Keine ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifel zur Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG bei summarischer Prüfung im Aussetzungsverfahren
Leitsatz
Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002, wonach die Summe der positiven Einkünfte, soweit sie den Betrag von 100 000 DM übersteigt, durch negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern ist, insoweit keine ernstlichen Zweifel, als es sich bei den negativen Einkünften um solche aus Vermietung und Verpachtung handelt, die auch durch nach dem FördG begünstigte Investitionen entstanden sind.
Gesetze: EStG § 2 Abs. 3 i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002FGO § 69 Abs. 3
Instanzenzug: FG Münster
Tatbestand
I.
Die miteinander verheirateten Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) erklärten für die Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen im Streitjahr 1999 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 859 729 DM (438 089 DM und 421 640 DM) und im Streitjahr 2000 in Höhe von 829 729 DM (423 089 DM und 406 640 DM). Dem stehen Werbungskosten-Überschüsse aus Vermietung und Verpachtung von jeweils 737 178 DM (368 590 DM und 368 588 DM) für 1999 und 2000 gegenüber, die insbesondere aus der Anschaffung und Modernisierung von zwei Immobilienobjekten im Beitrittsgebiet in den Jahren 1992 bis 1996 resultieren. Nach Angaben der Antragsteller wurden für die Investitionen Kreditmittel von rd. 5,5 Mio. DM aufgenommen und sind in den Werbungskosten-Überschüssen Abschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz (FördG) von ca. 450 000 DM enthalten. Unter Anwendung des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. das Gesetzes vom (BGBl. I 1999, 402, BStBl I 1999, 304 - Steuerentlastungsgesetz - StEntlG - 1999 ff.) blieben von den Werbungskosten-Überschüssen im Zeitraum 1999 207 314 DM (737 178 DM ./. 529 864 DM) und im Zeitraum 2000 222 314 DM (737 178 DM ./. 514 864 DM) bei der Berechnung der Einkommensteuervorauszahlungen unberücksichtigt.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) setzte die Vorauszahlungen entsprechend fest. Die Antragsteller machten im Einspruchsverfahren geltend, dass die Neuregelung des § 2 Abs. 3 EStG gegen Verfassungsrecht verstoße. Sie hätten in den Jahren 1992 bis 1996 zum staatlich geförderten Aufbau Ost beigetragen und zwei Immobilienobjekte erworben. Ihre kreditfinanzierte Investitionsentscheidung hätte ohne die Neuregelung des § 2 Abs. 3 EStG zu einer faktischen Steuerfreistellung bis zum Jahre 2001 geführt. Obwohl ihnen nach dieser Planung für 1999 und 2000 kein disponibles Einkommen verbliebe, müssten sie ca. 150 000 DM Steuern zahlen. Damit sei ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet.
Nach erfolglosem Antrag beim FA setzte das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der angefochtenen Bescheide aus. Es bestünden ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung des § 2 Abs. 3 EStG.
1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seiner Entscheidung vom 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1999, 44) ausdrücklich ausgeführt, dass das EStG dem Gebot der Gleichbehandlung der Einkunftsarten grundsätzlich insoweit genüge, als es für alle Einkunftsarten den Ausgleich und Abzug von Verlusten vorsehe. Im Streitfall dürften die Antragsteller ihre voraussichtlichen Werbungskosten-Überschüsse nicht vollständig mit ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit verrechnen. Eine Ungleichbehandlung sei darin zu sehen, dass die Antragsteller verpflichtet blieben, Steuern zu zahlen, obwohl ihre Leistungsfähigkeit in einem so hohen Umfang gemindert sei, dass sie bei direkter Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips keine Steuern zu zahlen hätten.
2. Es könne nicht eingewendet werden, dass über § 10 d EStG in späteren Veranlagungszeiträumen eine Verlustverrechnung möglich sei. Auch in § 10 d EStG werde das Verrechnungsprinzip des § 2 Abs. 3 EStG fortgeführt. Zum anderen habe sich der Staat im Einkommensteuerrecht auf das Jahressteuerprinzip festgelegt (§§ 2 Abs. 7, 25, 36 Abs. 1 EStG).
