BFH Urteil v. - III R 5/17 BStBl 2018 II S. 482

Kindergeld bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht nur für die Monate, in denen der Steuerpflichtige inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt.

2. Aufgrund der kindergeldspezifischen monatsbezogenen Betrachtungsweise ist bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit gemäß § 15 EStG eines nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten auf die ausgeübte inländische Tätigkeit abzustellen.

Gesetze: EStG § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; EStG § 49; EStG § 15; EStG § 1 Abs. 3;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für den Monat Mai 2012. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wohnt mit seiner Ehefrau und seinen 1999 und 2005 geborenen Kindern in Polen. In den Jahren 2011 bis 2015 war der Kläger selbständig in der Bundesrepublik Deutschland im Baugewerbe tätig. Die Einsatzorte befanden sich auf unterschiedlichen Baustellen überwiegend in B. Im Rahmen der Auftragsabwicklung hielt sich der Kläger teils in der Wohnung seines Hauptauftraggebers in B, teils —bei auswärtigen Aufträgen— am jeweiligen Aufenthaltsort auf. Diese Aufenthalte hatten jedoch keinen Umfang, der zu einem gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 der AbgabenordnungAO—) im Inland geführt hätte. Das Finanzamt C veranlagte den Kläger in den Jahren 2011 bis 2013 auf dessen Antrag hin nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2 Den am gestellten Antrag auf Kindergeld lehnte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) mit Bescheid vom ab. Im anschließenden Einspruchsverfahren legte der Kläger im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach ein Kindergeldanspruch gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nur für diejenigen Monate besteht, in denen der Kindergeldberechtigte inländische Einkünfte erzielt, Rechnungskopien und Bankkontoauszüge vor. Die Rechnungen enthielten jeweils eine Rechnungsnummer, ein Rechnungsdatum, die Anschrift des Bauvorhabens und den Ausführungszeitraum. Sie wurden teils durch Banküberweisung, teils bar beglichen. Für den Ausführungszeitraum Mai bis Juni 2012 legte der Kläger eine Rechnung vom vor. Den Rechnungsbetrag erhielt der Kläger im August 2012 in bar.

3 Mit Teilabhilfebescheiden vom setzte die Familienkasse für beide Kinder für diejenigen Monate, in denen der Kläger den Zufluss von Einnahmen darlegen konnte, Kindergeld fest. Im Übrigen wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom zurück. Während des anschließenden Klageverfahrens kam es zu weiteren Abhilfen und zu einer teilweisen Klagerücknahme. Streitig blieb nur noch der Monat Mai 2012.

4 Der Kläger vertrat die Ansicht, dass für die Kindergeldberechtigung nicht der Zuflusszeitpunkt der Einnahmen, sondern die Tätigkeitsmonate entscheidend seien.

5 Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, dass es für die Frage der Einkünfteerzielung bei Gewinneinkünften nicht auf den Zuflusszeitpunkt ankomme. Für die Einkünfteerzielung i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Alternative 1 EStG sei es ausreichend, dass der Kläger im Streitmonat von seiner inländischen Betriebsstätte (Geschäftsleitungsbetriebsstätte i.S. von § 12 Satz 2 Nr. 1 AO) aus tätig geworden sei.

6 Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.

8 Die Revision der Familienkasse ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Monat Mai 2012 ein Kindergeldanspruch gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG zusteht.

9 1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat auch Anspruch auf Kindergeld, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

10 Ausweislich der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG wurde der Kläger auf seinen Antrag hin für das Jahr 2012 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt.

11 2. Bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegt eine Behandlung „nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig“ nur für die Kalendermonate vor, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen.

12 Der erkennende Senat hat sich dieser —höchstrichterlich erstmals vom V. Senat des (BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491) vertretenen— Rechtsauffassung bereits in seinen Urteilen vom III R 8/11 (BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040) und vom III R 59/11 (BFHE 242, 228, BStBl II 2014, 843, Rz 21) angeschlossen (so auch , BFH/NV 2013, 1554) und hält daran weiterhin fest.

13 3. Hiervon ausgehend ist auch die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG monatsbezogen zu beurteilen. Der Wortlaut dieser Regelung verweist auf § 1 Abs. 3 EStG, nach der entscheidend ist, inwieweit die natürlichen Personen und damit die Kindergeldberechtigten Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben. Dieses „haben“ solcher Einkünfte ist —mit Blick auf § 66 Abs. 2 EStG— monatsbezogen festzustellen.

14 a) Der BFH hat sich bisher nur hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu der monatsbezogenen Betrachtungsweise geäußert und insoweit auf den Zufluss der Einnahmen nach § 11 EStG abgestellt (BFH-Urteile in BFHE 239, 327, BStBl II 2013, 491, Rz 33; vom III R 58/11, BFH/NV 2014, 145, Rz 27; vom III R 63/10, BFH/NV 2014, 12, Rz 20; in BFHE 242, 228, BStBl II 2014, 843, Rz 50; vom XI R 8/12, BFH/NV 2014, 495, Rz 36; vom XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313, Rz 33; vom III R 14/14, BFHE 249, 292, BStBl II 2015, 850, Rz 37).

