BGH Beschluss v. - 4 StR 410/20

Verfahrensrüge im Strafverfahren: Darlegungsanforderungen an eine mangelnde Eigenmächtigkeit des Nichterscheinens des Angeklagten in der Hauptverhandlung

Gesetze: § 230 StPO, § 231 Abs 2 StPO, § 338 Nr 5 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 10 KLs 5/20nachgehend Az: 4 StR 410/20 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in neun Fällen und wegen Anstiftung zum Missbrauch von Wegstreckenzählern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.650 Euro angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt im Ausspruch über die Einziehung den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch.

31. Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 231 Abs. 2 StPO verstoßen, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

4a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5Am achten Hauptverhandlungstag am erschien der Angeklagte nicht. Durch die Verteidigung wurde die Ablichtung eines Schreibens des Krankenhauses in G.     /Kosovo vorgelegt, wonach sich der Angeklagte ab dem bis „unbekannt“ in der neurologischen Abteilung der Klinik befinde. Außerdem legte die Verteidigung die Ablichtung eines Flugtickets des Angeklagten für die Rückreise nach Deutschland am vor. Das Landgericht hat am beschlossen, die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten fortzuführen, und dies damit begründet, dass sich der Angeklagte in den Kosovo begeben habe, um sich dem Verfahren zu entziehen.

6b) Gemäß § 231 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er sich aus dieser entfernt oder zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheint, sofern er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Über den Wortlaut des § 231 Abs. 2 StPO hinaus muss der Angeklagte dabei seine Pflicht zur Anwesenheit oder zum Wiedererscheinen eigenmächtig verletzt haben. Das ist dann der Fall, wenn der Angeklagte ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (st. Rspr.; vgl. Rn. 25; Beschluss vom - 1 StR 616/17 Rn. 13).

7Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dem Angeklagten nachzuweisen, dass sein Ausbleiben auf Eigenmächtigkeit beruht. Dabei entscheidet das Revisionsgericht auf Grundlage der Tatsachen, die ihm zum Entscheidungszeitpunkt bekannt und die erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises festzustellen sind. Dagegen spielt nach der Rechtsprechung keine Rolle, ob anhand der dem Tatrichter bekannten Tatsachen Eigenmächtigkeit anzunehmen war; eine Bindung an die vom Tatrichter festgestellten Tatsachen besteht nicht (, BGHSt 10, 304; Urteil vom - 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178, 180; Beschluss vom - 5 StR 625/96; Beschluss vom - 2 StR 194/01 Rn. 7; Beschluss vom - 1 StR 616/17 Rn. 14 ff.; offengelassen in ; missverständlich ; für Bindung des Revisionsgerichts an die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Tatrichters Becker in LR-StPO, 27. Aufl., § 231 Rn. 44; Maatz, DRiZ 1991, 200).

8Von diesem Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts unberührt bleiben die Erfordernisse des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn der Frage, nach welchen Grundsätzen die der Rüge zugrunde liegenden Tatsachen zu ermitteln sind, geht stets die auf Grund der Rechtfertigungsschrift vorzunehmende Prüfung des Revisionsgerichts voraus, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn von den behaupteten Tatsachen ausgegangen wird. Um eine erste Nachprüfung aufgrund der Revisionsbegründung zu ermöglichen, gehört daher bei einer auf die Verletzung von §§ 230, 231 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge zu den Darlegungspflichten die Behauptung, dass der Angeklagte der Hauptverhandlung nicht eigenmächtig ferngeblieben sei, und die Erläuterung dieser Behauptung (vgl. ; Beschluss vom - 3 StR 236/80 Rn. 7; Urteil vom - 5 StR 997/83 Rn. 4; Beschluss vom - 1 StR 235/14 Rn. 25).

9c) Daran gemessen genügt das Revisionsvorbringen im vorliegenden Fall nicht den Darlegungsanforderungen zur fehlenden Eigenmächtigkeit.

10Zwar lässt sich der Verfahrensrüge noch entnehmen, der Angeklagte sei erkrankt und habe sich am geplanten Rückreisetag in stationäre Behandlung der neurologischen Abteilung einer Klinik in G.     im Kosovo begeben.

