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BSG Urteil v. - B 2 U 2/23 R

(Gesetzliche Unfallversicherung - Verletztengeldanspruch eines selbstständigen Physiotherapeuten - Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls während der abhängigen Beschäftigung als Profifußballspieler - Anrechnung des im streitgegenständlichen Zeitraums erzielten Arbeitseinkommens gem § 52 Nr 1 SGB 7 - leitende und verwaltende Praxismitarbeit - keine nahezu vollständige Einstellung der Mitarbeit)

Gesetze: § 52 Nr 1 SGB 7, § 7 Abs 1 SGB 7, § 9 Abs 1 SGB 7, § 45 Abs 1 SGB 7, § 47 Abs 1 SGB 7, § 47 Abs 5 SGB 7, § 15 SGB 4, § 47 Abs 1 SGB 5, § 47 Abs 2 SGB 5, § 2 Abs 1 EStG, § 2 Abs 3 EStG, § 11 EStG, § 128 SGG, § 130 SGG, § 163 SGG

Instanzenzug: SG Gelsenkirchen Az: S 37 U 400/16 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 15 U 439/19 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Verletztengeld.

2Der Kläger war von 1975 bis 1988 als Profifußballspieler tätig. Nach dem Ende seiner Profikarriere absolvierte er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Seit 1994 betreibt er eine Praxis für Physiotherapie und Krankengymnastik mit mehreren angestellten Physiotherapeuten. Aufgrund seiner Tätigkeit als Profisportler erkannte die Beklagte die Berufskrankheit (BK) Nr 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten - (BK 2102) an (Bescheid vom ). Wegen der Folgen dieser BK bezieht der Kläger seit 2013 von der Beklagten eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH.

3Aufgrund seiner Meniskusschäden bescheinigte der behandelnde Orthopäde dem Kläger ab dem fortlaufend Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte zahlte dem Kläger zunächst für die Zeit bis Verletztengeld, lehnte dann aber die Gewährung von Verletztengeld ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

4Nach Beschränkung der Leistungsablehnung auf die Zeit ab dem hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ): Der Kläger habe dem Grunde nach Anspruch auf Verletztengeld. Das in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen sei indes vollständig anzurechnen und führe zum Wegfall des Verletztengeldes. Das BSG habe zwar die Auffassung vertreten, dass bei Ausfall der Arbeitskraft eines im Betrieb voll mitarbeitenden Unternehmers davon auszugehen sei, dass ein Einkommensverlust eingetreten sei. Diese Rechtsprechung sei hier aber nicht anwendbar, weil der Versicherungsfall nicht aus der Unternehmerversicherung, sondern aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Profifußballer stamme. Auch habe der Kläger während der Arbeitsunfähigkeit in seiner Praxis weiter leitende, verwaltende und betriebswirtschaftlich relevante Tätigkeiten ausgeübt.

5Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 52 SGB VII. Arbeitseinkommen, das dem Versicherten unabhängig von seiner persönlichen Mitarbeit in seinem Unternehmen zufließe, könne auf das Verletztengeld nicht angerechnet werden. Ohnehin habe er während der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig nicht mehr getan, als in seinem Betrieb nach dem Rechten zu sehen.

6Der Kläger beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztengeld für den Zeitraum vom bis zum in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

7Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Gründe

9Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld für den allein streitgegenständlichen Zeitraum vom bis . Die Grundvoraussetzungen für das Entstehen eines Verletztengeldanspruchs sind zwar erfüllt (dazu 1.), wobei sich dessen Höhe nach § 47 Abs 1 SGB VII bemisst (dazu 2.). Doch ist der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld aufgrund der Anrechnung von Arbeitseinkommen gemäß § 52 SGB VII vollständig entfallen (dazu 3.). Der Kläger kann ein Grundurteil nicht beanspruchen (dazu 4.).

