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Grundlagen - Stand: 02.04.2024

Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG)

Dr. Egid Baumgartner

A. Einleitung

I. Sinn und Zweck sowie praktische Bedeutung der Vorschrift

1Der Wortlaut des § 1 Abs. 1a UStG lautet:

„Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers.“

Der Wortlaut von § 15a Abs. 10 UStG lautet:

„Bei einer Geschäftsveräußerung (§ 1 Abs. 1a) wird der nach den Absätzen 1 und 5 maßgebliche Berichtigungszeitraum nicht unterbrochen. Der Veräußerer ist verpflichtet, dem Erwerber die für die Durchführung der Berichtigung erforderlichen Angaben zu machen.“

2Sinn und Zweck einer Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG) ist die steuerliche Erleichterung von Unternehmensübertragungen oder der Übertragung von Unternehmensteilen. Es soll vermieden werden, „dass die Mittel des Begünstigten übermäßig steuerlich belastet werden, zumal er diese Belastung später durch einen Vorsteuerabzug wiedererlangen würde.“ „Würde auf eine Unternehmensübertragung Mehrwertsteuer erhoben, so würden erhebliche Geldbeträge blockiert, nur um später abgezogen zu werden.“

Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen liegt vor,

„wenn die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens oder eines gesondert geführten Betriebs an einen Unternehmer für dessen Unternehmen übertragen werden, wobei die unternehmerische Tätigkeit des Erwerbers auch erst mit dem Erwerb des Unternehmens oder des gesondert geführten Betriebs beginnen kann“.

3Wird trotz der Nichtsteuerbarkeit der Geschäftsveräußerung Umsatzsteuer dennoch ausgewiesen, so gilt § 14c Abs. 1 UStG (§ 14c Abs. 1 Satz 3 UStG) mit der Folge, dass der Rechnungsaussteller die ausgewiesene Umsatzsteuer schuldet. Die Vorschrift begründet eben kein Wahlrecht, die Übertragung als nicht steuerbar zu behandeln. Ein Wahlrecht räumt lediglich die MwStSystRL den nationalen Gesetzgebern ein, die Geschäftsveräußerung im Ganzen grundsätzlich umsatzsteuerrechtlich zu privilegieren (siehe hierzu ausführlich unten unter „II. Europarechtlicher Rahmen durch Art. 19 und Art. 29 MwStSystRL“, Rn. 10 ff.). Vielmehr ist die Vorschrift in Deutschland als Mussvorschrift ausgestaltet. Demnach dürfen Umsätze, die als Geschäftsveräußerung im Ganzen zu bewerten sind, nicht mit Umsatzsteuer abgerechnet werden. Nur falls keine Gefährdung des Steueraufkommens besteht, kann der leistende Unternehmer den unrichtigen Steuerausweis für ungültig erklären.

4Vorteilhaft ist aufgrund dieser Regelung, dass der vom abgebenden Unternehmer getätigte Vorsteuerabzug erhalten bleibt. Für den Veräußerer führt die Geschäftsveräußerung nicht zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs (§ 15a Abs. 10 UStG).

Die Aufwendungen im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen sind Gemeinkosten und entsprechend der Ausgangsumsätze des Veräußerers abzugsfähig und ggf. aufzuteilen.

Am häufigsten kommen Geschäftsveräußerungen im Ganzen bei Unternehmens- und Grundstückstransaktionen vor. Oftmals lässt sich die Frage, ob bei einer Transaktion eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt, nicht abschließend beantworten.

Praxishinweis

Das nachträgliche Bekanntwerden einer Steuerpflicht oder einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen qua Wertung des Finanzamts stellt eine rechtliche Würdigung und keine neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Falls bspw. zu Unrecht eine Geschäftsveräußerung im Ganzen angenommen worden ist, schuldet der Veräußerer die gem. § 233a AO aufgelaufenen Zinsen. Umgekehrt kann der Erwerber i. d. R. nicht von der Verzinsung profitieren, da ein Vorsteueranspruch erst bei Vorliegen einer Rechnung geltend gemacht werden kann. Ein etwaiger zivilrechtlicher Ausgleich zwischen den Vertragsparteien setzt naturgemäß voraus, dass nach Jahren seit der tatsächlichen Transaktion der Vertragspartner bzw. weitere Beteiligte wie etwa Garanten überhaupt noch existieren. Die Vertragspraxis behilft sich damit, dieser verbleibenden Unsicherheit bereits bei Vertragsschluss durch die Vereinbarung einer unbedingten Option zur Steuerpflicht Rechnung zu tragen (siehe hierzu unten unter „E. Option zur Steuerpflicht“, Rn. 115 ff., sowie „K. Arbeitshilfen, Arbeitshilfe 3: Umsatzsteuerklausel für eine Immobilientransaktion.“, Rn. 163). Eine solche Option sollte jedoch keineswegs als ein „Allheilmittel“ gegen etwaige Umsatzsteuerrisiken betrachtet werden.

