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Grundlagenbescheid und Folgeänderung von Steuerbescheiden
I. Definition
Nach § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, „soweit” ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
Die Regelung dient in den Fällen, in denen abweichend von der grundsätzlichen Regelung des § 157 Abs. 2 AO die Besteuerungsgrundlagen selbständig in einem Grundlagenbescheid mit bindender Wirkung für einen anderen Steuerbescheid festgestellt werden (§ 179 Abs. 1 AO), der Umsetzung der Entscheidung des Grundlagenbescheids im Folgebescheid oder in Folgebescheiden.
Die Änderung betrifft Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide wie Feststellungs- oder Steuermessbescheide.
Zugmaier/Nöcker/Lehnert, § 175 AO, NWB
Hey/Lehnert, Lehrbuch Abgabenordnung, 23. Aufl. 2022, NWB
Bartone/von Wedelstädt, Korrektur von Steuerverwaltungsakten, 2. Aufl. Stuttgart 2017, Rz. 1301 ff.
von Wedelstädt, Folgebescheid vor Grundlagenbescheid – Abhängigkeit und Folgen, AO-StB 2014, 349
von Wedelstädt, Ressortfremde Verwaltungsakte als Grundlagenbescheide, AO-StB 2014, 150
Klose, Die Anpassung von Folgebescheiden bei Erlass ressortfremder Grundlagenbescheide, AO-StB 2012, 308
von Wedelstädt, Bindungswirkung von Grundlagenbescheiden: Voraussetzungen – Umfang – Rechtsfolgen, AO-StB 2009, 203
von Wedelstädt, Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach Ablauf der Feststellungsfrist, AO-StB 2009, 238
Jahndorf/Kister, Zur Reichweite der Bindungswirkung von Grundlagenbescheiden i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, DB 2008, 608
II. Voraussetzungen
1. Allgemein
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist auf Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide sowie auf Steuerbescheide anwendbar, die Steuerbescheide ändern.
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist auch auf Kindergeldbescheide anwendbar, da das Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird und auf die Festsetzung von Steuervergütungen die Vorschriften über die Steuerfestsetzung entsprechend anzuwenden sind (§ 155 Abs. 4 AO; ; ). Grundlagenbescheide für die Kindergeldfestsetzung sind die Bescheinigung nach § 15 BVFG, die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention und die sozialrechtliche Einordnung als Pflegekind.
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist auf Bescheide über Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. d. Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK bzw. ab Art. 4 Nr. 20 und 21 UZK sowie Verbrauchsteuern nicht anwendbar, weil § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO auf „andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben im Sinne des Artikels 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodex bzw. ab Art. 4 Nr. 20 und 21 UZK oder Verbrauchsteuern" verweist.
Der aufzuhebende oder zu ändernde Steuerbescheid muss wirksam sein.
Im Übrigen wird wegen weiterer gemeinsamer Regelungen zur Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden auf das Stichwort „Korrektur von Steuerverwaltungsakten” unter II. 3. und wegen der Anwendung der Vorschrift während und nach Rechtsbehelfsverfahren auf das Stichwort „Korrektur von Steuerverwaltungsakten” unter III. verwiesen.
2. Grundlagenbescheid
Grundlagenbescheide sind
Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide oder andere für die Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte, § 171 Abs. 10 AO,
ferner Zerlegungs-, Zuteilungs- und Aufteilungsbescheide, Feststellungen z.B. nach § 10d Abs. 3 EStG, § 10e Abs. 7 EStG oder § 15a Abs. 4 EStG, § 18 AStG.
Verfahrensrechtlich sind Grundlagenbescheide verselbständigte, inhaltlich vorrangige Entscheidungen über Besteuerungsgrundlagen, die für andere Entscheidungen im Besteuerungsverfahren in dem Sinne bindend sind, dass die für die Folgeentscheidung zuständige Finanzbehörde sie ungeprüft zu übernehmen hat.
Negative Feststellungsbescheide sind ebenfalls Grundlagenbescheide mit Bindungswirkung. In ihnen wird bindend festgestellt, dass ein Feststellungsverfahren nicht zulässig ist, weil die Voraussetzungen für eine Feststellung i.S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO
mangels Mitunternehmerschaft und damit mangels gemeinschaftlich erzielter Einkünfte mehrerer Personen oder
mangels steuerpflichtiger Einkünfte, z. B. bei Liebhaberei, nicht vorliegen.
Der Feststellungsbescheid enthält im ersteren Fall die bindende Ablehnung, den Gewinn oder Verlust gesondert und einheitlich festzustellen (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO), und überträgt die Ermittlungsbefugnis, die bisher beim Feststellungs-Finanzamt lag, an das Festsetzungs-Finanzamt, das in eigener Zuständigkeit den fraglichen Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen hat.
In letzterem Fall wird bindend festgestellt, dass steuerlich relevante Einkünfte nicht vorliegen, weil es z.B. an der Gewinnerzielungsabsicht fehlt, so dass aus der gemeinschaftlichen Quelle Einkünfte nicht angesetzt werden dürfen; das Folgebescheids-Finanzamt darf keine Einkünfte aus dem fraglichen Rechtsverhältnis in der Veranlagung der Beteiligten berücksichtigen, bereits Angesetzte hat es im Wege der Änderung des Folgebescheids rückgängig zu machen.
kein negativer Feststellungsbescheid liegt vor, wenn ein Feststellungsbescheid aus sonstigen Gründen wie z.B. mangels zutreffender Adressierung oder wegen Ablaufs der Feststellungsfrist aufgehoben wird. In diesem Fall muss eine von dem Feststellungsbescheid ausgelöste Änderung des Folgebescheids rückgängig gemacht werden; ggf. ist § 177 AO zu berücksichtigen.
Auf die Ausführungen insbesondere auch zum Umfang der Bindungswirkung im Stichwort „Gesonderte und einheitliche Feststellung” unter II. 2. wird ergänzend verwiesen.