BGH Beschluss v. - 4 StR 40/23

Anforderungen an Prüfung und Beurteilung der Schuldfähigkeit nach Amokfahrt mit Fahrzeug durch Fußgängerzone

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 211 Abs 2 StGB, § 212 StGB

Instanzenzug: LG Trier Az: 8032 Js 35057/20 - 1 Ks

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr „in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen“ – teilweise in Tateinheit mit Mord bzw. versuchtem Mord, im letzteren Fall teilweise in Tateinheit mit Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung – sowie wegen versuchten Mordes in vierzehn Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr „in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen“, teilweise in Tateinheit mit versuchtem Mord und mit schwerer, gefährlicher oder einfacher Körperverletzung, zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht hat außerdem die besondere Schwere der Schuld festgestellt, die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, eine Einziehungsentscheidung hinsichtlich des Tatfahrzeugs getroffen und dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und hinsichtlich der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperre auf Lebenszeit verhängt.

2Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4Im Verlauf der 1990er Jahre bildeten sich bei dem zum Urteilszeitpunkt 52-jährigen, bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten sich zunehmend verfestigende Wahnvorstellungen aus. Gegenstand dieser Wahninhalte waren sowohl Verfolgungs- und Überwachungsphantasien als auch Ohnmachtsgefühle gegenüber einem von ihm empfundenen umfassenden Komplott des Staates sowie verschiedener Institutionen („Arbeitsamt“, „Krankenkasse“) und Personen in seinem Umfeld, darunter auch Rechtsanwälte und Notare, von denen er sich übervorteilt wähnte. Im Zuge dieser Entwicklung verfestigte sich bei dem Angeklagten u.a. die unverrückbare Überzeugung, dass ihm seit Jahrzehnten finanzielle Ansprüche aus einem an ihm in seiner Kindheit durchgeführten medizinischen Experiment vorenthalten würden. Im Laufe des November 2020 gelangte der Angeklagte zu der Erkenntnis, dass er mit Hilfe von Anwälten nicht zur Durchsetzung dieser Ansprüche gelangen würde, und es reifte der Plan, durch eine spektakuläre Tat auf dieses von ihm empfundene Unrecht aufmerksam zu machen. Hierbei stellte sich der Angeklagte eine Amokfahrt durch die Tr.  er Innenstadt vor. Zuletzt ging der Angeklagte wahnhaft davon aus, dass im Notariat Dr. W.  in der S.    straße in Tr.  eine Entschädigung aufgrund des in der Kindheit erlittenen medizinischen Experiments in Höhe von 500.000 € bereitliege, die er abholen müsse. Nachdem er dort am Montag, den , vergeblich vorstellig und abgewiesen worden war, sah er keine Möglichkeit mehr, die ihm aus seiner Sicht zustehende Entschädigung zu erhalten, und befand sich in einer opferhaften, von dem Gefühl der Benachteiligung und der Ohnmacht bestimmten anhaltenden Stimmungslage. Als er am Folgetag, dem , zur Mittagszeit die K.      straße im Zentrum von Tr.   mit angemessener Geschwindigkeit befuhr, beschloss er, den bereits länger gehegten Gedanken umzusetzen und eine Amokfahrt durch die Fußgängerzone der Stadt als „Racheakt an der Gesellschaft“ zu unternehmen. Er bog stark beschleunigend mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen in eine der großen Tr.  er Einkaufsstraßen ein und steuerte sein Fahrzeug in der Absicht, „möglichst viele Menschen zu töten oder zumindest erheblich zu verletzen“, mit hoher Geschwindigkeit über eine Strecke von 850 m innerhalb von viereinhalb Minuten durch die zur Mittagszeit belebte Fußgängerzone. Im Bereich der S.    straße erreichte das Tatfahrzeug eine Geschwindigkeit von 75 km/h. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug auf verschiedene Personen und Personengruppen zu, die sorglos in der Fußgängerzone flanierten und nicht mit einem in Tötungsabsicht mit hoher Geschwindigkeit geführten Kraftfahrzeug rechneten. Er nutzte hierbei bewusst die erhebliche Gefährlichkeit seines großen Geländewagens sowie die Arg- und Wehrlosigkeit der Passanten aus. Sämtliche der 24 Geschädigten wurden vom Angeklagten jeweils zielgerichtet „mit individuellem Tötungsvorsatz“ anvisiert. Einige Opfer erfasste der Angeklagte vollständig – zumeist von hinten – mit der Front des Tatfahrzeugs, sodass sie im hohen Bogen durch die Luft geschleudert wurden; andere Personen touchierte der vom Angeklagten gelenkte Wagen lediglich oder er verfehlte sie vollständig. Fünf Menschen erlagen den infolge des Zusammenstoßes erlittenen Verletzungen, weitere 14 Personen wurden – zum Teil schwer – verletzt. In einigen Fällen vermochten Geschädigte, die das herannahende Fahrzeug noch rechtzeitig wahrnehmen konnten, ihr Leben durch reaktionsschnelle Fluchtbewegungen zu retten. Nach Verlassen der Fußgängerzone parkte der Angeklagte sein Fahrzeug wenige Meter weiter auf dem Gehweg und wartete eine Zigarette rauchend rücklings an das Fahrzeugheck gelehnt auf seine Festnahme durch die eintreffende Polizei. Eine dem Angeklagten knapp zwei Stunden später entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille auf.

5Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte mit Blick auf seine „zum Teil bizarr anmutende Wahnsymptomatik“ unter einer Schizophrenie vom Prägnanztyp der paranoiden Schizophrenie leide (ICD-10 F 20.0). Aufgrund dessen sei seine Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten sicher erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert, aber nicht aufgehoben (§ 20 StGB) gewesen.

6Das Landgericht ist von 18 selbstständigen Taten des Mordes bzw. versuchten Mordes – teilweise in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen – ausgegangen, wobei es die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln angenommen hat. Tateinheitlich hat es zudem jeweils einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. a) StGB als verwirklicht angesehen. Wiederum tateinheitlich hat die Strafkammer in den Fällen des versuchten Mordes, in denen Geschädigte verletzt wurden, auf eine schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 StGB, drei „einfache“ (§ 223 StGB) und zehn gefährliche Körperverletzungen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB) erkannt.

II.

7Während die Verfahrensrüge nicht ausgeführt und daher unzulässig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), führt die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin zu dessen Aufhebung mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen. Die Prüfung und Beurteilung der Schuldfähigkeit, welche den Angeklagten über die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit und die darauf fußende Unterbringung nach § 63 Satz 1 StGB beschwert, erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

81. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 39; Beschluss vom – 4 StR 491/22 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 366/22 Rn. 5; Beschluss vom – 2 StR 173/21 Rn. 23; Beschluss vom ‒ 4 StR 175/20 Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 4 StR 42/13 Rn. 12). Für die Tatsachenbewertung ist der Richter auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds und bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 39; Urteil vom ‒ 2 StR 257/21 Rn. 15; Beschluss vom ‒ 4 StR 81/21 Rn. 8; Beschluss vom ‒ 4 StR 48/20 Rn. 7; Urteil vom ‒ 4 StR 463/16 Rn. 10). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 4 StR 366/22 Rn. 5; Beschluss vom ‒ 4 StR 48/20 Rn. 7 – jew. mwN).

92. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten infolge einer paranoiden Schizophrenie in seiner erhaltenen Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigt war. Die Ausführungen dazu, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen ausgewirkt hat, sind rechtsfehlerhaft.

10a) Bereits die Feststellungen zum psychopathologischen Befund verfehlen den maßgeblichen Fokus auf den Tatzeitpunkt. Die Strafkammer nimmt insoweit namentlich die Ausprägung des Krankheitsbilds zum Zeitpunkt der Explorations- und der Hauptverhandlungssituation in den Blick, ohne zu prüfen, ob sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in einer abweichenden psychopathologischen Verfassung befunden haben könnte. Die vorliegende Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ( Rn. 7 mwN). Vor diesem Hintergrund wäre die Strafkammer gehalten gewesen, sich im Wege einer umfassenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zum Vor- und Tatgeschehen sowie des Nachtatverhaltens unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Sachverständigen auch mit der Frage einer möglichen Zuspitzung der Störung im Zeitraum vor den Taten und dem Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs (zur dann bereits häufig aufgehobenen Einsichtsfähigkeit vgl. Rn. 27) bei der Tatbegehung auseinanderzusetzen.

