BGH Beschluss v. - 1 StR 407/12

Steuerstrafsache: Strafzumessung bei unrechtmäßiger Umsatzsteuervoranmeldung; strafmildernde Berücksichtigung serienmäßiger Tatbegehung

Gesetze: § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO

Instanzenzug: LG Detmold Az: 4 KLs 53/11 - 21 Js 799/11

Gründe

1Der Angeklagte B.       wurde wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen, davon drei Fälle des Versuchs, zu einer Gesamtfreiheitstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2Von der zeitlich ersten Tat abgesehen, hat er nach den Urteilsfeststellungen die Taten gemeinschaftlich mit dem Angeklagten M.     begangen. Dieser wurde wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen, davon drei Fälle des Versuchs, ebenso zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3Der Angeklagte B.      war alleiniger Gesellschafter der H.    GmbH (künftig: H.  ); der Angeklagte M.     (formal) deren alleiniger Geschäftsführer.

4Den Taten liegt im Kern zugrunde, dass in den für die H.   abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen unberechtigter Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde. Dieser ging auf Scheinrechnungen mit Umsatzsteuerausweis zurück, die bei der H.   entsprechend verbucht worden waren.

5Zu Vorgeschichte und Ablauf der Taten ist Folgendes festgestellt:

6Der Angeklagte B.       war Alleinverantwortlicher der H.  , die mit gebrauchten Baumaschinen handelte. Sie hatte wirtschaftliche Schwierigkeiten, als er Ende 2008/Anfang 2009 den Angeklagten M.      kennenlernte. Dieser hatte ebenfalls wirtschaftliche Schwierigkeiten. Mehrere von ihm geführte Unternehmen hatten Insolvenz anmelden müssen. Er war nach Verbüßung einer im Jahre 2003 wegen Umsatzsteuerhinterziehung (Schaden über 1,5 Mio. DM) verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erwerbslos und musste von Angehörigen unterstützt werden. Die Angeklagten vereinbarten, künftig im Rahmen der H.   gezielt Umsatzsteuer zu hinterziehen, „ähnlich wie M.       in der Vergangenheit“.

7M.    wurde nach der ersten Tat im Mai 2009 wegen der guten "Zusammenarbeit" zum (alleinigen) Geschäftsführer der H.   bei einem Fixgehalt von 1.200 Euro netto bestellt. Von seiner Mitwirkung an den Steuerhinterziehungen abgesehen, hatte er mit den Geschäften der H.   kaum zu tun, war in die Abgabe von Steuererklärungen nicht involviert und konnte nur begrenzt auf Firmenkonten zugreifen. „Eigentlicher Chef“ der H.   war und blieb B.   .

8Durchgeführt wurden die Umsatzsteuerhinterziehungen wie folgt:

9M.      hatte und schuf Kontakte zu Verkäufern von Baumaschinen in den Niederlanden und erwarb dort Baumaschinen mit Bargeld, das ihm B.      hierfür überlassen hatte. Dabei spiegelte M.       den niederländischen Verkäufern vor, nicht für die H.  , sondern für andere deutsche Firmen aufzutreten, sodass die Verkäufer ihre Ausgangsrechnungen auf die vermeintlich von M.      vertretenen Firmen ausstellten. Als einer der Verkäufer mit der vermeintlich von M.      vertretenen Firma in Kontakt treten wollte, sorgte M.      dafür, dass ihn, „um die Legende nicht zu gefährden“, zu diesem Zweck der (hier wegen Beihilfe ebenfalls abgeurteilte, nicht revidierende) Mitangeklagte K.     begleitete.

10Soweit einzelne Baumaschinen in anderen EU-Ländern gekauft worden waren, war dort nicht M.      , sondern ein Angestellter der H.   mit Wissen und Wollen der Angeklagten so wie geschildert tätig geworden.

11In der Buchhaltung der H.   wurden hinsichtlich der Baumaschinenankäufe Scheinrechnungen verbucht, aus denen sich „ein inländischer Erwerb ergab“. In den Rechnungsköpfen waren jeweils als Veräußerer verschiedene in Deutschland ansässige, allerdings nicht im Baumaschinenhandel tätige Firmen ausgewiesen.

