BVerwG Beschluss v. - 2 B 80.10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: OVG Schleswig-Holstein, OVG 3 LB 4/10 vom

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Der Kläger steht als Realschullehrer im Dienst des beklagten Landes und wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Berufungsgericht hat sich gemäß § 130b Satz 2 VwGO den Entscheidungsgründen der Vorinstanz mit der Maßgabe angeschlossen, dass der Beklagte im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auf der Grundlage der damals vorliegenden amtsärztlichen Stellungnahmen vom Vorliegen der Voraussetzungen einer dauerhaften Dienstunfähigkeit im Sinne von § 54 Abs. 1 Landesbeamtengesetz Schleswig-Holstein a.F. (LBG SH a.F.) ausgehen durfte. Ergänzend verweist es darauf, dass die amtsärztlichen Stellungnahmen auch "Verweisungstätigkeiten" nach § 54 Abs. 3 LBG SH a.F. ausschlössen. Vom Kläger vorgelegte privatärztliche Befundberichte nähmen keine Bewertung der Dienstfähigkeit des Klägers auf Grund seines gesundheitlichen Allgemeinzustandes vor und könnten daher das auf die Gesamtsituation eines komplexen Beschwerdebildes gestützte amtsärztliche Gutachten nicht in Frage stellen. Alledem entspreche ein in einem Parallelverfahren eingeholtes psychiatrisches Gutachten jedenfalls im Ergebnis.

2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf ( BVerwG 8 B 76.81 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f., stRspr). Daran fehlt es hier.

a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob ärztliche Stellungnahmen, die die Dienstfähigkeit eines Beamten bestätigen, bei Erlass des Widerspruchsbescheides unbeachtlich sind, wenn ein zeitlich der Widerspruchsentscheidung nachfolgendes Gutachten eine Dienstunfähigkeit zum Zeitpunkt der Begutachtung bestätigt,

würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen.

Die Beschwerde entnimmt dem Berufungsurteil zu Unrecht einen diese Frage bejahenden Rechtssatz. Das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung vielmehr den Rechtssatz zugrunde, dass die Frage nach der dauerhaften Dienstunfähigkeit eines Beamten nach den Erkenntnissen der zuständigen Behörde im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen ist. Es stellt daher auf die bis zum Widerspruchsbescheid vorliegenden amtsärztlichen Stellungnahmen ab und erläutert, warum sich aus den vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen nichts anderes ergibt. Der abschließende Hinweis auf das nach dem Widerspruchsbescheid erstellte psychiatrische Gutachten bekräftigt nur das Ergebnis, das sich aus den zum maßgeblichen Zeitpunkt schon vorliegenden amtsärztlichen Stellungnahmen ergibt.

Außerdem hat der Kläger entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht dargelegt, seine Dienstfähigkeit bestätigende ärztliche Stellungnahmen vorgelegt zu haben. Denn die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts, die vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen nähmen keine Bewertung seiner Dienstfähigkeit auf Grund seines gesundheitlichen Allgemeinzustandes vor, wird nicht mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffen.

b) Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage,

unter welchen Voraussetzungen die Einholung eines Sachverständigengutachtens, eines Obergutachtens, erforderlich sei,

ist in der Rechtsprechung geklärt, soweit sie einer generellen, einzelfallunabhängigen Klärung zugeführt werden kann. Ein Obergutachten oder weiteres Gutachten ist hiernach einzuholen, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen konnten, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (vgl. BVerwG 2 B 106.93 - [...] Rn. 2 m.w.N. zur stRspr und BVerwG 2 B 38.09 - [...] Rn. 7 m.w.N.). Damit ist auch geklärt, dass nicht jede Einwendung gegen ein amtsärztliches Gutachten, vielmehr nur die Darlegung von Mängeln der genannten Art zur Einholung eines weiteren Gutachtens oder Obergutachtens verpflichtet.

c) Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass die von ihm angeführte Rechtsfrage,

welche Anforderungen an die Weiterverwendung dienstunfähiger Beamter zu stellen sind,

im Urteil des Senats vom - BVerwG 2 C 73.08 - (BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25) für die § 54 Abs. 3 LBG SH a.F. im Wesentlichen gleichlautende Norm des § 42 Abs. 3 BBG in der Fassung der Bekanntmachung vom geklärt ist, soweit ihre Beantwortung nicht von Umständen des Einzelfalles abhängt. Warum das Landesbeamtenrecht darüber hinausgehenden Klärungsbedarf aufwirft, legt der Kläger nicht dar.

3. Die Revision ist auch nicht wegen einer Divergenz zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f., vom - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 4 und vom - BVerwG 2 B 2.10 - [...] Rn. 9).

a) Eine Divergenz zum BVerwG 1 D 10.05 - (Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 36 und 38) liegt nicht vor.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass das vom Kläger in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG in der vor dem geltenden Fassung auslegt und damit nicht dieselbe Norm betrifft wie das § 54 Abs. 1 LBG SH a.F. interpretierende Urteil des Berufungsgerichts.

