BVerwG Beschluss v. - 4 BN 10.09

Leitsatz

Die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets in einem nicht förmlich als Rechtsnorm beschlossenen oder für verbindlich erklärten Regionalplan ist keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO.

Gesetze: VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug: OVG Sachsen-Anhalt, 2 K 235/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin, der gegen die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets für die Rohstoffgewinnung (Hartgestein) im Regionalen Entwicklungsplan für die Planungsregion Magdeburg (REP MD) gerichtet war, als unstatthaft abgelehnt. Die streitgegenständliche Festsetzung stelle keine im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschrift i.S.v. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO dar; sie habe weder in formeller noch in materieller Hinsicht Normcharakter (UA S. 7).

II

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

1.

Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, "ob Festlegungen von besonderem Gewicht eine eingeschränkte Verbindlichkeit haben, die der Normenkontrolle unterliegt".

Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie ist auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres in dem vom Oberverwaltungsgericht entschiedenen Sinn zu beantworten. Die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets in einem nicht förmlich als Rechtsnorm beschlossenen oder für verbindlich erklärten Regionalplan ist keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass in einem Regionalplan enthaltene Ziele der Raumordnung Rechtsvorschriften i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO sind ( BVerwG 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217). Der Bundesgesetzgeber umschreibt den Begriff der Ziele in § 3 Nr. 2 ROG (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 des Raumordnungsgesetzes vom , BGBl. I S. 2986 - im Folgenden: ROG 2008) einheitlich für die Raumordnung im Bund und in den Ländern. Danach handelt es sich um verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Ziele der Raumordnung sind nach § 4 Abs. 1 ROG/ROG 2008 von öffentlichen Stellen bei ihren raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu "beachten"; Bauleitpläne sind gemäß § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung anzupassen. Die Rechtsbindungen, die Ziele der Raumordnung erzeugen, sind in dem Sinne strikt, dass die Adressaten die Ziele zwar je nach Aussageschärfe konkretisieren und ausgestalten, sich über sie aber nicht im Wege der Abwägung hinwegsetzen dürfen ( BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329; Urteil vom a.a.O. S. 223).

Durch diesen Verbindlichkeitsanspruch unterscheiden sich Ziele der Raumordnung von den Grundsätzen der Raumordnung, die nach § 3 Nr. 3 ROG (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG 2008) als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen zu dienen bestimmt sind. Sie sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen in der Abwägung oder bei der Ermessensausübung nach Maßgabe der dafür geltenden Vorschriften lediglich zu "berücksichtigen" (§ 4 Abs. 2 ROG/ROG 2008). Mit dieser Zweiteilung stellt der Gesetzgeber klar, dass Ziele und Grundsätze der Raumordnung unterschiedlichen Normierungskategorien zuzuordnen sind ( BVerwG 4 BN 5.04 - BRS 67 Nr. 45 <S. 195>; BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329).

Grundsätze der Raumordnung, die nicht förmlich als Rechtsverordnung oder Satzung beschlossen oder für verbindlich erklärt worden sind (vgl. zu einem solchen Fall 4 N 08.708 - [...]), sind dagegen keine Rechtsvorschriften i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Auch das ergibt sich bereits aus dem Urteil des Senats vom . Denn der Senat hat die Sache an die Vorinstanz zur Klärung der Frage zurückverwiesen, ob es sich bei den umstrittenen regionalplanerischen Aussagen um Zielfestlegungen und damit um Rechtsvorschriften handelt, die Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein können (a.a.O. S. 219). Insoweit hat er vorausgesetzt, dass die Normenkontrolle nicht statthaft wäre, wenn die umstrittenen regionalplanerischen Aussagen als bloße Grundsätze der Raumordnung zu qualifizieren sein sollten (so auch Beschluss vom a.a.O. S. 195 f.).

§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ROG (§ 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 ROG 2008) ordnet Vorbehaltsgebiete den Grundsätzen und nicht den Zielen der Raumordnung zu. Nach dieser Vorschrift können Festlegungen in Raumordnungsplänen auch Gebiete bezeichnen, in denen bestimmten, raumbedeutsamen Funktionen oder Nutzungen bei der Abwägung mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen besonderes Gewicht beigemessen werden soll (Vorbehaltsgebiete). Vorbehaltsgebiete wirken als Gewichtungsvorgaben auf nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen ein und dürfen - anders als Ziele der Raumordnung - durch öffentliche oder private Belange von höherem Gewicht überwunden werden. Auch das ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt ( BVerwG 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <47 f.>).

