BAG Urteil v. - 9 AZR 364/19

Befristung des tariflichen Mehrurlaubs - Gleichbehandlung - Behinderung

Leitsatz

Die Tarifvertragsparteien sind befugt, die Befristung und Übertragung bzw. den Verfall des Mehrurlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz festzulegen. Machen sie von dieser Befugnis Gebrauch, bedarf die Annahme, der tarifliche Mehrurlaub solle dennoch, für den Fall, dass der Arbeitnehmer ihn wegen Krankheit nicht nehmen konnte, nicht schon nach der tariflichen Regelung (hier: zum 30. April des Folgejahres), sondern erst nach § 7 Abs. 3 BUrlG frühestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, deutlicher Anhaltspunkte. Fehlen solche, erlischt der Mehrurlaubsanspruch, sofern die Voraussetzungen seiner Befristung erfüllt sind, regelmäßig nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen.

Gesetze: Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003, Art 2 Abs 2 Buchst b EGRL 78/2000, Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, § 7 Abs 1 AGG, § 7 Abs 2 AGG, § 7 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 BUrlG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Lübeck Az: 3 Ca 1657/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 2 Sa 4/19 Urteilnachgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 2 Sa 49/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin der tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2017 noch zusteht.

2Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem als Anwendungsentwicklerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie, Tarifgebiet Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vom (im Folgenden MTV) und der für die Beklagte und weitere Konzernunternehmen geltende Zukunftstarifvertrag D vom (im Folgenden ZTV II) Anwendung.

3Der MTV regelt in den für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassungen ua.:

4Der ZTV II enthält unter anderem folgende Regelung:

5Die Klägerin war vom bis zum durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Anschließend lehnte es die Beklagte unter Berufung auf § 4 Abs. (4) ZTV II ab, ihr den für das Jahr 2017 im Umfang von zehn Arbeitstagen entstandenen tariflichen Mehrurlaub zu gewähren. Die Klägerin hat daraufhin mit einem am eingereichten Schriftsatz Klage erhoben.

6Sie hat die Auffassung vertreten, ihr tariflicher Mehrurlaub für das Jahr 2017 bestehe fort. Er habe - wie der gesetzliche Mindesturlaub - frühestens 15-Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen können. § 4 Abs. (4) ZTV II verstoße zudem gegen Art. 3 GG und §§ 1, 7 AGG. Kranke Arbeitnehmer würden gegenüber gesunden schlechter gestellt, weil sie bei einer Erkrankung am Ende des Übertragungszeitraums keine Chance hätten, den Urlaub noch zu nehmen. Dies benachteilige auch Arbeitnehmer mit einer Behinderung, zu denen sie aufgrund ihrer länger als sechs Monate andauernden Erkrankung gehöre.

7Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Mehrurlaub für das Jahr 2017 sei mit Ablauf des verfallen. Ein Gleichlauf von tariflichem und gesetzlichem Urlaubsanspruch sei ausgeschlossen, weil § 4 Abs. (4) ZTV II die Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs abweichend von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes regele. Die tarifliche Regelung sei unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien nicht zu beanstanden.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt gestellten Antrag weiter.

Gründe

10Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.

11I. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Die Klägerin hat ein besonderes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung, weil die Beklagte den von ihr behaupteten Anspruch auf Mehrurlaub bestreitet (vgl.  - Rn. 11 ff.; - 9 AZR 80/10 - Rn. 11 f., BAGE 137, 328).

12II. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei unbegründet. Der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin aus dem Jahr 2017 sei nach § 4 Abs. (4) ZTV II mit Ablauf des verfallen. Die vom bis zum bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin habe lediglich den Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ausgeschlossen. Eine Auslegung von § 4 Abs. (4) ZTV II entsprechend § 7 BUrlG komme nicht in Betracht. Die Tarifvertragsparteien hätten den tariflichen Urlaubsanspruch abweichend vom Bundesurlaubsgesetz geregelt. Der gemäß § 10 Ziff. 6.7 MTV übertragene tarifliche Mehrurlaub verfalle deshalb auch dann, wenn er in den ersten vier Monaten des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres wegen Erkrankung des Arbeitnehmers nicht habe genommen werden können.

13III. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht zurückgewiesen werden. Die Annahme, der Mehrurlaubsanspruch sei am nach § 4 Abs. (4) ZTV II erloschen, wird von den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht getragen. Der Tarifvertrag sieht zwar eine eigenständige Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs vor. Er weicht jedoch, wie auch der MTV, hinsichtlich der für den gesetzlichen Mindesturlaub in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs und der Rechtsfolgen ihrer Nichtbeachtung nicht von den gesetzlichen Vorgaben ab.

141. Der MTV und der ZTV II finden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Die Klägerin erwarb zu Beginn des Jahres 2017 einen tariflichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen (§ 10 Ziff. 2.1 MTV), der den gesetzlichen Urlaubsanspruch einschloss (§§ 1, 3, 4 BUrlG). Der Urlaubsanspruch ist, soweit er über den Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub hinausging, nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Dies steht zwischen den Parteien außer Streit.

152. Der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin aus dem Jahr 2017 hätte, wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind, frühestens mit Ablauf des verfallen können.

