BFH Urteil v. - X R 36/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) —zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute— erwarben durch notariellen Vertrag vom ein Grundstück mit einem im Jahr 1927 erbauten, als Zweifamilienhaus bewerteten Gebäude für 340 000 DM.

Nach den Angaben der Kläger hatte das seit 10 Jahren nicht mehr bewohnte Haus verfallene Innenräume, kein Bad, keine Heizung und keinen richtigen Hauseingang. Sie errichteten unter anderem einen Anbau für den Hauseingang, versetzten Teile der Innenwände, bauten das Dachgeschoss aus und passten die Ausstattung des Hauses neuzeitlichen Wohnbedürfnissen an. Die Außenmauern, der überwiegende Teil der Innenwände, die Geschossdecken sowie die Dachkonstruktion blieben unverändert. Die Baukosten (überwiegend Materialkosten) betrugen 64 835 DM. Vom an nutzten die Kläger das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1994 machten die Kläger aus den (hälftigen) Anschaffungskosten für den Grund und Boden, den Anschaffungskosten für das Gebäude und den angefallenen Baukosten (insgesamt 292 537 DM) einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 17 553 DM geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 1994 gemäß § 10e Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 EStG nur den Abzugshöchstbetrag von 9 000 DM für Altbauten (Anschaffung nach Ablauf des zweiten auf das Jahr der Fertigstellung folgenden Jahres). Der Einspruch, mit dem die Kläger vorbrachten, sie hätten mit ihren Baumaßnahmen einen Neubau i.S. des § 10e Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG errichtet, war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1070 veröffentlicht ist, gab der Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus:

Zwar sei im Streitfall die Altbausubstanz nicht derart tiefgreifend umgestaltet worden, dass ein bautechnisch neues Gebäude entstanden sei. Jedoch könne —entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)— auch bei einem totalen Verschleiß der ”Inneneinrichtung” die Herstellung einer neuen Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG anzunehmen sein, wenn der frühere Innenausbau derart verfallen sei, dass praktisch von einem Rohbau ausgegangen werden müsse. Denn die Nutzbarkeit als Wohnraum sei weder bei einem neu erstellten Rohbau mit fehlendem Innenausbau noch bei einem Altbau mit völlig unbrauchbarem oder teilweise nicht mehr vorhandenem Innenausbau gegeben. Nach dem vorgelegten Bildmaterial und den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung seien Art und Umfang der Schäden an der Altbausubstanz so gravierend gewesen, dass sie einen erneuten Innenausbau mindestens in demselben Umfang nach sich gezogen hätten, wie er bei einem neu erstellten Rohbau noch erforderlich gewesen wäre.

Mit der Revision trägt das FA vor, nach dem (BFH/NV 1998, 841) komme die Herstellung einer neuen Wohnung unter Einbeziehung der Altbausubstanz nur bei einem Vollverschleiß der ”Altteile” in Betracht. Das sei nur der Fall bei schweren Substanzschäden an den für die Nutzungsdauer bestimmenden Gebäudeteilen. Die ”innere Verwahrlosung” könne einem unvollendeten Rohbau nicht gleichgesetzt werden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Das Haus sei bautechnisch ein neues Gebäude. Ohne die von ihnen durchgeführten Sanierungsmaßnahmen wäre das Haus verfallen und nicht mehr zu nutzen gewesen. Die Außenwände und der Dachstuhl seien lediglich als Rohbau verwendet und ausgebaut worden.

II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG steht den Klägern kein Abzugsbetrag für die Herstellung einer Wohnung, sondern nur der niedrigere Abzugsbetrag für die Anschaffung einer Wohnung in einem ”Altbau” zu.

1. Stellt der Steuerpflichtige eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung her, kann er —unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen— im Jahr der Fertigstellung und den folgenden drei Jahren bis zu 6 v.H. der Herstellungskosten und der Hälfte der Anschaffungskosten für den dazu gehörenden Grund und Boden, höchstens jeweils 19 800 DM wie Sonderausgaben abziehen (§ 10e Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG).

