Keine Bindung der Finanzbehörde an unverbindliche Auskunft bei Änderung der Rechtslage
Leitsatz
1. Ändert sich die einer unverbindlichen Auskunft zugrunde liegende Rechtslage, ist das Finanzamt nicht nach Treu und Glauben gehindert, einen der geänderten Rechtslage entsprechenden erstmaligen Umsatzsteuerbescheid zu erlassen, es sei denn, es hat anderweitig einen Vertrauenstatbestand geschaffen.
2. Das Finanzamt schafft in der Regel nicht dadurch einen Vertrauenstatbestand, dass es nach Änderung der einer unverbindlichen Auskunft zugrunde liegenden Rechtslage einen entsprechenden Hinweis an den Steuerpflichtigen unterlässt.
Gesetze: UStG 1999 § 4 Nr. 14Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
Instanzenzug: (EFG 2009, 630) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
1Streitig ist, ob eine Umsatzsteuerfestsetzung gegen Treu und Glauben verstößt.
2Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Diplom-Psychologin und betreibt eine psychotherapeutische Praxis. Daneben erstellt sie für Familiengerichte psychologische Gutachten zur Frage des Sorge- und Umgangsrechts, in denen auch die Frage nach der Erziehungsfähigkeit eines Elternteils oder beider Elternteile zu beurteilen sein kann, sowie aussagepsychologische Gutachten in Strafverfahren für die Staatsanwaltschaft oder auch für Familiengerichte, die die Feststellung der Aussagetüchtigkeit eines meist kindlichen Zeugen sowie die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit einer Aussage zum Gegenstand haben.
3Auf telefonische Anfragen der Klägerin und nach Vorlage zweier von ihr erstellter Gutachten erteilte ihr ein Mitarbeiter des Veranlagungsbezirks des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) unter dem folgende schriftliche Auskunft:
4„Sehr geehrte Frau ...,
die Voraussetzung der Steuerfreiheit für Gerichtsgutachten ist die Annahme einer 'ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit'. Voraussetzung ist hierfür u.a. bei nichtärztlichen Psychotherapeuten das Vorliegen einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilpraktG und diese damit der staatlichen Überprüfung unterliegen. Die erforderliche Erlaubnis wurde von Ihnen bereits vorgelegt. Die Erstellung von Gutachten für Gerichte stellt bei Ärzten und Heilpraktikern eine 'heilberufliche Tätigkeit' im Sinne des Absch. 88 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Umsatzsteuerrichtlinien dar. Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz ist nach Aktenlage also gegeben.
Eine verbindliche Auskunft kann ich Ihnen leider nicht erteilen, da die Voraussetzungen nach § 204 der Abgabenordnung nicht erfüllt sind.”
5Die Klägerin stellte nachfolgend die Rechnungen über ihre Gutachtertätigkeit ohne Ausweis von Umsatzsteuer aus und gab keine Umsatzsteuererklärungen ab.
6Bei der Einkommensteuerveranlagung für 2002 vermerkte der Sachbearbeiter des FA auf der Einnahmen-Überschussrechnung der Klägerin vom bei den erklärten Einnahmen aus schriftlichen Gutachten „USt-Pflicht?”, nahm bei den erklärten Ausgaben (Kfz-Kosten 95 %, Bewirtungskosten 80 %, Telefon und Geschenke) Anmerkungen vor und brachte den Vermerk „Bp melden!” an.
7Im April 2003 meldete der veranlagende Teilbezirk des FA den Steuerfall der zuständigen Betriebsprüfungsstelle zur Durchführung einer Außenprüfung und erhielt im Mai 2003 die Antwort, eine Prüfung (für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004) sei für das Kalenderjahr 2006 vorgemerkt.
8Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom fand bei der Klägerin im Frühjahr/Sommer 2006 eine Außenprüfung statt, die sich auf die Veranlagungszeiträume für 2002 bis 2004 bezog und auch die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer umfasste.
9Die Betriebsprüferin kam hinsichtlich der Gutachtertätigkeit der Klägerin zu der Auffassung, dass diese umsatzsteuerpflichtig sei. Nach eigenen Angaben der Klägerin bestehe die Kernaussage ihrer Gutachten u.a. in der Stellungnahme über die Erziehungsfähigkeit eines Elternteils oder die Aussagetüchtigkeit eines zu beurteilenden Kindes. Die ggf. ausgesprochenen therapeutischen Empfehlungen seien nicht Hauptzweck des ihr vom Gericht erteilten Auftrags. Da ein therapeutisches Ziel, also die medizinische Betreuung bei ihrer Tätigkeit als Gerichtssachverständige nicht im Vordergrund stehe, liege eine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit vor (Hinweis auf die IV D I -S 7170- 4/01, BStBl I 2001, 157, und vom IV D I -S 7170- 201/01, BStBl I 2001, 826).
