BFH Urteil v. - VII R 15/02

Unzulässige Kabotage bei Wechsel des Sattelaufliegers

Gesetze: ZK Art. 204 Abs. 1a, Art. 670p

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der als Einzelunternehmer in Polen eine Spedition betreibt, verfügte über mehrere Sattelzugmaschinen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erteilte dem Kläger am…eine Genehmigung für eine Fahrt im internationalen Güterkraftverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und der Republik Polen sowie im Durchgangsverkehr durch die Bundesrepublik für die Sattelzugmaschine mit dem amtlichen polnischen Kennzeichen X. Als Datum der Einreise war der , als Entladeort war S in Dänemark, als Beginn der Rückfahrt war der und als Entladeland war Polen bestimmt.

Die Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X und der Auflieger mit dem amtlichen polnischen Kennzeichen Y wurden am mit Waren, die für einen Abnehmer in Dänemark bestimmt waren, über das Zollamt (ZA) A in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt. Nachdem die Waren in Dänemark entladen worden waren, wurde der Auflieger am in T (Bundesrepublik) mit Waren beladen, die für ein in Warschau ansässiges Unternehmen bestimmt waren. Der Auflieger wurde mit der Warenladung am auf dem Gelände der Firma W in U (Bundesrepublik) abgestellt und die Sattelzugmaschine verließ das Zollgebiet der Gemeinschaft leer, d.h. ohne den Auflieger, über das ZA B in Richtung Polen. Am wurde eine andere Sattelzugmaschine mit dem amtlichen polnischen Kennzeichen Z über das ZA B in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt. Diese übernahm den auf dem Gelände der Firma W abgestellten Auflieger und beförderte ihn am über das ZA C nach Warschau, wo er am beim Empfänger ankam.

Das Hauptzollamt D, dessen Aufgaben der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt —HZA—) übernommen hat, setzte gegen den Kläger mit Steuerbescheid vom ... August 2000 ... DM Zoll und ... DM Einfuhrumsatzsteuer fest, weil mit der Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X am ein Warentransport innerhalb der Bundesrepublik durchgeführt worden sei.

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht (FG). Das FG gab der Klage aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2002, 274 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision macht das HZA geltend, durch den Transport der Waren mit der fraglichen Sattelzugmaschine zwischen T und U sei gegen Art. 718 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung —ZKDVO—) der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 253/1) i.d.F. vor In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom (ABlEG Nr. L 141/1) verstoßen worden. Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung sei nicht auf den endgültigen Verbleib der beförderten Waren, sondern auf das konkrete Beförderungsmittel abzustellen. Eine Sattelzugmaschine werde auf Grund ihrer speziellen Bauart entladen, indem entweder der Auflieger entladen werde oder der mit der Ware beladene Auflieger abgesetzt werde. Im Streitfall sei zwar hinsichtlich des Aufliegers die Beförderung lediglich unterbrochen worden, die Sattelzugmaschine sei hingegen in U entladen und damit entgegen Art. 718 Abs. 3 Buchst. d ZKDVO verwendet worden.

Das HZA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, er habe nicht gegen Art. 718 Abs. 3 Buchst. d ZKDVO verstoßen. Die Sattelzugmaschine und der Auflieger seien Beförderungsmittel und nicht selbst Gegenstand der Beförderung gewesen, die sich auf die Waren bezogen habe. Die Beförderung der Waren sei lediglich hinsichtlich des Aufliegers kurzfristig unterbrochen worden und schließlich außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft beendet worden. Über die beförderten Waren sei im Zollgebiet der Gemeinschaft nicht verfügt worden.

Auf Ersuchen des Senats um Vorabentscheidung nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Beschluss vom VII R 15/02, BFH/NV 2003, 1231) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom Rs. C-272/03 (BFH/NV 2005, Beilage 2, Seite 98) folgenden Rechtssatz aufgestellt:

„Die Artikel 718 Absatz 3 Buchstabe d und 670 Buchstabe p der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften sind dahin auszulegen, dass hiernach die Verwendung einer außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft zugelassenen Sattelzugmaschine für die Beförderung eines Aufliegers von einem Ort innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft, wo der Auflieger mit Waren beladen wird, zu einem anderen Ort innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft, wo der Auflieger nur abgestellt wird, um später von einer anderen Sattelzugmaschine zu dem außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Warenempfänger befördert zu werden, untersagt ist.”

Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu diesem Urteil zu äußern, haben hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht. Sie halten an ihren Anträgen fest.

II. Die Revision des HZA ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das HZA hat mit den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen den Kläger zu Recht als Schuldner von Einfuhrabgaben in zutreffender Höhe in Anspruch genommen.

