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Grundlagen vom

Jahresabschlussanalyse 2: Jahresabschlusspolitik und Jahresabschlussanalyse

Prof. Dr. Mathias Graumann

In zwölf Grundlagen-Beiträgen werden anhand eines durchgängigen Fallbeispiels Ideen, Methoden, praktische Umsetzung sowie die besonders wichtige Interpretation der Kennzahlen praxisnah erläutert.

1. Das Spannungsfeld von Jahresabschlusspolitik und Jahresabschlussanalyse

89Jahresabschlusspolitik umfasst die Gesamtheit der Maßnahmen, die das Management beschreiten kann, um Form, Inhalt und Aussagegehalt des Jahresabschlusses im Einklang mit den Unternehmenszielen und der Unternehmensstrategie zur Erreichung unternehmenszielkonformer Reaktionen der Adressaten des Jahresabschlusses unter Beachtung der bindenden Rechtsvorschriften zu beeinflussen. Da die Kommunikation mit den Adressaten den Rahmen der Jahresabschlusspolitik darstellt, wird sie auch als sog. „Jahresabschlussmarketing“ bezeichnet.

90Jahresabschlusspolitik und Jahresabschlussanalyse stehen in einem Spannungsfeld. Wäre die Abschlusserstellung ein „naturgegebener Punktprozess“, d. h., resultierte sie aus eindeutigen Geboten und Verboten, so bestünden keinerlei Spielräume für die Jahresabschlusspolitik. Je breiter die Leitplanken für eine gleichwohl rechtskonforme Abschlusserstellung sind, umso mehr Möglichkeiten der Jahresabschlusspolitik eröffnen sich, und umso weniger treffsicher wird die Jahresabschlussanalyse, insbesondere wenn sie als eine rein mechanische Kennzahlenanalyse vorgenommen wird.

91Im Fachschrifttum besteht Einigkeit, dass auch nach Inkrafttreten des BilMoG im nationalen Recht, sogar bei vollständiger Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze (IAS/IFRS), weiterhin zahlreiche jahresabschlusspolitische Möglichkeiten bestehen. Als Beispiele, deren weitergehende Ausführung hier allerdings den Rahmen sprengen würde, seien genannt

  • bei selbstgeschaffenen immateriellen Vermögenswerten die Voraussetzungen für das Vorliegen zu aktivierender Entwicklungskosten, z. B. zuverlässige Schätzung und Abgrenzung der Kosten, wahrscheinlicher künftiger Nutzenzufluss (IAS 38.57 ff.),

  • bei Gebäuden die Bestimmung der „Betriebsnotwendigkeit“ (IAS 40.7 ff.),

  • bei Sachanlagen das Vorhandensein eines „aktiven Markts“ als Zulässigkeit der Neubewertungsmethode (IAS 16.29) und die Bestimmung des höheren Zeitwerts (IAS 16.31 ff.),

  • bei langfristigen Vermögenswerten die Ermittlung des „erzielbaren Betrags“, bzw. des „Nutzungswerts“ im Rahmen des Wertminderungstests (IAS 36.25 ff., 36.30 ff.) sowie die Identifikation von „zahlungsmittelgenerierenden Einheiten“ (IAS 36.18 ff.),

  • bei Rückstellungen die Schätzung der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ als Ansatzkriterium und des „wahrscheinlichen Betrags“ als Bewertungskriterium (IAS 37.36 ff.).

92Die IAS/IFRS als sog. „case law“ sind weitaus detaillierter abgefasst als nationale Rechtsnormen. Somit könnte lapidar behauptet werden, dass die Ermessensspielräume proportional zum verbalen Umfang der Rechtsnormen zunehmen.

93Hiervon abgesehen ist unbestritten, dass sich die Jahresabschlussanalyse über die Anwendung bloßer Kennzahlenanalysen hinausgehender Verfahren bedienen muss.

94Die Ziele der Jahresabschlusspolitik lassen sich wie folgt systematisieren:


Tabelle in neuem Fenster öffnen

ABB. 8: Ziele der Jahresabschlusspolitik

Kapitalaufnahme- und
Kapitalstrukturpolitik
Liquiditäts-
politik
Gewinnausweis- und Dividenden-
politik
Beeinflussung der „Anspruchs-
gruppen“ des Unternehmens
  • Planung und Durchführung von Maßnahmen der offenen Selbstfinanzierung (z. B. Kapitalerhöhung)
  • Alternativ Bildung stiller Rücklagen durch Ansatz- und Bewertungspolitik
  • Optimierung der Kapitalstruktur (Eigen- und Fremdkapital)
  • Optimierung der Fristigkeit des Fremdkapitals
  • Generierung von Liquiditäts­effekten durch Bildung oder Auflösung stiller Rücklagen
  • Beeinflussung der Höhe der Ausschüttungen an Gesellschafter
  • zeitliche Vor- oder Nachverlagerung von Periodengewinnen
  • Abkopplung der Ausschüttungen vom Periodenertrag, Politik konstanter Dividenden
  • Beeinflussung von Kreditgebern oder potenziellen Kreditgebern in Bezug auf die Einhaltung vertraglich ausbedungener oder vermeintlich „gewünschter“ Bilanzrelationen
  • Beeinflussung von Investoren oder potenziellen Investoren in Bezug auf unternehmenswertbildende, jahresabschlussrelevante Faktoren
  • Beeinflussung des Meinungsbilds sonstiger Anspruchsgruppen wie z. B. Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer

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