12Diese Scheinrechnungen „ließ(en) sich unter Ausnutzung von Kontakten des Angeklagten M.     leicht“ erstellen. Er kannte den gesondert verfolgten I.    , der aus früherer Tätigkeit über vorlagegeeignete Unterlagen dieser Firmen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen verfügte.

13Auf der Grundlage von 194 Scheinrechnungen wurde vom ersten Quartal 2009 bis Dezember 2010 in insgesamt 20 Voranmeldungszeiträumen unberechtigter Vorsteuerabzug geltend gemacht. Den in den Umsatzsteuervoranmeldungen bis einschließlich Mai 2010 und nochmals im Juli und August 2010 jeweils geltend gemachten Erstattungen erteilte das Finanzamt die Zustimmung und es kam zur Auszahlung seitens des Finanzamts. Wegen dieser Auszahlungen kam es bereits im Frühjahr 2010 zu einer Umsatzsteuersonderprüfung. Auch wenn sie zunächst keine konkreten Verdachtsmomente ergab, führte sie dazu, dass die H.   nunmehr Belege (also die Scheinrechnungen) vorlegen musste. Deren Überprüfung führte letztlich dazu, dass für die Voranmeldungszeiträume September bis November 2010 der jeweils geltend gemachten Auszahlung von Guthaben nicht mehr zugestimmt wurde. In den letztlich vergeblichen Versuch, in diesem Zusammenhang das Finanzamt zu täuschen, war auf Initiative M.     s erneut auch K.   verwickelt.

14In den Voranmeldungszeiträumen Juni und Dezember 2010 meldete die H.   Zahllasten an, so dass es einer Zustimmung des Finanzamts in diesen Fällen nicht bedurfte.

15Insgesamt belief sich der unberechtigt geltend gemachte Vorsteuerabzug auf über 1,3 Mio. Euro.

16Im weiteren Verlauf wurde ein gegen die H.   gerichteter Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen.

17Die Revision des Angeklagten B.       ist näher ausgeführt auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt, die Revision des Angeklagten M.     auf die näher ausgeführte Sachrüge. Die Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

18I. Verfahrensrüge(n) des Angeklagten B.      :

19Das Vorbringen, „diverse“ Beweisanträge seien zurückgewiesen und Hilfsbeweisanträge „zum Teil“ nicht beschieden, genügt nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und wäre unbegründet.

201. Die Strafkammer hat die von der Revision genannten Anträge mit einzelfallbezogener Begründung (z.B. wegen Bedeutungslosigkeit, Wahrunterstellung u.a.) abgelehnt.

21Nach dem Revisionsvorbringen sollen sämtliche Beschlüsse im Kern (offenbar) deshalb fehlerhaft sein, weil die Strafkammer die von ihr erhobenen Beweise nach Auffassung der Revision falsch gewürdigt hat. Insoweit, so die Revision selbst, „vermengt sich die … Prozessrüge mit der Sachrüge“. Auf die Ablehnung der einzelnen Anträge geht die Revision nur vereinzelt konkret ein.

22Bei einer Reihe dieser Anträge handelte es sich nicht um Beweisanträge, sondern Beweisermittlungsanträge:

23a) Der Antrag auf Vernehmung sämtlicher in der Anklage aufgeführten (§ 200 Abs. 1 Satz 2 StPO), aber noch nicht vernommenen Zeugen nennt kein Beweisthema. Auch verdeutlicht das Revisionsvorbringen entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, um welche Zeugen es sich konkret handelt.

24b) Der Zeuge W.   sollte bekunden, er hätte „entweder bei einer Baufirma oder einer Nutzfahrzeugshandelsfirma“ Fahrzeuge abgeholt, und dabei im Auftrag M.        s entweder „in dessen eigenem oder fremden Namen“ gehandelt. Sind mehrere, sich gegenseitig ausschließende Tatsachen in das Wissen eines Zeugen gestellt, fehlt auch bei einem einheitlichen Beweisziel eine bestimmte Tatsachenbehauptung ( mwN).

