BSG Urteil v. - B 5 RS 1/11 R

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - fiktive Einbeziehung - betriebliche Voraussetzung - VEB Transportanlagen-Montagebau

Gesetze: § 1 Abs 1 S 1 AAÜG, § 8 Abs 2 AAÜG, § 8 Abs 3 S 1 AAÜG, § 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG, Anl 1 Nr 1 AAÜG, § 1 ZAVtIV, § 1 Abs 1 ZAVtIVDBest 2, § 1 Abs 2 ZAVtIVDBest 2

Instanzenzug: SG Halle (Saale) Az: S 4 R 693/05 Urteilvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 1 R 277/07 Urteil

Tatbestand

1Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung der Zeit vom bis als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie der während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte hat.

2Der 1954 geborene Kläger ist berechtigt, den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" zu führen (Zeugnis der Hochschule für Verkehrswesen "F." vom ). Vom bis war er als Projektierungs- und Entwicklungsingenieur beim VEB W. und anschließend bis mindestens als Haupttechnologe beim VEB T. L. (nachfolgend: VEB T. L.) tätig. Eine förmliche Versorgungszusage erhielt der Kläger zur Zeit der DDR nicht.

3Den Antrag des Klägers auf Feststellung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom ). Den hiergegen am eingelegten Widerspruch wertete die Beklagte als Antrag nach § 44 SGB X, den sie ebenfalls ablehnte (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid ).

4Das SG Halle hat die Beklagte mit Urteil vom verurteilt, die Zeit vom bis als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Auf die Berufung der Beklagten hat das das Urteil des SG Halle aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X lägen nicht vor. Die Beklagte habe bei Erlass des Bescheides vom weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Kläger habe gemäß § 8 Abs 3 iVm Abs 2 und § 1 Abs 1 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz <AAÜG> vom , BGBl I 1606, seither mehrfach geändert, zuletzt durch das Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom , BGBl I 3024) keinen Anspruch auf die beantragte Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem. Er unterfalle nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech angehört habe. Dem Kläger sei weder von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt noch sei er auf Grund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch habe ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft in seinem Fall nicht stattgefunden. Der Rechtsprechung des BSG, nach der die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG ebenso im Wege der Unterstellung vorliegen könne, folge der Senat nicht. Abgesehen davon lägen auch die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für eine fingierte Versorgungsanwartschaft nicht vor. Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am Stichtag , der VEB T. L., sei weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch ein gleichgestellter Betrieb gewesen. Der Begriff des Produktionsbetriebs erfasse nach der Rechtsprechung des BSG nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt hätten. Die industrielle Serienproduktion müsse dem Betrieb das Gepräge gegeben haben. Dies sei hier nicht der Fall. Die Haupttätigkeit des VEB T. L. habe nicht in der industriellen Serienproduktion gelegen. Dagegen spreche schon die Vielseitigkeit des betrieblichen Aufgabenspektrums. Ausweislich der Darstellung der derzeitigen Marktsituation und Chancen (ohne Datum) habe der VEB T. L. einerseits Montageleistungen und andererseits Fertigungsleistungen erbracht. Die Montageleistungen hätten sich in Rohrleitungsmontagen, Fördertechnik, Stahlbaumontagen, Montageleistungen allgemeiner Maschinenbau sowie Montage von Elektrofiltern (Umweltschutz) gegliedert. Gegen eine serielle Produktion spreche bereits der Umstand, dass im Bereich Rohrleitungsmontagen überwiegend Reparaturleistungen in Gestalt des Austausches von verschlissenen Rohrleitungen und Aggregaten durchgeführt worden seien. Die Montageleistungen insbesondere im Bereich des allgemeinen Maschinenbaus seien überdies sehr breit gefächert gewesen, was bereits an den vielen verschiedenen Montagestellen deutlich werde. So seien die Montageleistungen auf die ständigen Montagestellen Zementwerk K., Zuckerfabrik A., Hydrierwerk W., Chemiewerk B., Brikettfabrik D. usw verteilt. Einen weiteren Schwerpunkt habe die Rekonstruktion von Spanplattenwerken in G. und B. sowie Montageleistungen für den VEB Märkische Ölwerke W. und den VEB Öl- und Fettwerke M. gebildet. In der Fachrichtung Fertigungsbetrieb seien überwiegend Behälter für die chemische Verfahrenstechnik sowie Batterietröge für die Elektroindustrie und Behälter und Entaschungsanlagen gefertigt worden. Die geschilderte Vielseitigkeit der Aufgaben lasse sich durch serielle Produktion nicht erfüllen, sodass der Senat die Frage, ob die Montage überhaupt dem Produktionsbegriff des BSG unterfalle, nicht entscheiden müsse. Die Aufgabenvielfalt werde auch ua durch die technisch-technologische Niveau-Analyse der Produktion und Sanierungserfordernisse (ohne Datum) bestätigt. Danach sei die Erzeugnispalette des Betriebs durch die Fertigung von Druckbehältern und drucklosen Behältern, Batterietrögen sowie Elektrofiltern und deren Komponenten charakterisiert. Die Montageleistungen hätten den Stahlbau, die Fördertechnik, den Rohrleitungsbau sowie sonstige Montagen erfasst, wobei überwiegend keine eigenen Lieferungen montiert worden seien.

5Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 1 Abs 1 AAÜG. Hierzu führt er im Wesentlichen aus: Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei § 1 Abs 1 AAÜG erweiternd auszulegen. Auch unterfalle er dem Anwendungsbereich der solchermaßen verstandenen Norm. Die betriebliche Voraussetzung für die Einbeziehung in die fiktive Versorgung sei dann gegeben, wenn der Betreffende am in einem volkseigenen Betrieb gearbeitet habe, der schwerpunktmäßig die Aufgaben der industriellen Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw Produktion von Sachgütern wahrgenommen habe. Der Industriebegriff diene hauptsächlich der Unterscheidung zu den Dienstleistungs-, Handwerks- und Landwirtschaftsbetrieben. Der weitergehenden Eingrenzung des Begriffs "Produktionsbetrieb" durch die Forderung des BSG nach einer industriellen Massenproduktion auf der Grundlage des fordistischen Produktionsmodells sei dagegen nicht zu folgen. Diese Einschränkung sei versorgungsrechtlich nicht zu begründen und werde auch nicht den Gegebenheiten der ehemaligen DDR gerecht. Dem Produktionsbegriff im dargestellten Sinne werde auch ein Montagebetrieb gerecht. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob Sachgüter nahtlos von Beginn bis Fertigstellung in einem Betrieb hergestellt würden oder die Herstellung unter Verwendung von in einem anderen Betrieb vorgefertigten Bestandteilen erfolge. Der VEB T. L., dessen Aufgabenbereich die Fertigung und Montage von Sachgütern umfasst habe, sei ein Produktionsbetrieb im hier maßgeblichen Sinne. Der Betrieb habe maschinell und unter Verwendung standardisierter Verfahren und Bauteile Sachgüter gleicher Art zur Deckung spezieller Bedarfe im industriellen Ausmaß hergestellt. Es habe sich weder um eine Einzelproduktion noch handwerkliche Produktion gehandelt. Dass die Ausführung der Herstellung an verschiedenen Orten erfolgt sei, sei nicht ausschlaggebend.

6Der Kläger beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom zurückzuweisen.

7Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Gründe

9Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Eine Entscheidung in der Sache kann der Senat nicht treffen, weil hierzu weitere Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich sind.

10Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 123 SGG), das Berufungsurteil aufzuheben und das Urteil des SG Halle vom wiederherzustellen. Dieses Begehren hat Erfolg, wenn der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte verpflichtet ist, unter Rücknahme des Bescheids vom gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X die Beschäftigungszeit vom bis als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech (nebst der dabei erzielten Arbeitsentgelte) festzustellen.

11Ob die Beklagte die begehrten rechtlichen Feststellungen hätte treffen müssen, lässt sich ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 8 Abs 2, Abs 3 Satz 1 und Abs 4 Nr 1 AAÜG in Betracht. Nach § 8 Abs 3 Satz 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 bis 27 (§ 8 Abs 4 Nr 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach Abs 2 aaO bekannt zu geben. Diese Mitteilung hat folgende Daten zu enthalten (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 10): Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, die Arbeitsausfalltage sowie alle Tatumstände, die erforderlich sind, um eine besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden (§§ 6, 7 AAÜG).

12Allerdings hat der Versorgungsträger diese Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 10 und Nr 6 S 37). Den Anwendungsbereich des AAÜG, das am in Kraft getreten ist (Art 42 Abs 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung <Renten-Überleitungsgesetz - RÜG> vom , BGBl I 1606), regelt dessen seither unveränderter § 1 Abs 1. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme iS der Anlage 1 und 2) im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs 3 SGB IV) erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2), sodass das AAÜG auch in diesen Fällen Geltung beansprucht.

