BFH Beschluss v. - V B 244/03

Rechtliches Gehör nach Verzicht auf mündliche Verhandlung unter Ankündigung eines Schriftsatzes

Gesetze: FGO § 90 Abs. 2, §§ 96, 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) veräußerte im Streitjahr (1995) Grundstücke und behandelte diese Veräußerungen zunächst als umsatzsteuerfrei. Nachdem der Kläger im Rahmen einer im Jahr 1998 erfolgten Betriebsprüfung nachträglich auf die Steuerbefreiung verzichtet und die Grundstücksveräußerungen als steuerpflichtig behandelt hatte, änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte infolge der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung nach § 233a, § 239 Abs. 1 AO 1977 erstmalig Zinsen zur Umsatzsteuer fest.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) trug der Kläger im Klageverfahren vor, die Festsetzung sei rechtswidrig, weil ihm im Rahmen der Schlussbesprechung vom Vorsteher des für die Durchführung der Betriebsprüfung zuständigen Finanzamts für Großbetriebsprüfung (Bp-FA) zugesagt worden sei, mit Nachzahlungszinsen nach § 233a AO 1977 sei nicht zu rechnen und der Kläger müsse keinerlei Beträge zahlen, weil der Vorgang kostenneutral behandelt werde. Diese Zusage sei nicht offensichtlich rechtswidrig und der Vorsteher des Bp-FA sei üblicherweise für die Fragen der Besteuerung zuständig. Wenn in der Schlussbesprechung seitens des Bp-FA ein Gestaltungsvorschlag gemacht und zugleich bestätigt werde, dass der Vorgang keine Verzinsung nach sich ziehe, dürfe der Kläger darauf vertrauen.

Das FA bestritt das Vorliegen einer solchen Zusage. Nachdem das FA auf den Vortrag des Klägers zuletzt mit Schriftsatz vom erwidert hatte, übersandte das FG am die Stellungnahme des FA an den Kläger zur Stellungnahme bis „”. Am hat es die Beteiligten sowie drei vom Kläger benannte Zeugen zur mündlichen Verhandlung am geladen. Am hob das FG die Ladung der Zeugen auf. Daraufhin verzichtete der Kläger mit Schriftsatz vom auf mündliche Verhandlung und teilte gleichzeitig mit, er werde auf den letzten Schriftsatz des FA (vom ) noch schriftsätzlich erwidern. Nachdem auch das FA auf mündliche Verhandlung verzichtet hatte, hob das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung auf, teilte dies dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am mit und wies die Klage durch Urteil vom (nicht veröffentlicht —n.v.—) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ab, weil der Vorsteher des Bp-FA für eine bindende Zusage nicht zuständig gewesen sei und das FA schon deshalb keine verbindliche Zusage abgegeben habe.

Mit Schriftsatz vom , beim FG eingegangen am , nahm der Kläger zum Schriftsatz des FA vom Stellung. Das Urteil des FG wurde am ausgefertigt, am abgesandt und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG habe den Streitfall entschieden, bevor die von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme abgelaufen gewesen sei.

Das FG habe zwar ausdrücklich eine Frist bis zum „” gesetzt, diese sei aber bei Eingang des Schreibens am bereits abgelaufen gewesen. Deshalb könne nach seiner Auffassung nur der gemeint gewesen sein. Diese Frist habe der Kläger mit Schriftsatz vom eingehalten. „Zur Überraschung des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten” habe das FG aber die Klage bereits am abgewiesen, ohne die Stellungnahme abzuwarten. Selbst wenn das FG aber —anders als nach Auffassung des Klägers— eine Frist bis zum habe setzen wollen, habe es gleichfalls vor Ablauf dieser Frist entschieden. Selbst wenn in diesem Fall nichts mehr vorgetragen worden wäre, sei das rechtliche Gehör des Klägers verletzt.

Der Kläger beantragt, die Revision gegen das zuzulassen.

Das FA hat keinen Antrag gestellt. Zum geltend gemachten Verfahrensfehler hat es sich nicht geäußert; in der Sache verteidigt es die angefochtene Vorentscheidung.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

1. Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—); das Gericht darf sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Ein Gericht darf keine Entscheidung treffen, bevor eine von ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme verstrichen ist (, BFH/NV 2002, 945; vom V B 242/02, BFH/NV 2003, 940), und zwar auch dann nicht, wenn dem Gericht die Sache vorher entscheidungsreif erscheint (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom   1 BvR 1646/02, n.v.; vom   2 BvR 402/60, BVerfGE 12, 110).

2. Gemessen daran hat das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Das FG hat den Kläger am zu einer mündlichen Verhandlung am geladen. Der Kläger musste deshalb —unabhängig von den vorherigen Äußerungen des Gerichts— seit der Terminsladung davon ausgehen, dass er seinen Anspruch auf rechtliches Gehör bis zum ausüben könne und das FG den Rechtsstreit an diesem Tag aufgrund des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung (§ 96 Abs. 1 FGO) durch Urteil entscheiden werde (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO). Diese (neue) Frist hat das FG eingehalten, das Urteil kam daher —entgegen der Auffassung des Klägers— auch nicht „überraschend”.

3. Das FG hat gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör auch nicht dadurch verstoßen, dass es aufgrund des am angekündigten und vor Absendung des FG-Urteils eingegangenen Schriftsatzes vom die Sache nicht neu beraten hat.

Zwar muss im Falle der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) ein Schriftsatz, der bis zum Absenden der Urteilsausfertigungen beim Gericht eingeht, grundsätzlich noch verwertet werden; dies gilt allerdings nur, soweit er nicht —wie hier— offensichtlich unerheblich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom VI B 24/70, BFHE 100, 351, BStBl II 1971, 25; vom XI B 100/99, BFH/NV 2002, 356; vom IV B 167/01, BFH/NV 2003, 751). Dass bei Berücksichtigung des Schriftsatzes des Klägers vom und auf der Basis der Rechtsauffassung des FG eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen wäre (vgl. dazu auch BFH-Beschlüsse vom VIII B 79/00, BFH/NV 2001, 1553; vom V B 252/02, BFH/NV 2003, 1285), ist nicht ersichtlich, weil es sich dabei um die Wiederholung und Zusammenfassung früheren Vorbringens des Klägers handelte. Das FG hatte indes das Vorbringen des Klägers in seinem Urteil zwar berücksichtigt, aber als unerheblich angesehen, weil es entscheidungserheblich auf die funktionelle Unzuständigkeit des Vorstehers des Bp-FA abgestellt hat (vgl. dazu , BFH/NV 2001, 1619, unter II. 3.; vom V R 17/96, BFH/NV 1998, 1067, unter II. 2. b bb). Hierauf hatte das FG im Übrigen bereits im Schreiben vom hingewiesen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 376
BFH/NV 2005 S. 376 Nr. 3
ZAAAB-41479