BAG Urteil v. - 10 AZR 369/20

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz - Ausschlussfrist - Verstoß gegen den Gleichheitssatz - Zuschlagshöhe - Differenzierung - Nachtarbeit - Nachtschichtarbeit - Tarifauslegung - Erfrischungsgetränkeindustrie

Gesetze: § 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, § 6 Abs 5 ArbZG, Art 9 Abs 3 GG

Instanzenzug: ArbG Mannheim Az: 2 Ca 122/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 12 Sa 20/20 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.

2Der Kläger leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit bei der Beklagten, einem Unternehmen der Getränkeindustrie. Er ist Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die Beklagte ist durch den mit der NGG geschlossenen Unternehmenstarifvertrag „Geltung von Manteltarifverträgen“ (UTV) an den Rahmen-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Ernährungsindustrie in Baden-Württemberg vom (RMTV), den Zusatz-Tarifvertrag für die Erfrischungsgetränkeindustrie in Baden-Württemberg vom (ZTV) und den Ergänzungsvertrag zum ZTV vom (EV ZTV) gebunden.

3Der RMTV enthält unter anderem folgende Regelungen:

4Der ZTV regelt auszugsweise:

5Der EV ZTV lautet auszugsweise:

6Der Kläger verrichtete von November 2018 bis Juni 2019 in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr Nachtarbeit in Wechselschicht, für die er einen Zuschlag in Höhe von 25 % des Stundenentgelts erhielt. Es handelt sich um 62,52 Stunden im November 2018, 23,87 Stunden im Dezember 2018, 15,73 Stunden im Januar 2019, 10,75 Stunden im Februar 2019, 56,10 Stunden im März 2019, 47,45 Stunden im April 2019, 41,03 Stunden im Mai 2019 und 37,75 Stunden im Juni 2019. Der Stundenlohn des Klägers betrug bis 19,92 Euro brutto, ab 20,65 Euro brutto.

7Mit seiner Klage begehrt der Kläger - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - für die geleistete Nachtarbeit die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für Schichtarbeit in der Nachtzeit in Höhe von 25 % und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit, die nicht Schichtarbeit ist, in Höhe von 50 %.

8Am Standort Mannheim der Beklagten, an dem der Kläger beschäftigt ist, gab es im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Aushang am Schwarzen Brett, mit dem auf die tariflichen Ausschlussfristen hingewiesen wurde.

9Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr - trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen - Zuschläge für Nachtarbeit von nur 20 %, für sonstige Nachtarbeit dagegen Zuschläge von 50 %, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr als auch bei Nachtarbeit vorliegen oder fehlen. Ein Zuschlag von nur 20 % für Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr sei nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt. Er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Außerdem sei dieser Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge der Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dienten und insoweit an Art. 20 und Art. 31 Abs. 1 GRC zu messen seien.

10Der Kläger hat zuletzt beantragt,

11Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gruppen der Arbeitnehmer, die Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit verrichteten, seien schon nicht vergleichbar. Zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bestehe zudem ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil die planbare Nachtschichtarbeit sehr viel häufiger anfalle als sonstige Nachtarbeit. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Die Zuschlagsdifferenz verringere sich außerdem durch die Regelungen zu den Schichtfreizeiten und zur bezahlten Essenspause. Der Zuschlag von 50 % solle auch nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche weiter.

13Der Senat hat das Revisionsverfahren im Hinblick auf zwei Vorabentscheidungsersuchen zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausgesetzt. Der EuGH hat auf die dort gestellte Frage mit Urteil vom geantwortet (- C-257/21 und C-258/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland]).

Gründe

14Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag. Dies führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Klage ist begründet, was der Senat selbst entscheiden kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die Anzahl der zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr geleisteten Nachtarbeitsstunden angegeben und die Klageforderung ausgehend vom tariflichen Bruttostundenlohn mit der geltend gemachten Differenz von 25 Prozentpunkten für die geleisteten Nachtarbeitsstunden berechnet. Damit ist die Klage in Bezug auf jeden Monat, für den der Kläger höhere Nachtarbeitszuschläge verlangt, als abschließende Gesamtklage zu verstehen und hinreichend bestimmt (vgl.  - Rn. 14 mwN; - 10 AZR 34/17 - Rn. 13, BAGE 162, 230).

16II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat an den Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum für seine Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr den Zuschlag für Nachtarbeit nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV in Höhe von 50 % des Stundenentgelts abzüglich der nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV geleisteten Zuschläge zu zahlen.

171. Ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des ZTV.

