BFH Beschluss v. - IX B 171/03

Versagung rechtlichen Gehörs durch Sachentscheidung des FG

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, § 115

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreites an das Finanzgericht —FG— (§ 116 Abs. 6 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Zu Recht machen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend, die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO lägen vor. Das angefochtene Urteil verletzt ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—), weil das FG zur Sache mündlich verhandelt und entschieden hat, obwohl ihre Prozessbevollmächtigten am Tag der mündlichen Verhandlung wegen Erkrankung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts sowie wegen Verhinderung anderer Mitglieder der Sozietät eine Verlegung des Termins beantragt haben.

a) Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der ZivilprozessordnungZPO—). Zu diesen erheblichen Gründen gehört auch die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten (vgl. , BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, m.w.N.).

Die erheblichen Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO sind nur „auf Verlangen” des Vorsitzenden geltend zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Daher kann eine Terminsverlegung nicht allein wegen Fehlens eines ärztlichen Attestes verweigert werden, wenn das Gericht einige Tage Zeit zur Prüfung eines dahin gehenden Antrags hat und seinerseits keine Glaubhaftmachung der Erkrankung verlangt (, BFH/NV 1995, 46); aufgrund des Schweigens des Gerichts dürfen die Beteiligten dann darauf vertrauen, dass ihre tatsächlichen Angaben nicht bezweifelt werden. Anders liegen die Verhältnisse indessen, wenn der Antrag auf Terminsverlegung —wie im Streitfall am Sitzungstag— „in letzter Minute” gestellt wird und dem Gericht keine Zeit für Maßnahmen gemäß § 227 Abs. 4 ZPO verbleibt. Dann müssen die Beteiligten mit einer Prüfung ihres Antrags unter jedem in Frage kommenden Gesichtspunkt rechnen und von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag ggf. auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. Notwendig ist in derartigen eiligen Fällen daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder zumindest eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (BFH-Beschlüsse vom X B 58/99, BFH/NV 2000, 441; vom IV B 90/97, BFH/NV 1999, 799).

b) Kann der Prozessbevollmächtigte wegen Krankheit einen anberaumten Termin nicht wahrnehmen, so ist das Gericht gleichwohl nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht des Klägers —wie im Streitfall— auf eine Sozietät ausgestellt ist und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (BFH-Beschlüsse vom X B 23/96, BFH/NV 1998, 726, 727; vom I B 3/98, BFH/NV 1999, 626). Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter müssen, sofern sie nicht offenkundig sind, im Einzelnen vorgetragen werden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 726; in BFH/NV 1999, 626); ohne einen solchen Vortrag darf das Gericht von dem Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen „erheblicher Gründe” für eine Terminsverlegung verneinen (, BFH/NV 2004, 1282).

2. Nach diesen Grundsätzen hätte das FG nicht in der Sache entscheiden dürfen.

Zwar enthielt der von den Bevollmächtigten der Kläger —am Sitzungstag— eingereichte schriftliche Antrag auf Terminsverlegung lediglich den nicht näher erläuterten Hinweis auf eine „kurzfristige Erkrankung”.

Das FG hätte jedoch seine Entscheidung über die Ablehnung einer Terminsverlegung nicht nur auf dieses Schreiben gründen dürfen. Vielmehr hätte es den Inhalt des fernmündlichen Gesprächs zwischen dem Büro der Prozessbevollmächtigten der Kläger einerseits und der Geschäftsstelle des FG andererseits am Morgen des Sitzungstages berücksichtigen müssen, wonach lt. Vermerk der Geschäftsstelle „der zuständige Rechtsanwalt eine Magen- und Darmkrankheit hat und” „ein anderer Rechtsanwalt auch nicht zur Verfügung stände”.

Hätte die Geschäftsstelle diesen Vermerk dem entscheidenden Einzelrichter vorgelegt, hätte er die geltend gemachte Krankheit wie auch die Verhinderung anderer Anwälte der Sozietät ersichtlich als hinreichend glaubhaft gemacht ansehen und den anberaumten Termin antragsgemäß verlegen müssen.

Dies unterlassen zu haben, ist ein Verfahrensmangel (Versagung rechtlichen Gehörs, § 119 Nr. 3 FGO), auf dem das Urteil des FG beruht. Dabei ist es nach der BFH-Rechtsprechung unerheblich, dass der entscheidende Richter die Nichtvorlage des Vermerks nicht zu vertreten hat. Ein Verfahrensmangel setzt nämlich kein schuldhaftes Verhalten im richterlichen Bereich voraus (s. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 222). Ein objektiver Verstoß gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts reicht aus. Eine Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO), liegt somit auch vor, wenn das Gericht einen Schriftsatz eines Verfahrensbeteiligten —oder wie im Streitfall einen seinen Vortrag betreffenden Telefonvermerk— bei der Entscheidung nicht berücksichtigt, weil dieser aufgrund eines Versehens oder einer Überlastung der Post- oder Geschäftsstelle des FG dem Richter nicht rechtzeitig vorgelegt worden ist (vgl. , BFH/NV 2002, 671, m.w.N.).

3. Das angefochtene Urteil war gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1578 Nr. 9
DAAAB-56101