Im Streitfall ist für die Zugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex —ZK—) des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) eine Zollschuld entstanden. Entsprechendes gilt nach § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die Einfuhrumsatzsteuer.

a) Nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

Die Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X und der Auflieger mit dem amtlichen Kennzeichen Y wurden am durch das Passieren der Zollstelle an der Grenze des Zollgebiets der Gemeinschaft formlos in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung übergeführt (Art. 232 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 233 Buchst. a ZKDVO). Dabei kann dahinstehen, ob die Sattelzugmaschine und der Auflieger jeweils getrennt in die vorübergehende Verwendung übergeführt wurden, wie dies das FG angenommen hat. Denn das HZA hat mit dem angefochtenen Steuerbescheid die Einfuhrabgaben gegen den Kläger nur wegen der vorschriftswidrigen Verwendung der Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X für den Transport von T nach U festgesetzt.

Nach Art. 718 Abs. 3 Buchst. d ZKDVO durfte die Sattelzugmaschine nur für Beförderungen verwendet werden, die außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft begannen oder endeten. Hiergegen wurde im Streitfall verstoßen. Wie der EuGH in seinem Urteil vom Rs. C-272/03 entschieden hat, sind die Art. 718 Abs. 3 Buchst. d und 670 Buchst. p ZKDVO dahin auszulegen, dass hiernach die Verwendung einer außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft zugelassenen Sattelzugmaschine für die Beförderung eines Aufliegers von einem Ort innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft, wo der Auflieger mit Waren beladen wird, zu einem anderen Ort innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft, wo der Auflieger nur abgestellt wird, um später von einer anderen Sattelzugmaschine zu dem außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Warenempfänger befördert zu werden, untersagt ist. Die Beförderung des am in T beladenen Aufliegers mit der fraglichen Zugmaschine zu dem Gelände der Firma W in U, wo der Auflieger abgestellt wurde, war daher als unzulässiger Binnenverkehr nicht gestattet. Dass die im Auflieger geladenen Waren später zu einem Ort außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht und erst dort entladen wurden, spielt keine Rolle, denn nach den für den Senat verbindlichen Ausführungen des EuGH müssen die beförderten Waren und Personen die Grenze des Zollgebiets der Gemeinschaft gemeinsam mit dem hierzu eingesetzten Fahrzeug überschreiten. Ebenso wenig greift die Ausnahmevorschrift des Art. 718 Abs. 7 Buchst. c ZKDVO, wonach gewerblich verwendete Fahrzeuge im Binnenverkehr eingesetzt werden können, sofern die im Bereich des Verkehrs geltenden Vorschriften diese Möglichkeit vorsehen. Die dem Kläger für die Zugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen X erteilte güterverkehrsrechtliche Genehmigung schloss nämlich einen Binnenverkehr ausdrücklich aus.

b) Die Pflichtverletzung hat sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens der vorübergehenden Verwendung auch wirklich ausgewirkt (Art. 204 Abs. 1 letzter Halbsatz ZK). Art. 859 ZKDVO enthält eine abschließende Regelung der Verfehlungen i.S. des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben ( —Söhl & Söhlke—, EuGHE 1999, I-7877). Der Kläger kann sich dabei nicht auf Art. 859 Nr. 4 ZKDVO berufen. Nach dieser Vorschrift hat sich die Verwendung einer in das Verfahren der vorübergehenden Verwendung übergeführten Ware unter anderen als den in der Bewilligung vorgesehenen Voraussetzungen dann nicht ausgewirkt, wenn diese Verwendung im gleichen Verfahren bewilligt worden wäre, sofern ein entsprechender Antrag gestellt worden wäre. Die Zollbehörden hätten jedoch im Rahmen des hier eröffneten Verfahrens der vorübergehenden Verwendung auch auf einen entsprechenden Antrag des Klägers keine Möglichkeit gehabt, einen Binnenverkehr zu bewilligen (vgl. Senatsurteil vom VII R 60/03, BFH/NV 2005, 84). Der Kläger verfügte nämlich nicht über die dafür erforderliche güterverkehrsrechtliche Berechtigung (Art. 718 Abs. 3 Buchst. d, Abs. 7 Buchst. c ZKDVO i.V.m. § 3 Abs. 1 des GüterkraftverkehrsgesetzesGüKG—). Im Übrigen hätte eine solche Berechtigung dem Kläger auch auf Antrag nicht erteilt werden können, weil er weder im Inland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft niedergelassen war (vgl. § 3 Abs. 2 GüKG bzw. § 5 GüKG i.V.m. Art. 3 VO (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 95/1).

c) Der Kläger ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK Zollschuldner bzw. nach § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 204 Abs. 3 ZK Steuerschuldner geworden, weil er als Inhaber der Bewilligung des Verfahrens der vorübergehenden Verwendung (Art. 138 ZK) die Pflicht zu erfüllen hatte, die Zugmaschine nicht für die Durchführung eines unzulässigen Binnenverkehrs einzusetzen (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2005, 84). Gegen die Höhe der festgesetzten Einfuhrabgaben hat der Kläger keine Einwände erhoben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1890 Nr. 10
LAAAB-58625