18a) Der RMTV, ZTV und EV ZTV gelten - vermittelt über den UTV - im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

19b) Nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV ist für Schichtarbeit in der Nachtzeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr (im Folgenden Nachtschichtarbeit) ein Zuschlag von 25 % (20 % Zuschlag für Nachtarbeit, 5 % Zuschlag für Schichtarbeit) und nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV für Nachtarbeit, die nicht Mehrarbeit oder Schichtarbeit ist (im Folgenden sonstige Nachtarbeit), ein Zuschlag von 50 % zu zahlen. Da es sich bei der vom Kläger von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleisteten Nachtschichtarbeit, die allein Gegenstand der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts war, um Schichtarbeit iSv. § 3 Abschn. I Nr. 4 Buchst. a und Abschn. II Nr. 4 ZTV handelt, hat er nach den Regelungen des ZTV nur Anspruch auf einen Zuschlag in Höhe von 25 % (20 % Zuschlag für Nachtarbeit, 5 % Zuschlag für Schichtarbeit) des Stundenentgelts (vgl. § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV). Davon gehen in der Revision nunmehr auch die Parteien übereinstimmend aus.

202. Höhere Nachtarbeitszuschläge stehen dem Kläger aber zu, weil die tarifvertragliche Unterscheidung der Zuschläge für sonstige Nachtarbeit (§ 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV) und Nachtschichtarbeit (§ 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV) einer Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht standhält. Nachtschichtarbeitnehmer werden gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig schlechter gestellt. Dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) kann nur dadurch genügt werden, dass der Kläger für die im Rahmen von Nachtschichten geleistete Nachtarbeit ebenso wie ein Arbeitnehmer, der sonstige Nachtarbeit iSv. § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV leistet, behandelt wird. Er hat - wie beantragt - ergänzend zu dem gezahlten Zuschlag nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV Anspruch auf einen Zuschlag von weiteren 25 % zu seinem jeweiligen Stundenentgelt für die von ihm geleisteten Stunden zur tariflichen Nachtzeit.

21a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr., zB  - Rn. 33; - 10 AZR 108/19 - Rn. 26; - 10 AZR 334/20 - Rn. 26, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 5 AZR 168/19 - Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen ( ua. - Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte ( - Rn. 19, BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 17; ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einl. Rn. 47).

22b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl.  - Rn. 20; - 3 AZR 618/19 - Rn. 39, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 5 AZR 258/19 - Rn. 37; - 6 AZR 563/18 - Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl.  - Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).

23c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 10 AZR 231/18 - Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind ( - Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: „Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien ... im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien ...]. Sie können daher viel stärker differenzieren, ...“). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen ( (A) - Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht ( - Rn. 40, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 41, BAGE 173, 205; - 6 AZR 563/18 - aaO; - 2 AZR 158/18 - Rn. 34, BAGE 168, 238; - 4 AZR 796/13 - Rn. 32, BAGE 151, 235). Ob ein Sachgrund eine Differenzierung rechtfertigt, ist auch dann zu prüfen, wenn die ggf. erforderliche Anpassung nach oben mit erheblichen Mehrkosten für die betroffenen Arbeitgeber verbunden ist (vgl.  - Rn. 33 f., BAGE 140, 1).

24Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte ( - Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben ( (B) - Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt.

25d) Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für tarifvertragliche Regelungen über den Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit. Allerdings können solche tariflichen Regelungen den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur verdrängen, wenn sie unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Nachtarbeitnehmer tatsächlich einen angemessenen Ausgleich gewährleisten.

26aa) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln. Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen. Für dieses Grundrecht besteht eine staatliche Schutzpflicht. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, um die Schutzpflicht zu erfüllen ( ua. - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191;  - Rn. 44, BAGE 173, 205).

27bb) Der Gesetzgeber ist dem Schutzauftrag mit § 6 Abs. 5 ArbZG nachgekommen. Die Norm überantwortet die Schaffung von Ausgleichsregelungen für geleistete Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien. Die gesetzlichen Ansprüche greifen nur subsidiär (vgl.  - Rn. 45 mwN, BAGE 173, 205). Auch bei solchen tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit handelt es sich aber um originär ausgeübte Tarifautonomie ( - Rn. 46, aaO; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 21). Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Koalitionsfreiheit ist nicht auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Er geht über den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus und erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen ( ua. - Rn. 115 mwN, BVerfGE 148, 296).

28cc) Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit regeln wollen. Dies gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG als auch darüber hinaus. So können sie beispielsweise die Nachtzeit gegenüber den Bestimmungen des ArbZG erweitern oder auch Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 ArbZG sind, einen Ausgleichsanspruch gewähren. Entscheiden sie sich aber im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG dafür, eine Regelung zu treffen, sind sie - anders als regelmäßig sonst bei der Gewährung tariflicher Leistungen - in einem gewissen Maß inhaltlich gebunden. Sie haben zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Die tarifliche Regelung muss die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren ( (A) - Rn. 72 mwN, BAGE 173, 165; - 6 AZR 549/17 - Rn. 18; - 1 ABR 62/10 - Rn. 15 mwN; - 10 AZR 369/10 - Rn. 18; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 83; BeckOK ArbSchR/Höfer Stand ArbZG § 6 Rn. 51, 53; BeckOK ArbR/Kock Stand ArbZG § 6 Rn. 25 f.; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 269; Kohte FS Buschmann 2014 S. 71, 81; Raab ZFA 2014, 237, 244; J. Ulber AuR 2020, 157, 161 f.; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 26 f.; wohl auch Neumann/Biebl ArbZG 16. Aufl. § 6 Rn. 26). Nur dann kann die tarifliche Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich des die Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmers verdrängen. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ in § 6 Abs. 5 ArbZG und entspricht dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes ( - aaO).