25c) Der Antrag, zum Beweis des Herkunftsorts der Lieferungen des ersten Halbjahres 2009 die „entsprechenden Frachtpapiere“ zu verlesen, hätte erfordert, die einschlägigen Dokumente erst aus einer Vielzahl vergleichbarer Dokumente herauszusuchen (vgl. mwN).

26d) Ob der Antrag auf erneute Vernehmung eines Zeugen ein Beweisantrag ist, hängt davon ab, wozu er bereits ausgesagt hatte ( mwN). Hierzu ist jedoch nichts vorgetragen.

27Eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch Zurückweisung dieser Anträge (vgl. mwN) ist weder ausdrücklich noch der Sache nach in zulässiger Form geltend gemacht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, was die Strafkammer zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt hätte.

282. Die Behauptung, Hilfsbeweisanträge seien im Urteil übergangen, ist  unbehelflich, da deren Inhalt nicht mitgeteilt ist.

293. Auch hinsichtlich der verbleibenden Anträge ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem insgesamt pauschal gehaltenen Revisionsvorbringen und den Urteilsgründen Teile herauszufiltern, die zu einer hinreichend angebrachten Rüge zusammengefügt werden könnten. Dann bestimmte statt des hierzu berufenen Revisionsführers das Revisionsgericht selbst den Gegenstand seiner Überprüfung.

304. Selbst wenn man - in welchem Umfang auch immer - einzelne Verfahrensrügen für zulässig erhoben hielte (was, wie dargelegt, zu verneinen ist), wären sie unbegründet, wie dies der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat.

31II. Zur Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs:

321. Die Auffassung (Revisionsbegründung M.      ), der Umfang der hinterzogenen Steuern sei mangels hinreichender Darlegung nicht überprüfbar, ist unzutreffend. Jede Scheinrechnung ist tabellarisch aufgeführt, ebenso die darin ausgewiesene Umsatzsteuer. Auch ist für jeden Voranmeldungszeitraum die sich daraus ergebende Gesamtsumme zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuer ausdrücklich genannt.

332. Auch sonst sind die Schuldsprüche rechtsfehlerfrei.

34a) Angeklagter B.      :

35Das Revisionsvorbringen zeigt die Möglichkeit einer den Angeklagten belastenden rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung nicht auf.

36b) Angeklagter M.     :

37Die Strafkammer hat, ihren Beurteilungsspielraum bei der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe () nicht überschritten. Zwar erbrachte M.      seine Tatbeiträge lediglich im Vorfeld der falschen Steuererklärungen (vgl. hierzu ); aufgrund dieser Tatbeiträge kam ihm jedoch nach der rechtsfehlerfreien Wertung der Strafkammer eine „Schlüsselstellung“ bei den gemeinschaftlich geplanten Taten zu. Er verfügte über einschlägige Erfahrungen und die erforderlichen Kontakte und sorgte dafür, dass I.    und K.    die Taten unterstützten. Unter diesen Umständen brauchte die Strafkammer auch die Annahme von Mittäterschaft nicht breiter als geschehen zu begründen.

38Auch sonst sind Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ersichtlich.

39III. Zur Sachrüge hinsichtlich der Strafaussprüche:

401. Zu den Strafrahmen:

41Die Strafkammer hat die Strafrahmen nicht rechtsfehlerfrei bestimmt, jedoch ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten:

42a) Täuscht der Täter, wie hier, steuermindernde Umstände vor, indem er nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht, liegt (hier auf den jeweiligen Anmeldungszeitraum bezogen) ab einem Betrag von 50.000 Euro eine Steuerverkürzung großen Ausmaßes (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) vor. Dies hat die Strafkammer nicht verkannt, sie hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht auf die allein maßgebliche Summe des zu Unrecht anerkannten (bzw. in den Versuchsfällen: geltend gemachten) Vorsteuerabzugs abgestellt (vgl. ). Vielmehr hat sie darauf abgestellt, ob es „zu Auszahlungen in Höhe von mehr als 50.000 Euro gekommen war“.

