Kein Verstoß von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gegen die Richtlinie 69/335/EWG; keine Vorlagepflicht nach Art. 234 EG im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei der Frage nach der Vereinbarkeit einer Norm mit Gemeinschaftsrecht
Gesetze: GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1;Richtlinie 69/335/EWG
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Aktiengesellschaft (AG), die zu 75 v.H. an der grundbesitzenden A-GmbH (GmbH) beteiligt war. Mit Vertrag vom erwarb die Antragstellerin die restlichen Anteile zu einem Kaufpreis von 1 DM hinzu.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) sieht darin einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG), stellte mit Bescheid vom den Grundstückswert gesondert fest und setzte —auf dieser Grundlage— mit Bescheid vom gegen die Antragstellerin Grunderwerbsteuer in Höhe von ... € und gleichzeitig einen Verspätungszuschlag in Höhe von ... € fest. Gegen alle drei Bescheide ist Einspruch eingelegt worden. Eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwertes ist bisher nicht erfolgt. Die AdV des Grunderwerbsteuerbescheids und des Bescheids über den Verspätungszuschlag haben sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) abgelehnt.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sei wegen Verstoßes gegen die Richtlinie des Rates vom betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital —Richtlinie 69/335/EWG— (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom Nr. L 249, 25) europarechtswidrig. Auch liege im Streitfall eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung durch pauschale Anwendung des Bedarfswertes vor. Schließlich verstoße § 1 Abs. 3 GrEStG auf Grund des tatsächlichen Vollzugsdefizits in vergleichbaren Auslandsfällen gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
II. A) Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die AdV des Bescheids über die gesonderte Feststellung des Grundstückswertes vom betrifft; die AdV dieses Bescheids war nach dem Trennungsbeschluss des nicht Gegenstand der mit der vorliegenden Beschwerde angegriffenen Entscheidung des FG.
B) Die Beschwerde im Übrigen ist unbegründet.
1. Die Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte ist nicht auszusetzen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder —im Streitfall nicht einschlägig— die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung auf Grund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 113/02, BFHE 199, 32, BStBl II 2002, 777, und vom IX B 60/03, BFHE 202, 557, BStBl II 2003, 945, m.w.N.). Vorliegend hat der Senat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
2. a) Eine Pflicht des BFH, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gegen Europarecht verstoße, nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorzulegen, besteht im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 FGO im Hinblick auf die nur summarische und damit noch nicht endgültige Klärung der streitigen Rechtsfragen nicht (BFH-Beschlüsse vom I B 108/97, BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558, sowie vom II B 120/04, BFHE 208, 451, BStBl II 2005, 370).
Für die Entscheidung über die AdV hat der BFH eigenständig, allerdings auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, zu prüfen, ob für den Streitfall § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gegen die Richtlinie 69/335/EWG verstößt.
b) § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verstößt insoweit, als der rechtsgeschäftliche Erwerb von Anteilen einer Gesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, nach Maßgabe der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift Grunderwerbsteuer auslöst, nicht gegen die Richtlinie 69/335/EWG.
Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer Gesellschaft begründet, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, wenn durch die Übertragung mindestens 95 v.H. der Anteile an dieser Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen vereinigt werden würden. Die Steuerpflicht wird allein durch den Erwerb des letzten Anteils ausgelöst. Dabei ist der Vorgang, der zum Erwerb dieses Anteils führt, zwar das die Steuer auslösende Moment; Gegenstand der Steuer ist jedoch nicht der Anteilserwerb als solcher, sondern die durch ihn begründete Zuordnung aller Anteile in einer Hand. Mit dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (, BFHE 195, 427, BStBl II 2002, 156, und vom II R 23/00, BFH/NV 2003, 505).
Der rechtsgeschäftliche Erwerb des letzten Anteils, der im oben genannten Sinne die Steuerpflicht auslöst, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 69/335/EWG. Diese erfasst die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital und auf Vorgänge im Zusammenhang mit dieser Kapitalzufuhr; hierzu gehören: Die Gesellschaftsteuer auf die Einbringungen in Gesellschaften sowie die Wertpapiersteuer auf inländische Anleihepapiere und die bei der Einführung oder Emission von Wertpapieren ausländischer Herkunft auf dem Binnenmarkt erhobene Wertpapiersteuer (Erwägungen zur Richtlinie 69/335/EWG; Begründung zum Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, BTDrucks IV/2887 unter I. Allgemeine Erwägungen; vgl. auch Baumgarten, Europarecht und Gesellschaftsteuer, 1983, 48 ff.). Da der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch eine Gesellschaft alleine nicht zur Erhöhung des Gesellschaftskapitals und zur Stärkung des Wirtschaftspotentials führt (vgl. , Slg. 1991, I-257), fällt dieser Vorgang nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 69/335/EWG (EuGH-Schlussanträge des Generalanwalts vom C-236/97, Slg. 1998, I-8679). Tatbestandlich liegt bei einem solchen Erwerb weder einer der in Art. 10 i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 69/335/EWG genannten Vorgänge noch —im Lichte der Erwägungen zur Richtlinie 69/335/EWG— ein Handel mit Wertpapieren i.S. des § 11 lit. a dieser Richtlinie.
c) Ein Erwerb im vorgenannten Sinne ist vielmehr ein steuerbarer Vorgang im Sinne des Vorschlags einer Richtlinie über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren (vgl. BTDrucks 7/5082). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Richtlinienvorschlags besteht „ein steuerbares Geschäft in der Veräußerung oder in dem Erwerb von Wertpapieren gegen Entgelt, wenn das Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft in einem Mitgliedstaat oder von einem Ansässigen eines Mitgliedstaates in einem Drittland abgeschlossen wird. Jede Veräußerung und jeder Erwerb von Wertpapieren stellt einen besonderen steuerbaren Vorgang dar”.
