BFH Beschluss v. - X B 8/08

Keine Beeinträchtigung der im EG-Vertrag gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit bei Zurückweisung eines nicht im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten; keine Änderung durch Neuregelung

Gesetze: FGO § 62 Abs. 2, StBerG § 3 Nr. 4, StBerG § 3a, EG Art. 43

Instanzenzug:

Gründe

I. In dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln 11 K 3975/07 wegen Gewinnfeststellung 2004 und 2005 hat das FG die Prozessbevollmächtigte des Klägers (Beschwerdeführerin), eine nach englischem Recht gegründete Limited, die über Geschäftsadressen in Belgien und in den Niederlanden verfügt, gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (—FGO— in der bis geltenden Fassung) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das FG im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO seien Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) befugt zu sein. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Beschwerdeführerin leiste unbefugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen. Sie gehöre nicht zu dem Kreis der nach §§ 3 und 4 StBerG zur Hilfeleistung in Steuersachen befugten Personen.

Offen könne bleiben, ob die Beschwerdeführerin nach dem Recht der Staaten, in denen sie niedergelassen sei, zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sei. Sie erfülle nämlich die Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 StBerG (in der bis geltenden Fassung) schon deshalb nicht, weil sie nicht nur vorübergehend im Inland tätig sei, wie ihre vielfältigen Tätigkeiten für mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten vor verschiedenen Finanzämtern und Finanzgerichten im Inland zeigen würden. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin sei somit auf eine geschäftsmäßige und dauerhafte Hilfeleistung im Inland gerichtet. Vom Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) seien aber nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) nur vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistungen erfasst. Daran habe weder die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Anerkennung von Berufsqualifikationen —Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie— (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— Nr. L 255/22) noch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt —Dienstleistungsrichtlinie— (ABlEU Nr. L 376/36) etwas geändert. Eine Vorlage an den EuGH scheide aus, weil an der Übereinstimmung des § 3 Nr. 4 StBerG mit dem Europäischen Recht wegen der unstreitigen Auslegung des Begriffs der Dienstleistung keine Zweifel bestünden.

Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des FG Köln aufzuheben. Sie macht geltend, sie sei aufgrund der im EG-Vertrag statuierten Dienstleistungsfreiheit in Verbindung mit der Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie und der Dienstleistungsrichtlinie zur grenzüberschreitenden Dienstleistung befugt.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat die Beschwerdeführerin zu Recht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin ist im Inland nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt.

1. Die Beschwerdeführerin kann eine dahingehende Befugnis nicht aus § 3 Nr. 3 StBerG herleiten. Sie ist nicht als eine der dort genannten Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften anerkannt. Die Rechtsform der Limited wird in § 49 Abs. 1 und 2 StBerG nicht genannt. Einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft kommt unabhängig von ihrer Rechtsform ohnehin nicht die Befugnis zur Beratung in steuerlichen Angelegenheiten zu.

2. Die Befugnis der Beschwerdeführerin zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen folgt auch nicht aus § 3 Nr. 4 StBerG.

Danach sind zu solchen Dienstleistungen Personen oder Vereinigungen berechtigt, „die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland oder in der Schweiz beruflich niedergelassen sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaats leisten, soweit sie mit der Hilfeleistung in Steuersachen eine Dienstleistung nach Art. 50 EGV erbringen”.

a) Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin nach dem Recht der Staaten, in denen sie niedergelassen ist, zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob das zum Schutz der Steuerpflichtigen in § 3 Nr. 4 Sätze 2 und 3 StBerG enthaltene Transparenzgebot (vgl. Gehre/v. Borstel, Steuerberatungsgesetz, 5. Aufl., § 3 Rz 18) und dessen Missachtung durch die Beschwerdeführerin ihre Zurückweisung rechtfertigen würden.

b) Die Beschwerdeführerin ist aufgrund folgender Überlegungen vom FG zu Recht als Prozessbevollmächtigte zurückgewiesen worden.