3. Ungleichbehandlungen seien nur dann gerechtfertigt, wenn besondere sachliche Gründe hierfür bestünden. Im Streitfall sei zumindest ernstlich zweifelhaft, ob derartige Gründe gegeben und ob Missbräuche und Fehlentwicklungen generell für bestimmte Einkunftsarten feststellbar seien. Außerdem hätten gerade im Bereich von Vermietung und Verpachtung besondere Förderprogramme gegolten.
4. Es könne dahinstehen, ob auch insoweit ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel zu bejahen seien, als die Antragsteller ihre Investitionsentscheidung vor der Einführung des § 2 Abs. 3 EStG getroffen hätten.
5. Entgegen der Auffassung des FA bestünden keine die Vollziehung rechtfertigenden überwiegenden öffentlichen Interessen.
6. Den Antragstellern verbleibe für 1999 und 2000 nur ein zu versteuerndes Einkommen, das deutlich unter dem sozialhilferechtlichen Existenzminimums liege. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens seien auch die geltend gemachten Modernisierungsaufwendungen zu berücksichtigen.
7. Es sei zu bedenken, ob das Rechtsstaatsprinzip nicht einen schonenden Übergang fordere, etwa indem eine allgemeine Übergangsfrist gewährt oder bestimmte Objekte aus dem Anwendungsbereich der Neuregelung herausgenommen würden.
Mit der Beschwerde macht das FA geltend:
1. Durch die Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG würden Verluste nicht gänzlich vom Abzug ausgeschlossen, sondern vielmehr in einem modifizierten Verfahren über verschiedene Zeiträume verteilt. § 7 EStG nehme eine vergleichbare Verteilung vor.
2. Verfassungsrechtliche Zweifel im Hinblick auf eine etwaige Rückwirkung, mangelnden Vertrauensschutz und fehlende Übergangsregelung seien nicht gegeben.
3. Soweit das FG ausführe, dass das zu versteuernde Einkommen voraussichtlich unter dem Existenzminimum liegen würde, gehe es von unzutreffenden Werten aus. In den negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung seien Modernisierungsaufwendungen in Höhe von 450 432 DM enthalten, die auf die Jahre 1992 bis 1995 entfielen.
Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung zurückzuweisen.
Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Theoretisch bestehe die Möglichkeit, dass eine Verlustverrechnung gänzlich ausgeschlossen werde.
2. Der Hinweis des FA auf § 7 EStG gehe an der Sache vorbei. Abschreibungen seien periodisierte Ausgaben in der steuerlichen Gewinnermittlung. Die Abschreibungen für Modernisierungsaufwendungen könnten nicht aus der Berechnung herausgenommen werden.
3. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsplanung stehe dem Begehren nach Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Das Individualinteresse der Antragsteller an Vertrauensschutz und Kontinuität der Rechtsordnung und die von ihr ausgehende Planungssicherheit seien höher zu bewerten.
Gründe
II.
Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung der Anträge.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1999, 468). Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm begründen (ständige Rechtsprechung, u. a. , BFH/NV 1996, 94).
2. § 2 Abs. 3 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom gilt erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 (§ 52 Abs. 1 EStG). Gemäß § 2 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 EStG ist die Summe der positiven Einkünfte, soweit sie den Betrag von 100 000 DM übersteigt, durch negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern. Die Minderung ist in dem Verhältnis vorzunehmen, in dem die positiven Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten zur Summe der positiven Einkünfte stehen. Übersteigt die Summe der negativen Einkünfte den nach Satz 3 ausgleichsfähigen Betrag, sind die negativen Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten in dem Verhältnis zu berücksichtigen, in dem sie zur Summe der negativen Einkünfte stehen. Die Sätze 6 bis 8 bestimmen, wie der Verlustausgleich bei zusammenveranlagten Ehegatten durchzuführen ist, wenn nicht ausgeglichene negative Einkünfte eines Ehegatten beim anderen Ehegatten noch ausgeglichen werden können.
