Bundesministerium der Finanzen - IV B 7 - S 7300 - 15/03 IV B 7 - S 7300 - 1/03 BStBl 2003 I 313

Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) und Berichtigung des Vorsteuerabzuges (§ 15a UStG)

Zu der Anwendung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - (Urteile vom - Rs. C-396/98, und C-400/98) [1] und des -, vom - V R 24/98 -, vom - V R 46/00 -, vom - V R 38/00 -, und vom - V R 58/00) [2] zu dem Vorsteuerabzug sowie der Änderung des § 15a UStG durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom (BGBl 2001 I S. 3794 / BStBl 2002 I S. 4) gilt unter Bezugnahme auf die Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder Folgendes:

1 Vorsteuerabzug

1.1 Leistungsbezug und Verwendung

Die in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 UStG bezeichneten Vorsteuern können nicht abgezogen werden, wenn der Unternehmer bestimmte steuerfreie oder bestimmte nicht steuerbare Umsätze ausführt. Zu diesen Umsätzen gehören auch die entsprechenden unentgeltlichen Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG. Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug erstreckt sich nach § 15 Abs. 2 und 3 UStG auf die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, die der Unternehmer zur Ausführung der dort bezeichneten Umsätze verwendet sowie auf die Steuer für sonstige Leistungen, die er für diese Umsätze in Anspruch nimmt. Der Begriff der Verwendung einer Lieferung oder sonstigen Leistung umfasst auch die Verwendungsabsicht Das Recht auf Vorsteuerabzug des Unternehmers entsteht dem Grunde und der Höhe nach bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezuges. Im Rahmen des § 15 Abs. 2 und 3 UStG kommt es entscheidend darauf an, ob der Unternehmer im Zeitpunkt des Leistungsbezuges die Absicht hat, die Eingangsumsätze für solche Ausgangsumsätze zu verwenden, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen ( a.a.O.). Bei jedem Leistungsbezug muss der Unternehmer über die beabsichtigte Verwendung der Leistung sofort entscheiden. Das gilt auch für jeden Leistungsbezug im Zeitraum der Herstellung eines Wirtschaftsgutes. Maßgeblich ist regelmäßig die erste Leistung oder die erste unentgeltliche Wertabgabe, in die die bezogene Leistung Eingang finden soll. Bei der Zurechnung sind grundsätzlich nur Umsätze zu berücksichtigen, die nach Inanspruchnahme der vorsteuerbelasteten Leistungen ausgeführt werden sollen. Es reicht aus, dass der Unternehmer die Absicht hat, auf die Steuerfreiheit der Verwendungsumsätze zu verzichten ( a.a.O.). Die Verwendungsabsicht muss objektiv belegt und in gutem Glauben erklärt werden. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug bleibt auch dann bestehen, wenn es später nicht zu den beabsichtigten Verwendungsumsätzen kommt (vgl. a.a.O.). Bei Anzahlungen für Leistungen, die später nicht bezogen werden, ist die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt der Anzahlung maßgeblich (vgl. a.a.O.). Änderungen in der Verwendungsabsicht wirken sich nur auf nachfolgende Leistungsbezüge oder Anzahlungen und den sich daraus ergebenden Vorsteuerabzug aus. Eine Änderung der Verwendungsabsicht ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die geänderte Absicht tatsächlich umgesetzt wird. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass die ursprüngliche Absicht vollständig aufgegeben oder durch die neue überlagert wurde. Zum Vorsteuerabzug nach der Änderung der Verwendungsabsicht vgl. a.a.O. Vor der erstmaligen Verwendung ist eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG nicht vorzunehmen (siehe die Ermittlung eines prozentualen Verhältnisses des ursprünglichen Vorsteuerabzuges zum Vorsteuervolumen insgesamt unter 2.1).