Die Gewichtungsvorgabe, die die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets von sonstigen Grundsätzen der Raumordnung unterscheidet, rechtfertigt es nicht, Vorbehaltsgebiete abweichend von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen als Rechtsvorschrift i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu qualifizieren (ebenso Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 97). Die Vorgabe, den im Raumordnungsplan bestimmten Funktionen oder Nutzungen bei der Abwägung ein besonderes Gewicht beizumessen, ist zwar geeignet, die gemeindliche Planungshoheit einzuschränken; das gilt jedoch - in geringerem Ausmaß - auch für sonstige Grundsätze der Raumordnung. Sie sind - wie bereits dargelegt - bei nachfolgenden Abwägungsentscheidungen jedenfalls zu berücksichtigen. Auch dies ist eine Rechtspflicht; sie erweitert die in die Abwägung einzustellenden Belange. Ob sich der zu berücksichtigende Grundsatz im Rahmen der Abwägung gegen andere Belange durchsetzt, hängt von der konkreten Planungssituation ab (Beschluss vom a.a.O. S. 195). Nichts anderes gilt, wenn der Planungsträger verpflichtet wird, einen bestimmten Belang in der Abwägung nicht nur zu berücksichtigen, sondern ihm ein besonderes Gewicht beizumessen. Auch das besondere Gewicht lässt sich nicht abstrakt im Voraus bestimmen. Ob der raumbedeutsamen Funktion oder Nutzung in einem Vorbehaltsgebiet der Vorrang gegenüber anderen Belangen zukommt, hängt ebenfalls von der konkreten Planungssituation ab. Wegen dieser Abwägungsoffenheit fehlt auch dem Vorbehaltsgebiet die Verbindlichkeit, die es rechtfertigt und erfordert, den Begriff der Rechtsvorschrift i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf planerische Festlegungen zu erstrecken, die nicht förmlich als Rechtsnorm beschlossen oder für verbindlich erklärt worden sind.

Vorbehaltsgebiete in nicht als Rechtsnorm beschlossenen Raumordnungsplänen werden durch diese Auslegung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Wird das besondere Gewicht der im Raumordnungsplan bestimmten Funktion oder Nutzung bei der Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens berücksichtigt, kann im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Zulassungsentscheidung als Vorfrage geprüft werden, ob die Festlegung des Vorbehalts wirksam ist. Gleiches gilt, wenn über die Wirksamkeit eines Bebauungsplans, bei dessen Aufstellung die Gewichtungsvorgabe zu berücksichtigen war, zu entscheiden ist.

Aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl EG Nr. 1 156 S. 17) lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde für den Begriff der Rechtsvorschrift i.S.d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nichts herleiten. Unter welchen Voraussetzungen Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht zu gewähren ist, regelt die Richtlinie 2003/35/EG in den genannten Vorschriften nur für Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, für die die Bestimmungen der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG, d.h. der UVP- und der IVU-Richtlinie, über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Um ein Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie oder eine Tätigkeit im Sinne der IVU-Richtlinie geht es im vorliegenden Fall nicht. Der Regionale Entwicklungsplan fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinien, sondern der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl EG Nr. 1 197 S. 30). Den Zugang zu einem Gericht für die Überprüfung von Plänen regelt die Richtlinie 2003/35/EG nicht.

2.

Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

2.1

Die Beschwerde rügt eine Verletzung rechtlichen Gehörs, der gerichtlichen Hinweispflicht und der Grundsätze des fairen Verfahrens, weil das Oberverwaltungsgericht erst in der mündlichen Verhandlung auf die fehlende Rechtsnormqualität der Vorbehaltsgebietsausweisung hingewiesen hat.

Ein Verfahrensmangel liegt darin nicht. Will das Gericht seine Entscheidung auf Rechtsgründe stützen, die im gesamten Verfahren nicht erörtert wurden und auch nicht offensichtlich sind, so ist es seine Pflicht, gemäß § 86 Abs. 3 VwGO die Beteiligten darauf hinzuweisen, damit sie sich dazu äußern und ggf. ihre tatsächlichen Angaben ergänzen können. Findet eine mündliche Verhandlung statt und sind die Beteiligten zu ihr erschienen, so genügt es in der Regel, wenn das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf die bisher nicht erörterten rechtlichen Erwägungen, auf die es seine Entscheidung stützen will, hinweist und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gibt ( BVerwG 5 C 50.70 - BVerwGE 36, 264 <267>; BVerwG 4 BN 1.05 - BRS 69 Nr. 4 <S. 39>). So ist das Oberverwaltungsgericht verfahren. Die Antragstellerin hatte in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, sich zu dem rechtlichen Hinweis zu äußern. Hätte sie sich außerstande gesehen, bereits in der mündlichen Verhandlung abschließend Stellung zu nehmen, hätte sie beantragen können, ihr gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO eine Schriftsatzfrist einzuräumen. Die Beschwerde legt nicht dar, warum der Antragstellerin dies nicht möglich oder zumutbar gewesen sein sollte.

2.2

Die Verfahrensmängel, die die Beschwerde im Übrigen geltend macht, liegen ebenfalls nicht vor.

Die von der Antragstellerin begehrte Verbindung mit dem Verfahren 2 K 256/06 war, nachdem sie in diesem Verfahren die Klage zurückgenommen hatte (S. 5 der Beschwerdebegründung), nicht mehr möglich.

Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht über die bindende Wirkung eines Verweisungsbeschlusses des VG Magdeburg hinweggesetzt. Im vorliegenden Verfahren ist ein Verweisungsbeschluss nicht ergangen. Die Antragstellerin hat den Normenkontrollantrag unmittelbar beim Oberverwaltungsgericht erhoben.

Eine Verweisung des Normenkontrollantrags an das VG Magdeburg kam schon deshalb nicht in Betracht, weil das Oberverwaltungsgericht nicht seine Zuständigkeit, sondern die Statthaftigkeit des Normenkontrollantrags verneint hat.

Das Oberverwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, gemäß Art. 234 EGV eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/35/EG einzuholen. Inwiefern § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts gegen die genannte Richtlinie verstoßen sollte, ist aus den oben dargelegten Gründen nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
XAAAD-24763