11b) Zudem ist den Ausführungen der Strafkammer auch kein belastbarer Bezug der weiteren Schuldfähigkeitsprüfung zu dem festgestellten Tatgeschehen zu entnehmen. Bereits die nahezu durchgehend verwendete Formulierung der Schuldfähigkeitsprüfung im Präsens („Trotz paranoider Symptomatik fehlt es dem Angeklagten nicht an der Kenntnis oder den notwendigen kognitiven Fähigkeiten, gesellschaftliche und rechtliche Normen zu verstehen“ oder „Die beim Angeklagten vorhandene psychische Störung hat (…) zu Einschränkungen in seinem Persönlichkeitsgefüge geführt, durch die seine Handlungsspielräume in relevanter Weise eingeschränkt sind“) lässt besorgen, dass die Strafkammer die Schuldfähigkeit nicht bezogen auf das konkrete Tatgeschehen und die hierbei krankheitsbedingt verbliebenen Handlungsspielräume des Angeklagten, sondern ausschließlich in einer rechtsfehlerhaften generalisierenden Betrachtungsweise geprüft hat. Inhaltlich fehlen insoweit nachvollziehbare, auf die verfahrensgegenständlichen Taten bezogene Erwägungen. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Auswirkungen des Störungsbilds auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten verbleiben im Allgemeinen, wenn sie dem Angeklagten beispielsweise eine „Verformung des Persönlichkeitsgefüges“ im Zuge der paranoiden Störung oder eine „zunehmende Konfliktbereitschaft bei sich gleichzeitig erschöpfenden Kraftreserven“ attestieren, ohne einen Bezug zur konkreten Tatsituation herzustellen.

12c) Die tatgerichtlichen Erörterungen zur Schuldfähigkeit erweisen sich darüber hinaus insoweit als lückenhaft, als die Strafkammer im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht erkennbar in den Blick genommen hat, ob eine Kombinations- und Wechselwirkung des konsumierten Alkohols und der paranoiden Schizophrenie die Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, aufgehoben haben könnte. Schon das Versäumnis der Strafkammer, die erforderliche Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Zeitpunkt der Tatbegehung vorzunehmen, lässt besorgen, dass das Tatgericht die Alkoholisierung des Angeklagten nicht mit dem nötigen Gewicht in seine Erwägungen eingestellt hat. Einen durchgreifenden Erörterungsmangel stellt es schließlich dar, wenn die Befunde zu den Auswirkungen des psychiatrischen Krankheitsbildes einerseits und der Alkoholisierung andererseits lediglich gesondert im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten untersucht werden, nicht aber in der gebotenen Gesamtschau. Haben mehrere Faktoren zusammengewirkt, so dürfen diese im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (st. Rspr.; vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 5 StR 325/21 Rn. 18; Beschluss vom – 4 StR 42/13 Rn. 12), an der es hier fehlt.

133. Danach kann das Urteil überwiegend keinen Bestand haben. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf ‒ auch als Grundlage für eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB ‒ insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung, naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, beginnend mit dem Abbiegevorgang des Tatfahrzeugs in die Fußgängerzone bis zur Festnahme des Angeklagten, sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.

14Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:

151. Dem zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufenen Tatgericht wird mit der Aufhebung der Feststellungen zur inneren Tatseite die Möglichkeit gegeben, in subjektiver Hinsicht widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen und diese im Wege einer umfassenden Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände zu belegen. Im Einzelnen:

16a) Bei der erneut vorzunehmenden Vorsatzprüfung wird das neue Tatgericht mehr als bisher geschehen auch vorsatzkritische Aspekte in den Blick zu nehmen haben. Diese können sich im Bezug auf das Wissenselement des Vorsatzes insbesondere dann ergeben, wenn wiederum eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung und alkoholische Beeinflussung festgestellt werden (vgl. z.B. Rn. 7 mwN). Dabei wird es sich – anders als bisher geschehen – auch mit dem Einlassungsverhalten und den Einlassungsinhalten des Angeklagten auseinanderzusetzen und diese zu würdigen haben. Sollte das neue Tatgericht auf dieser Grundlage erneut zur grundsätzlichen Annahme eines Tötungsvorsatzes bzw. eines entsprechenden Tatentschlusses des Angeklagten kommen, wird differenzierter als bislang darzulegen und zu belegen sein, welchen Vorsatzgrad der Angeklagte hinsichtlich der einzelnen Geschädigten verwirklicht hat. In einigen Fällen – namentlich Fall II. C. 1. (     R.  ) und Fall II. C. 13. (       F.      ) der Urteilsgründe – ist überdies die Individualisierung des Tatentschlusses auf Grundlage der bisherigen Feststellungen zweifelhaft. Sollten insoweit keine ergänzenden Feststellungen getroffen werden können, wäre gegebenenfalls zu erörtern, inwieweit der Angeklagte die Tötung oder Verletzung von Zufallsopfern in sein Vorstellungsbild aufgenommen hatte.