29dd) Bei der näheren Ausgestaltung, wie eine solche angemessene Kompensation erfolgen soll, sind die Tarifvertragsparteien hingegen im Rahmen der Tarifautonomie freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Ihnen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, wie sie den Ausgleich für die Nachtarbeit regeln wollen ( - Rn. 18; HK-ArbZeitR/Lorenz 2. Aufl. ArbZG § 6 Rn. 127). § 6 Abs. 5 ArbZG sieht für tarifliche Regelungen keine konkreten Mindestvorgaben vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die tarifvertragliche Regelung den mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgten Zwecken (vgl. dazu zuletzt  - Rn. 28, 36 mwN) bei einer Gesamtbetrachtung gerecht wird. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb auch nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden (aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 14; J. Ulber AuR 2020, 157, 162 f.).

30ee) Soweit tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründen, tritt unmittelbar eine gesundheitsschützende Wirkung in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Nachtarbeitszuschläge wirken sich dagegen nicht positiv auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus. Der individuelle Gesundheitsschaden wird über den Zuschlag kommerzialisiert. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen, wodurch die Gesundheit mittelbar geschützt wird. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl.  - Rn. 48 mwN, BAGE 173, 205).

31e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Tarifvertragsparteien für Beschäftigte, die - wie der Kläger - Nachtschichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr leisten, im ZTV Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Schichtzeiten verdrängt.

32aa) Ob im jeweiligen Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für die Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen ist und die entsprechende Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt, ist jeweils anhand der betroffenen Arbeitnehmergruppe - hier die Arbeitnehmer, die Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr leisten - und der konkreten Arbeitssituation, die im Streit steht, zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags im Hinblick auf seinen persönlichen Geltungsbereich ist nicht vorzunehmen. Eine solche würde auf der einen Seite nicht sicherstellen, dass für jeden einzelnen Nachtarbeitnehmer iSd. ArbZG ein angemessener tariflicher Ausgleichsanspruch besteht. Auf der anderen Seite kann der Umstand, dass es für einzelne Arbeitnehmergruppen an einem angemessenen Ausgleich fehlt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB  -) nicht dazu führen, dass tarifliche Regelungen, die für andere Gruppen einen angemessenen Ausgleich beinhalten, entgegen § 6 Abs. 5 ArbZG der Vorrang verwehrt wird.

33bb) Danach wird § 6 Abs. 5 ArbZG auch im Hinblick auf Beschäftigte, die Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr leisten, durch die streitgegenständliche tarifliche Regelung verdrängt.

34(1) Diese erhalten grundsätzlich einen tariflichen Zuschlag in Höhe von 25 % (20 % Zuschlag für Nachtarbeit, 5 % Zuschlag für Schichtarbeit) auf das Stundenentgelt (§ 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV). Dieser Wert erhöht sich allerdings nicht durch den mit dem EV ZTV eingeführten und in § 3 Abschn. I Nr. 5 ZTV geregelten Anspruch auf eine Schichtfreizeit für je 20 geleistete Nachtschichten bei ständiger Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb. Hierbei handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschicht, sondern - jedenfalls vorrangig - um eine Kompensation für die Belastungen durch den Schichtwechsel. Denn dieser Anspruch besteht nicht bei ständiger Nacht(schicht)arbeit. Dem Tarifvertrag lässt sich auch nicht entnehmen, dass regelmäßige Nachtarbeit in seinem Geltungsbereich nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien nur im Rahmen von Wechselschicht im Drei-Schicht-Turnus anfallen kann. Der Regelung kann daher nicht eindeutig entnommen werden, dass und ggf. in welchem Umfang mit der Leistung ein spezifischer Ausgleich der durch die Nachtarbeit entstehenden Belastungen bezweckt wird. Das Auslegungsergebnis stützt auch die erkennbare Tarifgeschichte. Mit der Protokollnotiz zu § 3 Abschn. I Nr. 4 ZTV hatten sich die Tarifvertragsparteien verpflichtet, „zwecks Vereinbarung einer Schichtfreizeit für Arbeitnehmer im Drei-Schicht-Betrieb in Verhandlungen einzutreten“, sollte „während der Laufzeit des neuen Zusatztarifvertrags in einem Mitgliedsbetrieb zur Drei-Schicht-Arbeit übergegangen werden“. Die Vereinbarungen zur Schichtfreizeit dienen - wie dem Wortlaut des EV ZTV zu entnehmen ist - der Umsetzung der Protokollnotiz und ersetzen diese.

35(2) Gleichwohl stellt im Rahmen der bei der Beurteilung der Angemessenheit notwendigen wertenden Betrachtung der von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Ausgleich unter Berücksichtigung der Art der zu leistenden Arbeit, also der Gegenleistung der Arbeitnehmer (vgl. dazu  - Rn. 26 mwN), eine hinreichende Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis dar und beinhaltet eine Entschädigung für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben.