3. Nach Auffassung des Senats bestehen - entgegen den von der Vorinstanz und in der Literatur erhobenen Bedenken - keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG, soweit er für den Streitfall von Bedeutung ist.
a) Die Vorschrift widerspricht nicht dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
aa) Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der sich aus einem Zusammenwirken des Demokratieprinzips, der Freiheitsrechte, der Gleichheitsrechte und des Sozialstaatsgedankens ableitet, ist freiheitsschützend (Art. 2, Art. 14 des Grundgesetzes - GG -), fordert zugleich aber auch sozial ausgewogene Verteilungsgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 GG). Die Steuer ist eine Gemeinlast, die alle Inländer je nach ihrem Einkommen, Vermögen und ihrer Nachfragekraft zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben heranzieht (, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, 660). Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz verlangt in ihrer bereichsspezifischen Anwendung, dass jeder Inländer je nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gleichmäßig zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird (vgl. auch , BStBl II 1999, 509, HFR 1999, 295). Das Leistungsfähigkeitsprinzip statuiert absolute und relative Grenzen; die Besteuerung muss im Verhältnis zu den Mitsteuerpflichtigen angemessen sein, sie darf aber auch bestimmte absolute Grenzen nicht überschreiten. Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bestimmt, in welchem Maß der Einzelne als zur Solidarität verpflichtetes Mitglied der Gesellschaft zur Steuerleistung heranzuziehen ist.
Eine Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist das sog. Nettoprinzip (Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Aufl., 1998, § 4 Rz. 113, § 9 Rz. 42 f.). Leistungsfähigkeit zur Steuerzahlung setzt erst nach Berücksichtigung des erwerbs- und existenzsichernden Aufwandes ein. Nur der Betrag, der dem Steuerpflichtigen nach Abzug notwendiger Ausgaben - netto - verbleibt, ist geeignete Grundlage zur Bemessung der Steuer. Das objektive Nettoprinzip gebietet den Abzug von (erwerbssichernden) Aufwendungen, die mit der Einkunftserzielung in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen. Es ist von Verfassungs wegen nicht notwendigerweise in jedem einzelnen - aus rein erhebungstechnischen Gründen gewählten - Veranlagungszeitraum zu verwirklichen (vgl. Tipke/Lang, a. a. O., § 9 Rz. 44).
bb) Der Gesetzgeber respektiert in § 2 Abs. 3 EStG das objektive Nettoprinzip, indem er die grundsätzliche Abziehbarkeit der entstandenen Verluste nicht in Frage stellt. Er schränkt das Prinzip allerdings dadurch ein, dass er den sofortigen Ausgleich von positiven und negativen Einkünften verschiedener Einkunftsarten (vertikaler Verlustausgleich) von einer bestimmten Höhe an nicht mehr zulässt; der überschießende Anteil an negativen Einkünften wird auf andere Veranlagungszeiträume rück- bzw. vorgetragen.
Die Beschränkung des vertikalen Verlustausgleichs verhindert nicht den Abzug erwerbssichernden Aufwands und verstößt nicht gegen das allgemeine Leistungsfähigkeitsprinzip. Dieses Prinzip verlangt nicht, dass jedwede Verluste sofort zu verrechnen sind. Es genügt vielmehr, dass die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44).
Im Übrigen werden einkommensteuerrechtlich Verluste seit jeher im Verhältnis zu positiven Einkünften unterschiedlich behandelt. Sowohl die Regelung des § 10 d EStG als auch andere Verlustabzugsbeschränkungen (z. B. §§ 2 a, 2 b, 15 Abs. 4, 15 a, 22 Nr. 3 Satz 3, 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG) haben eine wechselvolle Geschichte, die erkennen lässt, dass der Gesetzgeber jedenfalls nicht zu einer Regelung verpflichtet ist, nach der Verluste sofort und vollständig ausgeglichen werden können (vgl. zu § 2a EStG , BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136; , Internationales Steuerrecht - IStR - 1998, 344; zu § 15 a EStG , BFHE 150, 514, BStBl II 1988, 5). So hat es das (HFR 1978, 293) verfassungsrechtlich nicht beanstandet, dass der Verlustabzug auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste beschränkt war.