16a) Nach § 10 Ziff. 6.1 MTV muss der Urlaub zwar grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Er wird jedoch nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV auf das nächste Kalenderjahr übertragen, wenn betriebliche oder in der Person des Beschäftigten liegende Gründe dies rechtfertigen. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom bis zum war ein in der Person der Klägerin liegender Grund, der sie daran hinderte, den Urlaub zu nehmen, und zur Übertragung des tariflichen Mehrurlaubs nach § 10 Ziff. 6.7 MTV auf das Kalenderjahr 2018 geführt hätte.

17b) Der tarifliche Mehrurlaub konnte auch nicht nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 2 MTV mit Ablauf des verfallen. § 10 Ziff. 6.7 Satz 2 MTV wird aufgrund der allgemeinen, das Tarifvertragsrecht beherrschenden Konkurrenzregeln (vgl.  - Rn. 29; - 4 AZR 856/09 - Rn. 42) durch § 4 Abs. (4) ZTV II als speziellere Regelung verdrängt, die eine Verlängerung des Übertragungszeitraums auf vier Monate vorsieht.

183. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass § 4 Abs. (4) ZTV II im Hinblick auf die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht entsprechend § 7 Abs. 3 BUrlG ausgelegt werden kann.

19a) § 7 Abs. 3 BUrlG ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm deshalb nicht möglich ist, den Urlaub zu nehmen. Der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch tritt in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er kann, ohne Verstoß gegen das Unionsrecht, bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit frühestens 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen (vgl. grundl.  - [KHS] Rn. 28, 38, 44; bestätigt durch  - [King] Rn. 55 ff. und zuletzt - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.;  - Rn. 23, 32 ff., BAGE 142, 371; vgl. auch - 9 AZR 63/11 - Rn. 9; - 9 AZR 669/12 - Rn. 14). Besteht die Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, liegen besondere Umstände vor, die die Befristung des Urlaubsanspruchs zum Schutz eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen rechtfertigen, obwohl es dem erkrankten Arbeitnehmer nicht möglich war, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen ( und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.). Ein Zeitraum von 15 Monaten, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, entspricht nach der Feststellung des Gerichtshofs der europäischen Union unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Anforderungen der Richtlinie 2003/88/EG und läuft dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht zuwider, weil er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet ( - [KHS] Rn. 43; (A) - Rn. 31).

20b) Eine Auslegung der tariflichen Regelungen in diesem Sinne kommt nicht in Betracht, weil § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV die Übertragung des tariflichen Mehrurlaubs und § 4 Abs. (4) ZTV II dessen Befristung abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG regelt.

21aa) Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen ( ua. - [TSN] Rn. 33 ff.). Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt (vgl.  - Rn. 35 mwN). Für einen vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (vgl.  - Rn. 36). Der eigenständige, dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen ( - Rn. 28). Ein Gleichlauf mit der Befristung des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Vereinbarungen getroffen haben ( - Rn. 15; - 9 AZR 747/14 - Rn. 14; - 9 AZR 575/10 - Rn. 12).

22bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht kein Gleichlauf von § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV und § 4 Abs. (4) ZTV II mit den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes. Die Tarifvertragsparteien haben sich durch die eigenständige Regelung der Übertragung und Befristung sowie mittelbar des Verfalls des übertragenen Mehrurlaubs vom gesetzlichen Fristenregime gelöst.

23(1) § 4 Abs. (4) ZTV II bezieht sich auf Urlaub, der nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV auf das nächste Kalenderjahr übertragen wurde, und knüpft damit an vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Übertragungsvoraussetzungen an. Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG ist die Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Demgegenüber verlangt § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV als Voraussetzung einer Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nicht „dringende betriebliche“ Gründe (vgl. hierzu ErfK/Gallner 20. Aufl. BUrlG § 7 Rn. 61, HWK/Schinz 9. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 89; Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 104 Rn. 89), sondern bestimmt, dass eine Übertragung des Urlaubs bereits dann erfolgt, wenn „betriebliche“ Gründe eine Urlaubsgewährung im laufenden Kalenderjahr hindern. § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV senkt die Anforderungen an die Übertragung des Urlaubs gegenüber den gesetzlichen Bestimmungen ab (offengelassen für den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom  - Rn. 23), indem die Regelung auf die Dringlichkeit verzichtet und (einfache) betriebliche Gründe genügen lässt (vgl. ErfK/Gallner aaO).

24(2) § 4 Abs. (4) ZTV II weicht zudem durch die Verlängerung des Übertragungszeitraums vom Bundesurlaubsgesetz ab. Während der nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG übertragene Urlaub regelmäßig in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden muss, bestimmt § 4 Abs. (4) ZTV II, dass der Urlaubsanspruch im „Falle der Übertragung“ in den ersten vier Monaten des Kalenderjahres in Anspruch zu nehmen ist.

25(3) In § 4 Abs. (4) ZTV II und § 10 Ziff. 6.7 Satz 2 MTV kommt damit der Wille der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, die Voraussetzungen der Übertragung des Urlaubs und die Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz festzulegen. Es hätte deshalb deutlicher Anhaltspunkte für die Annahme bedurft, der tarifliche Urlaubsanspruch solle dennoch, wenn der Urlaub wegen Krankheit des Arbeitnehmers nicht genommen werden konnte, nicht nach Maßgabe von § 4 Abs. (4) ZTV II, sondern - ausnahmsweise - nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet sein und frühestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem MTV noch aus dem ZTV II.