101. Verletztengeld wird nach § 45 Abs 1 SGB VII ua erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind (Nr 1) und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder bestimmte Sozialleistungen hatten (Nr 2). Verletztengeld wird nach § 46 Abs 1 SGB VII von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (vgl dazu - SozR 4-2700 § 46 Nr 1 RdNr 6 = juris RdNr 13). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

11Der Kläger war infolge seiner als BK 2102 anerkannten Meniskuserkrankung ab dem arbeitsunfähig erkrankt. Arbeitsunfähigkeit liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zur gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter wegen der Folgen des Versicherungsfalls seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit krankheitsbedingt überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand alsbald zu verschlimmern, nachgehen kann ( - SozR 4-2700 § 46 Nr 3 RdNr 12 und vom - B 2 U 30/01 R - SozR 3-2700 § 46 Nr 1 S 2 f = juris RdNr 14). Unter der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit sind grundsätzlich die konkreten Verhältnisse des letzten Arbeitsplatzes vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu verstehen (Schur in Hauck/Noftz, SGB VII, § 45 RdNr 6, Stand April 2024). Die Unfähigkeit, diese Tätigkeit zu verrichten, muss nach § 45 Abs 1 Nr 1 SGB VII infolge eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 SGB VII bestehen; dieser muss also rechtlich wesentliche Ursache der Arbeitsunfähigkeit sein. Das ist hier nach den unangefochtenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Fall. Danach war der Kläger als mitarbeitender Betreiber einer Praxis für Physiotherapie und Krankengymnastik infolge eines Versicherungsfalls gemäß § 9 Abs 1 SGB VII, nämlich der BK 2102, im streitigen Zeitraum ( bis ) nach ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig.

12Der Kläger hat auch zeitlich unmittelbar vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, aus der er Arbeitseinkommen erzielt hat. Dass es den von § 45 Abs 1 Nr 2 SGB VII wörtlich verlangten "Anspruch auf Arbeitseinkommen" rechtlich nicht gibt, ist unschädlich ( - SozR 4-2700 § 47 Nr 6 RdNr 12). Mit § 45 Abs 1 Nr 2 SGB VII wird die Entgeltersatzfunktion des Verletztengeldes betont und sichergestellt, dass nur solche Versicherte diese Leistung erhalten, die zum Kreis der Erwerbstätigen gehören und ihren Lebensunterhalt vor Eintritt der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit aus einer Erwerbstätigkeit oder einer zur Sicherung des Lebensunterhaltes erbrachten Sozialleistung bestritten haben ( - SozR 4-2700 § 72 Nr 2 RdNr 11 und vom - B 2 U 23/06 R - SozR 4-2700 § 45 Nr 1 RdNr 17). Die Voraussetzung des Bezugs von Arbeitseinkommen unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wird erfüllt, wenn ein Versicherter - wie hier der Kläger - eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete selbständige Tätigkeit ausübt, nicht aber, wenn er seinen Lebensunterhalt aus anderen Quellen, etwa aus Vermögen oder Kapitaleinkünften, bestreitet ( - SozR 4-2700 § 47 Nr 6 RdNr 14).

14Im Falle des Klägers ist die Höhe des Verletztengeldes nicht nach der Sondervorschrift des § 47 Abs 5 SGB VII zu berechnen (zum Verhältnis von Abs 1 zu Abs 5 des § 47 SGB VII vgl - SozR 4-2700 § 47 Nr 2 RdNr 14 ff). Nach § 47 Abs 5 SGB VII erhalten Versicherte, die den Versicherungsfall infolge einer selbständigen Tätigkeit erlitten haben, Verletztengeld je Kalendertag in Höhe des 450. Teils des Jahresarbeitsverdienstes. Anders als nach der allgemeinen Regelung in § 47 Abs 1 SGB VII ist Bezugsgröße für die Berechnung des Verletztengeldes nach der Sondervorschrift des § 47 Abs 5 SGB VII nicht das Regelentgelt, sondern der Jahresarbeitsverdienst, der sich nicht nach dem Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit, sondern grundsätzlich nach dem des Versicherungsfalls richtet (§ 82 Abs 1 Satz 1, § 84 SGB VII), in der Satzung des Unfallversicherungsträgers aber auch abweichend bestimmt werden kann (§ 83 SGB VII). § 47 Abs 5 SGB VII ist hier unanwendbar, weil der Kläger den Versicherungsfall - die BK 2102 - nicht infolge seiner Tätigkeit als Unternehmer, sondern infolge seiner Tätigkeit als pflichtversicherter Profifußballspieler erlitten hat. Darauf, dass der Kläger bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit selbständig erwerbstätig war, kommt es dagegen nicht an.