Gerade in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige neben hohen Verlusten auch hohe positive Einkünfte erzielt hat, kann der Gesetzgeber eine differenzierende Lösung vorsehen, die trotz der Verluste den begrenzten steuerlichen Zugriff auf die positiven Einkünfte erlaubt. Der Gesetzgeber kann dabei berücksichtigen, dass Steuerpflichtige, die über hohe positive Einkünfte verfügen, häufig durch gezielte Maßnahmen, die - wie z. B. Investitionen nach dem FördG - steuerrechtlich zu Verlusten führen, ihre Einkommensteuerschuld herabzusetzen versuchen. So hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 2 Abs. 3 EStG darauf reagiert, dass das Aufkommen an Einkommensteuer kontinuierlich gesunken war. Das Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer betrug im Jahr 1992 rd. 41 Mrd. DM und im Jahr 1997 6,5 Mrd. DM (vgl. Jahrbuch des Statistischen Bundesamts, Jahrgang 1998, S. 510, Lfd. Nr. 3; Saathoff, Finanz-Rundschau - FR - 1998, 917, 921; Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und US-amerikanischen Einkommensteuerrecht, 2001, 23). Der Gesetzgeber war berechtigt, dieser Entwicklung entgegenzutreten, um die Aushöhlung der Basis der Einkommensteuer zu verhindern und dafür Sorge zu tragen, dass auch Steuerpflichtige mit hohen positiven Einkünften der Gemeinschaft der Einkommensteuerzahler erhalten bleiben und dass das Gleichmaß der Belastung unter Beachtung des Übermaßverbotes wieder hergestellt wurde.
Die bloße Existenz steuerlicher Verluste erzwingt noch nicht deren unbedingte und uneingeschränkte Berücksichtigung. Der Gesetzgeber kann vielmehr danach differenzieren, durch welche Umstände die Minderung der Leistungsfähigkeit eingetreten ist. Die Leistungsfähigkeit ist normativ, nicht faktisch zu bestimmen; sie ist Ausdruck einer fairen Belastungssymmetrie. Da das Leistungsfähigkeitsprinzip stets im Rahmen der Rechts- und Sozialordnung zu interpretieren ist, kann der Gesetzgeber berücksichtigen, dass Verluste häufig planvoll und bewusst zur Verrechnung mit positiven Einkünften herbeigeführt werden.
In diesem Sinn hat das , 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86 (BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 663) den Ausschluss des Verlustausgleichs zwischen verschiedenen Einkunftsarten nach § 11 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) i. d. F. des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 als verfassungsrechtlich unbedenklich beurteilt. Das Ziel des Gesetzgebers, sozialpolitisch nicht berücksichtigungswürdige Verluste bei der Gewährung des erhöhten Kindergeldes außer Betracht zu lassen, sei legitim. Erfasst würden nur Fälle, in denen der Kindergeldberechtigte aus anderen Einkunftsarten überdurchschnittliche Einkünfte erziele. In solchen Fällen werde es häufig so sein, dass der Verlust nicht aus einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Erwerbstätigkeit entstanden sei, sondern auf der Ausnutzung steuerlicher Vergünstigungen oder auf sonstigen Umständen beruhe, die eine Außerachtlassung des Verlustes bei der Kindergeldgewährung gestatteten.