1.2 Belegung der Verwendungsabsicht

Die objektiven Anhaltspunkte (z.B. Mietverträge, Zeitungsinserate, Beauftragung eines Maklers, Schriftwechsel mit Interessenten, Vertriebskonzepte, Kalkulationsunterlagen), die die Verwendungsabsicht belegen, sind regelmäßig einzelfallbezogen zu betrachten. Dabei ist das Gesamtbild der Verhältnisse entscheidend; Behauptungen reichen nicht aus. Es sind vielmehr konkrete Nachweise erforderlich, die einem strengen Prüfungsmaßstab unterliegen. Dabei gehen Unklarheiten zu Lasten des Unternehmers.

Sind Leistungen bezogen worden, deren tatsächliche Verwendung ungewiss ist, weil die Verwendungsabsicht nicht durch objektive Anhaltspunkte belegt wird, scheidet der Vorsteuerabzug aus. Für den Vorsteuerabzug sind ausschließlich die Erkenntnisse im Zeitpunkt des Leistungsbezuges zu Grunde zu legen. Spätere Erkenntnisse über den Leistungsbezug wirken sich auf die ursprüngliche Entscheidung nicht aus. Ein zunächst vorgenommener Vorsteuerabzug ist deshalb nach § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2 oder § 173 Abs. 1 AO durch Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung rückgängig zu machen, wenn später festgestellt wird, dass objektive Anhaltspunkte für die erklärte Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezuges nicht vorlagen. Dies gilt auch, wenn die Verwendungsabsicht nicht in gutem Glauben erklärt wurde oder ein Fall von Betrug oder Missbrauch vorliegt.

2 Berichtigung des Vorsteuerabzuges nach § 15a UStG

Das Recht auf Vorsteuerabzug des Unternehmers entsteht bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezuges (siehe 1.1). Als Folge dieser EG-richtlinienkonformen Auslegung des § 15 UStG ist § 15a UStG durch das Steueränderungsgesetz 2001 mit Wirkung ab dem angepasst worden. Für die Anwendung des § 15a UStG ist die Nutzung ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung mit den für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen zu vergleichen. Erstmalige Verwendung im Sinne des § 15a UStG ist die erstmalige tatsächliche Nutzung des Wirtschaftsgutes. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch der Berichtigungszeitraum des § 15a UStG. Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist der Vorsteuerabzug zu berichtigen.

Bei der Berichtigung des Vorsteuerabzuges ist von den gesamten Vorsteuerbeträgen auszugehen, die auf die Anschaffung oder Herstellung des Wirtschaftsgutes entfallen (Ermittlung eines prozentualen Verhältnisses des ursprünglichen Vorsteuerabzuges zum Vorsteuervolumen insgesamt).

Führt die Berichtigung nach § 15a UStG zu einem erstmaligen Vorsteuerabzug, weil der Vorsteuerabzug beim Leistungsbezug nach § 15 Abs. 2 und 3 UStG ausgeschlossen war, dürfen nur die Vorsteuerbeträge angesetzt werden, für die die allgemeinen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG vorliegen. Vorsteuerbeträge, für die der Abzug zu versagen ist, weil keine ordnungsgemäße Rechnung oder kein zollamtlicher Einfuhrbeleg vorliegt, sind von der Berichtigung ausgenommen.

2.1 Änderung der Verhältnisse

Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG liegt vor, wenn sich im Berichtigungszeitraum nach § 15 Abs. 2 und 3 UStG ein höherer oder niedrigerer Vorsteuerabzug ergäbe, als er ursprünglich zulässig war. Hierbei sind die Verhältnisse in den einzelnen Kalenderjahren für sich zu beurteilen.

Beispiel 1:

Ein Unternehmer errichtet ein Bürogebäude. Die im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes insgesamt in Rechnung gestellte Umsatzsteuer beträgt in den Jahren 01 und 02 insgesamt 400 000 €. Die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 15 UStG belaufen sich vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung (Investitionsphase) auf 400 000 €. Das Gebäude wird, wie bereits während der zweijährigen Investitionsphase beabsichtigt, ab dem (Jahr der erstmaligen Verwendung) zu 100 % für zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze verwendet, in den Jahren 04 und 05 zu 60 % und ab Jahr 06 zu 40 %.

