BMF - IV D 2 -S 0338 - 38/03 BStBl 2003 I S. 338

§ 165 AO Vorläufige Steuerfestsetzung im Hinblick auf anhängige Musterverfahren (§ 165 Abs. 1 AO); Ruhenlassen von außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§ 363 Abs. 2 AO)

Wegen der großen Zahl von Rechtsbehelfen, die im Hinblick auf anhängige Musterverfahren eingelegt werden, gilt unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder im Interesse der betroffenen Bürger und eines reibungslosen Verfahrensablaufs Folgendes:

I. Vorläufige Steuerfestsetzungen

1. Erstmalige Steuerfestsetzungen

Erstmalige Steuerbescheide sind hinsichtlich der in der Anlage zu diesem Schreiben aufgeführten Punkte nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig zu erlassen.

In die Bescheide ist folgender Erläuterungstext aufzunehmen:

”Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich

....

Die Vorläufigkeitserklärung erfasst nur die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Sie erfolgt aus verfahrenstechnischen Gründen und ist nicht dahin zu verstehen, dass die Regelungen als verfassungswidrig oder als gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßend angesehen werden. Änderungen dieser Regelungen werden von Amts wegen berücksichtigt; ein Einspruch ist insoweit nicht erforderlich.”

2. Geänderte Steuerfestsetzungen

Bei Änderungen von Steuerfestsetzungen, die noch nicht nach Nr. 1 vorläufig ergangen sind, ist wie folgt zu verfahren:

a)

Werden Steuerfestsetzungen nach § 164 Abs. 2 AO geändert oder wird der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 AO aufgehoben, sind die Steuerfestsetzungen im selben Umfang wie erstmalige vorläufig vorzunehmen. In die Bescheide ist derselbe Erläuterungstext wie bei erstmaligen Steuerfestsetzungen aufzunehmen.

b)

Werden Steuerfestsetzungen nach anderen Vorschriften geändert oder berichtigt, ist die Vorläufigkeitserklärung nur bei Korrekturen zuungunsten des Steuerpflichtigen vorzunehmen, soweit die Änderung reicht.

In die Bescheide ist folgender Erläuterungstext aufzunehmen:

”Die Festsetzung der Einkommensteuer ist im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesfinanzhof bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängige Verfahren vorläufig hinsichtlich

....

Die Vorläufigkeitserklärung erfasst nur die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Die Festsetzung ist nur vorläufig, soweit die Änderung reicht. Dies gilt auch, wenn die Festsetzung gegenüber der vorangegangenen in weiteren Punkten vorläufig ist. Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt aus verfahrenstechnischen Gründen und ist nicht dahin zu verstehen, dass die Regelungen als verfassungswidrig oder als gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßend angesehen werden. Änderungen dieser Regelungen werden von Amts wegen berücksichtigt; ein Einspruch ist insoweit nicht erforderlich.”

3. Endgültigkeitserklärung

Nach Beseitigung der Ungewissheit ist die vorläufige Steuerfestsetzung innerhalb der zweijährigen Frist des § 171 Abs. 8 Satz 2 AO nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist (§ 165 Abs. 2 Satz 3 AO).

II. Einspruchsfälle

Zulässige Einsprüche sind wie folgt zu behandeln:

  1. Einspruchsverfahren gegen Steuerfestsetzungen, die noch nicht nach Abschnitt I vorläufig ergangen sind, können weiter (stillschweigend) ruhen. Wird eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Abschnitt I begehrt, soll dem Einspruch insoweit abgeholfen werden. Dies gilt entsprechend bei einem rechtzeitig gestellten Antrag auf schlichte Änderung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO).

  2. Wird gegen eine nach Abschnitt I vorläufig ergangene Steuerfestsetzung Einspruch eingelegt und zur Begründung auf die im Bescheid aufgeführten Vorläufigkeitsgründe verwiesen oder richtet sich der Einspruch gegen die vorläufige Festsetzung, ist der Einspruch zurückzuweisen.

III. Rechtshängige Fälle

In Fällen, in denen Verfahren bei einem Finanzgericht oder beim Bundesfinanzhof anhängig sind, sind rechtzeitig vor der Entscheidung des Gerichts die Steuerfestsetzungen hinsichtlich der in der Anlage zu diesem Schreiben aufgeführten Punkte entsprechend Abschnitt I vorläufig vorzunehmen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a AO in Verbindung mit § 132 AO). Dies gilt nicht, wenn die Klage oder das Rechtsmittel unzulässig ist oder die Klage sich gegen eine Einspruchsentscheidung richtet, in der der Einspruch als unzulässig verworfen ist. Ist Gegenstand des Verfahrens ein Änderungsbescheid, gilt dies unter den Voraussetzungen des Abschnitts I Nr. 2 Buchst. b), soweit die Änderung reicht. Die geänderte Steuerfestsetzung wird nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens.

IV. Aussetzung der Vollziehung

Soweit Rechtsbehelfe mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der in der Anlage zu diesem Schreiben aufgeführten Punkte begründet werden, kommt eine Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide nicht in Betracht, sei es, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht bestehen, sei es, weil das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung gegenüber Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes höher zu bewerten ist.

Dieses Schreiben tritt an die Stelle der (BStBl 1995 I S. 264) und vom (BStBl 2003 I S. 23 S.)

Anlage

Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte vorläufig vorzunehmen:

  1. Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)

  2. Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG für Veranlagungszeiträume ab 2000

  3. Besteuerung der Einkünfte aus Termingeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 für Veranlagungszeiträume ab 2000

  4. Anwendung des § 32c EStG für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 2000

  5. Anwendung des Mindeststeuersatzes bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG).

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß den Nummern 2 und 3 ist Einkommensteuerbescheiden nur beizufügen, wenn die Summe der im Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bzw. aus Termingeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG positiv ist; Bescheiden über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 9 in Verbindung mit § 10d Abs. 4 EStG ist er nicht beizufügen. Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 4 ist auch Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften beizufügen. In den Fällen der Nummer 5 kann nach Maßgabe des (BStBl 2001 I S. 594) in anhängigen Rechtsbehelfsverfahren auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung gewährt werden.

BMF v. - IV D 2 -S 0338 - 38/03


Fundstelle(n):
BStBl 2003 I Seite 338
KAAAA-80899