Vorläufige Steuerfestsetzung im Hinblick auf anhängige Musterverfahren (§ 165 Abs. 1 AO), Ruhenlassen von außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 363 Abs. 2 AO); Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften und der Vorschrift über den Haushaltsfreibetrag
Bezug: BStBl 2003 I S. 338
Bezug: BStBl 2003 I S. 482
Der Zweite Senat des – entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Fassung mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist, soweit die Vorschrift Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betrifft. Das Gericht hat aber auch festgestellt, dass der Befund eines strukturellen Vollzugsdefizits sich nicht ohne weiteres auf die Folgejahre übertragen lässt, weil sich die einfachgesetzliche Lage mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 deutlich gewandelt hat.
Ferner ist nach den Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom (BStBl 2004 I S. 120) § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2004 nicht mehr anwendbar.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:
1. Einkommensteuerfestsetzungen für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998
In anhängigen außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ist – bei Zulässigkeit des Rechtsbehelfs – ein Änderungsbescheid zu erlassen und eine Besteuerung der Einkünfte aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften rückgängig zu machen. Entsprechendes gilt, falls die Einkommensteuerfestsetzung einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften enthält. Bestandskräftige Einkommensteuerbescheide können aufgrund des nicht geändert werden (§ 79 Abs. 2 BVerfGG); der gesetzliche Ausschluss der Änderungsmöglichkeit verbietet die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO. Es besteht aber ein Vollstreckungsverbot hinsichtlich der auf die Einkünfte aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften entfallenden Steuer (§ 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 79 Abs. 2 BVerfGG). Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf der vom BVerfG für nichtig erklärten EStG-Vorschrift beruht, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der StPO zulässig (§ 79 Abs. 1 BVerfGG).
2. Einkommensteuerfestsetzungen für die Veranlagungszeiträume ab 1999
Einkommensteuerfestsetzungen sind nicht mehr hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sowie hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus Termingeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG vorläufig durchzuführen. Die Nummern 2 und 3 der Anlage zum (BStBl 2003 I S. 338), zuletzt neu gefasst durch (BStBl 2003 I S. 482), werden daher mit sofortiger Wirkung gestrichen. Die bisher vorläufig durchgeführten Festsetzungen der Einkommensteuer sind insoweit für endgültig zu erklären.
Es besteht keine Veranlassung mehr, Einsprüche, die die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bzw. aus Termingeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG betreffen, ruhen zu lassen. Eine Aussetzung der Vollziehung kommt insoweit nicht mehr in Betracht. Bisher bewilligte Vollziehungsaussetzungen sind zu widerrufen; in Fällen, in denen die Finanzgerichte oder der BFH nach § 69 Abs. 3 FGO Aussetzung der Vollziehung gewährt haben, ist nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO die Aufhebung des Vollziehungsaussetzungsbeschlusses zu beantragen. Ferner sind nach Maßgabe des § 237 AO Aussetzungszinsen festzusetzen.
3. Neufassung der Anlage zum
Die Anlage zum (BStBl 2003 I S. 338), zuletzt neu gefasst durch (BStBl 2003 I S. 482), wird mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:
„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte vorläufig vorzunehmen:
Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)
Anwendung des § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) für die Veranlagungszeiträume 2002 and 2003
Anwendung des § 32c EStG für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 2000
Anwendung des Mindeststeuersatzes bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG).
In den Fällen der Nummer 1 ist auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, soweit strittig ist, ob der zusammenveranlagten Ehegatten für Vorsorgeaufwendungen zustehende Vorwegabzug (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG) um 16 v.H. des Arbeitslohns des Ehegatten zu kürzen ist, für den keine Zukunftssicherungsleistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden und der auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört ( BStBl 2003 II S. 708).
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen mit einer Günstigerprüfung nach § 31 EStG beizufügen. Er umfasst sowohl die Frage, ob die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags (§ 32 Abs. 7 EStG) verfassungswidrig ist, als auch die Frage, ob § 32 Abs. 7 EStG Ehegatten in verfassungswidriger Weise benachteiligt.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 3 ist auch Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften beizufügen. Abweichend von Abschnitt IV ist auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, soweit in dem angefochtenen Bescheid die einem Organträger zugerechneten Einkommen oder Einkommensteile der Organgesellschaft nicht in die Tarifbegrenzung nach § 32c EStG einbezogen worden sind (BFH Beschlüsse vom , BStBl 1998 II S. 608, und vom , BStBl 2003 II S. 661).
In den Fällen der Nummer 4 kann nach Maßgabe des (BStBl 2001 I S. 594) in anhängigen Rechtsbehelfsverfahren auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung gewährt werden.
Soweit in den vorgenannten Fällen eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt, sind abweichend von Abschnitt II 2 einschlägige Einsprüche nicht zurückzuweisen, sondern ruhen zu lassen, falls nicht der Steuerpflichtige ausdrücklich eine Einspruchsentscheidung begehrt.„
BMF v. - IV D 2
-S 0338 - 11/04
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2004 I Seite 361
CAAAB-17567