BBK Nr. 16 vom Seite 737

JStG 2022: Tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes künftig bedeutungslos?

StB/WP Wolfgang Eggert | BBK-Herausgeber

Der [i]Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022), NWB ReformRadar NWB MAAAJ-18675 Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2022 (JStG 2022) sieht in seinem Artikel 4 „Weitere Änderung des Einkommensteuergesetzes []“ unter der Nr. 1 vor, dass § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG aufgehoben wird. Diese Vorschrift regelt für begründete Ausnahmefälle bisher die steuerliche Relevanz einer kürzeren Nutzungsdauer als derjenigen, die sich aus den bekannten AfA-Prozentsätzen von 2 %, 2,5 % oder 3 % ergibt.

Die [i]Klassisches Nichtanwendungsgesetz im Gesetzentwurf enthaltene Begründung beklagt sehr wortreich, der BFH sei Schuld an der geplanten Abschaffung, denn seine Rechtsprechung, wie der Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer erfolgen könne, kehrt „nach Auffassung der Finanzverwaltung die Ausnahme-Betrachtung im § 7 Absatz 4 Satz 1 und 2 EStG in eine Regel-Betrachtung um.“ Hierbei handelt es sich um eine aus Sicht der Praxis falsche und deshalb zu bestreitende Aussage, für die das BMF erst noch den Beweis erbringen müsste: Denn die ganz überwiegende Mehrzahl der Gebäude wird (immer noch) mit den standardisierten Sätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG abgeschrieben.

Dass die Aufhebung von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zu einer „deutlichen Minderung des Bürokratieaufwands für Verwaltung, Bürger und Unternehmen“ führt, scheint sehr fürsorglich zu sein, ist aber hinsichtlich der Bürger und der Unternehmen ebenfalls verkehrt. Wer den Aufwand derzeit scheut, um die kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen, braucht ihn schon jetzt nicht auf sich zu nehmen, sondern wendet die im Gesetz vorgesehenen Prozentsätze an. Ist daraus zu folgern, es wäre die Aussage richtig gewesen, dass die Finanzverwaltung mit der Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anscheinend überfordert ist? [i]ImmoWertV 2021 NWB DAAAH-90304 Warum wird in diesem Fall nicht ein Verfahren oder eine Systematik für die Ausnahmefälle geregelt, nach der die kürzere Nutzungsdauer zu ermitteln ist? Ein Nachweis nach den Methoden der Immobilienwertermittlungsverordnung wäre dabei eine mögliche Überlegung.

Fast schon an eine bewusste Irreführung könnte der flüchtige Leser der Gesetzesbegründung bei dem Argument denken, dass ein nach Anwendung der Prozentsätze des Gesetzes zu hoher Wert über die Instrumente der Teilwertabschreibung sowie der Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) zu korrigieren ist.

Ist nicht für die AfaA Voraussetzung entweder eine Substanzeinbuße des Gebäudes oder eine Einschränkung seiner Nutzungsmöglichkeit? Sollen künftig Finanzämter bei einer in Leichtbauweise errichteten Halle neben der jährlichen linearen AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG eine solche als AfaA nach § 7 Abs. 1 Satz 7 EStG anerkennen?

Und darf künftig der Erwerber eines objektiv nur noch zehn Jahre zu nutzenden Wohngebäudes neben der – künftig auch im JStG 2022 vorgesehenen – 3 %igen AfA noch S. 738eine jährliche Teilwertabschreibung vornehmen? Der Autor war jedenfalls bisher der Auffassung und hat das auch immer so an StB-Anwärter weitergegeben, dass die Teilwertabschreibung ausschließlich den Bilanzierern vorbehalten ist.

Selbstverständlich [i]Verschärfung der Rechtslage für Nicht-Bilanzierer ist das auch dem BMF bekannt, und es wird als Voraussetzung der bilanzierende Betriebsvermögensfall genannt. Dann sollte aber so viel Vollständigkeit sowie Ehrlichkeit vorhanden sein und der geplante Wegfall von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG als nicht sachgerecht beschrieben werden, soweit es um die Fälle des Privatvermögens und der Einnahmen-Überschussrechner geht. Auch über die Frage der Gleichmäßigkeit der Besteuerung darf in diesem Zusammenhang nochmals nachgedacht werden.

Übrigens hätten nach der Gesetzesänderung auch die Bilanzersteller noch eine weitere Baustelle zu bearbeiten: Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer weniger als 33 Jahre und wird neben der Steuerbilanz auch noch eine Handelsbilanz erstellt, was bei Kaufleuten und Gesellschaften bekanntermaßen (mit Ausnahme des Falls von § 241a HGB) zwingend ist, so kann künftig nicht mehr einheitlich mit der geringeren tatsächlichen Nutzungsdauer gearbeitet werden. Diese ist nur noch handelsrechtlich relevant, steuerlich erfolgt die Ermittlung der AfA mit 3 % und somit unter Ansatz von 33 1/3 Jahren Nutzungsdauer. Daraus folgt wiederum die Beschäftigung mit latenten Steuern, was vermutlich auch keinen Bürokratieabbau nach sich ziehen wird.

Es gab schon einmal einen wenig erfahrenen Finanzminister, mit dessen Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 Heerscharen von Steuerpflichtigen, steuerlichen Beratern, Finanzbeamten und Richtern unnötige Arbeitsstunden verbracht haben. Das BMF sollte die Situation des Jahres 2022 nicht dazu nutzen, eine bewährte und für die Steuergerechtigkeit sinnvolle Vorschrift abzuschaffen, sondern stattdessen lieber darüber nachdenken, wie die tatsächlich kürzere Nutzungsdauer für beide Seiten – Steuerpflichtige und Finanzamt – in den unbestritten vorhandenen Ausnahmefällen rechtssicher und einfach nachgewiesen werden kann.

WP/StB Ingeborg Esser analysiert die beiden geplanten Änderungen des § 7 Abs. 4 EStG und ihre praktischen Konsequenzen ab in dieser Ausgabe.

Außerdem in diesem Heft: Im Buchführungs-Seminar ab geht es um eine Rückstellung für eine Abbruchverpflichtung. BBK-Mitherausgeber Bernd Rätke hat sich sehr ausführlich befasst mit dem neuen BMF-Schreiben zu den Verlusten aus Gesellschafter-Darlehen nach § 17 Abs. 2a EStG; seinen Beitrag finden Sie ab . Zum Schluss hat in seiner Rubrik Update Sozialversicherung leider eine nicht so gute Nachricht für Steuerberater: Es geht um Hinweispflichten im Sozialversicherungsrecht und warum Steuerberater zwar nicht beraten dürfen, aber gleichwohl ihre Mandanten auf Risiken und ein Statusfeststellungsverfahren hinweisen müssen, um aus der Haftung zu kommen.

Beste Grüße

Wolfgang Eggert

Fundstelle(n):
BBK 2022 Seite 737 - 738
OAAAJ-19347