Insgesamt in Rechnung gestellte Umsatzsteuer: 400 000 €

Ursprünglicher Vorsteuerabzug (Ermittlung eines prozentualen Verhältnisses des ursprünglichen Vorsteuerabzuges zum Vorsteuervolumen insgesamt): 400 000 € (100 % von 400 000 €)

Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung:

Dauer des Berichtigungszeitraums: bis

Tatsächliche zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung im Berichtigungszeitraum Jahr 03 = 100 %, Jahre 04 und 05 = 60 % und ab Jahr 06 = 40 %

Änderung der Verhältnisse:

Jahr 03: 0 % (ohne Änderung)

Jahre 04 und 05: 40 % (60 % statt 100 %)

ab Jahr 06: 60 % (40 % statt 100 %)

Vorsteuerberichtigung pro Jahr:

(400 000 € / 10 Jahre = 40 000 € pro Jahr)

Jahr 03: 0 € (40 000 € × 0 %)

Jahre 04 und 05: 16 000 € (40 000 € × 40 %) zurückzuzahlende Vorsteuer

ab Jahr 06: 24 000 € (40 000 € × 60 %) zurückzuzahlende Vorsteuer

Diese Berichtigungen sind in den Voranmeldungszeiträumen durchzuführen.

Als Verwendung sind auch die Veräußerung und die unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b UStG anzusehen. Voraussetzung ist jedoch, dass das Wirtschaftsgut im Zeitpunkt dieser Umsätze objektiv noch verwendungsfähig ist. Veräußerung und unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b UStG sind hierbei so anzusehen, als ob das Wirtschaftsgut bis zum Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums entsprechend der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung dieser Umsätze weiterhin innerhalb des Unternehmens verwendet worden wäre.

Beispiel 2:

Ein Unternehmer errichtet ein Bürogebäude. Die im Zusammenhang mit der Herstellung des Bürogebäudes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer beträgt in den Jahren 01 100 000 € und 02 300 000 € (insgesamt 400 000 €). Die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 15 UStG belaufen sich vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung (Investitionsphase) auf 100 000 € (Jahr 01 = 100 000 €, Jahr 02 = 0 €), da der Unternehmer im Jahr 01 eine zu 100 % und im Jahr 02 eine zu 0 % zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung des Gebäudes beabsichtigte. Das Gebäude wird ab dem (Jahr der erstmaligen Verwendung) zu 100 %, im Jahr 04 zu 50 % und im Jahr 05 zu 0 % für zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze verwendet. Am wird das Bürogebäude steuerfrei nach § 4 Nr. 9a UStG an eine Bank veräußert (kein Fall des § 1 Abs. 1a UStG).

Insgesamt in Rechnung gestellte Umsatzsteuer: 400 000 €

Ursprünglicher Vorsteuerabzug (Ermittlung eines prozentualen Verhältnisses des ursprünglichen Vorsteuerabzuges zum Vorsteuervolumen insgesamt): 100 000 € (25 % von 400 000 €)

Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung:

Dauer des Berichtigungszeitraums: bis

Tatsächliche zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung im Berichtigungszeitraum:

Jahr 03 = 100 %, Jahr 04 = 50 %, Jahr 05 = 0 % und ab Jahr 06 = 0 %

Änderung der Verhältnisse:

Jahr 03: 75 % (100 % statt 25 %)

Jahr 04: 25 % (50 % statt 25 %)

Jahr 05: 25 % (0 % statt 25 %)

ab Jahr 06: 25 % (0 % statt 25 %)

Vorsteuerberichtigung pro Jahr:

(400 000 € / 10 Jahre = 40 000 € pro Jahr)

Jahr 03: 30 000 € (40 000 € × 75 %) nachträgliche Vorsteuer

Jahr 04: 10 000 € (40 000 € × 25 %) nachträgliche Vorsteuer

Jahr 05: 10 000 € (40 000 € × 25 %) zurückzuzahlende Vorsteuer

im Jahr 06: 70 000 € (40 000 € × 25 % × 7 Jahre) zurückzuzahlende Vorsteuer

Diese Berichtigungen sind in den Voranmeldungszeiträumen durchzuführen.

