BAG Urteil v. - 10 AZR 163/23

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz - Verstoß - Zuschlagshöhe - Differenzierung - einmalige Nachtarbeit - mehrmalige Nachtarbeit - Wechselschichtarbeit - Tarifauslegung - Nahrungsmittelindustrie

Gesetze: § 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, § 6 Abs 5 ArbZG, § 2 Abs 5 ArbZG, Art 9 Abs 3 GG

Instanzenzug: ArbG Erfurt Az: 8 Ca 1383/19 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 201/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.

2Die Klägerin leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit bei der Beklagten. Für das Arbeitsverhältnis gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit ein als firmenbezogener Verbandstarifvertrag geschlossener Manteltarifvertrag vom (MTV).

3Der MTV enthält unter anderem folgende Regelungen:

4Die Klägerin verrichtete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit, für die sie einen Zuschlag in Höhe von 25 % erhielt. Es handelt sich um eine Stunde im Januar 2019, 71,78 Stunden im Februar 2019, 39,89 Stunden im April 2019 und 57,89 Stunden im Mai 2019. Das Monatsbruttoentgelt der Klägerin betrug 2.117,00 Euro.

5Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - für die geleistete Nachtarbeit die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für ihre Nachtarbeit in Wechselschicht in Höhe von 25 % (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV) und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV).

6Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für Nachtarbeit in Wechselschicht mit wöchentlichem Wechsel - trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen - Zuschläge von nur 25 %, für einmalige Nachtarbeit in der Woche dagegen Zuschläge von 50 %, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei Nachtarbeit in Wechselschicht als auch bei einmaliger Nachtarbeit in der Woche vorliegen oder fehlen. Ein Zuschlag von nur 25 % für Nachtarbeit in Wechselschicht bei wöchentlichem Wechsel sei nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt, er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Außerdem sei dieser Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge an europarechtlichen Schutzpflichten - Art. 12 Richtlinie 2003/88/EG - zu messen seien.

7Die Klägerin hat beantragt,

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für einmalige Nachtarbeit in der Woche und Nachtarbeit in Wechselschicht bei wöchentlichem Wechsel verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es fehle bereits an einer konkreten Vergleichsgruppe in ihrem Betrieb. Jedenfalls aber seien Arbeitnehmer, die einmalige Nachtarbeit in der Woche und Nachtarbeit in Wechselschicht bei wöchentlichem Wechsel verrichteten, nicht vergleichbar. Zwischen einmaliger Nachtarbeit und Nachtarbeit in Wechselschicht bestehe zudem generell ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil die planbare Nachtschichtarbeit, die eine regelmäßige Variante von Nachtarbeit darstelle, sehr viel häufiger anfalle als die sonstige Nachtarbeit. In ihrem Betrieb sei die einmalige/mehrmalige Nachtarbeit in der Woche, bei der es sich um die unregelmäßige Variante von Nachtarbeit handele, gar nicht angefallen. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Die Zuschlagsdifferenz verringere sich außerdem durch die Regelungen zur bezahlten 30-minütigen Pause. Der höhere Zuschlag solle auch nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen und die geltend gemachten Ansprüche seien zum Teil verfallen.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiter.

Gründe

10Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie hat für den streitgegenständlichen Zeitraum entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts für die während der Wechselschichten in der Nacht geleisteten Arbeitsstunden Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag. Dies führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Klage ist begründet, was der Senat selbst entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

11I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die Anzahl der geleisteten Nachtarbeitsstunden angegeben und die Klageforderung ausgehend vom tariflichen Bruttostundenlohn mit der geltend gemachten Differenz von 25 Prozentpunkten für die geleisteten Nachtarbeitsstunden berechnet. Damit ist die Klage in Bezug auf jeden Monat, für den die Klägerin höhere Nachtarbeitszuschläge verlangt, als abschließende Gesamtklage zu verstehen und hinreichend bestimmt (vgl.  - Rn. 14 mwN; - 10 AZR 34/17 - Rn. 13, BAGE 162, 230).

12II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat an die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum für ihre Wechselschichtarbeit in der Nacht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr den Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV in Höhe von 50 % des Stundenentgelts abzüglich der geleisteten Zuschläge zu zahlen.

131. Ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.

14a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

15b) Nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV ist für Nachtarbeit in Wechselschicht mit wöchentlichem Wechsel (im Folgenden Wechselschichtarbeit in der Nacht) ein Zuschlag von 25 %, nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV für mehrmalige Nachtarbeit in der Woche (im Folgenden mehrmalige Nachtarbeit) ein Zuschlag von 30 % und nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV für einmalige Nachtarbeit in der Woche (im Folgenden einmalige Nachtarbeit) ein Zuschlag von 50 % zu zahlen. Da es sich bei der von der Klägerin geleisteten Nachtarbeit um Wechselschichtarbeit in der Nacht iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV handelt (vgl. zum Begriff „Schichtarbeit“  (A) - Rn. 53, BAGE 175, 296; - 10 AZR 354/11 - Rn. 10 mwN), hat sie nach den Regelungen des MTV nur Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Stundenentgelts (vgl. § 5 Nr. 1 Satz 2 MTV). Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