Die Beschwerde arbeitet außerdem keinen von den Rechtssätzen des in Bezug genommenen Urteils abweichenden abstrakten Rechtssatz des Berufungsgerichts zutreffend heraus. Den von der Beschwerde behaupteten Rechtssatz, bei der Annahme der Dienstunfähigkeit des Beamten seien den amtsärztlichen Gutachten entgegenstehende privatärztliche Stellungnahmen unbeachtlich, die seine Gesundung vor dem Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung bestätigen, stellt das Berufungsgericht nicht auf. Vielmehr würdigt es die privatärztlichen Befundberichte inhaltlich und stützt seine Entscheidung darauf, dass die amtsärztlichen Stellungnahmen und die privatärztlichen Stellungnahmen den Gesundheitszustand nicht in derselben Bandbreite bewerten, so dass letztere die Überzeugungskraft der ersteren nicht erschüttern könnten.

Die Beschwerde arbeitet weiter den tragenden Rechtssatz der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zutreffend heraus. Denn dieses setzt für einen Vorrang amtsärztlicher vor privatärztlichen Stellungnahmen zum Nachweis der Dienstunfähigkeit eine Identität des bewerteten Krankheitsbildes innerhalb eines identischen Zeitrahmens voraus und stellt daher auch nur für den Fall einer unterschiedlichen Bewertung desselben Krankheitsbildes durch Amts- und Privatarzt besondere Anforderungen an einen Vorrang der amtsärztlichen Stellungnahme auf.

b) Der Kläger legt auch nicht dar, dass das Berufungsurteil auf einer Abweichung von tragenden Rechtssätzen des Urteils des Senats vom - BVerwG 2 C 73.08 - (BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25) beruht.

Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist die Weiterverwendung eines dienstunfähigen Beamten möglich, wenn im Bereich des Dienstherrn in der Zeit, die für einen horizontalen Laufbahnwechsel notwendig ist, ein Dienstposten frei wird, der einem statusrechtlichen Amt gleicher Wertigkeit wie das Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist. Dem Dienstherrn obliegt die Suche nach einer anderweitigen Verwendung für dienstunfähige Beamte.

Das Berufungsgericht geht auf der Grundlage der amtsärztlichen Stellungnahmen davon aus, dass der Kläger gesundheitlich weder den Anforderungen an das Amt eines Lehrers noch den Anforderungen an "Verweisungstätigkeiten" bzw. - wie es klarstellend in der ergänzenden amtsärztlichen Stellungnahme heißt - an Verwaltungstätigkeiten dauerhaft gewachsen ist. Hiervon ausgehend ist weder erkennbar noch von der Beschwerde dargetan, dass der Kläger im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand nach einem horizontalen Laufbahnwechsel auf einem Dienstposten einsetzbar wäre, der einem statusrechtlichen Amt gleicher Wertigkeit wie das Amt des Klägers zugeordnet ist. Liegt es aber auf der Hand, dass eine Weiterverwendung auf einem anderen Dienstposten auch nach einem horizontalen Laufbahnwechsel wegen der konkret in Rede stehenden Gesundheitsbeeinträchtigung nicht in Betracht kommt, dann spricht auch nichts für eine Verletzung der Obliegenheit des Dienstherrn, nach einer anderweitigen Verwendung zu suchen. Vor diesem Hintergrund ist den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts ein von den Grundsätzen der genannten Senatsentscheidung abweichender Rechtssatz nicht zu entnehmen.

3. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die Beschwerde macht geltend, die Vorinstanz habe unter Verletzung ihrer Aufklärungspflicht einem schriftsätzlich gestellten Beweisantrag zur Frage des Nachweises der Dienstfähigkeit des Klägers durch die vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen im Wege der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht stattgegeben.

Es ist weder dargelegt noch aus den Niederschriften der mündlichen Verhandlungen vor den Vorinstanzen ersichtlich, dass ein förmlicher Beweisantrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO in einer mündlichen Verhandlung gestellt worden ist. Ein Gericht verletzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seine Aufklärungspflicht nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die von der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Partei nicht beantragt worden ist, es sei denn, die Beweiserhebung habe sich dem Gericht auch ohne einen solchen Antrag aufgedrängt. Das ist hinsichtlich der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens dann der Fall, wenn das Tatsachengericht zu der Überzeugung gelangen musste, dass die Grundvoraussetzungen nicht gegeben sind, die für die Verwertbarkeit von Gutachten im allgemeinen oder nach den besonderen Verhältnissen des konkreten Falles gegeben sein müssen, weil die vorliegenden Gutachten oder gutachterlichen Stellungnahmen offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, ferner, wenn sich aus ihnen Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit der Gutachter ergeben oder wenn sich herausstellt, dass es sich um eine besonders schwierige Fachfrage handelt, die ein spezielles, bei den bisherigen Gutachtern nicht vorhandenes Fachwissen erfordert (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 2 B 22.98 - [...] Rn. 5 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 11> und vom - BVerwG 2 B 106.93 - [...] Rn. 2 m.w.N.). Derartige Gesichtspunkte legt die Beschwerde nicht dar. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der von der Beschwerde in Bezug genommenen privatärztlichen Stellungnahme. Denn diese kommt nicht zu dem Schluss, dass der Kläger dienstfähig ist, sondern hält fest, dass "eine 50 %ige Dienstfähigkeit zu erwarten" sei, ohne für diese Prognose der zukünftigen Entwicklung allerdings einen konkreten zeitlichen Horizont aufzuzeigen. Durch die Vorlage einer privatärztlichen Stellungnahme dieses Inhalts sind weder grobe Mängel noch Widersprüche des amtsärztlichen Gutachtens aufgezeigt. Die privatärztliche Stellungnahme weist auch keine fehlerhaften Annahmen zu den Grundvoraussetzungen der Prognose des Amtsarztes auf.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG.

Fundstelle(n):
RAAAD-83056