EuGH Urteil v. - C-48/98

Zollkodex der Gemeinschaften und Durchführungsverordnung – Überschreitung der Fristen für die Zollabfertigung von Nichtgemeinschaftswaren in vorübergehender Verwahrung – Begriff der Verfehlung ohne wirkliche Auswirkung auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens – Fristverlängerung – Begriff der offensichtlichen Fahrlässigkeit

Leitsatz

1. Art. 859 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen i.S. des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben".

2. a) Die in der deutschen Fassung des Art. 212 a der Verordnung Nr. 2913/92 in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderte Fassung, des Art. 239 der Verordnung Nr. 2913/92 und des Art. 859 der Verordnung Nr. 2454/93 zur Bestimmung des Grades der Fahrlässigkeit verwendeten Ausdrücke haben ein und dieselbe Bedeutung. Sie meinen - in der deutschen Fassung - die offensichtliche Fahrlässigkeit.

b) Eine offensichtliche Fahrlässigkeit i.S. des Art. 239 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2913/92 kann nicht verneint werden, wenn die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2913/92 wegen eines Verhaltens entstanden ist, das eine grobe (d.h. offensichtliche) Fahrlässigkeit i.S. des Art. 859 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 begründet.

c) Bei der Beantwortung der Frage, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" i.S. des Art. 239 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2913/92 vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage dieser Kriterien zu beurteilen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers vorliegt.

3. Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht daran, selbständig zu prüfen, ob die in Art. 859 Nr. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 aufgestellte Voraussetzung, dass eine Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen, erfüllt ist, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung von den Zollbehörden durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist.

4. a) Nur solche Umstände, die den Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist, können eine Verlängerung der Frist des Art. 49 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 rechtfertigen. Außergewöhnliche Umstände können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist. Es ist Sache der Zollbehörden und der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob diese Umstände vorliegen.

b) Das Gemeinschaftsrecht hindert einen Wirtschaftsteilnehmer nicht daran, einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist zu stellen, um Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen. Auch im Fall eines einzigen Antrags kann eine Fristverlängerung jedoch nur für solche Waren gewährt werden, für die die Frist zur Erlangung der zollrechtlichen Bestimmung noch nicht abgelaufen ist.

5. Art. 900 Abs. 1 Buchst. o der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch Art. 1 Nr. 29 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom geänderten Fassung findet auf Fälle Anwendung, in denen ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, nicht aber auf Fälle, in denen ein Anspruch auf andere Vergünstigungen bestanden hätte.

6. Die Zollbehörde oder das nationale Gericht ist verpflichtet, einen auf Art. 900 Abs. 1 Buchst. o der Verordnung Nr. 2454/93 in ihrer durch Art. 1 Abs. 29 der Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung gestützten Erstattungsantrag, der nach dieser Vorschrift nicht begründet ist, von Amts wegen im Hinblick auf die anderen Vorschriften des Art. 900 und die Art. 901 bis 904 der Verordnung Nr. 2454/93 zu prüfen. Sofern die befasste Behörde angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, nach Art. 899 der Verordnung Nr. 2454/93 über die Erstattung oder den Erlaß zu entscheiden, hat sie von Amts wegen zu prüfen, ob die Begründung i.S. von Art. 905 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 auf einen besonderen Fall schließen läßt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, und der eine Prüfung der Sache durch die Kommission erforderlich macht.

7. Die Zollbehörde oder das nationale Gericht, bei der/dem ein Antrag auf Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gestellt worden ist, kann nicht allein deshalb davon ausgehen, dass der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, weil der Tatbestand des Art. 900 Abs. 1 Buchst. o der Verordnung Nr. 2454/93 in ihrer durch Art. 1 Abs. 29 der Verordnung 3254/94 geänderten Fassung erfüllt ist.

Instanzenzug:

Gründe

1. Das Finanzgericht Bremen hat mit Beschluß vom , der am beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) sieben Fragen über die Auslegung der Artikel 49, 204 und 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im folgenden: Zollkodex) und des Artikels 212a der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 1997, L 17, S. 1) geänderten Fassung sowie über die Gültigkeit und die Auslegung des Artikels 859 und die Auslegung der Artikel 900 und 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom (ABl. L 346, S. 1; im folgenden: Durchführungsverordnung) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem deutschen Textilhandelsunternehmen Söhl & Söhlke (im folgenden: Klägerin) und dem Hauptzollamt Bremen (im folgenden: Hauptzollamt) im Zusammenhang mit mehreren Steuerbescheiden, die Zollabfertigungen aus der Zeit von Februar bis Dezember 1994 betreffen.

Gemeinschaftsrecht

3. Artikel 49 des Zollkodex bestimmt:

"(1) Wenn für die Waren eine summarische Anmeldung abgegeben worden ist, müssen innerhalb der folgenden Fristen die Förmlichkeiten erfüllt werden, damit die Waren eine zollrechtliche Bestimmung erhalten:

a) ...

b) zwanzig Tage ab dem Tag der summarischen Anmeldung für auf andere Weise [als auf dem Seeweg] beförderte Waren.

(2) Wenn es die Umstände rechtfertigen, können die Zollbehörden eine kürzere Frist festsetzen oder die Fristen nach Absatz 1 verlängern. Diese Fristverlängerung darf jedoch nicht über die durch die Umstände gerechtfertigten tatsächlichen Erfordernisse hinausgehen."

4. Artikel 204 Absatz 1 des Zollkodex sieht vor:

"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a) eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder

b) ...

es sei denn, daß sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben."

5. Artikel 203 des Zollkodex regelt den Fall, daß eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

6. Die Verordnung Nr. 82/97, die am in Kraft getreten ist, hat in den Zollkodex einen neuen Artikel 212a eingefügt; dieser lautet:

"Sieht das Zollrecht eine Befreiung von den Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gemäß den Artikeln 184 bis 187 vor, so findet diese Befreiung auch in den Fällen der Artikel 202 bis 205, 210 oder 211, in denen eine Zollschuld entsteht, Anwendung, sofern im Verhalten des Zollschuldners weder betrügerische Absicht noch offenkundige Fahrlässigkeit liegt und dieser nachweist, daß die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Befreiung erfüllt sind."

7. Artikel 239 des Zollkodex sieht vor:

"(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

- werden nach dem Ausschußverfahren festgelegt;

- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschußverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu

beachten sind. Die Erstattung oder der Erlaß kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2) Die Erstattung oder der Erlaß der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Jedoch können

- in begründeten Ausnahmefällen die Zollbehörden diese Frist verlängern ..."

8. Die Artikel 236, 237 und 238 des Zollkodex betreffen Fälle, in denen die Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren, die Zollanmeldung für ungültig erklärt wird bzw. die fraglichen Waren vom Einführer zurückgewiesen worden sind, weil sie schadhaft waren oder nicht den Bedingungen des Vertrages entsprachen.