10Das FA folgte der Auffassung der Betriebsprüferin und erließ am erstmalige Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004. Den hiergegen eingelegten Einspruch, mit dem die Klägerin im Wesentlichen einen Verstoß gegen Treu und Glauben geltend machte, wies das FA für das Jahr 2004 (Streitjahr) mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück, nachdem es die Einspruchsverfahren hinsichtlich der Jahre 2002 und 2003 antragsgemäß zum Ruhen gebracht hatte.
11Das Finanzgericht (FG) hob den Umsatzsteuerbescheid für 2004 und die Einspruchsentscheidung auf. Es führte zur Begründung aus:
12Das FA habe zwar die gutachtliche Tätigkeit der Klägerin zutreffend als umsatzsteuerpflichtig angesehen, weil dabei ein therapeutisches Ziel jedenfalls nicht im Vordergrund gestanden habe (Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— vom Rs. C-384/98 —D—, Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 918; BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 157). Das FA sei aber dennoch an der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert.
13Die Klägerin könne sich zwar nicht allein aufgrund der Auskunft vom auf Vertrauensschutz berufen. Ebenso könne sie sich nicht allein wegen der Nichtbesteuerung ihrer Umsätze in den Jahren 1997 bis 2001 entsprechend dieser Auskunft auf Vertrauensschutz berufen. Auch allein aus dem Unterlassen eines Hinweises durch den Veranlagungsbezirk im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 2002 an die Klägerin, dass nunmehr die Umsatzsteuerpflicht ihrer Gutachtertätigkeit in Frage stehe, sei kein Vertrauensschutz für die Klägerin gegeben. Schließlich ergebe sich auch kein Vertrauensschutz für die Klägerin allein aus dem Umstand, dass die Veranlagungen für 2002 bis 2004 ebenfalls ohne Aufforderung durch das FA, Umsatzsteuererklärungen einzureichen, durchgeführt wurden. Vertrauensschutz könne die Klägerin aber aus dem Zusammenwirken dieser Umstände beanspruchen.
14Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 630 veröffentlicht.
15Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht das FA im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des FG seien die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Vertrauenstatbestand —auch im Zusammenwirken aller Umstände— im Streitfall nicht gegeben.
16Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
17Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
18Sie führt zur Begründung im Einzelnen aus, bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller hier entscheidungserheblichen Umstände sei der Tatbestand von Treu und Glauben erfüllt und stehe der streitigen Umsatzsteuer-Nachforderung für 2004 entgegen, wie das FG zutreffend dargelegt habe.
19Hierzu macht sie u.a. geltend, sie, die Klägerin, treffe kein Mitverschulden, das die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens beeinträchtige. Sie habe eine Meinungsänderung des FA frühestens seit Erhalt der Prüfungsanordnung vom erahnen können. Zudem sei es um reine Rechtsfragen gegangen, deren Klärung allein Sache des FA gewesen sei. Ihre Mitwirkungspflichten und die ihrer Bevollmächtigten hätten sich auf die hier von Anfang an völlig unproblematische Sachaufklärung beschränkt.
20Im Übrigen sei bei der Gewichtung der beiderseitigen Pflichten zu berücksichtigen, dass hier ein Umsatzsteuer-Rechtsverhältnis zu beurteilen sei, bei dem sie mit Rücksicht auf ihre Indienstnahme im öffentlichen Interesse in besonderem Maße schutzwürdig (gewesen) sei.
21Auf ein Billigkeitsverfahren —das vorliegend abredegemäß ruhe— könne sie nicht verwiesen werden.
II.
22Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat den Grundsatz von Treu und Glauben, auf den es seine Entscheidung gestützt hat, nicht rechtsfehlerfrei angewendet.
231. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Erstellung der psychologischen Gutachten der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei ist, da ein therapeutisches Ziel bei diesen Gutachten jedenfalls nicht im Vordergrund steht.
24a) Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker” steuerfrei.
25§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG ist richtlinienkonform restriktiv dahin auszulegen, dass nur Tätigkeiten zur Diagnose, Behandlung und —soweit möglich— Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen steuerfrei sind (vgl. z.B. EuGH-Urteil —D— in Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, HFR 2000, 918; , BFHE 194, 275, unter II.3.a aa; , BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862, unter II.2.; vom XI R 53/06, BFHE 221, 399, BStBl II 2008, 647, unter II.2.a).