Steht ein Gebäude vor der erstmaligen Verwendung leer, beginnt der Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG erst mit der erstmaligen tatsächlichen Verwendung.

Beispiel 3:

Ein Unternehmer errichtet ein Bürogebäude. Die im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer beträgt in den Jahren 01 100 000 € und 02 300 000 € (insgesamt 400 000 €). Die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 15 UStG belaufen sich vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung (Investitionsphase) auf 100 000 €, da der Unternehmer im Jahr 01 eine zu 100 % und im Jahr 02 eine zu 0 % zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung des Gebäudes beabsichtigte. Das Gebäude steht nach der Investitionsphase zwei Jahre leer (Jahr 03 und Jahr 04). Ab dem Jahr 05 wird das Gebäude zu 100 % für zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze verwendet.

Insgesamt in Rechnung gestellte Umsatzsteuer: 400 000 €

Ursprünglicher Vorsteuerabzug (Ermittlung eines prozentualen Verhältnisses des ursprünglichen Vorsteuerabzuges zum Vorsteuervolumen insgesamt): 100 000 € (25 % von 400 000 €)

Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung:

Dauer des Berichtigungszeitraums: bis

Tatsächliche zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung im Berichtigungszeitraum: ab Jahr 05 = 100 %

Änderung der Verhältnisse:

ab Jahr 05: 75 % (100 % statt 25 %)

Vorsteuerberichtigung pro Jahr:

(400 000 € / 10 Jahre = 40 000 € pro Jahr)

ab Jahr 05: 30 000 € (40 000 € × 75 %) nachträgliche Vorsteuer

Diese Berichtigungen sind in den Voranmeldungszeiträumen durchzuführen.

Auch für Leistungsbezüge während des Leerstandes vor der erstmaligen Verwendung richtet sich der Vorsteuerabzug nach der im Zeitpunkt des Leistungsbezuges gegebenen Verwendungsabsicht (siehe 1.2).

Steht ein Gebäude im Anschluss an seine erstmalige Verwendung für eine bestimmte Zeit ganz oder teilweise leer, ist bis zur tatsächlichen erneuten Verwendung des Wirtschaftsgutes anhand der Verwendungsabsicht (siehe 1) zu entscheiden, ob sich die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ändern werden. Keine Änderung der Verhältnisse liegt vor, wenn im Anschluss an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Verwendung auch künftig zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze ausgeführt werden sollen (vgl. a.a.O.). Dagegen kann die Änderung der Verwendungsabsicht oder die spätere erneute tatsächliche Verwendung zur Vorsteuerberichtigung führen.

2.2 Anwendung

Dieses Schreiben ist auf Besteuerungszeiträume ab dem Kalenderjahr 2002 anzuwenden.

Wird für einen Zeitraum vor dem der Vorsteuerabzug unter Berufung auf die unter 1 wiedergegebenen Grundsätze geltend gemacht, ist § 15a UStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2001 für Zeiträume vor dem nach Treu und Glauben sinngemäß anzuwenden.

Die Regelungen in den UStR 2000 sind nicht mehr anzuwenden, soweit sie den in diesem Schreiben dargelegten Grundsätzen entgegenstehen.

Bundesministerium der Finanzen v. - IV B 7 - S 7300 - 15/03 IV B 7 - S 7300 - 1/03


Fundstelle(n):
BStBl 2003 I Seite 313
PAAAA-82127

1Anm.: Die EuGH-Urteile werden zeitgleich mit diesem BMF-Schreiben im BStBl. Teil II veröffentlicht.

2Anm.: Die BFH-Urteile werden zeitgleich mit diesem BMF-Schreiben im BStBl. Teil II veröffentlicht.