15Was unter dem hier für die Berechnung des Regelentgelts und damit des Verletztengeldes maßgeblichen Arbeitseinkommen zu verstehen ist, wird weder in § 47 SGB VII noch in § 47 SGB V definiert und bestimmt sich daher nach § 15 Abs 1 SGB IV in der Fassung der Neubekanntmachung vom (BGBl I 3710). Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus selbständiger Tätigkeit (Satz 1); Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (Satz 2). Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der "selbständigen Tätigkeit" ist weiter als derjenige des Steuerrechts. Der daraus erzielte Gewinn erfasst die Einkunftsarten des § 2 Abs 1 Nr 1 bis 3 EStG und damit die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§§ 13 ff EStG), Gewerbebetrieb (§§ 15 ff EStG) sowie selbständiger Arbeit (§ 18 EStG; vgl - SozR 4-2500 § 240 Nr 37 RdNr 15, vom - B 12 KR 3/08 R - SozR 4-2500 § 10 Nr 9 RdNr 13 und vom - B 5 RJ 56/02 R - SozR 4-2400 § 15 Nr 1 RdNr 10 = juris RdNr 17). Die "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts" beziehen sich ua auf den Gewinnermittlungszeitraum, das Wirtschaftsjahr. Dieses ist in der Regel mit dem Kalenderjahr identisch ( - SozR 4-2700 § 47 Nr 6 RdNr 21 und vom - B 5 RJ 46/00 R - BSGE 88, 117, 120 = SozR 3-2600 § 97 Nr 4 S 23 = juris RdNr 17), auf das § 47 Abs 1 Satz 2 SGB VII Bezug nimmt. Diese Vorschrift und die Regelung des Arbeitseinkommens in § 15 Abs 1 SGB IV sollen es zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung ermöglichen, den Gewinn eines selbständig Tätigen unmittelbar dem Einkommensteuerbescheid zu entnehmen ( - SozR 4-2700 § 47 Nr 6 RdNr 26).

16Ausgehend hiervon war der Berechnung des Verletztengeldes ein auf den Höchstjahresarbeitsverdienst begrenztes Regelentgelt zugrunde zu legen. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger in dem Kalenderjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (), mithin im Jahr 2013, aus selbständiger Arbeit/freiberuflicher Tätigkeit einen Gewinn von 134 551 Euro erzielt und aus Gewerbebetrieb einen Verlust von 25 773 Euro erlitten. Zwar zählen der horizontale und eingeschränkt auch der vertikale Verlustausgleich nach § 2 Abs 3 EStG zu den "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts", auf die § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV Bezug nimmt. Danach werden zunächst positive wie negative Einkünfte innerhalb einer Einkunftsart (horizontal) verrechnet und, falls danach noch Verluste bestehen, diese auch mit Gewinnen aus den anderen Einkunftsarten (vertikal) verrechnet. Im Rahmen des § 15 Abs 1 SGB IV ist ein vertikaler Verlustausgleich allerdings nur zulässig innerhalb der drei Einkunftsarten des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 3 EStG, weil nur diese unter den sozialrechtlichen Begriff des Arbeitseinkommens fallen ( - BSGE 88, 117, 120 = SozR 3-2600 § 97 Nr 4 S 23 = juris RdNr 18 und vom - 1 RA 41/84 - BSGE 58, 277, 280 f = SozR 2100 § 15 Nr 8 S 12 = juris RdNr 17 f). Ob für die Berechnung des Verletztengeldes hier etwas anderes gilt, weil dabei nur Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen aus Beschäftigungen und Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, an deren Ausübung der Versicherte infolge einer durch den Versicherungsfall bedingten Arbeitsunfähigkeit gehindert war ( - BSGE 119, 204 = SozR 4-2700 § 72 Nr 1, RdNr 13), kann offenbleiben. Denn selbst nach vertikalem Verlustausgleich läge das Arbeitseinkommen des Klägers nach den Feststellungen des LSG weit über dem Höchstjahresarbeitsverdienst, der nach § 85 Abs 2 Satz 2 SGB VII iVm § 20 Abs 2 der Satzung der Beklagten in dem gemäß § 47 Abs 1 Satz 2 SGB VII maßgeblichen Kalenderjahr 2013 84 000 Euro betrug.

