Über die Begrenztheit eigenen Wissens: ISA (DE) 620
Liebe Leserinnen und Leser,
das vielleicht etwas kulturpessimistische und doch im Erfahrungsschatz insbesondere der zweifelnden Menschen niedergeschlagene Platon-Zitat „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist für die Arbeit eines Wirtschaftsprüfers definitiv keine große Hilfe. Ansonsten wäre die Irritation vermutlich gewaltig, und es läge die umgekehrte Variante der berühmten Erwartungslücke vor. Die geneigten Adressaten gehen letztlich häufig von einem prüferischen Urteil nahe an der Grenze zur Vollkommenheit aus. Da die Welt aber nicht schwarz-weiß, sondern von zum Beispiel ins bläuliche oder auch grünliche schimmernden Grautönen durchsetzt ist und Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer nicht alles wissen können, bedienen auch sie sich mitunter der Arbeit von Sachverständigen. In seiner ISA (DE)-Beitragsreihe beschäftigt sich WP/StB Prof. Dr. Holger Philipps diesmal mit ISA (DE) 620 zur Verantwortlichkeit von Abschlussprüfern im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines von ihnen zur Unterstützung bei der Erlangung ausreichend geeigneter Prüfungsnachweise eingesetzten Sachverständigen. Ziel des Standards ist, dass Abschlussprüfer festlegen, ob sie Tätigkeiten eines solchen Sachverständigen nutzen wollen und ob dies für die Abschlussprüfung hilfreich ist. Wie WP Praxis-Herausgeber Prof. Dr. Philipps zeigt, sind auch nach ISA (DE) 620 die Anforderungen an die Berücksichtigung des sachverständigen Urteils hoch.
Dass die Abschlussprüfung bei Wirecard bekanntermaßen nicht sehr nahe an der besagten Grenze zur Vollkommenheit lag, aber auch ein Sachverständiger für den Abschlussprüfer keine Lösung gewesen wäre, zeigen die regelmäßigen Berichte über die derzeitige strafrechtliche Aufarbeitung des Falls vor der Münchener Justiz. Einem Aspekt der berufsrechtlichen Konsequenzen für die Abschlussprüfer widmet sich Rechtsanwalt Dr. Philipp Fölsing in dieser Ausgabe. Denn nicht nur für die Strafjustiz ist die Causa Wirecard ein Mammutverfahren: Auch die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) stellt das bisher umfangreichste Aufsichtsverfahren eine Bewährungsprobe dar. Ob die APAS dabei mit ihrer Pressemitteilung vom ein glückliches Händchen hatte, lesen Sie .
Um ein Prüfungsurteil mit hinreichender Sicherheit treffen zu können, kommt den notwendigen Stichprobenumfängen in Abhängigkeit der festgelegten (Toleranz-)Wesentlichkeit eine herausragende Bedeutung zu. Dabei besteht häufig genug ein Spannungsverhältnis zur Wirtschaftlichkeit einer Abschlussprüfung. WP/StB/FBIStR Prof. Dr. Christoph Freichel und WP Prof. Dr. Markus Widmann stellen Rückschlüsse aus Ergebnissen einer Fallstudie im deutschen Berufsstand vor. Ihr Fazit: Sollten sich nur schlecht realisierbare Stichprobenumfänge ergeben, sind weiterführende Überlegungen zur Wesentlichkeitsfestlegung sinnvoller als pauschal die benötigte Stichprobenanzahl durch das prüferisches Ermessen auf einen beliebig niedrigeren, aber unbegründeten Wert zu reduzieren.
Hingewiesen sei außerdem noch auf den diesmal etwas umfangreicheren Fall zur Examensvorbereitung von Prof. Dr. Henner Klönne zur Unternehmensbewertung , der die komplizierte Materie sehr instruktiv aufbereitet hat.
Beste Grüße
Christoph Linkemann
Fundstelle(n):
WP Praxis 10/2023 Seite 273
MAAAJ-48830