162. Höhere Nachtarbeitszuschläge stehen der Klägerin aber zu, weil die tarifvertragliche Unterscheidung der Zuschläge für einmalige Nachtarbeit (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV) und mehrmalige Nachtarbeit (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV) oder Wechselschichtarbeit in der Nacht (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV) einer Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht standhält. Arbeitnehmer, die Wechselschichtarbeit in der Nacht oder mehrmalige Nachtarbeit leisten, werden gegenüber Arbeitnehmern, die einmalig Nachtarbeit in der Woche (vgl. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV) leisten, gleichheitswidrig schlechter gestellt. Dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kann nur dadurch genügt werden, dass die Klägerin für die im Rahmen von Wechselschichten in der Nacht zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr (vgl. § 4 Nr. 5 MTV) geleistete Arbeit ebenso wie ein Arbeitnehmer, der einmalige Nachtarbeit iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV leistet, behandelt wird. Sie hat ergänzend zu dem gezahlten Nachtarbeitszuschlag nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV Anspruch auf einen Zuschlag von weiteren 25 % zu ihrem jeweiligen Stundenentgelt für die von ihr geleisteten Stunden zur tariflichen Nachtzeit.

17a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr., zB  - Rn. 33; - 10 AZR 108/19 - Rn. 26; - 10 AZR 334/20 - Rn. 26, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 5 AZR 168/19 - Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen ( ua. - Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte ( - Rn. 19, BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 17; ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einl. Rn. 47).

18b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl.  - Rn. 20; - 3 AZR 618/19 - Rn. 39, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 5 AZR 258/19 - Rn. 37; - 6 AZR 563/18 - Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl.  - Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).

19c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 10 AZR 231/18 - Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind ( - Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: „Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien ... im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien ...]. Sie können daher viel stärker differenzieren, ...“). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen ( (A) - Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht ( - Rn. 40, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 41, BAGE 173, 205; - 6 AZR 563/18 - aaO; - 2 AZR 158/18 - Rn. 34, BAGE 168, 238; - 4 AZR 796/13 - Rn. 32, BAGE 151, 235). Ob ein Sachgrund eine Differenzierung rechtfertigt, ist auch dann zu prüfen, wenn die ggf. erforderliche Anpassung nach oben mit erheblichen Mehrkosten für die betroffenen Arbeitgeber verbunden ist (vgl.  - Rn. 35, BAGE 140, 1).

20Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte ( - Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben ( (B) - Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt.

21d) Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für tarifvertragliche Regelungen über den Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit. Allerdings können solche tariflichen Regelungen den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur verdrängen, wenn sie unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Nachtarbeitnehmer tatsächlich einen angemessenen Ausgleich gewährleisten.

22aa) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln. Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen. Für dieses Grundrecht besteht eine staatliche Schutzpflicht. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, um die Schutzpflicht zu erfüllen ( ua. - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191;  - Rn. 44, BAGE 173, 205).

23bb) Der Gesetzgeber ist dem Schutzauftrag mit § 6 Abs. 5 ArbZG nachgekommen. Die Norm überantwortet die Schaffung von Ausgleichsregelungen für geleistete Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien. Die gesetzlichen Ansprüche greifen nur subsidiär (vgl.  - Rn. 45 mwN, BAGE 173, 205). Auch bei solchen tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit handelt es sich aber um originär ausgeübte Tarifautonomie ( - Rn. 46, aaO; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 21). Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Koalitionsfreiheit ist nicht auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Er geht über den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus und erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen ( ua. - Rn. 115 mwN, BVerfGE 148, 296).

24cc) Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit regeln wollen. Dies gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG als auch darüber hinaus. So können sie beispielsweise die Nachtzeit gegenüber den Bestimmungen des ArbZG erweitern oder auch Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 ArbZG sind, einen Ausgleichsanspruch gewähren. Entscheiden sie sich aber im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG dafür, eine Regelung zu treffen, sind sie - anders als regelmäßig sonst bei der Gewährung tariflicher Leistungen - in einem gewissen Maß inhaltlich gebunden. Sie haben zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Die tarifliche Regelung muss die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren ( (A) - Rn. 72 mwN, BAGE 173, 165; - 6 AZR 549/17 - Rn. 18; - 1 ABR 62/10 - Rn. 15 mwN; - 10 AZR 369/10 - Rn. 18; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 83; BeckOK ArbSchR/Höfer Stand ArbZG § 6 Rn. 51, 53; BeckOK ArbR/Kock Stand ArbZG § 6 Rn. 25 f.; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 269; Kohte FS Buschmann 2014 S. 71, 81; Raab ZFA 2014, 237, 244; J. Ulber AuR 2020, 157, 161 f.; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 26 f.; wohl auch Neumann/Biebl ArbZG 16. Aufl. § 6 Rn. 26). Nur dann kann die tarifliche Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich des die Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmers verdrängen. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ in § 6 Abs. 5 ArbZG und entspricht dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes ( - aaO).