13Aufgrund der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Kläger vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG erfasst ist, weil er am aus bundesrechtlicher Sicht eine "aufgrund der Zugehörigkeit" zur AVItech "erworbene" Anwartschaft hatte. Hierauf kommt es deshalb entscheidend an, weil der Kläger weder einen "Anspruch" iS von § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG noch eine fiktive Anwartschaft gemäß Satz 2 aaO innehat.

14A. Der Ausdruck "Anspruch" umfasst in seiner bundesrechtlichen Bedeutung das (Voll-)Recht auf Versorgung, wie die in § 194 BGB umschriebene Berechtigung, an die auch § 40 SGB I anknüpft, vom Versorgungsträger (wiederkehrend) Leistungen, nämlich die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags zu verlangen. Dagegen umschreibt "Anwartschaft" entsprechend dem bundesdeutschen Rechtsverständnis eine Rechtsposition unterhalb der Vollrechtsebene, in der alle Voraussetzungen für den Anspruchserwerb bis auf den Eintritt des Versicherungs- bzw Leistungsfalls (Versorgungsfall) erfüllt sind (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 38 und Nr 7 S 54).

15Ausgehend von diesem bundesrechtlichen Begriffsverständnis hat der Kläger schon deshalb keinen "Anspruch" auf Versorgung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG erworben, weil bei ihm bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes am kein Versorgungsfall (Alter, Invalidität) eingetreten war. Zu seinen Gunsten begründet auch nicht ausnahmsweise § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG eine (gesetzlich) fingierte Anwartschaft ab dem , weil der Kläger in der DDR nie konkret in ein Versorgungssystem einbezogen worden war und diese Rechtsposition deshalb später auch nicht wieder verlieren konnte (vgl dazu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 15 und Nr 3 S 20 f; SozR 4-8570 § 1 Nr 4 RdNr 8 f).

16B. Dagegen kann auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht entschieden werden, ob der Kläger "aufgrund der Zugehörigkeit" zu einem Zusatzversorgungssystem eine "Anwartschaft" auf Versorgung iS von § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG erworben hat. Der erkennende Senat hat die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (vgl SozR 3-8570 § 1 Nr 7) zum Stichtag und zur sog erweiternden Auslegung im Ergebnis in seinen Entscheidungen vom (vgl nur BSGE 106, 160 = SozR 4-8570 § 1 Nr 17) ausdrücklich fortgeführt. Die Bedenken des LSG geben keinen Anlass zu einer erneuten Prüfung. Der Senat weist allerdings nochmals darauf hin, dass er § 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG aus sich heraus weit auslegt, und - insofern in der Begründung anders als der 4. Senat - insbesondere nicht Satz 2 der Vorschrift heranzieht. Die diesbezüglich vom Berufungsgericht geäußerten Bedenken beziehen sich daher auf eine überholte Rechtsprechung.

17Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage einer fiktiven Zugehörigkeit zum System der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben auf der Grundlage des am geltenden Bundesrechts am Stichtag sind die "Regelungen" für die Versorgungssysteme, die gemäß Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag - EinigVtr, BGBl II 1990, 889) Anlage II Kap VIII Sachgebiet H Abschn III Nr 9 mit dem Beitritt am zu - sekundärem - Bundesrecht geworden sind. Dies sind insbesondere die Verordnungen über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom (GBl I Nr 93 S 844) und die Zweite Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung (2. DB) vom (GBl Nr 62 S 487), soweit sie nicht gegen vorrangiges originäres Bundesrecht oder höherrangiges Recht verstoßen.

19Das LSG hat zu der persönlichen und sachlichen Voraussetzung keinerlei Feststellungen getroffen und die betriebliche Voraussetzung verneint.

20Aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG lässt sich indes nicht beurteilen, ob der VEB T. L. ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens ist. Hierunter fallen nur Produktionsdurchführungsbetriebe, die ihr Gepräge durch die Massenproduktion erhalten haben. Der erkennende Senat hält auch insoweit an der Rechtsprechung des 4. Senats (vgl etwa BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 21 und 23) fest. Die in der Revisionsbegründung und teilweise in der Literatur erhobenen Bedenken (vgl hierzu Schmidt, Die Rentenversicherung 2011, S 141 ff) gegen den hier vertretenen Begriff des Produktionsbetriebs teilt der erkennende Senat nicht.