9. Artikel 243 des Zollkodex lautet:

"(1) Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.

Einen Rechtsbehelf kann auch einlegen, wer bei den Zollbehörden eine Entscheidung auf dem Gebiet des Zollrechts beantragt hat, aber innerhalb der Frist nach Artikel 6 Absatz 2 keine Entscheidung erhalten hat.

Der Rechtsbehelf ist in dem Mitgliedstaat einzulegen, in dem die Entscheidung getroffen oder beantragt wurde.

(2) Ein Rechtsbehelf kann eingelegt werden:

a) auf einer ersten Stufe bei der von den Mitgliedstaaten dafür bestimmten Zollbehörde;

b) auf einer zweiten Stufe bei einer unabhängigen Instanz; dabei kann es sich nach dem geltenden Recht der Mitgliedstaaten um ein Gericht oder eine gleichwertige spezielle Stelle handeln."

10. Artikel 245 des Zollkodex bestimmt:

"Die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens werden von den Mitgliedstaaten erlassen."

11. Artikel 249 des Zollkodex lautet:

"(1) Die erforderlichen Durchführungsvorschriften zu diesem Zollkodex einschließlich der in Artikel 184 genannten Verordnung werden mit Ausnahme des Titels VIII und vorbehaltlich der Artikel 9 und 10 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 sowie von Absatz 4 unter Beachtung der von der Gemeinschaft eingegangenen internationalen Verpflichtungen nach dem in den Absätzen 2 und 3 beschriebenen Verfahren erlassen.

(2) Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuß einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen. Der Ausschuß gibt seine Stellungnahme zu diesem Entwurf innerhalb einer Frist ab, die der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der betreffenden Frage festsetzen kann. Die Stellungnahme wird mit der Mehrheit abgegeben, die in Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags für die Annahme der vom Rat auf Vorschlag der Kommission zu fassenden Beschlüsse vorgesehen ist. Bei der Abstimmung im Ausschuß werden die Stimmen der Vertreter der Mitgliedstaaten gemäß dem vorgenannten Artikel gewogen. Der Vorsitzende nimmt an der Abstimmung nicht teil.

(3) a) Die Kommission erläßt die beabsichtigten Vorschriften, wenn sie mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmen.

b) Stimmen die beabsichtigten Vorschriften mit der Stellungnahme des Ausschusses nicht überein oder liegt keine Stellungnahme vor, so unterbreitet die Kommission dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu erlassenden Vorschriften. Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit.

c) Hat der Rat nach Ablauf einer Frist von drei Monaten von der Befassung des Rates an keinen Beschluß gefaßt, so werden die vorgeschlagenen Vorschriften von der Kommission erlassen.

(4) Die erforderlichen Durchführungsvorschriften zu den Artikeln 11, 12 und 21 werden nach dem in Artikel 10 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 genannten Verfahren erlassen."

12. Die siebte und die achte Begründungserwägung des Zollkodex sehen vor:

"Um die einheitliche Durchführung dieses Zollkodex sicherzustellen, empfiehlt es sich, ein Gemeinschaftsverfahren festzulegen, das es ermöglicht, innerhalb angemessener Fristen Durchführungsvorschriften zu erlassen. Außerdem ist ein Ausschuß für den Zollkodex einzusetzen, um eine enge und wirksame Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission auf diesem Gebiet zu gewährleisten.

Beim Erlaß von Durchführungsmaßnahmen zum Zollkodex ist im Rahmen des Möglichen darauf zu achten, daß Betrugsfälle oder Unregelmäßigkeiten, die sich

nachteilig auf den Gesamthaushalt der Europäischen Gemeinschaften auswirken können, verhütet werden."

13. Artikel 859 der Durchführungsverordnung bestimmt:

"Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex als Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern

- es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen;

- keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;

- alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen:

1. die Überschreitung der Frist, vor deren Ablauf die Waren eine der im Rahmen der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens vorgesehenen zollrechtlichen Bestimmungen erhalten haben müssen, wenn eine Fristverlängerung gewährt worden wäre, sofern sie rechtzeitig beantragt worden wäre;

2. im Falle von Waren im Versandverfahren, das Überschreiten der Gestellungsfrist der Waren bei der Bestimmungszollstelle, sofern die Gestellung nachträglich erfolgt;

3. im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder im Zollagerverfahren der Umstand, daß die Ware ohne vorherige Bewilligungder Zollbehörden Behandlungen unterzogen wird, wenn diese Behandlungen bewilligt worden wären, sofern ein entsprechender Antrag gestellt worden wäre;

4. im Falle einer in das Verfahren der vorübergehenden Verwendung übergeführten Ware die Verwendung dieser Ware unter anderen als den in der Bewilligung vorgesehenen Voraussetzungen, sofern diese Verwendung im gleichen Verfahren bewilligt worden wäre, sofern ein entsprechender Antrag gestellt worden wäre;

5. im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem Zollverfahren deren nicht bewilligter Ortswechsel, sofern die Ware den Zollbehörden auf Verlangen vorgeführt werden kann;

6. im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem Zollverfahren das Verbringen dieser Ware aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft oder in eine Freizone oder ein Freilager ohne Erfüllung der vorgeschriebenen Zollförmlichkeiten;

7. im Falle einer Ware, für die eine Abgabenbegünstigung aufgrund ihrer besonderen Verwendung gewährt worden ist, der Umstand, daß die Ware, die noch nicht der vorgesehenen Zweckbestimmung zugeführt worden ist, ohne Mitteilung an die Zollbehörden abgetreten wird, wenn

a) diese Abtretung in den Anschreibungen des Zedenten ausgewiesen ist und

b) der Zessionär Inhaber einer Bewilligung für die betreffende Ware ist."

14. Artikel 860 der Durchführungsverordnung lautet:

"Die Zollbehörden betrachten eine Zollschuld als im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex entstanden, es sei denn, der vermutliche Zollschuldner weist nach, daß die Voraussetzungen des Artikels 859 erfüllt sind."

15. Artikel 899 der Durchführungsverordnung sieht vor:

"Wenn die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, ... feststellt,

- daß die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erläßt sie die betreffenden Einfuhrabgaben.

Als .Beteiligter' gilt die Person im Sinne von Artikel 878 Absatz 1 sowie gegebenenfalls jede andere Person, die bei der Erledigung der Zollförmlichkeiten für die betreffenden Waren tätig geworden ist oder die die für die Erledigung dieser Förmlichkeiten erforderlichen Anweisungen gegeben hat;

- daß die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfüllen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlaß der Einfuhrabgaben ab."

16. Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung, der mit Wirkung vom durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung Nr. 3254/94 eingefügt worden ist, bestimmt:

"Die Einfuhrabgaben werden erstattet oder erlassen, wenn

...

o) die Zollschuld auf andere als die in Artikel 201 des Zollkodex beschriebene Weise entsteht und der Beteiligte durch Vorlage eines Ursprungszeugnisses, einer Warenverkehrsbescheinigung, eines internen gemeinschaftlichen Versandscheins oder einer anderen entsprechenden Unterlage nachweist, daß im Fall der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Artikel 890 erfüllt sind."

17. Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung lautet:

"Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und läßt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor.

Der Begriff .Beteiligte' ist in gleicher Weise wie in Artikel 899 auszulegen.

In allen anderen Fällen lehnt die Entscheidungszollbehörde den Antrag ab."

18. Die vierzehnte und die fünfzehnte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3254/94 sehen vor:

"Nach Artikel 890 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 werden Einfuhrabgaben erlassen oder erstattet, wenn die Zollschuld dadurch entstanden ist, daß Waren, für die ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf die Anwendung eines ermäßigten Zollsatzes besteht, in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt wurden.

Daneben gibt es auch Fälle, in denen der Einführer ebenfalls einen Anspruch auf eine solche Vorzugsbehandlung nachweisen kann, die Zollschuld aber auf andere Weise als durch Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr entsteht. Hat der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt, so erscheint es angesichts der Schutzfunktion des Gemeinsamen Zolltarifs als übertrieben, ihn zur Zahlung der Einfuhrabgaben zu verpflichten."

Ausgangsverfahren

19. Die Klägerin tätigt Einfuhren nach passiver Veredelung und reexportiert zum Teil auch in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Nichtgemeinschaftswaren. Die

Nichtgemeinschaftswaren wurden 1994 regelmäßig im Versandverfahren nach Bremen verbracht, dem Hauptzollamt gestellt und der Klägerin zur vorübergehenden Verwahrung überlassen.

20. Im August 1993 teilte die Klägerin dem Hauptzollamt mit, daß die Umstellung ihrer Zollausrechnungen auf EDV-Basis, die eine raschere Abfertigung ermöglichen solle, noch nicht abgeschlossen sei, so daß die in Artikel 49 Absatz 1 des Zollkodex vorgesehene Frist von zwanzig Tagen für die Zollabfertigung nicht immer eingehalten werden könne.

21. Im Januar 1994 teilte das Hauptzollamt der Klägerin mit, daß es sie angesichts des Inkrafttretens des Zollkodex zum nicht länger auf den Ablauf der Fristen für die bei ihr in Verwahrung gegebenen Waren hinweisen werde. Die Klägerin wurde gleichzeitig auf das Entstehen einer Einfuhrzollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 49 des Zollkodex hingewiesen.

22. Von Mitte Februar bis Ende 1994 überschritt die Klägerin regelmäßig die Fristen, die dafür vorgesehen sind, den Waren eine zollrechtliche Bestimmung zuzuführen. Mit Schreiben vom wies das Hauptzollamt die Klägerin auf die Folgen dieses Verhaltens in zollschuldrechtlicher Hinsicht hin und forderte sie auf, die Gründe für die Nichteinhaltung der Fristen mitzuteilen. Die Klägerin antwortete auf dieses Schreiben nicht, sondern stellte in der Folge mehrere Anträge auf Fristverlängerung, wobei sie sich auf den nicht vorhersehbaren großen Arbeitsrückstand berief, der durch die Umstellung ihrer Buchführung auf EDV-Basis und durch den krankheitsbedingten Ausfall von Personal entstanden sei. Einige dieser Anträge wurden vom Hauptzollamt mit Bescheid vom 20. Dezember 1994 abgelehnt.

23. Vom bis 15. Februar 1995 erließ das Hauptzollamt 125 auf Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex gestützte Steuerbescheide, die Zollabfertigungen aus der Zeit von Februar bis Dezember 1994 betrafen.

24. Die Klägerin legte gegen alle Steuerbescheide Einspruch ein, wobei sie im wesentlichen geltend machte, daß nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex keine Abgabenschuld entstanden sei, da sich ihre Verfehlungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des fraglichen Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hätten. Hilfsweise beantragte sie gemäß Artikel 239 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung die Erstattung der entrichteten Einfuhrabgaben.

25. Mit zwei Entscheidungen vom wies das Hauptzollamt die Einsprüche der Klägerin zurück und lehnte ihren Hilfsantrag auf Erstattung ab. Mit Entscheidung vom wies es die Beschwerde zurück, die die Klägerin gegen die Ablehnung der Erstattung eingelegt hatte.

26. Im Juni 1995 hat die Klägerin vor dem Finanzgericht Klage auf Aufhebung der Abgabenfestsetzung erhoben, wie sie in der auf ihre Einsprüche gegen die Steuerbescheide erfolgten Entscheidung vom vorgenommen worden war. Im Juni 1997 hat sie vor demselben Gericht Klage gegen die Entscheidung vom erhoben, mit der ihre Beschwerde gegen die Ablehnung der beantragten Erstattung zurückgewiesen worden war.

27. Das Finanzgericht Bremen, das die beiden Verfahren verbunden hat, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Enthält Artikel 859 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom (ABl. L 253, S. 1) - ZK-DVO - eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen i. S. des Artikels 204 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom (ABl. L 302, S. 1) - ZK -, die sich "nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben"?

2. Im Fall der Bejahung der Frage 1:

a) Ist das Gericht gehindert, die Voraussetzungen einer Fristverlängerung nach Artikel 859 Nummer 1 ZK-DVO im Fall einer rechtzeitigen Antragstellung selbständig zu prüfen, wenn ein Antrag auf Fristverlängerung von der Zollbehörde durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist?

b) Kann der Antrag auf Verlängerung - statt sich auf im einzelnen aufzulistende Anmeldungen zu beziehen - auch pauschal für alle in einem bestimmten Zeitraum (hier von mehreren Monaten) vorzunehmenden Anmeldungen gestellt werden, wobei zur Rechtfertigung auf während dieses Zeitraums bestehende spezielle betriebliche Probleme verwiesen wird (z. B. plötzliche Erkrankung von Mitarbeitern oder deren Urlaubsabwesenheit, Einarbeitung neuer Mitarbeiter, Probleme mit der Anwendung eines zur Zollabwicklung entwickelten DV-Systems, übermäßiger Aufwand bei der Vornahme von eigentlich von den Zollbehörden vorzunehmenden Abschreibungen bei der passiven Veredelung), ohne daß grobe Fahrlässigkeit nach Artikel 859 ZK-DVO zweiter Gedankenstrich vorliegt?