25dd) Bei der näheren Ausgestaltung, wie eine solche angemessene Kompensation erfolgen soll, sind die Tarifvertragsparteien hingegen im Rahmen der Tarifautonomie freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Ihnen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, wie sie den Ausgleich für die Nachtarbeit regeln wollen ( - Rn. 18; HK-ArbZeitR/Lorenz 2. Aufl. ArbZG § 6 Rn. 127). § 6 Abs. 5 ArbZG sieht für tarifliche Regelungen keine konkreten Mindestvorgaben vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die tarifvertragliche Regelung den mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgten Zwecken (vgl. dazu zuletzt  - Rn. 28, 36 mwN) bei einer Gesamtbetrachtung gerecht wird. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb auch nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden (aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 14; J. Ulber AuR 2020, 157, 162 f.).

26ee) Soweit tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründen, tritt unmittelbar eine gesundheitsschützende Wirkung in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Nachtarbeitszuschläge wirken sich dagegen nicht positiv auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus. Der individuelle Gesundheitsschaden wird über den Zuschlag kommerzialisiert. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen, wodurch die Gesundheit mittelbar geschützt wird. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl.  - Rn. 48 mwN, BAGE 173, 205).

27e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Tarifvertragsparteien für Beschäftigte, die - wie die Klägerin - Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, im MTV Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Schichtzeiten verdrängt.

28aa) Ob im jeweiligen Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für die Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen ist und die entsprechende Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt, ist jeweils anhand der betroffenen Arbeitnehmergruppe - hier die Arbeitnehmer, die Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, - und der konkreten Arbeitssituation, die im Streit steht, zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags im Hinblick auf seinen persönlichen Geltungsbereich ist nicht vorzunehmen. Eine solche würde auf der einen Seite nicht sicherstellen, dass für jeden einzelnen Nachtarbeitnehmer iSd. ArbZG ein angemessener tariflicher Ausgleichsanspruch besteht. Auf der anderen Seite kann der Umstand, dass es für einzelne Arbeitnehmergruppen an einem angemessenen Ausgleich fehlt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB  -) nicht dazu führen, dass tarifliche Regelungen, die für andere Gruppen einen angemessenen Ausgleich beinhalten, entgegen § 6 Abs. 5 ArbZG der Vorrang verwehrt wird.

29bb) Danach wird § 6 Abs. 5 ArbZG auch im Hinblick auf Beschäftigte, die Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, durch die streitgegenständliche tarifliche Regelung verdrängt.

30(1) Diese erhalten grundsätzlich einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % auf das tarifliche Stundenentgelt (§ 5 Nr. 1 Satz 2 MTV). Regelungen zu Schichtfreizeiten für geleistete Nachtarbeit oä. beinhaltet der MTV nicht, so dass sich dieser Wert insoweit nicht erhöht (vgl. zum spezifischen Ausgleich der Nachtarbeit durch Schichtfreizeiten  - Rn. 30, 36; - 10 AZR 379/20 - Rn. 30, 36).

31(2) Gleichwohl stellt im Rahmen der bei der Beurteilung der Angemessenheit notwendigen wertenden Betrachtung der von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Ausgleich unter Berücksichtigung der Art der zu leistenden Arbeit, also der Gegenleistung der Arbeitnehmer (vgl. dazu  - Rn. 26 mwN), eine hinreichende Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis dar und beinhaltet eine Entschädigung für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben.

32cc) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass eine Regelung, die für Wechselschichtarbeit in der Nacht geringere Zuschläge gewährt als für einmalige bzw. mehrmalige Nachtarbeit in der Woche, die gesetzliche Zielsetzung missachte und deshalb unwirksam sei, vermag dies nicht zu überzeugen (so aber zB auch J. Ulber AuR 2020, 157, 163). Dies vermengt die Frage der Angemessenheit des Ausgleichs mit der Frage der Gleichbehandlung. Die Frage der Angemessenheit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG richtet sich aber nicht danach, ob andere Arbeitnehmer den gleichen oder ggf. einen höheren Nachtarbeitszuschlag erhalten.

33f) Die im MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Wechselschichtarbeit in der Nacht und einmalige Nachtarbeit in § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 und Nr. 3 MTV verstößt aber - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Gleiches gilt für die Differenzierung zwischen einmaliger und mehrmaliger Nachtarbeit in der Woche, § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 und Nr. 2 MTV. Es liegen miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für Wechselschichtarbeit in der Nacht bzw. mehrmalige Nachtarbeit in der Woche im Gegensatz zur einmaligen Nachtarbeit ist - wie die Auslegung des MTV ergibt - nicht durch einen aus dem Tarifvertrag erkennbaren sachlichen Grund gerechtfertigt.

34aa) Arbeitnehmer, die Wechselschichtarbeit in der Nacht, mehrmalige Nachtarbeit in der Woche oder einmalige Nachtarbeit leisten, sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - miteinander vergleichbar. Die jeweiligen Zuschlagstatbestände knüpfen übereinstimmend an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an, die sich - insbesondere durch das Maß an Belastung - von der Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet (vgl.  - Rn. 50 ff. mwN auch zu krit. Stimmen, BAGE 173, 205). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom die Tatbestandsvoraussetzungen festlegen können, auf deren Grundlage die Gruppen zu bilden sind. Das entbindet sie nicht davon, die Grenzen von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Die sich dabei stellende Frage, ob sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen, ist auf der Rechtfertigungsebene zu klären (vgl.  - Rn. 52, aaO; aA zB Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 267 f.; ähnlich Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 16 ff.; Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).