Im Unterschied zu der Regelung im BKGG, die den Verlustausgleich vollständig ausschloss, wird durch § 2 Abs. 3 EStG der Verlustausgleich nur beschränkt und zeitlich gestreckt, aber kraft Gesetzes nicht vollständig versagt.
b) § 2 Abs. 3 EStG ist verfassungsrechtlich nicht wegen eines widersprüchlichen Verhaltens des Gesetzgebers zu beanstanden, der auf der einen Seite Steuervergünstigungen - bezogen auf den Streitfall nach dem FördG - gewährt und auf der anderen Seite die Verrechnung von dadurch bedingten Verlusten beschränkt. Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit und der Verhältnismäßigkeit kann der Gesetzgeber die Inanspruchnahme steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten begrenzen. Insoweit ist es ihm auch erlaubt, vom System des unbegrenzten vertikalen Verlustausgleichs abzuweichen und Sonderregelungen zu treffen. Welcher Regelung der Gesetzgeber unter mehreren denkbaren Möglichkeiten letzten Endes den Vorzug gibt, ist seinem gesetzgeberischen Ermessen vorbehalten, soweit die Regelung nicht von vornherein als untauglich und ungeeignet einzustufen ist. Die Begrenzung des Verlustausgleichs erscheint im Hinblick auf die Gefahr der Fehllenkung von Steuersubventionen sachgerecht. Sie ermöglicht die im Hinblick auf den drastischen Rückgang des Einkommensteueraufkommens gebotene maßvolle Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen.
c) Ob der Gesetzgeber verpflichtet war, zwischen ,,echten'' Verlusten, die sich aus unternehmerischen Tätigkeiten ergeben, und Verlusten, die insbesondere aus der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen entstehen, zu unterscheiden und ,,echte Verluste'' aus dem Anwendungsbereich der Mindestbesteuerung herauszunehmen, braucht der Senat im vorliegenden Streitfall nicht zu entscheiden (dazu Herzig/Briesemeister, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1999, 1377, 1382/3; Offerhaus, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 2000, 9,11 ). Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Regelung insoweit verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, als sie an die Summe der positiven Einkünfte bzw. negativen Einkünfte einzelner Einkunftsarten anknüpft, obwohl es der Steuerpflichtige in einzelnen Fällen in der Hand hat, die Art der Einkünfte zu bestimmen (dazu Herzig/Briesemeister, DStR 1999, 1377, 1382) und damit die ,,Verrechnungsschranke'' zu überwinden.
d) Soweit § 2 Abs. 3 EStG im Streitfall für die Entscheidung relevant ist - dies ist allein Satz 3 -, ist er verständlich und praktikabel. Der Zweck der Regelung, eine Mindestbesteuerung für bestimmte positive Einkünfte herbeizuführen ist klar erkennbar. Welche Berechnungen nach § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG vorzunehmen sind, ist ohne weiteres nachvollziehbar.
e) § 2 Abs. 3 EStG verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit der einzelnen Einkunftsarten (,,synthetische Einkommensteuer'' im Gegensatz zur ,,Schedulenbesteuerung''). Die Einkunftsarten werden gleichbehandelt. Eine Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Einkunftsarten, wie sie z. B. im Fall des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG gegeben war (dazu BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44), findet - entgegen der Auffassung des FG - nicht statt und ist auch von Gesetzes wegen nicht beabsichtigt. Allerdings geht der Gesetzgeber davon aus, dass in der Erzielung positiver Einkünfte eine bestimmte Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt, die auch durch entsprechende negative Einkünfte nicht in vollem Umfang geschmälert wird (vgl. Birk/Kulosa, FR 1999, 433, 439).
