BFH Urteil v. - IX R 100/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb 1996 für 100 000 DM von seinem Vater einen Miteigentumsanteil an dessen mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstück. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die Eigenheimzulage einschließlich der Kinderzulage für ein Kind zunächst erklärungsgemäß auf 4000 DM ab 1996 fest. Aufgrund der späteren Mitteilung des Klägers, seine Eltern hätten ihm den Tilgungsbetrag des zur Finanzierung des Kaufpreises aufgenommenen Darlehens geschenkt, ging das FA von einer mittelbaren Grundstücksschenkung aus und hob die Festsetzung der Eigenheimzulage mit Bescheid vom nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden. In einem gerichtlichen Schreiben vom äußerte der Berichterstatter Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit und tatsächliche Durchführung der Kaufpreisvereinbarung und gab dem Kläger Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme bis zum .

Am wies der Berichterstatter die Klage ohne mündliche Verhandlung durch ein am dem Klägervertreter zugestelltes Urteil ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Die Vorentscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 119 Nr. 3 FGO).

Der Kläger hat den Verfahrensfehler ordnungsgemäß gerügt. Er hat nicht nur die Tatsachen bezeichnet, aus denen sich der Verfahrensverstoß ergibt (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.; zur Weitergeltung dieser Vorschrift nach dem siehe Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze —2.FGOÄndG— vom , BGBl I 2000, 1757, 1760; jetzt: § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO), sondern überdies im Einzelnen angegeben, was er noch vorgetragen hätte, wenn ihm das rechtliche Gehör ordnungsgemäß gewährt worden wäre, und dass bei Berücksichtigung dieses Vorbringens die Entscheidung anders hätte ausfallen können. Der Senat muss deshalb nicht entscheiden, ob derart substantiierte Ausführungen für die ordnungsgemäße Rüge eines Gehörverstoßes wegen einer Entscheidung vor Ablauf der Äußerungsfrist überhaupt noch erforderlich sind, nachdem sie der Große Senat des (BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802) für den Fall der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung in Abwesenheit nicht mehr verlangt.

2. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist dadurch verletzt worden, dass er sich vor dem Erlass der Vorentscheidung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht mehr abschließend zum Verfahren und zu den vom Berichterstatter dargelegten Bedenken gegen die steuerrechtliche Anerkennung des Kaufvertrages hat äußern können.

a) Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO gewährleisten dem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, sich zu den der Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 188, 273, BStBl II 1999, 531). Entscheidet das Gericht, bevor eine von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme verstrichen ist, verletzt es das rechtliche Gehör (Bundesverfassungsgericht —BVerfG— Beschlüsse vom 1 BvR 570/77, BVerfGE 49, 212, und vom 2 BvR 402/60, BVerfGE 12, 110; Bayrisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 1Z BR 109/00, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2001, 454). Die Gelegenheit zu schriftlicher Stellungnahme ist von besonderer Bedeutung, wenn das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet: Nur durch ihren schriftlichen Vortrag erarbeiten die Beteiligten das Gesamtergebnis des Verfahrens. Verlieren sie die Möglichkeit, Stellung zu nehmen, so ist dies innerhalb der Tatsacheninstanz endgültig (vgl. BFH in BFHE 188, 273, BStBl II 1999, 531, zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid).

b) Im Streitfall hatte das FG dem Kläger mit Schriftsatz vom eine Frist zur abschließenden Stellungnahme bis zum gesetzt. Das Urteil erging aber bereits am und wurde dem Kläger noch vor Ablauf der Frist, nämlich am zugestellt. Darin liegt eine Verletzung des Rechts auf Äußerung zu dem Rechtsstreit.

3. Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Vorentscheidung ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben ist. Nach § 119 Nr. 3 FGO wird vermutet, dass das Urteil auf der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht. Die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO gilt einschränkungslos (so Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, C. III. 2.); eine Entscheidung des Revisionsgerichts in der Sache aufgrund des § 126 Abs. 4 FGO ist dann ausgeschlossen. Überdies hat sich der Verstoß auf das Gesamtergebnis ausgewirkt (vgl. , BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter B. III. 2. c, m.w.N.; BFH-Urteil in BFHE 188, 273, BStBl II 1999, 531); denn der Kläger hat sich zu dem richterlichen Schreiben vom innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht äußern können.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 945 Nr. 7
TAAAA-69018