35bb) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für einmalige bzw. mehrmalige Nachtarbeit in § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1, Nr. 2 MTV und für Wechselschichtarbeit in der Nacht in § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV führen dazu, dass drei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Der Ausgleich, den Arbeitnehmer für einmalige Nachtarbeit erhalten, ist deutlich höher als derjenige für mehrmalige Nachtarbeit bzw. für Wechselschichtarbeit in der Nacht.

36(1) Nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV erhalten Arbeitnehmer für Wechselschichtarbeit in der Nacht einen Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts (§ 5 Nr. 1 Satz 2 MTV), während der Zuschlag für einmalige Nachtarbeit 50 % beträgt (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV). Das führt zu einer Differenz in Höhe von 25 Prozentpunkten. Die Differenz des Zuschlags für mehrmalige Nachtarbeit in Höhe von 30 % (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV) im Vergleich zur einmaligen Nachtarbeit beträgt 20 Prozentpunkte.

37(2) Diese Differenz zwischen den Zuschlagstatbeständen verringert sich nicht um die bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit nach § 3 Nr. 6 MTV. Diese steht Arbeitnehmern zu, die in durchgehender Schicht kontinuierlich beschäftigt werden. Der Anspruch setzt somit schon nicht voraus, dass ein Einsatz in der Nachtschicht erfolgt. Die Pause wird vielmehr bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen in allen Schichten gewährt, also auch in Tagschichten. Demnach dient sie nicht dem Ausgleich der spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit, sondern dem Ausgleich des ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit verbunden mit dem Umstand, den Arbeitsplatz für eine Pause nicht verlassen zu können.

38(3) Unerheblich ist auch, dass der Nachtarbeitszuschlag nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV bereits für die Zeit ab 22:00 Uhr geschuldet wird und somit der Beginn der Nachtzeit gegenüber der gesetzlichen Regelung um eine Stunde vorgezogen ist. Dies gilt sowohl für die Wechselschichtarbeit in der Nacht als auch für einmalige oder mehrmalige Nachtarbeit, so dass sich hieraus in Bezug auf die Ungleichbehandlung keine Relativierung ergibt (aA wohl Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 251 „Ausgleichsfaktor“).

39cc) Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Wechselschichtarbeit in der Nacht leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die einmalige Nachtarbeit leisten, ist - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Ein solcher lässt sich den maßgeblichen Regelungen des MTV nicht entnehmen.

40(1) Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch Nachtschichtarbeit und sonstige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen - auch deutlich - höheren Ausgleich für sonstige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am - aus dem Tarifvertrag erkennbaren - Zweck der Leistung zu orientieren ( - Rn. 66, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). An einem solchen weiteren Zweck neben dem Gesundheitsschutz fehlt es hier. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.

41(2) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB  - Rn. 13 mwN).

42(3) Dies zugrunde gelegt ergibt sich zunächst, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung von Nachtarbeitszuschlägen den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer bezwecken. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Zuschlag für Wechselschichtarbeit in der Nacht als auch für einmalige oder mehrmalige Nachtarbeit in der Woche. Dieser Zweck stellt aber keinen Sachgrund für höhere Zuschläge zugunsten der Arbeitnehmer dar, die einmalige Nachtarbeit leisten.

43(a) Der Zweck des Gesundheitsschutzes ist zwar nicht ausdrücklich im MTV benannt. Er hat aber hinreichend Niederschlag gefunden. Die Zuschläge werden ausdrücklich als solche für Nachtarbeit bezeichnet (§ 5 Nr. 1 Buchst. c MTV). Der MTV definiert den Begriff der Nachtarbeit als die in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeit (§ 4 Nr. 5 MTV). Die Regelung knüpft damit an § 2 Abs. 3 ArbZG an und erweitert den Nachtzeitraum. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgleichsregelung des § 6 Abs. 5 ArbZG und dem dort normierten grundsätzlichen Vorrang von Ausgleichsregelungen in Tarifverträgen liegt nahe, dass die Tarifvertragsparteien von dieser Kompetenz Gebrauch machen und auch der gesetzlichen Zwecksetzung genügen wollten. Die Gesundheit - über die Verteuerung der Arbeit zumindest mittelbar - zu schützen, ist der typischerweise mit Nachtarbeitszuschlägen verfolgte Zweck (vgl.  - Rn. 25).

44(b) Der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung allerdings nicht zu rechtfertigen.

45(aa) Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat ( ua. - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; ebenso  - Rn. 70 f., BAGE 173, 205; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, BAGE 162, 230; - 10 AZR 47/17 - Rn. 39, BAGE 160, 325; Schlachter/Heinig/Bayreuther Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] § 11 Rn. 33; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - aaO; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19, BAGE 147, 33).

46(bb) Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit - ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom S. 42).