36cc) Soweit der Kläger darauf verweist, dass eine Regelung, die für Schichtarbeit in der Nacht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geringere Zuschläge gewährt als für sonstige Nachtarbeit, die gesetzliche Zielsetzung missachte und deshalb unwirksam sei, vermag dies nicht zu überzeugen (so aber zB auch J. Ulber AuR 2020, 157, 163). Dies vermengt die Frage der Angemessenheit des Ausgleichs mit der Frage der Gleichbehandlung. Die Frage der Angemessenheit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG richtet sich aber nicht danach, ob andere Arbeitnehmer den gleichen oder ggf. einen höheren Nachtarbeitszuschlag erhalten.

37f) Die im ZTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit und sonstige Nachtarbeit in § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a und Nr. 4 ZTV verstößt aber - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegen miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit im Gegensatz zur sonstigen Nachtarbeit ist - wie die Auslegung des ZTV ergibt - nicht durch einen aus dem Tarifvertrag erkennbaren sachlichen Grund gerechtfertigt.

38aa) Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit bzw. sonstige Nachtarbeit leisten, sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - miteinander vergleichbar. Die jeweiligen Zuschlagstatbestände knüpfen übereinstimmend an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an, die sich - insbesondere durch das Maß an Belastung - von der Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet (vgl.  - Rn. 50 ff. mwN auch zu krit. Stimmen, BAGE 173, 205). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom die Tatbestandsvoraussetzungen festlegen können, auf deren Grundlage die Gruppen zu bilden sind. Das entbindet sie nicht davon, die Grenzen von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Die sich dabei stellende Frage, ob sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen, ist auf der Rechtfertigungsebene zu klären (vgl.  - Rn. 52, aaO; aA zB Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 267 f.; ähnlich Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 16 ff.; Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).

39bb) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV und für Nachtschichtarbeit in § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Der Ausgleich, den Arbeitnehmer für sonstige Nachtarbeit erhalten, ist deutlich höher als derjenige für Nachtschichtarbeit.

40(1) Nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV erhalten Arbeitnehmer für Schichtarbeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr einen Zuschlag von insgesamt 25 % des Stundenentgelts (20 % Zuschlag für Nachtarbeit, 5 % Zuschlag für Schichtarbeit), während der Zuschlag für - sonstige - Nachtarbeit 50 % beträgt.

41(2) Diese Differenz zwischen den beiden Zuschlagstatbeständen verringert sich nicht dadurch, dass nach § 3 Abschn. I Nr. 5 ZTV für je 20 geleistete Nachtschichten bei ständiger Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb eine Schichtfreizeit zu gewähren ist. Dabei handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für die Belastungen durch die Arbeit in der Nachtzeit (vgl. Rn. 34).

42(3) Die rechnerische Differenz bei der Zuschlagshöhe vermindert sich auch nicht um die bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit nach § 3 Abschn. I Nr. 4 Buchst. d ZTV. Diese steht Arbeitnehmern zu, wenn der Betriebsablauf aufrechterhalten wird. Der Anspruch setzt somit schon nicht voraus, dass ein Einsatz in der Nachtschicht erfolgt. Die Pause wird vielmehr bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen in allen Schichten gewährt, also auch in Tagschichten. Demnach dient sie nicht dem Ausgleich der spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit, sondern dem Ausgleich des ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit.

43(4) Ebenso wenig verringert sich der Unterschied in der Zuschlagshöhe - anders als die Beklagte meint - dadurch, dass sonstige Nachtarbeit in der Regel Mehrarbeit ist und der Zuschlag nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV einen Mehrarbeitszuschlag umfasst. In den tariflichen Regelungen ist nicht angelegt, dass Nachtarbeit stets oder auch nur regelmäßig zuschlagspflichtige Mehrarbeit im Tarifsinn ist, also über die jeweilige regelmäßige Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers hinausgeht (§ 3 Abschn. I Nr. 1 Buchst. a ZTV). Bereits der Wortlaut des ZTV steht dem entgegen. Nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV wird der Zuschlag ausdrücklich für Nachtarbeit gezahlt, die nicht Mehrarbeit ist. Zudem erhöht sich nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. b ZTV der Zuschlag für Nachtarbeit bei Mehrarbeit von 50 % auf 75 %. Der Tarifvertrag sieht damit einen gesonderten Zuschlag für Mehrarbeit in der Nacht vor. Dies haben die Tarifvertragsparteien im Klammerzusatz der Bestimmung ausdrücklich klargestellt. Die Regelung wäre überflüssig, wenn ein Mehrarbeitszuschlag bereits in dem Zuschlag nach § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a MTV enthalten wäre. Soweit die Beklagte in der Revisionsverhandlung zur Begründung ihrer Ansicht auf die Protokollnotiz zu § 3 Abschn. I Nr. 4 ZTV und die Entstehungsgeschichte des EV ZTV abgestellt hat, stützt dies die von ihr vertretene Auslegung nicht. Die Tarifvertragsparteien haben die Regelungen in § 3 Abschn. II Nr. 3 ZTV bezüglich der Mehrarbeit in der Nachtzeit im Zug der Vereinbarung des EV ZTV nicht geändert. Der EV ZTV selbst regelt weder die Höhe von Zuschlägen für Nachtarbeit noch die für Mehrarbeit.