17Aus dieser nach § 50 Abs 1 SGB IX in der bis geltenden Fassung (seither § 70 Abs 1 SGB IX) an die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepassten Berechnungsgrundlage ergäbe sich nach den Berechnungen des LSG, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben, ein Verletztengeld von kalendertäglich 190,77 Euro für die Zeit vom bis und von kalendertäglich 195,79 Euro für die Zeit vom bis .

183. Der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld ist aufgrund der Anrechnung von Arbeitseinkommen gemäß § 52 Nr 1 SGB VII vollständig entfallen. Nach dieser Vorschrift ist auf Verletztengeld gleichzeitig erzieltes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen anzurechnen, das bei Arbeitnehmern um die gesetzlichen Abzüge und bei sonstigen Versicherten um 20 vH vermindert ist; einmalig erzieltes Arbeitsentgelt ist nicht anzurechnen.

19Die Anrechnung wird zwar in der Literatur als eigenständiges öffentlich-rechtliches Rechtsinstitut bezeichnet (Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, § 52 RdNr 4, Stand April 2024; Schmidt-De Caluwe in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 328 RdNr 54; Kemper in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 41a RdNr 84; Schifferdecker in BeckOGK, § 42 SGB I RdNr 53, Stand ; Rolfs in Hauck/Noftz, SGB I, § 42 RdNr 43, Stand Februar 2023). Klar konturierte Voraussetzungen und Folgen weist die Anrechnung jedoch nicht auf. Die Anrechnung von Vorschüssen durch den Leistungsträger soll einer besonderen Willenserklärung (im Sinne einer Leistungsbestimmung) mit der Folge bedürfen, dass (in Anlehnung an § 362 Abs 1, § 366 Abs 1 BGB) der endgültig festgestellte Leistungsanspruch in Höhe der Vorschüsse erlischt ( - SozR 1200 § 42 Nr 4 S 16 = juris RdNr 20). Obwohl die Anrechnung folglich durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden muss, wird zugleich betont, dass Vorschüsse von dem endgültigen Leistungsanspruch lediglich als unselbständige Rechnungsposten in Abzug gebracht werden (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 41a RdNr 480 und 483, Stand Juli 2023; Rolfs in Hauck/Noftz, SGB I, § 42 RdNr 43, Stand Februar 2023). Im Rentenversicherungsrecht wird beim Zusammentreffen von Renten und Erwerbseinkünften (Hinzuverdiensten) zwischen dem stammrechtsbezogenen Anrechnungseinwand und dem einzelanspruchsvernichtenden Übersicherungseinwand unterschieden ( - SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 14, 16 = juris RdNr 21, 23), der aber auch zur dogmatischen Figur der Anrechnung gezählt wird ( - BSGE 116, 64 = SozR 4-2600 § 97 Nr 2, RdNr 12 und vom - B 4 RA 110/00 R - SozR 3-2600 § 97 Nr 3 S 13 = juris RdNr 21). Die (einzel-)anspruchsvernichtende Anrechnung ist durch Verwaltungsakt geltend zu machen ( - BSGE 82, 83, 85 f = SozR 3-2600 § 93 Nr 7 S 48 = juris RdNr 23) und setzt die Feststellung des Geldwerts des Stammrechts voraus ( - SozR 3-2600 § 96a Nr 1 S 3 f = juris RdNr 16). Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die Anrechnung nach § 52 SGB VII mehr als der bloße Ausgleich unselbständiger Rechnungsposten bei der Berechnung des Verletztengeldanspruchs ist. Denn selbst wenn sie eine Willenserklärung des Leistungsträgers erfordert, ist dem hier Genüge getan, weil in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid sinngemäß die Anrechnung des vom Kläger während der Arbeitsunfähigkeit bezogenen Arbeitseinkommens erfolgt ist.

20Der Begriff des Arbeitseinkommens ist in § 52 Nr 1 SGB VII genauso wie in § 47 Abs 1 SGB VII zu verstehen. Maßgeblich ist auch hier § 15 SGB IV (vgl Westermann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl 2022, § 52 RdNr 17, Stand ; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, § 52 RdNr 5, Stand April 2024) und daher der nach Einkommensteuerrecht ermittelte Gewinn aus den Einkunftsarten des § 2 Abs 1 Nr 1 bis 3 EStG. Auch für die Berücksichtigung eines vertikalen Verlustausgleichs gilt bei der Ermittlung des nach § 52 SGB VII anzurechnenden Arbeitseinkommens dasselbe wie bei der Ermittlung des Regelentgelts nach § 47 SGB VII (dazu 2.).