47(cc) Aufgrund der steigenden gesundheitlichen Belastung durch eine größere Zahl der Nächte im Monat und eine höhere Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird, sollten möglichst wenige Nachtschichten aufeinanderfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr aufeinanderfolgenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Das trifft nicht zu (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit 9. Aufl. S. 12 f.; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 32). Aufeinanderfolgende Nachtschichten sind besonders schädlich, obwohl sich Arbeitnehmer typabhängig unterschiedlich gut an die Nachtarbeit anpassen ( - Rn. 72, BAGE 173, 205; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19 f. mwN, BAGE 147, 33; vgl. Langhoff/Satzer aaO S. 36). Bislang ist nicht belegt, dass aufeinanderfolgende Nachtschichten signifikant weniger gesundheitsschädlich sind, wenn Arbeitnehmer nach einem Schichtplan eingesetzt werden, der ihnen im Voraus bekannt ist. Nach Amlinger-Chatterjee zeigen extrahierte statistische Daten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar sind (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 52).

48(dd) Gesundheitsschutzaspekte können danach die im MTV vorgenommene Differenzierung für sich genommen sachlich nicht rechtfertigen.

49(4) Soweit die Beklagte darauf hinweist, der MTV regle die einmalige Nachtarbeit im Verhältnis zur Nachtschichtarbeit als absoluten Ausnahmetatbestand, der in ihrem Betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt nicht angefallen sei, ergibt sich auch aus einem solchen Ausnahmecharakter für sich genommen kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der mögliche Ausnahmecharakter wäre zwar ein Umstand, der auf einen bestimmten Zweck der Leistung hindeuten kann, nicht aber ein selbständiger Zweck, der mit der Tarifregelung verfolgt wird. Außerdem ist ein solcher Ausnahmecharakter in den Bestimmungen und der Struktur des MTV für seinen Geltungsbereich - also den Betrieb der Beklagten - weder inhaltlich angelegt noch aus diesen auch nur im Ansatz erkennbar. Weder in den allgemeinen Regelungen über die Arbeitszeit in § 3 MTV noch in den speziellen Bestimmungen über die Nachtarbeit und deren Ausgleich (§ 4 Nr. 5 und § 5 Nr. 1 Buchst. c MTV) finden sich dazu Hinweise. Auch die Größe der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe - sollte die Beklagte hierauf abstellen - vermag die Begünstigung einer Mehrheit oder Minderheit allein nicht zu rechtfertigen. Denn Ungleichbehandlungen sind - dem Grundgedanken des Gleichheitsgebots folgend - unabhängig von der Größe der (potentiell) betroffenen Gruppen zu vermeiden. Ob im streitgegenständlichen Zeitraum bei der Beklagten tatsächlich kein Arbeitnehmer einmalige Nachtarbeit geleistet hat, ist für das Verständnis des MTV hingegen ohne Bedeutung.

50(5) Es ist auch sonst kein Zweck erkennbar, der die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für einmalige Nachtarbeit einerseits und Wechselschichtarbeit in der Nacht oder mehrmalige Nachtarbeit andererseits sachlich rechtfertigen könnte. Die Tarifvertragsparteien des MTV haben den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum auch unter Zugrundelegung eines zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs (Rn. 20) überschritten. Zwischen der einmaligen Nachtarbeit und der Wechselschichtarbeit in der Nacht oder der mehrmaligen Nachtarbeit bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die die Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge sachlich rechtfertigen könnten. Das gilt auch, soweit die Beklagte anführt, der MTV wolle die fehlende Planbarkeit einmaliger Nachtarbeit mit dem höheren Zuschlag ausgleichen. Dieser Zweck ist dem MTV nicht zu entnehmen.

51(a) Richtig ist, dass der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit eine Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen vermag. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Unerheblich ist dabei, wenn mit einer tariflichen Zuschlagsregelung mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden, solange diese Zwecke Niederschlag im Tarifvertrag gefunden haben. Ist dies der Fall, kommt es auch nicht darauf an, wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird (umfassend dazu  - Rn. 52 ff.).

52(b) Der Zweck des Ausgleichs einer schlechteren Planbarkeit von - unregelmäßiger - Nachtarbeit hat im MTV keinen Niederschlag gefunden.

53(aa) § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für einmalige Nachtarbeit - neben dem Gesundheitsschutz - dienen. Auch unter Einbezug der Regelung für mehrmalige Nachtarbeit in der Woche (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV) ist kein Grund erkennbar. Der MTV enthält in den Bestimmungen, die die Zuschläge für Nachtarbeit regeln, auch nicht ein Begriffspaar wie „regelmäßig“ und „unregelmäßig“, aus dessen Gegenüberstellung sich der damit verbundene weitere Zweck erkennen ließe (vgl. dazu  - Rn. 53 ff.). Dem Regelungssystem des MTV lässt sich zwar entnehmen, dass es sich bei der Wechselschichtarbeit in der Nacht um die regelmäßige Form der Nachtarbeit handelt, nicht aber, dass mit „einmalige Nachtarbeit in der Woche“ iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV ausschließlich unregelmäßige Nachtarbeit gemeint ist und hieraus folgend mit dem höheren Zuschlag die schlechtere Planbarkeit ausgeglichen werden soll. Entsprechendes gilt für die „mehrmalige Nachtarbeit in der Woche“ iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV, für die ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % zu zahlen ist.

