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NWB-EV Nr. 5 vom Seite 169

Private Investitionen in Kryptowerte

Teil 1: Begriffliche Klarstellung und Ablauf einer Transaktion

Dr. Steffen Kranz, LL.M.

Blockchain, Coins, Wallets, Kryptowährungen & Co. – Begriffe, die in den letzten zehn Jahren einen festen Platz im Kapitalanlagebereich erlangt haben und in Zukunft noch wesentlich an Bedeutung gewinnen dürften. Doch was bedeutet es eigentlich, einen Coin „zu besitzen“ oder einen solchen „zu übertragen“? Eine Beantwortung dieser Fragen bedingt eine Auseinandersetzung mit den technischen Grundlagen, die jedoch vielfach zugunsten einer unreflektierten Adaption von bildhaften Darstellungen und Analogien zur physischen Welt gemieden wird. Auf Basis dieses „Sachverhaltsverständnisses“ führt die steuerrechtliche Würdigung dann regelmäßig zu dem Ergebnis, dass Coins Wirtschaftsgüter darstellen, die der Steuerpflichtige erwerben, halten und veräußern kann. Geschieht dies innerhalb der Jahresfrist muss der Steuerpflichtige dabei erzielte Gewinne als Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft versteuern. Der vorliegende Beitrag zeigt grundlegende Aspekte auf, deren Beachtung bei der steuerrechtlichen Würdigung von Investitionen in Kryptowährungen zwingend ist und zu anderen Ergebnissen führt.

Teil 2 des Beitrags „Private Investitionen in Kryptowerte“ von Kranz finden Sie hier: NWB YAAAH-79781

Kernaussagen
  • Ein Coin ist ein rein netzwerkinternes Phänomen in Form einer Kette von digitalen Signaturen, mit dessen Hilfe Transaktionen dokumentiert werden können.

  • Ein Steuerpflichtiger kann einen Coin weder „besitzen“, indem er über diesen die tatsächliche Herrschaft ausübt, noch „übertragen“, indem er den Coin versendet.

  • Eine Kryptowährung basiert auf der Wertschätzung der Nutzer und ist abhängig vom Bestand der jeweiligen Blockchain und der sicheren Funktionsweise des jeweiligen Netzwerks.

  • Nur durch Transaktionen im Netzwerk können Kryptowährungseinheiten übertragen werden. Ein Coin ist insoweit ein unverzichtbares Mittel zum Zweck.

  • Die Möglichkeit, Transaktionen durchführen zu können, manifestiert sich im jeweiligen Private Key, und damit in einem netzwerkexternen Instrument, das ein Steuerpflichtiger durch Ausübung der tatsächlichen Herrschaft besitzen kann.

I. Problemaufriss

Gerade die Begriffe Coins und „Kryptowährung“ verbinden viele Menschen unweigerlich mit Bitcoin. Diese „digitale Währung“ existiert seit Januar 2009 und wurde mit dem Leitbild geschaffen, in Konkurrenz zu herkömmlichen (zentral verwalteten) Währungen zu treten. Die Funktion eines Zahlungsmittels trat jedoch aufgrund der exponentiellen Wertentwicklung insbesondere in den letzten fünf Jahren gegenüber der Vermögensanlagefunktion zunehmend in den Hintergrund. Notierten 1,0 Einheiten Bitcoin Ende 2016 noch zu einem Kurs von unter 1.000 €, wurde im Februar 2021 bereits die Marke von 47.000 € überschritten. Die erst Ende 2016 geschaffene „Kryptowährung“ Ether schaffte in dem gleichen Zeitraum einen Sprung von 0 € auf über 1.600 €. Zu Mitte Februar 2021 listete coinmarketcap 8.389 verschiedene Kryptowährungen mit einem Gesamtvolumen von 1.121.547.464.827 $. Insbesondere die Kursentwicklung von Bitcoin wurde in jüngster Zeit dadurch angefeuert, dass auch Unternehmen, die der breiten Masse bekannt sind entweder in Bitcoin investieren oder Transaktionen mit Bitcoin ermöglichen. Beispielhaft zu nennen wären hier Tesla mit einer Investition von 1,5 Mrd. € und der Ankündigung, Bitcoin als Zahlungsmittel zulassen zu wollen, Paypal mit der Integration von Bitcoin & Co. in die angebotenen Zahlungsdienstleistungen und Mastercard mit der Ankündigung, künftig Transaktionen mit „Kryptowährungen“ zu ermöglichen. Längst haben auch institutionelle Investoren in Bitcoin investiert und immer mehr private Investoren ziehen nach.

