Einkommensteuer | Übertragung des Kinderfreibetrags bei in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Elternteilen (BFH)
Bei einer funktionierenden
nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des
Kinderfreibetrags nach
§ 32 Abs. 6
Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass
die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen
für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural- , Bar- und
Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder
der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht (; veröffentlicht am
).
Hintergrund: Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein BEA-Freibetrag vom Einkommen abgezogen. Abweichend hiervon wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils, der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).
Sachverhalt: Streitig ist, ob in den Streitjahren 2015 bis 2017 die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibeträge auf die Kindsmutter übertragen werden können.
Die Klägerin ist die Mutter eines im März 1998 geborenen Sohnes und einer im April 2001 geborenen Tochter. Mit dem Vater der beiden Kinder lebte die Klägerin in den Streitjahren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. Der Sohn befand sich nach Erreichen der Volljährigkeit zunächst noch in Schul- und dann in Berufsausbildung.
Der FA berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 2015, für 2016 und für 2017 nur jeweils die auf die Klägerin entfallenden Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag).
Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin begehrte, in allen Streitjahren sowohl den auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibetrag als auch den BEA-Freibetrag für beide Kinder vollständig auf sie zu übertragen, wies das FG als unbegründet ab ().
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:
Für Zwecke des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.
Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine (weitergehende) Übertragung der dem Kindsvater für die Veranlagungszeiträume 2015, 2016 und 2017 zustehenden Kinderfreibeträge auf die Klägerin ausgeschlossen ist.
Dem Kindsvater steht für die beiden Kinder gem. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in den Veranlagungszeiträumen 2015 bis 2017 jeweils ein Kinderfreibetrag in der im Revisionsverfahren noch strittigen Höhe zu, da beide Kinder während der betreffenden Zeiträume minderjährig waren und daher nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit Abs. 3 EStG zu berücksichtigen sind.
Es liegen jedoch nicht sämtliche Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG für eine Übertragung der Kinderfreibeträge vom Kindsvater auf die Klägerin vor.
Die Klägerin und der Kindsvater sind zwar ein unbeschränkt einkommensteuerpflichtiges Elternpaar, bei dem mangels Eheschließung die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen. Die Klägerin hat auch den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags gestellt. Dass die Klägerin ihre Unterhaltspflicht im Wesentlichen erfüllt hat, war im erstinstanzlichen Verfahren nicht strittig.
Der Kindsvater ist jedoch auch seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen, weshalb die Voraussetzung des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG nicht gegeben ist.
Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i. S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt.
Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i. S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.
Anmerkung von Dr. Jens Reddig, Richter im X. Senat des BFH:
Steuerlich schlechte Nachrichten für unterschiedlich verdienende Lebensgefährten mit gemeinsamen Kindern: Eine Übertragung der kindbedingten Freibeträge auf den besserverdienenden Elternteil kommt im Regelfall nicht in Betracht. § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG setzt hierfür voraus, dass der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind im Wesentlichen nicht nachkommt oder aber mangels Leistungsfähigkeit gar nicht unterhaltspflichtig ist. Maßgebend sind die zivilrechtlichen Wertungen.
Klargestellt hat der BFH, dass die Unterhaltspflicht nicht ohne Weiteres allein durch die Betreuung eines minderjährigen Kindes erfüllt wird. Die Vorschrift des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, die dieses ausreichen lässt, findet keine Anwendung bei einer Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern.
Für den Streitfall war aber auch nicht erheblich, ob und in welchem Umfang die Elternteile zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beitragen. Denn selbst bei signifikanten Einkommensunterschieden der Elternteile (im Entscheidungsfall verdiente die Mutter erheblich mehr als der Vater) sei – so der BFH – jedenfalls im Regelfall davon auszugehen, dass sowohl der materielle als auch der immaterielle Unterhaltsbedarf des Kindes nach Maßgabe des gemeinsamen Willens beider Elternteile (leistungsgerecht) aufgeteilt werde. Von einem solchen Regelfall scheint der BFH auszugehen, wenn die Lebensgemeinschaft der Eltern "funktioniert", d.h. intakt ist.
Damit scheidet die Übertragung der kindbedingten Freibeträge jedenfalls bei minderjährigen Kindern grds. selbst dann aus, wenn der andere Elternteil, der infolge seiner finanziellen Situation keinen Beitrag zum Haushaltseinkommen leisten kann, seiner Unterhaltspflicht ausschließlich durch die Betreuung des Kindes nachkommt. Ob Gleiches bei volljährigen Kindern gilt, konnte der BFH offenlassen.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
IAAAI-58696