17b) Dem diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten kommt ferner unmittelbare Relevanz für die Frage zu, ob der Angeklagte das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln verwirklicht hat. Dieses ist nur erfüllt, wenn der Angeklagte sein Fahrzeug derart eingesetzt hat, dass in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden konnte, weil der Angeklagte die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hatte (zum Maßstab: Rn. 7; Urteil vom – 4 StR 168/05 Rn. 9). Eine valide Abgrenzung von der tatbestandlich nicht erfassten „schlichten“ Mehrfachtötung erfordert Feststellungen dazu, ob der Angeklagte sich mit Tötungsabsicht ausschließlich gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer wandte oder ob er darüber hinaus Zufallsopfer in Kauf nahm (vgl. Rn. 8 ff. mwN). Die Feststellungen, welche hinsichtlich aller Geschädigter von individualisierten Angriffen in Tötungsabsicht ausgehen, ohne zu erörtern, ob der Angeklagte zumindest auch die Gefährdung von Leib und Leben einer unbestimmten Anzahl weiterer Personen vor Augen hatte, tragen die Annahme des Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln jedenfalls in subjektiver Hinsicht derzeit nicht.

18c) Im Rahmen der Prüfung des weiteren Mordmerkmals der Heimtücke wird das neue Tatgericht gegebenenfalls erörtern müssen, inwiefern die im Wege der Rückrechnung zu ermittelnde Alkoholisierung und etwaige (aufzuklärende) krankheitsbedingte Defizite des Angeklagten im Tatzeitpunkt geeignet sind, ein entsprechendes Ausnutzungsbewusstsein in Frage zu stellen. In derartigen Fällen bedarf es in aller Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen das Tatgericht folgert, dass der Angeklagte trotz entsprechender Umstände die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat (vgl. Rn. 8 ff. mwN). Der diesbezüglich in den Urteilsgründen gezogene Schluss vom Erhalt der exekutiven Handlungskontrolle auf eine beeinträchtigungsfreie Wahrnehmung belegt die subjektive Tatseite objektiv heimtückischen Handelns nicht.

19Hinsichtlich der Fälle II. C. 3. (           We.   ), II. C. 4. (      Sc.     ), II. C. 7. (       P.     ), II. C. 8. (      Ki.   ), II. C. 11. (      Wi.      ), II. C. 14. (             Sch.    ), II. C. 15. (Ehepaar T.      ), II. C. 16. (      H.     ), II. C. 18. (     Ha.   ) der Urteilsgründe ist ferner gegebenenfalls von Seiten des neuen Tatgerichts zu erörtern, ob der Angeklagte im jeweils relevanten Angriffszeitpunkt (vgl. hierzu Rn. 22; Beschluss vom – 4 StR 134/19 Rn. 12 f. mwN) eine (möglicherweise irrtümliche) vorsatzgleiche Vorstellung dahingehend hatte, dass die von ihm konkret anvisierten Opfer noch infolge von Arglosigkeit wehrlos waren. In den genannten Fällen wurden die Opfer auf den ihnen geltenden Angriff aufmerksam und konnten ihr Leben im Ergebnis retten (zum Entfallen der Wehrlosigkeit durch Flucht vgl. ; Beschluss vom – 3 StR 120/16). Der Versuch einer heimtückischen Tötung würde hier jedenfalls dann ausscheiden, wenn der Angeklagte im jeweiligen Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens – beispielsweise infolge erkennbarer Fluchtbewegungen – bereits vom Verlust der Arg- und Wehrlosigkeit des anvisierten Opfers ausging.

202. Sollte das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht erneut zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte hinsichtlich aller Geschädigter mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz handelte, erhält es überdies Gelegenheit, für die Fälle, in welchen die Geschädigten den ihnen geltenden Angriff überlebt haben, spezifische Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten Ausführungshandlung zu treffen. Der objektiven Sachlage kann für das allein maßgebliche konkrete Vorstellungsbild des Angeklagten – namentlich ob er in der jeweiligen Tatsituation erkannte, dass er ein Opfer vollständig verfehlt oder aber nicht in tödlicher Weise verletzt hatte, und welche Schlüsse er hieraus gegebenenfalls im Einzelfall zog – allenfalls indizielle Bedeutung zukommen (zum Maßstab vgl. z.B.: ; Beschluss vom – 4 StR 99/15; Beschluss vom – 4 StR 13/13).