Diese noch relativ jungen aber wirtschaftlich sehr bedeutenden Entwicklungen bringen es jedoch mit sich, dass sowohl der Gesetzgeber als auch die Finanzverwaltung die Thematik „Kryptowährungen“ erst seit Kurzem (und nur vereinzelt) berücksichtigen, die diesbezüglichen Erfahrungswerte relativ gering sind und die dadurch erwachsende Planungsunsicherheit teilweise sehr groß ist. Zwar existieren mittlerweile erste Finanzgerichtsentscheidungen, Stellungnahmen der Finanzverwaltung und Beiträge in der (steuer)rechtlichen S. 170Fachliteratur zu den Themen „Kryptowährungen“, Coins, Token & Co. Dabei ist allerdings zu erkennen, dass in vielen Fällen die tatsächliche (technische) Basis, also die Grundlage für jede (steuer)rechtliche Einordnung und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen, zugunsten einer unkritischen Adaption von Verbildlichungen und Parallelen zu Vorgängen und Bestandteilen in der physischen Welt vernachlässigt wird. Zu denken sei nur an die goldglänzende Bitcoinmünze, die jeden zweiten einschlägigen Artikel in der Tagespresse ziert, und der damit verbundene Irrglaube, dass solche Münzen (Coins) in einer digitalen Form in einer Art Brieftasche (Wallet) aufbewahrt werden und an digitale Brieftaschen anderer Menschen „versandt“ werden können. Um es mit dem FG Nürnberg zu formulieren: „Letztlich sollte bei der Qualifizierung einer ‚Kryptowährung‘ als Wirtschaftsgut schon möglichst klar sein [...] worüber man eigentlich entscheidet.“ Spiegelbildlich stellt sich die Situation bei vielen Investoren dar. Hier mangelt es oft nicht am technischen Verständnis, jedoch am Wissen um die (steuer)rechtliche Einordnung der eigenen Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund setzt sich der vorliegende erste Teil des Beitrags zum Ziel, den technischen Hintergrund in einem ersten Schritt zumindest in seinen Grundzügen darzustellen, im zweiten Teil des Beitrags wird eine ertragsteuerrechtliche Einstufung vorgenommen.

Auch thematisch sind dem Umfang dieses Beitrags natürlich verschiedene thematische Eingrenzungen geschuldet. So beschränkt sich dieser Beitrag zuvorderst auf die Perspektive eines privaten Investors, der in sogenannte Coins investiert und sowohl seinen Wohnsitz als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Um eine möglichst exemplarische und praxisrelevante Darstellung zu erreichen, werden die einzelnen Aspekte zumeist an den beiden „Kryptowährungen“ mit der höchsten Marktkapitalisierung dargestellt, nämlich Bitcoin (derzeitige Marktkapitalisierung ca. 197,855 Mrd. $) im Bitcoin-Netzwerk und Ether (derzeitige Marktkapitalisierung ca. 39,762 Mrd. $) im Netzwerk Ethereum.

Aufgrund dieser thematischen Eingrenzung sind insbesondere Erlaubnispflichten nach dem KWG für Unternehmen im Rahmen von Coin oder Token Offerings (ICO, ITO, STO, UTO etc.) und den damit verbundenen Prospektpflichten nicht Gegenstand dieses Beitrags. Leider kann auch das in der Praxis immer relevanter werdende Thema Decentralized Finance (DeFi) und die damit für den privaten Investor verbundenen Möglichkeiten, durch sogenanntes Liquidity Mining oder Yield Farming eine vergleichsweise hohe Rendite zu erzielen, an dieser Stelle nicht beleuchtet werden.

II. Begriffliche Klarstellung und Abgrenzung

Um eine effiziente Diskussion des hier behandelten Themas zu gewährleisten, soll als Grundlage für die weiteren Abschnitte zuvorderst eine begriffliche Klarstellung und Abgrenzung erfolgen, insbesondere hinsichtlich der Begriffe Coins und „Kryptowährungen“. In diesem Rahmen soll auch verdeutlicht werden, dass es sich bei einigen, in der steuerrechtlichen Literatur teilweise unreflektiert verwendeten Begriffen um in technischer Hinsicht bereits geprägte Termini handelt, die in der steuerrechtlichen Diskussion eben mit diesem Inhalt Verwendung finden müssen, um überhaupt beurteilen zu können, ob der Tatbestand einer Norm des materiellen Steuerrechts erfüllt ist und insoweit eine Leistungspflicht des Steuerpflichtigen ausgelöst wird.

