AEAO Zu § 12

Zu § 12 Betriebstätte:

1.  Gemäß § 12 Satz 1 AO setzt die Annahme einer Betriebstätte eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (BFH-Urteil vom 5.11.2014, IV R 30/11, BStBl 2015 II S. 601). Auch nicht sichtbare, unterirdisch verlaufende Rohrleitungen (Pipelines) sind feste Geschäftseinrichtungen i. S. d. § 12 Satz 1 AO und damit Betriebstätten (BFH-Urteil vom 30.10.1996, II R 12/92, BStBl 1997 II S. 12).

Die örtliche Verknüpfung kann sich aus mechanischer Verbindung mit der Erde oder aus bloßer Belegenheit an derselben Örtlichkeit ergeben. Zu den Betriebstätten zählen auch bewegliche Geschäftseinrichtungen mit vorübergehend festem Standort (z. B. fahrbare Verkaufsstätten mit wechselndem Standplatz; vgl. BFH-Urteil vom 8.3.1988, VIII R 270/81, BFH/NV S. 735). Marktstände auf Wochenmärkten können Betriebstätten sein, wenn sich die jeweilige Marktveranstaltung ständig in mehr oder weniger großen zeitlichen Abständen an meist auch der gleichen Stelle wiederholt (BFH-Urteil 9.10.1974, I R 128/73, BStBl 1975 II S. 203; wegen der daneben vorhandenen Geschäftsleitungsbetriebstätte siehe zu Nr. 7 des AEAO zu § 12); demgegenüber begründet ein Verkaufsstand, den ein Unternehmen einmal im Jahr vier Wochen lang auf einem Weihnachtsmarkt unterhält, keine Betriebstätte (BFH-Urteil vom 17.9.2003, I R 12/02, BStBl 2004 II S. 396). Betriebstätte kann auch ein „Kinderzimmer“ mit einem Computer sein, das der Steuerpflichtige als junger Erwachsener im elterlichen Haushalt bewohnt und für gewerbliche Online-Pokerspiele nutzt (BFH-Urteil vom 22.2.2023, X R 8/21, BStBl II S. 811).

2.  Für die nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht ist grundsätzlich erforderlich, dass der Unternehmer eine Rechtsposition innehat, die ihm nicht ohne Weiteres entzogen oder verändert werden kann („selbständiger Nutzungsanspruch“). Es reichen weder eine tatsächliche Mitbenutzung (BFH-Urteil vom 30.6.2005, III R 76/03, BStBl 2006 II S. 84) noch die bloße Berechtigung der Nutzung im Interesse eines anderen oder die rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit aus (BFH-Urteil vom 4.6.2008, I R 30/07, BStBl II S. 922). Eine lediglich „allgemeine rechtliche Absicherung“ oder eine ständige Nutzungsbefugnis tatsächlicher Art können aber ausreichen, wenn die Verfügungsmacht nicht bestritten wird (BFH-Urteil vom 18.3.2009, III R 2/06, BFH/NV S. 1457).

Eine Betriebstätte kann auch in der Betriebstätte eines Dritten begründet werden, wenn der Unternehmer rechtlich befugt ist, die Einrichtung oder Anlage nach den Bedürfnissen seines Unternehmens zu nutzen und wenn er eigene Arbeitnehmer beschäftigt oder ihm überlassene, seinen Weisungen unterliegende Arbeitnehmer oder Subunternehmer dort tätig werden (BFH-Beschluss vom 18.2.2021, III R 8/19, BStBl II S. 627). Eine für die Annahme einer Betriebstätte hinreichende Nutzungsbefugnis braucht sich nicht auf einen bestimmten Raum oder eine bestimmte Fläche zu beziehen, sondern kann auch vorliegen, wenn der Unternehmer jeweils irgendeinen geeigneten Raum des Gebäudes oder die wechselnde Teilfläche eines Grundstücks ständig nutzen darf (BFH-Urteil vom 3.2.1993, I R 80-81/91, BStBl II S. 462). Eine Befugnis des Grundeigentümers, dem Unternehmer einen anderen Raum oder eine andere Teilfläche zuzuweisen, steht der Annahme einer Betriebstätte nicht entgegen (BFH-Urteil vom 14.7.2004, I R 106/03, BFH/NV 2005 S. 154).

3.  Die – ggf. auch umfassende – Übertragung der Aufgaben eines Unternehmens (Auftraggeber) auf einen selbstständig tätigen Dritten (Auftragnehmer) reicht grundsätzlich nicht aus, um in dessen Räumen eine Betriebstätte zu begründen. Eine Betriebstätte des Auftraggebers in den Räumen des Auftragnehmers besteht allerdings, wenn der Auftraggeber in den Räumen des Auftragnehmers eigene betriebliche Handlungen mit einer gewissen Nachhaltigkeit vornimmt (z. B. Überwachung des Auftragnehmers, die insbesondere in Fällen einer Personenidentität der Leitungsorgane von Auftraggeber und Auftragnehmer anzunehmen ist; BFH-Urteil vom 23.3.2022, III R 35/20, BStBl II S. 844). Ein Verfügungsrecht über die Räumlichkeiten des Auftragnehmers ist ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn der Auftraggeber aufgrund des zur Verfügung stehenden „sachlichen und personellen Organismus“ in der Lage ist, seiner unternehmerischen Tätigkeit in den Räumen des Auftragnehmers „operativ“ nachzugehen (BFH-Urteil vom 24.8.2011, I R 46/10, BStBl 2014 II S. 764). Eine Betriebstätte des Auftraggebers kann außerdem dann in den Räumen des Auftragnehmers bestehen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen die Geschäftsleitung von dem Auftragnehmer tatsächlich ausgeübt wird (BFH-Urteil vom 23.3.2022, III R 35/20, a. a. O.), vgl. AEAO zu § 12, Nr. 6.