3. Im Fall der Verneinung der Frage 1:

Ist davon auszugehen, daß sich die in der nicht fristgerechten Einhaltung der Verpflichtung, den gestellten Waren eine zollrechtliche Bestimmung zu geben, in einer Vielzahl von Fällen vorliegenden Verfehlungen "nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben", wenn den gestellten Waren eine zollrechtliche Bestimmung nach Fristablauf gegeben wird, ohne daß eine Fristverlängerung nach Artikel 49 Absatz 2 ZK gerechtfertigt gewesen wäre?

4. Im Fall der Verneinung der Frage 2b oder der Frage 3:

Ist Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o ZK-DVO, eingefügt durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom (ABl. L 346, S. 1), über den Bereich der Anwendung von Präferenzzollsätzen oder der Gewährung der Gemeinschaftsbehandlung hinaus auch für die Gewährung anderer Abgabenbegünstigungen anwendbar?

5. Im Fall der Verneinung der Frage 4:

Sind die Zollbehörden und Gerichte bei einem geltend gemachten Erstattungsbegehren verpflichtet, das Vorliegen aller in Frage kommenden Erstattungstatbestände von Amts wegen zu prüfen, auch wenn der Antragsteller seinen Erstattungsantrag ausdrücklich nur auf einen gesetzlichen Tatbestand stützt, so daß hier auch zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich ZK i. V. m. Artikel 905 Absatz 1 Satz 1 ZK-DVO vorliegen hinsichtlich der Anmeldungen zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, in denen gültige Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 bzw. Ursprungszeugnisse Form A vorlagen, wobei die vollständige oder teilweise Befreiung von den Einfuhrabgaben für die nach passiver Veredelung wiedereingeführten Waren (Differenzverzollung) oder für Rückwaren nach Ausbesserung in Betracht kommt?

6. Ist bei Vorliegen des Erstattungstatbestandes des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o ZK-DVO regelmäßig davon auszugehen, daß der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat?

7. Bei Verneinung der Frage 6 und/oder Verneinung der Frage 4:

Ist der Begriff "offensichtliche Fahrlässigkeit" in Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich ZK nach objektiven oder (auch) nach subjektiven Merkmalen zu bestimmen und ist er deckungsgleich mit dem Begriff "grobe Fahrlässigkeit" in Artikel 859 zweiter Gedankenstrich ZK-DVO und mit dem Begriff "offenkundige Fahrlässigkeit" in Artikel 212a ZK und kann eine "offensichtliche Fahrlässigkeit" nach Artikel 239 ZK verneint werden,

wenn Einfuhrzollschulden nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a deshalb entstanden sind, weil über viele Monate aus den in Frage 2b beispielhaft aufgeführten Gründen die Frist des Artikels 49 Absatz 1 ZK nichteingehalten worden ist und auch keine Umstände für Fristverlängerungen vorlagen, so daß auch eine grobe Fahrlässigkeit nach Artikel 859 zweiter Gedankenstrich ZK-DVO vorlag?

28. Es ist angebracht, die dritte Frage im Anschluß an die erste zu behandeln und die siebte Frage vor der zweiten zu beantworten.

Zur ersten Frage

29. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 859 der Durchführungsverordnung eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex enthält, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben".

30. Die Klägerin und die deutsche Regierung tragen vor, daß die Kommission über keine ausreichende Rechtsgrundlage verfügt habe, um die vom Vorbehalt des Artikels 204 Absatz 1 a. E. des Zollkodex erfaßten Fälle in der Durchführungsverordnung abschließend festzulegen.

31. Die Kommission macht demgegenüber geltend, daß der Rat ihr mit den Artikeln 204 und 249 des Zollkodex eine ausreichende Rechtsgrundlage zur Verfügung gestellt habe, um im Einvernehmen mit dem Ausschuß für den Zollkodex (im folgenden: Ausschuß) abschließende Vorschriften wie diejenige in Artikel 859 der Durchführungsverordnung zu treffen. Das Ziel einer einheitlichen Durchführung des Zollkodex in allen Mitgliedstaaten mache den Erlaß dieser abschließenden Regelung erforderlich.

32. Wenn eine Bestimmung des EG-Vertrags wie Artikel 28 (nach Änderung jetzt Artikel 26 EG), auf dessen Grundlage der Zollkodex erlassen worden ist, dem Rat grundsätzlich die Zuständigkeit verleiht, auf Vorschlag der Kommission einen bestimmten Bereich zu regeln, so kann er nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgrund der Artikel 145 und 155 EG-Vertrag (jetzt Artikel 202 EG und 211 EG) der Kommission die Zuständigkeit für die Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften übertragen. Nach Artikel 145 EG-Vertrag kann sich der Rat in spezifischen Fällen allerdings vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben (vgl. für den Bereich der Landwirtschaft Urteil vom in der Rechtssache C-240/90, Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383, Randnr. 35).

33. Der Rat hat sich in Artikel 204 des Zollkodex nicht die Befugnis vorbehalten, die Fallgruppen der in diesem Artikel genannten Verfehlungen abschließend

festzulegen. Vielmehr hat er die Kommission in Artikel 249 des Zollkodex beauftragt, "die erforderlichen Durchführungsvorschriften zu diesem Zollkodex" mit Ausnahme einiger spezieller Vorschriften, zu denen Artikel 204 jedoch nicht gehört, nach einem bestimmten Verfahren unter enger Einbeziehung des Ausschusses zu erlassen.

34. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann der Rat weiter, sobald er in einer Grundverordnung die wesentlichen Regelungen für eine Materie getroffen hat, die Kommission allgemein ermächtigen, die Anwendungsmodalitäten zu regeln, ohne daß er den Kern der übertragenen Befugnisse näher festlegen müßte. Zu diesem Zweck reicht eine allgemein gefaßte Bestimmung aus (vgl. für den Bereich der Landwirtschaft Urteil Deutschland/Kommission, Randnr. 41).

35. Daher stellt Artikel 249 des Zollkodex eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage dar, die es der Kommission erlaubt, die Anwendungsmodalitäten des Zollkodex und insbesondere des Artikels 204 zu erlassen.

36. Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß die Kommission befugt ist, alle für die Durchführung einer Grundverordnung erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen die Grundverordnung oder die Anwendungsregeln des Rates verstoßen (vgl. für den Bereich der Landwirtschaft Urteile vom in der Rechtssache 121/83, Zuckerfabrik Franken, Slg. 1984, 2039, Randnr. 13, vom in der Rechtssache C-478/93, Niederlande/Kommission, Slg. 1995, I-3081, Randnr. 31, und vom in den Rechtssachen C-9/95, C-23/95 und C-156/95, Belgien und Deutschland/Kommission, Slg. 1997, I-645, Randnr. 37).