26cc) Dem Erlöschen des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub steht nicht entgegen, dass § 4 Abs. (4) ZTV II unwirksam ist, soweit die Bestimmung zuungunsten des Arbeitnehmers den Verfall des übertragenen gesetzlichen Mindesturlaubs auch bei fortdauernder Erkrankung des Arbeitnehmers nach einem Übertragungszeitraum von vier Monaten vorsieht. Der Verstoß gegen §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG führt lediglich zur Teilunwirksamkeit der tariflichen Regelung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG iVm. § 134 BGB. Im Übrigen bleibt sie wirksam (vgl.  - Rn. 23; - 9 AZR 507/14 - Rn. 19; - 9 AZR 551/12 - Rn. 13), weil sich der Schutzbereich von §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, ebenso wie der von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC, nicht auf den tariflichen Mehrurlaub erstreckt (vgl.  - Rn. 35; - 9 AZR 365/10 - Rn. 13, BAGE 139, 1).

274. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass § 10 MTV und § 4 Abs. (4) ZTV II hinsichtlich der in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des tariflichen Urlaubsanspruchs und der Rechtsfolgen ihrer Nichtbeachtung nicht von den gesetzlichen Vorgaben abweichen.

28a) Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 13 Abs. 1 BUrlG) erlischt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG (st. Rspr. grundl.  - Rn. 21 ff., BAGE 165, 376). Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt ( - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376).

29aa) Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen (vgl.  - Rn. 52, BAGE 130, 119). Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt ( - Rn. 43, BAGE 165, 376).

30bb) Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums (grundl.  - Rn. 44, BAGE 165, 376).

31b) Diese Grundsätze gelten auch für den durch § 10 Ziff. 1.1 MTV und § 10 Ziff. 2.1 MTV begründete Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub.

32aa) Vom Bundesurlaubsgesetz abweichende tarifliche Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs schließen für sich betrachtet die Auslegung eines Tarifvertrags nicht aus, die Befristung des Mehrurlaubsanspruchs setze, wie § 7 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaub, die Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraus (vgl.  - Rn. 26). Ob die tarifliche Regelung dem Arbeitgeber entsprechend § 7 BUrlG Mitwirkungsobliegenheiten auferlegt, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen tariflichen Bestimmungen nach den bei der Auslegung von Tarifverträgen anzuwendenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (vgl. etwa  - Rn. 16; - 9 AZR 564/17 - Rn. 17) zu ermitteln. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, dem zufolge der tarifliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber verfällt, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (vgl.  - Rn. 36).

33bb) In § 10 MTV und § 4 Abs. (4) ZTV II hat ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers keinen Niederschlag gefunden.

34(1) § 4 Abs. (4) ZTV II lässt, soweit er nicht als speziellere Regelung § 10 Ziff. 6.7 Satz 2 MTV verdrängt, § 10 MTV unberührt.

35(2) § 10 MTV vollzieht im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes zur Urlaubsgewährung und zur Bindung des Urlaubsanspruchs an das Urlaubsjahr nach. Die Regelungen in § 10 Ziff. 1.1 MTV, § 10 Ziff. 2.1 MTV, § 10 Ziff. 6.1 MTV und 10 Ziff. 6.3 MTV stimmen insoweit im Wortlaut weitgehend mit §§ 1, 7 Abs. 1 und 3 Satz 1 BUrlG überein. Danach ist die Urlaubsgewährung dem Arbeitgeber vorbehalten. Der tarifliche Urlaubsanspruch ist - entsprechend den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (vgl.  - Rn. 23, BAGE 165, 376) - grundsätzlich auf das Kalenderjahr als Urlaubsjahr bezogen ausgestaltet. Der Urlaub ist im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Seine Übertragung in das Folgejahr ist nur statthaft, wenn besondere Übertragungsgründe iSv. § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV vorliegen.

36(3) Abweichungen vom Bundesurlaubsgesetz ergeben sich hinsichtlich der Voraussetzungen der Übertragung des Urlaubs aus § 10 Ziff. 6.7 Satz 2 MTV und der Befristung des übertragenen Urlaubs aus § 4 Abs. (4) ZTV II, nicht jedoch hinsichtlich der Obliegenheit des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, den tariflichen Mehrurlaub zu nehmen. Dies gilt auch für die Regelungen in § 10 Ziff. 4.1 MTV iVm. § 10 Ziff. 4.6 MTV (Zwölftelung des Jahresurlaubs bei Garantie des gesetzlichen Mindesturlaubs), § 10 Ziff. 6.9.2 MTV (Ausschluss der Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs bei einer vom Arbeitnehmer verschuldeten Beendigung des Arbeitsverhältnisses) und § 10 Ziff. 6.9.3 MTV (Abgeltung von max. fünf Urlaubstagen bei Krankheit ohne Entgeltfortzahlungsanspruch auf Verlangen des Arbeitnehmers). Beide Tarifverträge verhalten sich auch im Übrigen nicht zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers und dazu, ob deren Erfüllung Voraussetzung für das Erlöschen des tariflichen Urlaubsanspruchs mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums ist.