Die vorgenannte Richtlinie ist nicht in Kraft gesetzt worden. Daher stellt sich die Frage nicht, ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gegen sie verstößt. Nach dem Richtlinienvorschlag wäre die Vorschrift im Übrigen zulässig. Nach dessen Art. 10 Abs. 2 lit. b sind Besitzwechselsteuern auf Grundstücke zulässig, „wenn der Erwerber infolge von Geschäften mit Beteiligungspapieren an Gesellschaften, Fonds, Vereinigungen oder anderen juristischen Personen, deren Vermögen ganz oder teilweise aus in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Grundstücken besteht, das gesamte Vermögen oder eine solche Stellung erlangt, dass er diese Gesellschaften, Fonds, Vereinigungen oder sonstigen juristischen Personen beherrscht. In diesem Fall wird die Besitzwechselsteuer nur auf den entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Wert der Grundstücke erhoben” (vgl. auch Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren KOM(87) 139 endg., BRDrucks 203/87).
3. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verstößt bei summarischer Prüfung nicht auf Grund eines —wie die Antragstellerin vorträgt— tatsächlichen Vollzugsdefizits in vergleichbaren Auslandsfällen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet eine in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlichen auf Ineffektivität angelegten Rechts (, BGBl I 2004, 591, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2004, 471).
Ein solches normatives Defizit für § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG liegt nicht vor; eine strukturell gegenläufige Erhebungsregel gibt es nicht. Die Finanzverwaltung ist bei Sachverhalten mit Auslandsberührung —wie auch die Vorschrift des § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zeigt— generell auf eine erhöhte Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. Auch kann sie zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Anspruch nehmen (vgl. § 117 Abs. 1 AO 1977). Verbleibende Vollzugsdefizite bei steuerlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung folgen aus den Grenzen der nationalstaatlichen Souveränität. Dies vermag der deutsche Gesetzgeber nicht zu verändern; es kann ihm deswegen auch nicht als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung angelastet werden (vgl. , BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499). Die aus der Auslandsberührung eines steuerlichen Sachverhalts folgenden Vollzugsdefizite führen auch nicht dazu, dass im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann.
4. Schließlich folgt im Streitfall auch keine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung daraus, dass als Bemessungsgrundlage der Bedarfswert zu Grunde zu legen ist und nicht die Gegenleistung für den Anteilserwerb.
Nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG bemisst sich in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die Steuer nach den Grundbesitzwerten i.S. des § 138 Abs. 2 und 3 des Bewertungsgesetzes. Die Besteuerung der Anteilsvereinigung ersetzt die Besteuerung des Eigentumsübergangs. Die Grunderwerbsteuer wird deshalb für die wirtschaftliche Einheit des ganzen Grundstücks erhoben (Boruttau/Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 15. Aufl. 2002, § 8 Rn. 83). Die Bemessungsgrundlage bildet damit sachgerecht den objektiven Steuertatbestand ab, wonach grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt wird, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (BFH-Urteile in BFHE 195, 427, BStBl II 2002, 156, und in BFH/NV 2003, 505). Dagegen wäre das Anknüpfen der Besteuerung an die Gegenleistung für den Erwerb der Gesellschaftsanteile nicht sachgerecht. Denn bei der Anteilsvereinigung betrifft eine etwaige Gegenleistung nur die zuletzt hinzu erworbenen Anteile, so dass eine auf das ganze Grundstück bezogene Gegenleistung weder ersichtlich ist (Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, 3. Aufl. 2005, § 8 Rn. 93; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl. 2004, § 8 Rn. 43) noch den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspräche. An einem solchen nicht sachgerechten Maßstab kann aber das Übermaß einer Besteuerung nicht gemessen werden.
Soweit der Antragsteller die Höhe des Grundstückswertes angreift, ist er auf das Feststellungsverfahren zu verweisen und —soweit gesetzlich zugelassen— auf die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
5. Die Entscheidung des FG, die Vollziehung des Bescheids über den Verspätungszuschlag nicht auszusetzen, ist nicht zu beanstanden. Bei summarischer Prüfung ist es nicht ernstlich zweifelhaft, dass das FG sein Ermessen bei der Versagung der AdV dieses Bescheids fehlerfrei ausgeübt hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 612 Nr. 3
DStRE 2006 S. 350 Nr. 6
UVR 2006 S. 138 Nr. 5
RAAAB-76203