AEAO Zu § 4

Zu § 4 Gesetz:

1. Rechtsnorm

Rechtsnormen i. S. d. § 4 AO sind insbesondere Gesetze des Bundes und der Länder und kommunale Satzungen. § 4 AO umfasst aber auch unmittelbar anzuwendende Vorschriften der EU (insbesondere Verordnungen und Durchführungsbestimmungen) sowie ausländische Gesetze (vgl. BFH-Urteil vom 20.4.2021, IV R 3/20, BFH/NV S. 1256).

2. Auslegung der Steuergesetze

Steuergesetze sind anhand des Wortlauts, des Zusammenhangs, in welchem die Vorschrift steht, des Zweckes des Gesetzes und der Materialien sowie der Entstehungsgeschichte auszulegen. Sämtliche Methoden ergänzen sich. Der Wille des Gesetzgebers muss dabei im Gesetz selbst hinreichend Ausdruck gefunden haben.

Die Finanzbehörden sind nicht befugt, von sich aus im Gesetz nicht vorgesehene Steuerermäßigungsvorschriften zu schaffen oder einen genau umrissenen Tatbestand aufgrund eigener Wertvorstellungen auszuweiten. Eine vom Wortlaut der Rechtsnorm abweichende Auslegung kann nur ausnahmsweise in Betracht kommen; nämlich dann, wenn die auf den Wortlaut abgestellte Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 16.12.1986, VIII R 375/83, BStBl 1987 II S. 366).

3. Wirtschaftliche Betrachtungsweise

Bei der Auslegung von Steuergesetzen gilt grundsätzlich die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Knüpft eine steuerrechtliche Norm an eine zivilrechtliche Gestaltung an, ist die Auslegung der steuerrechtlichen Bestimmung daher weder zwingend an dem Vertragstyp auszurichten, der der von den Parteien gewählten Bezeichnung entspricht, noch wird sie notwendigerweise von der zivilrechtlichen Qualifikation des Rechtsgeschäfts beeinflusst. Auch gilt keine Vermutung, ein dem Zivilrecht entlehntes Tatbestandsmerkmal einer Steuerrechtsnorm sei im Sinne des zivilrechtlichen Verständnisses zu interpretieren (vgl. BVerfG-Beschluss vom 27.12.1991, 2 BvR 72/90, BStBl 1992 II S. 212). Die wirtschaftliche Betrachtungsweise fordert vielmehr die an den spezifischen Regelungszielen einer steuerrechtlichen Regelung und deren eigengesetzlicher Terminologie auszurichtende Beurteilung, ob der bewirkte wirtschaftliche Erfolg einen Steuertatbestand erfüllt. Sie rechtfertigt es daher, einen bestimmten Sachverhalt unter die einschlägige Steuernorm zu subsumieren und dabei erforderlichenfalls auch die äußere zivilrechtliche Gestaltung als nicht wesentlich zu bewerten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 26.3.1969, 1 BvR 512/66, BStBl II S. 331).

4. Treu und Glauben im Steuerrecht

Der Grundsatz von Treu und Glauben, wonach jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht zu nehmen hat und sich zu seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen darf, ist auch im Steuerrecht anzuwenden. Zu einer Verdrängung geltenden Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann es nur in besonders gelagerten Fällen kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (BFH-Urteil vom 5.9.2000, IX R 33/97, BStBl II S. 676). Dieser Grundsatz wirkt allerdings nur innerhalb eines konkreten Steuerrechtsverhältnisses und erfordert daher eine Identität der Rechtssubjekte (vgl. BFH-Urteil vom 5.5.1993, X R 111/91, BStBl II S. 817).

Der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Steueransprüche zum Entstehen oder zum Erlöschen, sondern kann allenfalls verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Ein treuwidriges Verhalten kann daher nicht dazu führen, Steuerrechtsfolgen zu begründen oder zu verneinen, die materiell-rechtlich nicht oder – z. B. wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung und dem damit verbundenen Erlöschen eines Anspruchs nach § 47 AO – nicht mehr bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 8.8.2013, III R 3/13, BStBl 2014 II S. 576 m. w. N.).

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RAAAE-63814