37(4) Ob der übertragene tarifliche Mehrurlaub gemäß § 4 Abs. (4) ZTV II mit Ablauf des 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verfällt, hängt danach grundsätzlich davon ab, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Die Übertragung des Urlaubs nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV auf das nächste Kalenderjahr setzt, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 und 4 BUrlG (vgl. hierzu  - Rn. 26 ff., BAGE 165, 376) voraus, dass der tarifliche Urlaubsanspruch andernfalls erloschen wäre. Ohne eine zulässige Befristung des Urlaubsanspruchs wäre die Anordnung einer Übertragung des Urlaubs in das Folgejahr bei Vorliegen besonderer Übertragungsgründe entbehrlich. Der Anwendungsbereich von § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV und § 4 Abs. (4) ZTV II, der ausdrücklich auf den übertragenen Urlaub abstellt, ist deshalb auf die Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist und der Urlaubsanspruch infolgedessen nach § 10 Ziff. 6.1 MTV an das Urlaubsjahr und nach § 4 Abs. (4) ZTV II an den Übertragungszeitraum gebunden war (vgl. zu § 7 Abs. 3 Satz 2 und 4 BUrlG  - Rn. 27, 43, aaO).

38IV. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO), noch ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

391. Die Klage ist nicht ganz oder teilweise abweisungsreif, weil die Klägerin infolge ihrer vom bis zum andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auch bei Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch die Beklagte nicht in die Lage hätte versetzt werden können, ihren Mehrurlaubsanspruch innerhalb des in § 4 Abs. (4) ZTV II vorgesehenen Übertragungszeitraums zu verwirklichen.

40a) Die Mitwirkungsobliegenheiten im Zusammenhang mit der Verwirklichung des gesetzlichen Mindesturlaubs bestehen regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Sie können ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vornherein absehen lässt und nur durch die rechtzeitige Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten sichergestellt wird, dass der Arbeitnehmer ab dem ersten Arbeitstag nach seiner Wiedergenesung Urlaub in Anspruch nehmen kann, sofern der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, die Gewährung von Urlaub nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BUrlG abzulehnen (vgl. hierzu im Einzelnen (A) - Rn. 20 ff.). Die Befristung des Urlaubsanspruchs ist jedoch bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten abhängig, wenn es - was erst im Nachhinein feststellbar ist - aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren (vgl. hierzu im Einzelnen (A) - Rn. 23 ff.).

41b) Diese Grundsätze gelten auch für den gemäß § 10 Ziff. 2.1 MTV entstandenen Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub, weil der MTV und der ZTV II die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nicht abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen regeln.

42aa) Danach ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des tariflichen Mehrurlaubs nach § 10 Ziff. 6.1 MTV, § 4 Abs. (4) ZTV II zu berufen, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig ist oder die bis zu diesem Zeitpunkt fortbestehende Arbeitsunfähigkeit im Verlauf des Urlaubsjahres eintrat, ohne dass dem Arbeitnehmer vor deren Beginn (weiterer) Urlaub hätte gewährt werden können. In diesem Fall sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal, denn eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung wäre rechtlich unmöglich gewesen (vgl. (A) - Rn. 26).

43bb) Demgegenüber kann sich der Arbeitgeber, der seine Mitwirkungsobliegenheiten im Urlaubsjahr nicht erfüllt hat, auch wenn die Arbeitsunfähigkeit während des gesamten Übertragungszeitraums zwischen dem 1. Januar und dem 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres besteht, nicht auf die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 10 Ziff. 6.1 MTV, § 4 Abs. (4) ZTV II berufen, wenn - wie im Fall der Klägerin - die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erst im Verlauf des Urlaubsjahres eintritt und dem Arbeitnehmer vor deren Beginn der Mehrurlaub hätte gewährt werden können.

44cc) Die mit Beschluss des Senats vom (- 9 AZR 401/19 (A) -) an den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV gerichteten Fragen (vgl. (A) - Rn. 29 ff., Rn. 44 ff.) sind nicht entscheidungserheblich, wenn der Arbeitnehmer - wie die Klägerin - vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsfähig wird und der Mehrurlaub anschließend hätte gewährt werden können. Ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs trotz unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers kommt unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC im Hinblick auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers und den schwindenden Erholungswert des nachträglich gewährten Urlaubs nur bei einem Übertragungszeitraum in Betracht, der die Dauer des Bezugszeitraums deutlich überschreitet (vgl.  - [KHS] Rn. 38). Diesen Anforderungen genügt der in § 4 Abs. (4) ZTV II vorgesehene Übertragungszeitraum von vier Monaten nicht (vgl.  - [Neidel] Rn. 38 ff.).

452. Der Senat kann dem Klageantrag auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht ganz oder teilweise stattgeben. § 4 Abs. (4) ZTV II verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

46a) § 4 Abs. (4) ZTV II führt nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu einer Schlechterstellung von kranken gegenüber gesunden Arbeitnehmern.

