BFH Urteil v. - II R 55/06

Anzeige eines Erwerbsvorgangs statt an die Grunderwerbsteuerstelle an die Körperschaftsteuerstelle

Leitsatz

1. Die Anzeigepflichten gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GrEStG sind nicht erfüllt, wenn der Vertrag über den Erwerbsvorgang statt an die Grunderwerbsteuerstelle des Finanzamts an dessen Körperschaftsteuerstelle gesandt wird. .

2. Der Beginn der vierjährigen Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO setzt die positive Kenntnis von dem Rechtsvorgang bei der für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Organisationseinheit der zuständigen Finanzbehörde voraus

Gesetze: GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 3, GrEStG § 18, GrEStG § 19

Instanzenzug: GE (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) —beide ausländische Kapitalgesellschaften— erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom sämtliche Geschäftsanteile an der grundbesitzenden E-GmbH von der bisherigen Alleingesellschafterin. In § 6 des Vertrages hieß es, die E-GmbH habe Grundbesitz. Der beurkundende Notar übersandte noch im selben Jahr mit formlosem Begleitschreiben eine Ablichtung des Vertrages an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) mit dem Zusatz „Körperschaftsteuerstelle”. In dem Begleitschreiben hieß es unter dem Betreff „E-GmbH”: „In vorbezeichneter Angelegenheit übersende ich Ihnen anliegende beglaubigte Ablichtung des Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrages…zur gefälligen Kenntnisnahme und Bedienung.”

Infolge einer Außenprüfung bei der E-GmbH erfuhr die Grunderwerbsteuerstelle des FA im November 2002 von dem Vorgang und erließ nach Ermittlung des Gesamtrechtsnachfolgers der inzwischen durch Fusion untergegangenen Anteilserwerberin am einen Grunderwerbsteuerbescheid, mit dem es die Steuer gestützt auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes in der 1996 geltenden Fassung (GrEStG) und nach einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 140 v.H. des Einheitswerts für das Grundstück der E-GmbH auf 12 698 € festsetzte. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin Festsetzungsverjährung geltend gemacht hatte, blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, der Anlauf der Festsetzungsfrist sei gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gehemmt gewesen, da weder die Anzeigepflicht des § 18 noch die des § 19 GrEStG erfüllt worden sei. Eine Anzeige nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck liege nicht vor; der Notar habe die Absendung einer solchen Anzeige in seinen Handakten nicht feststellen können. Die Übersendung der Vertragsurkunde im Jahr 1996 habe dem FA noch keine ausreichende Kenntnis von dem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verschafft, da die Vertragsablichtung an die Körperschaftsteuerstelle adressiert worden sei und nicht alle erforderlichen Angaben, die eine Anzeige erübrigt hätten, enthalten habe. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1778 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung der §§ 18 und 19 GrEStG. Sie hält es für unzulässig, aus dem Fehlen des Durchschlags einer vordruckgemäßen Anzeige in den Handakten des Notars zu schließen, eine derartige Anzeige sei nicht erfolgt. Dies könne aber auf sich beruhen, da die Übersendung der Vertragsablichtung einer Anzeige gleichkomme. Sie erfülle die Anforderungen des § 19 Abs. 3 bis 5 GrEStG. Die Urkunde enthalte den ausdrücklichen Hinweis auf den Grundbesitz der E-GmbH. Das FA sei befähigt worden, die Steuerpflicht des Erwerbsvorgangs „nach Grund, Umfang und Höhe” zu prüfen und evtl. Rückfragen zu stellen. Wie sich aus § 19 Abs. 4 GrEStG ergebe, genüge eine Anzeige gegenüber dem FA. Eine Adressierung unmittelbar an die Grunderwerbsteuerstelle verlange das Gesetz nicht. Sollte die Übersendung des Vertrages gleichwohl nicht als Anzeige zu werten sein, hätte das FA durch die Übersendung zumindest anderweitig Kenntnis von dem Erwerbsvorgang erlangt, und zwar so, dass diese Kenntnis den Anlauf der Festsetzungsfrist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenso beeinflusst habe wie eine förmliche Anzeige. Damit sei eine förmliche Anzeige entbehrlich gewesen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den Grunderwerbsteuerbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der angefochtene Steuerbescheid ist materiell-rechtlich zutreffend und noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen.

1. Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung aller Anteile (an) der Gesellschaft begründet, der Steuer. Gegenstand der Besteuerung ist dabei wie bei der Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht der Erwerb der Anteile als solcher, sondern die durch ihn begründete eigenständige Zuordnung der der Gesellschaft gehörenden Grundstücke zum Anteilserwerber (, BFHE 173, 229, BStBl II 1994, 408). Derjenige, der neuer Alleingesellschafter einer grundbesitzenden Gesellschaft wird, wird so behandelt, als gehörten ihm die Grundstücke (, BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121).

Im Streitfall ist der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG erfüllt. Mit dem notariell beurkundeten Vertrag vom hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin einen sogleich erfüllten Anspruch auf Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile an der grundbesitzenden E-GmbH erworben. Die Steuer ist auch zutreffend gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG nach einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 140 v.H. des Einheitswerts des Grundstücks der E-GmbH festgesetzt worden. „Wert des Grundstücks” im Sinne dieser Vorschrift ist gemäß § 10 Abs. 1 GrEStG der Einheitswert, der nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes in der 1996 für die Grunderwerbsteuer noch geltenden Fassung (BewG) auf den dem Erwerbsvorgang unmittelbar vorausgegangenen Feststellungszeitpunkt festgestellt ist. Dieser Einheitswert ist gemäß § 21a BewG i.V.m. § 152 BewG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 vom (BGBl I 1996, 2049) um 40 v.H. zu erhöhen.

2. Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO u.a. dann, wenn eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall war eine Anzeige zu erstatten. Da sie unterblieben ist, begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1999 und endete mit Ablauf des Jahres 2003, so dass der angefochtene Bescheid noch rechtzeitig ergangen ist.

a) Anzeigepflichten bestanden gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG für den beurkundenden Notar und gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GrEStG für die Vertragspartner. Da Letztere untätig geblieben sind, wäre es nur dann nicht zu der dreijährigen Anlaufhemmung für die Festsetzungsfrist gekommen, wenn der Notar mit der Übersendung des Vertrages im Dezember 1996 seiner Anzeigepflicht genügt hätte. Dies ist jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil der Vertrag statt an die Grunderwerbsteuerstelle des FA an dessen Körperschaftsteuerstelle gesandt worden ist. Angesichts dieser Adressierung braucht auf die an Form und Inhalt einer solchen Anzeige nach § 18 Abs. 1 und § 20 GrEStG zu stellenden Anforderungen nicht weiter eingegangen zu werden. Die Adressierung steht auch der Annahme entgegen, das FA habe auf andere Weise als durch eine Anzeige ausreichende Kenntnis von dem Erwerbsvorgang erlangt.

b) Die in den §§ 18 und 19 GrEStG vorgeschriebenen Anzeigen sollen es der zuständigen Finanzbehörde (Abs. 5 bzw. Abs. 4 Satz 1 der Vorschriften) ermöglichen, grunderwerbsteuerrechtlich relevante Erwerbsvorgänge zu ermitteln (so Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 18 Rz 1). Diese Möglichkeit setzt positive Kenntnis von dem Rechtsvorgang voraus. Dies wiederum bedeutet, dass die Kenntnis grundsätzlich bei der für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Organisationseinheit der zuständigen Finanzbehörde vorhanden sein muss. Insofern hat sich an der Rechtslage gegenüber derjenigen, die dem (BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802), das noch zu § 16a des nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes vom (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1970, 612) ergangen ist, nichts geändert (so auch , BFH/NV 2005, 1365, a.E., sowie Pahlke in Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 18 Rz 17; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 16. Aufl. 2007, § 18 Rz 33, letzter Halbsatz). Eine Information, die lediglich potentiell die Möglichkeit für ein Grunderwerbsteuer-Festsetzungsverfahren eröffnet, konkret aber nicht dazu führen kann, da sie lediglich einer anderen Stelle der zuständigen Finanzbehörde vorliegt, die deren grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz aber nicht erkennt, ist kein positives Wissen in diesem Sinne (so BFH-Urteil in BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802).

c) Der gegenteiligen Ansicht des , EFG 2004, 1477) kann nicht gefolgt werden. Der Verweis des Gerichts auf die Rechtsprechung zu § 173 Abs. 1 AO geht fehl. Auch bei der Frage, ob eine Tatsache dem FA nachträglich bekannt geworden ist, kommt es nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalles berufenen Dienststelle an, wobei unter „Dienststelle” die jeweilige Organisationseinheit in der zuständigen Behörde gemeint ist (so , BFHE 187, 292, BStBl II 1999, 223, unter 2.a, sowie vom XI R 8/03, BFHE 202, 544, BStBl II 2003, 803, unter II.4.). Zu Unrecht nimmt das Gericht auf das (BFHE 105, 190, BStBl II 1972, 558), das noch zu § 222 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung ergangen ist, Bezug. Soweit dort ausgeführt wird, die Finanzbehörde müsse sich außer aktenkundigen Tatsachen lediglich die Kenntnis des Finanzamtsvorstehers, des Sachgebietsleiters und des Sachbearbeiters zurechnen lassen, bezieht sich „aktenkundig” auf die Akten der jeweils zuständigen Organisationseinheit und nicht der Behörde insgesamt, wie sich aus der dort zitierten Entscheidung des (BFHE 67, 239, BStBl III 1958, 365) eindeutig ergibt.

d) Soweit die Klägerin vorträgt, es sei nicht schlüssig, aus der Tatsache, dass sich in den Handakten des Notars keine Durchschrift einer förmlichen Anzeige des Erwerbsvorgangs befinde, zu schließen, eine solche Anzeige sei nicht erfolgt, kann dies als Rüge fehlerhafter Tatsachenwürdigung oder als Rüge mangelnder Sachaufklärung verstanden werden. Als Rüge fehlerhafter Tatsachenwürdigung wäre der Vortrag gemäß § 118 Abs. 2 FGO revisionsrechtlich nur dann beachtlich, wenn ihm ein Verstoß des FG gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze zu entnehmen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der vom FG gezogene Schluss auf das Unterlassen einer förmlichen Anzeige ist zwar nicht zwingend, aber durchaus möglich. Als Rüge mangelnder Sachaufklärung führt der Vortrag schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die Klägerin auf die Vernehmung des zunächst benannten Zeugen nach eigenem Bekunden (S. 3 der Revisionsbegründung) verzichtet hat und nicht dargelegt wird, weshalb das FA von sich aus weitere Sachaufklärung hätte betreiben müssen (vgl. zu Letzterem Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl. 2006, § 120 Rz 70).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1876 Nr. 11
DStRE 2008 S. 1481 Nr. 23
HFR 2009 S. 373 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 15
BAAAC-91416