aa) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 7. Steuerberatungsänderungsgesetz (BGBl I 2000, 874) zu § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG ist mit der Beschränkung dieses Erlaubnistatbestandes auf die Erbringer von Dienstleistungen in Steuersachen den Anforderungen des EGV im Bereich der Dienstleistungsfreiheit bei grenzüberschreitenden Hilfeleistungen in Steuersachen Rechnung getragen (BTDrucks 14/2667, S. 27).

bb) Von dem für § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG somit maßgebenden Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 EGV werden nur grenzüberschreitende vorübergehende Hilfeleistungen in Steuersachen erfasst. Darunter fallen solche zeitlich begrenzten Leistungen, die ohne dauerhafte Niederlassung (nach Art. 50 Satz 3 EGV: „vorübergehend”) in dem betreffenden Mitgliedstaat erbracht werden ( 205/84, Slg. 1986, 3755, 3801; vom Rs. C-215/01, Slg. 2003, I-14847; BFH-Beschlüsse vom VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, m.w.N.; vom VII B 99/03, BFH/NV 2004, 827). An dieser Begriffsbestimmung hält der seit dem an die Stelle des im Zeitpunkt der Entscheidung des FG geltenden § 3 Nr. 4 StBerG getretene § 3a StBerG fest.

Der vorübergehende Charakter einer grenzüberschreitenden Dienstleistung ist nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen. Er schließt zwar nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer i.S. des Art. 50 EGV aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Wer jedoch in „stabiler” und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, fällt unter die Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen. Dies ist in den einführenden Erwägungen zur genannten Dienstleistungsrichtlinie in Tz 77 ausdrücklich klargestellt und wird entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin von den Entscheidungen des (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 5) und Rs. C-318/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 14) in keiner Weise berührt.

cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG den vorübergehenden Charakter der Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Inland zutreffend verneint. Wer, wie die Beschwerdeführerin, im Inland nicht nur einzelne, sondern mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten berät und vor verschiedenen Finanzämtern und Finanzgerichten in einer Vielzahl von Verfahren vertritt, ist nicht nur vorübergehend im Inland tätig, sondern erbringt seine Leistungen in „stabiler” und kontinuierlicher Weise. Er überschreitet damit den durch die Dienstleistungsfreiheit gezogenen Rahmen.

Eine solche nicht nur vorübergehende Tätigkeit setzt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH unter den im Streitfall gegebenen Umständen entgegen der offensichtlich von der Beschwerdeführerin vertretenen Ansicht nicht als unerlässliches Erfordernis voraus, dass die Beschwerdeführerin im Inland über (äußerlich als solche erkennbare und für potenzielle Mandanten zugängliche) Praxis- oder Kanzleiräume verfügt. Das Vorhandensein solcher Räumlichkeiten deutet zwar als (gewichtiges) Indiz auf eine nicht nur vorübergehende Tätigkeit im Inland i.S. von Art. 50 EGV hin, begründet aber für sich allein genommen eine solche Annahme nicht zwingend. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Das Fehlen derartiger Räumlichkeiten mag zwar als Indiz für eine nur vorübergehende Tätigkeit im Inland sprechen, kann indessen —wie dies im vorliegenden Fall vom FG zu Recht angenommen wurde— durch gewichtige gegenläufige Umstände widerlegt sein.

3. Die diesen Überlegungen zugrunde liegenden Grundsätze beruhen auf einer gefestigten Rechtsprechung des EuGH und des BFH. Der angerufene Senat hat daher keine Zweifel daran, dass durch § 3 Nr. 4 StBerG (im Zeitpunkt des Beschlusses des FG einschlägig) bzw. —seit — durch § 3a StBerG die in Art. 43 ff. EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49, 50 EGV garantierte Dienstleistungsfreiheit nicht unzulässig beeinträchtigt werden (vgl. auch BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; in BFH/NV 2004, 827; vom X B 179/05, BFH/NV 2007, 1197). Zu einer Vorabentscheidung über die Auslegung der für den Streitfall maßgeblichen Vorschriften des EGV besteht folglich kein Raum.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 221 Nr. 2
UAAAD-02631