37. Daher ist zu prüfen, ob die abschließende Regelung des Artikels 859 der Durchführungsverordnung für die Durchführung des Zollkodex erforderlich oder zweckmäßig ist und nicht gegen den Zollkodex verstößt.

38. Zunächst hindern weder Artikel 204 noch eine andere Vorschrift des Zollkodex die Kommission daran, abschließende Vorschriften über die Verfehlungen zu erlassen, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben", so daß die abschließende Regelung des Artikels 859 der Durchführungsverordnung nicht gegen den Zollkodex verstößt.

39. Ferner ergibt sich aus der siebten und der achten Begründungserwägung des Zollkodex, daß der Rat beabsichtigte, zum einen "die einheitliche Durchführung" des Zollkodex in den Mitgliedstaaten "sicherzustellen", wobei zu diesem Zweck ein besonderes Verfahren zum Erlaß von Durchführungsvorschriften innerhalb angemessener Fristen festgelegt wird, und zum anderen zu gewährleisten, daß "beim Erlaß von Durchführungsmaßnahmen" zum Zollkodex darauf geachtet wird, "daß Betrugsfälle oder Unregelmäßigkeiten, die sich nachteilig auf den

Gesamthaushalt der Europäischen Gemeinschaften auswirken können, verhütet werden".

40. Da alle Wirtschaftsteilnehmer in sämtlichen Mitgliedstaaten gleichbehandelt werden müssen, ist Artikel 859 der Durchführungsverordnung angesichts dieser Ziele nicht nur für die Durchführung der Grundverordnung zweckmäßig, sondern sogar hierfür erforderlich, weil er die einheitliche Durchführung einer Vorschrift des Zollkodex in allen Mitgliedstaaten sicherstellt.

41. Da nach der fünften Begründungserwägung der Durchführungsverordnung zudem "die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen der Stellungnahme des Ausschusses entsprechen", ist Artikel 249 des Zollkodex, der das Verfahren zum Erlaß der Durchführungsverordnung festlegt, beachtet und letztere wirksam zustande gekommen.

42. Der von der Klägerin und der deutschen Regierung vorgebrachte Einwand greift daher nicht durch.

43. Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 859 der Durchführungsverordnung eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex ist, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben".

Zur dritten Frage

44. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Zur siebten Frage

45. Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht zunächst wissen, ob die Ausdrücke "offenkundige Fahrlässigkeit", "offensichtliche Fahrlässigkeit" und "grobe Fahrlässigkeit", die in der deutschen Fassung des Artikels 212a des Zollkodex in seiner durch die Verordnung Nr. 82/97 geänderten Fassung, des Artikels 239 des Zollkodex bzw. des Artikels 859 der Durchführungsverordnung verwendet werden und der Formulierung "négligence manifeste" in der französischen Fassung entsprechen, deckungsgleich sind. Ferner fragt das vorlegende Gericht, nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 vorliegt. Schließlich möchte es wissen, ob eine "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex verneint werden kann, wenn die Nichteinhaltung der in Artikel 49 Absatz 1 des Zollkodex angeordneten Frist, die eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der

Durchführungsverordnung begründet, eine Zollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex hat entstehen lassen.

Zum ersten und zum dritten Teil der siebten Frage

46. Gemeinschaftsverordnungen sind einheitlich auszulegen. Das verbietet es nach ständiger Rechtsprechung, im Fall von Zweifeln eine Bestimmung in einer Sprachfassung für sich allein zu betrachten, zwingt vielmehr dazu, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom in der Rechtssache C-296/95, EMU Tabac u. a., Slg. 1998, I-1605, Randnr. 36).

47. Wie der Generalanwalt in den Nummern 72 und 73 seiner Schlußanträge dargelegt hat, verwenden die französische, die dänische, die italienische, die portugiesische und die spanische Fassung anders als die deutsche, in der Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex, Artikel 899 erster Gedankenstrich und Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung den Ausdruck "offensichtliche Fahrlässigkeit" verwenden, während Artikel 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung den der "groben Fahrlässigkeit" und Artikel 212a des Zollkodex in seiner durch die Verordnung Nr. 82/97 geänderten Fassung den der "offenkundigen Fahrlässigkeit" verwendet, in allen Vorschriften denselben Ausdruck. Von den anderen Sprachfassungen verwenden manche zwei Ausdrücke, andere drei, wieder andere vier, ohne daß sie in derselben Weise verteilt wären.

48. Wie der Generalanwalt in Nummer 73 seiner Schlußanträge hervorhebt, zeigt der Vergleich aller Sprachfassungen der genannten Vorschriften, daß die Verwendung der Ausdrücke, die den Grad der Fahrlässigkeit näher bestimmen, keinem schlüssigen Schema folgt. Daraus ist zu schließen, daß der Gesetzgeber mit der Verwendung unterschiedlicher Ausdrücke in der deutschen Fassung kein besonderes Ziel verfolgt hat. Somit haben alle Ausdrücke, die den Grad der Fahrlässigkeit in der fraglichen Regelung bestimmen, ein und dieselbe Bedeutung; sie meinen die offensichtliche Fahrlässigkeit.

49. Aus den vorstehenden Überlegungen folgt, daß die in der deutschen Fassung des Artikels 212a des Zollkodex in seiner durch die Verordnung Nr. 82/97 geänderten Fassung des Artikels 239 des Zollkodex und des Artikels 859 der Durchführungsverordnung zur Bestimmung des Grades der Fahrlässigkeit verwendeten Ausdrücke ein und dieselbe Bedeutung haben. Sie meinen - in der deutschen Fassung - die offensichtliche Fahrlässigkeit.

50. Da sowohl in Artikel 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung als auch in Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex die "offensichtliche Fahrlässigkeit" gemeint ist, kann - das ist zum dritten Teil der siebten Frage festzustellen - eine "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex nicht verneint werden, wenn die Zollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex wegen

eines Verhaltens entstanden ist, das eine grobe (d. h. offensichtliche) Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung begründet.

Zum zweiten Teil der siebten Frage

51. Was den zweiten Teil der siebten Frage betrifft, so meinen - wie sich aus den Randnummern 46 bis 49 dieses Urteils ergibt - Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex und die anderen Vorschriften des Zollkodex und der Durchführungsverordnung, die Gegenstand des vorliegenden Urteils sind, denselben Begriff der "offensichtlichen Fahrlässigkeit".

52. Ferner stellt die Erstattung oder der Erlaß von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar, so daß die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlaß vorsehen, eng auszulegen sind. Da das Fehlen einer "offensichtlichen Fahrlässigkeit" unabdingbare Voraussetzung der Erstattung oder des Erlasses von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben ist, muß dieser Begriff folglich so ausgelegt werden, daß die Anzahl der Fälle, in denen erstattet oder erlassen wird, begrenzt bleibt.