43b) Die Frage, ob und in welcher Höhe es zu Auszahlungen gekommen ist, sagt aber nichts über die Höhe der verkürzten Steuern aus. Vielmehr hängt die Höhe von Auszahlungen oder verbleibenden Zahllasten allein von der Höhe der gemäß § 16 Abs. 1 UStG berechneten Umsatzsteuer einerseits und der Höhe der insgesamt geltend gemachten Vorsteuerbeträge andererseits ab. In dieses Ergebnis (Saldo) können also auch wahrheitsgemäß geltend gemachte Vorgänge einfließen. Wahrheitsgemäße Angaben können aber auf die Höhe des durch falsche Angaben zu anderen Vorgängen verursachten Schadens keinen Einfluss haben.

44c) Der aufgezeigte Mangel bei der Strafrahmenbestimmung bleibt hier im Ergebnis unschädlich. In den Fällen, in denen die Strafkammer von einer Steuerverkürzung großen Ausmaßes ausgegangen ist, lag der Verkürzungsbetrag stets über 50.000 Euro. Soweit die Strafkammer wiederholt, meist durch das Abstellen auf die Höhe der Auszahlungsbeträge (für die Abrechnungszeiträume zweites Quartal 2009, Dezember 2009, Februar 2010, Juni 2010, August 2010, September 2010, November 2010) zu Unrecht eine Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall verneint hat (zum Strafrahmen in den Versuchsfällen vgl. mwN), sind die Angeklagten nicht beschwert.

45d) Soweit besonders schwere Fälle angenommen sind, bestehen zur subjektiven Seite (auch) des Angeklagten M.     - anders als seine Revision meint - keine Bedenken. Er war bei der H.   ausschließlich zum Zwecke der Steuerhinterziehung tätig und hat sie maßgeblich ermöglicht. Die Möglichkeit, dass sein Vorsatz eine Steuerhinterziehung in dem jeweilig gegebenen Umfang nicht umfasst hätte, liegt daher fern (in vergleichbarem Sinne ; Urteil vom - 2 StR 299/96), auch wenn er an der Erstellung der unrichtigen Steuererklärungen nicht unmittelbar beteiligt war. Fernliegende Möglichkeiten sind aber nicht erörterungsbedürftig.

462. Zur konkreten Strafzumessung:

47a) Auch hierbei hat sich der aufgezeigte Mangel nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt. In den meisten Fällen führte er dazu, dass die Strafkammer von einem zu niedrigen Hinterziehungsbetrag ausgegangen ist. Die für die Strafzumessung maßgebliche Größenordnung des Steuerschadens hat sich aber auch in den wenigen Fällen nicht verändert, in denen die Strafkammer von einem zu hohen Betrag ausgegangen ist.

48b) Das Revisionsvorbringen des Angeklagten M.      zeigt die Möglichkeit beschwerender Rechtsfehler nicht auf:

49(1) Zu Unrecht nicht strafmildernd gewertetes Verhalten des Finanzamts ist nicht ersichtlich. Das Revisionsvorbringen im Zusammenhang mit der Sonderprüfung - so sei etwa ein gebotener Abgleich von Steuernummern unterblieben - kann auf sich beruhen. Ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass staatliche Stellen rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern. (Vorwerfbares) Verhalten des Steuerfiskus kann regelmäßig allenfalls dann zu einer milderen Beurteilung von Steuerhinterziehung führen, wenn es das Täterverhalten unmittelbar beeinflusst hat und die Tatgenese den staatlichen Entscheidungsträgern vorzuwerfen ist ( mwN). Hierfür spricht vorliegend nichts. Vielmehr haben die Ermittlungen des Finanzamtes den (die) Angeklagten nicht von der Fortsetzung des bisherigen strafbaren Verhaltens abgehalten. Dies spricht für besondere kriminelle Hartnäckigkeit, ergibt aber offensichtlich keine strafmildernden Gesichtspunkte.