54(bb) Wechselschichtarbeit in der Nacht setzt eine Regelhaftigkeit voraus. Der Begriff der (Wechsel-)Schichtarbeit wird im Tarifvertrag nicht ausdrücklich definiert. In der Zuschlagsregelung für Wechselschichtarbeit in der Nacht wird aber eine Schichtarbeit mit wöchentlichem Wechsel vorausgesetzt (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV). Das knüpft an den Begriff der Schichtarbeit in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung an. Danach ist wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die wirkliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinaus anfällt und diese daher von mehreren Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge, teilweise auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit, erbracht wird. Die Arbeit muss dabei nach einem Schichtplan erfolgen, wobei nicht erforderlich ist, dass dieser vom Arbeitgeber vorgegeben ist ( - Rn. 10; - 10 AZR 570/09 - Rn. 14 mwN). Schichtarbeit ist damit eine regelmäßige Form der Nachtarbeit. „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (duden.de Stichwort „regelmäßig“ - zuletzt abgerufen am ; vgl. auch  - Rn. 16). Bei typisierender Betrachtung folgt hieraus, dass regelmäßige Nachtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtarbeit geleistet wird. Typischerweise werden bei dieser Art der Nachtarbeit (Schicht-)Pläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus - vorliegend im wöchentlichem Wechsel - folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet.

55(cc) Nicht erkennbar ist allerdings, dass die Nachtarbeit iSv. § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV ausschließlich unregelmäßige Arbeit zur tariflichen Nachtzeit ist. Es fehlt nicht nur an einer Bezeichnung wie „unregelmäßig“. Auch im Übrigen ist aus den Regelungen des MTV nicht ersichtlich, dass einmalige Nachtarbeit in der Woche nicht regelmäßig oder sogar dauerhaft anfallen kann. Der MTV beschränkt insoweit weder in den allgemeinen Regelungen über die Arbeitszeit in § 3 MTV noch in den speziellen Bestimmungen über die Nachtarbeit und deren Ausgleich (§ 4 Nr. 5, § 5 Nr. 1 Buchst. c MTV) die Gestaltungsfreiheit für den Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien hinsichtlich der Arbeitszeitmodelle. Insbesondere ist danach nicht ausgeschlossen, dass ständige oder wiederkehrende Nachtarbeit außerhalb von Wechselschicht entweder im Rahmen eines anderen Schichtmodells, außerhalb eines Schichtsystems und in Bezug auf die mehrmalige Nachtarbeit in der Woche (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV) sogar als Dauernachtarbeit außerhalb von Wechselschicht anfällt. Eine solche Arbeitszeitgestaltung ist regelmäßig und planbar. Eine Beschränkung der einmaligen Nachtarbeit auf Ausnahmesituationen (vgl. zu einer solchen Tarifgestaltung zB  - Rn. 57) haben die Tarifvertragsparteien ebenfalls nicht vorgenommen. Damit ist in allen tariflich vorgesehenen Fällen von Nachtarbeit (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 bis 3 MTV) regelmäßig auftretende Nachtarbeit möglich. Auch wenn im streitgegenständlichen Zeitraum - wie die Beklagte behauptet - keine einmalige Nachtarbeit angefallen sein sollte, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Die Normen des ausschließlich für die Beklagte geltenden Verbandstarifvertrags lassen solche Arbeitszeitmodelle zu.

56(dd) Nichts anderes ergibt sich aus dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen MTV (zur Fortführung eines bestimmten Begriffs durch die Tarifvertragsparteien vgl. zB  - Rn. 22, BAGE 134, 34). Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung - nicht unbedingt gesundheitlicher Art - mit sich (vgl.  -; - 5 AZR 808/06 - Rn. 31 ff.; - 10 AZR 736/12 - Rn. 23, BAGE 147, 33). Ein solches Begriffsverständnis hat sich in der hier streitgegenständlichen Tarifregelung gerade nicht niedergeschlagen. Soweit in einer frühen Entscheidung ohne nähere Begründung unter „Nachtarbeit“, die nicht Schichtarbeit ist, iSd. damals maßgeblichen Tarifvertrags ohne Weiteres ein unregelmäßiges Arbeiten und ein Ausnahmecharakter solcher Arbeiten verstanden wurde ( - zu II der Gründe, BAGE 5, 107), ist dieses Verständnis in der späteren Rechtsprechung nicht mehr fortgeführt worden. Hinsichtlich der Bestimmungen des MTV scheidet es - wie dargelegt - schon deshalb aus, weil dauerhafte und regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Wechselschichtarbeit als Arbeitszeitmodell möglich und zulässig ist.

57dd) Entsprechendes gilt für die Differenzierung bei der Zuschlagshöhe in Bezug auf einmalige und mehrmalige Nachtarbeit in der Woche (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 und Nr. 2 MTV). Soweit im MTV für die mehrmalige Nachtarbeit in der Woche ein Zuschlag von nur 30 % gegenüber dem Zuschlag für einmalige Nachtarbeit in Höhe von 50 % vorgesehen ist, ist auch dafür kein sachlicher Grund erkennbar, der im MTV Niederschlag gefunden hätte und die unterschiedliche Zuschlagshöhe rechtfertigen könnte. Es wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

583. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz hat zur Folge, dass die Klägerin Anspruch auf Zahlung des höheren Nachtarbeitszuschlags von insgesamt 50 % des tariflichen Stundenentgelts für die von ihr geleistete streitgegenständliche Nachtarbeit hat. Die gleichheitswidrige Ungleichbehandlung kann für die im Streit stehende Vergangenheit nur durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt werden (umfassend dazu  - Rn. 87 ff. mwN, BAGE 173, 205).