26b) Diese Voraussetzung ist bei Gutachten der vorliegenden Art nicht gegeben (vgl. , BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35, unter II.2.; , BFHE 222, 184, BStBl II 2009, 429). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
272. Zutreffend ist das FG ferner davon ausgegangen, dass ein FA nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sein kann, einen nach dem Gesetz entstandenen Steueranspruch geltend zu machen. Dies kann der Steuerpflichtige (bereits) gegenüber einer Steuerfestsetzung geltend machen; eines gesonderten Billigkeitsverfahrens bedarf es dazu entgegen der Auffassung des FA (ebenso Reuß, EFG 2009, 633, 635) nicht (vgl. z.B. , BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, unter 2.).
28a) Der auch für das Besteuerungsverfahren geltende allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben gebietet, dass im konkreten Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem früheren Verhalten, auf das der andere vertraut und aufgrund dessen er in irreparabler Weise disponiert hat, nicht in Widerspruch setzt (vgl. , BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990; vom V R 54/94, BFH/NV 1996, 733).
29Er verdrängt jedoch gesetztes Recht —wie im Streitfall die Umsatzsteuerpflicht der Tätigkeit der Klägerin— nur in besonders liegenden Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in so hohem Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (vgl. , BFHE 124, 105, 107, BStBl II 1978, 274; vom VII R 101/77, BFHE 130, 90, 95; in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, unter II.1.; vom X R 25/97, BFH/NV 2001, 1013, unter II.2.a).
30b) Dies kommt nur dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. , BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771, unter 1.; , BFH/NV 2002, 551, unter II.1.b; , BFHE 221, 136, BStBl II 2008, 817, unter II.2.e; vom IV R 86/06, BFH/NV 2010, 1096, unter II.5.).
313. Der Klägerin ist keine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie eine verbindliche Zusage beantragt und das FA eine solche ohne Einschränkung oder Vorbehalte erteilt hätte (vgl. , BFHE 169, 290, BStBl II 1993, 218; vom I R 125/93, BFH/NV 1995, 369, unter 1.b; vom X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155, unter II.2.i). Jedenfalls letztere Voraussetzung liegt hier nicht vor.
32Das FA hat in dem Schreiben vom keine verbindliche Auskunft erteilt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Zusatz, dass eine verbindliche Auskunft leider nicht erteilt werden könne. Der Auffassung der Klägerin, dabei handele es sich lediglich um eine floskelhafte Einschränkung, so dass die Auskunft —jedenfalls im Zusammenwirken mit anderen Umständen— als verbindlich angesehen werden könne, vermag der Senat nicht zu folgen. Vielmehr kann das Schreiben vom nach seinem objektiven Erklärungswert (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) aus Empfängersicht eindeutig nur als unverbindliche Auskunft verstanden werden.
33Für dieses Verständnis ist ohne Belang, ob die Voraussetzungen zur Erteilung einer verbindlichen Zusage nach Maßgabe des (BStBl I 1987, 474) vorlagen oder leicht hätten geschaffen werden können oder ob —wie das FG meint— das FA zu einer dahingehenden Beratung gemäß § 89 der Abgabenordnung verpflichtet war.
34Unerheblich für die Würdigung des Schreibens vom als unverbindliche Auskunft sind ferner —entgegen der Auffassung der Klägerin— die Begleitumstände (alleinige Initiative der Klägerin, erkennbare Dringlichkeit einer verlässlichen Äußerung, fortwährendes Angewiesensein der Klägerin auf die Richtigkeit der erteilten Auskunft für eine zutreffende Rechnungserteilung).
354. Das FA hat durch sein Verhalten nicht außerhalb einer verbindlichen Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen, und zwar —entgegen der Auffassung des FG— auch nicht im Zusammenwirken der verschiedenen vom FG dafür genannten Umstände.
36a) Ein Vertrauenstatbestand besteht in einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten (vgl. , BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754, unter II.5.a; vom XI R 11/99, BFH/NV 2000, 708, unter II.1.).
37b) Die Klägerin konnte nicht davon ausgehen, das FA werde an seiner im Schreiben vom vertretenen Rechtsauffassung auf Dauer festhalten. Denn die Auskunft, dass nach Aktenlage die Umsatzsteuerfreiheit für die Gutachtertätigkeit gemäß § 4 Nr. 14 UStG und Abschn. 88 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) gegeben sei, stand wegen der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung offensichtlich unter dem Vorbehalt, dass sich die Rechtslage nicht änderte - was hier aber der Fall war.
