BGH Beschluss v. - 1 StR 332/10

Steuerstrafverfahren: Eintritt der Regelwirkung für den Strafrahmen des besonders schweren Falls bei der versuchten Steuerhinterziehung in großem Ausmaß

Gesetze: § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 Abs 3 S 1 AO, § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO, § 22 StGB, § 23 Abs 2 StGB, § 49 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 2 KLs 28/09 - 5 Js 645/09 Urteil

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Im Fall II.2 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten rechtsfehlerfrei wegen versuchter Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt. Auch die Strafrahmenwahl für diesen Fall, bei der das Landgericht die Strafe dem gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnommen hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte ließ beim Finanzamt Köln für die D. GbR betreffend den Monat Juni 2008 eine unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung einreichen. Darin wurde zu Unrecht ein Vorsteuerbetrag in Höhe von mehr als 534.000 Euro aus gefälschten Rechnungen der Firma E., denen in Wirklichkeit keine Leistungen zugrunde lagen, geltend gemacht. Das Finanzamt, das Zweifel an der Richtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldung hatte, zahlte die geltend gemachten Vorsteuern nicht als Erstattungsbetrag aus, sondern leitete eine Umsatzsteuersonderprüfung ein.
b) Auch wenn der Angeklagte hier nicht i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO „in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat“, weil eine Auszahlung des geltend gemachten Erstattungsbetrages vom Finanzamt verweigert worden war (vgl. § 168 Satz 2 AO), durfte das Landgericht die Strafe dennoch dem gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnehmen. Denn die Geltendmachung des unberechtigten Vorsteuerbetrages von mehr als 534.000 Euro zielte auf einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil in großem Ausmaß i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ab (vgl. , BGHSt 53, 71, 84 ff.). Der Umstand, dass ebenso wie das Grunddelikt des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nur versucht worden ist, steht dem nicht entgegen (vgl. , BGHSt 33, 370; glA Joecks in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 Rn. 276; Fischer, StGB 57. Aufl. § 46 Rn. 101). Für den Eintritt der Regelwirkung der Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 AO kann es bei der versuchten Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) nur darauf ankommen, ob der Täter nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Regelbeispiels bereits unmittelbar angesetzt hat. Denn bei der versuchten Steuerhinterziehung ist auch für die Indizwirkung der Regelbeispiele auf die subjektive Tatseite abzustellen. Dabei sind bei der Bestimmung des für den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens die Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung im Ergebnis wie ein Tatbestandsmerkmal zu behandeln, weil sie einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisieren (BGHSt 33, 370, 374). Ist der Schuldgehalt der versuchten Tat geringer, kommt auch für den Strafrahmen des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO) die Strafrahmenverschiebung des § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB in Betracht.
Gegenteiliges ergibt sich nicht aus einem Vergleich mit dem Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 StGB, für das der Bundesgerichtshof annimmt, dass ein bloßer Betrugsversuch die Voraussetzungen des Regelbeispiels des „Herbeiführens eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes“ nicht erfüllen kann (vgl. , BGHR § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Vermögensverlust 6; , wistra 2007, 183; , NStZ-RR 2009, 206, 207). Denn der dort vom Gesetzgeber verwendete Begriff des Vermögensverlustes ist nach dem Wortsinn enger zu verstehen als die in anderem Zusammenhang verwendeten Begriffe des Vermögensschadens oder -nachteils und verbietet daher eine Ausdehnung auf bloße Gefährdungsschäden (, BGHSt 48, 354, 358 f.). Dies rechtfertigt, die im bloßen Ansetzen, einen Vermögensverlust herbeizuführen, liegende Gefährdung auch bei Versuchstaten für die Regelwirkung nicht ausreichen zu lassen. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass im Gegensatz hierzu § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ausdrücklich Bezug nimmt auf den Begriff der Steuerverkürzung und damit auf die Legaldefinition in § 370 Abs. 4 Satz 1 AO. Von dieser Definition werden auch Vermögensgefährdungen bei verspäteter oder zu niedriger Festsetzung erfasst (vgl. BGHSt 53, 71, 85 Rn. 39; Joecks aaO § 370 AO Rn. 51).
Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung, ob ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 3 AO gegeben ist, hat das Landgericht ausdrücklich berücksichtigt, dass es letztlich nicht zu einer Tatvollendung gekommen ist. Dabei musste es hier nicht ausdrücklich erörtern, ob das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes des Versuchs (§ 23 Abs. 2 StGB) ausnahmsweise zum Entfallen der Regelwirkung führen konnte. Denn die vom Landgericht erwogenen Strafzumessungsgründe legen eine solche Möglichkeit nicht nahe. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Höhe des geltend gemachten Erstattungsbetrages und des Umstandes, dass die Auszahlung nur durch die besondere „Wachsamkeit“ des Finanzamtes verhindert wurde. Im Übrigen wäre - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - die verhängte Strafe auch angemessen (vgl. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
Nack   
      
Wahl   
      
   Hebenstreit
      
      
      
RiBGH Prof. Dr. Sander istin Urlaub und deshalbverhindert zu unterschreiben.
        
      
Jäger   
      
Nack
      

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
AO-StB 2011 S. 26 Nr. 1
BFH/NV 2010 S. 2396 Nr. 12
UStB 2011 S. 9 Nr. 1
wistra 2010 S. 449 Nr. 11
WAAAD-51223