21Das Verständnis der Vorschriften der VO-AVItech und der 2. DB erschließt sich stets zunächst und soweit als möglich unmittelbar aus sich heraus. Nur soweit aus bundesrechtlicher Sicht der objektivierte Wortlaut - nicht also die DDR-rechtliche Bewertung -, der interne Sinnzusammenhang und der historische Kontext noch Unklarheiten lassen, kann es zur Ergänzung der so gewonnenen Erkenntnisse und von ihnen ausgehend auf den sonstigen offiziellen Sprachgebrauch der DDR am Stichtag ankommen, soweit er einen versorgungsrechtlichen Bezug aufweist. Entwicklungen des Sprachgebrauchs sind daher nur insofern von Bedeutung, als sie sich auf Umstände beziehen, die ihrer Art nach bereits ursprünglich von den Versorgungsordnungen erfasst waren oder durch spätere Änderungen zu deren Bestandteil gemacht wurden (versorgungsrechtlicher Sprachgebrauch). Dagegen sind Entwicklungen des Sprachgebrauchs in sonstigen Bereichen, insbesondere dem Wirtschaftsrecht, ohne Bedeutung (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 67). Das bundesrechtliche Verständnis von einschlägigen Begriffen des Versorgungsrechts darf daher von vornherein nicht etwa in der Weise gewonnen werden, dass zunächst kontextunabhängig und ohne Beschränkung auf den versorgungsrechtlichen Zusammenhang nach einem offiziellen Sprachgebrauch der DDR am geforscht wird, um dann das Ergebnis dieser Bemühungen mit dem "Wortlaut" der einschlägigen versorgungsrechtlichen Regelungen gleichzusetzen und deren spezifisch versorgungsrechtlichen Anwendungsbereich hiernach zu bestimmen. Von Belang sind vielmehr allein Entwicklungen des versorgungsrechtlich relevanten Sprachgebrauchs. Einzelne Stimmen im Schrifttum basieren auf diesem methodischen Irrtum und vermögen daher auch den auf sie gestützten Revisionen nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dies gilt umso mehr, soweit dort eine Ausdehnung des Produktionsbegriffs befürwortet wird, die die versorgungsrechtliche Gleichstellung von wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Betrieben sowie wirtschaftsleitenden Organen im Ergebnis überflüssig machen würde.

22Vorliegend könnten zwar die Überschrift der VO-AVItech vom , deren Einleitung und ihr § 1 sowie § 1 Abs 1 der 2. DB darauf hindeuten, dass deren Voraussetzungen generell durch die einschlägige Beschäftigung von Ingenieuren in allen volkseigenen Betrieben erfüllt werden. Indessen kann der VO an diesen Stellen für den betrieblichen Anwendungsbereich einzelner Teile nichts entnommen werden. Insbesondere zeigt der Wortlaut der Gleichstellungsregelung in § 1 Abs 2 der 2. DB, dass generell nur volkseigene Produktionsbetriebe erfasst sind. Die "Rechtsfolge" der ausnahmsweisen Gleichstellung der dort im Einzelnen aufgeführten wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Betriebe sowie wirtschaftsleitenden Organe bestimmt logisch notwendig Inhalt und Umfang des Grundtatbestands. Versorgungsrechtlich relevant ist damit nur die Beschäftigung in einer Teilmenge der volkseigenen Betriebe.

23Die positiven Bestimmungsmerkmale der Teilmenge "Produktionsbetriebe" ergeben sich mit hinreichender Bestimmtheit zunächst aus dem sachlichen Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Industrie, auf dessen Einvernehmen es nach § 5 der VO-AVItech vom für den Erlass von Durchführungsbestimmungen durch das Ministerium der Finanzen ua ankam. Die Beteiligung gerade dieses damals für Herstellungsvorgänge in den industriellen Fertigungsbetrieben verantwortlichen Ministeriums (so auch in der Präambel der Ersten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom , GBl Nr 111 S 1043) gibt zu erkennen, dass versorgungsrechtlich grundsätzlich nur diesem Kriterium genügende VEB erfasst sein sollten. Dies wird zudem durch die historische Situation beim Aufbau einer zentralen Planwirtschaft durch das Interesse der Machthaber, qualifizierten Kräften gerade im Bereich der Industrie einen Beschäftigungsanreiz zu bieten, bestätigt. Die herausragende Bedeutung der Industrie, die auch in der DDR im Sinne der Herstellung von Erzeugnissen auf der Basis industrieller Massenproduktion verstanden wurde (vgl hierzu Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, 2004, 370 ff), ist unabhängig davon, ob hierfür der (Wort-)Begriff "fordistisches Produktionsmodell" gebraucht wird. Hiervon wird - ungeachtet ihrer ursprünglichen formellen Zuordnung zum Ministerium für Aufbau - der Sache nach bereits ursprünglich auch die Bauindustrie erfasst. Diese wurde in der DDR zudem in der Folgezeit durchgehend zusammen mit der Industrie den beiden führenden Produktionsbereichen zugeordnet und gemeinsam gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen abgegrenzt. Dies gilt jeweils auch und gerade noch nach dem Sprachgebrauch der am maßgeblichen Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom (GBl I Nr 38 S 355).