53. Schließlich hat der Zollkodex die zollrechtlichen Vorschriften, die bis dahin in einer Vielzahl von Gemeinschaftsverordnungen und -richtlinien verstreut waren, zusammengefaßt. Bei dieser Gelegenheit wurde Artikel 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1) im wesentlichen in Artikel 239 des Zollkodex übernommen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum erstgenannten Artikel ist daher auch auf den zweitgenannten anzuwenden.

54. Aus dem Urteil vom in der Rechtssache C-250/91 (Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1819, Randnr. 46) ergibt sich, daß Artikel 13 der VerordnungNr. 1430/79 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Nachzahlung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben auf Fälle zu beschränken, in denen eine solche Zahlung gerechtfertigt und mit einem wesentlichen Grundsatz wie dem des Vertrauensschutzes vereinbar ist. Daraus folgt, daß die Tatbestände dieser Artikel - bei Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 das Fehlen der betrügerischen Absicht oder der offensichtlichen Fahrlässigkeit des Betroffenen, bei Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 das Fehlen eines Irrtums der Zollbehörden, der von dem Abgabenschuldner erkannt werden konnte - in gleicher Weise ausgelegt werden müssen.

55. Außerdem hat der Gerichtshof im Urteil vom in der Rechtssache C-64/89 (Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 19) zu Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 entschieden, daß bei der Beantwortung der Frage, ob der Irrtum der Zollbehörde einem Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, namentlich die Art des Irrtums sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind.

56. Entsprechend diesen Kriterien müssen bei der Beantwortung der Frage, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden.

57. Hinsichtlich der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers ist zu untersuchen, ob er im wesentlichen im Einfuhr- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt.

58. Was die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers betrifft, muß sich dieser, sobald er Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften hat, deren Nichterfüllung eine Abgabenschuld begründen kann, nach Kräften informieren, um die jeweiligen Vorschriften nicht zu verletzen.

59. Es ist Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage dieser Beurteilungskriterien zu untersuchen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers vorliegt.

60. Somit ist auf den zweiten Teil der siebten Frage zu antworten, daß bei der Beantwortung der Frage, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden müssen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage dieser Kriterien zu beurteilen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers vorliegt.

Zur zweiten Frage

61. Die zweite Frage besteht aus zwei Teilen.

Zum ersten Teil der zweiten Frage

62. Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob das Gemeinschaftsrecht ein Gericht daran hindert, selbständig zu prüfen, ob die in Artikel 859 Nummer 1 der Durchführungsverordnung aufgestellte Voraussetzung, daß eine Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen, erfüllt ist, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung von den Zollbehörden durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist.

63. Wie die Kommission zu Recht vorträgt, verbietet weder der Zollkodex noch die Durchführungsverordnung es einem nationalen Gericht, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Zollbehörden einem Wirtschaftsteilnehmer eine Verfehlung, nämlich die Nichteinhaltung der Frist des Artikels 49 Absatz 1 des Zollkodex, vorwerfen, nachdem sie einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt haben, selbständig zu prüfen, ob diese Verfehlung unter Artikel 859 Nummer 1 der Durchführungsverordnung fällt.

64. Entgegen dem Vortrag der Regierung des Vereinigten Königreichs ergibt sich ein solches Verbot nicht aus Artikel 859 Nummer 1 der Durchführungsverordnung. Diese Vorschrift begründet nur eine der in Artikel 859 der Durchführungsverordnung genannten Verfehlungen, bei denen unter bestimmten Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, daß sie sich im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

65. Auch wenn Artikel 243 des Zollkodex vorsieht, daß jeder Wirtschaftsteilnehmer einen Rechtsbehelf gegen ihn unmittelbar und persönlich betreffende Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen kann, überläßt es Artikel 245 des Zollkodex zudem den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens zu regeln.

66. Jedenfalls sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei diese Verfahren nicht ungünstiger gestaltet werden dürfen als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (vgl. insbesondere Urteile vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, in der Rechtssache 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Randnrn. 12 bis 16, und vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93, Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12).

67. Somit ist auf den ersten Teil der zweiten Frage zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht nicht daran hindert, selbständig zu prüfen, ob die in Artikel 859 Nummer 1 der Durchführungsverordnung aufgestellte Voraussetzung, daß eine Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen, erfüllt ist, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung von den Zollbehörden durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist.

Zum zweiten Teil der zweiten Frage

68. Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht zunächst wissen, welche Umstände eine Verlängerung der in Artikel 49 Absatz 1 des Zollkodex genannten Frist rechtfertigen können und ob spezielle betriebliche Probleme, wie die plötzliche Erkrankung von Mitarbeitern oder deren Urlaubsabwesenheit, die Einarbeitung neuer Mitarbeiter, Probleme mit der Anwendung eines zur Zollabwicklung entwickelten Datenverarbeitungssystems, übermäßiger Aufwand bei der Vornahme von normalerweise von den Zollbehörden vorzunehmenden Abschreibungen bei der passiven Veredelung, solche Umstände darstellen können. Ferner möchte das nationale Gericht wissen, ob ein Antrag auf Fristverlängerung für jede einzelne Anmeldung gestellt werden muß oder ob ein einziger Antrag für mehrere in einem bestimmten Zeitraum - im Ausgangsverfahren in mehreren Monaten - vorzunehmende Anmeldungen gestellt werden kann. Schließlich fragt das vorlegende Gericht, ob grobe (d. h. offensichtliche) Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung vorliegt, wenn die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nicht erfüllt sind und die Anträge auf Verlängerung verspätet gestellt wurden.

69. Was die Umstände angeht, die eine Fristverlängerung rechtfertigen können, so können die Zollbehörden die Frist, in der die Förmlichkeiten erfüllt werden müssen, damit die Waren, für die eine summarische Anmeldung abgegeben worden ist, eine zollrechtliche Bestimmung erhalten, nach Artikel 49 Absatz 2 des Zollkodex verlängern, "wenn es die Umstände rechtfertigen", wobei diese Fristverlängerung jedoch nicht über "die durch die Umstände gerechtfertigten tatsächlichen Erfordernisse" hinausgehen darf.

70. Der Wortlaut dieses Artikels erlaubt keine Aussage darüber, welche Umstände eine solche Fristverlängerung rechtfertigen können. Es ist daher zu prüfen, ob der Zweck dieser Vorschrift eine solche Aussage erlaubt.

71. Artikel 49 Absatz 1 des Zollkodex legt kurze Fristen fest, damit gestellte Waren rasch eine zollrechtliche Bestimmung erhalten. Bis zur Erlangung einer zollrechtlichen Bestimmung haben die gestellten Waren den Status von Waren in vorübergehender Verwahrung.