47aa) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie ( - Rn. 37; - 6 AZR 563/18 - Rn. 25 mwN). Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen ( - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 300/18 - Rn. 18). Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte jedoch zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 34, BAGE 165,1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). Ihnen kommt zudem eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind und ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht ( - Rn. 19 mwN). Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, dass die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Wahrnehmung eines tariflichen Anspruchs jeder Besonderheit gerecht werden und im Tarifvertrag entsprechende Ausnahmen vorzusehen (vgl. zu Stichtagsregelungen  - Rn. 26 mwN; - 10 AZR 290/17 - Rn. 48, BAGE 163, 14). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen ( - Rn. 38; - 10 AZR 290/17 - Rn. 36 f., BAGE 163, 144). Die in einer Tarifregelung vorgesehenen Differenzierungsmerkmale müssen allerdings im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen ( - Rn. 37, aaO). Der Zweck der Tarifnorm ist im Weg der Auslegung zu ermitteln (vgl.  - Rn. 24, BAGE 154, 118). Er kann sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (vgl.  - Rn. 22).

48bb) § 4 Abs. (4) ZTV II hält sich danach innerhalb der den Tarifvertragsparteien durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen.

49(1) Die Befristung des übertragenen tariflichen Mehrurlaubs nach § 4 Abs. (4) ZTV II führt dazu, dass Arbeitnehmer, deren krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres hinaus andauert, ihren Anspruch verlieren, wenn sie den tariflichen Mehrurlaub nicht zuvor genommenen haben. Demgegenüber können Arbeitnehmer, die nicht arbeitsunfähig krank sind oder rechtzeitig genesen, den übertragenen tariflichen Mehrurlaub innerhalb des Übertragungszeitraums in Anspruch nehmen.

50(2) Diese Differenzierung ist durch vertretbare Gründe, die sich am Zweck des tariflichen Urlaubsanspruchs orientieren, sachlich gerechtfertigt.

51(a) § 4 Abs. (4) ZTV II betrifft, wie § 10 Ziff. 6.1 und § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV, die Modalitäten der Wahrnehmung des tariflichen Urlaubsanspruchs. Die Befristungsregelungen zielen darauf ab, dem Zweck des Erholungsurlaubs und zugleich den widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Urlaubsanspruchs Rechnung zu tragen (vgl. zu § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG  - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 36 f.;  - Rn. 21 ff., BAGE 165, 376). Die Tarifvertragsparteien haben sich dabei im Grundsatz an den Abwägungskriterien orientiert, die für den Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub gelten, jedoch auf Grundlage einer von den gesetzlichen Bestimmungen abweichenden Gewichtung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Mehrurlaubsanspruch im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums eigenständig zeitlich beschränkt.

52(aa) Der Zweck des tariflichen Anspruchs auf „bezahlten Erholungsurlaub“ besteht - wie der des durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub (vgl. hierzu  - [Hein] Rn. 26;  - Rn. 31) - darin, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieses Verständnis bestätigen ua. die Regelungen in § 10 Ziff. 2.1, § 10 Ziff. 2.4 MTV und § 10 Ziff. 4.4 MTV, nach denen die Zahl der Urlaubstage des Arbeitnehmers in Abhängigkeit von der Zahl der Tage mit Arbeitspflicht bestimmt wird, und in § 10 Ziff. 7 MTV, wonach Erwerbsarbeit während des Urlaubs nicht gestattet sein soll. Die in § 10 Ziff. 6.7 MTV vorgesehene Bindung des Urlaubs an das Urlaubsjahr und die Befristung des Anspruchs nach § 4 Abs. (4) ZTV II stellen, ebenso wie die nach Maßgabe von § 10 Ziff. 6.9.1 und § 10 Ziff. 6.9.3 MTV beschränkte Möglichkeit, Urlaubsansprüche abzugelten, sicher, dass jeder Arbeitnehmer in regelmäßigem Rhythmus eine gewisse Zeit der Erholung erhält und Urlaubsansprüche nicht über einen langen Zeitraum angesammelt oder allein durch Zahlung von Geld ersetzt werden.

53(bb) § 4 Abs. (4) ZTV II dient damit, wie § 10 Ziff. 6.7 MTV, an den die Befristungsregelung des ZTV II anknüpft, in erster Linie dem Gesundheitsschutz. Beide Tarifregelungen sind ein Mittel, um den Arbeitnehmer dazu anzuhalten, den Urlaubsanspruch - vorbehaltlich der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber (vgl. Rn. 27 ff.) - im Urlaubsjahr, spätestens aber im Übertragungszeitraum geltend zu machen. § 4 Abs. (4) ZTV II trägt dem Umstand Rechnung, dass der Urlaub mit zunehmendem Abstand zum Urlaubsjahr seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Zeit der Erholung von der geleisteten Arbeit verliert (vgl. zum Mindesturlaubsanspruch  - [King] Rn. 54; - C-214/10 - [KHS] Rn. 33). Gleichzeitig dient § 4 Abs. (4) ZTV II dem Interesse des Arbeitgebers, ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen zu vermeiden, das zu Schwierigkeiten in der Arbeitsorganisation des Betriebs führen kann (vgl. zum Mindesturlaubsanspruch  - [King] Rn. 55, 60; - C-214/10 - [KHS] Rn. 39).