Bei Anschaffung einer eigengenutzten Wohnung bis zum Ende des zweiten auf das Jahr der Fertigstellung folgenden Jahres (Anschaffung eines ”Neubaus”) gilt die Regelung entsprechend für die Anschaffungskosten. Hat der Steuerpflichtige eine Wohnung nicht innerhalb dieses Zeitraums angeschafft (Anschaffung eines ”Altbaus”), ist der abziehbare Höchstbetrag auf 9 000 DM begrenzt (§ 10e Abs. 1 Satz 4 EStG).

2. Zu Unrecht hat das FG die Umbau- und Instandsetzungsmaßnahmen als Herstellung einer neuen Wohnung beurteilt.

a) Herstellen einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG bedeutet nach der Rechtsprechung des Senats das Schaffen einer neuen, bisher nicht vorhandenen Wohnung (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile vom X R 102/95, BFHE 179, 290, BStBl II 1998, 92; vom X R 46/93, BFHE 181, 294, BStBl II 1998, 94; vom X R 57/96, BFH/NV 2000, 186). Baumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude sind deshalb nur dann die Herstellung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG, wenn die Baumaßnahmen einem Neubau gleichkommen, d.h. das Gebäude muss bautechnisch neu sein.

Hierfür genügt es nicht, dass die Aufwendungen für die Instandsetzung, die Renovierung und ggf. Modernisierung des Gebäudes in ihrer Gesamtheit über die zeitgemäße substanzerhaltende Bestandteilerneuerung hinaus den Gebrauchswert des Hauses insgesamt erhöhen. Eine Neuherstellung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der ”Generalüberholung” angenommen werden. Dieser Begriff hat nach der neueren Rechtsprechung des BFH keine eigenständige steuerrechtliche Bedeutung, sondern umschreibt lediglich in tatsächlicher Hinsicht den Vorgang umfangreicher Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten (, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, unter I. 4. a; in BFH/NV 1998, 841, m.w.N.).

Nur wenn ein Gebäude infolge Abnutzung unbrauchbar geworden ist (Vollverschleiß), wird durch die Instandsetzungsarbeiten unter Verwendung der übrigen noch nutzbaren Teile ein neues Wirtschaftsgut hergestellt. Unbrauchbar im Sinne eines Vollverschleißes ist nach dem Senatsurteil in BFH/NV 1998, 841 (m.w.N.) ein Gebäude nur bei schweren Substanzschäden an den für die Nutzbarkeit als Bau und die Nutzungsdauer des Gebäudes bestimmenden Teilen, indes nicht schon dann, wenn es beispielsweise deshalb nicht vermietbar ist, weil es wegen Abnutzung und Verwahrlosung zeitgemäßen Wohnvorstellungen nicht mehr entspricht. Die Umgestaltung des umbauten Raums oder die grundlegende Sanierung reicht nicht aus. Vielmehr müssen die neu eingefügten Gebäudeteile dem Gesamtgebäude das bautechnische Gepräge geben. Das ist insbesondere der Fall, wenn verbrauchte Teile ersetzt werden, die für die Nutzungsdauer bestimmend sind wie z.B. Fundamente, tragende Außen- und Innenwände, Geschossdecken und die Dachkonstruktion. Die Altbausubstanz muss so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert worden sein, dass die neu eingefügten Gebäudeteile der entstandenen Wohnung das Gepräge geben und die verwendeten Altteile wertmäßig untergeordnet erscheinen (BFH-Urteile in BFHE 179, 290, BStBl II 1998, 92, und in BFHE 181, 294, BStBl II 1998, 94). Das kann angenommen werden, wenn der angefallene Bauaufwand zuzüglich des Wertes der Eigenleistungen nach überschlägiger Berechnung den Wert der Altbausubstanz (Verkehrswert) übersteigt. Bei diesem Vergleich müssen nach der Rechtsprechung des Senats jedoch typische Erhaltungsaufwendungen außer Betracht bleiben. Nur Aufwendungen, durch welche die verwendete Bausubstanz so tiefgreifend umgestaltet oder in einem solchen Ausmaß erweitert wird, dass die eingefügten Teile der Wohnung das Gepräge geben, sind dem Wert der Altbausubstanz gegenüberzustellen. Aufwendungen wie z.B. für die Erneuerung von Bodenbelägen, Fenstern und Türen, die Modernisierung der Heizung, die Überholung und Erweiterung der Elektroinstallation, die Badsanierung, Neueindeckung des Daches und der Außenputz müssen deshalb außer Betracht bleiben.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall liegt keine Herstellung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG vor. Hiervon geht auch das FG aus.