44(5) Unerheblich ist auch, dass der Zuschlag für Schichtarbeit in der Nachtzeit nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV bereits für die Zeit ab 20:00 Uhr geschuldet wird und somit der Beginn der Nachtzeit gegenüber der gesetzlichen Regelung um drei Stunden vorgezogen ist. Das gilt sowohl für Nachtschichtarbeit als auch für sonstige Nachtarbeit, so dass sich hieraus in Bezug auf die Ungleichbehandlung keine Relativierung ergibt (aA wohl Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 251 „Ausgleichsfaktor“).

45cc) Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Nachtschichtarbeit leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit leisten, ist - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Ein solcher lässt sich den maßgeblichen Regelungen des ZTV nicht entnehmen.

46(1) Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch Nachtschichtarbeit und sonstige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen - auch deutlich - höheren Ausgleich für sonstige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am - aus dem Tarifvertrag erkennbaren - Zweck der Leistung zu orientieren ( - Rn. 66, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). An einem solchen weiteren Zweck neben dem Gesundheitsschutz fehlt es hier. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.

47(2) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB  - Rn. 13 mwN).

48(3) Dies zugrunde gelegt ergibt sich zunächst, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung von Nachtarbeitszuschlägen den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer bezwecken. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Zuschlag für Nachtschichtarbeit als auch für sonstige Nachtarbeit. Dieser Zweck stellt aber keinen Sachgrund für höhere Zuschläge zugunsten der Arbeitnehmer dar, die sonstige Nachtarbeit leisten.

49(a) Der Zweck des Gesundheitsschutzes ist zwar nicht ausdrücklich im ZTV benannt. Er hat aber hinreichend Niederschlag gefunden. Die Zuschläge werden ausdrücklich als solche für Nachtarbeit bezeichnet (§ 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a und Nr. 4 Klammerzusatz ZTV). Der ZTV definiert den Begriff der Nachtarbeit als die Zeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr (§ 3 Abschn. I Nr. 3 Satz 1 ZTV), knüpft damit an § 2 Abs. 3 ArbZG an und erweitert den Nachtzeitraum. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgleichsregelung des § 6 Abs. 5 ArbZG und dem dort normierten grundsätzlichen Vorrang von Ausgleichsregelungen in Tarifverträgen liegt nahe, dass die Tarifvertragsparteien von dieser Kompetenz Gebrauch machen und auch der gesetzlichen Zwecksetzung genügen wollten. Die Gesundheit - über die Verteuerung der Arbeit zumindest mittelbar - zu schützen, ist der typischerweise mit Nachtarbeitszuschlägen verfolgte Zweck (vgl.  - Rn. 25).

50(b) Der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung allerdings nicht zu rechtfertigen.

51(aa) Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat ( ua. - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; ebenso  - Rn. 70 f., BAGE 173, 205; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, BAGE 162, 230; - 10 AZR 47/17 - Rn. 39, BAGE 160, 325; Schubert/Bayreuther in Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 37; EuArbRK/Gallner 4. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - aaO; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19, BAGE 147, 33).

52(bb) Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit - ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom S. 42).

53(cc) Aufgrund der steigenden gesundheitlichen Belastung durch eine größere Zahl der Nächte im Monat und eine höhere Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird, sollten möglichst wenige Nachtschichten aufeinanderfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr aufeinanderfolgenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Das trifft nicht zu (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit 9. Aufl. S. 12 f.; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 32). Aufeinanderfolgende Nachtschichten sind besonders schädlich, obwohl sich Arbeitnehmer typabhängig unterschiedlich gut an die Nachtarbeit anpassen ( - Rn. 72, BAGE 173, 205; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19 f. mwN, BAGE 147, 33; vgl. Langhoff/Satzer aaO S. 36). Bislang ist nicht belegt, dass aufeinanderfolgende Nachtschichten signifikant weniger gesundheitsschädlich sind, wenn Arbeitnehmer nach einem Schichtplan eingesetzt werden, der ihnen im Voraus bekannt ist. Nach Amlinger-Chatterjee zeigen extrahierte statistische Daten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar sind (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 52).

54(dd) Gesundheitsschutzaspekte können danach die im ZTV vorgenommene Differenzierung für sich genommen sachlich nicht rechtfertigen.

55(4) Dafür, dass der Zuschlag für sonstige Nachtarbeit - so die Beklagte - auch den Zweck habe, einen Ausgleich für Mehrarbeit zu gewähren, die in der Regel mit sonstiger Nachtarbeit verbunden sei, ergeben sich aus dem ZTV - wie ausgeführt (Rn. 43) - keine Anhaltspunkte.