54(cc) Als Ergebnis kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen hat § 4 Abs. (4) ZTV II die Vermutung der Angemessenheit für sich (vgl. BAG, - 9 AZR 323/19 - Rn. 33; - 10 AZR 300/18 - Rn. 15; - 4 AZR 50/13 - Rn. 29, BAGE 148, 139; - 9 AZR 399/10 - Rn. 27, BAGE 140, 133). Aufgrund des bei der Normsetzung nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Gestaltungsspielraums waren die Tarifvertragsparteien nicht nur befugt zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang ein über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehender tariflicher Urlaubsanspruch begründet werden soll. Es stand ihnen auch frei, den Anspruch auf Mehrurlaub als zusätzliche tarifliche Leistung mit Rücksicht auf die Organisationsinteressen des Arbeitgebers in zeitlicher Hinsicht zu beschränken und damit dem Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer nur innerhalb der in § 4 Abs. (4) ZTV II festgelegten Grenzen Rechnung zu tragen. Eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, Fälle der Erkrankung von Arbeitnehmern in § 4 Abs. (4) ZTV II besonders zu regeln, bestand nicht, weil sich die Befristung am gegebenen Sachverhalt und dem Zweck der tariflichen Leistung orientieren.

55cc) Bei der Gewichtung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer waren die Tarifvertragsparteien, soweit die Regelungen nicht den gesetzlichen Mindesturlaub betreffen, weder an das Bundesurlaubsgesetz noch die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC gebunden (vgl. hierzu Rn. 21). Dies gilt auch, soweit § 4 Abs. (4) ZTV II dem Arbeitnehmer das Risiko zuweist, den übertragenen Mehrurlaub infolge einer im Verlauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums eintretenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht mehr oder nicht in vollem Umfang realisieren zu können ( ua. - [TSN] Rn. 38 mwN).

56b) § 4 Abs. (4) ZTV II ist nicht wegen einer Benachteiligung von Arbeitnehmern mit Behinderung nach § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 AGG unwirksam.

57aa) Gemäß § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam. Darunter fallen auch tarifliche Regelungen (vgl. hierzu im Einzelnen  - Rn. 27 mwN, BAGE 154, 118). Der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte weite Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien findet seine Grenze in entgegenstehendem zwingenden Gesetzesrecht. Dazu zählen ua. die einfachrechtlichen Diskriminierungsverbote. Tarifliche Regelungen dürfen nicht dazu führen, das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung auszuhöhlen (vgl. zur Diskriminierung von Teilzeitkräften nach § 4 Abs. 1 TzBfG  - Rn. 33; zur Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 2 AGG  - Rn. 26 mwN, BAGE 153, 348). Der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbots erstreckt sich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG auf die in kollektivrechtlichen Vereinbarungen geregelten Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, dh. auf alle Umstände, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (vgl.  - Rn. 12, BAGE 141, 73; EuArbRK/Mohr 3. Aufl. RL 2000/78/EG Art. 3 Rn. 19). Hierzu gehört auch der Urlaub ( - aaO; ErfK/Schlachter 20. Aufl. AGG § 2 Rn. 8).

58bb) § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG untersagt unmittelbare mittelbare Benachteiligungen iSd. § 3 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem wegen einer Behinderung. Gegen beide Verbote verstößt § 4 Abs. (4) ZTV II nicht.

59(1) § 4 Abs. (4) ZTV II bewirkt keine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Die Regelung knüpft nicht unmittelbar an das Kriterium der Behinderung an. Auch der übertragene tarifliche Mehrurlaub nicht behinderter Arbeitnehmer verfällt mit Ablauf des 30. April des Folgejahres, wenn er nicht vorher genommen wird. § 4 Abs. (4) ZTV II gilt unterschiedslos für alle Arbeitnehmer, soweit sie einen tariflichen Anspruch auf Urlaub und der Urlaub nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV in das Folgejahr übertragen wurde. Sie beruht deshalb auch nicht auf einem untrennbar mit einer Behinderung verbundenen Kriterium (vgl.  - [Ruiz Conejero] Rn. 37;  - Rn. 30). Damit scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG aus, der eine Benachteiligung wegen der Behinderung verbietet (vgl.  - Rn. 60).

60(2) § 4 Abs. (4) ZTV II benachteiligt Arbeitnehmer mit einer Behinderung auch nicht mittelbar (§ 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG).

61(a) Eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG kann dann vorliegen, wenn eine Regelung zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Inhaber der geschützten persönlichen Eigenschaft benachteiligt als vergleichbare Personen, die diese Eigenschaft nicht besitzen (vgl.  - [Jyske Finans] Rn. 30;  - Rn. 39, BAGE 155, 88; - 5 AZR 258/19 - Rn. 33; - 2 AZR 168/18 - Rn. 55 f.), es sei denn, mit der Regelung oder Maßnahme wird ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und das hierfür eingesetzte Mittel ist verhältnismäßig, dh. angemessen und erforderlich (vgl.  - [Ruiz Conejero] Rn. 40).