59a) Den Angehörigen der benachteiligten Gruppe sind dieselben Vorteile zu gewähren wie den nicht benachteiligten Arbeitnehmern; die begünstigende Regelung bleibt insoweit das einzig gültige Bezugssystem. Kann der Arbeitgeber den Begünstigten für die Vergangenheit die gewährten Leistungen nicht mehr entziehen, ist eine solche zur Beseitigung der Diskriminierung erforderliche Anpassung „nach oben“ selbst dann gerechtfertigt, wenn sie zu erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers führt ( - Rn. 91; - 10 AZR 334/20 - Rn. 87 f., BAGE 173, 205; - 9 AZR 266/19 - Rn. 41 [zu § 7 AGG]; - 1 AZR 590/18 - Rn. 32 [zu § 75 Abs. 1 BetrVG]; - 8 AZR 168/14 - Rn. 30 [zu § 4 Abs. 1 TzBfG]). Unabhängig davon muss - um den gleichheitswidrigen Zustand zu beseitigen - daher § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV unangewendet bleiben, soweit der Anspruch auf den Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % für (Wechsel-)Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ausgeschlossen ist. Gleiches gilt - wie dargelegt - für den Zuschlag in § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 MTV. Daran ändert auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - die in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich verbürgte Tarifautonomie nichts (vgl.  - Rn. 32). Der Umstand, dass die maßgeblichen Tarifnormen aufgrund eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags ausschließlich für die Beklagte gelten, führt ebenso wenig zu einem anderen Ergebnis. Die Tarifvertragsparteien haben in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats vom (- 10 AZR 34/17 - BAGE 162, 230) am den MTV abgeschlossen, ohne die Regelungen zu den Nachtarbeitszuschlägen abzuändern und an die Anforderungen des Gleichheitssatzes anzupassen. Vielmehr haben sie mit § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV sogar eine Bestimmung geschaffen oder fortgeführt, die nach dem Vortrag der Beklagten im Streitzeitraum im Betrieb keinen praktischen Anwendungsfall hatte. Diese Bestimmung gilt aber unabhängig davon weiterhin normativ (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).

60b) Die Unwirksamkeit von § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 2 und Nr. 3 MTV hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit im Übrigen. § 139 BGB findet auf Tarifverträge keine Anwendung. Die Unwirksamkeit einer Tarifbestimmung führt nicht zur Unwirksamkeit der übrigen tariflichen Bestimmungen, sondern bleibt auf die inkriminierte Vorschrift beschränkt. Maßgebend ist, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung enthält (st. Rspr., zuletzt zB  - Rn. 27 mwN, BAGE 170, 56). Dies ist hier der Fall. Nicht die Gesamtheit der Zuschlagsregelungen in § 5 Nr. 1 Buchst. c MTV ist gleichheitswidrig. Der Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot betrifft im vorliegenden Rechtsstreit die Zuschlagsregelung zur Wechselschichtarbeit in der Nacht sowie zur mehrmaligen Nachtarbeit in der Woche. Nur diese benachteiligen die Normunterworfenen im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die einmalige Nachtarbeit in der Woche leisten (vgl.  - Rn. 95 mwN, BAGE 173, 205). Auch ohne die Geltung dieser Zuschlagsregelungen trifft der MTV in § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 noch eine Regelung zum Ausgleich für Nachtarbeit, die § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt. Eine Gesamtnichtigkeit der Zuschlagsregelungen würde auch dem Willen der Tarifvertragsparteien widersprechen, eine § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängende Ausgleichsregelung für Nachtarbeit mit erweitertem Anwendungsbereich und gegenüber der gesetzlichen Regelung abweichendem Inhalt zu schaffen (vgl.  - Rn. 95, aaO).

61c) Ein bloßer Rückgriff auf die gesetzliche Regelung in § 6 Abs. 5 ArbZG im Weg der Derogation (vgl.  - Rn. 96 mwN, BAGE 173, 205) würde zwar dazu führen, dass der Klägerin, soweit sie Nachtarbeitnehmerin iSv. § 2 Abs. 5 ArbZG ist, für die während der gesetzlichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden ein Ausgleichsanspruch zusteht. Die hier gegebene Benachteiligung wäre aber nicht beseitigt.

62d) Danach hat die Klägerin Anspruch auf die Differenz zwischen dem an sie gezahlten Zuschlag für Wechselschichtarbeit in der Nacht (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV) und dem Zuschlag in Höhe von 50 % entsprechend § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV für einmalige Nachtarbeit.

634. Die Klägerin hat die tarifliche Ausschlussfrist für die geforderten Nachtarbeitszuschläge für die Monate Januar, Februar, April und Mai 2019 gewahrt, wobei die erstmalige Geltendmachung in der vorliegenden Streitkonstellation auch für später entstandene Ansprüche genügt.

64a) Nach § 20 MTV gelten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis als verwirkt, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Entstehen geltend gemacht werden.