56(5) Soweit die Beklagte darauf hinweist, der ZTV regle die sonstige Nachtarbeit im Verhältnis zur Nachtschichtarbeit als Ausnahmetatbestand, falle somit seltener an, ergibt sich auch aus einem solchen Ausnahmecharakter für sich genommen kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der mögliche Ausnahmecharakter wäre zwar ein Umstand, der auf einen bestimmten Zweck der Leistung hindeuten kann, nicht aber ein selbständiger Zweck, der mit der Tarifregelung verfolgt wird. Außerdem ist ein solcher Ausnahmecharakter in den Bestimmungen und der Struktur des ZTV für seinen Geltungsbereich weder inhaltlich angelegt noch aus diesen auch nur im Ansatz erkennbar. Weder in den allgemeinen Regelungen über die Arbeitszeit in § 2 ZTV noch in den speziellen Bestimmungen über die Nachtarbeit und deren Ausgleich (§ 3 Abschn. I Nr. 3 und Abschn. II Nr. 3, 4 ZTV) finden sich dazu Hinweise. Auch die Größe der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe - auf die die Beklagte abstellt - vermag die Begünstigung einer Mehrheit oder Minderheit allein nicht zu rechtfertigen. Denn Ungleichbehandlungen sind - dem Grundgedanken des Gleichheitsgebots folgend - unabhängig von der Größe der betroffenen Gruppen zu vermeiden.

57(6) Es ist auch sonst kein Zweck erkennbar, der die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für sonstige Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit sachlich rechtfertigen könnte. Die Tarifvertragsparteien des ZTV haben den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum auch unter Zugrundelegung eines zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs (Rn. 24) überschritten. Zwischen der sonstigen Nachtarbeit und der Nachtschichtarbeit bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die die Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge sachlich rechtfertigen könnten. Das gilt auch, soweit die Beklagte anführt, der ZTV wolle die fehlende Planbarkeit sonstiger Nachtarbeit mit dem höheren Zuschlag ausgleichen. Dieser Zweck ist dem ZTV nicht zu entnehmen.

58(a) Richtig ist, dass der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit eine Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen vermag. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Unerheblich ist dabei, wenn mit einer tariflichen Zuschlagsregelung mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden, solange diese Zwecke Niederschlag im Tarifvertrag gefunden haben. Ist dies der Fall, kommt es auch nicht darauf an, wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird (umfassend dazu  - Rn. 52 ff.).

59(b) Der Zweck des Ausgleichs einer schlechteren Planbarkeit von - unregelmäßiger - Nachtarbeit hat im ZTV keinen Niederschlag gefunden.

60(aa) § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für sonstige Nachtarbeit - neben dem Gesundheitsschutz - dienen. Der ZTV enthält in den Bestimmungen, die die Zuschläge für Nachtarbeit regeln, auch nicht ein Begriffspaar wie „regelmäßig“ und „unregelmäßig“, aus dessen Gegenüberstellung sich der damit verbundene weitere Zweck erkennen ließe (vgl. dazu  - Rn. 53 ff.). Dem Regelungssystem des ZTV lässt sich zwar entnehmen, dass es sich bei der Nachtschichtarbeit um die regelmäßige Form der Nachtarbeit handelt, nicht aber, dass mit „Nachtarbeit“ iSv. § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV ausschließlich unregelmäßige Nachtarbeit gemeint ist und hieraus folgend mit dem höheren Zuschlag die schlechtere Planbarkeit ausgeglichen werden soll.

61(bb) Nachtschichtarbeit in der Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr iSv. § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV setzt eine Regelhaftigkeit voraus. Der Begriff der Schichtarbeit wird in § 3 Abschn. I Nr. 4 Buchst. a ZTV definiert. Nach der tariflichen Definition liegt Schichtarbeit vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und dieser Rhythmus zusammenhängend mindestens eine volle Arbeitswoche dauert. Schichtarbeit in diesem Sinn ist damit eine regelmäßige Form der Nachtarbeit. „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (www.duden.de Stichwort „regelmäßig“, zuletzt abgerufen am ; vgl. auch  - Rn. 16). Bei typisierender Betrachtung folgt hieraus, dass regelmäßige Nachtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtarbeit geleistet wird. Typischerweise werden bei dieser Art der Nachtarbeit (Schicht-)Pläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet.