62(b) Danach bedarf es keiner Entscheidung, ob § 4 Abs. (4) ZTV II Arbeitnehmer mit einer Behinderung in besonderer Weise benachteiligen kann, weil sie im Vergleich zu Arbeitnehmern ohne Behinderung ein zusätzliches Risiko tragen, wegen einer mit ihrer Behinderung zusammenhängenden Krankheit arbeitsunfähig zu sein (vgl. im Zusammenhang mit einer Regelung, die den Arbeitgeber ua. wegen Fehlzeiten zur Kündigung berechtigt  - [Ruiz Conejero] Rn. 39) und deshalb für sie ein erhöhtes Risiko besteht, den Mehrurlaub krankheitsbedingt innerhalb des nach § 4 Abs. (4) ZTV II auf vier Monate begrenzten Übertragungszeitraums nicht realisieren zu können. Denn die Befristung des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub nach § 4 Abs. (4) ZTV II ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

63(aa) Das AGG dient der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht (vgl. hierzu auch BT-Drs. 16/1780 S. 35) und ist deshalb grundsätzlich unionsrechtskonform im Einklang der Richtlinie 2000/78/EG auszulegen und anzuwenden (zu den Grenzen einer unions- bzw. richtlinienkonformen Auslegung vgl.  - Rn. 38 ff., BAGE 164, 117; - 9 AZR 423/16 - Rn. 19 mwN, BAGE 165, 376). Rechtmäßige Ziele iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG können alle von der Rechtsordnung anerkannten Gründe sein, die nicht ihrerseits diskriminierend sind (vgl.  - [Age Concern England] Rn. 59 ff.;  - Rn. 60; - 7 AZR 1002/12 - Rn. 50, BAGE 150, 165; - 6 AZR 636/13 - Rn. 23, BAGE 149, 125). Das fragliche Regelungsziel muss der Unterscheidung überprüfbar zugrunde liegen, wenn es auch nicht in der Regelung selbst ausdrücklich benannt sein muss. Es muss sich aber aus dem Kontext der Differenzierungsmaßnahme ableiten lassen ( - Rn. 29 mwN, BAGE 153, 348). Geeignet ist die Differenzierung, wenn durch sie das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Erforderlich ist sie, wenn es bei gleicher Erfolgsgeeignetheit kein milderes Mittel gibt (vgl.  - [Ruiz Conejero] Rn. 40). Angemessen ist die Differenzierung, wenn aufgrund einer Zweck-Mittel-Relation die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zur Bedeutung des Ziels zurücktritt ( - Rn. 65).

64(bb) Die Befristung des Mehrurlaubsanspruchs nach § 4 Abs. (4) ZTV II wird von dem legitimen Ziel getragen, Arbeitnehmer anzuhalten, den Mehrurlaub entsprechend seinem Erholungszweck zeitnah zu realisieren und gleichzeitig die betriebsorganisatorischen Belastungen des Arbeitgebers zu begrenzen, die mit der Verpflichtung einhergehen, den Mehrurlaubsanspruch außerhalb des Urlaubsjahres zusätzlich zu dem für das Folgejahr entstehenden tariflichen Urlaubsanspruch erfüllen zu müssen (vgl. Rn. 51 f.). Die Regelung in § 4 Abs. (4) ZTV II ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie ist erforderlich, denn es gibt bei gleicher Gewichtung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein milderes Mittel. Sie ist auch angemessen, weil aufgrund einer Zweck-Mittel-Relation die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zur Bedeutung des Ziels zurücktritt. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist die aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie resultierende Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zu beachten. Das Erfordernis einer Rechtfertigung entfällt dadurch zwar nicht. Jedoch ist aufgrund der weitreichenden Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien und deren Einschätzungsprärogative bzgl. der sachlichen Gegebenheiten, der betroffenen Interessen und der Rechtsfolgen deren Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung zu berücksichtigen ( - Rn. 31 mwN, BAGE 153, 348). Diesen Spielraum haben die Tarifvertragsparteien nicht überschritten, zumal von dem Verfall des Urlaubs nach § 4 Abs. (4) ZTV II nur der übergesetzliche tarifliche Urlaub betroffen ist, nicht hingegen der auch unionsrechtlich geschützte gesetzliche Mindesturlaub. Der Verlust des Mehrurlaubsanspruchs wird zudem teilweise kompensiert, denn für jeden Monat der Krankheit, für den kein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht, ist der Mehrurlaub auf Wunsch des Beschäftigten nach Maßgabe von § 10 Ziff. 6.9.3 MTV anteilig abzugelten.

65c) Ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG hätte der Klage zudem nicht zum Erfolg verhelfen können. Es kann dahinstehen, ob eine zu Gunsten der Klägerin unterstellte Benachteiligung von Arbeitnehmern mit einer Behinderung durch § 4 Abs. (4) ZTV II dazu führen könnte, dass deren tariflicher Mehrurlaub, wenn er wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, wie die Klägerin meint, entsprechend dem gesetzlichen Mindesturlaub frühestens 15-Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen kann (vgl. ausf. zu den möglichen Rechtsfolgen des Verstoßes einer tariflichen Bestimmung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung  - Rn. 29, BAGE 154, 118). Denn allein aufgrund der vom bis zum andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann nicht von einer Behinderung der Klägerin iSv. § 1 AGG, § 2 Abs. 1 SGB IX bzw. der Richtlinie 2000/78/EG ausgegangen werden. Behinderung und Krankheit sind nicht gleichzusetzen ( - Rn. 25, BAGE 155, 88). Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