21Nach § 52 SGB VII ist nur "gleichzeitig erzielte[s]" Einkommen zur Anrechnung zu bringen. Entscheidend für die Gleichzeitigkeit von Verletztengeldbezug und Einkommenserzielung ist grundsätzlich nicht der Zeitpunkt der Zahlung des anrechenbaren Einkommens, sondern der Zeitraum, für den die Zahlung bestimmt ist (Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, § 52 RdNr 12, Stand April 2024; Westermann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl 2022, § 52 RdNr 9, Stand ; Feddern in BeckOGK, § 52 SGB VII RdNr 3, Stand ). Bei Arbeitseinkommen ist aber wegen der von § 15 SGB IV vorgegebenen engen Anbindung an das Einkommensteuerrecht hiervon eine Ausnahme zu machen und auf den Zeitpunkt des Zuflusses abzustellen. Denn im Einkommensteuerrecht gilt nach § 11 EStG ein strenges Zuflussprinzip; Einnahmen und Ausgaben sind jeweils in dem Kalenderjahr zu berücksichtigen, in dem sie zu- bzw abgeflossen sind (Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, § 52 RdNr 12, Stand April 2024).

22Arbeitseinkommen eines Versicherten, das er in diesem Sinne während seiner Arbeitsunfähigkeit erzielt, ist grundsätzlich auf den Verletztengeldanspruch anzurechnen. Das zeitliche Zusammenfallen von Einkommen und Verletztengeld allein reicht jedoch nicht. Denn Verletztengeld hat Entgeltersatzfunktion (so ausdrücklich § 47 Abs 1 Satz 3 SGB VII). Es soll daher nur zur Auszahlung gelangen, wenn infolge der Arbeitsunfähigkeit Einkünfte entfallen (vgl Rieke in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 49 SGB V RdNr 2, Stand Januar 2025). Verletztengeld setzt nicht nur voraus, dass vor Eintritt der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Erwerbseinkommen bezogen wurde (§ 45 Abs 1 Nr 2 SGB VII), und orientiert sich nicht nur von seiner Höhe her an diesem Einkommen (§ 47 Abs 1 SGB VII), sondern dient auch nur dazu, dessen Verlust zu ersetzen. Allein aus diesem Grunde ordnet § 52 SGB VII die Anrechnung des während der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens auf das Verletztengeld an. Der Entgeltersatzfunktion des Verletztengeldes entspricht es, auf dieses nur das Einkommen anzurechnen, das der Versicherte aus derjenigen Tätigkeit erzielt, für die er arbeitsunfähig ist ( - SozR 3-2200 § 560 Nr 3 S 16 ff = juris RdNr 16 ff; vgl auch - BSGE 119, 204 = SozR 4-2700 § 72 Nr 1, RdNr 13). Eine Differenzierung danach, welcher Teil des Arbeitseinkommens während der Arbeitsunfähigkeit auf persönlicher Mitarbeit des selbständig erwerbstätigen Versicherten in seinem Unternehmen beruht, sieht das Gesetz indes nicht vor.

23Von einem Wegfall des Arbeitseinkommens kann nach der Rechtsprechung der Unfallsenate des BSG zur Vorgängervorschrift des § 560 Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgegangen werden, wenn die Mitarbeit des selbständig erwerbstätigen Versicherten in seinem Unternehmen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit für einen nicht unbedeutenden Zeitraum vollständig oder nahezu vollständig entfällt; in einem solchen Fall bedarf es auch keiner konkreten Berechnung, sondern kann ein fiktiver Einkommensverlust anzunehmen sein ( 8/2 RU 238/72 - BSGE 36, 133, 134 f = SozR Nr 5 zu § 560 RVO = juris RdNr 19; siehe auch - BSGE 53, 127, 132 = SozR 2200 § 568 Nr 7 S 41 = juris RdNr 27 f). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung, der sich der 1. Senat für das Krankengeld ausdrücklich angeschlossen hat ( - BSGE 98, 43 = SozR 4-2500 § 47 Nr 7, RdNr 17), fest. Der zur freiwilligen Unternehmerversicherung (§ 561 Abs 3 RVO, nunmehr § 47 Abs 5 SGB VII) entwickelte Gedanke, bei vollständiger Einstellung der bisherigen Mitarbeit im Unternehmen infolge der Arbeitsunfähigkeit von einem vollständigen Verlust des Arbeitseinkommens auszugehen, ist auch auf die Anrechnungsvorschrift des § 52 SGB VII zu übertragen.