1. Coin

Der Begriff Coin erleidet in zahlreichen Beiträgen der steuerrechtlichen Fachliteratur den Versuch der Autoren, eine eigene Definition herzuleiten, wobei für die Untermauerung des Ergebnisses wiederum auf andere Beiträge verwiesen wird. Die steuerrechtliche Diskussion krankt in diesen Fällen bereits im Ansatz, denn das sogenannte White Paper, also die Darstellung der technischen Grundlage und der schöpferischen Motivation für Bitcoin als erstes „Peer-to-Peer Electronic Cash System“, enthält die Definition eines electronic Coin bzw. kurz Coin:

„We define an electronic coin as a chain of digital signatures.“

An gleicher Stelle im White Paper wird auch definiert, wie solch ein Coin „übertragen“ wird. Dieser Vorgang wird als Transaction bezeichnet:

„Each owner transfers the coin to the next by digitally signing a hash of the previous transaction and the key of the next owner and adding these to the end of the coin.“

Ins Deutsche übersetzt ist ein Coin also eine Kette von digitalen Signaturen. Jeder Inhaber (owner) überträgt (transfers) den Coin zum nächsten, indem er einen Hash der vorherigen Transaktion und den Key des nächsten Inhabers digital signiert und diese an das Ende des Coins anfügt. Ein Coin bewirkt auf diese Weise eine Art von Dokumentation von aneinandergereihten Vorgängen. Eine Transaction ist das Hinzufügen eines weiteren Vorgangs in die Dokumentation. Wenn Investoren oder Insider von „Inhaber“ (ggf. auch „Eigentümer“ oder „Besitzer“) sowie der „Übertragung“ von Bitcoin, Ether & Co. sprechen, basieren diese Formulierungen auf dem zuvor dargestellten Begriffsverständnis.

Eine konkrete Erläuterung der verwendeten Begriffe und des Ablaufs einer Transaction erfolgt an späterer Stelle. Bereits jetzt sollten jedoch zumindest Zweifel aufkommen, ob Bitcoins i. S. des Steuerrechts angeschafft und wieder übertragen werden können. Um ein durch die Begriffswahl bedingtes Missverständnis nicht noch zu fördern, werden Begriffe des allgemeinen Sprachgebrauchs, die nicht im (recht)technischen Sinne verwendet werden, wie z. B. „Inhaber“, „Erwerber“, „Übertragung“ und „Erwerb“ im Rahmen dieses Beitrags in Anführungszeichen gesetzt. Technisch belegte Termini, wie z. B. Coins, Key, Transaction, werden kursiv gehalten, um auf diese Weise zu verdeutlichen, dass bei der Verwendung dieser S. 171Begriffe auf das zuvor dargestellte Begriffsverständnis des White Paper abgestellt wird.

In Abgrenzung zu den unten dargestellten Token ist die Erkenntnis wichtig, dass der erklärte Zweck von Coins darin besteht, Zahlungs- bzw. Tauschvorgänge in einem Peer-to-Peer-Netzwerk zu ermöglichen. Die Bezeichnung Peer-to-Peer weist darauf hin, dass alle Netzwerkteilnehmer gleichberechtigt sind und somit nicht einzelne Personen dieses Netzwerk beherrschen können. In technologischer Hinsicht bildet zudem die sogenannte Blockchain die Basis, was im Fall von Bitcoin grob umrissen bedeutet, dass einzelne Transactions unter Verwendung eines Schlüsselpaares (Private und Public Key) mittels der sogenannten asymmetrischen Kryptographie autorisiert, verifiziert und in Datenblöcken gespeichert werden und diese Datenblöcke derart miteinander verbunden werden, dass eine Fälschung von Transaktionen bzw. das sogenannte double-spending, also die zwei- oder mehrfache Transaktion über eine Einheit, theoretisch unmöglich ist. Die Verwendung von kryptographischen Schlüsseln bildet letztlich auch den Ursprung für die bekannten Bezeichnungen Kryptowährungen, Kryptotoken & Co. An dieser Stelle soll allerdings – wenn auch nur am Rande – erwähnt sein, dass das Konzept Blockchain weitaus mehr Möglichkeiten bildet und für Netzwerke wie Bitcoin, Ethereum & Co. daher nur einen speziellen Anwendungsfall darstellt.

Die fälschungssichere Dokumentation von Zahlungsvorgängen erfüllt letztlich die Funktion eines Kassenbuchs. Elementarer Bestandteil ist hierbei die dezentrale Verwaltung dieses Kassenbuchs, das als distributed-ledger bezeichnet wird. Dies bedeutete, dass die (gleichgestellten) Netzwerkteilnehmer das Netzwerk mit der Kassenbuchfunktion selbst verwalten und nicht etwa eine zentrale Stelle (z. B. eine Bank), die als Verwaltungs-, Revisionsstelle oder Ansprechpartner dienen könnte. Die einzelnen Punkte werden im Folgenden an den für die (steuer)rechtliche Einordnung relevanten Stellen noch einmal aufgegriffen und erläutert.

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Seiten: 7
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