50(2) Vergeblich macht die Revision geltend, die Strafkammer habe die strafmildernde Bedeutung serienmäßiger Tatbegehung verkannt:

51Eine strafmildernde Berücksichtigung serienmäßiger Tatbegehung kann vor allem dann zu erwägen sein, wenn die einzelnen Taten räumlich, zeitlich oder sonst besonders eng verschränkt sind. Dies ist hier nicht der Fall. Im Übrigen kann sich das Vorliegen einer Vielzahl gleichartiger Taten je nach den Umständen des Falles auf die Strafzumessung unterschiedlich auswirken ( mwN). Allein die zunehmende Gewöhnung an die Begehung gleichartiger Straftaten wäre aber nicht strafmildernd (). Anderes ist hier nicht ersichtlich.

52Der Senat bemerkt, dass der Unwertgehalt von Steuerstraftaten maßgeblich auch durch die Höhe des Steuerschadens bestimmt ist. Da serienmäßige Tatbegehung bei Steuerstraftaten zu höherem Steuerschaden führt, hat sie regelmäßig strafschärfende Bedeutung (vgl. ; Urteil vom - 1 StR 627/08 jew. mwN).

53(3) Die Revision meint, I.     habe zwar einen „gleichgewichtigen oder gar noch gewichtigeren Tatbeitrag“ geleistet, sei aber dennoch bisher nicht angeklagt oder verurteilt worden. Dies hätte strafmildernd berücksichtigt werden müssen.

54Die Urteilsgründe ergeben schon keine nachvollziehbare Grundlage für die genannte Gewichtung des Tatbeitrages von I.     und bestätigen auch den behaupteten Verfahrensstand nicht.

55Unabhängig davon hat aber der Stand eines Verfahrens gegen einen anderen Tatbeteiligten ohnehin für die Strafzumessung keine Bedeutung. Es gilt nichts anderes als hinsichtlich der Strafzumessung gegen Tatbeteiligte in anderen Urteilen (vgl. mwN). Die Revision stützt ihre gegenteilige Auffassung auf Rechtsprechung zur Strafzumessung gegen „Mauerschützen“ () oder in vergleichbaren Fällen (), wonach auch eine Rolle spielte, dass damals hierarchisch übergeordnete Verantwortliche noch nicht abgeurteilt waren. Derartige Besonderheiten liegen hier nicht vor.

56(4) Die Revision hält es unter Berufung auf für strafmildernd, dass der Angeklagte trotz seines verhältnismäßig geringen Beuteanteils gemäß § 71 AO als Haftungsschuldner für die gesamte hinterzogene Steuer herangezogen werden könne.

57Der Senat teilt diese Auffassung nicht.

58aa) § 71 AO hat Schadensersatzcharakter und ist keine zusätzliche Strafsanktion für steuerunehrliches Verhalten (vgl. zusammenfassend Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 71 Rn. 2 mwN). Letztlich muss derjenige, der sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt, für den von ihm (mit)verschuldeten Schaden ebenso einstehen, wie sonst ein Beteiligter an einer unerlaubten Handlung auch (§ 830 BGB). Allein die gesetzliche Pflicht, schuldhaft - hier vorsätzlich - (mit)verursachten Schaden ersetzen zu müssen, kann sich jedenfalls regelmäßig nicht strafmildernd auswirken.

59bb) Es entspricht auch nicht der sonstigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, möglicherweise wegen der Straftat (bzw. des Strafurteils) zu erwartenden behördlichen Anordnungen strafzumessungsrechtliche Bedeutung zuzuerkennen, wenn die Verwaltungsbehörde dabei die Umstände des Einzelfalls in ihre Entschließung einzubeziehen hat (st. Rspr.; zu möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen einer Verurteilung vgl. nur mwN). Die Möglichkeit fachgerichtlicher Überprüfung dieser Maßnahmen schützt vor besonderen, vom Gesetzeszweck nicht umfassten Härten (BGH aaO).

