BFH Urteil v. - IX R 9/03 BStBl 2004 II S. S. 225

Tatbestandsmerkmal „Wohnzwecken dienen” im Falle des sog. betreuten Wohnens

Leitsatz

Eine Eigentumswohnung, die in der Wohnform des „betreuten Wohnens„ genutzt wird, dient regelmäßig Wohnzwecken i.S. des § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.V.m. § 7 Abs. 5a EStG, § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.

Gesetze: EStG § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. aEStG § 7 Abs. 5aEStG 1997 § 9a Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug: (EFG 2003, 837),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute und Miteigentümer einer im Jahr 1995 erworbenen Eigentumswohnung in einer Wohnanlage, die nur im Rahmen der Wohnform „Betreutes Wohnen für Senioren„ genutzt werden darf. Die Wohnanlage enthält u.a. einen Mehrzweckraum mit Cafeteria, Gruppenräume, einen Werkraum und ein Gästeappartement. Die Kläger vermieteten die Wohnung zum Zwecke des „betreuten Wohnens für Senioren„ an die B-GmbH, die die Wohnung nur an nutzungsberechtigte Personen untervermieten sollte. Im Streitjahr (1997) stand die Wohnung leer. Der Mietzins betrug 885,42 DM pro Monat. Zusätzlich übernahm die B-GmbH für den Vermieter vertragsgemäß sämtliche Nebenkosten sowie die Vergütung des C für die Grundleistungen im Rahmen des „betreuten Wohnens„.

In Verträgen mit den Endnutzern verpflichtete sich die B-GmbH als Serviceverpflichtete über die Überlassung der Wohnung hinaus gegen Zahlung einer Pauschale zur Bereitstellung der Gemeinschaftsräume und zu seniorenspezifischen Serviceleistungen, die von C erbracht wurden. Die sog. Grundleistungen umfassten u.a. die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Beratungs- und Vermittlungsbüros für die Bereiche allgemeine Beratung, Administration, häusliche Unterstützung, pflegerische und medizinische Betreuung und Freizeit/Gemeinschaftseinrichtungen. Pflege und Versorgung der Endmieter waren dagegen nicht Gegenstand der Grundleistungen; sie wurden von der B-GmbH durch C als Wahlleistungen angeboten, waren vorrangig von C anzufordern und mit C abzurechnen.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Wohnung die von der B-GmbH gezahlten Mieten als Einnahmen und machten u.a. eine Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 7 v.H. der Anschaffungskosten der Wohnung und den Werbungskostenpauschbetrag des § 9a Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl I 1997, 821 —EStG a.F.—) als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte lediglich AfA gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Höhe von 2 v.H. der Anschaffungskosten, da die an die B-GmbH vermietete Wohnung nicht Wohnzwecken diene.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es vertrat in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 837 veröffentlichten Entscheidung die Auffassung, dass die Wohnung Wohnzwecken diene, da nach der zwischen der B-GmbH und den Endnutzern zu treffenden Nutzungsvereinbarung die Wohnung dem Endnutzer auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft gewähre. Auf eine Überlagerung durch Serviceleistungen komme es nicht an.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Räume dienten nur dann Wohnzwecken, wenn die Überlassung von Wohnräumen nicht —wie im Streitfall— von damit verbundenen Dienstleistungen überlagert werde. Das FG habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sich der Endnutzer nicht nur des Wohnens wegen in den Räumlichkeiten aufhalte, sondern um die Serviceleistungen der Wohnform „Betreutes Wohnen„ in Anspruch nehmen zu können. Nur hierdurch erkläre sich der erheblich über dem ortsüblichen Niveau liegende Mietpreis. Ginge es dem Endnutzer allein oder vorrangig um die Verfügbarkeit von Wohnraum, so könnte er dieses Bedürfnis weitaus kostengünstiger befriedigen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Eigentumswohnung der Kläger Wohnzwecken im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.V.m. § 7 Abs. 5a EStG, § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. dient. Die Feststellungen des FG reichen allerdings nicht aus, um zu beurteilen, ob dies auch für den Miteigentumsanteil der Kläger am gemeinschaftlichen Eigentum (§ 1 Abs. 2, Abs. 5 des Wohnungseigentumsgesetzes) gilt; ebenfalls kann nicht beurteilt werden, ob Zahlungen der B-GmbH für die auf die Wohnung der Kläger entfallenden Nebenkosten und für die Grundleistungen im Rahmen des „betreuten Wohnens„ neben den vom FG festgestellten Einnahmen der Kläger aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen sind.

1. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG können bei im Inland gelegenen Gebäuden, die vom Steuerpflichtigen u.a. aufgrund eines nach dem und vor dem rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrages bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung angeschafft worden sind, im Jahr der Fertigstellung und in den folgenden drei Jahren jeweils 7 v.H. der Anschaffungskosten als AfA abgezogen werden, soweit die Gebäude Wohnzwecken dienen. Diese Regelung ist gemäß § 7 Abs. 5a EStG u.a. auf Eigentumswohnungen entsprechend anzuwenden. Darüber hinaus konnte im Streitjahr nach § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. von den Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung von Gebäuden für Werbungskosten ein Pauschbetrag von 42 DM pro Quadratmeter Wohnfläche abgezogen werden, soweit sie Wohnzwecken dienen.

a) Eine Eigentumswohnung dient Wohnzwecken i.S. des § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.V.m. § 7 Abs. 5a EStG, § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F., wenn sie dazu geeignet und bestimmt ist, Menschen auf Dauer Aufenthalt und Unterkunft zu ermöglichen (vgl. , BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66 unter II.1.a zu § 7 Abs. 5 Satz 2 EStG 1990; vom IX R 23/01, nicht veröffentlicht, zu § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F., m.w.N.). Dies setzt die Eignung der betreffenden Räume zur eigenständigen Haushaltsführung und die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft der Bewohner über sie voraus. Räume, die Wohnzwecken dienen, müssen überdies als Mindestausstattung eine Heizung, eine Küche, ein Bad und eine Toilette enthalten (vgl. u.a. , BFH/NV 2002, 1158; vom X R 119/97, BFH/NV 2002, 320; vom X R 66/95, BFHE 190, 130, BStBl II 2000, 61, jeweils zu § 10e EStG; vgl. auch , Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 448.3, § 7a USG Nr. 5, m.w.N.; siehe auch , BFHE 183, 104, BStBl II 1997, 611).

b) Eine Eigentumswohnung, die in der Wohnform des „betreuten Wohnens„ genutzt wird, dient regelmäßig Wohnzwecken i.S. des § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.V.m. § 7 Abs. 5a EStG, § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. Dies folgt unmittelbar aus dem Gesetzeszweck des § 7 Abs. 5 EStG, das Angebot auf dem Wohnungsmarkt zu verstärken und eine verbesserte Versorgung mit Mietwohnungen zu erreichen (BTDrucks 11/4688, S. 10; BFH-Urteil in BFHE 191, 502, BStBl II 2001, 66), sowie der Anwendbarkeit des § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. auf Einnahmen aus der Vermietung von Wohngebäuden bzw. Eigentumswohnungen zu Wohnzwecken (BTDrucks 13/901, S. 132 zu Nr. 11). Diese Gesetzeszwecke werden unabhängig davon erreicht, ob und in welchem Umfang der Bewohner in den als förderungswürdig eingestuften Räumen neben dem Wohnen weitere Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Infolgedessen ist das Merkmal „Wohnzwecken dienen„ nicht nach Maßgabe der Grundsätze zur Auslegung des § 4b des Investitionszulagengesetzes a.F. auszulegen, nach denen im Hinblick auf die beschäftigungsfördernde Zielsetzung jener Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich von einem Überlagern der Wohnnutzung durch die Erbringung wesentlicher Dienstleistungen auszugehen ist (s. dazu , BFHE 168, 496, BStBl II 1992, 1044); aus demselben Grund ist auch die am Leistungsaustausch orientierte Auslegung des § 9 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes a.F., die Wohnzwecke dürften trotz der Betreuung und Pflege des Bewohners eine nicht nur untergeordnete Bedeutung haben (s. dazu , BFHE 172, 141, BStBl II 1994, 266 unter II.2.b bb, für den Anwendungsbereich der Regelungen in § 7 Abs. 5 EStG und § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG ohne Bedeutung.

Diese Grundsätze gelten nicht nur in dem Fall, dass solche Leistungen erst im Zuge sich verändernder Lebensbedürfnisse nach Bezug der Räume in Anspruch genommen werden, sondern auch für das Konzept des gesetzlich nicht definierten sog. „betreuten Wohnens„ (vgl. Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 9. Aufl., § 1 Rz. 15), nach dem der Bewohner seinen Haushalt so lange wie möglich und weitestgehend selbständig führt, aber bereits bei Bezug der Wohnung Leistungen in Anspruch nimmt.