f) Die Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG im Streitfall begegnet auch im Hinblick auf das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende grundsätzliche Verbot, rückwirkend belastende Steuergesetze zu erlassen, keinen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist zwischen echter und unechter Rückwirkung bzw. Rückbewirkung der Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung zu unterscheiden. Erstere, die vorliegt, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird, ist nur in ganz engen Grenzen zulässig. Demgegenüber unterliegt die tatbestandliche Rückanknüpfung, d. h. die Einwirkung eines Gesetzes auf in der Vergangenheit begründete, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft weniger strengen Beschränkungen (Beschlüsse des 2. Senats vom 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 257, 258; des 1. Senats vom 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 86, 87, und des 2. Senats vom 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79, 80). Die Zulässigkeit einer solchen tatbestandlichen Rückanknüpfung ist vorrangig an den Grundrechten zu messen, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandmerkmals vor Verkündung der Norm ,,ins Werk gesetzt'' worden sind. In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit ein. Es ist abzuwägen zwischen den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen, insbesondere dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das gemeine Wohl (Beschluss des 2. Senats vom 2 BvL 19/91, 2 BvR 1206, 1584/91 und 2601/93, BVerfGE 92, 277, 325, 344). Bei sog. Verschonungssubventionen führt bereits die Annahme des ,,Subventionsangebots'' durch entsprechende wirtschaftliche Dispositionen zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage. In diesem Fall berechtigen zwingende Gründe des gemeinen Wohls den Gesetzgeber, das Vertrauen des Einzelnen in die Aufrechterhaltung seiner Rechtsposition zu durchbrechen und zur sofortigen Abwehr offensichtlicher Gefahren und Missstände die geeigneten und notwendigen Maßnahmen zu treffen (Beschluss in BVerfGE 97, 67, 79, 80, m. w. N.).
Die Antragsteller haben ihre Investitionsentscheidungen in den Jahren 1992 bis 1996 getroffen. Sie können ihre aus diesen Investitionen herrührenden Werbungskosten-Überschüsse ab 1999 nicht mehr in vollem Umfang ausgleichen. Auf diese Beschränkung des Verlustausgleichs durch § 2 Abs. 3 EStG sind die Regeln über die tatbestandliche Rückanknüpfung anzuwenden; denn der Tatbestand, an den das EStG die Leistungspflicht knüpft, wurde vollständig erst in den Jahren 1999 und 2000 verwirklicht.
Bei der gebotenen Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen der Antragsteller zurückzutreten. Der Senat verkennt nicht die Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens, insbesondere in Bezug auf die Steuerbegünstigung nach dem FördG. Jedoch war der Gesetzgeber aus zwingenden Gründen des gemeinen Wohls gehalten, den Verlustausgleich zu beschränken. Dies war erforderlich, um im Einkommensteuerrecht wieder Belastungsgleichheit herzustellen, die nicht zuletzt wegen der zu steuerlichen Verlusten führenden Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nicht mehr gegeben war, und um einem weiteren Rückgang des Aufkommens an veranlagter Einkommensteuer entgegenzuwirken. Die Beschränkung des Verlustausgleichs ist eine hierfür geeignete Maßnahme, die sich in einem maßvollen Rahmen hält. § 2 Abs. 3 EStG führt nicht dazu, dass die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten versagt wird; der Abzug wird nur zeitlich gestreckt. Die Abziehbarkeit der Verluste im Verlustentstehungsjahr bleibt in Höhe von 100 000 DM zuzüglich der Hälfte der diesen Betrag übersteigenden positiven anderen Einkünfte im Vergleich zur früheren Gesetzeslage unverändert. Die im Verlustentstehungsjahr nicht ausgeglichenen Verluste gehen nicht verloren, sondern mindern das Einkommen späterer Veranlagungszeiträume. Wirtschaftlich betrachtet wird die Einkommensteuer-Zahlung der Antragsteller vorgezogen; sie erleiden durch die Neuregelung einen Zinsnachteil. Dieser Nachteil ist angesichts der Bedeutung des Anliegens des Gesetzgebers in Kauf zu nehmen.
4. Eine Aussetzung der Vollziehung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil deren Versagung eine unbillige Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Entsprechende Anhaltspunkte sind nicht vorgetragen worden und auch im Übrigen nicht erkennbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 552
BB 2001 S. 1451 Nr. 28
BB 2001 S. 1665 Nr. 33
BFH/NV 2001 S. 1078 Nr. 8
BFHE S. 314 Nr. 195
DB 2001 S. 1460 Nr. 27
DStR 2001 S. 1109 Nr. 27
DStRE 2001 S. 729 Nr. 14
FR 2001 S. 777 Nr. 15
INF 2001 S. 508 Nr. 16
StB 2001 S. 379 Nr. 10
SAAAA-88970