213. Das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht wird hinsichtlich des Eintritts einer konkreten Gefährdung im Sinne von § 315b Abs. 1 StGB – namentlich im Fall II. C. 16. (       H.     ) der Urteilsgründe – zu bedenken haben, dass die Wiedergabe einer tatgerichtlichen Wertung („erst im letzten Moment“) nicht die Schilderung der konkreten Verkehrssituation ersetzt. Es wird daher im zweiten Rechtsgang zu prüfen sein, ob in Fall II. C. 16. der Urteilsgründe ergänzende Feststellungen zu Geschwindigkeiten und Abständen – zumindest aufgrund von deren Einschätzung aus Sicht der Zeugen – getroffen werden können, die einen „Beinahe-Unfall“ objektiv belegen (vgl. zu den Anforderungen im Einzelnen z.B. Rn. 5 f.; Beschluss vom – 4 StR 377/22 Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 248/22 Rn. 8).

224. Ferner wird sich das neue Tatgericht bei der Prüfung der gefährlichen Körperverletzung zu vergegenwärtigen haben, dass sowohl § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als auch § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ihrem Wortlaut („mittels“) zufolge ein spezifisches Unmittelbarkeitserfordernis an die Tatbestandsverwirklichung knüpfen. Danach ist § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in den hiesigen Fällen nur bei Verletzungsfolgen erfüllt, die durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Tatfahrzeug oder mit von diesem in Bewegung gesetzten Gegenständen entstanden sind (vgl. Rn. 13 ff. mwN). Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Art der Behandlung des jeweiligen Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden. Eine Lebensgefahr, die sich erst aus weiteren äußeren Umständen ergibt, reicht dafür nicht aus (vgl. Rn. 4 mwN). Die bisherigen Feststellungen in den Fällen II. C. 1. (    R.   ), II. C. 9. (       Ka.    ), II. C. 10. (         Ko.      ) und II. C. 11. (    Wi.      ) der Urteilsgründe gestatten insoweit mindestens im Hinblick auf einen der beiden Qualifikationstatbestände keine abschließende Bewertung dieser Frage.

235. Sollte das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht in konkurrenzrechtlicher Hinsicht unter Ablehnung natürlicher Handlungseinheit erneut zu der von Seiten des Revisionsgerichts eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Rn. 25) vorliegend grundsätzlich hinzunehmenden Würdigung des Tatgeschehens als einer Vielzahl tatmehrheitlich verwirklichter Angriffe gelangen, wird es auf der Grundlage dieser Bewertung Folgendes zu beachten haben: Im Hinblick auf Fall II. C. 1. (    R.  ) und Fall II. C. 2. (     Th.   ) der Urteilsgründe ist auf Grundlage der aktuellen Feststellungen, wonach beide Geschädigte im Rahmen eines (einheitlichen) Abbiegevorgangs fast zeitgleich im Abstand von fünf Meter erfasst wurden, mangels gesonderter Lenkbewegung keine abgrenzbare, nur der Geschädigten R.   geltende Tathandlung ersichtlich. Unter dem Gesichtspunkt der (Teil-)Identität der Ausführungshandlung wäre ohne weitere Feststellungen mithin die Annahme von Tateinheit geboten. Des Weiteren lassen sich die zu Fall II. C. 5. und Fall II. C. 6. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen bislang nur im Sinne eines einheitlichen Angriffs auf das Ehepaar L.     lesen. Sofern auch im zweiten Rechtsgang insoweit keine gesonderte Individualisierung des Tatentschlusses beim Angeklagten festgestellt werden kann, liegt auch hier die Annahme von Tateinheit nahe.

246. Der neue Tatrichter wird auch zu bedenken haben, dass die Art der Tatausführung einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden darf, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Berücksichtigung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. In einem solchen Fall müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieses Umstandes bewusst war und ihm Rechnung getragen hat (vgl. z.B. Rn. 5; Beschluss vom ‒ 4 StR 103/18 Rn. 2).

257. Das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht ist schließlich aufgerufen, sollte es erneut eine Einziehung des Tatfahrzeugs als Tatmittel gemäß § 74 Abs. 1 StGB erwägen, vor dem Hintergrund des § 74 Abs. 3 Satz 1 StGB präziser als bislang geschehen die Eigentumsverhältnisse an dem auf einen „Strohmann“ zugelassenen Geländewagen aufzuklären (vgl. z.B. Rn. 7 mwN) und gegebenenfalls die bei der Einziehung von Tatmitteln notwendige Ermessensausübung aufzuzeigen (vgl. Rn. 6 ff. mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:130923B4STR40.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-53987