Schlüssige Darlegung eines behaupteten Wiederaufnahmegrundes bei Restitutionsklage; keine Umdeutung einer sofortigen Beschwerde in eine Gegenvorstellung; Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Vertretung
Gesetze: FGO § 62 Abs. 4, FGO § 134, GG Art. 103 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 4, FGO § 155, ZPO § 87, ZPO § 578, ZPO § 580, ZPO § 586, ZPO § 587, ZPO § 579
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Restitutionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Wiederaufnahme der Verfahren V B 30/07 und V B 65/08.
2 Mit Beschluss vom (V B 30/07) hatte der Senat die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen ) als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingelegte „sofortige Beschwerde” wurde mit Beschluss vom (V B 65/08) als unzulässig verworfen.
3 Zur Begründung ihrer mit Schriftsatz vom erhobenen Restitutionsklage trägt die Klägerin vor:
4 Mit dem am veröffentlichten Beschluss V S 10/07 vom (BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824) habe der V. Senat die Gegenvorstellung anerkannt. Die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7 Buchst. b) der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lägen somit vor, da die Gegenvorstellung in der vorliegenden Entscheidung noch als unzulässig angesehen worden sei. Da nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine unzulässige sofortige Beschwerde in eine Gegenvorstellung umzudeuten sei, hätte die sofortige Beschwerde nicht als unzulässig verworfen werden dürfen. Die Restitutionsklage sei auch begründet. Erst durch den BFH-Beschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 sei sie in die Lage versetzt worden, die Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung gegen einen Beschluss des BFH zu beweisen.
5 Die Beschlüsse V B 30/07 und V B 65/08 verstießen gegen Art. 101, 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes. Der aufgrund eines Beteiligtenwechsels „wahre” Beklagte sei nicht in den Prozess einbezogen worden. Dieser Mangel begründe auch eine Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO.
6 Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beschluss V B 65/08 über die sofortige Beschwerde/Gegenvorstellung aufzuheben, der sofortigen Beschwerde/Gegenvorstellung stattzugeben, den Beschluss V B 30/07 aufzuheben und die Revision im Verfahren V B 30/07 zuzulassen.
7 II. Der Senat kann offen lassen, ob die von einem Rechtsanwalt erhobene „Restitutionsklage” bereits wegen fehlender Statthaftigkeit unzulässig ist, da sie sich nicht auf ein Urteil i.S. von § 578 Abs. 1 ZPO bezieht, oder als Antrag zu verstehen ist, die angegriffenen Beschlüsse entsprechend § 134 FGO i.V.m. § 580 ZPO wieder aufzunehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252; vom XI S 20/92, BFH/NV 1993, 613). Denn auch ein derartiger Antrag ist entsprechend § 134 FGO i.V.m. § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
8 1. Die Restitutionsklage findet nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Mit der Restitutionsklage können Anfechtungsgründe, durch die eine dem angefochtenen Urteil vorausgegangene Entscheidung derselben oder einer unteren Instanz betroffen wird, geltend gemacht werden, sofern das angefochtene Urteil auf dieser Entscheidung beruht (§ 583 ZPO).
9 Gemäß § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form (§ 587 ZPO) und Frist (§ 586 ZPO) erhoben wurde. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass Tatsachen schlüssig dargelegt werden, aus denen sich —ihre Richtigkeit unterstellt— der behauptete Wiederaufnahmegrund ergibt (, BFH/NV 1998, 1248, m.w.N.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 134 FGO Rz 39 und 57).
10 2. Die Klägerin hat keinen Restitutionsgrund i.S. des § 580 ZPO schlüssig dargelegt.
11 a) Es kann offen bleiben, ob der Senatsbeschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 überhaupt eine „andere Urkunde” i.S. von § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO darstellt, da diese jedenfalls keine der Klägerin günstigere Entscheidung in der Sache V B 65/08 herbeigeführt haben würde. Die sofortige Beschwerde wäre vielmehr auch dann als unzulässig verworfen worden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung am der Senatsbeschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 bereits vorgelegen hätte.
12 Die von der Klägerin geltend gemachte Umdeutung des von ihrem Prozessbevollmächtigten ausdrücklich als „sofortige Beschwerde” bezeichneten Rechtsbehelfs in eine Gegenvorstellung scheitert daran, dass es nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Gebot der Rechtssicherheit ist, Rechtskundige mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 95/09, BFH/NV 2010, 217; vom VIII B 157/06, BFH/NV 2007, 931, m.w.N.).
13 b) Hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen der als unbegründet zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde V B 30/07 hat die Klägerin nicht einmal ansatzweise Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Wiederaufnahmegrund ergibt. Der von ihr angeführte BFH-Beschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 war für das Verfahren V B 30/07 nicht entscheidungserheblich und hätte daher unter keinen Umständen zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen können.
14 3. Soweit die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse V B 30/07 und V B 65/08 wegen eines Vertretungsmangels auf Seiten des Prozessgegners geltend macht, wird ebenfalls kein Wiederaufnahmegrund i.S. von § 580 ZPO schlüssig dargelegt. Ein Vertretungsmangel begründet zwar nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine Nichtigkeitsklage. Selbst wenn ein derartiger Mangel vorläge, könnte sich die Klägerin aber im Streitfall nicht darauf berufen, weil der Mangel der vorschriftsmäßigen Vertretung nur vom nichtvertretenen Beteiligten gerügt werden kann (, BFHE 96, 385, BStBl II 1969, 660; , BFH/NV 1993, 314, m.w.N.).
15 4. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete. Die Kündigung der Vollmacht erlangt gemäß § 62 Abs. 4, § 155 FGO i.V.m. § 87 ZPO aber erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten (, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238). Ein anderer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt worden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 828 Nr. 5
ZAAAD-80003