38aa) Es entspricht dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der Abschnittsbesteuerung, dass das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen hat. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben; dies grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte. Dies gilt auch dann, wenn die —fehlerhafte— Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte. Das FA ist an eine bei einer früheren Veranlagung zugrunde gelegten Rechtsauffassung auch dann nicht gebunden, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (vgl. , BFH/NV 2006, 2028, m.w.N.).
39bb) Hinsichtlich der Umsatzsteuerfreiheit ärztlicher Gutachten nach § 4 Nr. 14 UStG ist nach dem eine Rechtsänderung eingetreten.
40(1) Wie in dem Schreiben des FA vom zutreffend ausgeführt wurde, stellte nach damaliger Rechtsauffassung und Besteuerungspraxis die Erstellung von Gutachten für Gerichte bei Ärzten und Heilpraktikern eine „heilberufliche Tätigkeit” i.S. des Abschn. 88 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 der seinerzeit geltenden UStR 1996 dar.
41Nach Abschn. 88 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 UStR fiel unter die Tätigkeit als Arzt i.S. des § 4 Nr. 14 UStG „die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens - auch lediglich auf der Grundlage der Akten - über den Gesundheitszustand eines Menschen oder über den Kausalzusammenhang zwischen einem rechtserheblichen Tatbestand und einer Gesundheitsstörung oder zwischen einer früheren Erkrankung und dem jetzigen körperlichen oder seelischen Zustand sowie über die Tatsache oder Ursache des Todes”.
42(2) Im Jahr 2000 hat aber der EuGH —wie bereits dargelegt— in seinem Urteil —D— in Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, HFR 2000, 918 entschieden, der Begriff der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin” in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern könne nicht so ausgelegt werden, dass er medizinische Eingriffe umfasse, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt würden (Rz 18); gemäß dem Grundsatz, dass sämtliche Bestimmungen zur Einführung einer Umsatzsteuerbefreiung eng auszulegen seien, müssten die Leistungen, die keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen werden (Rz 19).
43(3) Daraufhin hat das BMF mit Schreiben in BStBl I 2001, 157 unter Hinweis auf dieses EuGH-Urteil u.a. ausgeführt, abweichend von Abschn. 88 Abs. 3 Nrn. 1, 2 und 4 UStR sei die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe. In der nachfolgenden beispielhaften Aufzählung der nicht (mehr) unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG fallenden Gutachten sind sämtliche Gutachten genannt, die von der Finanzverwaltung in Abschn. 88 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 UStR 1996 (bislang) als steuerfrei angesehen wurden.
44Mit weiterem Schreiben in BStBl I 2001, 826 hat das BMF u.a. ergänzt, dass auch Gutachten über den Kausalzusammenhang zwischen einem rechtserheblichen Tatbestand und einer Gesundheitsstörung abweichend von Abschn. 88 Abs. 3 Nr. 1 UStR grundsätzlich nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG fallen.
45Die Auffassung der Klägerin, bei der Verwaltung habe sich die veränderte Rechtsanschauung erst mit der Neufassung der UStR für 2005 „erkennbar und eindeutig durchgesetzt”, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar.
46cc) Würde diese Rechtsänderung nicht auf die Umsatzbesteuerung der Klägerin angewendet, verstieße dies nicht nur gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, sondern auch gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil die Bevorzugung eines Steuerpflichtigen entgegen den gesetzlichen Vorschriften für alle anderen Steuerpflichtigen, die dem Gesetz entsprechend behandelt werden, eine Benachteiligung bedeutet (vgl. , BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634).
47c) Entgegen der Auffassung des FG hat das FA die Klägerin nicht dadurch in ihrem Vertrauen auf die Auskunft vom und die entsprechenden Veranlagungen bestärkt und zu entsprechenden weiteren Dispositionen veranlasst, dass der Veranlagungsbeamte des FA die Klägerin auf die in Frage stehende Umsatzsteuerpflicht ihrer gutachtlichen Tätigkeit nicht hingewiesen hat.
48Denn da die Klägerin von den (internen) Bedenken des Veranlagungsbeamten hinsichtlich der Umsatzsteuerfreiheit ihrer Tätigkeit keine Kenntnis erhielt —worauf sie in anderem Zusammenhang selbst hinweist—, konnte durch das Unterlassen eines Hinweises auf diese Bedenken ihr Vertrauen nicht gestärkt werden.
49Im Übrigen überspannt das FG insoweit nach Auffassung des Senats den Grundsatz von Treu und Glauben. Eine derartige Hinweis- und Beratungspflicht eines FA vor Änderung seiner langjährigen Rechtsauffassung ist der Rechtsprechung des BFH nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der BFH auch dann, wenn eine —fehlerhafte— Auffassung in einem Prüfungsbericht niedergelegt worden war (BFH-Urteil in BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634) oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte (, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749), einen Hinweis des FA auf die von ihm später als falsch erkannte Rechtsauffassung nicht gefordert.