24Die Fortführung dieser Rechtsprechung kommt dem Kläger gleichwohl im Ergebnis nicht zugute. Denn das LSG hat für den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum seine Mitarbeit in seinem Unternehmen nicht vollständig oder nahezu vollständig eingestellt hat. Vielmehr hat er seine Praxis für Physiotherapie mehr als nur geringfügig weiterbetrieben und weiterhin leitende, verwaltende und auch betriebswirtschaftlich relevante Tätigkeiten, wie zB Kundenakquise und -betreuung, ausgeübt. Auch wenn der Kläger in deutlich verringertem Umfang in der Praxis tätig war als vor der Arbeitsunfähigkeit, dienten seine Tätigkeiten dem Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Praxis und trugen zu ihrem Ergebnis bei. An diese Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden, weil der Kläger gegen die festgestellten Tatsachen und die Beweiswürdigung (§§ 103, 128 SGG) keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht hat (vgl § 163 SGG). Zwar macht der Kläger geltend, während der Arbeitsunfähigkeit in seinem Betrieb nur nach dem Rechten gesehen zu haben. Soweit er damit sinngemäß rügt, das LSG habe die Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, bezeichnet er nicht iS von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG alle Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen. Notwendig hierfür ist eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann. Im Falle der Rüge eines Verstoßes gegen die Grenzen freier Beweiswürdigung kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt hat (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 55 Nr 27 RdNr 27, vom - B 2 U 11/15 R - BSGE 122, 232 = SozR 4-2700 § 56 Nr 4, RdNr 15 und vom - B 9 V 2/18 R - BSGE 129, 87 = SozR 4-7190 § 4 Nr 1, RdNr 29). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss im Einzelnen dargelegt werden ( - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 3 RdNr 24 und vom - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9 = juris RdNr 18). Daran fehlt es, wenn die Revisionsbegründung lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (vgl - SozR 4-2700 § 2 Nr 19 RdNr 21 und vom - B 1 KR 24/22 R - juris RdNr 17). So verhält es sich hier.

25Ist folglich davon auszugehen, dass der Kläger die Mitarbeit in seinem Unternehmen nicht nahezu vollständig eingestellt hat, bedarf es einer konkreten Berechnung des von ihm während der Arbeitsunfähigkeit erzielten Arbeitseinkommens. Unter Zugrundelegung der Einkommensteuerbescheide des Klägers hat das LSG für den streitigen Zeitraum ein anzurechnendes Einkommen von kalendertäglich mindestens 330,44 Euro für die Zeit vom bis und von kalendertäglich mindestens 311,50 Euro für die Zeit vom bis ermittelt, das deutlich über dem kalendertäglichen Verletztengeld liegt. Einwände gegen die Berechnung haben die Beteiligten auch an dieser Stelle nicht erhoben.

264. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erlass eines Grundurteils (§ 130 SGG). Dieses setzt zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Zahlung eines (höheren) Geldbetrages voraus ( - SozR 4-4200 § 11b Nr 14 RdNr 12, vom - B 4 AS 46/17 R - SozR 4-4200 § 5 Nr 5 RdNr 11, vom - B 1 KR 15/98 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 8 S 12 = juris RdNr 18 und vom - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 5 = juris RdNr 19). Dies ist hier aufgrund der Anrechnung nicht der Fall. Ebenso wenig besteht ein schützenswertes Klärungsinteresse, das trotz fehlendem Zahlungsanspruch ausnahmsweise den Erlass eines Grundurteils zuließe (zu solchen Ausnahmekonstellationen: AS 57/21 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 6 RdNr 13, vom - B 1 KR 7/12 R - juris RdNr 12 und vom - B 1 KR 30/02 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 1 RdNr 5 = juris RdNr 12).

275. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:250325UB2U223R0

Fundstelle(n):
KAAAJ-94892