Eile mit Weile?
Einspruchsrücknahme „auf den letzten Drücker“
Seit dem gehören sie der Vergangenheit an, die alten Postlaufzeiten im Inland. Mussten bis Ende 2024 im Jahresdurchschnitt noch 80 % der an einem Werktag eingelieferten Briefsendungen am folgenden und 95 % am zweiten auf die Einlieferung folgenden Werktag zugestellt werden, hält man diese Vorgabe – so ist es in der Begründung zum Postrechtsmodernisierungsgesetz zu lesen – vor dem Hintergrund der abnehmenden Bedeutung des Briefversands als Mittel der schnellen Kommunikation für nicht mehr gerechtfertigt. Statt der Geschwindigkeit wird beim Briefversand ab sofort stärker die Verlässlichkeit in den Vordergrund gerückt. In diesem Sinne müssen nun 95 % der Briefsendungen spätestens am dritten und 99 % der Sendungen am vierten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag zugestellt werden. „Eile mit Weile“ oder „besser spät als nie“ könnte einem da durch den Kopf gehen. Steuerrechtliche Relevanz haben die neuen Postlaufzeiten, weil sich diese Änderungen auch auf die Bekanntgabevermutungen der Abgabenordnung und somit auf die Fristenberechnungen auswirken. Denn nach Anpassung durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz gilt für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten wie z. B. Steuerbescheiden statt der Drei- jetzt eine Viertagesfiktion, wobei eine Bekanntgabe am Samstag, Sonntag oder Feiertag weiterhin nicht möglich ist.
Ob die Bekanntgabefiktion wie bislang drei oder jetzt neu vier Tage beträgt, war für die vom BFH im Verfahren VIII R 16/21 zu beantwortende Frage der Wirksamkeit einer Einspruchsrücknahme zur Vermeidung einer verbösernden Einspruchsentscheidung allerdings nicht entscheidend. Zu klären war vielmehr, ob eine Einspruchsrücknahme noch bis zum Ablauf des Zugangstags der verbösernden Einspruchsentscheidung wirksam ist, wenn der tatsächliche Zugang außerhalb der Drei- bzw. jetzt Viertagesfrist erfolgt. Das Niedersächsische Finanzgericht hatte als Vorinstanz die Wirksamkeit aus teleologischen, gesetzessystematischen und verfassungsrechtlichen Erwägungen noch bejaht (s. dazu Heine, NWB 28/2021 S. 2008). Der BFH hingegen versteht die Bekanntgabe in § 362 Abs. 1 AO als ein Ereignis. Daher ist die Einspruchsrücknahme nur bis zur Sekunde des Eintritts des Ereignisses, also nur bis eine Sekunde vor dem tatsächlichen Zugang der Einspruchsentscheidung möglich. Bei einer Einspruchsrücknahme per Fax ist in dieser Konstellation zudem zu beachten, dass sie innerhalb der behördenüblichen Zeiten zu erfolgen hat. „Eile mit Weile“ ist in dieser Situation jedenfalls nicht zu empfehlen.
Auf nimmt Claussen das BFH-Verfahren VIII R 16/21 zum Anlass, um der Frage, bis wann der Einspruchsführer seinen Einspruch gegen einen Steuerbescheid zurücknehmen kann, einmal systematisch nachzugehen.
Beste Grüße
Reinhild Foitzik
Fundstelle(n):
NWB 2025 Seite 73
HAAAJ-82681