15 Ob hieran festzuhalten ist, kann der Senat offenlassen.

16 b) Der Streitfall wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage auf, für welche Monate bei den Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit gemäß § 15 EStG bei den nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandelnden Kindergeldberechtigten die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch erfüllt sind.

17 Die zur Streitfrage bislang ergangenen finanzgerichtlichen Entscheidungen sind uneinheitlich.

18 Das Sächsische  (Kg), juris— stellt zur Frage, für welche Monate inländische gewerbliche Einkünfte i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG bei der Kindergeldberechtigung nach § 1 Abs. 3 EStG anzusetzen sind, darauf ab, ob die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich oder nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmenüberschussrechnung erfolgt. Im ersteren Fall sei maßgeblich, in welchen Zeitpunkten Erträge und Aufwendungen nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu erfassen seien. Im letzteren Fall komme es mit Ausnahme des Abschreibungsaufwandes (§ 4 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG) auf den Zufluss der Betriebseinnahmen und den Abfluss der Betriebsausgaben an.

19 Das FG Berlin-Brandenburg stellt im angefochtenen Urteil darauf ab, wann der Kindergeldberechtigte an seiner inländischen Betriebsstätte i.S. von § 12 Satz 2 Nr. 1 AO tätig geworden ist.

20 c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist jedenfalls bei einer gewerblichen Tätigkeit des nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten der Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Besteuerungssachverhalts durch die ausgeübte inländische steuerliche Tätigkeit entscheidend.

21 aa) Eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 8, 9 AO hat und damit nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Darüber hinaus muss ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen vorliegen und er muss inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben, die im Verhältnis zum Welteinkommen zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG). Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) vor, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist.

22 Damit normiert § 49 EStG für diese Einkunftsart weitere tatbestandliche Voraussetzungen, die einen Inlandsbezug herstellen und die jeweiligen Einkünfte damit überhaupt erst zu „inländischen“ i.S. des § 49 EStG machen. Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb knüpft der Gesetzgeber an die im Inland entfaltete wirtschaftliche Tätigkeit an (sog. Quellenprinzip, vgl. , BFHE 241, 251, BStBl II 2013, 728, Rz 10). Entscheidend für die Zuordnung ist nicht der zeitliche, sondern der wirtschaftliche Zusammenhang mit der inländischen Betriebsstätte (, BFH/NV 2010, 432, Rz 57). Daran ändert auch die Vorschrift des § 11 EStG nichts. Die Vorschrift regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen Einnahmen oder Aufwendungen mit bestimmten Einkünften zusammenhängen, sie betrifft allein die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben (Seiler in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 11 EStG Rz 1; vgl. , BFHE 215, 130, BStBl II 2007, 75, Rz 12).

23 bb) Nach diesen Grundsätzen ist bei der monatsbezogenen Betrachtungsweise der nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten nicht auf den Zeitpunkt des Zuflusses und auch nicht auf die Art der Gewinnermittlung abzustellen, sondern auf die (inländische) Tätigkeit an sich. Anderenfalls hinge der Anspruch auf Kindergeld von der gewählten Einkünfteermittlung, der Rechnungserstellung, der Vereinbarung von Teilzahlungen, Vorschüssen, Abschlagsrechnungen, des Eingangs der Zahlungen sowie der Zahlungswilligkeit und -fähigkeit des Auftraggebers und damit von selbst gewählten Gestaltungen oder bloßen Zufälligkeiten ab. Das entscheidende Kriterium für die monatsbezogene Betrachtungsweise bei der Kindergeldberechtigung gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist daher die inländische Tätigkeit, welche die inländische Steuerpflicht auslöst und damit das Wahlrecht nach § 1 Abs. 3 EStG erst eröffnet.

24 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:U.140318.IIIR5.17.0

Fundstelle(n):
BStBl 2018 II Seite 482
BB 2018 S. 1365 Nr. 24
BFH/NV 2018 S. 784 Nr. 7
BFH/PR 2018 S. 182 Nr. 8
BStBl II 2018 S. 482 Nr. 12
DB 2018 S. 6 Nr. 23
DStR 2018 S. 1167 Nr. 23
DStRE 2018 S. 828 Nr. 13
EStB 2018 S. 248 Nr. 7
FR 2018 S. 759 Nr. 16
FR 2018 S. 809 Nr. 17
GStB 2018 S. 34 Nr. 9
HFR 2018 S. 552 Nr. 7
IStR 2018 S. 471 Nr. 12
KSR direkt 2018 S. 6 Nr. 7
NJW 2018 S. 2079 Nr. 28
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2018 S. 1731
PIStB 2018 S. 178 Nr. 7
StB 2018 S. 204 Nr. 7
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2018 S. 450
CAAAG-85048