50Zudem war die Umsatzsteuerpflicht der Tätigkeit der Klägerin für den Veranlagungsbeamten im Jahr 2003 nicht offensichtlich. Sie konnte vielmehr erst nach Vorlage von (exemplarischen) Gutachten oder nach näheren Angaben der Klägerin zum Gegenstand und Ziel der Gutachten —die sie im Rahmen der Außenprüfung 2006 gemacht hat— beurteilt werden.
515. Schließlich ist entgegen der Auffassung der Klägerin bei der Gewichtung der beiderseitigen Pflichten unerheblich, dass hier ein Umsatzsteuer-Rechtsverhältnis zu beurteilen ist, bei dem die Klägerin ihrer Meinung nach mit Rücksicht auf ihre Indienstnahme im öffentlichen Interesse in besonderem Maße schutzwürdig (gewesen) sei.
52Denn auf diesen Umstand kommt es bei der hier maßgeblichen Frage, ob die Klägerin bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, das FA werde an seiner in seinem Schreiben vom vertretenen Position oder an seinem späteren Verhalten der Nichtbesteuerung konsequent und auf Dauer festhalten, nicht an.
53Dementsprechend hat der BFH auch bisher in ähnlichen Fällen bei der Prüfung, ob eine Billigkeitsmaßnahme aus Gründen des Vertrauensschutzes in Betracht kommt, unberücksichtigt gelassen, dass es um ein Umsatzsteuer-Rechtsverhältnis ging (vgl. zur Umsatzsteuerpflicht von Schönheitsoperationen: , BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405; , juris, unter II.4.).
546. Da mithin das FA im Streitfall keinen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, braucht der Senat der —vom FG unerörtert gelassenen— Frage nicht weiter nachzugehen, ob die Klägerin bereits 2001 (nach der Entscheidung des EuGH —D— in Slg. 2000, I-6795, BFH/NV Beilage 2001, 31, HFR 2000, 918, und den BMF-Schreiben in BStBl I 2001, 157 und 826) von der Problematik der Umsatzsteuerfreiheit ärztlicher Gutachten Kenntnis erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.
55Hierzu hat das FA im Revisionsverfahren unwidersprochen vorgetragen, dass die Klägerin zumindest seit dem Jahr 1993 steuerlich beraten gewesen sei und dass das Thema der Umsatzbesteuerung im Jahr 2001 in Gutachterkreisen lebhaft diskutiert worden sei (vgl. dazu auch Reuß, EFG 2009, 633, 635). Das FA hat ferner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Anwesenheit der Klägerin unwidersprochen darauf hingewiesen, die Klägerin habe in ihrem Schreiben an die Betriebsprüferin vom u.a. ausgeführt, dass ihr und ihrem Steuerberater die Inhalte der BMF-Schreiben bekannt gewesen seien - was nach Aktenlage zutrifft.
56Nach der Rechtsprechung des BFH kann aber ein schutzwürdiges nachhaltiges Vertrauen in den Fortbestand einer früheren —nach neuerer Rechtsprechung nicht mehr haltbaren— Rechtsauffassung nur dann und solange gegeben sein, bis der Steuerpflichtige mit einer Änderung rechnen musste oder ihm zumindest Zweifel hätten kommen müssen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405, unter II.2.b und c; siehe auch , BFH/NV 2009, 144, unter II.4.).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 613
AO-StB 2011 S. 263 Nr. 9
BB 2011 S. 1301 Nr. 21
BB 2011 S. 1448 Nr. 23
BFH/NV 2011 S. 1264 Nr. 7
BFH/PR 2011 S. 315 Nr. 8
BStBl II 2011 S. 613 Nr. 13
DB 2011 S. 1145 Nr. 20
DB 2011 S. 6 Nr. 20
DStR 2011 S. 11 Nr. 20
DStRE 2011 S. 760 Nr. 12
DStZ 2011 S. 470 Nr. 13
GStB 2011 S. 29 Nr. 8
HFR 2011 S. 799 Nr. 7
KÖSDI 2011 S. 17455 Nr. 6
NJW 2011 S. 2752 Nr. 37
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2011 S. 1766
StB 2011 S. 220 Nr. 7
StBW 2011 S. 490 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2011 S. 481
UR 2011 S. 665 Nr. 17
UStB 2011 S. 206 Nr. 7
WPg 2011 S. 792 Nr. 16
IAAAD-83208