11Jedoch reicht dieses Revisionsvorbringen als Behauptung, der Angeklagte sei der Hauptverhandlung nicht eigenmächtig ferngeblieben, nicht aus. Das Vorbringen ist unsubstantiiert, da nicht mitgeteilt wird, dass der Krankenhausaufenthalt gerade zu dem betreffenden Zeitpunkt medizinisch geboten und der Angeklagte dadurch zwingend gehindert war, an diesem Tag die Rückreise nach Deutschland anzutreten. Die Revisionsbegründung hätte sich näher zum Anlass der Aufnahme in das Krankenhaus verhalten müssen, namentlich dazu, ob die Aufnahme einer unaufschiebbaren Untersuchung oder Behandlung diente, sowie darlegen müssen, wie sich der Gesundheitszustand des Angeklagten auf seine Reisefähigkeit auswirkte. Dies lässt sich weder dem Tatsachenvortrag noch der rechtlichen Wertung in den Revisionsbegründungsschriften entnehmen.

122. Auch die weiteren Verfahrensrügen greifen nicht durch.

13a) Die Verfahrensrüge, mit der eine Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den Antrag gerügt wird, eine näher bezeichnete Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beizuziehen und darin befindliche Unterlagen auswerten zu lassen, ist bereits unzulässig. Die Rüge enthält weder eine Tatsachenbehauptung noch gibt sie ein konkretes Beweismittel an, zu dessen Erhebung sich das Landgericht hätte gedrängt sehen müssen (vgl. Rn. 27; Urteil vom - 3 StR 389/97; Urteil vom - 4 StR 582/90).

14b) Auch die Rüge, das Landgericht habe § 338 Nr. 8 StPO durch die Ablehnung eines Unterbrechungsantrags vom verletzt, ist nicht zulässig erhoben, weil eine Übersetzung des dem Antrag beigefügten Attests in albanischer Sprache nicht vorgelegt worden ist. Schriftliche Eingaben in fremder Sprache sind grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 815/80; vom - 3 StR 310/05; vom - StB 2/17 Rn. 9; Beschluss vom - 5 StR 455/17). Eine Pflicht zur Übersetzung von Amts wegen ergibt sich vorliegend auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (vgl. [Gavril Covaci], NJW 2016, 303) schon deshalb nicht, weil diese Entscheidung nur den nichtverteidigten Beschuldigten betrifft (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 2/17 Rn. 10; vom - 5 StR 455/17; Allgayer in BeckOK GVG, 12. Ed. Stand: , § 184 Rn. 5).

15c) Dasselbe gilt für die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO durch die Ablehnung eines Befangenheitsantrags, der sich seinerseits auf die Zurückweisung des Unterbrechungsantrags stützt. Für die Beurteilung des Befangenheitsantrags ist wiederum das Attest von Bedeutung, so dass eine Übersetzung in die deutsche Sprache hätte vorgelegt werden müssen.

16d) Den übrigen Verfahrensbeanstandungen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

II.

171. Auf die Sachrüge ist der Ausspruch über die Einziehung in zweifacher Hinsicht zu korrigieren:

18a) Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73, 73c StGB ist um 500 Euro herabzusetzen.

19Die Strafkammer hat bei ihrer Einziehungsentscheidung außer Acht gelassen, dass im Fall II.2.f) der Urteilsgründe der vom Angeklagten für den Verkauf eines Fahrzeugs mit manipuliertem Wegstreckenzähler eingeschaltete Mittelsmann vom Kaufpreis in Höhe von 4.500 Euro lediglich 4.000 Euro an den Angeklagten weiterleitete. Der Angeklagte erlangte insofern 500 Euro weniger aus diesem Verkauf, als das Landgericht in die Berechnung des Einziehungsbetrages eingestellt hat.

20b) In Höhe von 1.500 Euro ist statt der Einziehung des Wertes von Taterträgen die Einziehung des Erlöses gemäß § 111p Abs. 1 Satz 2 StPO angeordnet.

21Das Landgericht hat in den Fällen II.2.h) bis II.2.j) der Urteilsgründe nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte nichts im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB erlangte. In diesen Fällen wurden insgesamt drei Kraftfahrzeuge mit manipulierten Wegstreckenzählern sichergestellt, bevor sie der Angeklagte veräußern konnte.

22Die Einziehungsentscheidung beruht aber nicht auf diesem Rechtsfehler. Bei den Kraftfahrzeugen handelte es sich um Tatobjekte im Sinne von § 74 Abs. 2 StGB, deren Einziehung § 22b Abs. 3 Satz 1 StVG ermöglicht. Da die Fahrzeuge notveräußert wurden, ist an die Stelle dieser Einziehungsgegenstände gemäß § 111p Abs. 1 Satz 2 StPO der Erlös in Höhe von insgesamt 1.500 Euro getreten. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung auf die Einziehung des Erlöses verzichtet oder mildere Strafen verhängt hätte.

23Der Senat hat insoweit klargestellt, dass die Einziehung des Erlöses angeordnet ist (vgl. , BGHSt 8, 46).

242. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.

253. Angesichts des geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:190821B4STR410.20.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-27234