72. Der Zweck des Artikels 49 Absatz 1 des Zollkodex würde nicht erreicht, wenn die Wirtschaftsteilnehmer sich auf beliebige Umstände ohne jeglichen außergewöhnlichen Charakter berufen könnten, um eine Fristverlängerung zu erhalten. Eine solche Auslegung des Ausdrucks "Umstände" in dieser Vorschrift würde nämlich dazu führen, daß die vorübergehende Verwahrung routinemäßig verlängert werden könnte, und könnte im Ergebnis die vorübergehende Verwahrung in ein Zollagerverfahren verwandeln.

73. Daher ist der Ausdruck "Umstände" im Sinne des Artikels 49 Absatz 2 des Zollkodex dahin auszulegen, daß damit Umstände gemeint sind, die den

Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist.

74. Außergewöhnliche Umstände können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist.

75. Es ist Sache der Zollbehörden und der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob solche Umstände vorliegen.

76. Jedoch stellen Umstände, wie sie das nationale Gericht als Beispiele angeführt hat, jedenfalls keine Umstände dar, die eine Verlängerung der Frist des Artikels 49 Absatz 1 des Zollkodex rechtfertigen können.

77. Somit ist auf den ersten Abschnitt des zweiten Teils der zweiten Frage zu antworten, daß nur solche Umstände, die den Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist, eine Verlängerung der Frist des Artikels 49 Absatz 1 des Zollkodex rechtfertigen können. Außergewöhnliche Umstände können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist. Es ist Sache der Zollbehörden und der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob solche Umstände vorliegen.

78. Zu der Frage, ob ein Antrag auf Fristverlängerung für jede einzelne summarische Anmeldung gestellt werden muß oder ob ein einziger Antrag für mehrere in einem bestimmten Zeitraum - im Ausgangsverfahren in mehreren Monaten - vorzunehmende summarische Anmeldungen gestellt werden kann, ist zunächst festzustellen, daß ein Wirtschaftsteilnehmer nach dem Wortlaut des Artikels 49 Absatz 2 des Zollkodex nicht daran gehindert ist, einen einzigen Antrag für mehrere summarische Anmeldungen zu stellen.

79. Wie sich aus der sechsten Begründungserwägung des Zollkodex ergibt, bezweckt dieser insbesondere, daß "Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen in geringstmöglichem Umfang gehalten werden". Wenn ein Wirtschaftsteilnehmer einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist stellen kann, um Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen, hat das zum Ergebnis, daß die Anzahl der von diesem Wirtschaftsteilnehmer zu erledigenden Zollförmlichkeiten begrenzt wird.

80. Folglich ist ein Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich nicht daran gehindert, einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist zu stellen, um Waren, für die mehrere

summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen.

81. Aus Artikel 49 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 859 Nummer 1 der Durchführungsverordnung ergibt sich jedoch, daß ein Antrag auf Verlängerung der Frist, in der die Waren in vorübergehender Verwahrung eine zollrechtliche Bestimmung erhalten haben müssen, nur vor Ablauf dieser Frist gestellt werden kann. Daher kann im Fall eines einzigen Antrags eine Fristverlängerung nur für solche Waren gewährt werden, für die die Frist zur Erlangung der zollrechtlichen Bestimmung noch nicht abgelaufen ist.

82. Somit ist auf den zweiten Abschnitt des zweiten Teils der zweiten Frage zuantworten, daß das Gemeinschaftsrecht einen Wirtschaftsteilnehmer nicht daran hindert, einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist zu stellen, um Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen. Auch im Fall eines einzigen Antrags kann eine Fristverlängerung jedoch nur für solche Waren gewährt werden, für die die Frist zur Erlangung der zollrechtlichen Bestimmung noch nicht abgelaufen ist.

83. Was den dritten Abschnitt des zweiten Teils der zweiten Frage anbelangt, ist es Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der in den Randnummern 51 bis 60 entwickelten Beurteilungskriterien grobe (d. h. offensichtliche) Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung vorliegt.

Zur vierten Frage

84. Zur vierten Frage ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung unmißverständlich, daß diese Vorschrift nur auf den Fall Anwendung finden soll, in dem nachgewiesen ist, "daß im Fall der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Artikel 890 erfüllt sind". Da sich diese Vorschrift ausdrücklich auf die "Gemeinschaftsbehandlung" und auf die "Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung" bezieht, kann sie nicht andere Vergünstigungen wie beispielsweise die vollständige oder teilweise Befreiung von den Einfuhrabgaben für die nach passiver Veredelung wieder eingeführten Waren oder für Rückwaren nach Ausbesserung betreffen.

85. Diese Auslegung entspricht der fünfzehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3254/94, die Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o in die Durchführungsverordnung eingefügt hat. Denn aus dieser Begründungserwägung ergibt sich eindeutig, daß der Artikel nur auf den Fall Anwendung finden soll, in dem die Zollschuld auf andere Weise als durch Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr entstanden ist, der Einführer aber einen Anspruch auf eine "Vorzugsbehandlung" nachweisen kann.

86. Somit ist auf die vierte Frage zu antworten, daß Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung auf Fälle, in denen ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, nicht aber auf Fälle, in denen ein Anspruch auf andere Vergünstigungen bestanden hätte, Anwendung findet.

Zur fünften Frage

87. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Zollbehörde oder das nationale Gericht bei Geltendmachung eines Antrags auf Erstattung oder Erlaß der Abgaben nach Artikel 239 des Zollkodex verpflichtet ist, von Amts wegen die Begründetheit dieses Antrags im Hinblick auf die anderen Vorschriften des Artikels 900 und die Artikel 901 bis 905 der Durchführungsverordnung zu prüfen, auch wenn er auf Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung gestützt ist und die Erstattung nach dieser Vorschrift nicht gewährt werden kann.

88. Zum einen ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 899 der Durchführungsverordnung, daß eine Zollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, überprüfen muß, ob "die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der [in Artikel 900 bis 904 der Durchführungsverordnung] beschriebenen Tatbestände erfüllen". Um über den Antrag zu entscheiden, muß die Zollbehörde daher die dafür vorgebrachten Gründe im Hinblick auf alle Tatbestände der Artikel 900 bis 904 der Durchführungsverordnung prüfen.

89. Daß ein Antragsteller seinen Antrag, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein, auf eine konkrete Verordnungsbestimmung stützt, wenngleich die vorgebrachten Gründe den in dieser Vorschrift beschriebenen Tatbestand nicht erfüllen, kann die damit befaßte Behörde nicht von ihrer Verpflichtung befreien, zu prüfen, ob diese Gründe einen der in Artikel 900 bis 904 der Durchführungsverordnung beschriebenen Tatbestände erfüllen. Da in einem Antrag auf Erstattung oder Erlaß nach Artikel 239 des Zollkodex die Vorschrift der Durchführungsverordnung, auf die sich der Antragsteller beruft, nicht genau bezeichnet werden muß, muß der Antrag, der sich auf eine spezifische Rechtsgrundlage bezieht, genauso umfassend wie andere Anträge geprüft werden.