c) Für unselbständige Gebäudeteile, die keine selbständigen Wirtschaftsgüter sind, scheidet eine gesonderte AfA aus; sie nehmen einheitlich an der AfA des Gebäudes teil, wenn sie nicht besonderen, außerhalb des Nutzungs- und Funktionszusammenhangs des Gebäudes stehenden Zwecken dienen (vgl. , BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132 unter C.II.2.c; , BFHE 170, 547, BStBl II 1993, 544). Stehen Gebäudeteile dagegen in verschiedenen Nutzungs- und Funktionszusammenhängen, so sind sie jeweils selbständige Wirtschaftsgüter (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss in BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132 unter C.II.3.d; , BFHE 188, 299, BStBl II 1999, 589), die hinsichtlich der AfA getrennt zu beurteilen sind (vgl. , BFHE 178, 425, BStBl II 1996, 131).

2. Zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gehören nicht nur die für die Überlassung eines Gegenstandes gezahlten Miet- oder Pachtzinsen, sondern auch alle sonstigen Entgelte, die in einem objektiven wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit der Einkunftsart stehen und damit durch sie veranlasst sind; Nebenentgelte sind durch das jeweilige Mietverhältnis veranlasst und gehören auch dann zu den steuerpflichtigen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, wenn sie Werbungskosten ersetzen (, BFHE 190, 442, BStBl II 2000, 197; vom IX R 23/99, BFH/NV 2000, 831). Einnahmen können dem Steuerpflichtigen auch dann zufließen, wenn der Schuldner die Zahlung an einen Dritten erbringt und damit eine Schuld des Steuerpflichtigen tilgt (sog. abgekürzter Zahlungsweg; vgl. , BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782 unter C.IV.1.c aa; , BFH/NV 2003, 468 unter II.1.b).

3. Den unter 1. und 2. dargestellten Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung nicht in vollem Umfang.

a) Das FG ist allerdings im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger zumindest für die an die B-GmbH vermietete Wohnung AfA nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG und den Pauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. als Werbungskosten abziehen können, da sie nach den vorstehenden Grundsätzen Wohnzwecken dient.

b) Das FG hat jedoch nicht geprüft, ob dies auch für das im Miteigentum der Kläger stehende gemeinschaftliche Eigentum zutrifft. Es hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob alle im Miteigentum der Kläger stehenden Gebäudeteile in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen und damit ein unselbständiger Teil eines Wirtschaftsguts sind, für das einheitlich AfA nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG zu gewähren ist, oder ob es sich um zwei selbständige Wirtschaftsgüter i.S. des § 7 Abs. 5a EStG handelt, für die § 7 Abs. 4 und Abs. 5 EStG jeweils gesondert entsprechend anzuwenden sind. Für diese Prüfung hätte im Streitfall Anlass bestanden, weil die Wohnanlage nach den Feststellungen des FG u.a. einen Mehrzweckraum mit Cafeteria, Gruppenräume, einen Werkraum und ein Gästeappartement beinhaltet, die möglicherweise nicht Wohnzwecken der Bewohner, sondern dem Betrieb als solchem (vgl. , BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671 unter 5. zu § 5 des Grundsteuergesetzes, § 19 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes) dienen und damit in einem anderen Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen können.

c) Darüber hinaus hat das FG nicht geprüft, ob die B-GmbH Zahlungen geleistet hat, die als weitere, durch Abkürzung des Zahlungsweges zugeflossene Einnahmen der Kläger zu berücksichtigen sind. Die B-GmbH übernimmt vertragsgemäß sämtliche Nebenkosten sowie die Vergütung der C für die von ihr erbrachten Grundleistungen für den Vermieter. Letztgenannte Zahlungen erfolgen unmittelbar von der B-GmbH an C; die Prüfung und Genehmigung der von C erstellten Abrechnung obliegt den Klägern, diese sind nachschusspflichtig. Da die Kläger ihre Einkommensteuererklärung bereits vor Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 190, 442, BStBl II 2000, 197 abgegeben haben und die darin aufgestellten Rechtsgrundsätze daher nicht kennen konnten, steht nicht fest, ob diese Grundsätze berücksichtigt worden sind. Dies ist gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO zu prüfen, obwohl auch das FA dieser Frage bisher nicht nachgegangen ist.

4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite S. 225
BFH/NV 2004 S. 130
BFH/NV 2004 S. 130 Nr. 1
BStBl II 2004 S. 225 Nr. 6
DB 2003 S. 2745 Nr. 51
DStR 2003 S. 2160 Nr. 50
DStRE 2004 S. 62 Nr. 1
FR 2004 S. 222 Nr. 4
INF 2004 S. 3 Nr. 1
PAAAB-13896