60Es liegt nahe, diese Grundsätze auch hier anzuwenden. Ein Haftungsbescheid gemäß §§ 71, 191 AO steht im Ermessen der Finanzbehörden (zu den dabei wesentlichen Gesichtspunkten vgl. Rüsken aaO § 191 Rn. 30 - 62 mwN). Eine entsprechende Entscheidung unterliegt finanzgerichtlicher Überprüfung; dabei ist Besonderheiten des Einzelfalles erforderlichenfalls Rechnung zu tragen (vgl. nur ; zu vorläufigem gerichtlichen Rechtsschutz vgl. ).

61cc) Unabhängig davon käme eine strafmildernde Berücksichtigung einer möglichen Heranziehung gemäß § 71 AO allenfalls dann in Betracht, wenn der Angeklagte nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls tatsächlich mit seiner Heranziehung „rechnen muss“ () und dies eine besondere Härte darstellen würde (vgl. ). Anhaltspunkte für eine solche Prognose sind jedoch nicht erkennbar:

62Der Angeklagte ist erwerbs- und vermögenslos. Daher würden ihn auch die praktischen Folgen eines Haftungsbescheides schwerlich in besonderem Maße belasten, selbst wenn das Finanzamt, das schon aus Zweckmäßigkeitserwägungen naheliegend auch berücksichtigt, bei wem der Steueranspruch „am schnellsten, leichtesten und sichersten realisiert werden kann“ (Rüsken aaO Rn. 60 mwN), einen solchen Bescheid gegen ihn erlassen sollte.

63Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass fern liegende Möglichkeiten nicht erörtert werden müssen.

64(5) Die Revision hält das Alter des (1949 geborenen) Angeklagten bei den Taten und bei einem (etwaigen) Strafantritt nicht für hinlänglich gewürdigt.

65Das „fortgeschrittene Alter“ des Angeklagten ist bei der Strafzumessung genannt. Weitere Ausführungen waren nicht geboten.

66Im Alter von 60 und 61 Jahren begangene Steuerhinterziehungen im Rahmen eines hierfür selbst geschaffenen komplexen Systems sprechen gegen einen für das Maß der Schuld und damit die Strafzumessung bedeutsamen Altersabbau. Dies gilt umso mehr bei einem Angeklagten, der gleichartige Taten auch schon früher begangen hat ( mwN).

67Die Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe hat den Angeklagten nicht von einschlägigen neuen Taten abgehalten. Ohne konkrete Anhaltspunkte musste daher hier nicht allein wegen des Zeitablaufs seit der letzten Strafverbüßung erwogen werden, ob er jetzt gleichwohl durch den Strafvollzug voraussichtlich besonders stark beeindruckbar (haftempfindlich) sein könnte.

68Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass das Alter des Angeklagten hier die Erörterung seiner Chance, zu Lebzeiten „wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“ ( mwN), erfordert hätte.

69(6) Die Auffassung der Revision, für die Bemessung der Dauer des - angesichts seiner aus den Urteilsgründen ersichtlichen Komplexität ohne erkennbare Verzögerung durchgeführten - Verfahrens sei der Beginn des strafbaren Verhaltens maßgeblich, liegt neben der Sache.

70(7) Gleiches gilt für die Ausführungen zu einer „Nähe der Tilgungsreife“ hinsichtlich der Vorstrafe. Diese wäre selbst bei straffreiem Verhalten erst  2020 tilgungsreif geworden (§ 46 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3, § 47 Abs. 3 BZRG).

71(8) Schließlich gehen auch die Angriffe dagegen fehl, dass der Angeklagte ebenso hoch bestraft wurde wie der Angeklagte B.       . Die Strafkammer hat insoweit zusammenfassend erwogen, dass B.        zwar ein „größeres Eigeninteresse“ an den Taten hatte, also hiervon erheblich mehr profitierte, dafür aber nicht vorbestraft ist. Die Ausführungen der Revision erschöpfen sich in dem unbehelflichen Versuch, rechtsfehlerfreies tatrichterliches Ermessen durch eigenes Ermessen zu ersetzen.

723. Auch sonst sind keine die Angeklagten beschwerenden rechtsfehlerhaften Strafzumessungserwägungen ersichtlich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 494 Nr. 3
YAAAI-10356