66aa) Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erfasst „Behinderung“ im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG - unabhängig von ihren Ursachen und dem Schweregrad - eine Einschränkung von Fähigkeiten, die ua. auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern hindern können. Von einer Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG kann nur ausgegangen werden, wenn die Beeinträchtigung des Gesundheitszustands zu einer langfristigen Teilhabestörung führt (erstmals vgl. ua. - [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 40 ff.; vgl.  - Rn. 39 mwN). Danach schließt Behinderung iSd. Richtlinie 2000/78/EG einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn die Krankheit Beeinträchtigungen von langer Dauer mit sich bringt und diese in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betroffenen an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit anderen Arbeitnehmern hindern können. Eine nähere Bestimmung des Zeitmoments ist der Richtlinie 2000/78/EG nicht zu entnehmen. Zu den Anhaltspunkten dafür, dass eine Einschränkung von Fähigkeiten „langfristig“ ist, gehören nach Feststellung des Gerichtshofs ua. der Umstand, dass zum Zeitpunkt des angeblich diskriminierenden Geschehnisses ein kurzfristiges Ende der Arbeitsunfähigkeit des Betroffenen nicht genau absehbar ist, oder der Umstand, dass sich die Arbeitsunfähigkeit bis zur Genesung des Betroffenen noch erheblich hinziehen kann (vgl.  - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 45; - C-395/15 - [Daouidi] Rn. 56). Dies zu prüfen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache des nationalen Gerichts, weil die Beurteilung vor allem tatsächlicher Natur sei (vgl.  - [Daouidi] Rn. 55).

67bb) Ausgehend von diesem Begriffsverständnis kann allein aus der über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht auf eine Behinderung geschlossen werden. Die Klägerin hat allein den Zeitraum ihrer Arbeitsunfähigkeit angegeben, jedoch nicht aufgezeigt, dass die Voraussetzungen einer durch Krankheit bewirkten langfristigen Teilhabestörung vorlagen. Sie hat bereits nicht dargelegt, auf welche Erkrankung(en) ihre Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen war. Ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine oder mehrere Erkrankungen verursacht wurde, in welchen Zeiträumen die möglicherweise unterschiedlichen Erkrankungen vorlagen und von welcher Gesundheitsprognose hinsichtlich der Erkrankung(en) im Bezugszeitraum und im Übertragungszeitraum auszugehen war, ist dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen.

68V. Auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht entscheiden, ob die Klage begründet ist oder der von der Klägerin geltend gemachte tarifliche Mehrurlaubsanspruch erloschen ist. Das Landesarbeitsgericht hat - unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob die Beklagte die Klägerin durch Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheit in die Lage versetzt hat, ihren Mehrurlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 tatsächlich wahrzunehmen, und hierzu keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). Im erneuten Berufungsverfahren ist zu prüfen, ob der gemäß § 10 Ziff. 2.1 MTV im Umfang von 10 Arbeitstagen für das Urlaubsjahr 2017 entstandene tarifliche Mehrurlaub der Klägerin für das Jahr 2017 nach § 4 Abs. (4) ZTV II am verfallen ist. Dies hängt davon ab, ob die Beklagte ihren bei richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BUrlG bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist und der Urlaubsanspruch damit an das Urlaubsjahr 2017 gebunden war.

691. Sollte die Beklagte ihre Mitwirkungsobliegenheiten im Jahr 2017 nicht erfüllt haben, wäre der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin aus dem Jahr 2017 bisher nicht verfallen. Der Urlaub der Klägerin wäre auf das Jahr 2018 übertragen worden und zu dem am entstandenen Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2018 hinzugetreten, ohne einer Befristung bis zum zu unterliegen. Die Beklagte hätte zwar ihre im Jahr 2017 - möglicherweise - unterlassene Mitwirkung im Jahr 2018 nachholen können, um die Gefahr eines unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen zu vermeiden (vgl.  - Rn. 44, BAGE 165, 376). Zu beachten ist jedoch, dass die Beklagte ihre - möglicherweise in 2017 unterlassene - Mitwirkung bisher nicht nachgeholt hat. Sie hat im Gegenteil nach Wiedergenesung der Klägerin die Gewährung des tariflichen Mehruhrlaubs aus dem Jahr 2017 bereits vor Klageeinreichung am abgelehnt und stellt dessen Fortbestehen weiterhin in Abrede. Damit hat sie die Klägerin bisher daran gehindert, den Mehrurlaub in Anspruch zu nehmen (vgl. zum gesetzlichen Mindesturlaub  - [King] Rn. 37 ff. mwN, 65; sh. auch - C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 41 f.; (A) - Rn. 14; - 9 AZR 579/16 - Rn. 50; - 9 AZR 423/16 - Rn. 40, BAGE 165, 376).

702. Sollte die Beklagte ihre Mitwirkungsobliegenheit im Jahr 2017 erfüllt haben, wäre der Urlaub der Klägerin aus dem Jahr 2017 aufgrund deren Erkrankung nach § 10 Ziff. 6.7 Satz 1 MTV auf das Jahr 2018 übertragen worden. Der Urlaubsanspruch wäre in diesem Fall jedoch nach § 4 Abs. (4) ZTV II mit Ablauf des Übertragungszeitraums am erloschen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:290920.U.9AZR364.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 11
BAAAH-71394