90. Diese Auslegung entspricht dem Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, der die Anwendung des Verfahrens nach Artikel 905 bis 909 der Durchführungsverordnung u. a. an die Vorbedingung knüpft, daß die Entscheidungszollbehörde "nicht in der Lage ist, nach Artikel 899" die Erstattung oder den Erlaß der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu gewähren oder abzulehnen.

91. Zum anderen muß die Zollbehörde nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wenn sie angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, nach Artikel 899 der Durchführungsverordnung über die Erstattung oder den Erlaß von

Abgaben zu entscheiden, prüfen, ob die Begründung auf einen besonderen Fall im Sinne von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung schließen läßt, bei dem weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, und die Sache gegebenenfalls der Kommission vorlegen, die anhand der übermittelten Angaben beurteilt, ob ein die Erstattung oder den Erlaß der Abgaben rechtfertigender besonderer Fall vorliegt (Urteil vom in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnr. 19).

92. Somit ist auf die fünfte Frage zu antworten, daß die Zollbehörde oder das nationale Gericht verpflichtet ist, einen auf Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung gestützten Erstattungsantrag, der nach dieser Vorschrift nicht begründet ist, von Amts wegen im Hinblick auf die anderen Vorschriften des Artikels 900 und die Artikel 901 bis 904 der Durchführungsverordnung zu prüfen. Sofern die befaßte Behörde angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, nach Artikel 899 der Durchführungsverordnung über die Erstattung oder den Erlaß zu entscheiden, hat sie von Amts wegen zu prüfen, ob die Begründung im Sinne von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung "auf einen besonderen Fall schließen [läßt], der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt", und der eine Prüfung der Sache durch die Kommission erforderlich macht.

Zur sechsten Frage

93. Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bei Vorliegen des Tatbestands des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung der Tatbestand - fehlende offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers -, an den Artikel 899 der Durchführungsverordnung die Erstattung oder den Erlaß der Abgaben knüpft, immer erfüllt ist.

94. Artikel 899 der Durchführungsverordnung bestimmt: "Wenn die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, ... feststellt,

- daß die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfüllen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erläßt sie die betreffenden Einfuhrabgaben".

95. Wie die Kommission und das Hauptzollamt zu Recht ausgeführt haben, ergibt sich aus Artikel 899 der Durchführungsverordnung unmißverständlich, daß die Erstattung oder der Erlaß nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex nur dann gewährt wird, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen muß "[einer] der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände" gegeben sein, zum anderen darf "keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorlieg[en]".

96. Diese Auslegung entspricht insbesondere der fünfzehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3254/94, die Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o in die Durchführungsverordnung eingefügt hat. Nach dieser Begründungserwägung gibt es "Fälle, in denen der Einführer ebenfalls einen Anspruch auf eine solche Vorzugsbehandlung nachweisen kann, die Zollschuld aber auf andere Weise als durch Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr entsteht. Hat der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt, so erscheint es angesichts der Schutzfunktion des Gemeinsamen Zolltarifs als übertrieben, ihn zur Zahlung der Einfuhrabgaben zu verpflichten".

97. Daher ist auf die sechste Frage zu antworten, daß die Zollbehörde oder das nationale Gericht, bei der/dem ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gestellt worden ist, nicht allein deshalb davon ausgehen kann, daß der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, weil der Tatbestand des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Durchführungsverordnung erfüllt ist.

Kosten

98. Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 859 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, die "sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben".

2. a) Die in der deutschen Fassung des Artikels 212a der Verordnung Nr. 2913/92 in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderten Fassung, des Artikels 239 der Verordnung Nr. 2913/92 und des Artikels 859 der Verordnung Nr. 2454/93 zur Bestimmung des Grades der Fahrlässigkeit verwendeten Ausdrücke haben ein und dieselbe Bedeutung. Sie meinen - in der deutschen Fassung - die offensichtliche Fahrlässigkeit.

b) Eine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2913/92 kann nicht verneint werden, wenn die Zollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 2913/92 wegen eines Verhaltens entstanden ist, das eine grobe (d. h. offensichtliche) Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 begründet.

c) Bei der Beantwortung der Frage, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2913/92 vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage dieser Kriterien zu beurteilen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers vorliegt.

3. Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht daran, selbständig zu prüfen, ob die in Artikel 859 Nummer 1 der Verordnung Nr. 2454/93 aufgestellte Voraussetzung, daß eine Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen, erfüllt ist, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung von den Zollbehörden durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist.

4. a) Nur solche Umstände, die den Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist, können eine Verlängerung der Frist des Artikels 49 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2913/92 rechtfertigen. Außergewöhnliche Umstände können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist. Es ist Sache der Zollbehörden und der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob solche Umstände vorliegen.

b) Das Gemeinschaftsrecht hindert einen Wirtschaftsteilnehmer nicht daran, einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist zu stellen, um Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen. Auch im Fall eines einzigen Antrags kann eine Fristverlängerung jedoch nurfür solche Waren gewährt werden, für die die Frist zur Erlangung der zollrechtlichen Bestimmung noch nicht abgelaufen ist.

5. Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom geänderten Fassung findet auf Fälle Anwendung, in denen ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, nicht aber auf Fälle, in denen ein Anspruch auf andere Vergünstigungen bestanden hätte.

6. Die Zollbehörde oder das nationale Gericht ist verpflichtet, einen auf Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 in ihrer durch Artikel 1 Absatz 29 der Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung gestützten Erstattungsantrag, der nach dieser Vorschrift nicht begründet ist, von Amts wegen im Hinblick auf die anderen Vorschriften des Artikels 900 und die Artikel 901 bis 904 der Verordnung Nr. 2454/93 zu prüfen. Sofern die befaßte Behörde angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, nach Artikel 899 der Verordnung Nr. 2454/93 über die Erstattung oder den Erlaß zu entscheiden, hat sie von Amts wegen zu prüfen, ob die Begründung im Sinne von Artikel 905 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 auf einen besonderen Fall schließen läßt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, und der eine Prüfung der Sache durch die Kommission erforderlich macht.

7. Die Zollbehörde oder das nationale Gericht, bei der/dem ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gestellt worden ist, kann nicht allein deshalb davon ausgehen, daß der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, weil der Tatbestand des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 in ihrer durch Artikel 1 Absatz 29 der Verordnung 3254/94 geänderten Fassung erfüllt ist.

Fundstelle(n):
PAAAD-91550