65aa) Eine Forderung ist im Allgemeinen dann entstanden, wenn der von der Norm zu ihrer Entstehung vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, auch wenn der Gläubiger die Leistung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlangen kann, also die Fälligkeit der Forderung hinausgeschoben ist. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt aber nicht vor Fälligkeit, dh. nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger vom Schuldner die Leistung verlangen (§ 271 BGB) und im Weg der Klage durchsetzen kann ( - Rn. 35; - 10 AZR 290/17 - Rn. 55 mwN, BAGE 163, 144).

66bb) Nach § 7 Nr. 1 MTV erfolgt die Entgeltzahlung monatlich nachträglich, nach § 7 Nr. 3 Satz 1 MTV grundsätzlich zum Monatsende. Nach § 7 Nr. 3 Satz 3 MTV muss das Gesamtentgelt für den Arbeitnehmer spätestens am 10. Arbeitstag des folgenden Monats verfügbar sein, wenn Grundvergütung und zuschlagspflichtige Arbeitsstunden zusammen abgerechnet werden. Danach sind die Ansprüche auf Nachtarbeitszuschläge am 10. des Folgemonats fällig. Der älteste Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge aus Januar 2019 war somit frühestens am Montag, , fällig, die Ausschlussfrist begann am zu laufen.

67cc) Nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin ihre Ansprüche mit Schreiben vom - und damit weit vor Fristablauf - gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

68b) Diese erstmalige Geltendmachung genügt nach § 20 MTV auch für später entstandene Ansprüche.

69aa) Eine Geltendmachung von Ansprüchen setzt zwar grundsätzlich voraus, dass der Anspruch bereits entstanden ist. Eine Besonderheit liegt aber vor, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem bestimmten Sachverhalt hergeleitet werden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn ein bestimmter Anspruch jeweils aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entsteht. Durch einmalige ordnungsgemäße Geltendmachung kann die Ausschlussfrist dann auch im Hinblick auf noch nicht entstandene Ansprüche gewahrt sein. Auch wenn die jeweilige Tarifbestimmung dies nicht ausdrücklich vorsieht, kommt eine entsprechende Auslegung in Betracht, wenn der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck, dem Schuldner zeitnah Gewissheit zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat, durch die einmalige Geltendmachung erreicht wird. Die einschränkende Auslegung ist insbesondere dann geboten, wenn lediglich über die stets gleiche Berechnungsgrundlage von im Übrigen unstreitigen Ansprüchen gestritten wird; hier reicht im Zweifel die einmalige Geltendmachung der richtigen Berechnungsmethode auch für später entstehende Zahlungsansprüche aus. Steht allein ein bestimmtes Element einer bestimmten Art von Ansprüchen in Streit, erfüllt die Aufforderung, dieses zukünftig in konkreter Art und Weise zu beachten, die Funktion einer Inanspruchnahme. Für den Schuldner kann kein Zweifel bestehen, was von ihm verlangt wird, und der Gläubiger darf ohne Weiteres davon ausgehen, dass er seiner Obliegenheit zur Geltendmachung Genüge getan hat (vgl.  - Rn. 61, BAGE 170, 24; umfassend  - Rn. 31, BAGE 144, 210).

70bb) Nach diesen Grundsätzen genügt vorliegend die einmalige Geltendmachung auch für später entstehende Differenzansprüche zwischen dem geleisteten Zuschlag für Wechselschichtarbeit in der Nacht nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 3 MTV und dem Zuschlag für einmalige Nachtarbeit nach § 5 Nr. 1 Buchst. c Nr. 1 MTV. Der Wortlaut des § 20 MTV schließt die Geltendmachung künftiger Ansprüche nicht von vornherein aus. Der Umfang der geleisteten Nachtarbeit stand und steht zwischen den Parteien außer Streit. Umstritten ist einzig die Rechtsfrage, ob die tarifliche Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge rechtswirksam ist und welche Rechtsfolgen an eine Unwirksamkeit ggf. geknüpft sind. Die Beklagte musste vor diesem Hintergrund nach der erstmaligen Geltendmachung deshalb damit rechnen, dass diese Streitfrage sich auch bei in den Folgemonaten geleisteter Nachtschichtarbeit stellt, und sie konnte ihr Verhalten darauf einstellen.

715. Danach stehen der Klägerin weitere Nachtarbeitszuschläge für die Monate Januar, Februar, April und Mai 2019 in Höhe von insgesamt 521,08 Euro brutto nebst Zinsen zu. Die Höhe der Zuschläge steht nicht im Streit.

726. Nach § 288Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB schuldet die Beklagte Verzugszinsen, die der Klägerin gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zustehen (vgl.  - Rn. 38 mwN). Fällig sind die Ansprüche auf Nachtarbeitszuschläge - wie ausgeführt - jeweils am 10. des Folgemonats. Zinsen sind damit jeweils am Folgetag nach Fälligkeit zu zahlen. Die Klägerin hat Zinsen jedoch für die Ansprüche aus Januar und Februar 2019 erst ab dem und für die Ansprüche aus April und Mai 2019 erst ab dem beantragt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche jedenfalls fällig.

73III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:151123.U.10AZR163.23.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-57650