Die Geschäftsveräußerung im Ganzen stellt keine Gesamtrechtsnachfolge dar, sondern eine umsatzsteuerliche „wirtschaftsgutbezogene Einzelrechtsnachfolge.“ Folge hiervon ist, dass es zu keinem Übergang der Steuerschuldnerschaft für vor dem Erwerb im erworbenen Geschäft begründete Umsatzsteuer kommt.

5-9Einstweilen frei

II. Europarechtlicher Rahmen durch Art. 19 und Art. 29 MwStSystRL

10 Art. 19 MwStSystRL lautet: „Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten können die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist. Sie können ferner die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieses Artikels vorzubeugen.“

Art. 19 Abs. 1 der MwStSystRL (vormals Art. 5 Abs. 8 6. EG-RL) eröffnet den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht („können“), ob sie die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Deutschland hat dieses Wahlrecht ausgeübt. Andere Mitgliedsstaaten wie bspw. Österreich hingegen nicht.

Nach der Auffassung eines Teils der Literatur soll die Regelung nur für inländische Geschäftsveräußerungen im Ganzen Anwendung finden. Grenzüberschreitende Sachverhalte, die lediglich bei einer Gesamtbetrachtung der Umsätze als Geschäftsveräußerungen im Ganzen zu bewerten sind, sollen dagegen nicht unter diese Norm fallen. Der Wortlaut des Gesetzes gibt allerdings nicht vor, dass insoweit ausschließlich an den Inlandsbegriff anzuknüpfen ist. Auch die unionsrechtlichen Formulierungen in Art. 19 und 29 MwStSystRL, die begrifflich auf ein Gesamt- oder Teilvermögen abstellen, bieten hierfür keinen Raum. Müsste sich die Übertragung ausschließlich auf das Inland beschränken, würde dies auch dem Zweck der Regelung widersprechen.

11Der Begriff der Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. von § 1 Abs. 1a UStG ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff und einheitlich i. S. des MwStSystRL auszulegen; ertragsteuerliche Überlegungen sind nicht maßgeblich. Zu berücksichtigen sind vielmehr Gesichtspunkte der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Vereinfachung von Übertragungsvorgängen bei Unternehmensveräußerungen.

Insbesondere gibt es keine Definition des Begriffs „Übertragung des Gesamtvermögens“. Daher muss der Begriff „in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung“ finden. Demnach ist die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils dann von Art. 19 MwStSystRL erfasst, wenn die Übertragung jeweils materielle und ggf. immaterielle Bestandteile umfasst, die zusammen genommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann; er schließt jedoch nicht die bloße Übertragung von Gegenständen wie den Verkauf eines Warenbestands ein. Der Begriff der Geschäftsveräußerung im Ganzen ist richtlinienkonform auszulegen und beruht auf einer Rechtsfortbildung bzw. der ständigen Rechtsprechung des EuGH.

Die naturgemäß abstrakten Grundsätze aus der EuGH-Rechtsprechung werden dabei von BFH und den Finanzgerichten im Wege einer recht kasuistischen Rechtsprechung konkretisiert.

12Die folgende Tabelle stellt einen Vergleich zwischen den Richtlinien-Vorgaben und der nationalen Umsetzung dar:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Vergleichskriterium
Gemeinschaftsrechtliche Vorgabe in Art. 19 Abs. 1 MwStSystRL
Nationale Umsetzung in § 1 Abs. 1a UStG
Übertragungsgegenstand
(1. Variante)
Gesamtvermögen
Unternehmen
Übertragungsgegenstand
(2. Variante)
Teilvermögen
In der Gliederung gesondert geführter Betrieb
Entgeltlichkeit
Entgeltlich oder unentgeltlich
Entgeltlich oder unentgeltlich
Umwandlung
Einbringung in Gesellschaft
Einbringung in Gesellschaft
Rechtsnachfolge
Den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen
Der erwerbende Unternehmer tritt an Stelle des Veräußerers

13-14Einstweilen frei

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