62(cc) Nicht erkennbar ist allerdings, dass die Nachtarbeit iSv. § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV - definiert als Arbeit zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr (§ 3 Abschn. I Nr. 3 Satz 1 ZTV) - die nicht Mehrarbeit oder Schichtarbeit ist, ausschließlich unregelmäßige Arbeit zur tariflichen Nachtzeit ist. Es fehlt nicht nur an einer Bezeichnung wie „unregelmäßig“. Auch im Übrigen ist aus den Regelungen des ZTV nicht ersichtlich, dass sonstige Nachtarbeit nicht regelmäßig oder sogar dauerhaft anfallen kann. Der ZTV beschränkt insoweit weder in den allgemeinen Regelungen über die Arbeitszeit in § 2 ZTV noch in den speziellen Bestimmungen über die Nachtarbeit und deren Ausgleich (§ 3 Abschn. I Nr. 3 und Abschn. II Nr. 3, 4 ZTV) die Gestaltungsfreiheit für den Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien hinsichtlich der Arbeitszeitmodelle. Insbesondere ist danach nicht ausgeschlossen, dass ständige oder wiederkehrende Nachtarbeit auf Arbeitsplätzen außerhalb eines Schichtsystems anfällt. Eine solche Arbeitszeitgestaltung ist regelmäßig und planbar. Dass die Tarifvertragsparteien keine Beschränkung der sonstigen Nachtarbeit auf Ausnahmesituationen vorgesehen haben (vgl. zu einer solchen Tarifgestaltung zB  - Rn. 57), wird im Übrigen auch aus einem Vergleich mit der Regelung zur Mehrarbeit in § 3 Abschn. I Nr. 1 Buchst. c ZTV deutlich. Danach ist Mehrarbeit, insbesondere als Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie soll nur vorübergehend in Fällen dringender betrieblicher Notwendigkeit im Einvernehmen mit dem Betriebsrat angeordnet werden. Eine solche Regelung für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit, die keine Mehrarbeit ist, fehlt.

63(dd) Nichts anderes ergibt sich aus dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen ZTV (zur Fortführung eines bestimmten Begriffs durch die Tarifvertragsparteien vgl. zB  - Rn. 22, BAGE 134, 34). Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung - nicht unbedingt gesundheitlicher Art - mit sich (vgl.  -; - 5 AZR 808/06 - Rn. 31 ff.; - 10 AZR 736/12 - Rn. 23, BAGE 147, 33). Ein solches Begriffsverständnis hat sich in der hier streitgegenständlichen Tarifregelung gerade nicht niedergeschlagen. Soweit in einer frühen Entscheidung ohne nähere Begründung unter „Nachtarbeit“, die nicht Schichtarbeit ist, iSd. damals maßgeblichen Tarifvertrags ohne Weiteres ein unregelmäßiges Arbeiten und ein Ausnahmecharakter solcher Arbeiten verstanden wurde ( - zu II der Gründe, BAGE 5, 107), ist dieses Verständnis in der späteren Rechtsprechung nicht mehr fortgeführt worden. Hinsichtlich der Bestimmungen des ZTV scheidet es - wie dargelegt - schon deshalb aus, weil dauerhafte und regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit als Arbeitszeitmodell möglich und zulässig ist.

64(c) Ob § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV den Zweck verfolgt, einen Anreiz zu bilden, ggf. dauerhafte oder regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit zu leisten, kann dahinstehen. Darin läge angesichts der Gesundheitsschädlichkeit von Nachtarbeit kein legitimer Zweck. Durch Ausgleichsregelungen soll die Nachtarbeit verringert und nicht ausgedehnt werden. Eine solche Zwecksetzung könnte daher keinen sachlichen Grund für einen höheren Nachtarbeitszuschlag bilden (vgl.  - Rn. 81, BAGE 173, 205; Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 43 f., 50; aA Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).

653. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz hat zur Folge, dass der Kläger Anspruch auf Zahlung des höheren Nachtarbeitszuschlags von 50 % des Stundenentgelts für die von ihm geleistete streitgegenständliche Nachtarbeit hat. Die gleichheitswidrige Ungleichbehandlung kann für die im Streit stehende Vergangenheit nur durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt werden (umfassend dazu  - Rn. 87 ff. mwN, BAGE 173, 205).

66a) Den Angehörigen der benachteiligten Gruppe sind dieselben Vorteile zu gewähren wie den nicht benachteiligten Arbeitnehmern; die begünstigende Regelung bleibt insoweit das einzig gültige Bezugssystem. Kann der Arbeitgeber den Begünstigten für die Vergangenheit die gewährten Leistungen - wie hier - nicht mehr entziehen, ist eine solche zur Beseitigung der Diskriminierung erforderliche Anpassung „nach oben“ selbst dann gerechtfertigt, wenn sie zu erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers führt (vgl.  - Rn. 91; - 10 AZR 334/20 - Rn. 87 f., BAGE 173, 205; - 9 AZR 266/19 - Rn. 41 [zu § 7 AGG]; - 1 AZR 590/18 - Rn. 32 [zu § 75 Abs. 1 BetrVG]; - 8 AZR 168/14 - Rn. 30 [zu § 4 Abs. 1 TzBfG]). Um den gleichheitswidrigen Zustand zu beseitigen, muss daher § 3 Abschn. II Nr. 4 iVm. Nr. 3 Buchst. a ZTV unangewendet bleiben, soweit der Anspruch auf den Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % für Nachtschichtarbeit ausgeschlossen ist. Daran ändert auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - die in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich verbürgte Tarifautonomie nichts, da eine andere Möglichkeit der Beseitigung der Benachteiligung für die Vergangenheit nicht besteht (vgl.  - Rn. 32).