b) Der Senat hält an seiner —mit der Rechtsprechung des IX. Senats übereinstimmenden— Rechtsprechung fest. Er teilt nicht die Auffassung des FG, dass ein ”umfangreicher und tiefgreifender Verschleiß der Inneneinrichtung” zur Herstellung einer neuen Wohnung führen könne, weil ein solcher Zustand einem Rohbau gleichzustellen sei. Abgesehen davon, dass die Fertigstellung eines angeschafften Rohbaus nicht zwingend als Herstellung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG zu beurteilen ist, sondern auch als Anschaffung einer Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 4 EStG angesehen werden könnte, würde die Gleichstellung eines alten, renovierungsbedürftigen Gebäudes mit einem Rohbau der gesetzlichen Regelung zuwider laufen, nach der dem Steuerpflichtigen für die Anschaffung von Wohnungen nach Ablauf des zweiten auf das Jahr der Fertigstellung folgenden Jahres nur ein Abzugsbetrag bis höchstens 9 000 DM zustehen soll. Im Falle der Anschaffung sollen ersichtlich nur Neubauten mit dem Höchstbetrag von 19 800 DM gefördert werden.

c) Auch wenn das Gebäude aufgrund der Verwahrlosung wegen des langen Leerstands und dem nicht mehr zeitgemäßen Wohnkomfort zum Zeitpunkt der Anschaffung nicht bewohnbar war, können die Aufwendungen der Kläger —soweit sie überhaupt als Herstellungskosten zu beurteilen sind— nur als nachträgliche Herstellungskosten in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 Satz 4 EStG einbezogen werden. Als nachträgliche Herstellungskosten wirken sich die Aufwendungen wegen des Abzugshöchstbetrags von 9 000 DM bei der Anschaffung von Altbauten steuerlich nicht aus.

3. Zwar liegt im Streitfall nach den Feststellungen des FG ein nach § 10e Abs. 2 EStG i.V.m. § 17 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II.WoBauG) begünstigter Ausbau vor. Als solcher gilt ”auch der unter wesentlichem Bauaufwand durchgeführte Umbau von Wohnräumen, die infolge Änderung der Wohngewohnheiten nicht mehr für Wohnzwecke geeignet sind, zur Anpassung an die veränderten Wohngewohnheiten” (§ 17 Abs. 1 Satz 2 II.WoBauG; vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 181, 294, BStBl II 1998, 94). Der Senat hat sich in seinem Urteil in BFHE 179, 290, BStBl II 1998, 92 der Auffassung des 8 C 19.88, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 454.4, § 17 II.WoBauG Nr. 3) angeschlossen, nach der Wohnräume (nur) dann ”nicht mehr für Wohnzwecke geeignet” sind, wenn sie sich objektiv nicht mehr zum dauernden Bewohnen eignen, weil die notwendige Mindestausstattung (Heizung, Küche, Bad, Toilette) fehlt. Dieser Tatbestand ist im Streitfall erfüllt, was kraft der Verweisung des § 10e Abs. 2 EStG auf dessen Abs. 1 zu einer gegenständlich begrenzten Förderung der Aufwendungen für den Ausbau führt. Dies belegt zugleich, dass ein Ausbau, wie er vorliegend gegeben ist, nach der Wertung des Gesetzes keine ”Herstellung einer Wohnung” ist.

4. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die spruchreife Klage abzuweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1158 Nr. 9
YAAAA-67885