4.  Die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in dessen häuslichem Homeoffice begründet in der Regel keine Betriebstätte des Arbeitgebers. Auch abkommensrechtlich begründet ein häusliches Homeoffice nach deutscher Anwenderstaatsperspektive in der Regel keine Betriebstätte (feste Einrichtung gemäß Artikel 5 Abs. 1 und Abs. 4 OECD-MA). Dies gilt auch bei:

  • Übernahme der Kosten für das Homeoffice und dessen Ausstattung durch den Arbeitgeber;

  • Abschluss eines Mietvertrages über häusliche Räume des Arbeitnehmers zwischen Arbeitgeber (Mieter) und Arbeitnehmer (Vermieter), außer der Arbeitgeber ist im Einzelfall tatsächlich befugt, die Räume anderweitig zu nutzen (etwa durch ein Recht zum Entsenden anderer Arbeitnehmer in die Räume oder ein Recht zum Betreten der Räume außerhalb von Prüfungen zur Arbeitssicherheit);

  • Fällen, in denen dem Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird.

Grund hierfür ist, dass der Arbeitgeber typischerweise nicht über eine ausreichende Verfügungsmacht über die häuslichen Räumlichkeiten des Arbeitnehmers verfügt. Anderes kann gelten, wenn ein Arbeitnehmer Leitungsfunktionen ausübt und diese Verfügungsmacht des Unternehmens vermitteln.

5.  Für die Annahme eines unmittelbaren „Dienens“ der Geschäftseinrichtung oder Anlage ist es erforderlich, dass in dem Objekt eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird (vgl. BFH-Urteil vom 26.7.2017, III R 4/16, BFH/NV 2018 S. 233) und sich in der Bindung eine gewisse „Verwurzelung“ des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt (BFH-Urteile vom 23.3.2022, III R 35/20, BStBl II S. 844, vom 4.6.2008, I R 30/07, BStBl II S. 922, und BFH-Beschluss vom 18.2.2021, III R 8/19, BStBl II S. 627).

6.  § 12 Satz 2 AO erweitert die Definition einer Betriebstätte dergestalt, dass eine Betriebstätte nicht notwendigerweise eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzt (BFH-Urteil vom 29.11.2017, I R 58/15, BFH/NV 2018 S. 684; zur Abgrenzung bei Verkaufsstellen siehe Nr. 1 des AEAO zu § 12). Diese kann sich somit auch in den fremden Räumen eines Dritten (Geschäftsleiters) befinden (bzw. in den Geschäftsräumen eines mit der Geschäftsführung beauftragten gesellschaftsfremden Managers).

7.  Jedes gewerbliche Unternehmen hat insoweit zumindest eine am Ort der Geschäftsleitung zu lokalisierende Betriebstätte. Dies gilt in der Regel auch bei einem „reisenden“ Gewerbetreibenden, also einem solchen, der sein Gewerbe an wechselnden Orten ausübt, ohne jedoch an diesen Orten (weitere) Betriebstätten zu begründen. Hierzu zählen beispielsweise auch Berufssportler und Artisten (BFH-Urteil vom 17.2.1955, IV 77/53 S, BStBl III S. 100) oder Schiedsrichter. Ist keine andere feste Geschäftseinrichtung vorhanden, so ist regelmäßig die Wohnung des Geschäftsleiters bzw. Gewerbetreibenden – ungeachtet des Umstandes, ob diese dem Privatvermögen zuzuordnen ist – als Geschäftsleitungsbetriebstätte anzusehen, wenn dort die geschäftliche Planung vorgenommen wird (BFH-Urteil vom 20.12.2017, I R 98/15, BFH/NV 2018 S. 497). Hierbei ist das Vorhandensein eines Büros oder (häuslichen) Arbeitszimmers i. S. v. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 15.7.1986, VIII R 134/83, BStBl II S. 744).

Bei einer Tätigkeit, die auf ständig wechselnden Wochenmärkten ausgeübt wird, befindet sich der Ort der Geschäftsleitung häufig nicht auf einem der Wochenmärkte. Vielmehr liegt die – im Einzelfall zu verifizierende – Annahme nahe, dass sich die Geschäftsleitungsbetriebstätte am Wohnsitz des Gewerbetreibenden befindet (vgl. BFH-Urteil vom 28.7.1993, I R 15/93, BStBl 1994 II S. 148).

8.  Stätten der Erkundung von Bodenschätzen (z. B. Versuchsbohrungen) sind dabei als Betriebstätten anzusehen, wenn die Voraussetzungen des § 12 Nr. 8 AO erfüllt sind.

9.  Die Begriffsbestimmung der Betriebstätte gilt auch für die freiberufliche Tätigkeit und Steuerpflichtige mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft.

10.  Soweit die Steuergesetze (insbes. EStG und GewStG) den Begriff „Betriebstätte“ verwenden, ohne ihn selbst abweichend von § 12 AO zu definieren (wie etwa § 41 Abs. 2 EStG), bestimmt sich dieser Begriff grundsätzlich nicht nach der Definition eines einschlägigen DBA, sondern nach innerstaatlichem Recht (vgl. BFH-Urteil vom 20.7.2016, I R 50/15, BStBl 2017 II S. 230). DBA legen lediglich fest, in welchem Umfang eine nach innerstaatlichem Recht – unter Berücksichtigung des § 12 AO – bestehende Steuerpflicht entfallen soll. Eine in einem DBA vorgenommene, von § 12 AO abweichende Definition des Begriffs „Betriebstätte“ ist daher nur im Rahmen dieses DBA anwendbar, sofern im innerstaatlichen Recht nichts anderes bestimmt ist.

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RAAAE-63814