67b) Soweit die Beklagte einwendet, eine Anpassung nach oben scheide aus, weil die Gesamtregelung zu den Zuschlägen eine Einheit bilde und nur insgesamt nichtig sein könne, kann dem nicht gefolgt werden. § 139 BGB findet auf Tarifverträge keine Anwendung. Die Unwirksamkeit einer Tarifbestimmung führt nicht zur Unwirksamkeit der übrigen tariflichen Bestimmungen, sondern bleibt auf die inkriminierte Vorschrift beschränkt. Maßgebend ist, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung enthält (st. Rspr., zuletzt zB  - Rn. 27 mwN, BAGE 170, 56). Dies ist hier der Fall. Nicht die Gesamtheit der Zuschlagsregelungen in § 3 Abschn. II ZTV ist gleichheitswidrig. Der Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot betrifft im vorliegenden Rechtsstreit allein die Zuschlagsregelung zur Schichtarbeit in der Nacht. Nur sie benachteiligt die Normunterworfenen im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit leisten (vgl.  - Rn. 95 mwN, BAGE 173, 205). Auch ohne die Geltung der Zuschlagsregelung für Schichtarbeit in der Nacht trifft der ZTV in § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV noch eine Regelung zum Ausgleich für Nachtarbeit, die § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt. Damit verbleibt insoweit ein sinnvolles und in sich geschlossenes Regelwerk.

68c) Auch würde ein bloßer Rückgriff auf die gesetzliche Regelung in § 6 Abs. 5 ArbZG im Weg der Derogation (vgl.  - Rn. 96 mwN, BAGE 173, 205) zwar dazu führen, dass dem Kläger, soweit er Nachtarbeitnehmer iSv. § 2 Abs. 5 ArbZG ist, für die während der gesetzlichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden ein Ausgleichsanspruch zusteht. Die hier gegebene Benachteiligung wäre aber nicht beseitigt.

69d) Danach hat der Kläger - wie beantragt - Anspruch auf die Differenz zwischen dem an ihn gezahlten Zuschlag für Nachtschichtarbeit nach § 3 Abschn. II Nr. 4 ZTV und dem Zuschlag in Höhe von 50 % entsprechend § 3 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a ZTV für Nachtarbeit. Diese Differenz reduziert sich nicht um den Anspruch auf Schichtfreizeiten nach § 3 Abschn. I Nr. 5 ZTV, da es sich dabei nicht um einen spezifischen Ausgleich für Nachtarbeit handelt (Rn. 34). Im Ergebnis stehen dem Kläger damit weitere 25 % an Zuschlag auf das Stundenentgelt zu.

704. Die Ansprüche des Klägers sind nicht wegen Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Der Kläger war nicht gehalten, die streitgegenständlichen Ansprüche innerhalb der tariflichen Ausschlussfristen geltend zu machen, weil die Beklagte es unterlassen hat, auf diese am Standort Mannheim durch einen Aushang am Schwarzen Brett hinzuweisen. Bei § 13 Nr. 3 Satz 1 RMTV handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung keine Rechtsfolgen nach sich zieht. Unterbleibt der Aushang, gelten nach § 13 Nr. 3 Satz 2 RMTV ausschließlich die Verjährungsfristen des BGB. Satz 2 ordnet zwar nicht ausdrücklich deren alleinige Geltung an (vgl. zu einer solchen Regelung  - Rn. 40, BAGE 125, 314). Die Bestimmung wäre jedoch überflüssig, wenn die tariflichen Ausschlussfristen neben den allgemeinen zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen weiterhin zu beachten wären, denn die Wahrung tariflicher Ausschlussfristen schließt die Anspruchsverjährung (regelmäßig) nicht aus. Die Regelung dient insoweit auch dem Schutz der Arbeitnehmer und soll verhindern, dass diese ihre Ansprüche nicht rechtzeitig iSd. tariflichen Ausschlussfrist geltend machen, weil ihnen die Ausschlussfrist unbekannt ist (zur Aushangpflicht nach § 8 TVG offenlassend, ob es sich um ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB handelt  - Rn. 28; - 4 AZR 258/06 - Rn. 20).

715. Danach stehen dem Kläger weitere Nachtarbeitszuschläge für die Monate November 2018 bis Juni 2019 in Höhe von insgesamt 1.508,20 Euro brutto zu. Die Höhe der Zuschläge ist zwischen den Parteien unstreitig und zutreffend berechnet.

726. Die geforderten Prozesszinsen stehen dem Kläger ab dem bzw. dem zu. Die Klage, mit der der Kläger Ansprüche für die Monate November 2018 bis Januar 2019 geltend gemacht hat, ist der Beklagten am zugestellt worden, die Klageerweiterung, mit der er Zahlungen für die Monate Februar bis Juni 2019 verlangte, am . Die Pflicht zur Verzinsung beginnt bei Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 58).

73III. Die Kostenentscheidung folgt mit Rücksicht auf die geringfügige Rücknahme der Klageforderungen für die Monate November 2018 (0,94 Euro brutto) und Dezember 2018 (0,36 Euro brutto) aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO (vgl.  - Rn. 44).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:240523.U.10AZR369.20.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1972 Nr. 35
NJW 2023 S. 10 Nr. 34
QAAAJ-44893