24Soweit der Rechtsprechung der Instanzgerichte neben dem damit primär maßgeblichen Umstand, dass die industrielle Fertigung dem VEB das Gepräge gegeben haben muss, konstitutiv auf die Frage der organisatorischen Zuordnung abstellt, ist darauf hinzuweisen, dass sich dies aus der bisherigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht ergibt. Bereits im Urteil vom (B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 47 f) hatte der 4. Senat des BSG eine derartige Bedeutung allenfalls - ausdrücklich nicht tragend - nur als möglich in Erwägung gezogen. Schon in der Entscheidung vom (B 4 RA 52/03 R - Juris RdNr 29) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass allein die fehlende Zuordnung zu einem Industrieministerium nicht genügt, einen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens abzulehnen. Dementsprechend zieht auch die spätere Rechtsprechung den Umstand der organisatorischen Zuordnung durchgehend als weder notwendiges noch hinreichendes Hilfskriterium allenfalls bestätigend heran (vgl Beschluss vom - B 4 RS 133/07 B - Juris RdNr 11).

25Entsprechendes gilt, wenn ein Betrieb (auch) Montagearbeiten verrichtet hat.

26Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend wurde auch in der DDR unter Montage der planmäßige Zusammenbau von Bauteilen zu einem Endprodukt verstanden.

27Der Zusammenbau von im Wege industrieller Massenproduktion vorgefertigten Bauteilen zum fertigen Produkt kann seinerseits Teil der industriellen Produktion einschließlich des Bauwesens (vgl BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 3 RdNr 20) sein, wobei unerheblich ist, ob die Bauteile im eigenen oder einem Drittbetrieb angefertigt worden sind. Von einer industriellen Produktion der Endprodukte ist dann auszugehen, wenn diese ihrerseits massenhaft hergestellt werden und daher ihr Zusammenbau mehr oder weniger schematisch anfällt. Unter diesen Voraussetzungen ist insbesondere auch eine größere Produktpalette oder eine Vielzahl potenziell zu verbindender Einzelteile kein Hindernis, solange das Produkt einer vom Hersteller standardmäßig angebotenen Palette entspricht. Werden dagegen Gebrauchtteile mit verbaut (vgl - Juris) oder treten individuelle Kundenwünsche, wie der zusätzliche Einbau von besonders gefertigten Teilen oder der Bau eines zwar aus standardisierten Einzelteilen bestehenden, so aber vom Hersteller nicht vorgesehenen und allein auf besondere Anforderungen gefertigten Produkts, in den Vordergrund, entfällt der Bezug zur industriellen Massenproduktion.

28Ob der VEB T. L. nach diesen Maßgaben sein Gepräge durch die industrielle Massenproduktion erhalten hat, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen.

29Allein die Vielfältigkeit des Angebots und die Leistungserbringung an verschiedenen Orten sprechen nicht gegen das Vorliegen von Massenproduktion. Vielmehr erfordern gerade sie Feststellungen zum Gepräge. Diese können schlüssig nur durch eine Feststellung der Tätigkeitsbereiche eines Betriebs, ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zur industriellen Produktion oder einem anderen Bereich und ihres quantitativen Verhältnisses zueinander nach einem einheitlichen Maßstab erfolgen. Insoweit bietet sich insbesondere ein Vergleich nach dem jeweiligen Anteil an Aufwand und Umsatz bzw Ertrag an.

30Sollte sich danach ergeben, dass der VEB T. L. ein volkseigener Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens gewesen ist, wird das Berufungsgericht ferner Feststellungen zur persönlichen und sachlichen Voraussetzung zu treffen haben.

31Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung durch das LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:190711UB5RS111R0

Fundstelle(n):
AAAAD-98794