigt, die hierin „... rückstellungsfähige Aufwendungen aufgrund eines Erfüllungsrückstands“ erkannte. Allein schon die Formulierung lässt aufhorchen, denn suggeriert wird ein PassivierungsS. 402wahlrecht, das aber de lege lata gar nicht existiert. Die Begründung der BFH-Entscheidung beginnt gleichermaßen verwirrend: „Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, eine Rückstellung für Leistungen im Zusammenhang mit sog. Werkzeugverträgen bilden kann.“ Der BFH versäumt auch im weiteren Verlauf der Begründung die Gelegenheit zu einer eindeutigen bilanzrechtlichen Einordnung des pflichtweise zu erfassenden Erfüllungsrückstands. In dem anhängigen Verfahren IV R 22/20 muss sich der IV. Senat des BFH mit Fragen des Erfüllungsrückstands bei einer Projektentwicklungsgesellschaft, welche die geschuldeten Leistungen, für die sie bereits Honorare erhalten hat, bis zum Bilanzstichtag noch nicht oder noch nicht vollständig erbracht hat, auseinandersetzen, was die Bedeutung des Themas unterstreicht. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob das von der BFH-Rechtsprechung (neu) eingebrachte Kriterium des eigenbetrieblichen Interesses eine Passivierung der Erfüllungsrückstände überlagert. Auch der Wesentlichkeitsgrundsatz könnte rückstellungsbegrenzend wirken.