PiR Nr. 5 vom Seite 1

Der Fortschritt ist eine Schnecke

WP/StB Dr. Norbert Lüdenbach | Herausgeber | pir-redaktion@nwb.de

Der Fortschritt ist eine schwierige Angelegenheit, wie sich zuletzt in Bayern – im Eigenmarketing das Land von Laptop und Lederhose – zeigte. Ein „großer Wurf“, eine „Jahrhundertreform“ bringt Bayern nach Vorne: Die (Wieder-)Einführung des neunjährigen Gymnasiums. Die Bayrische Staatsregierung muss jetzt nur noch rausfinden, wer seinerzeit für die übereilte Einführung des G8 politisch zuständig war und diese mit Blick auf europäische und internationale Entwicklungen für alternativlos gehalten hatte.

Aus deutscher Sicht tatsächlich alternativlos, weil durch eine entsprechende Richtlinie der EU vorgegeben, war die Verabschiedung des „Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)“ (CSR-RUG) im März diesen Jahres. Das rückwirkend schon für das Geschäftsjahr 2017 anzuwendende Gesetz verpflichtet kapitalmarktorientierte Unternehmen zur Berichterstattung über Umwelt-, Arbeitnehmer-, Sozial- und Menschenrechtsbelange sowie Korruptionsbekämpfung, darüber hinaus in bestimmten Fällen auch zu Angaben zum Diversitätskonzept für Vorstand und Aufsichtsrat. Der Beitrag von Sebastian Weller und Yvonne C. Meyer ab zum CSR-RUG fügt sich nicht in die Stimmen ein, die mehr soziale Berichterstattung per se für einen Fortschritt halten. Sein Fazit ist vielmehr: Die Auswirkungen des CSR-RUG lassen sich derzeit kaum einschätzen, u. a. weil eine in Teilen unklare Rechtslage dazu führen kann, dass Plattitüden (sog.  „boiler plate“-Angaben) an die Stelle veritabler Informationen treten.

Wie schwierig das Ringen um echte Fortschritte ist, zeigen auch die beiden Beiträge zu IFRS 9. Der Aufsatz von Michael Thomas () zur Klassifizierung finanzieller Vermögenswerte nach IFRS 9 behandelt neben konzeptionellen Fragen ausführlich auch die Implementierungsherausforderungen. Er gelangt zu einem zwiespältigen Fazit: Einerseits wird sich trotz eines neuen Klassifizierungskonzepts an der Bewertung von Standardinstrumenten im Vergleich zum Vorgängerstandard wenig ändern. Andererseits bringen aber die nach IFRS 9 erforderliche Dokumentation der Geschäftsmodelle und die verlangte Einzelfallanalyse sämtlicher finanzieller Vermögenswerte auf ihre Zahlungsstromeigenschaften im Regelfall große prozessuale und systemtechnische Herausforderungen mit sich. Der Beitrag bietet Lösungsvorschläge für diese Herausforderungen.

Im zweiten Beitrag zu IFRS 9 untersuchen Stefan Müller und Robert Schamber das cash flow hedge accounting von Nettopositionen , insbesondere bei Währungssicherung. Derartige Nettopositionen können sich etwa dort ergeben, wo ein Pkw-Hersteller sowohl auf der Absatzseite (Exporte in die USA) als auch auf der Beschaffungsseite (Rohstoffeinkäufe in USD) mit sich ausgleichenden Währungsrisiken konfrontiert ist (natural hedge) und daher ein Sicherungsbedarf nur noch für die verbleibende Nettogröße besteht. Die Autoren zeigen ab : Die Erwartung, IFRS 9 ermögliche eine Bilanzierung von Sicherungszusammenhängen, die den ökonomischen Risiken und ihrer betriebswirtschaftlichen Steuerung entspricht, wird nur zum Teil eingelöst.

So bleibt auch hier der Fortschritt eine Schnecke. Dies mag aber gerade das Wesen nachhaltiger Veränderungen sein.

Beste Grüße

Norbert Lüdenbach

Fundstelle(n):
PiR 5/2017 Seite 1
NWB CAAAG-44110